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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1984 erschienen.
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Bonn
DIE DEMOKRATIE LIFTET IHRE VISAGEN
"Demokratie gründet auf dem Eingeständnis, daß der Mensch und seine Institutionen fehlsam sind, anfällig, korrumpierbar. Dazu tritt die Einsicht, daß diese Fehlsamkeit der ausgleichenden Gegengewichte bedarf: verfassungsmäßiger Verfahren, die Korrektur erlauben, ohne daß das Ganze Schaden nimmt;.... einer entrüstungsfähigen Öffentlichkeit, die Anstoß nimmt und so dafür sorgt, daß dem Kitzel der Enthüllung der Akt der Reinigung folgt. In Diktaturen werden Skandale nicht ruchbar, die Mächtigen sind allemal stärker - das unterscheidet sie von Demokratien." (DIE ZEIT)
Zwei Untersuchungsausschüsse belegen derzeit in Bonn diese unverwüstliche Überlegenheit der Demokratie. Streng nach Artikel 44 des Grundgesetzes bereinigen dort berufene Politiker ihre "ruchbar" gewordenen "Affären" als öffentlichkeitswirksames Anklagespiel zwischen Regierungs- und Oppositionsvertretern zum Nutzen der Herrschaft, auf die es ihnen gemeinsam ankommt.
In Form eingestandener, bestrittener oder umstrittener "Fehler" ermitteln sie in langwierigen Verfahren den "Beweis", daß die demokratische Macht allemal stärker ist als die nur allzu menschlichen Praktiken ihrer Exekutoren.
Flick-Ausschuß
Neben dem inzwischen von der Staatsanwaltschaft angestrengten gerichtlichen Verfahren wegen gewisser Unregelmäßigkeiten in der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Staats- und Wirtschaftsvertretern erfreut sich der parlamentarische Flick-Ausschuß nach wie vor großer Beliebtheit bei der "entrüstungsfähigen" Öffentlichkeit. Gewesene und amtierende Politikergrößen nehmen sich dort mit Industriemagnaten der ersten nationalen Garnitur die Klinke aus der Hand, um vor diesem Institut parlamentarischer Kontrolle ihre "Aussagen" abzuliefern. Aussagen, die zuallererst Klarstellungen über das ganz und gar unskandalöse, weil gute Verhältnis zwischen Staatsmännern und Kapitaleignern liefern.
Der anderweitig durch die Justiz wegen Bestechlichkeit im Amt angeklagte
Graf Lambsdorff
tritt vor dem Bundestagsausschuß als Zeuge auf. An "Beweismaterial" hat er den ermittelnden Ausschußmitgliedem gleich dreierlei zu bieten: Erstens sei es schlichtweg staatsanwaltschaftliche Anmaßung, einem Bundesminister mit einer Anklage, die einem "Teppich voller Löcher" gleicht, am Zeug flicken zu wollen; zweitens braucht ein deutscher Unternehmer einen verantwortlichen Minister für Wirtschaft nicht zu bestechen, um sich dessen steuerbefreienden Wohlwollens zum volkswirtschaftlichen Nutzen sicher zu sein; weswegen drittens auch alle Spenden des Hauses Flick sich ausschließlich freiwilligem Mäzenatentum für die gemeinnützigen Verdienste seiner Partei verdankten. Sollten außerdem noch kleinliche juristische Bedenken gegen die etwas locker gehandhabten Offenlegungs- und Verrechnungspraktiken von Parteispenden existieren, so dürften sich doch bitte die Herren Ausschüssler zunächst mal an die eigene Parteinase fassen.
