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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1991 erschienen.
Rudolf Bahros "Logik der Rettung"
Ein Moralprdiger in der eingebildeten Wüste
ICH BIN DER (DRITTE) WEG, DIE WAHRHEIT UND DAS LEBEN
Rudolf Bahro genießt den Ruf eines radikalen Kritikers des erledigten realsozialistischen, aber auch des erfolgreichen kapitalistischen Systems. Im einen als Regimegegner verfolgt und ausgewiesen, im andern Oppositioneller geblieben, das macht ihn vor allem für unzufriedene Ex-DDRler interessant. Sein Alternativangebot einer radikalen Wende bat allerdings den Haken, daß es sich erklärtermaßen um politische Machtverhältnisse, ökonomische Gegensätze und die Eigenart der Systeme überhaupt nicht kümmert, also auch keine Handreichung dafür verspricht, wie und wogegen man vorzugehen hat, um sie mit ihren schädlichen Wirkungen außer Kraft zu setzen. Laut Bahro geht es um etwas ganz anderes, Höheres. Dafür argumentiert er weniger, als daß er wüst assoziiert, Dichter und Glaubensstifter, Propheten und Philosophen zitiert und sich auf das verläßt, was er unentwegt behauptet: daß eigentlich die Mehrheit all das, was er ihr mitzuteilen hat, zwar noch nicht richtig eingesehen hat, aber auf jeden Fall irgendwie schon spürt. Das ist für ihn ungefähr dasselbe.
Der Warner: 'Die Apokalypse wird immer wahrscheinlicher!'
"Wer kann die Apokalypse aufhalten?" So fragt Bahro auf dem Buchdeckel. Sein Problem, dem er "radikal auf den Grund" zu gehen verspricht, ist also von der denkbar allgemeinsten und unfaßlichsten Art: "daß die Apokalypse höchstwahrscheinlich ist" (16). Die will er - wie noch jeder Prediger von Jesus bis zu den Zeugen Jehovas - sehr realistisch verstanden wissen und bedient sich dafür einer unter verantwortungsbewußten Zeitgenossen allgemein anerkannten Auffassung: Daß sich heutzutage für jedermann gleichermaßen unausweichlich die Frage des "menschlichen Überlebens" stellt.
"Wie kann es gut ausgehen, wenn immer mehr Menschen von unserer endlichen Erde immer mehr pro Kopf verbrauchen, zerstören, vergiften, wie wir es vormachen?" (14)
Eine rhetorische Frage, an der alles falsch ist:
- Erstens kann sehr wohl - wenn man sich das ganze Weltgeschehen schon bloß noch als ein Verhältnis der Menschheit zu den Naturgegebenheiten vorstellen will - eine wachsende Zahl von 'Erdbewohnern' die vorhandenen Mittel gebrauchen und sich immer passendere Lebensbedingungen schaffen. Der beklagte ausschweifende Umgang ist ja ein Hinweis, daß flottes Produzieren und Konsumieren an der Natur an und für sich keine Schranke findet, sondern sich ihrer dank der Kenntnisse ihrer Gesetze zweckmäßig bedient. Daß die Erde rund, also endlich ist, ist nämlich ganz und gar nicht gleichbedeutend mit der Vorstellung, daß alle denkbaren Lebensvoraussetzungen äußerst knapp bemessen und ihrer Nutzung als Lebensmittel allenthalben unüberwindtiche Schranken gesetzt wären. Wo die liegen sollen, darüber läßt sich Bahro wie andere Propagandisten unverrückbarer Grenzen auch gar nicht näher aus. Alles ist prinzipiell begrenzt, lautet die Diagnose, die jeden Gebrauch ins Zwielicht rückt. Als ob die Knappheit oder Verfügbarkeit, die Erschließung und Erhaltung natürlicher Ressourcen eine frage der Natur und nicht der Kosten wäre.
- Zweitens ist die wachsende Schar von Erdbewohnern keine Heuschreckenplage, die über die Erde hereinbricht und nur Verwüstung zurückläßt. Ein bißchen was anderes als bloß zerstören, vergiften und aufbrauchen macht die Menschheit ja auch noch; ein bißchen kommt ja auch noch zustande, wenn sich der Naturkräfte und -voraussetzungen bedient und der Globus umgemodelt wird - teils unter Anwendung von Wissenschaft und Technik, teils mit immer noch urtümlich mühseligen Produktionsverfahren. Auch einiges an Pflege, Erhalt und Wiederherstellung natürlicher Produktions- und Lebensbedingungen läßt sich ja nicht übersehen, immer, wenn es für rentables Produzieren und das Staatsleben nützlich erscheint. Seine Schranken und Eigentümlichkeiten hat dieser Umgang nämlich gar nicht an den inzwischen allseitig bekannten und beherrschten sachlichen Voraussetzungen - "Natur" im waldursprünglichen Sinne sind sie ohnehin so gut wie nirgends mehr -, sondern an den Eigentums- und Machtverhältnissen, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, daß wenig Rücksicht auf die Brauchbarkeit des näheren oder weiteren Globus als Lebens- und Genußmittel für die Bevölkerung Wert gelegt wird.
