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Fortschritte in der Krebsmedizin
GLAUBE BESIEGT WISSEN
Der Fachmann weiß es, und der Laie wundert sich kein bißchen, daß der Krebs zusammen mit Herz-, Kreislauf- und Rheumaerkrankungen zu den sogenannten "Zivilisationskrankheiten" gezählt werden muß. Wie es die "Zivilisation" anstellt, ganz eigene Formen der gesundheitlichen Schädigung hervorzubringen, weiß zwar der Fachmann, aber den Laien interessiert es kaum. Erstens, weil er es als Laie sowieso dem Fachmann überlassen muß. Zweitens, weil ihm über die Krankheitsquelle schon ein zufriedenstellender Durchblick anvertraut worden ist, wenn sie von berufener Seite ganz allgemeinverständlich den Namen "Zivilisation" bekommen hat. Und drittens, weil er darüber hinaus in stets populären Botschaften von der Ohnmacht des Medizinerstandes Kunde erhält. Gerade von den Fachleuten wird er ständig auf dem laufenden gehalten über den Krebs. Diese Krankheit stellt nach Auskunft derer, die es wissen müssen, "ein in Rätsel gehülltes biologisches Geheimnis" dar, ihre Erforschung hat ein "Labyrinth von phantastischen Hypothesen und Spekulationen" eröffnet, und die Frage "Erbkrankheit?" steht genauso hoch im Kurs wie die Antwort "Schicksal".
Das "Krebsrätsel" - eine Diagnose
Solchen Antworten widersprechen nicht nur spitzfindige Überlegungen der Sorte, ob "Schicksal" nicht eher in die banale Abteilung des psychologischen Ratgebergewerbes gehöre denn in das Reich des Wissens. Auch die Medizin hat über Krebs längst mehr mitzuteilen als den Tip, daß man "mit ihm leben muß", wenn man ihn mal hat. Z.B. so nüchterne Befunde wie den, daß
"bei weitem die Mehrzahl der Krebserkrankungen durch chemische Noxen hervorgerufen werden. Insbesondere bei den chemisch induzierten Berufskrebsen handelt es sich um eine Fülle chemisch genau definierter Stoffe." (K.H. Bauer)
Was da als Grund für die zunehmenden Krebserkrankungen bekannt ist, hindert freilich die forschenden Mediziner nicht, sich mangelnder Kenntnisse zu bezichtigen. Als "letztes großes Rätsel der Medizin" wollen sie die Sache schon gewertet wissen - ganz als wäre die Unfähigkeit, einen Krebskranken zu heilen, dasselbe wie eine Wissenslücke. Lücken mag es zwar auch noch geben, zumal die "Zivilisation" wenigstens auf dem Gebiet der Krankheiten noch für manches Neue gut ist. Doch hat die Forschung die Kenntnisse über die Biochemie der Krebsentstehung nicht zu knapp erweitert. Die Wirkung verschiedener Karzinogene wurde bis in den Aufbau der zellularen Makromoleküle verfolgt, und die Bindung chemischer Stoffe, die Krebs verursachen, an die Zellelemente ist kein Geheimnis mehr. Inzwischen gibt es auch einen gesicherten Katalog "gesetzlicher Berufskrebse" und eine stattliche Liste von Schadstoffen, bei denen die "fortwährende Exposition des menschlichen Körpers" gar nicht zufällig auf Krebs hinausläuft. Genau damit jedoch gibt sich die Medizin überhaupt nicht zufrieden. Die praktische Reaktion, welche ihr Wissen nahelegt, heißt schlicht und einfach: Es hat zu unterbleiben, daß diverse menschliche Körper diesen Stoffen dauernd ausgesetzt werden! Eine medizinische Antwort in dem Sinne, wie sie die Vertreter der Zunft verlangen, ist das freilich nicht: "Berufskrebse sind wichtige Wegweiser für die Erforschung der Wirkung chemischer Krebsnoxen." - lautet die fachinterne Diagnose, und aus der sicheren Entdeckung wird der Auftakt zu einem Forschungsprogramm. Gewöhnt daran, mit Krankheiten umzugehen - Entzündungsprozesse einzudämmen, Schmerzen zu lindern, die belasteten bis kaputten Organe zu schonen oder zu entfernen, damit mit der Krankheit gelebt und gearbeitet werden kann -, sieht der Medizinerstand ganz andere Aufgaben auf sich zukommen als die, auf die Abschaffung der ihm bekannten Ursachen zu dringen. Für den Umgang mit dem Krebs, wie er dem innernnedizinischen Ethos entspricht, erheben sich neue Fragen.