Daß die Entscheidung, dem Flick-Konzern für die Wiederanlage des Gewinns aus dem Verkauf seiner Daimler-Benz-Aktien Steuerbefreiung zu gewähren, "nach Recht und Gesetz" unanfechtbar ist, darüber lassen weder Lambsdorff noch alle ihm nachfolgenden Ausschußzeugen einen Zweifel zu. Schließlich gibt es ja diesen Paragr. 6b des Einkommensteuergesetzes nur, um unter dem politischen Gesichtspunkt besonderer volkswirtschaftlicher Förderungswürdigkeit für bestimmte Einzelkapitalisten Ausnahmen vom Gesetz zu machen. Die Entscheidungsbefugnis darüber steht dem Wirtschaftsminister zu. Lambsdorffs eitle Gekränktheit über die Unterstellung, er habe sich - als qua Amt fanatischer Marktwirtschaftler - zu diesem Schritt durch Schmiergelder erst zwingen lassen müssen, ist insofern verständlich. So liegt es wohl auch weniger an der "Sprechgeschwindigkeit" des Vortrags, als an der in ihm vertretenen Berufung auf allseits geteilte wirtschaftspolitische Grundsätze, daß den Untersuchungsbeauftragten hierzu nichts einfällt.
"Den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses verschlug das gut 20 Minuten dauernde Sperrfeuer die Sprache. Langner (CDU-Ausschußvorsitzender) sah sich außerstande, ohne vorherige Lektüre des Protokolls auch nur eine Frage zu stellen. Sein sozialdemokratischer Stellvertreter Wilfried Penner schnaubte: 'Das ist ein ganz mieser Stil.'" (Der Spiegel)
Ex-Flickgesellschafter und Ausschußgast
v. Brauchitsch
vertritt den Rechtsstandpunkt nicht weniger vehement von der anderen, nutznießenden Seite. Er ("Industrieller zu sein, das ist eine Geisteshaltung") vermag aufgrund dieser Geisteshaltung überhaupt nicht einzusehen, wie staatliche Zuwendungen an die wertvollen, weil besitzenden Teile der Gesellschaft in Zweifel gezogen werden können. Im Falle des von ihm vertretenen Großunternehmens gerät ihm die gesetzgeberisch eingeräumte Möglichkeit einer steuerlichen Sondersubvention zum unabweisbaren Rechtsanspruch. Spenden - die habe es im Zusammenhang mit dem Verfahren überhaupt nicht gegeben und wenn, dann zur "Abwehr rechtswidriger Versuche, die Anwendung von geltenden Rechtsnormen auf das Haus Flick zu verhindern". Erst als Brauchitsch seine Rechtsbrecher lokalisiert, kommt Leben in den Ausschuß.
Daß der Staat sein Wachstumsinteresse mit breitgefächerten finanziellen Unterstützungen an seine Kapitalisten verfolgt, damit deren Geschäftserfolg seinen Nutzen befördere - eine marktwirtschaftliche Selbstverständlichkeit. Daß Geschäftsleute ihrem Interesse an Parteien, die sich dem an den "Sachzwängen" ihres Gewinns orientierten Gemeinwohl verpflichtet wissen, durch Spenden Ausdruck verleihen eine staatsbürgerliche Glanztat. Daß aber der abgehalfterte Chefmanager sich nur noch daran erinnern mag, die Flickschen Geldkouverts an den verblichenen Schatzmeister der SPD verteilt zu haben, um sich dessen Unterstützung - "in einem legitimen Akt der Notwehr" - gegen bedenkliche Sozialdemokraten zu sichern - da wird Ausschußvize Penner wach. Gegen Brauchitschs "Eindruck", daß "es gut war für unsere Zwecke, Herrn Nau heiter zu stimmen... er kam dann wieder, wenn er nicht mehr heiter war", will der SPD-Mann nichts Ehrenrühriges über seine lebenden und schon gar nicht über seine toten Genossen kommen lassen (im Unterschied zu den Liberalen, die schon früher das Ableben ihres Kassiers Karry zu nutzen versuchten, um den Bestechlichkeitsverdacht mit ihm unter die Erde zu bringen).
Wie überhaupt der Untersuchungsausschuß da seine trostlosen Höhepunkte erlebt, wo möglichst hochrangige Charaktermasken der Bonner Politbühne routiniert die miesen Register ihrer Selbstdarstellung ziehen, um die jeweils andere Fraktion dabei schlecht aussehen zu lassen. "Aufklärung" betätigt sich hier als Parteienkonkurrenz. Und schon an der Auswahl und Reihenfolge der geladenen Gastmatadore scheiden sich die Geister.