- Drittens sind die Subjekte der beklagten Zerstörung gar nicht Du und Ich und jedermann, also die Menschen an und für sich, sondern diejenigen, die über die Mittel der Produktion verfügen, für ihre Geschäftsrechnung arbeiten lassen, damit auch über die Gelegenheiten und Schranken des Konsums entscheiden - und dem Rest der Menschheit, der für diese Rechnung geradezustehen hat, damit auch vorgeben, was er an Ruin von Gesundheit und Umwelt zu ertragen hat.
- Viertens ist die globale Hochrechnung der registrierten Wirkungen kapitalistischen (oder auch sozialistischen) Wirtschaftens in alle Zukunft und auf eine wachsende Zahl von Menschen rein fiktiv. Sie geht von der haftlosen Vorstellung aus, hierzulande würde jedermann immer ausschweifender leben und auswärts drohe für immer mehr Menschen ein entsprechend aufwendiger Lebensstandard einzureißen wie man ihn hierzulande entdeckt haben will. Als wäre es so schwierig zu bemerken, daß die Rechnungen eines wachsenden "Pro-KopfVerbrauchs" rein statistisch sind und die Vermehrung des Reichtums in den Zentren des Weltmarkts gerade nicht mit seinem immer massenhafteren Genuß durch jedermann einhergeht. Und als wäre es nicht unübersehbar, daß in den Hungerregionen nicht die Ansprüche der Massen, sondern bloB ihr Elend wächst. Der weltweite Zugriff der Geschäftswelt kommt schließlich nicht wegen der immer ausgreifenderen Wünsche einer nimmersatten Konsumentenschar zustande, sondern sorgt dafür, daß ihr Anspruchsdenken nicht in den Himmel wächst.
AII das kümmert Bahro nicht. Er argumentiert konsequent vom Standpunkt eines fiktiven Subjekts - der Menschheit - aus, das nur in den Ideologien über die weltumgreifende Verantwortlichkeit der Politiker existiert. Die Macher lassen sich zwar die Macht keinesfalls aus der Hand nehmen, machen ihre exklusive Zuständigkeit für das Staatsleben aber um so lieber als Dienst an einer gemeinsamen Sache vorstellig, für die sich jeder selber verantwortlich fühlen soll. Vom Standpunkt einer solchen allumfassenden Verantwortungsgemeinschaft aus stellt Bahro die widersprüchliche Diagnose auf, daß die Menschheit - gleichermaßen Opfer und Täter - auf dem besten Wege sei, sich selber auszurotten weil sie sich an einem ebenso weltumspannenden Gut vergreift - der Erde selber. Wie gesagt, kein Einfall Bahros, sondern die Quintessenz der Kritiker in Sachen Umwelt und Ökologie. An die knüpft Bahro an, um sie zielstrebig ins noch Allgemeinmenschlichere zu überführen.
"Es geht nicht mehr so weiter..." (1.3 und überall)
Was? Da ist Bahro nicht kleinlich. Alles eben, und damit nichts Bestimmtes:
"Es geht nicht mehr weiter mit den zu großen Städten, den zu großen Fabriken, der chemischen Landwirtschaft, mit Betonschule und Großkrankenhaus und mit dem ganzen Pentagon der Macht aus Geld, Computer, Bürokratie und Militär rund um den Erdball." (13)
Was in den Städten, Fabriken, Schulen und Krankenstationen und in der - technisierten Landwirtschaft los ist, daß sie nicht mehr so weitergehen können, würde man ja gerne erfahren. Genauso, was das Maß allen Reichtums, das Geld, ein technisches Hilfsmittel mechanischer Rechen- und Denkvorgänge, die Staatsverwaltung und die Kriegsmittel miteinander zu tun haben, so daß sie umstandslos unter dem Stichwort "Macht" gleichgesetzt werden können; und was das alles wiederum mit den knappen Naturressourcen zu tun haben soll. Bei Bahro steht das alles nur für die Behauptung, daß das moderne Leben in allem "zu groß", eine "Anmaßung", also ein Verstoß gegen ein rechtes "natürliches" Maß der Dinge sei. Welches, ist unerheblich. Bahro klagt die Menschheit gleich ganz grundsätzlich der "Maßlosigkeit" an, so daß der Untergang vorprogrammiert sei.
Zwar will er damit vorstellig machen, "wir" könnten über kurz oder kürzer zwangsläufig wegen der Naturgrenzen nicht mehr so weitermachen wie bisher. Allerdings macht sich der Untergangsprophet dabei einen falschen Doppelsinn von "können" zunutze. Die naturgesetzlich drohende Katastrophe ist nur das Bild für ein moralisches Urteil, das gebildete Sprachbenutzer ebenfalls mit dem Hilfswort "können" ausdrücken, obwohl sie "dürfen" oder "sollen" meinen.