"Reiz" oder "Disposition"?
Welche Stoffe durch ihren Einfluß auf den Zellorganismus Krebs bewirken, hat schon vor 40 Jahren der nobelgeehrte Adolf Butenandt dargelegt. Aber auch ihm war schon die banale Forderung, man möge die Zeitgenossen vor dem schädlichen Zeug schonen, für den weiteren Weg der Forschung zu unergiebig. Mit der Autorität des Fachmannes erschloß er aus seinen Kenntnissen der Medizin ein neues Problem:
"Die entscheidende Frage, ob bei der Krebsentstehung unter der Wirkung kanzerogener Stoffe der lokale Reiz oder die allgemeine Disposition des Organismus das Primäre sei, ist absichtlich noch nicht näher erörtert worden."
Die Suche nach dem "Primären" verdankt sich einem gelehrten Spiel mit dem Hin und Her von Ursache und Wirkung. Daß der Ursache, den kanzerogenen Substanzen, im Grunde nur Erfolg beschieden sein kann, weil und insofern der Organismus die Wirkung zuläßt - diese Überlegung stachelt den Gerechtigkeitssinn eines Forschergeistes an, der es auf die Bemeisterung der Krankheit abgesehen hat. In der Zuständigkeit für den lädierten Organismus läßt sich der Krebs-Ingenieur den Verdacht nicht nehmen, daß er es bei der menschlichen Physis mit einer äußerst verwundbaren Einrichtung zu tun hat. In dieser vermutet mit dem Gestus höchster wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit einen womöglich gleichberechtigten, wenn nicht sogar primären Faktor der Krankheit. Von daher wurden für die Krebsforscher ausgerechnet die Naturen interessant, die keinen Krebs haben, obwohl sie auch ein Arbeitsleben lang mit Lösungsmitteldämpfen, Asbeststaub und anderen ungemütlichen Ingredienzien ihrer "Umwelt" konfrontiert waren. Mit der Feststellung,
"daß immer nur ein Teil eines gleichermaßen exponierten Personenlzreises tatsächlich an Krebs erkrankt", (Oeser, Krebs, Schicksal oder Verschulden? 1979)
verraten die Heilkundler ihr Ideal. Der ihnen obliegende Sieg über die "Geißel der Menschheit" hat sich aus ihrer noch zu schaffenden Fähigkeit zu ergeben, den Körper in die Lage zu versetzen, mit dem Krebs fertig zu werden. In die Logik eines Forschungsprogramms übersetzt heißt das schlicht, die Physis als hypothetischen Fehler-Mechanismus zu betrachten, der für die Erkrankung verantwortlich sein könnte. So besehen, klingt es sehr vernünftig, wenn ein Theoretiker darlegt, Karzinogene seien
"nicht in der Lage, Krebs zu erzeugen, sondern könnten lediglich bei bestimmter innerer Voraussetzung Krebs auslösen." (Prof. Krokowski auf dem Krebskongreß in Kassel 1978)
Ohnmacht und strebendes Bemühen
paaren sich als die zur Schau gestellten Kennzeichen der gewissenhaften Krebsmediziner. Im Bekenntnis zu ihrer (vorläufigen) Unfähigkeit, mit den einschlägigen Erkrankungen praktisch fertig zu werden, geben sie sich seriös und realistisch: Die Hoffnung auf ihre Kunst weisen sie als vergebliche zurück. Allerdings mit dem Zusatz "noch" - denn auf der anderen Seite arbeiten sie unermüdlich an einem Programm, das sie sich mit dem Entschluß auferlegt haben, den
Eingriffspunkt im Körper
zu finden, um das Mittel gegen den Krebs zu finden. Als Leitfaden für ihre diesbezüglichen Anstrengungen diente und dient ihnen die in ihrem "Scheitern" immer wieder neu gewonnene "Einsicht", welche die Rede von Karzinogenen ziemlich relativiert. Für den Krebsforscher erhalten ihm bekannte physiologische Prozesse einen neuen Status - den von unbekannten Bedingungen der Krankheit. Und diese Vorstellung ist äußerst produktiv. Auf der einen Seite gebietet sie die ständige Erneuerung öffentlicher Bescheidenheitsadressen:
"Wir haben eingesehen, daß zur Krebskrankheit viele verschiedene Ursachen und Faktoren beitragen" (Pathologe Georgii, Generalselzretär der deutschen Krebsforschung).
