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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1984 erschienen.
KULTURNOTIZEN
Live aus Berlin: "Lobet den Herren!"
heißt nicht nur ein Kirchenlied, das Christen frohen Mutes schmettern, wenn sie sich über den Präsidenten im Himmel freuen, an den sie glauben. Das nämliche Motto taugt auch für ganze Fernsehsendungen. Das öffentliche Recht macht's möglich: Streng nach demokratischem Brauch haben einige der für die Bildschirm-Gemütspflege zuständigen Menschen für einen Genuß der höchsten Güteklasse gesorgt. Sie wollten es nicht bei ihrer privaten Neigung belassen, den scheidenden Bundespräsidenten einfach nett zu finden. Ganz Deutschland sollte sich ihrem albernen Befund anschließen dürfen, so daß sie den erwünschten Personenkult in jedes Wohnzimmer hineinorganisieren mußten. Das Gebot der Stunde hieß: Wenn die Amtsperiode von Karl Carstens aufhört, darf kein Auge trocken bleiben!
Ehr, Preis und Dank waren dem Staatsoberhaupt würdig abzustatten. Um so mehr, als seine Verdienste zweimal fast unter den Tisch gefallen sind. Einmal, als der Kabarettist Hildebrandt - immer rührend besorgt um die Harmonie zwischen Würde von Amt und Träger - meinte, Carstens wäre überhaupt kein Vorbild und ein schlechtes dazu. Das andere Mal, als gleich beim Amtsantritt häßliche Töne aufkamen wegen der NS-Mitgliedschaft des damaligen Kandidaten. Nur mit Mühe gelang es seinerzeit dem beargwöhnten Demokraten, seine Mitwirkung bei den Nazis zu begründen - er wollte sich den Wanderstab im Tornister für seine Karriere und als Unterstützung für seine Mutter nicht entgehen lassen, hat er freimütig bekannt. Und dafür, daß er dieses Argument in einer Nation salonfähig gemacht hat, die sich jahrzehntelang mit der scheinheiligen Frage "Wie konnte es dazu kommen?" abquälte, gehören ihm wahrlich ein paar Ständchen entgegengebracht.
Die Frage nach der Besetzung war von daher nur Formsache. Das Beste vom Besten schien gerade gut genug, wenn "wir demonstrieren, daß Staatsmänner auch nur Menschen sind". Wo es darum geht, die Verwechslung von Politikern mit Panda-Bären zu vermeiden, ist eine Gala, "auf der es nicht politisch zugeht", das politische Gebot. Wegen der politischen Leistungen wird der Mensch ja verehrt, also müssen gestandene Menschen "auf heitere Art" einfach "danke" singen und sagen. Und Gottseidank gibt es davon genug in diesem unserem Lande, um unter kindischer Leitung von Hans Rosenthal ein "echtes Ausnahmeprogramm" auf die Beine zu stellen. Gunter Gabriel intoniert ganz unpolitisch "Deutschland ist...", während Peter Angerer ein "Dankeschön des deutschen Sports" entrichtet. Carl Raddatz trägt auf gut deutsche Art ein Gedicht vor, und der Nowottng findet sich in Berlin mit einem "Bericht aus Bonn" ein, daß es einem die Socken auszieht vor lauter Humor. Und für die Liebhaber der sittsam arrangierten Kammerdienerperspektive platzte die Sensation wie eine Bombe aus heiterem Himmel - er ist nicht nur ein Wandervogel, sondern segelt, kegelt und... gern. Das haut den stärksten Pfadfinder um, zumal er feststellen muß, daß dieser Präsident auch mit einer ihm dargebotenen Arie, dem großen Fernsehballett und dem Schleimbeutel Udo Jürgens enorm viel anzufangen weiß. Das adelt ihn ungeheuer, wenn ihm die Unterhaltungsbranche der Nation versichert, daß sie sich ohne ihn kaum so wohlfühlen würde.
