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Joint-Ventures in der DDR
DIE MISCHWIRTSCHAFT ALS LETZTES STADIUM DES REALEN SOZIALISMUS
Daß "Wiedervereinigung" sein muß, die "Teilung Deutschlands widernatürlich" ist, daran läßt mittlerweile kein BRD-Bürger mehr einen Zweifel. Da herrscht Einigkeit von den Reps bis zu den Grünen. Und wer da noch Bedenken anmeldet, der hat - wie Verena Krieger von den Grünen - in dieser demokratischen Parteienlandschaft keinen Platz mehr. Daß es noch nicht so weit ist, das liegt allein an der SED-PDS, die immer noch die künftigen Bundesländer regiert und sich dem Lauf von Natur und Geschichte in den Weg stellt. Sie will unverschämterweise die DDR und sich in ihr als eine Pnrtei retten, die was mitzureden hnt, anstatt mit zwei letzten Akten alles klar zu mnchen: Antrag auf Aufnahme der DDR in die Bundesrepublik und Beantragung des Verbotsverfahrens der SED-PDS beim Bundesverfnssungsgericht.
Die geplante Freiheit: Einrichtung von Zwängen
Daß die freie Marktwirtschaft nichts mit "Laissez-faire" zu tun hat, kann man ihr zwar durchaus selbst entnehmen. Die eingerichtete Trennung der Privateigentümer in solche von Kapital und solche von Arbeitskraft und ein Gesetzesapparat, der diesen Gegensatz garantiert, so daß er nur im Ausnahmefall mit unmittelbarer Gewalt in Aktion zu treten braucht, verschleiern ein wenig, daß Freiheit ohne Gewalt nicht auskommt. Dem Ansinnen der BRD-Öffentlichkeit, die DDR brauche eine Marktwirtschaft, ist dagegen sehr deutlich anzusehen, daß die Herstellung kapitalistischer Verhältnisse nichts damit zu tun hat, daß die Staatspartei sagt: "Macht euren Dreck alleine!" oder: "Jetzt konkurriert mal schön!" Die vielgerühmte Privatinitiative ließe sich von einem bloßen Appell und dem Versprechen, daß man sie läßt, keineswegs fördern. Das Verlangen, die Staatspartei möge sich aus Gesellschaft und Wirtschaft zurückziehen, gilt unbeschränkt für die Partei, für den Staat nur in soweit, als er kraft seiner Gewalt für die rechtlichen Zwänge sorgen soll, die garantieren, daß die "Initiative" von Privatmenschen sich auch betätigen kann und die von Privateigentümern sich betätigen will. Wenn der Staat da keine Garantien und Sicherheiten bietet, dann geht das Kapital nämlich das Risiko, von dem es bekanntlich lebt, keineswegs ein.
Ohne Wach- und Schießgesellschaft gibt's keine Investitionsbereitschaft. Die Unantastbarkeit kapitalistischen Eigentums will da schon rechtlich verankert und zugesichert sein: gegen den Staat ebenso wie gegen Privatmenschen, die davon ihren Schaden haben. Einfach mal so aufs Unternehmerrisiko Kapital investiert, ohne daß sich die ganze Staatsmacht zu seinem Schutz aufstellt, kommt für einen Kapitalisten nicht in Frage. Schließlich wittert er gerade und v.a. in der höchsten Gewalt dort drüben die eigentliche Bedrohung für sein AIlerheiligstes. Gegen die Gefahr der Enteignung durch den Staat verlangt er ein Investitionsschutzabkommen, weil er hinter dem erklärten Wunsch nach intensiver Kapitalinvestition noch allemal sieht, daß dort die Eigentumsfrage prinzipiell anders geregelt ist. Wo das Privateigentum nur ein kümmerliches Dasein als Zahnbürste und Auto oder allenfalls als Handwerk und Dienstleistungsgewerbe fristet, vermißt er allen gegensätzlichen Beteuerungen zum Trotz die genügende Achtung vor seinen teueren Investitionen. Er fordert, daß seine geschäftlichen Anlagen alle Freiheiten des Privateigentums an Produktionsmitteln genießen sollen. Daher verlangt er zusätzliche, rechtlich einklagbare Garantien dafür, daß ein von anderen staatlichen Überlegungen bestimmtes Interesse dem an seinem privaten Eigentum in keinem Falle entgegenstehen werde.