Der Forschungsgegenstand ist "komplex", die "Hoffnung auf eine schnelle Lösung ist geschwunden", bestenfalls darf auf "eine spätere Zusammenschau der Einzelergebnisse" gesetzt werden... Andererseits arbeiten "desillusionierte" Krebsmediziner weiterhin an der liebevollen Katalogisierung weiterer hundert Krebssubstanzen, bepinseln auch noch die nächste Rattengeneration mit Chemikalien, um etwa den "potenzierenden Einfluß von Asbeststaub auf die karzinogene Wirkung von Benzo(a)pyren" (Archiv für Geschwulstforschung 82/4) zu überprüfen, und fordern die Senkung der maximalen Arbeitsplatz-Konzentrationen, solange die medizinischen Reparaturbemühungen der Kliniker die Zahl der "krankheitsbedingten Arbeitsausfälle" nicht wesentlich senken.
Die Theoriebildung ist unterdessen nie zum Stillstand gekommen. Dabei sind mit der Wendung des Interesses auf die physiologischen Bedingungen des Krebses die bekannten Entstehungsprozesse - verschiedene chemische Substanzen, physikalische Reizungen etc. führen zu verschiedenen Arten von Erkrankungen - einem ebenso anspruchsvollen wie verkehrten methodischen Interesse als ziemlich unbrauchbares Material erschienen. Mit dem "Faktor" Disposition hielt das Bedürfnis Einzug in die Forschung, ein gemeinsames Prinzip der Pathogenese zu suchen. Mit dessen Kenntnis wäre schließlich durch Behandlung die Voraussetzung für den Krebs a m Patienten in den Griff zu bekommen gewesen. In dieser Absicht entstand der Eifer, "paradigmatischen Vorgängen" auf die Spur zu kommen und "Modelle" als das Ziel gelungener Wissenschaft anzuvisieren.