Das Katastrophenszenario einer gestörten, "natürlichen" Ordnung verdankt sich der Unsitte, die Vorschriften und Gebote für ein Leben, wie es dem Kritiker als ordnungsgemäßes vorschwebt, so vorzutragen, wie wenn sie eine sachliche, durch objektive Schranken erzwungene Notwendigkeit darstellen, über die sich "der Mensch" nicht"ungestraft" hinwegsetzen kann. Dabei stört den Beschwerdeführer in Sachen menschlicher Rücksichtslosigkeit gegen den Globus gerade das Gegenteil, die Freiheit, die sich die Menschheit seiner Meinung nach in der Gestaltung ihrer Lebensumstände herausnimmt. Wie die biblische Sintflut versinnbildlicht der beschworene Untergang das Strafgericht für den Abfall von einer "Natur", die nichts anderes als die Inkarnation aller Verhaltensvorschriften darstellt, die der Menschheitskritiker seiner Klientel ans Herz legen möchte. Und genau wie in der Bibel soll die apokalyptische Drohung Einsicht schaffen:
"So ist die ökologische Krise eine letzte, aber auch die stärkste Gelegenheit, zu einer neuen menschlichen Artikulation..." (90)
Der Aufklärer: 'Der Mensch kann nicht anders...'
Um so mehr stellt sich für Bahro die Frage, warum nicht einmal angesichts der drohienden Apokalypse, wo "die Nachricht angekommen" (77) ist, die Bahro zu verkünden hat, die in der Natur angeblich waltenden Knappheitsgebote im wirklichen Leben zum Zuge kommen. Daß nach seiner Diagnose die Menschheit immer gerade das Gegenteil dessen macht, was ihr gemäß wäre, liegt daran, daß alle unterschiedslos das Opfer eines Zwangssystems sind, das sie gegen ihre wahren Absichten daran hindert, zu lassen, was sie eigentlich nicht gutheißen können. Verantwortlich für die selbstzerstörerische Unverantwortlichkeit ist eine alles und alle beherrschende Macht, für die Bahro das Bild von der "Megamaschine" - "genauer... die moderne, die industrielle Megamaschine" (117) - erfunden hat. Deren Zweck lautet inhalts- und zwecklos "Erfolg", "Expansion", "nach der Olympiaformel 'höher, weiter, schneller, besser', vor allem: 'immer mehr!'" (15), also das Gegenteil des Maßhaltens, das nach Bahro dem Menschen gemäß ist. Deren verheerende Wirkung ist durch ihr bloßes Ausmaß hinreichend als unmäßig gekennzeichnet - "täglich 40 000 kWh/qkm". Deren Resultat heißt schlicht "Exterminismus", also die Negation des guten Anliegens, das Bahro jedermann ins Stammbuch schreiben möchte: Bewahren statt Zerstören! Damit sich keiner über ihren Charakter täuscht, bezeichnet Bahro sie des öfteren als "des Teufels", als "Dämon".
Eine erschöpfende Auskunft! Dem Rätsel, warum die wohlgemeinten und allseits anerkannten Absichten praktisch so wenig ernst genommen werden, geht Bahro also überhaupt nicht auf den Grund. Was die wirklich gültigen ökonomischen und politischen Zwänge sind und welche Interessen damit durchgesetzt werden, welche umgekehrt auf der Strecke bleiben - all das zählt bei Bahro gerade nicht unter die Notwendigkeiten, sondern als Reich purer Willkür. Die Notwendigkeit, auf die Bahro abzielt, ist ganz anderer Art, ein metaphysischer Sachzwang, der jenseits all der Sachzwänge liegt, die mit dem kapitalistischen Wirtschaften und dem demokratischen Regieren in die Welt kommen.
So verrückt, wie die Diagnose ausfällt - die Menschheit ruiniert sich selber -, so verrückt ist auch die Begründung, die Bahro dafür findet. Sie ist bloß das negative Abziehbild des verantwortlichen Gebrauchs der Freiheit, den Bahro zum Maßstab erhoben hat. Was gemeinhin oder in Bahros radikaler Phantasie unter die Mißstände und Vergehen gezählt wird, liegt an der Unfähigkeit der Menschen, das Verwerfliche zu lassen und das eigentlich gebotene Gegenteil zu tun. Zwar kommen all die behaupteten Übel sicher nicht dadurch in die Welt, daß es seit Jahrtausenden - da ist Bahro radikal - unterlassen worden ist, endlich das Wirklichkeit werden zu lassen, was im wirklichen Leben gerade nicht gilt, nach Meinung des Moralisten aber eigentlich gelten müßte. Aber für Bahro steht eben die ganze Welt auf dem Kopf.
Daß das Prinzip des "Exterminismus" "nichts mit einem metaphysischen Mysterium zu tun" hat, sondern das Böse immer und überall und äußerst real ist, beweist Bahro mit der ständigen Versicherung, daß alles und jedes - unbeschadet seiner Eigentümlichkeiten - nichts weiter als ein Rädchen im "Getriebe der Todesspirale" ist.