Dasselbe gilt für den Erfolg der Bemühungen des Kapitalisten, die "DDR-Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen". Die Investitionen müssen sich nicht bloß lohnen, es will auch sichergestellt sein, daß der Lohn der Investition, der Gewinn, weder an die Investition noch an die DDR gebunden, sondern universell verwendbar ist. Mit dem Gewinntransferabkommen soll der DDR-Staat sich verpflichten, dem Investor die Freiheit zu verbriefen, mit dem Gewinn machen zu können, was er will. Da der Staat drüben sich diesem Zweck ja bislang gerade nicht umstandslos verschrieben hat, sondem von der Verwendung des Gewinns seine eigenen realsozialistischen Vorstellungen hatte, erhält dieses Bedürfnis nach Freiheit die Form, den Gewinn nicht bloß wieder abziehen zu dürfen, sondern auch abziehen zu können. Das Können beinhaltet allemal, daß die DDR dafür einsteht, daß die Gewinne in Ost-Mark auch in weltmarktsfähige Deuisen eingetauscht werden. Nur dann sieht man sich als freier Unternehmer in der Lage und auch willens, Kapital und Gewinn in der DDR zu riskieren.
"Helfen" wollen sie ja alle. Aber daß Hilfe per Kapitaleinsatz nur zu haben ist, wenn ihr keine anderen Kriterien in die Quere kommen bei ihrer rein geschäftsmäßigen Kalkulation, hat mit Erpressung nur insoweit zu tun, als dies sachliche Voraussetzung einer "Hilfe" ist, die die DDR haben will.
Dazu gehört auch, daß eine Preisgestaltung, die sich der Überlegung verdankt, daß einige Güter auf alle Fälle für alle erschwinglich sein sollen, einfach unsachgemäß ist, weil sie sich mit gewinnbringenden Geschäften im Konsum- und Immobiliensektor wirklich nicht vereinbaren läßt. Außerdem ist - so der Anspruch der Westler - kapitalistisches Geschäft ohne die Freiheit, Leute nach Belieben ein- und auszustellen - ein Ding der Unmöglichkeit. Und die alten SED-Manager wissen das selbst am allerbesten:
"Es gebe so viele Produkte in seinem Unternehmen, erzählt Weller (Direktor eines Kunststoffkombinats), die einen hohen Wertanteil menschlicher Arbeit besitzen. Da sei die DDR als Niedriglohnland doch sicher auch auf den Westmärkten wettbewerbsfähig. 'Wir haben auch noch Produktivitätsreserven', sagt Weller, 'aber auch dazu brauche ich ein anderes Arbeitsrecht, damit ich leistungsunwillige Leute entlassen kann.' Jetzt ist das Eis gebrochen. 'Wunderbar, der Mann denkt ja wie wir', entfährt es einem Werkzeughersteller aus Bremen. Für Peter Dussmann aus München, der Millionen mit Dienstleistungen umsetzt, ist klar: 'Mit solchen Leuten können wir Geschäfte machen.'" (Der Spiegel, 50/1989)
Man sieht, für die Staatsgewalt gibt es da noch viel zu tun. Sie weiß, daß sie damit einen neu Umgang mit ihrer Manövriermasse festlegt.
Deshalb werden schon fleißig das bundesdeutsche Betriebsverfassungs- und Streikgesetz studiert. Für die neuen Verhältnisse braucht es nicht zuletzt die Sicherung des sozialen Friedens als neue soziale Errungenschaft. Die liebste, weil beste Geschäftsgarantie wäre jedoch, wenn drüben dieselben (und nicht bloß die gleichen) Geschäftsbedingungen herrschten wie hüben - wie es Alfred Herrhausen noch formulieren konnte:
"Ich möchte gerne, daß die Bundesrepublik und die DDR wiedervereinigt werden. Dann stellt sich für mich die Investitionspolitik von westdeutschen Unternehmern auch aus der Sicht der jetzigen DDR ganz anders dar." (Der Spiegel 47/89)
Die letzte Schranke dafür ist die SED-PDS. Sie verfolgt als einzige politische Kraft in der DDR das Programm der Rettung der DDR. Das Tempo, in dem sie es verfolgt, ist atemberaubend, ebenso wie sie es verfolgt. In einer einzigen Volkskammersitzung (am 12.1.) fegt sie alle Kritikpunkte, die die bundesdeutsche Öffentlichkeit noch in den Morgenausgaben der Zeitungen beherrscht haben, vom Tisch, indem sie ihnen recht gibt, Gesetzesvorlagen zurückzieht, entscheidend verändert und ruckzuck grundlegende Verfassungsartikel umschreibt und einfügt: Das geplante Verbot der Auslandshilfe für Parteien wird fallengelassen; die Umwandlung der Stasi in eine Kleinausgabe bundesdeutscher Verfassungschutze wird aufgegeben und dem zu wählenden Parlament aufgetragen; die Subventionen der Preise für Kinderbekleidung werden gestrichen und durch eine Erhöhung des Kindergeldes "abgefedert", die Beseitigung weiterer Subventionen, v.a. der Mieten wird angekündigt; der Anspruch auf Mehrheitsbeteiligung des Staates bei Joint-Ventures immer mehr fallengelassen; Joint-Ventures werden vom Plan ausgenommen; sie
"erhalten außer dem Recht zu eigenständiger Gewinnverwendung und des Gwinntransfers das Recht auf eigenständige Investitions-, Produktions- und Vertriebsentscheidungen sowie freie Preisbildung (Süddeutsche Zeitung, 13./14.1.).