Die Virustheorie der Krebsbildung
wurde zum Schlager in den Krebsforschungszentren, und heute verkünden Mediziner im kritischen Rückblick selber:
"Angesichts der Tatsache, daß Viren bei Tieren Tumore erzeugen können, hielten viele es für gewiß, daß diese Erreger zur Lösung des Problems humaner Krebserkrankungen einen eleganten und einfachen Weg eröffnen würden." (T.H. Maugh / J.L. Marx, The Science report on Cancer Research, 1978)
- ohne deswegen den Pragmatismus - "wir haben für jede Krankheit das passende Mittelchen" - zu kritisieren, der sich anhand einer falschen Analogie die Krankheit zurechtdefiniert, um ihr auf einem "eleganten und einfachen Weg" beikommen zu können. Statt dessen wird Mutter Natur die Schuld an den "weit bekannt gewordenen Fehlschlägen dieser Forschungsrichtung" zugeschoben, weil sie sich "ein in Rätsel gehülltes Geheimnis" nicht hat entreißen lassen:
"Viele Virologen haben einsehen müssen, daß die von ihnen angegangenen Probleme sehr viel komplizierter sind als sie geahnt hatten." (Maugh/Marx)
Die Tatsache, daß über zwei Jahrzehnte lang das Hauptgewicht der Forschung in amerikanischen und europäischen Krebszentren auf der Virus-Theorie lag, mit einer "euphorischen Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Krebsproblems" (Prof. Krokowski) zu erklären, verharmlost die Zwecke der Krebsmedizin. Die Beliebtheit der Virus-Theorie resultierte aus der Vorstellung, daß der
"Nachweis einer viralen Krebsentstehung die Entwicklung einer Vakzine (Impfstoff) zur Verhütung und schließlich zur Ausrottung der Krankheit ermöglicht, ähnlich wie die Schutzimpfung gegen Pocken diese in den USA praktisch hat aussterben lassen." (Maugh/Marx)
Das verrückte Programm, den Lungenkrebs des Arbeiters im Asbestwerk, den Leberkrebs des Chemiearbeiters, all jene Krebskrankheiten, die durch die kostengünstige Vernutzung von Asbest, Vinylchlorid, Chrom etc. entstehen, daraufhin zu untersuchen, ob nicht doch ein Virus im Spiel sei, der es erlaubt, die gesundheitliche Zerstörung als Seuche zu behandeln, verdankt sich nicht dem Übereifer von Medizinern, die sich für ihr Hilfsprogramm ein bißchen zuviel vorgenommen haben, sondern belegt einen Standpunkt, dem die körperliche Ruinierung der Leute geläufig ist und der sie affirmativ als medizinisches Problem behandeln will, das auch mit medizinischen Mitteln gelöst zu werden hat.
Kritische Zeitgenossen sehen in dieser Stellung eine "Überschätzung der modernen Medizin", entdecken die "Grenzen der naturwissenschaftlichen Medizin" und enden nicht selten mit einem zeitgemäßen Plädoyer für die Beschränkung von medizinischen Leistungen.
Doch die radikalen Vorstellungen von Krebsforschern über die ideale Lösung des Krebsrätsels entspringen nicht der Phantasie von Wunderdoctores, die "einen neuen Menschen schaffen wollen, der Tod und Leid nicht mehr kennt" (Spiegel-Serie: Begrabene Illusionen), sondern machen nur den Fehler des medizinischen Sachverstands deutlich: Wer von den Möglichkeiten eines Impfstoffs schwärmt, der widerstandsfähig gegen alle kanzerogenen B elastungen macht, wer die Folgen des erzwungenen rücksichtslosen Umgangs mit der Gesundheit medizinisch "ausrotten", die Zerstörung des Körpers wieder "rückgängig" machen will, setzt auf Ideale der Kompensation, die noch verraten, was Grund des Schadens ist und wofür die Medizin "wiederherstellt". Vom Zweck der Medizin, eines Dienstes am Menschen, der ihm hilft, alles auszuhalten, was ihm zugemutet wird, wollen freilich die von ihrer segensreichen Tätigkeit überzeugten Mediziner nichts wissen.
Der krebsresistente Mensch - ein Ideal...
Lieber halten sie auch auf dem Felde der Krebserkrankungen am Ideal ihrer Nützlichkeit fest - indem sie zielstrebig nach Mitteln suchen, durch die sie auch dieser "Laune der Natur" Herr werden, Innerwissenschaftlich heißt dieser Auftrag: wir müssen den menschlichen Organismus dazu befähigen, daß er die einschlägigen Erkrankungen unterläßt bzw. bewältigt. So forschen Spezialisten im Bereich "menschliches Abwehrverhalten" nach sog. "Killer-Zellen", die Tumorzellen vernichten können, transplantieren Antigene, um die Immunreaktion gegen Kanzerogene zu fördern, und spüren in vergleichenden Untersuchungen den beim Erkrankten "fehlenden" Abwehrstoffen nach, um damit Abweichungen in der Produktion physiologischer Stoffe festzuhalten, die das "eingeschränkte Immunverhalten" medizinisch definieren und die als "Mangel der Natur" zu beheben sind.
