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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1984 erschienen.

Systematik

Tarifrunde 84
DER JAHRHUNDERTSCHWINDEL DES DGB

Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung

ist einer der härtesten Angriffe auf die unternehmerische Kalkulation mit Lohn und Leistung. Zu Recht beschweren sich Kapitalistenverbände, daß mit einer solchen Forderung nicht nur eine völlig aus dem Rahmen der letzten Lohnsenkungsreden fallende Lohnerhöhung gefordert wird - 14% mehr Kosten pro Stunde rechnen sie für die "35 -Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich" aus -; auch die Unternehmerfreiheit wird bestritten, bei feststehendem Lohn über Leistung und Arbeitszeit zu bestimmen. Erfolge betrieblicher Kostenkalkulation werden damit in Frage gestellt, Erfolge, welche die Beschäftigten in Form wachsender Arbeitsanstrengung und knapper Bezahlung an Gesundheit und Geldbeutel zu spüren bekommen haben.

Allerdings sinkt die Belastung, mit der man sein Einkommen verdient, nur, wenn der Stundenlohn verändert wird, wenn also die kürzere Arbeitszeit nicht auf den Lohn angerechnet wird. Andernfalls handelt es sich ja bloß um eine Lohnsenkung durch weniger Beschäftigung - ein Mittel, das die Betriebe bei Kurz- und Teilzeitarbeit längst anwenden. Außerdem verhindert Arbeitszeitverkürzung nicht, sondern provoziert geradezu Versuche von Unternehmerseite, die Arbeitsstunde zu verdichten, mehr Arbeit in die bezahlte Arbeitsstunde hineinzupacken, also den Kostenanstieg zu Lasten der Beschäftigten rückgängig zu machen. Und wenn bei kürzerer Arbeitszeit der Lohn sinkt, dann haben die Unternehmer in dem Geldmangel ihrer Arbeiter das beste Druckmittel, um die mit mehr Leistung vollgepackte Arbeitszeit doch wieder und noch weiter auszudehnen - mit Überstunden und Sonderschichten.

Für eine Arbeitszeitverkürzung, die das Verhältnis von Lohn und Leistung durchgreifend verändert, gibt es Gründe genug. Die Folgen der tagtäglichen Anstrengung und der beschränkten monatlichen Kasse sind allgemein bekannt. Bekannt ist auch, daß die "Arbeitgeber" in dieser Frage nicht mit sich reden lassen und nur durch die Arbeitsverweigerung der "Arbeitnehmer" zum Nachgeben zu bewegen sind. Also eine klare Sache, welche die Gewerkschaft da auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Kämpft die Gewerkschaft für Arbeitszeitverkürzung?

Also für eine Korrektur des Lohn-Leistungs-Verhältnisses zugunsten der Lohnarbeiter, so daß sie durch die Stunden im Betrieb nicht mehr ruiniert werden und ihr Geldbeutel nicht immerzu das Sparen gebietet? Hat sich der DGB seine Mißerfolge der letzten Jahre zu Herzen genommen? Er klagt ja:

"Im Produktionsbereich nehmen die einseitigen körperlichen Belastungen durch das steigende Arbeitstempo und den immer stärker werdenden Leistungsdruck zu."

"Akute Gesundheitsrisiken" wurden vermeldet und "wachsende Frühinvalidität". Und vom Lebensunterhalt der arbeitenden Menschheit berichtet die IG-Metall:

"Nach drei Jahren Reallohnsenkung reichen Löhne und Gehälter in den meisten Fällen gerade, um bei den steigenden Preisen den Lebensunterhalt bestreiten zu können."

Will die Gewerkschaft Selbstkritik üben und für lohnende Ziele kämpfen? Wohl kaum! Ihre ganze "Aufklärerei" übers Arbeitsleben wäre ja wohl völlig überflüssig, ginge es um die Mobilisierung einer Mitgliedschaft, die das alles doch selber am besten weiß und tagtäglich am eigenen Leibe erfährt. Nein, solche Schilderungen proletarischen Elends, das die Gewerkschaft mitverantwortet, sind auf einen ganz anderen Adressaten gemünzt: auf die öffentliche Meinung. Der sollen sie den Gedanken nahebringen, daß die erbrachten Opfer die Arbeiter doch wohl auch zu einigen Ansprüchen berechtigen.

Und das erledigt die Gewerkschaft keineswegs so nebenher - nach dem einzig vernünftigen Motto: Praktische Erfolge sind die beste Reklame! Nein: Diese Gewerkschaft hat vor jeden "Kampf" das Bemühen um öffentliche Anerkennung ihrer Anliegen gesetzt. Mehr noch: Der Meinungsstreit um ihre Forderung, den sie entfacht und anheizt, ist der ganze "Kampf", den sie führt.