"Der innenpolitische Kampf der Interessenhaufen und Besitzstände ist ja nur ein bedingter Teil dieser übergreifenden Großen Unordnung, als die sich das Weltsystem nun darstellt." (74) "Alles, was über Herrschaft, Ausbeutung, Klassenkampf als Letztursache der Expansion gesagt wird, ist falsch, obwohl diese Faktoren beteiligt sind." (35) "Das Kapitalverhältnis ist nicht die letzte Ursache, sondern nur das Jüngste Mittel der Expansion." (15)
So führt Bahro die öde Kunst vor, nichts mehr unterscheiden zu wollen. Kriege und Umweltgift, Hunger und Lohnarbeit, Atomkraft und Bürokratie, Städte und Straßen, Landwirtschaft, Autoindustrie, proletarische ebenso wie die Konsumgewohnheiten der Reichen, sozialistischer Wettbewerb, Kapitalismus, Mittelalter, Steinzeit - kurz: einfach alles erklärt er zur gleichgültigen Erscheinung seiner Vorstellung, in allem sei pur das Prinzip der Zerstörung zwanghaft am Werk.
Der Analytiker: '...denn der Mensch ist von Natur aus ein zwiespältiges Wesen'
Kaum hat Bahro in allem die unentrinnbare Realität einer Kraft entdeckt, die stets das Böse schafft, erklärt er umgekehrt die ganze "Todesspirale" zu einem bloßen Ausdruck einer verkehrten Einstellung der Menschen zu sich und der Welt. Die Krise ist "geistig", eine "innere", "ein Gebrechen der menschlichen Seele". "Wir müssen die Logik der Selbstausrottung zurückverfolgen bis ins menschliche Herz" (18), heißt die überaus erhellende Auskunft, mit der Bahro das, was er als die zwanghafte Wirkung der Megamaschine dingfest gemacht hatte, nun auf die große Unordnung im Seelenleben der Individuen zurückführt:
"Wenn wir jetzt sehen, daß unser Dasein als denkende Wesen vor allem Störung der Weltharmonie, der Naturgleichgewichte hervorruft, so kann das keine andere Ursache als die Verwirrung unseres eigenen Geistes und Herzens haben." (19)
Der Mensch lebt mit sich, mit seiner wahren Natur im Zwiespalt. Die ist nämlich dadurch gekennzeichnet, daß all das, was Bahro an sittlichen Geboten der Welt als ihre Zwangsgesetze angedichtet hat, nun umgekehrt das wahre Bedürfnis und der wahre Wille eines freien Individuums sein soll, an dem sich dieses Individuum mit allem, was es in seinem gar nicht so freiwilligen Alltag wirklich will und treibt, vergeht.
Gebetsmühlenartig wiederholt Bahro als seine großartige Entdeckung, daß es an einem "Gebrechen der menschlichen Seele" (103), am "menschlichen Genotyp", an der "conditio humana" (176 ff.), kurz: an gar nichts Bestimmtem, sondern an "uns selbst" - an wem auch sonst, möchte man fragen - liegt. Der analytischen Weisheit letzter Schluß ist die Weigerung, noch irgendeinen bestimmten Grund auszumachen: Die Menschen sind halt so - so nämlich, wie sie sich der Zivilisationskritiker vorstellt: Moralbündel, die es bloß immerzu versäumen, dieser ihrer wahren Natur in ihrem Wollen und Handeln auch zu entsprechen:
"Wahrscheinlich ist die Wahrheit so ärgerlich einfach und immer wieder von Weisen und Propheten, Heiligen, Dichtern ausgesprochen, von pessimistischen Konservativen und vom konservativen Volksmund wiedergekäut worden, daß wir uns nicht getrauen, sie anzunehmen... Die ökologische Krise ist vor allem eine Krankheit des menschlichen Geistes, besser gesagt unserer gesamten Psychodynamik." ( 103 f.)
Bahro traut sich, und wie! Jede Kritik, die noch irgendeinen bestimmten Verstoß ausgemacht haben will, wird von Bahro nicht widerlegt, sondern der Halbheit, und Vordergründigkeit bezichtigt, weil sie sich nicht genügend auf die Abstraktion - es liegt "an den Menschen als solchen" - verlegt. Das nennt er "zum Kern vordringen" er weckt die Vorstellung, er würde immer tiefer der Sache "auf den Grund gehen", und macht dieses "Stufenmodell" sogar per Bild anschaulich (108):
--------------Exterminismus-------------
! !
! -----------Industriesystem---------- !
! ! (Megamaschine) ! !
! ! ! !
! ! ---------Kapitaldynamik--------- ! !
! ! ! ! ! !
! ! ! --------Europäische--------- ! ! !
Transforma- ! ! ! ! Kosmologie ! ! ! !
tion ! ! ! ! ! ! ! !