Der Einsatz des körpereigenen Abwehrstoffs "Interferon" - ein Produkt der Genforschung - und Krebsimpfungen mit Tumormaterial waren die bekannten und erfolglosen Anwendungen der Krebsimmunologie, die mit der Theorie vom krebsresistenten menschlichen Körper den von ihr als Scharlatanen beschimpften Naturheinis Auftrieb gibt, die mit Mistelextrakt und Apfelsinen die Widerstandskraft gegen Krebs stärken.
Die gesundheitspolitischen Auftraggeber sehen sich bestärkt in der Einrichtung von Vorsorgeuntersuchungen, und getreu der bezeichnenden ärztlichen Logik "Wo Heilung nicht möglich ist, ist Vorsorge umso wichtiger" findet sich in den Forschungsplänen der nationalen Krebszentren prompt das Bestreben, die Vorsorge zur Vorauswahl auszubauen:
"Ziel ist die Erfassung von Personen mit erhöhtem Krebsrisiko aufgrund oder im Zusammenhang mit genetischen oder verhaltensmäßigen Faktoren und die Bildung von Krebsrisikogruppen." (Forschungsprogramm der deutschen Krebsgesellschaft)
Wer sich aufgrund mangelhafter Abwehrleistungen seines Immunsystems oder gar durch ungesunde Lebensführung gefährdet, wird als untauglich für entsprechende Aufgaben befunden, davor bewahrt, seine Gesundheit verfrüht und unnötigerweise zu ruinieren, und darf anderen den Vortritt lassen. So streben die Krebsmediziner eine Service-Leistung an, die bisher vor allem den Kollegen in den Betrieben vorbehalten war, die bei Einstellungen prüfen, ob beim Untersuchten auch genügend Gesundheit vorhanden ist, um sie zu verausgaben. Heutzutage braucht also niemand Angst haben, die Medizin ließe sich mißbrauchen und er könne etwa dem überholten Vorurteil "die jüdische Rasse ist doppelt so krebsanfällig wie der Arier" (ein Prof. Frisch 1942) zum Opfer fallen die medizinische Aussortierung erfolgt allein nach sachgerechten Kriterien.
...und seine Abdankung: Krebsherd Mensch
Das erscheint der Zunft durchaus als die "realistische" Konsequenz aus der anvisierten, aber fehlgeschlagenen Umwälzung. Resigniert geben sie zu Protokoll, was aus ihrem Programm geworden ist:
"Trotz ungewöhnlicher Bemühungen in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Erfolge der Krebstherapie um maximal 2% verbessert worden." (Toxikologe Henschler)
Seltsamerweise hält diese Resignation in die Theoriebildung Einzug - und zwar so, daß die Erklärungen des Krebses endgültig in Gestalt von Vorstellungen daherkommen, die mit der Anlage zum Krebs rechnen:
"Nach unserem augenblicklichen Wissen ist sie die realistische Hypothese auf molekularer Ebene. Nach dieser Theorie ist die kanzerogene Information bereits in den DNS-Molekülen der normalen Zellen enthalten, kann aber nicht wirksam werden, weil dieser gefährliche Teil (oder Teile) der DNS durch geeignete Blockierungsproteine unterdrückt ist.
Wenn sich ein Karzinogen an das Blockierungsprotein bindet, kann dieses losgelöst werden, und der kanzerogene Teil der DNS ist frei, um seine Information der RNS zu übermitteln, welche dann in Proteine übersetzt wird." (Ladik/Otto, Neue Vorstellungen über den Mechanismus der chemischen Karzinogenesis, 1979)
Diese "reading-error"-Theorie des Amerikaners Bush ordnet das gesamte Wissen über DNS und ihrer Rolle in Sachen Vererbung der armseligen Logik unter, daß im Erbgut des Menschen die Möglichkeit der Krebserkrankung angelegt sei. Diesem Liebhaber des Bildes von der "Information", das zur Erläuterung biochemischer Prozesse bemüht zu werden pflegt, nützt es wohl schwerlich etwas, wenn man ihm sagt: wenn die Krebserkrankung nicht ginge, wären wohl alle ziemlich heil geblieben, die je einen Tumor hatten. Mit seiner "Lokalisierung" der Möglichkeit im Erbgut geht er schließlich über die Botschaften hinaus, die es in Sachen "Disposition" des Organismus schon gibt. Es wird ihm wohl darauf ankommen, bei seiner "realistischen Hypothese", der Menschheit mitzuteilen, daß in den DNS-Molekülen entweder die Fähigkeit zum Krebs, weil vorhanden, wirksam wird oder latent bleibt!