Dieses Anliegen ist doppelt absurd. Den Machthabern und den Meinungsmachern machen solche Good-will-Aktionen keinen Eindruck. Die haben ihre Maßstäbe - und das sind die der fertig eingerichteten kapitalistischen Welt: In der wirken Arbeiteransprüche immer störend, da läßt sich auch mit noch so bunten Aufklebern nichts dran ändern. Und "die Bevölkerung", die die Gewerkschaft gewinnen will: Wer ist das denn anders als die Leute selbst, deren Interessen die Gewerkschaft zu vertreten behauptet? Diese Leute mit einer Forderung zu ihren Gunsten so anzureden, als wären sie Diskussionspartner in einem allgemeinen Meinungsstreit - das ist so peinlich, daß es sogar die Gewerkschaft selber merkt. Sie spricht ihren meinungsbildenden Aktionen daher die Funktion zu,

"daß sie (die Aktionen) nicht nur die Öffentlichkeit zum Resonanzboden unserer Forderung machen, sondern auf dem Wege über die Presse, den Rundfunk, das Fernsehen oder auch einfach das Stadtgespräch wieder in die Köpfe der weniger überzeugten Kollegen zurückkehren."

Ausgerechnet auf deren ureigenstem Feld will die Gewerkschaft die Bildzeitung und andere Meinungsmacher schlagen; dem der tagtäglichen 'Information', was das Gemeinwohl an politischen Taten und Härten erfordert, was dem braven Untertan (nicht) zusteht und was für ihn ansteht und was wegen der 'Sachzwänge' in Politik und Wirtschaft wieder einmal unumgänglich ist. Sie verfolgt das Ideal einer gelungenen Manipulation - ihrer Mitglieder und Basis durch die entsprechend beeinflußte Öffentlichkeit und der Öffentlichkeit durch ihre Mitglieder, die sich buchstäblich als Fußvolk im Meinungskampf bewähren sollen. Der wird entsprechend ausgetragen: mit allen trostlosen Tricks der Stimmungsmache, wie man sie aus Wahlkämpfen kennt.

Aus dem "abc der aktionen":

"Autokorso... Bonbons mit Aufdrucken ... Chor-Auftritte zur 35-Stunden-Woche... Fußballspiele in '35'-T-shirts... Gedichtwettbewerbe... Luftballonwettbewerbe... Mohrenkopfessen '35 sind genug'... Schmalzbrotstand... - Wandertag'... x-fache persönliche Ansprache und Gespräche zur 35-Stunden-Woche" - natürlich mit den Argumenten der Gewerkschaft..."

Da haben wir ihn - den "Kampf". Mit solchen kindischen Freizeitbeschäftigungen und öffentlichen Auftritten macht man natürlich keinen Druck; man findet im Meinungsstreit nicht einmal Gehör und statt dessen nur eine Antwort: die längst feststehende Zurückweisung gewerkschaftlicher Propaganda durch die Propagandisten des nationalen Fortschritts.

Worüber will die Gewerkschaft die Öffentlichkeit aufklären? Was soll öffentlich anerkannt werden?

Etwa, daß sie die "35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich" erreichen will, daß man dafür Mittel in der Hand hat und die auch einzusetzen bereit ist? Der Dialog wäre schnell beendet. Nein, wer so um Aufmerksamkeit buhlt, der will immer wieder aufs neue die Bedenken und die Vorwürfe ausräumen, die ihm öffentlich entgegengehalten werden. Nun laufen die alle auf den Verdacht hinaus, die Gewerkschaft hätte es tatsächlich darauf abgesehen, das Verhältnis von Lohn und Leistung anzugreifen, also eine Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen und so Vorteile und Nachteile neu zu verteilen. Also rechtfertigt die Gewerkschaft sich gegen diesen Verdacht, als wäre er ernst gemeint und als wüßte die Öffentlichkeit über die Qualität gewerkschaftlicher Forderungen und "Kämpfe" nicht schon längst Bescheid:

"Unsere Forderung ist recht und billig."

"Die Verweigerung der 35-Stunden-Woche beruht nicht auf achtbaren kaufmännischen Überlegungen. Sie entspringt vielmehr dem vorrangigen Streben der Unternehmer nach Gewinn und Herrschaft statt nach sozialem Frieden und demokratischer Gerechtigkeit."

"Die Wettbewerbsfähigkeit ist nicht in Gefahr."