Daß die SED-PDS damit bundesdeutschen Wünschen nachgibt, auf die Erpressungen des Nachbarstaates eingeht, ist nur die halbe Wahrheit. Zum Erpressen braucht es nämlich auch in diesem Falle zwei: Nur weil die DDR so geil auf Hilfe aus der BRD ist, kann die es sich leisten, die Bedingungen der Zusammenarbeit immer höher zu schrauben und ganz unschuldig von den "sachlichen Voraussetzungen" zu palavern. Die SED-PDS hat sich nämlich entschieden, die Rettung der DDR vor ihrer Auflösung in die BRD dadurch zu betreiben, daß sie die DDR-Ökonomie durch den Einsatz bundesdeutschen Kapitals saniert. Sie hat sich dazu entschlossen, dafür Schritt für Schritt und geregelt die Marktwirtschaft in der DDR einzuführen; und positiv wird hierzulande vermerkt, daß nur noch davon, und nicht mehr vom Sozialismus, die Rede ist; daß das verbrämende Attribut "sozialistisch" aus dem Wortschatz von Luft und Modrow gestrichen ist. Daß die SED dabei zur Wahrung der Souveränität der DDR Stück für Stück auf Zuständigkeiten des DDR-Staates verzichtet zugunsten von Freiheiten für bundesdeutsches Kapital, das ist der Widersprüch der SED-PDS, den sie wohl nicht weiß, aber dauemd merkt und zu ihren Gunsten entscheiden zu können meint.
Ganz ohne Grund ist diese vage Hoffnung nicht: Die DDR-Ökonomie ist nicht ruiniert, sondern hat durchaus was zu bieten. Die Devisenguthaben eines Schalck ebenso wie die Unterstützung der DKP hat sich die DDR im Westen verdient durch den Verkauf von Waren, die sich auf westlichen Märkten eben verkaufen lassen, also konkurrenzfähig sind. Wie diese Konkurrenzfähigkeit zustandegekommen ist, durch staatliche Subventionen oder/und durch Abzug von Investitionsmitteln aus anderen Bereichen, auf alle Fälle also auf Kosten des arbeitenden Volkes, ist scheißegal. Jedenfalls sollten in dieser Hinsicht Leute die Schnauze halten, die in Lohn und Freizeit nichts als Schranken deutscher Weltgeltung entdecken können, und Fans der EG schon gleich.