Anschließend stand eine ernste Sendung ins Haus. Gefragt wurde zum sechzigtausendsten Male: "Warum jubelten Christen Hitler zu?" - Wetten, daß die Carstens-Sendung keinen Einfluß auf die Antworten hatte?
Umberto Ecos "Im Namen der Rose"
soll nicht nur ein "hinterhältiger Kriminalroman" sein, der Leser kriegt auch noch Geistreiches zur "europäischen Geistesgeschichte" mit und soll allen Grund haben für ein "großes, unterhaltsames Gelächter über die Schlechtigkeit der Welt". Vor allem aber muß er den unbedingten Willen zum Amusement mitbringen, denn zwischen jedem Mord an einem Klosterbruder im 1 . Jahrhundert füllen endlos gelehrte Dispute - noch dazu auf lateinisch - die Seiten. Ein klerikaler Sherlock Holmes klärt schließlich den Fall auf: Der Mörder ist der Bibliothekar, der eine Abhandlung über "die Funktion des Lachens" vor der Welt verbergen will. Also kein ordinärer Krimi mit platten Motiven, sondern Mord aus weltanschaulichen Gründen und eine Handlung, in der die dramatis personae als Verkörperung widerstreitender Philosophien herumlaufen. Den Hauptkonstrahenten geht es um die Frage nach "der Wahrheit", und das nicht einfach um falsch oder richtig in dem und dem Fall, sondern um das Metaphysikum schlechthin, den letzten Grund von allem. Die Originalität des Semiotik-Professors Eco liegt nun darin, den Nabel der Welt ausgerechnet im Gelächter entdecken zu lassen. Der eine nimmt die Rede vom befreienden Lachen bitterernst und meint, der Spaß, den sich die Knechte über die Obrigkeit erlauben, sei schon der praktische Anschlag auf Herrschaft; der andere - natürlich der Mörder - wittert im Lachen die Zerstörung aller Fundamente von Welt und Glauben und bringt deshalb vorsorglich jeden Leser der ",Abhandlung über das Lachen" um. Der Leser wird sich unschwer auf die Seite des Lachens schlagen. Und weil das bei Eco so bildungsbeflissen-kultiviert daherkommt, muß man sich nicht in einem Lager mit den Narren von "Mainz, wie es singt und lacht" vorkommen. Während das Volk vor allem im Karneval einen auf Frohsinn macht, weil es sonst auf der Welt wenig zum Lachen hat, kann sich das intellektuelle Publikum bei Eco seine geistige Überlegenheit über Herren, denen man dient, bestätigen lassen. Eco ist Semantiker und heißt auf deutsch Echo.
Die Schriftstellerin Luise Rinser
ließen die Grünen mit Richard von Weizsäcker in der Bundesversammlung antreten (Ich verstehe mich nicht als Gegenkandidatin."). Die Dame erfüllt idealtypisch alle Bedingungen für eine legale, alternative und erst recht konstruktiv-staatstragende Kandidatur: Sie ist über vierzig (nämlich 73), als Dichterin dem schöngeistigen Macher Weizsäcker mindestens ebenbürtig an Kulturkaliber, hat sich öffentlich über die "Nach"rüstung besorgt geäußert und ist katholisch, also dafür aus Prinzip. Frau Rinser selbst: "Was viele Leute an mir so anzieht, ist vielleicht folgendes: Da ist jemand, der noch Hoffnung hat." Zu allem Überfluß ist sie auch noch 1945 wegen wehrkraftzersetzender Äußerungen ins Gefängnis gekommen und seit 1982 der Partei DIE GRÜNEN "in enger Sympathie verbunden". So sorgt sich auch das "alternative" Lager um eine würdige personelle Repräsentanz in der Raketenrepublik. Leider ließen es die Mehrheitsverhältnisse nicht zu, daß eine Frau Präsidentin Rinser die Gesetze der christlichen Regierung sauberalternativ abzeichnen darf.