! ! ! ! ! ------Patriarchat------ ! ! ! !
! ! ! ! ! ! ! ! ! ! !
-----------------------Genotyp------------------
conditio humanae
Zum Beispiel das Geld
Als Attribut der Megamaschine -" Die Megamaschine ist kapitalgetrieben" - ohnehin nicht mehr mit dem Maß und der Materiatur des Reichtums einer kapitalistischen Gesellschaft oder dem politökonomischen Hebel für realsozialistischen Staatsreichtum zu verwechseln erfährt das Geld eine zweite Verwandlung. Erstens ist es als Resultat einer fehlgeleiteten Psyche streng tautologisch nur das Resultat der menschlichen Gier nach ihm, auch wenn es für den "Raffke" in uns allen eigentlich das Geld ja erst einmal geben und alles vom Geld abhängen muß, damit jedermann nach ihm strebt mit unterschiedlichem Erfolg als Geldbesitzer oder Geldverdiener. Zweitens ist es laut Bahro aber bloß "Ersatzmagie", ein gleichgültiger Gegenstand der Gier als solcher, die eigentlich gar kein bestimmtes Objekt kennt, sondern alles und nichts, nämlich "eigentlich die ganze Erde für sich jeweils allein" (193) will. Drittens will jedermann so etwas Verrücktes, weil er eigentlich etwas ganz anderes will. Das Geld ist wie vieles andere auch - bloß Ausdruck eines "in der menschlichen Natur selbst angelegten Widerspruchs" (138), die "Ausgeburt des kompensationsbedürftigen subalternen Ichs" (147). Das Individuum kommt nämlich nicht zu seiner wahren Befriedigung: Die läge nach Auskunft Bahros in so anheimelnden Sachen wie dem "wahren Horizont menschlicher Selbstentfaltung auf diesem Planeten", oder darin, zum "Urquell des Lebens...zurückzufinden", also darin daß der Mensch die ihm gesetzten (man weiß schon: vom Leben, der Schöpfung) Grenzen einhält. Warum die Einbildung, daß der Mensch nur in demütiger Ein- und Unterordnung unter ein großes Ganzes bei sich selber ist, so wenig Erfolg beschieden ist, wenn sich in ihr schon der tiefste Herzenswunsch aller Menschen zusammenfaßt, ist zwar nicht ganz erfindlich. Jedenfalls kompensiert eine auf solch Höheres gerichtete Seele diesen "Mangel an innerer Souveränität" ausgerechnet dadurch, daß sie wg. der ihr verweigerten Selbstverwirklichung hemmungslos auf eine Selbstverwirklichung aus ist, die gar keine ist auf die "Befriedigung ihrer materiellen Bedürfnisse", die prompt zerstörerisch wirkt:
"Das Geld ist das abstrakte Blut des Dämons, der uns in einem psychologisch sehr realen Sinne besessen hält und uns die Mord- und Selbstmordinstrumente führen läßt und führen macht." (142)
Es ist das "...allgemeine Suchtmittel, mit dem wir unsere ohnehin gegebene Tendenz, das Naturgleichgewicht umzustürzen, potenzieren". (135)
In seinem Eifer macht es Bahro auch nichts aus, das Geld - eben noch "Ausgeburt", also Erscheinung menschlicher Seelenverirrung umgekehrt wiederum zur Ursache des menschlichen Fehlverhaltens zu erklären, dessen Produkt es angeblich sein soll. Zu diesem logischen Zirkel kann man auch "Teufelskreis" sagen und damit das Rätsel für beantwortet halten, warum die Menschheit nicht schlicht und ergreifend ihr moralisches Glück ergreift und sich statt dessen lauter materielle "Ersatzbefriedigungen" zulegt. Sei's drum. Ist das Geld erst einmal als loßes Symbol einer sittlichen Entgleisung dingfest gemacht, leuchtet es ja wohl auch ein, daß modernes Denken "geldbestimmt", nämlich "abstraktionistisch" veranlagt ist:
"Die Geldabstraktion scheint ausschlaggebend für die ganze Art unserer Rationalität und Wissenschaft, ihres objektbeherrschenden und - manipulierenden Charakters zu sein. Münzen, bits, Begriffe, Individuen, Arbeitskräfte, Atome, Quanten aller Art - all unsere Welt- und Verhaltensmodelle stehen unter der Vorherrschaft dieser abstrakten Einheiten, die sich alle bis ins schlecht Unendliche massieren lassen." (134)
Diese Gleichsetzung von Dingen aller Art ist von Bahro natürlich nicht "abstraktionistisch" gedacht, sondern bebildert sehr treffend den Grundgedanken, den er als fundamentale Analyse anbietet: Der Mensch ist zugleich Täter und Opfer seiner "geistigen Verwirrung":
"Ausgezogen in der Rolle des Top-Parasiten, der seinen Nutzen verfolgt, finden wir unsere Psyche nun als Anhängsel der Megamaschine vor, die uns in dieser verlorenen Position festzuhalten sucht." (307)
Kein Wunder, daß neben dem Geld auch noch "Geld und Freiheit", "Macht, Sicherheit, Bequemlichkeit, Rüstung" aber auch "Ausbeutung, Kapital und Staat, einschließlich Militär und Massenmedien", "unser Industriesystem, unsere industrielle Lebensweise selbst", "Beton", "das Männliche", "der Mercedes" und manches andere mehr den Sündenfall des Menschen symbolisieren kann. Alles ist eben nach Bahros Vorstellung eigentlich ein Höheres, so daß sich alles, was Kapitalisten und Lohnarbeiter, Politiker und Volk in ihren Verhältnissen zu machen pflegen, gehörig blamiert. Es ist natürlich nur ein schlechter Ersatz der geistigen Speise, die Bahro verabreichen möchte:
"Es liegt letztlich nicht am Geld, es liegt an uns. Wären wir alle in der Lage so zu empfinden wie Christus, als er meinte, wir sollten so unbesorgt um Nahrung und Kleidung sein wie die Vöglein unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde, dann wäre die Aufhebung der Geldwirtschaft nahe, und es wäre auch die Existenz aller menschlichen Wesen in einem annähernden Gleichgewicht mit der übrigen Natw gesichert." (147)
Eine Gesellschaft, in der das Geld, seine Mehrung herrschender Zweck der Ökonomie ist, in der daher das Bedürfnis nur als zahlungsfähiges zum Zuge kommt, also sich als Mittel eines Geschäfts bewährt; eine Gesellschaft, in der Arbeit gegen Lohn als Kost zählt, in der daher der Lohn knapp bemessen ist und manches Bedürfnis wegen des Dienstes am Geschäft auf der Strecke bleibt - diese Gesellschaft kritisiert Bahro dafür, daß in ihr die schnöde Befriedigung immer maßloserer materieller Bedürfnisse oberster Zweck sei. Er vertritt allen Ernstes die Auffassung, daß "der Nutzen das Produkt der Ausbeutung sei". Die Geschichte mit der Kompensation" möchte er nämlich gerne umgedreht sehen, und zwar so, wie sie in einer Welt in der das wirkliche Bedürfnis nur bedingt zählt, wirklich vorkommt. Zum Maßstab seiner Kritik erhebt er eine in der bürgerlichen Geistes- und Religionswelt ziemlich lebendige kompensatorische Idee: daß nämlich "die menschliche Selbstentfaltung", die "Emanzipation" dort anfängt, wo das Individuum es geschafft hat, seinen Bedürfnissen abzuschwören und jenseits seiner materiellen Sorgen im Reich der sittlichen Einbildungen sein Glück sucht. Für diese Sorte "Emanzipation", eben die vom überall entdeckten "Materialismus", ergreift Bahro Partei - und macht den Stachel der Versuchung und Abirrung deshalb schon im Produzieren und Konsumieren, im Denken und Wollen als solchem dingfest:
"Der 'materielle Lebensprozeß'als Praxis des Sachenmachens, dies Trümmerhäufen, von dem wir unser Dasein immer abhängiger rückgestimmt sein lassen, ist die Todesspirale. Dieser Mensch,'wie er nun einmal ist'- mit dieser 'materiellen Interessiertheit'als Mitte seiner empirischen Existenz -, er ist verloren." (103)
Fundamental ist sie also schon, Bahros Analyse, fundamental jenseits.
Der Helfer und sein einfaches Rezept: Umdenken
So apokalyptisch Bahro die Lage ausmalt, die die Menschheit zur Selbstrettung vor dem drohenden Weltende verpflichten soll, so einfach ist andererseits das Rezept für den Ausbruch aus dem jahrtausendealten Teufelskreis von Megamaschine und psychologischer Mißgeburt, in dem der Mensch eben noch rettungslos verfangen war. Es besteht in der Umkehrung seiner Diagnose: "Umdenken" lautet es, wahlweise auch: "Schluß mit unseren Gewohnheiten und Ängsten, der Trägheit unseres Geistes und Herzens" "Du mußt Dein Leben ändern." (83) Die Errettung der Welt soll durch einen willkürlichen Beschluß der Menschen gelingen, sich und die Welt wie Bahro rigoros vom Standpunkt eines antimaterialistischen Auftrags aus zu sehen. Der pure "Wille zur Umkehr"(14), also genau das Gegenteil zu wollen und zu machen wie bisher, soll wieder einmal Berge versetzen:
"Wenn wir es wirklich wagten, sie zu wollen, bekämen wir ziemlich schnell eine Regierung oder besser eine Ordnung des sozialen Ganzen, mit der wir uns retten könnten." (14)
Das ökologische Glaubensbekenntnis zur großen verpflichtenden Schöpfungsordnung stellt Bahro wahlweise als Welt- oder Selbst"erkenntnis" vor, "Welt" und "Mensch" sind ja nach demselben sittlichen Muster gestrickt, so daß ihr "Einssein", die "Wiederannäherung an den Logos als das natürliche (göttliche) Bewußtsein, das mit dem menschlichen Bios gegeben ist" (204), sich ganz von selbst als die wahre Bestimmung aufdrängt. Das entsprechende Paradies, wo noch "ganzheitliches Denken" (176) mit der "rechten Hirnhälfte" (92), bzw. aus "der Körpermitte" (94) gepflegt wurde, liegt diesmal nicht ganz soweit zurück wie in der Bibel, nämlich in den bekanntlich überaus gesitteten Lebens- und Denkweisen kurz nach der Erfindung des Feuers der Höhlenmalereien und der Bärenfelle:
"Wir brauchen wieder Zugang zu den ältesten Weisheiten der Menschheit, die bis auf die Altsteinzeit zurückgehen, wo die Menschen die Urtatsachen ihrer Existenz und Einordnung in den Kosmos noch weitgehend frei von dem deformierenden Ballast ihrer späteren kulturellen Spezialisierung und Entfremdung gelebt und gefeiert haben." (23)
Der Glaube an die sittliche Kraft vorzeitlichen Überlebenskampfes! - eine anheimelnde Utopie und ein radikales Sinnbild "ökologischer Vernunft" in einer von allseitiger Naturbeherrschung, aber keineswegs von allgemeinem Wohlstand gekennzeichneten Welt!
