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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1989 erschienen.

Systematik

Wackersdorf
DER ANFANG VOM ENDE DES DEUTSCHEN ATOMPROGRAMMS

Die Sprecherin der Anti-Wackersdorf-Initiativen erklärt: "Acht Jahre Widerstand haben endlich Wirkung gezeigt." (Süddeutsche Zeitung, 17.4.) Der stellvertretende SPD-Landrat von Schwandorf verkündet: "Die CSU-Politiker seien die nützlichen Idioten der Atomlobby" (SZ, 19.4.). Der FDP-Sprecher Grünbeck "übt scharfe Kritik an Großindustrie und Großkapital". Der bayerische Wirtschaftsminister beschreibt das Vorgehen der VEBA-Tochter Preußen-Elektra als "Riesensauerei" (SZ, 21.4.). Warum solche Siegesmeldungen und Aufregung in Politik und Öffentlichkeit?

Der Chef des ehemalig staatlichen VEBA-Konzerns hatte erklärt, daß ihm der französische Staatsbetrieb COGEMA ein Angebot für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben gemacht habe, das sehr viel günstiger als die Wiederaufarbeitung in Wackersdorf sei. Die VEBA könne sich an der Anlage UP3 in La Hague mit einer Kapazität von 800 t/Jahr als Miteigentümer mit 49% ab 1999 beteiligen. Viel gewichtiger als acht Jahre Widerstand erweist sich die Geschäftskalkulation der Kraftwerksbetreiber. Sie haben einen Streit zwischen sich und der Politik über die nationale Atompolitik provoziert. Der unternehmerische Standpunkt, das nationale Atomprogramm würde die Gewinne in Frage stellen, trifft den Gegenstand des Streits genausowenig wie die Klage der Politik, sie werde durch die Energiewirtschaft erpreßt. Es ist eine politische Entscheidung, ein Atomprogramm aufzulegen, es an das Kapital zu delegieren und es damit dessen Geschäftskalkulationen zu überlassen; umgekehrt macht sich die VEBA gegen den staatlichen Auftraggeber, der die Geschäftsgrundlage ist, stark. Das sind die zwei Positionen des Streits: Die VEBA verweist darauf, daß mit der WAW (Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf) unter den geltenden Bedingungen zuwenig Geschäft zu machen ist, und der Staat weist die VEBA darauf hin, daß er die Bedingung derartiger Geschäfte ist. Wie bei der Rüstung oder Raumfahrt handelt es sich bei der Atomtechnologie um ein politisches Geschäft, dessen Profit aus Aufgaben erspringt, die die Nation zu ihren elementaren zählt.

Garantie der Energieversorgung

In Sachen Energieversorgung als der nationalen Wachstumsvoraussetzung werden die Weltmarktfanatiker zu Weltmarktkritikern. Die Energieversorgungsmultis werden von der Politik daraufhin untersucht, ob sie die souveräne Verfügung über diese Grundlage des Geschäfts- und Staatslebens garantieren können. Die Energieversorgung ist eine der Bedingungen für eine erfolgreiche nationale Industrie und dafür, daß die Nation zu einer Anlagesphäre für Geschäfte aus aller Welt wird. Der Staat stellt diese Bedingungen her. Entweder in eigener Regie, also auch auf eigene Kosten. Oder, wie es sich für ein kapitalistisches Gemeinwesen eher gehört, indem er sie zu einem Geschäft für die nationale Industrie ausgestaltet, das dann auch im Staatshaushalt positiv zu Buche schlägt. Denn die U wandlung einer nationalen Versorgungsfrage in produktives Kapital der Nation, das sich im Export bewährt, bessert die nationale Handelsbilanz auf, statt sie zu-belasten.