"Wir haben bewiesen, daß die Kosten der Arbeitszeituerkürzung keineswegs zu hoch sind."

Aus den eigenen Reihen, gar von einem Arbeitslosen oder Conti-Schichtler hat die IG-Metall den Einwand sicher nicht gehört, mehr Lohn für weniger Leistung würde zwar gebraucht, sei jedoch ungerecht, undemokratisch, unfriedlich und wirtschaftlich untragbar. Nein, mit ihrer Verbeugung vor der öffentlichen Moral der "schweren Zeiten" - in denen ausgerechnet die betroffenen kleinen Leute schon gleich gar nichts mehr beanspruchen dürfen - will sie dem Verdacht begegnen, u viel zu verlangen.

Deshalb auch der Eifer, dauernd zu beweisen, daß man anderen, offiziell anerkannten Interessen ganz bestimmt nicht in die Quere kommen will - denen der "Wirtschaft" nämlich, und der "deutschen Wirtschaft" dazu. Für die hat die deutsche Einheitsgewerkschaft einiges übrig schließlich hängt von ihr die gesamte Basis des DGB ab! Wer wollte da noch fragen, ob diese Abhängigkeit den Lohnabhängigen auch gut bekommt!

Umgekehrt: Die Gewerkschaft fragt sich, ob ihre Forderungen mit den Erfordernissen der anderen Seite vereinbar sind, und teilt den Agenten und Wortführern "unserer Wirtschaft" ihr verantwortliches Ergebnis mit: Rein rechnerisch, versteht sich, haben die Arbeiterfunktionäre ermittelt, wie ungeheuer möglich die 35 -Stunden-Woche nach ihrem Geschmack und ihrer verständnisvollen Auffassung ordentlichen Geschäftserfolgs wäre! Die Wahrheit, daß sich die Interessen der Lohnabhängigen nicht mit dem achtbaren Geschäft vertragen - eine Wahrheit, die allein zum "Kampf um Arbeitszeitverkürzung" 'motiviert' -, hat diese Arbeitervertretung jedenfalls längst beiseite gelegt. Statt dessen rechnet sie den Beschwerdeführern aus dem Lager von Öffentlichkeit, Unternehmern und Politikern ein ums andere Mal ihre Bereitschaft vor, gegen die laufende unternehmerische 'Korrektur' von Lohn und Leistung nichts zu unternehmen, und daß erst recht ihre 35-Stunden-Woche daran nichts ändern soll..

- Wenn sie von einem "gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum" durch den "Anstieg der Preise und der Produktivität" redet, beruft sie sich auf die Zusatzgewinne, die sie den Untemehmem nicht streitig gemacht hat - so als ob die jetzt, ausgerechnet wegen gewerkschaftlicher Zurückhaltung, billigerweise für volkswirtschaftlich nützliche Korrekturen zur Verfügung stünden.

- Wenn sie sogar gleich den zukünftigen "induzierten Produktivitätseffekt" durch die Arbeitszeitverkürzung bilanziert - "daß ein Teil der Arbeitszeitverkürzung durch einen zusätzlichen Produktivitätsanstieg ausgeglichen wird" -, erklärt sie sich im vorhinein damit einverstanden, daß die Produktivitätssteigerungen durch moderne Maschinerie auch weiterhin auf Kosten der Lohnabhängigen gehen und jede gedachte Erleichterung der Arbeit zunichte machen.

- Wenn sie für Überstunden statt Bezahlung einen "Freizeitausgleich" innerhalb einer vertretbaren Frist fordert, dann nähert sie sich dem unternehmerischen Ideal einer "flexiblen Arbeitszeit" ohne Zusatzkosten nahezu vollständig an.

- Und wenn sie schließlich für diese Lohnrunde nur einen "Inflationsausgleich" fordert und für die nächsten auf jeweils zwei bis drei Prozent zu verzichten verspricht, also nominelle Null- und praktische Minusrunden anbietet, dann will sie auch noch die letzten Zweifel ausräumen, mit ihrer Forderung würden die Unternehmer wider deren Gewinnkalkulation mit Kosten belastet. Möglich ist für diese Gewerkschaft "Arbeitszeitverkürzung" also nur deshalb, weil - also auch nur dann, wenn - jede Erleichterung der Arbeit und jede Sicherung des Lohns zurücksteht hinter der "Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft". Für die Beschäftigten fordert die Gewerkschaft "Arbeitszeitverkürzung" also sicher nicht. Das behauptet sie aber auch gar nicht ernsthaft!

Wem will die Gewerkschaft nach eigener Aussage nützen?