Wenn Kapitalisten ans Geschäft denken, dann machen sie sich frei von dem Bedürfnis, an der DDR-kein gutes Haar zu lassen. Dann entdecken sie "nicht unbedingt eine Bestätigung für die gängigen Vorurteile über verrottete Produktionsanlagen in der DDR" (Der Spiegel 49/89 - wer die wohl in die Welt gesetzt hat?!), sondern überlegen, was sich mit ihnen alles anfangen ließe, wenn man sie in der Hand hätte:
"Der Sprecher des Maschinenbauverbandes VDMA, Alexander Batschari, hält die DDR auf dem Sektor Maschinenbau für äußerst entwicklungsfähig. In Sachsen, dem einstigen Herzen des Präzisionsmaschinenbaus, könne unter günstigen Voraussetzungen rasch wieder Weltmarktniveau erreicht werden. Selbst unter den heutigen Verhältnissen sei es erstaunlich, was die Maschinenbau-Ingenieure und Facharbeiter dort zustande brächten." (SZ, 7.12.89)
Und das, was man da an funktionsfähigem und für kapitalistische Kalkulationen brauchbarem Zeug allenthalben entdeckt, bekommt noch eine zusätzliche Bedeutung darüber, daß der Ruin der DDR gerade deshalb nicht auf dem Plan steht, weil es um ihren Anschluß geht. Der erklärte Wille der SED-PDS, die Kommandowirtschaft schrittweise abzulösen, fällt nämlich in einem Ergebnis glatt zusammen mit dem westdeutscher Politiker und Kapitalisten. Auch sie wollen eine Überführung der Plan- in die Marktwirtschaft mit möglichst niedrigen Reibungsverlusten; "Stabilität" sei jetzt gefragt, verkündet Daimler-Benz-Manager Edzard Reuter (SZ, 15.1.) und mahnt eine "Koalition der Vernunft" zwischen den Politikern in Ost und West an. Das sind Sprüche, die ein wenig anders klingen als die ewigen Wamungen, kein "marodes System", schon gleich nicht die SED zu unterstützen. Die Eroberer der DDR werden hier tatsächlich hin- und hergerissen: Einfach mal abwarten, bis sich die Verhältnisse in der DDR geklärt, das heißt so verschlechtert haben, daß die SED gänzlich abgewirtschaftet hat bzw. vom wiedervereinigungstrunkenen Volk nach Rußland gejagt wird - einfach abwarten will man hier nicht einmal bis zum 6. Mai. Das könnte glatt die DDR ein Stück unbrauchbar fürs künftige Geschäft machen. Aber jetzt einfach hingehen und nach purem Geschäftskalkül Verträge schließen und die Schornsteine rauchen lassen, das könnte glatt das Anschlußprogramm behindern, weil die DDR es dann gar nicht mehr so braucht. Das ist der Widerspruch der BRD, daß sie sich das ökonomische Potential der DDR ohne diesen Staat erhalten will. Ein Widerspruch, der sich am besten darin spiegelt, daß bundesdeutsche Politik wirklich dem Ideal anhängt, sich die Drohung mit dem abströmenden DDR-Volk zu erhalten, ohne daß eben dieses Volk die DDR verläßt.
Geschäftsmäßige Reifung für die Übernahme
Was da zustandekommt, ist bei allem guten Willen noch keineswegs eine fertige Marktwirtschaft. Kapitalisten sind nicht voll in ihrem Element, wenn sie nicht überall auf ihresgleichen treffen. Kapital, das sich vermehren will und sonst nichts, braucht Kapitalisten an jeder Stelle der Gesellschaft, Kapitalisten, die eben keinen andem Zweck verfolgen als nur diesen: selbst zu akkumulieren. Jede ökonomische Aktivität drüben soll - vom Grund und Boden bis zur letzten Dienstleistung - käuflich sein. Und in der Staatswirtschaft ist das nicht bloß bei Grund und Boden nicht der Fall.
Das heißt nicht, daß keine Geschäfte gingen. Im Gegenteil: "Kooperationsgespräche laufen heiß" (SZ, 15. 1. ), und es sind die "Bosse der dicksten Monopole", die sich in den Kombinaten und im Wirtschaftsministerium des"Arbeiter- und Bauemstaates" die Klinke in die Hand geben. Mit dem IFA-Kombinat möchte VW einen exportfähigen Trabant-Nachfolger, Mercedes einen Lastwagen bauen, Walter steigt in die Werkzeugmaschinenproduktion; Siemens in die von medizinischen Geräten ein, ein Druckmaschinen-Kombinat aus der DDR kauft sich mit Millionen-Krediten der Hypo eine amerikanische Vertriebsfirma, die Dresdner Bank hat bereits die zweite Filiale in der DDR eröffnet usw. usf.
Die Hinterlist der Geschichte ist es, daß sich die Joint-Dreher dabei lauter geschaffene Fakten und Beziehungen zunutze machen, die in den Hochverratsprozessen gegen Honecker, Mittag und Genossen als Hauptanklagepunkte in Sachen "Mißwirtschaft" aufgetischt werden dürften. Was jetzt läuft, ist nämlich nur teilweise neu - Banken durften halt drüben bisher schlicht nicht. Im wesentlichen handelt es sich um die Fortsetzung auch bisher getätigter Geschäfte - wenn auch auf erheblich erweiterter Stufenleiter. Wenn dieses Jahr die ersten VW-Motoren aus der DDR geliefert werden, dann handelt es sich dabei um mindestens fünf Jahre alte Kamellen. Mit dem projektierten Gemeinschaftswerk in Karl-Marx-Stadt wird aber auch entschieden darüber hinausgegangen.
