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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1984 erschienen.
DAS SOZIALPRODUKT
Die Grundvorstellung ist angeblich ganz einfach:
"Das Produktionsergebnis eines Landes in einer bestimmten Periode und damit die wirtschaftliche Leistnng dieses Landes wird statistisch dnrch das Sozialprodnkt erfaßt." (Wie funktioniert das - die Wirtschaft, S. 402)
Komisch nur, daß das Sozialprodukt gar keine Liste all der verschiedenartigen Güter ist, die in einem Land zur Verfügung stehen, sondern eine pure Addition von lauter Zahlen. Dabei kommt es noch nicht einmal auf das Zusammengezählte, sondern auf die Summe an. Außer in Werbesprüchen wie "Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" tritt das Land ja auch nie als Produzent in Erscheinung. Der Stolz eines marktwirtschaftlichen Systems liegt doch gerade darin, daß der Staat kein Unternehmer ist, der alle Kräfte des Landes organisiert. Die Überlegenheit der freiheitlichen Systeme soll doch gerade darauf beruhen, daß ihre Ökonomie ein Eldorado privater Interessen und Initiativen ist und keineswegs eine einzige große Fabrik. Hier geht es um das Geschäft, die Vermehrung des in diverse Operationen gesteckten Kapitals, und dieses Erfolgskriterium lebt nicht nur von der Unterscheidung in Nutznießer und Benutzte, sondern behandelt auch die Güter sehr Je-nach-dem. Ausgerechnet wenn es reichlich davon gibt, machen sie sich störend bemerkbar - als Butterberg, Autohalde und Obstschwemme. Für die freie Marktwirtschaft ist ein Maßstab namens Sozialprodukt - von wegen sozial und Produkt! - von vomherein eine Ideologie, eine wissenschaftlich aufgeplusterte Lüge über das "eigentliche" Ziel und Ergebnis kapitalistischen Wirtschaftens. Man soll sich all das Kaufen und Verkaufen, für Lohn arbeiten und an der Börse spekulieren so vorstellen, als o b sich in dem ganzen vordergründigen Getümmel ein wirtschaftliches Urprinzip von der Schlichtheit des Robinson'schen Inselhaushalts durchsetzt: jemand produziert ein nützliches Ding und konsumiert es dann.
Die statistische "Ermittlung" des Sozialprodukts besteht folgerichtig darin, es unter Hinzuziehung hinreichend kleingehackter Realitätspartikel (Daten) erst zu konstruieren. Was ist ein Beitrag?, lautet die erste Frage. Wegen jenes 'als ob' ist immerhin klar, daß zumindest alles, was dem normalen Verstand als Beispiel für ein Gut oder eine Dienstleistung dienen kann, mitzuberücksichtigen ist. Bloß, wie soll es Berücksichtigung finden, wie als Beitrag zur großen Gesamtsumme verbucht werden?, lautet die nächste Frage. Schließlich wollen die vielen Äpfel und Birnen, Haarschnitte und Beerdigungen als eine Manier gewürdigt sein, nationalen Output zu erzeugen: Sie stehen nicht für sich, sondern sind ein Stück des in der Gerüchteküche der Volkswirtschaftslehre entstandenen Backwerks "Gesamtleistung".