Den Un- Beschäftigten, den Arbeitslosen, verkündet sie. Für die bräuchte es die Arbeitszeitverkürzung. Für die braucht es eine Arbeitszeitverkürzung aber ganz und gar nicht. Weder haben sie etwas davon, wenn andere "flexibler" und intensiver einsetzbar sind, noch wenn die Beschäftigten weniger Lohn bekommen. Ihnen wäre ja wohl eher gedient, wenn die Gewerkschaft nicht so freigiebig Entlassungen zustimmen und nicht so widerspruchslos die staatlichen Sparmaßnahmen passieren lassen würde. Der DGB sieht das aber anders und macht eine neue Rechnung auf:

"Die 1982 in Überstunden geleistete Arbeit hätte für 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze ausgereicht."

"Daß einige unbegrenzt arbeiten und verdienen, während andere arbeitslos sind, ist kein Zustand, der gefördert werden sollte."

Die Überstunden sind geleistet und die Entlassungen des Jahres 1982 vollzogen. Nun geht's ans Zählen, und zwar im Interesse eines Beweises: Die Arbeitszeit ist sehr unvernünftig und ungerecht verteilt worden. Obwohl jedermann den Grund für überflüssige Lohnabhängige genau kennt - nur rentable Arbeitskräfte werden angestellt und bezahlt -, soll man die Arbeitslosen für eine Entgleisung halten. Für einen Fehler bei einer Unternehmung, die es in der 'freien Marktwirtschaft' gar nicht gibt: bei der Verteilung von Arbeitsstunden, deren notwendige Gesamtzahl der DGB immer nachträglich ermittelt. Als noch "verteilt" wurde, als die Herren der Betriebe entließen, hat dieselbe Gewerkschaft in lokalen Demonstrationen ihre "Sorge um die Arbeitslosigkeit" vorführen lassen, über "Mißmanagement" geklagt und gleichzeitig Überstunden und Entlassungen als "betriebsnotwendig" abgesegnet. So sehr versteht sich dieser Verein auf die Propaganda der Lüge, daß ein gut geführtes Geschäft den Erfolg der Lohnabhängigen einschließt, und auf die Anerkennung der harten unternehmerischen "Sachzwänge", mit der sie sich selbst Lügen straft. Beschäftigung ist es also nach Auffassung der Gewerkschaft, die den außer Brot Gesetzten fehlt. Im Vergleich mit dem gar nicht zufälligen "Pech" der Arbeitslosen gilt ihr der tägliche Dienst am Kapital als ausgesprochenes Glück: Wer im "Besitz eines Arbeitsplatzes" ist, der hat es gut, weil besser als der Arbeitslose getroffen. Und nicht nur gut, sondem zu gut hat er es getroffen. Erleichterung von Arbeit und Sicherung eines gescheiten Einkommens - dergleichen ist bei den Fanatikern des gewissenhaft ausgefüllten Berufs namens "Arbeitgeber" kein Programm. Sie haben einen anderen Mißstand entdeckt: Die einen können genußsüchtig zuviel von der knappen Arbeit an sich raffen und verdienen dabei "unbegrenzt" - die anderen aber müssen zuschauen!

Dagegen meint die Gewerkschaft ein Rezept gefunden zu haben, "damit die... knapper werdende Arbeit gerechter auf viele Schultern verteilt wird." Deswegen fordert sie von ihren Mitgliedern, "daß die Beschäftigten und die Arbeitslosen einen Solidaritätspakt schließen - für eine gerechtere Verteilung der Arbeit." Deswegen tut sie so, wie wenn die Arbeiter es durch Verzicht auf Arbeitszeit und Lohn in der Hand hätten, ihren arbeitslosen Kollegen wieder zu einem "Arbeitsplatz" zu verhelfen. Zwingen will sie die Unternehmer nicht einmal dazu, nur behaupten, die Geschäftsrechnung ließe ihnen im Grunde keine andere Wahl:

"Rein rechnerisch macht die Summe der durch die 35-Stunden-Woche ausfallenden Arbeitsstunden rund drei Millionen Arbeitsplätze aus. Die Hälfte dieser Stunden können die Unternehmer keinesfalls mit Rationalisierungen wettmachen. Das bedeutet: Sicherung und Schaffung von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen."