Mit Jesus, Goethe, Meister Eckhardt, New-Age-Philosophen und Laotse - "befallen werde ich von großen übeln, weil ich ein selbst besitze, wäre ich frei vom selbst, welches übel gäbe es für mich?" - verkündet Bahro seine antimaterialistische Botschaft, die nun wirklich jeder halbdebile Kirchgänger herbeten kann, in der sorgsam kopierten Figur eines Endzeit-Propheten. Er wirft sich in die Pose des einsamen Missionars, auf dessen Botschaft der Rest der Menschheit gewartet hat, und schlachtet dabei aus, daß alle Welt seine moralischen Weisheiten schon lange aufsagen kann und dennoch keine Sau damit ernst macht. Schließlich kommen die Lügen der Sonntags- und anderen philosophischen und politischen Schönredner zwar wie geltende Lebensmaximen daher; und sie sind ja auch die durchaus passenden Umdeutungen der praktisch gültigen ebenso wie der geschädigten Interessen in lauter Dienste am Ganzen und Höheren. Aber darin sind sie eben nur die Verhimmelungen der wirklich gültigen Rechte und Pflichten und der sie garantierenden öffentlichen Gewalt, zu denen die teils anerkannten und teils beschränkten Privatinteressen ein instrumentelles Verhältnis einnehmen. Die Differenz zwischen den allseits anerkannten Verantwortungstitel, in die jeder mit einem verpflichtenden "wir" eingeschlossen wird, und der wirklichen Gestalt politischer, geschäftlicher und sonstiger Verantwortung interpretiert Bahro als mangelnde Konsequenz im Zuendedenken und Ernstnehmen der anerkannten Gebote. Diesen unerträglichen Gegensatz, der nur in seinem sittlichen Wahn existiert, will er auflösen, und zwar radikal zugunsten des Wertehimmels, der endlich real werden soll auf Erden.
Damit auch jeder sieht, wie und vor allem daß das Umdenken geht, bietet Bahro auch noch ausführliche Handreichungen zur sittlichen Lebensgestaltung. Allerdings geraten sie mehr zu Dokumenten, wie verrückt ein realistisch gemeintes Weltmodell aus dem Geiste der ökologischen Vernunft ausfällt.
Der Retter empfiehlt: Die Technik der religiösen Selbstbespiegelung...
Zur "Ich-Findung" und "Selbsterkenntnis" des Individuums empfiehlt Bahro die "östliche Weisheit" der Meditation. Das Individuum soll an sich selber die Interpretation wahrmachen, daß alles, was man so tut und denkt, will und nicht bekommt, der eigentliche Wille nicht sein kann. Es soll sich die eingebildete Aufgabe seiner Individualität als deren höchste Erfüllung vorgaukeln:
"In erleuchteten Momenten ist unser Denken nicht von ausgedachten Zwecken erfüllt, sondern vom Logos des Lebens."
Der Mensch soll sich in seinen Gedanken ganz auf die religiöse Botschaft von der Alleinigkeit verlegen - "Denn in uns ist alles und wir sind in allem" (23) -, als wäre sie nicht bloß dafür da, zu erheben, sondern gelebt zu werden. Die Kunst, sich nur noch auf das unmittelbare Fühlen der moralischen Einbildungen zu konzentrieren und alle praktischen Verhältnisse, in die man gestellt ist, für gleichgültig und damit verzichtbar zu erklären - von wegen " Rückkehr" zu irgendeiner natürlichen Einheit! -, erhebt Bahro in den Rang eines revolutionären Verbesserungskonzepts.