Daß der Abgeordnete
Hans Apel,
in dessen bessere Zeit als Finanzminister die erste steuerbegünstigte Transaktion des Flick-Konzerns fiel, dafür kein Geld bekommen hat, ist eh klar - das hat keiner! Gut macht er sich, wie er sich Zigarre schmauchend und wohlgelaunt an seinen Satz erinnern läßt: "Flick ist schlimmer als drei Jahre Juso-Regierung." Da setzt er doch gleich noch eins drauf: "Regelmäßige Aufenthalte in Fettnäpfchen sind bei mir an der Tagesordnung." Schon ein ausgefuchst kalter Hund, der Apel. "Seine Vorbehalte gegen Flick aber haben ihn natürlich nicht gehindert, das Verfahren nach Recht und Gesetz abzuwickeln." Und korrekt auch noch. Der Mann weiß, was er seinem Amt schuldig war. - Blöd nur, daß dann doch - durch den Namensgeber des Gremiums Flick persönlich - herauskommt, daß sich Apel schon vorher auf dessen Jagdhütte ganz vorbehaltlos herumgetrieben hat. Hier punktet die Union in Sachen "Beweismaterial".
Hans Matthöfer
(natürlich auch völlig ungeflickt: "Keinen Pfennig und nichts, was einen Pfennig wert ist") setzt auf die ihm geläufige forsche Tour. In die Transferlisten zur Bonner "Klimapflege" des Flick-Buchhalters sei sein Name nur geraten, weil der Konzem seine leitenden Mitarbeiter durch "Überbezahlung" zur "Wichtigtuerei" animiert habe (während Matthöfer ein leuchtendes Beispiel dafür gibt, wie die notorische Unterbezahlung von Politikern zur Bescheidenheit führt). Weitere Nachfragen über sein segensreiches Wirken für die Investitionspolitik des Hauses Flick verbietet sich der ehemalige Finanzminister schlicht mit dem Hinweis auf seine beachtlich niedrige Herkunft: "Sie sollten sich einen Semantiker holen, aber nicht einen Arbeiterjungen aus dem Ruhrgebiet. So können Sie nicht mit mir reden!"
Klar, kein Zeuge in einem Strafprozeß und schon gleich kein Arbeiter aus dem Ruhrgebiet würde sich dieses "Argument" gegen den vorsitzenden Richter leisten. In einem nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung tagenden Untersuchungsausschuß aber sticht es. Wo sich die Mächtigen ein Stell-dich-ein zur publikumswirksamen Bewältigung der nur sie angehenden"Skandale" geben, schlagen Rotzfrechheiten und volkstümliche Schläge unter die Gürtellinie allemal für ihre höhere Moral zu Buche. Schließlich besitzen sie die Macht, die hier "kontrolliert" wird.
Wer aber beherrscht schon überzeugender die Kunst der staatsmännischen Angeberei als
Altkanzler Schmidt.