Da haben wir sie wieder, die schöne Rechnung, mit der der DGB sich um die Schaffung von Arbeitsplätzen verdient macht - gleich alle Freiheiten für die Unternehmer, sich mehr Beschäftigte durch Mehrarbeit und Intensivierung zu ersparen, eingeschlossen. Für die Tarifrunde steht damit für alle Funktionäre und Mitglieder das feine Programm fest. Sie können mit Unternehmern und Öffentlichkeit darüber streiten, ob die 35-Stunden-Woche oder eher die Lebensarbeitszeitverkürzung auf Rentnerkosten oder eher die flexible Arbeitszeit Arbeitsplätze schafft oder vernichtet. So begegnen sich statt zweier Parteien, deren Interessen sich widersprechen, nur zwei Lügen, die sich dazu mit erlesenem Zahlenmaterial garnieren können. Die Wahrheit ist nämlich die: Wieviel gearbeitet werden muß für wieviel Geld, wieviele Entlassungen stattfinden und wie es den Arbeitslosen geht, hängt immer noch davon ab, was die organisierten Arbeiter sich von den Kalkulationen der Unternehmer gefallen lassen.

Wem will die Gewerkschaft wirklich unter die Arme greifen?

Denen, deren Ideologie sie teilt und ernstnimmt, die Arbeitslosigkeit sei ein Problem, das "wir" lösen müssen - dem Staat also und seinen Verwaltern. Den Politikern schließt sich der DGB an, die den Geschäftserfolg von freien Untemehmem als das Ziel der von ihnen verwalteten "Ordnung" schätzen und lohnend eingesetzte Arbeit für das Vortrefflichste halten. Denen rechnet die Gewerkschaft vor,

"daß Arbeitslosigkeit nichts anderes ist als eine Form der Verkürzung der Arbeitszeit, und zwar die unmenschlichste und teuerste Form."

"24.000 DM kostet ein Arbeitsloser die Volkswirtschaft pro Jahr. Jeder Arbeitsplatz, der durch Arbeitszeitverkürzung gesichert oder geschaffen wird, erspart der Volkswirtschaft also hohe Kosten."

"Weil es billiger ist, Arbeitsplätze zu schaffen als steigende Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Ganz viel Sorgen um die Staatskasse und eine Dame namens Volkswirtschaft machen sich die Arbeitervertreter also. Ein sauberer, linientreuer Gesichtspunkt, wie ihn die Schöpfer von Sparprogrammen in Bonn praktizieren! Ein Arbeitsloser oder sonstiger vom "sozialen Netz" betreuter Bürger ist erst einmal als Unkost zu betrachten, ein Beschäftigter als gewinnbringender Dienstmann am Nationalwohl, wenn volkswirtschaftlich denkende Gewerkschaftsleute ganz verantwortlich ihre Taschenrechner anwerfen!

Nachdem die Musterdemonstrationen gegen den "Sozialabbau" in allem Pflichtbewußtsein erledigt sind - das waren damals vielleicht schöne Ungerechtigkeitsmärsche mit großem Hallo! -, wollen die Gewerkschaften jetzt den Machern in Staat und Wirtschaft mit der Tarifrunde das Sparen ersparen. Nur schade, daß der Kapitalismus und sein Staatshaushalt ein bißchen anders funktionieren - und einfach die Beschäftigten lohnender und die Arbeitslosen ärmer machen!

Wem nützt die Gewerkschaft wirklich mit ihrer Tarifrunde?

Erstens den Rechnungen, die Politiker und Unternehmer anstellen. Denn von der gewerkschaftlichen Gegenrechnung bleibt in der Tarifrunde nichts übrig als die für jeden "Kompromiß" offene Bereitschaftserklärung, Lohn und Leistung, Beschäftigte und Arbeitslose nach Kosten- und Gewinngesichtspunkten berechnen zu lassen. Wenn in der Tarifrunde nicht mehr auf Kompensation erlittener Schädigungen, sondern auf Neuverteilung des kostbaren Gutes Arbeit gesehen wird, haben die Arbeiter jedenfalls nichts zu gewinnen. Zweitens den öffentlichen Ideologien der Politiker und Unternehmer, die die Gewerkschaft zu einer gerechteren Regelung des Arbeitsdienstes ermuntern will selbstverständlich im Rahmen dessen, was sich volks- und betriebswirtschaftlich "vertreten" läßt. Drittens dem sozialen Frieden und der Demokratie, welche die Gewerkschaften beständig in Gefahr sehen, statt sie selber einmal aufs Spiel zu setzen, und die sie unbedingt immer wieder retten wollen:

"Wir müssen anstreben, der durchsetzung der 35-stunden-woche für die sicherung des inneren friedens jenen stellenwert zu geben, den abrüstung und entspannung für die friedenssicherung nach außen bekommen haben."