... und eine Erziehungsdiktatur für den heilsamen Zwang zum Guten
Aus diesem Geist möchte Bahro nicht bloß das Individuum, sondern auch die Welt 'neu gestalten'. Er phantasiert sich eine Weltordnung zurecht, in der "das Spirituelle gesellschaftlich gültig" (206) gemacht wird und sich die Politik nur noch als Anwalt seiner ökologischen Moral betätigt. Was das ureigenste Bedürfnis der Menschheit sein soll, wird jetzt vorgestellt als Werk politischen Zwangs - einer durch und durch "heilsamen Tyrannis" natürlich, die deshalb auch nicht als Gewalt gilt, sondern als "kreatives Potential" und bloßes "Symbol der verinnerlichten Souveränitäten". Der Widerspruch daß die Moral, die angeblich die Herrschaft konstituiert, erst durch Gewalt wirklich gemacht werden soll, stört Bahro also wenig. Bahro verwechselt Politik mit der Realisierung eines geistigen Weltmodells und vermißt prompt die Konsequenz bei der Durchsetzung seines Sittengesetzes. Deshalb wirft er - angeblich herrscht ja allenthalben "Materialismus" den demokratischen Machern ausgerechnet die Bedienung der "egoistischen" Interessen des Volkes vor und fordert, daß die politische Macht mit ihrer Verpflichtung auf das Ganze endlich gegen jedermann ernst machen müßte, als würde sie es ausgerechnet auf dem Feld des staatlich definierten Allgemeinwohls an Entschlossenheit gegenüber Ansprüchen der Masse fehlen lassen:
"Die Lebensinteressen müssen absoluten Vorrang (vor Sonderinteressen und ihrem Verteilungskampf) haben und dies muß durch eine institutionelle Erneuerung gesichert werden." (312)
Bahro beläßt es auch hier nicht bei dem programmatischen Verlangen, die Politik sollte ihre Berufungstitel - die Verantwortung für den Menschen, für den Globus, für die Verhinderung der drohenden Katastrophen, die immerzu aus den Wirkungen von Politik und Geschäft hochgerechnet und ihr zu bedenken gegeben werden - zur wirklichen Leitlinie der Machtausübung erheben. Er malt es wie ein realistisches Staatsprogramm aus - das Regiment der "ORDlNE NUOVO"",in der sich Eros, Logos und Arbeit versöhnen und überhöhen lassen", z.B. durch kleinindustrielle Selbstversorgung "Transportradius von 25-30 Kilometern" und "Anrecht auf den Nießbrauch von 1000qm landwirtschaftlicher Nutzfläche für jedermann"; mit einem "Fürsten der ökologischen Wende" (325 ff.) ("Gott, Kaiser, Tribun, Meister, usw.") an der Spitze, der "mit sehr entschiedenen Eingriffen auf die exterministischen Symptome, Mechanismen und Antriebe reagiert" (219), im Namen eines Allgemeinwohls, das diesmal ganz echt, ganz fundamental und wirklich global sein soll; mit einem "Oberhaus", in dem "Erde, Wasser, Luft und Feuer, Steine, Planzen und Tiere Sitz und Stimme haben" (492), und das durch "ein gewisses weibliches Übergewicht" als "Stimme der Gottheit" funktioniert; mit einer "unsichtbaren Kirche" als Basis und anderen "spirituell-politischen Instanzen"... So entwirft Bahro das Modell eines "Gottesstaates", der nichts als eine Karikatur demokratischer Herrschaft ist, nämlich ihre Neukonstruktion aus den allerabstraktesten Rechtfertigungstiteln demokratischer Machtausübung: Regieren heißt den Bestand von allem stellvertretend für und gegen jeden Einzelnen sichern.
*
Die Botschaft kommt an
Daß Bahro die Welt so konsequent auf den Kopf stellt, wie das mißratene Abbild ihrer gängigen Ideologien auffaßt und daran blamiert, hat ihm den Ruf eingebracht, eine brauchbare politische "Orientierung" zu bieten. Seine Phantastereien von einem puren Moral-Regime, das Schluß macht mit dem menschlichen "Materialismus" und die "Rückkehr zur Natur" erzwingt, finden gewendete Ost-Intellektuelle interessant. Wo die praktischen Verhältnisse klargestellt sind, scheinen sie prompt gelernt zu haben, nach alternativen politischen Sinnstiftungen zu suchen, und Kritik für umso bedenkenswerter zu halten, je weniger sie sich um das kümmert, was politisch zählt. Deswegen gefällt das Gestammel von jemandem, der über der Differenz der allgemein anerkannten moralischen Begründungen für die demokratische Gewaltausübung zu den geltenden Machtinteressen ziemlich verrückt geworden ist. Eine letzte Erbschaft sozialistischer Moralerziehung - oder der zögernde Eintritt ins demokratische Geistesleben? Auf jeden Fall an der Humboldt-Universität interdisziplinär geschätzt.