Zeitungslesend (ein elder statesman muß sich auf dem Laufenden halten!) genießt er das Blitzlichtgewitter der Fotografen. Nein, ein Schmidt nimmt keine Schmiergelder - bei ihm hat Flick den Versuch erst gar nicht gewagt. Als Kanzler war er stets informiert, ohne sein hohes Staatsamt durch kleinliche Antragserledigungen zu erniedrigen - dafür gab's ja untergebene Ressortleiter. Soweit er Kontakt hatte zu den Herren aus der Industrie und Hochfinanz, kamen sie zu ihm als Ratsuchende, wie sie bitteschön ihr vieles überflüssiges Geld anlegen sollten. Da habe er ihnen stets eindeutig Nationales gesagt: Ja, eine Deutsche Bank darf Daimler-Aktien kaufen; den "Ausverkauf der Perle der deutschen Industrie" an einen instabilen Schah im Nahen Osten werde er allerdings zu verhindern wissen. Schmidt repräsentiert sich selbst: Einem Kanzler seines Kalibers sollte man nachtrauern und ihn nicht mit absurden Verdächtigungen behelligen! Wer's dennoch versucht, gibt sich unweigerlich der Lächerlichkeit preis. Zum Beweis wird dem Zeugen von einem Parteikollegen im Ausschuß die Frage zugespielt: was es denn mit dem vierflammigen Kronleuchter, den ihm Flick zum Sechzigsten schenkte, auf sich hab e. "Ach, Sie reden von der Armleuchter-Affäre!" Ein intellektuelles Glanzstück an Doppeldeutigkeit. Da sitzt er nun, der Armleuchter Hüsch von der CDU, der zusammen mit der BILD-Zeitung versucht hatte, ein nationales Denkmal über einen im Kanzleramtsfundus inventarisierten Beleuchtungskörper anzupinkeln und muß sich eingestehen, daß er "dem Schmidt damit eine Steilvorlage geliefert" hat. Freude bei der SPD über soviel "Wahrheitsfindung".
Eigentlich Sensationelles schob der Regierungschef a.D. in der Verhandlungspause nach - für Journalisten zum Mitschreiben:
"'Sie haben die minimalen Regeln des kollegialen Anstandes verlassen. Das ist eine Schweinerei', herrschte der Ex-Kanzler den CDU-Abgeordneten an. Und 'Sie sind ein Dreckfink.' Hüsch, der den Grund für Schmidts Erregung nur zu genau kannte, konterte matt: 'Dazu haben Sie keinen Anlaß, das können Sie nicht beweisen.' Als Schmidt dann noch einen Schritt näher trat und noch einmal 'Sie sind ein Dreckfink' zischte, antwortete der: 'Dann sind Sie ein Schwein.'" (Der Spiegel)
Scheinheilig ist es, wenn Pressefritzen ausgerechnet an einem solch bravourös inszenierten Wortwechsel ihre moralischen Zweifel an der "Wohlanständigkeit" von Parlamentariern kriegen und den eigentlichen Aufklärungsauftrag eines Untersuchungsausschusses dagegen hochhalten. Offenbar ist das die Form, wie die hohen Herren ihre "Affären" aus der Welt schaffen. Als gewählte Repräsentanten von keinerlei Selbstzweifeln angekränkelt, betreiben sie ihre Konkurrenzgeierei volksnah. Das Verteilen von Titeln der obigen Art ist dann auch ein durchaus angestrebtes "Ermittlungsergebnis". Die Haltbarkeit solcher wechselseitiger Eigencharakterisierung der Bonner Typen nachzuweisen, liegt nicht im Verfassungsauftrag eines Untersuchumgsausschusses. Nicht die Taten der Regierenden stehen zur Debatte, sondern ob sie sich bei deren Durchsetzung auch an ihre eigenen Maßstäbe gehalten haben. Aber auch gelegentliche Abweichungen vom politischen Anstand, wie er mit den Selbstdarstellungspraktiken einhergeht, dienen nur dazu, die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken, weil sie die des Gegners in Zweifel ziehen.
Die "politische Kultur" der Demokratie wächst daran - wie sich auch am
Kießling-Ausschuß
zeigt.
Praktisch ist der bis zum Erbrechen bekanntgemachte "Skandal" erledigt. Kohl hat entschieden. Wörner bleibt im Amt. Der General darf seine vier Sterne samt Ehre zapfenbestrichen in den Ruhestand mitnehmen. Und mit dem MAD befaßt sich der pensionierte Altparlamentarier Höcherl in einer eigens von Wörner dafür geschaffenen Kommission.