Unfreiwillig erklärt damit die Gewerkschaft selber die "35-stunden-woche" zu einer Ideologie, die das höchste nationale Gut, den selbstlosen Gehorsam, ebenso begleitet wie das Gerede von Abrüstung und Entspannung die neuen Raketen und Feindschaftserklärungen gegen drüben.

Viertens aber auch sich selbst. Denn da sich ohne den Kampf der Geschädigten immer nur dasselbe weitermachen läßt, formulieren die Gewerkschaftler jetzt schon die Interpretationen für die paar tariflich abgesicherten Freiheiten des Kapitals, um das alles als Erfolg für die Arbeiterorganisation hinzustellen: "Ein Einstieg ... trotz großem Einsatz mehr nicht zu erreichen... Wahrung der Tarifautonomie von der Tagesordnung nicht mehr wegzudenken... kommenden Jahre...".

Der DGB - die Stimme seines Herrn

Kanzler Kohl

hat noch im alten Jahr seinen Senf zur 35-Stunden-Wochen-Jahrhundertkampagne des DGB dazugegeben. Kurz und klar wie selten: "Töricht und absurd!" Er muß das DGB-Programm glatt mit einer Forderung verwechselt haben: einer gewerkschaftlichen Forderung nach besserem Leben für Arbeiter. Denn gegen wirtschaftspolitische Vorschläge aus lauter Dummheiten und Absurditäten hat dieser Kanzler doch zuallerletzt etwas einzuwenden - gegen Ansprüche aber immer, wenn es nicht seine und die Interessen seines "Aufschwungs" sind.

DGB-Chef Breit

sah sich herausgefordert. Wozu? Hat er gemerkt, daß eine Arbeitszeitverkürzung in der Regierung einen entschlossenen Gegner hat? Ist ihm etwas klar geworden über die Einigkeit von Geschäft und Politik, oder gar über die Notwendigkeit eines Kampfes - den im Ernstfall die Gegenseite eröffnet, noch ehe eine Forderung überhaupt erhoben worden ist?

Da dürfte es sich nicht um Ernst Breit und seinen DGB handeln!

Die deutsche Einheitsgewerkschaft sieht ihre heiligsten Kühe dahingeschlachtet: Ihr Vertrauen in die "Neutralitätspflicht der Regierung" wurde enttäuscht, die sich zunehmend als "Unternehmer-Unterstützungsverein" versteht - was für ein Kompliment im Namen der Arbeiter an die höchste Agentur des Klassenkampfes von oben! Die Tarifautonomie ist gefährdet, weil Kohl sich als "Oberzensor" aufführt - so viel Eindruck macht es also der vereinigten westdeutschen Arbeiterklasse, wenn der Kanzler gegen sie hetzt! Die Tarifauseinandersetzung wurde unnötig verschärft, weil "selbst Bundeskanzler Kohl glaubt, mit dem Flammenschwert hantieren zu müssen" und "wenig Fingerspitzengefühl" gezeigt hat - so viel hält die Gewerkschaft vom sozialen Frieden, daß sie ein Kanzlerwort gleich als ein göttliches Strafgericht auffaßt!

Breit und Kollegen sehen sich geschädigt durch die öffentliche Parteinahme der ob ersten Regierungsautorität. Und? Wie wehren sie sich? Durch

Entwaffnende Unterwürfigkeit!

Gegenüber dem nationalen Oberrichter will man aus seinen Beschwerden keinesfalls Konsequenzen ziehen:

"Sie haben die Gespräche mit dem Kanzler als nutzlos bezeichnet. Gehen Sie trotzdem wieder zu ihm? Breit: Natürlich." "Der DGB ist weiterhin zum Dialog mit der Bundesregierung bereit."

Konsequenzen sind allerdings gegenüber der eigenen Führungsmannschaft fällig, auch wenn sie sich nur durch ein paar kernige Sprüche hervorgetan hat, um die Gewerkschalft in Szene zu setzen.

"Bei der Frage der 35-Stunden-Woche geht es weder um Sein oder Nichtsein der deutschen Gewerkschaften noch um Aufstieg oder Niedergang der deutschen Wirtschaft."

So entschärft Breit für seine Seite schleunigst jeden auch nur verbalen Zündstoff, kaum daß von politischer Seite die öffentliche Auseinandersetzung angeheizt wird. Um aber wirklich auch noch den letzten Rest von Mißtrauen auszuräumen, scheut Breit nicht davor zurück, 35 Jahre mühsam zurechtkonstruierter DGB-Geschichte, in der die Gewerkschaften angeblich einmal Arbeiterinteressen durchgekämpft hätten, vom Kopf auf die Füße zu stellen:

"Im übrigen gilt: In der Bundesrepublik hat noch kein Streik der Wirtschaft ernsthaft geschadet. Das läge auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer."