Mit jedem Joint-Venture werden nämlich in DDR-Kombinaten kapitalistische Rechnungsweisen eingeführt, die nicht einfach bloß für das Kombinat gelten, sondern sich als Abzug vom System der nach wie vor existierenden Staatswirtschaft bemerkbar machen. Zwar stellte auch bisher die Produktion zwecks Erwirtschaftung von Devisen eine Beschränkung der Binnenwirtschaft dar, weil sie einem anderen Zweck als dem der Planwirtschaft immanenten diente; aber sie war immer noch Bestandteil staatlicher Verfügungsgewalt und Kontrolle über die Ökonomie. Jetzt dagegen sind zwar DDR-Betriebe nach wie vor Bestandteil der Rechnung des Staates drüben, sind ein Bestandteil seines Haushalts, werden als Lieferanten diverser Waren kalkuliert, benutzen die "Infrastruktur" und nicht zuletzt die staatlich subventionierten Löhner. Aber das, was diese Unternehmen leisten, ist bereits Mittel einer ganz anderen Berechnung: der des Kapitals.
So ist inzwischen etwa vereinbart,
"die neue Schnellbahnverbindung von Hannover nach Berlin durch einen westdeutschen Generalunternehmer bauen zu lassen... Am Bau der Strecke, die etwa drei Milliarden Mark kostet, beteiligen sich DDR-Firmen als Sub-Unternehmer." (SZ, 9. 1.)
Das zieht diese Subunternehmer, die ja zum Verdienen von DM aufgefordert sind, ab aus anderen Teilen des DDR-Transportwesens, indem es sie auf die Aufgabe orientiert, dem westdeutschen Generalunternehmer geschäftliche Dienste zu leisten. Das schafft anläßlich der neuen Ansprüche zusätzliche Schwierigkeiten:
"Das Transportwesen befindet sich in einer kritischen Lage... Hilfe von Soldaten der Volksarmee sowie der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte... Zudem müssen nun Hunderte von Sonderzügen eingesetzt werden, um die explodierte Reiselust der Bürger nur einigermaßen zu befriedigen... 300000 Übersiedler... Amnestie... Brandenburger Strafgefangene an der Produktion von 80 Prozent der in der DDR gefertigten Elektromotoren beteiligt. Sie setzen täglich bis zu 100 Eisenbahnwagen instand und liefern u.a. für die Nachrichtentechnik, den Fahrzeugbau und die Möbelindustrie zu..." (SZ, 19.12.89)
Nicht anders ist es bei den gemeinsamen Umweltprojekten, die bereits angeleiert sind:
"Meine Mitarbeiter sind jetzt tagelang in der DDR, um jedes der sechs Projekte konkret vorzubereiten. Es wird gefragt: Könnt ihr die nötigen Leistungen wirklich zeitgerecht erbringen, ist diese und jene Straße bis dann und dann fertig, kommt das Arbeitsmaterial? Und da liegt eben das Problem eines zentral geplanten Wirtschaftssystems. Die Wege sind zu kompliziert: Der VEB Straßenbau etwa kann nicht selber in das Projekt einsteigen, sondern muß über den Minister für Straßenbau in das Projekt integriert werden. Die DDR braucht Dezentralisierung, mehr kleinere und mittlere Unternehmen." (Umweltminister Töpfer in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau", 13.12.89)
Zwar ist das mit den "komplizierten Wegen" ziemlich bescheuert, so als ob man in der BRD ganz ohne staatliche Genehmigungen Straßen bauen könnte. Die Geschäfte, die getätigt werden, stoßen jedoch tatsächlich laufend auf Schranken, andere als hierzulande: nicht die der Konkurrenz, sondem die der Überreste einer Staatswirtschaft; daher pocht das Kapital darauf, daß die DDR-Umstände sich anpassen an die Erfordernisse gelungener Geschäfte. Was die SED-PDS da will, ist ein Nebeneinander von Kapital- und Staatswirtschaft. Je mehr diese "Mischwirtschaft" in Gang kommt, um so mehr zeigt sich, daß das Nebeneinander in Wirklichkeit ein Gegeneinander ist: dem Staat wird Stück für Stück das Kommando über - die funktionsfähigsten! - Teile seiner Wirtschaft entzogen.