Warum die Opposition dennoch auf einem Untersuchungsausschuß auch in dieser Angelegenheit beharrte, liegt auf der Hand. Hat man schon einmal einen Minister der Regierung bei Ungeschicklichkeiten im Amt erwischt, so will man den Vorwurf einer gefährlichen Fehlbesetzung hoher Staatsposten noch eine Zeitlang breittreten. Die Unionschristen stellten ihre anfänglichen Bedenken auch zurück, da sie in dem - nach Fraktionsstärke besetzten - Ausschuß ohnehin die Mehrheit und den Vorsitzenden stellten. Außerdem wollten sie sich nicht nachsagen lassen, einen bereinigten "Skandal" nicht nachträglich noch ordentlich "kontrolliert" zu haben. So darf man jetzt (noch) jeden zweiten Tag von "Enthüllungen" in der Zeitung lesen, die allesamt keine sind; eher schon werden Klarstellungen unters Volk gebracht darüber, welch hohe Ansprüche der Staat heutzutage an die Effektivität seines Gewaltapparats stellt. Das "Aufdecken" eines Abgrunds von "Fehlern" und Mißständen eignet sich dafür bestens.
Ermittlungsergebnis 1: Straffe Führung tut not
Die Nation braucht nichts notwendiger als einen entscheidungsfesten und wirklich starken Kriegsminister, der für den ständig wachsenden NATO-Auftrag der Bundeswehr in jeder Hinsicht mit seiner Person bürgt.
Dies ermittelt die Untersuchungskommission ausgerechnet an einem Mann, der sich vorgenommen hat, für nichts anderes einzustehen. Tragisch für Wörner, der von sich so gern das Bild eines Ministers entwarf, der die Wehrmacht im Griff hat und den die Truppe liebt, daß er heute der Opposition als negatives Abziehbild für ihren nationalistischen Geifer dienen muß. Seine Kritiker in und außerhalb des Ausschusses führen nichts Geringeres als den "großen Krisenfall" an, um ihrer Vorstellung von einer dafür jederzeit funktionsfähigen Militärführung Ausdruck zu verleihen. Darüber darf gestritten werden; ob es ein "politisch angeschlagener" Minister noch packt, den "drängenden Problemen" der Bundeswehr personeller wie aufrüstungstechnischer Art Herr zu werden, wo er doch noch nicht einmal einen General lautlos in den Ruhestand abschieben konnte. Letzteres bezeugt selbst der Regierungschef als "Fehler" seines ansonsten "sachkompetenten" Ministers:
"Zudem habe Wörner den Fehler begangen, öffentlich über die Gründe seiner Entscheidung, Kießling vorzeitig zu pensionieren, zu diskutieren, statt nur auf den Paragraphen 50 des Soldatengesetzes zu verweisen." (Süddeutsche Zeitung)
Der politische Führer des nach Mensch und Material zweitgrößten westlichen Vernichtungsapparates hat eben - nicht nur nach dem Soldatengesetz - das Recht, sondem auch die Pflicht, seine Befehle jeder Diskussion zu entziehen. Man glaubt es kaum, aber hier muß Wörner glatt einem demokratischen Mißverständnis erlegen sein...
Ermittlungsergebnis 2: Ehre, wem Ehre gebührt
Die Soldatenehre hat nationales anerkanntes Ideal zu sein - dafür stehen die Leiden des Generals, der das Ding mehrere Wochen ungerechtfertigt vermissen mußte. "Ungewöhnlich intensiv - am Mittwoch und Donnerstag jeweils 14 Stunden -" widmet sich der Ausschuß der Frage und reicht sie als das Problem der interessierten Öffentlichkeit weiter: Wie konnte es passieren, daß ein deutscher General derart beschmutzt wurde? Vom Adjutanten bis zum Generalinspekteur, vom Staatssekretär bis zum Pressesprecher wird alles vernommen, um das gar nicht existierende Rätsel zu lüften: Wer hat unser aller Kießling zum Homo gemacht, wo er doch jetzt gar keiner mehr ist? Die Opposition wittert Abgründe an Intrige und Geschwätzigkeit in einem zur "Gerüchteküche" verkommenen Verteidigungsministerium. Ja, und dann noch Kießling selber vor der Untersuchungskommission - strahlend, daß er sein Ehrenkleid wieder tragen darf, aber tief enttäuscht, daß sein Ehrenwort damals keiner hören wollte.