Damit ist der nationalen Ehre der Gewerkschaft Genüge getan, und Kohl und Konsorten erst recht die Freiheit eröffnet, die Gewerkschaft auf diese Ehre zu verpflichten.

Wem es um nichts als öffentliche Anerkennung geht; um Erfolge in der Konkurrenz wirtschaftspolitischer Alternativen vor dem Forum des demokratischen Sachverstandes; um den gelungensten Einsatz für den sozialen Frieden - dem ist eben wirklich leicht beizukommen: mit Autorität und dummen Sprüchen. Der schlachtet lieber selber ein paar heilige Kühe gewerkschaftlicher Selbstdarstellung, als sich einmal vor den unverschämten öffentlichen Ansprüchen nicht zu rechtfertigen. Der kneift beim ersten Kanzlerwort die Arschbacken zusammen und jammert höchstens noch laut darüber, daß "ein Unternehmer, der hohe Gewinne macht, öffentliches Ansehen" genieße, während die Gewerkschaft immer nur "öffentlich Schelte" beziehe.

Stimmen der Herren zum DGB

Es ist ja gar nicht so, daß nur die Gewerkschaft sich außerordentlich bescheuerte Werbesprüche für die 35-Stunden-Woche einfallen läßt. Die "Argumente" ihrer Gegner sind auch nicht besser.

Den wissenschaftlichsten Einwand

hat "der Ulmer Professor Ditschuweit" der 'Bild am Sonntag' mitgeteilt:

"Wenn die 35-Stunden-Woche kommt, werden die Leute noch dicker und sitzen noch länger vor dem Fernseher."

Nicht auszudenken, was die Leute dann anschauen müssen. Hier ein Stündchen Bundestagsdebatte, dort ein Überstündchen Frank Elstner und zwischendurch eine der hochinteressanten Diskussionen über die Ernährungsgewohnheiten von Känguruhs, Arbeitern und sonstigem Getier... Da könnten sie dann sicher sehen, wie der berühmte "Ernährungswissenschaftler" der BamS seine aufsehenerregende These begründet, daß nicht arbeiten noch dicker macht. Sonst denken sie am Ende noch, daß dazu was im Magen gehört. Und daß ausgerechnet der billige Fraß - aus der Kantine oder dem Sparprogramm der BamS-Musterhausfrau - die peinliche Eigenschaft hat, die Menschen aufzublasen. Täuscht Euch nicht, liebe Leute: Es ist die Freizeit!

Das nationalistischste "Argument"

ist den Metallindustriellen eingefallen. Es geht so:

Die deutsche Einheitsgewerkschaft - von der japanischen Konkurrenz unterwandert? Dieser eines Hitler würdige Einfall gegen die patriotischste Gewerkschaft, die es je auf deutschem Boden gab: das ist lächerlich. Leider ab er nur einerseits. Andererseits zeigt diese Lächerlichkeit nämlich ein sicheres Gespür dafür, wo die bundesdeutsche Einheitsgewerkschaft in ihrer Ehre anzugreifen ist: in Sachen Treue zur Nation. Sollten die Arbeitgeber da wirklich den Punkt erwischt haben, wo sie die Gewerkschaftsbasis auf ihrer Seite wissen? Können sie sich womöglich zu Recht darauf verlassen, daß deutschen Arbeitern der Konkurrenzerfolg ihrer Nation unbesehen wichtiger ist als alles andere?! Dennoch:

Der linientreueste Gedanke

ist dem Klaus Besser von der BamS gekommen. Der wittert hinter allem eine kommunistische Verschwörung. Also ist auch die Forderung nach kürzerer Arbeitszeit nicht bloß in Japan ausgeheckt, um der deutschen Industrie zu schaden, sondern in Moskau, um das ganze System der "Marktwirtschaft" zu kippen. Kostprobe dieses Verfolgungswahns:

"Die geheime Sehnsucht der marxistischen Gewerkschaftsfunktionäre" (das sollen Breit, Mayr und Steinkühler sein!) "ist immer noch die von ihnen selbst gelenkte Staatswirtschaft. ... wird alles getan, um die kapitafistische Marktwirtschaft zu belasten, bis sie zusammenbricht."

