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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1984 erschienen.
DDR-Flüchtlinge
HINWEISE FÜR EINE KORREKTE AUSREISE
Nachdem sich erst 6 DDRler über die US-Botschaft in Ostberlin, dann 12 über die Ständige Vertretung der BRD abgesetzt hatten, gab es nicht den sonst üblichen Jubel über den unbezwinglichen Freiheitswillen, Mut und List der 18 Brüder und Schwestern, sondern einigen Tadel:
"Damit ist allerdings jenen DDR-Bürgern geschadet, die in den Botschaften und Vertretungen nur Rat suchen oder die Kulturangebote nutzen wollen. An diese Folgen für ihre Mitbürger baben die sechs bestimmt nicht gedacht." (Süddeutsche Zeitung)
Menschen herüber...
Eine seltsame Rücksichtnahme auf geschädigte Hinterbliebene, die sonst, wenn von den Überläufern Eltern, Ehegatten, Kinder, Kranke und andere Klienten zurückgelassen werden, nie zu hören ist. Der frühere Ständige Vertreter, Bölling, wurde dann auch deutlicher, wo da der "Schaden" liegt:
"Bei allem Verständnis für die Motive, das ist nicht der richtige Weg. Hier werden zwei Regierungen unter Druck gesetzt. Das ist genau der falsche Weg, denn weder die Regierung der DDR noch eine westliche Regierung kann sich einem solchen Druck beugen."
Flucht per Ballon, über die "Todesgrenze", durch die Spree getaucht, alle solchen Kunststücke mit oder ohne "Grenzzwischenfälle" sind erwünscht. Sie taugen hier sowohl zur Propaganda für den unschätzbaren Wert der Freiheit - dafür begeben sich die Leute schließlich in Todesgefahr! - wie für die Anti-DDR-Hetze mit "Schießbefehl" usw. Sich bei der Flucht aber einfach des Alleinvertretungsanspruchs der BRD als Druckmittel bedienen zu wollen, gehört sich nicht. Das ist ja eine regelrechte Erpressung. In die bundesrepublikanische Hoheit zu entscheiden, wer auf welchem Weg der DDR abgepreßt werden soll, darf niemand hineinpfuschen. In diesem Sinn auch die Rechtsbelehrung von Minister Jenninger:
"Die damit unvermeidlich verbundenen Spannungen bergen im Gegenteil die Gefahr von Erschwernissen für die im Verborgenen laufenden Bemübungen der Bundesregierung um Familienzusammenführung und Ausreisegenehmigungen in Einzelfällen. Im übrigen kann nicht Zielsetzung unserer Politik sein, für alle Deutschen in der DDR die Ausreisegenehmigung durchzusetzen und die DDR weitgehend zu entvölkern. Sinnvolle Deutschlandpolitik gebietet es, durch eigene Bemühungen mit darauf hinzuwirken, daß sich die Lebensumstände - und dazu gehört gerade mehr Freizügigkeit - so verbessern, wie es sich die Menschen in der DDR wünschen."
Das mit dem "Entvölkern" mal dahingestellt; mit der Annahme, daß in der DDR überhaupt nur Bekloppte wohnen, fällt der Minister ein bißchen auf seine Berufsideologie herein. Aber die Klarstellung für die DDR-Bevölkerung, wie sich die Bundesregierung für sie einsetzt, läßt nichts zu wünschen übrig: Irgendwelchen Leuten den Weg in die so erstrebenswerte BRD zu öffnen, ist böchstens ein werbewirksames Abfallprodukt der Deutschlandpolitik. Und mit der Aufnahme im freien Teil Deutschlands endet auch die Fürsorgepflicht für die Befreiten. Deutschlandpolitik ist der Anspruch auf den ganzen anderen Staat, der sich, solange wie er noch nicht vollständig unter die Fuchtel der BRD gelangt ist, mit den Bonner Auflagen zur Menschenführung zu befassen hat.
...Maschinen hinüber
Über die Grenze in umgekehrter Himmelsrichtung reist demnächst eine komplette Motorenfertigungsstraße von VW, die in Hannover abmontiert und in der DDR aufgestellt wird. Glückwünsche von der "Bild"-Zeitung:
"Bild Kommentar
Annäherung durch Handel
VW und die "DDR" wollen gemeinsom Motoren fertigen.
Gut so!
Sicher können noch so enge Handelsbeziehungen die deutsche Spaltung nicht überwinden. Sie können aber verhindern, daß die Gräben tiefer werden. Sie können Brücken schlagen.
Annäherung durch Handel? Besser als durch Wandel."
Wieso gut so? Was für Brücken werden da geschlagen? Soll etwa der Genuß, an einer durchrationalisierten Fertigungsstraße Motoren zu bauen, bei den glücklichen DDR-Arbeitern ein ganz tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl hervorrufen? Durch die Leistungssteigerung, die die "fortschrittliche" Technik ihnen abverlangt? Oder sollen dic Trabantfahrer den neuen Motor als Geschenk aus Wolfsburg in Empfang nehmen?
Und vor lauter Freude mal ganz vergessen, wieviel DDR-Waren immer mal wieder nicht zu haben sind, weil sie zur Schuldentilgung in der BRD verramscht werden?
Wohl kaum, Annäherung durch Handel geht anders. Bei ihrer Begeisterung darüber läßt die "Bild"-Zeitung auch ihre sonstige Hetze über das kaputte System da drüben ganz beiseite. Nichts von den "roten Arbeitssklaven", die gräßlich ausgebeutet werden. An einem Band von VW gibt es keine Ausbeutung. Nichts davon, daß das Geschäft die Herrschaft drüben stabilisiert, den Machthabern nützt. Über den Nutzen solcher Geschäfte weiß man inzwischen Bescheid: "Sie können verhindern, daß die Gräben tiefer werden", denn jede weitere Verpflichtung auf westliche Geschäftskonditionen macht die "DDR" ein Stück weiter abhängig, für Erpressungen empfänglich.
Der Geschäftserfolg für VW steht ohnehin außer Frage, so daß sich die Nörgelei mit den Arbeitsplätzen verbietet. In Hannover müssen sowieso laut Unternehmensplanung 3000 gehen, so daß "die Beschäftigung gerade des Transporterwerks zusätzlich durch die Absicht gestützt wird, gleichzeitig rund 13500 Transporter in die DDR zu liefern". Irgendwie sind es ja auch deutsche Arbeitsplätze, die VW in der DDR schafft. Und die bei Kompensationsgeschäften üblichen Extragewinne werden VW unter Garantie dabei behilflich sein, seine Arbeitsplätze hierzulande noch todsicherer zu machen.