Angesichts dieser doppelten Problematik entschließt sich die VWL, die erste Frage (Was?) mit der zweiten (Wie?) zu beantworten. Sie macht sich dabei den Umstand zunutze, daß die vielfältigen Güter und Dienstleistungen im Preis ihr einheitliches Maß längst haben. Der hat zwar überhaupt nicht den Zweck, die verschiedenartigen Produkte vergleichbar zu machen, um sie dann als Teile eines vorgestellten gesellschaftlichen Gesamtergebnisses messen zu können. Preise werden gemacht, um über den Verkauf von Waren Gewinn zu machen. Aber davon abzusehen, das nimmt sich die Volkswirtschaftslehre als ihre dichterische Freiheit heraus. In ihren Augen bewähren sich Güter und Dienste als Beitrag zum Sozialprodukt und teilen dankenswerterweise gleich auch noch mit, in welchem Umfang sie dort eingehen. Und warum soll das so sein? Erstens, weil es den Preis nun schon mal gibt. Dem Forscher eröffnet sich so die glückliche Perspektive, daß so ziemlich alle Daten, die die bürgerliche Gesellschaft kennt, für seinen Gegenstand relevant werden. Zweitens, gewissermaßen als Probe auf die Richtigkeit des Gedankens, schließt der Forscher vom Zusammenrechnen des Sozialprodukts auf seine Entstehung; drittens ist mit der Entstehung auch das Problem der Aufteilung gleich miterledigt. Man braucht sich ja nur vorzustellen, daß jeder Preis, der zum Bruttosozialprodukt das Seine beiträgt, auch wieder genauso viel davon wegnimmt, sobald er gezahlt wird. Die Summe heißt dann "Volkseinkommen" und bietet der Forschung den Vorteil, daß sie jetzt ihren Gegenstand in einer Art Zangenbewegung, zugleich von Waren preisen und Einkommen ausgehend, zu packen versuchen kann.
Die Unlogik dieses Gedankens, daß jetzt nämlich einer justament soviel leistet, wie er sich dann leisten kann, vermag die VWL so wenig zu stören, daß sie sich mit Begeisterung auf ein falsches Problem wirft. Eine Meßlatte ist, wie auch anders, nicht dasselbe wie der damit gemessene Gegenstand, und deshalb sieht die VWL. die Gefahr, daß sie versäumt, was eigentlich gemeint war:
- was nicht bezahlt wird, wird auch nicht gezählt, so daß insbesondere der tüchtigen Hausfrau die Anerkennung im Sozialprodukt versagt bleibt;
- ausgesprochen negative Leistungen wie der bekannte Umweltschmutz können in Ermangelung ebenso negativer Preise nicht verrechnet werden;
- das als Maßstab verwendete Geld ist aus "Gummi" und vermag die wirklichen Tatsachen zu entstellen (Ausweg: Man nehme den Gummi von 1958)
Was auch immer noch an Problemen und Lösungsansätzen folgen mag, eine Botschaft steht fest: Das Geld mißt nicht den Gewinn, das Resultat der Benutzung fremder Arbeit, sondem den Erfolg aller; und der Preis bezeichnet nicht die Trennung des Bedürfnisses von den Mitteln seiner Befriedigung, sondem die Summe der Genüsse, die allen zur Verfügung stehen. 'Kein Wunder, daß der Nutzen der Kategorie Sozialprodukt darin besteht, öffent-liche Debatten um zwei nur scheinbar widersprechende Argumentationsmuster zu bereichem: "Wahnsinn, so groß ist unser Reichtum!" und "Au weia, so wenig ist zum Verteilen da!"
Zuletzt führt diese Verkehrung der Leistungen des Geldes noch ganz nebenbei auf eine beliebte Ideologie über das Wirken des Staates. Die Lasten, die dieses eingefleischte Nicht-Wirtschaftssubjekt seiner Ökonomie aufbürdet, bilden eitel Sozialprodukt, insofern sie sich nämlich in Einkommen für Minister, Generäle, Pfaffen und Volkswirtschaftslehrer auflösen. Und die VWL ist auch nicht faul, sich iin Nachhinein zu solchen Geldbeträgen noch die entsprechenden nützlichen Produkte auszudenken: Da bereichert der Staat sein Volk mit Ordnung, Sicherheit, Sinn. Blöd ist das schon, aber ausnahmsweise auch mal witzig. Denn der Staat, welcher tatsächlich Erfolg der Wirtschaft interessiert ist, weil ihm diese für die materiellen Mittel seiner Herrschaft einsteht, bekommt so von seiner Wissenschaft eine Berechnung jenes Wirtschaftserfolgs präsentiert, derzufolge dieser schon zu einem großen Teil aus eben jenen staatlichen Unkosten besteht. Wenn es noch irgendeinen Beleg dafür bräuchte, daß die "wichtigste wirtschaftspolitische Kenngröße", das Sozialprodukt, nicht die geringste praktische Bedeutung hat, so ist er mit dieser Ununterscheidbarkeit von faux frais und Wachstum gegeben.