Immerhin eine Wahrheit unterläuft Besser in seinem Übereifer. Zwar wird sie leider kaum gleich zusammenbrechen, die kapitalistische Marktwirtschaft; aber Vorteile für die Lohnarbeiter, die duldet sie tatsächlich nicht: Die sind für diese menschliche Wirtschaft eine einzige unerträgliche Last! Da kann noch so viel rationalisiert und die Arbeit produktiver gemacht werden: Einfach unmöglich wäre eine "Politik, die immer mehr Geld für immer weniger Arbeit fordert".

Ein bißchen gelogen, gegen besseres Wissen, ist allerdings Bessers Verdacht, Bundesdeutschlands Gewerkschaften ließen sich so etwas zuschulden kommen. Wär's nur s o! Tatsächlich ist es bloß so, daß der Chef-Kommentator der 'Bild am Sonntag' immer mehr Zeilen und Honorar bekommt - für immer faschistischere Dummheiten und immer dümmere Faschistereien.

Nicht erst seit heute, gestern oder vorgestern, sondern seit ihren bundesrepublikanischen Anfängen heißt bei Streiks und Warnstreiks, Demonstrationen und anderen Aktionen

Das gewerkschaftliche Kampfrezept: Öffentlichkeitsarbeit

Trotzdem hat es da, nicht zuletzt dank gewerkschaftlicher und öffentlicher Interpretationskünste, des öfteren die Verwechslung mit Arbeitskämpfen gegeben, durch die Arbeiter ihre Anwender zu Zugeständnissen zwingen. Höchste Zeit, daß die Gewerkschaft vor der Tarifrunde wieder einmal Klarheit stiftet, wie "professionelle" Arbeitervertretung gemeint ist und deshalb heutzutage auszusehen hat:

"Was Industrie und Handel heute 'Aktions-PR' nennen, also Öffentlichkeitsarbeit mit bezahlten Aktionen, das haben die Metaller längst in ihr Repertoire übernommen. Nnr handhaben sie es selbst, und es ist anch preiswerter... Fast immer gehen sie dabei nach der klassischen Zauberformel für erfolgreiche Verkäufer vor, ob es sich nun um den billigen Jakob in der Fnßgängerzone oder nm den teuren Konzern gegenüber handelt: Sie heißt 'AIDA-Formel' und ist tatsächlich für den Verkauf von Dosenöffnern ebenso praktikabel wie für die Verbreitung von Ideen. Die einzelnen Buchstaben stehen für vier englische Begriffe:

- A = Attention, Aufmerksamkeit erregen,

- I = Interest, Interesse erwecken,

- D = Desire, Wünsche auslösen und

- A = Action, Aktionen hervorrufen, ob es nun der Griff ins Portemonnaie oder das Einschwenken auf eine Idee ist. Professioneller kann man kaum sein." (metall, 1/84)

Die Zauberformel der Gewerkschaftsprofis heißt also: Werbung. Daß Arbeiter in Fußgängerzonen und per Zeitungsannoncen weder etwas zu verkaufen noch gute Ideen an den Mann zu bringen haben - ihr Pech. Die Gewerkschaft will nun einmal den Kunden Öffentlichkeit unbedingt mit ihrer nationalen Ware bedienen, der Idee einer gerechteren Verteilung der Arbeit im Allgemeininteresse. Deswegen läßt sie ihre Mitglieder den Werbekaspar auf allen Marktplätzen spielen. Auf der anderen Seite behandelt sie Staat und Unternehmer als ihre Kunden, denen sie die Leistung ihrer Klientel zu Schleuderpreisen anbietet und den Griff ins Portemonnaie erlaubt. Sie ist eben ein billiger Jakob der Arbeiterinteressen - dafür ein teurer Konzern, was die nationale Geltung des DGB selbst betrifft.

Ein Handel, der die Arbeiter teuer zu stehen kommt.

Eingeständnis - unfreiwillig?

Was will die Gewerkschaft damit sagen?

Daß die Unternehmer ganz zu Unrecht lamentieren, weil Arbeitszeitverkürzungen die deutsche Wirtschaft noch nie ruiniert haben!

Was sagt sie damit eigentlich?

Daß das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft die Leitlinie für jede Gewerkschaftsforderung sind!

Daß die Gewerkschaft sich strikt an diese Leitlinie gehalten hat, wie der Erfolg der Wirtschaft beweist!

Daß alle Arbeitszeitverkürzungen der Vergangenheit deshalb nur ein Mittel für die Unternehmer waren, sie durch Leistungssteigerungen, Rationalisierungen und Lohnsenkungen mehr als wettzumachen!

Daß die Gewerkschaft den Unternehmern diese profitablen Methoden diesmal gleich im Vorhinein mit ihrer Forderung als Angebot unterbreitet!