Wen kümmert angesichts eines solchen Schauspiels noch, für welche ungemütlichen Zwecke der Staat seine Soldaten zum Töten abrichtet und welche charakterlichen Eigenschaften in einem Mann versammelt sein müssen, der es in diesem Beruf bis zum NATO-Vize gebracht hat. Wen interessiert es da noch, daß im Wörtchen "Ehre" die soldatische Tugend der Rücksichtslosigkeit gegen das eigene Leben und das anderer für die Nation zum Wert an sich erhoben ist! Den zu feiern, dafür passen der "Fall" (und Wiederaufstieg) "Kießling" und seine demokratische Behandlung gut in die Vorkriegslandschaft.
Ermittlungsergebnis 3: Wir braurhen gewissenhafte Spitzel
Ein schlampig arbeitender Geheimdienst ist der Tod jeder wirkungsvollen Militärpolitik.
"Die SPD-Abgeordneten brauchen erst einmal einen Schnaps. Nach mehr als neun Stunden im Untersuchungsausschuß zum Fall Wörner/Kießling verlangten die erfahrenen Parlamentarier nach Cognac. Durch geschicktes Fragen hatten sie gerade die Beweisführung des militärischen Abschirmdienstes (MAD) gegen den Vier-Sterne-General zum Einsturz gebracht. 'Verheerend' lautete das Urteil der Opposition über die Geheimdienst-Arbeit." (Abendzeitung, München)
Das ist das Schöne an der Demokratie. Da wird auch mal über Wochen ganz frei aus den geheimsten Winkeln eines Geheimdienstes geplaudert. Man erfährt etwas über Ausforschungsmethoden in dunklen Milieus, über die Zusammenarbeit mit Polizeistellen, über raffinierte Fotoretuschen und sogar über die Farbe der Schrift (grün!), mit der der oberste Geheimboß seine Korrekturen in natürlich geheimen Papieren anbringt. Diese demokratische Lebensqualität wäre der Republik ohne die aufreibende Arbeit parlamentarischer Kontrolleure erspart geblieben. Nicht nur Wörner, sondern auch sämtliche seiner entscheidungsfreudigen militärischen wie zivilen Mitarbeiter reden sich nämlich im Untersuchungsausschuß auf ihren guten Glauben an Fehlinformation heraus, wenn es um die geschändete Generalsehre geht. Ob nun die Opposition dem amtierenden Verteidigungsminister daraus den Strick zu großer Leichtgläubigkeit gegenüber seiner Untergrundabteilung dreht oder die Regierungspartei "eindeutig" erschließt, "Manfred Wörner habe nicht anders handeln können", bleibt sich gleich. Beide Ausschußvoten geben nur einer Sorge Raum, wie sich die Tauglichkeit der MAD-Spürhunde für die unabweisbaren Notwendigkeiten der "Sicherheitspolitik" des Staats verbessern ließe. Über von oben vorbereitete Probleme der "Verselbständigung" und deshalb zu effektivierenden "politischen Kontrolle", der Qualifikation des Personals ("Nachrichtendienst ist ein so schmutziges Geschäft, daß es nur von Gentlemen betrieben werden darf", Ex-MAD-Chef und Gentleman Schmähling) darf sich die demokratische Öffentlichkeit mit den Spionageabteilungen der Nation solidarisieren, auf daß die Macht im Lande ihren Ansprüchen noch reibungsloser gerecht werde.
Kein Wunder, daß bei soviel nationalistischer Übereinstimmung in der Bewältigung von "Pannen" der Herrschaft ein deutscher Journalist über die Vorzüge der Demokratie ins Schwärmen kommt:
"Skandal ist eine nütrliche Einrichtung. Er läßt uns wach werden, wo wir vielleicht lasch geworden sind. Er schärft unsere Maßstäbe." (Die Zeit)