Überdies macht sich der Anschlußwille auf den Gebieten von Verkehr, Kommunikation, Energie und Umwelt - nebenbei: lauter Bereiche, die in der BRD staatlich monopolisiert und kontrolliert sind - auf eigenartig technische Weise geltend - bei der Stromversorgung etwa:
"Viele Möglichkeiten, schnell einzuspringen, gibt es nicht. Dies liegt daran, daß die Länder Osteuropas nicht so ohne weiteres in den westewopäischen Verbund mit einbezogen werden können, weil die Frequenzen nicht übereinstimmen. Um diese technische Schwierigkeit zu überbrücken, bedarf ei einer sogenannten Gleichstrom-Kupplung... Preußen Elektra besitzt eine Leitung in die DDR, freilich ohne die für die Lieferungen erforderliche Kupplung... Möglichkeit... beispielsweise Buschhaus, von dem deutschen Leitungsnetz abzukoppeln und es direkt für die DDR produzieren zu lassen... Ähnliches, nur mit umgekehrten Vorzeichen, wäre möglich, wenn eine Leitung des Bayernwerks, die an der thüringischen Grenze gekappt worden ist, wieder in Betrieb genommen würde. Dann könnte das Bayernwerk Strom mit westdeutscher Frequenz liefern, was freilich zur Folge hätte, daß die DDR das damit belieferte Gebiet vom übrigen Netz abkoppeln müßte." (SZ, 20. 12. 1989)
Was hier als Problem erscheint, ist die unverhohlene Absicht: Die DDR soll aus dem Energieverbund mit dem RGW oder wenigstens Teile von ihr aus dem DDR-Netz ausgekoppelt und von der Versorgung mit BRD-Strom abhängig gemacht werden.
Auch der Umweltgedanke ist grenzübergreifend:
"Wie auch immer dieser Prozeß weitergeht, bleiben wird ein enorm gewachsenes Bewußtsein der DDR-Bürger für die ökologische Belastung in ihrem Land. Und es wird schon von daher nicht bei Inseln der Zusammenarbeit bleiben, sondern die jetzigen Projekte werden noch mehr Demonstrations- und Pilotcharakter erhalten - um zu zeigen: Das geht ja, das kann man machen... dann sollen wir lieber das Geld, dai wir bisher im Westen in die Verminderung der letzten Schadstoff-Kilos gesteckt haben, dort investieren... Warum machen wir nicht ein CO2-Gesamtmodell für die DDR und die Bundesrepublik - und fragen dann: Wo können wir unsere Mittel am sinnvollsten einsetzen?... Wenn wir jetzt den Devisenfonds mit der DDR einrichten, fallen Milliarden-Beträge in DDR-Mark an, die wir als internes Finanzierungsmittel für Umweltprojekte in der DDR einsetzen können..." (Interview mit Umweltminister Töpfer, "Frankfurter Rundschau", 13.12.89)
Eine schöne Rechnung: Man rechnet den Dreck in Ost und West zusammen, erhält so ganz neue Durchschnittswerte, die das Atmen im Westen leichter machen. So geht Reinheit der Luft für die Einheit der Nation!
Kapitalimport: Rettung oder Ruin der DDR als Staat?
Die Diskussion um "wirtschaftliche Hilfen" führt immer wieder und verstärkt zu dem Resultat, daß die eigentliche Frage die Souveränität der DDR ist. Die steht nach Auffassung derer, die den Aufbau drüben in die Hand nehmen sollen, eben diesem Aufbau im Wege. Der beste Beitrag der DDR dazu wäre ihre Abschaffung, und das hieße dann "Wirtschaftswunder". Weil die SED-PDS die einzige Partei ist, die noch einen Kampf um die Souveränität der DDR führt, ist dieser Kampf identisch mit dem um die Selbsterhaltung der SED-PDS. Er fällt zusammen mit ihrer Taktik im Kampf um Wählerstimmen gegen die Opposition, weil sie ihren Erfolg abhängig gemacht hat von der Bereitschaft der BRD zur Zusammenarbeit. Sie sieht das einzig erfolgversprechende Mittel darin, durch Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen von Opposition und BRD-Ausland um Zustimmung bei BRD-Autoritäten zu buhlen, weil das Volk die Zustimmung zu ihr und/oder anderen Wahlmannschaften zunehmend von der Gunst bundesdeutscher Politiker und Manager abhängig macht. So giert sie nach lobenden Worten aus Bonn und bekommt sie nicht, unabhängig von ihrer Nachgiebigkeit in den ökonomischen und politischen Streitfragen um den "Neuaufbau". Denn für die BRD gehört zum "Neuaufbau" der DDR v.a. die Erledigung der SED-PDS. Dafür setzt sie alle Mittel ein, damit am 6. Mai die SED-PDS in die politische Bedeutungslosigkeit gewählt wird.