Kein Zweifel, daß die theoretische Verlagerung der "Disposition" ins Erbe, gegen das nun wirklich keiner was unternehmen kann, einen sehr gelehrten und fachmännisch formulierten Übergang ins Menschlich-Allzumenschliche ansagt.
Schicksal...
Mediziner teilen heute also der "leidenden Menschheit" nicht mehr mit, daß sie den Krebs mit Hilfe ihres Wissens aus der Welt schaffen werden, sondern haben den Stellungswechsel zu einer eher skeptischen Sicht der Dinge vollzogen. Den idealistischen Anspruch, die Folgen gesellschaftlicher Gesundheitszerstörung mit medizinischen Mitteln auszugleichen, sehen sie an ihren eigenen Erfolgsmaßstäben relativiert, lassen sich dadurch aber nicht in ihrem Selbstbewußtsein erschüttern. Wenn selbst die jahrzehntelangen Anstrengungen ihrer Wissenschaft keinen Sieg über den Krebs gebracht haben, dann muß dies in der Natur dieser Krankheit liegen, lautet ihre Logik, und jede neue Erkenntnis über die Biologie der Krebszelle liefert den wissenschaftlichen Beleg, daß Krebs zur Eigenart der Spezies Mensch gehört wie der Blinddarm.
Mit der Entdeckung des Krebsgens ist das Krebsrätsel gelöst. Das naturwissenschaftliche Faktum: Durch die Verschmelzung von menschlichen Zellen, die vorher durch Karzinogene in Krebszellen umgewandelt wurden, mit gesunden Zellen von Mäusen entstanden verschiedene Zellhybriden, in denen die Gene der DNS, die geschädigt worden waren und die dadurch das Tumorwachstum hervorrufen, nachgewiesen werden konnten. Weil also jedem damit befaßten Wissenschaftler klar ist, daß bei ihren Experimenten die Erzeugung krebsgeschädigter DNS-Stücke der Ausgangspunkt für das Wachstum der Krebszellen ist, verlangt es einige Verrenkungen für die Behauptung,
"daß Krebsgene vermutlich ein normaler Bestandteil aller Zellen sind." (Die Biochemiker Reith und Gutjahr in ihrem NZZ-Artikel: Krebs und Vererbung, Krankheit als Schicksal?)
...und Verschulden
Allerdings ist der Auftrag der Medizin mit ihren Einblicken ins "Schicksal" nicht gestrichen. Der Moralist im Arzt, der den Menschen als wandelndes Krebsrisiko entdeckt hat, besinnt sich plötzlich wieder auf die zum "Faktor" heruntergebrachte "Umwelt". Da heißt es dann aufpassen, wo es geht:
"Jedes Individuum hat sein besonderes Krebsrisiko, es hängt teilweise von genetisclren Faktoren ab, die über die Enzymmuster entscheiden, aber auch von der Umwelt. Viele Substanzen, darunter Arzneimittel, aber auch Alkohol und Tabak..."
Das falsche Enzymmuster und dann noch rauchen - kein Wunder, wenn Sie Asbestose haben!
Das Kettenraucher-Gen
"Zwillingsuntersuchungen belegen, daß genetische Faktoren zu bestimmten Formen des Rauchens disponieren und daß unterschiedliche Formen des Rauchens auf genotypische Unterschiede schließen lassen." (Prof. Oeser, Krebs: Schicksal oder Verschulden?, S. 136)