Prinzipiell gilt darüber hinaus: Auf auswärtige Einkäufe gerade so elementarer und staatsentscheidender Güter angewiesen zu sein, heißt vom Wohlwollen anderer Staaten abhängig zu sein. Deshalb setzt die nationale Energieplanung auf eigene Quellen, Kohle oder Atom, die den freien Umgang mit den auswärtigen, Gas und Öl, erst ermöglichen. (Näheres dazu in dem MSZ-Sonderdruck, "Die BRD Atommacht eigener Art")

Der bundesdeutsche Brennstoffkreislauf

Die Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien entwickelten ihre nationalen Atomprogramme als militärische, um über genügend Plutonium für ihre Bomben zu verfügen. Die Benutzung der Kernspaltung zur Energiegewinnung, der Einstieg von Privatunternehmen und damit der Export von Reaktoren verringerte die Kosten des Atomprogramms. Die ersten Reaktoren zur Stromerzeugung waren entweder aus den militärischen zur Plutoniumgewinnung oder aus denen für den U-Bootantrieb entwickelt. In der BRD wurde hingegen ein anderer Weg beschritten. Der Weg zur eigenen Bombe war verbaut. Sie war mit der Bedingung in die NATO aufgenommen worden, auf die Eigenproduktion atomarer Waffen zu verzichten. Zur Zeit des Ministers für Atomenergiefragen Strauß wurde begonnen, alles zu entwickeln, was die Unabhängigkeit von fremdem politischen Willen beim Atomstrom sichert. Der "Brennstoffkreislauf" von der Uranförderung im Fichtelgebirge über die Wiederaufarbeitung bis zur Endlagerung wird geplant. Dieser Kreislauf ist keine technische Notwendigkeit, die einzelnen Schritte sind voneinander unabhängig; er ist eine politökonomische Notwendigkeit für eine Nation, die sich die unabhängige Verfügung über sämtliche Komponenten dieser Energiequelle sichern will. So betätigt sich der politische Wille, die BRD zur Weltmacht in Sachen Nukleartechnologieexport zu machen.

"Strauß erklärte als Atomminister die Kerntechnik zur bundesdeutichen Existenzfrage, da sich nur der, der Atomanlagen liefern könne, 'in der vordersten Reihe der Industrienationen' behaupten könne." (Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945-1975, Reinbek 1983)

1959 erklärte der Nachfolger Balke:

"Wenn wir keine Kernkraftwerke anzubieten haben, werden wir eines Tages auch keine Staubsauger mehr verkaufen können." (Frankfurter Rundschau, 29.9.1959)

Die WAA im Brennstoffkreislauf

In einer Wiederaufarbeitungsanlage werden abgebrannte Brennelemente aufgelöst und in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt. Das gewonnene Uran 235 und das Plutoniurn 239 werden in einer noch zu bauenden Fabrik zu neuen, sogenannten MOX (Mischoxid)-Brennelementen für Leichtwasserreaktoren verarbeitet. Die Wiederaufarbeitung wird betrieben, obwohl es "billiger und umweltfreundlicher ist, abgenutzte Brennelemente gleich zu vergraben" (SZ, 16.5.), denn es ist nicht ihr Zweck, Kosten und Strahlenbelastung zu senken. Das Beherrschen der Technologie und der Aufbau der entsprechenden Kapazitäten garantiert mehr Unabhängigkeit, was die Energieversorgung der Nation angeht. Ziel des Aufbaus eines integrierten Brennstoffkreislaufes ist es, mit Einschluß des Schnellen Brüters den Import von Kernbrennstoffen zu senken, im Idealfall eigene Reserven zu erzeugen und als Verkäufer von Überschüssen auf dem Weltmarkt aufzutreten. Die zum Kreislauf gehörenden Fabriken sind selbstverständlich zum Export vorgesehen. Die AKW-Betreiber haben selbst kein originäres Geschäftsinteresse an der Wiederaufarbeitung als solcher; sie werden von staatlicher Seite per Atomgesetz verpflichtet, für die "schadlose Verwertung" abgebrannter Brennelemente zu sorgen. Umgekehrt sollte der staatliche Bedarf nach einer deutschen Plutoniumfabrik ebenfalls als Geschäft der Atomindustrie bedient werden

Die Geschäftskalkulation der VEBA vs. das staatliche Interesse

Eine Kostensenkung hat die WAW den deutschen Energieversorgern, die gemäß dem gesetzlichen Auftrag bisher in La Hague und in Sellafield aufarbeiten lassen, schon beschert:

"So ist z.B. bereits jetzt erkennbar, daß die endgültig getroffene Entscheidung der deutschen Elektrizitätswirtschaft für den Bau der WAW Ursache deutlicher Preisreduktionen für die Wiederaufarbeitungsdienstleistung im internationalen Bereich ist." (Jahrbuch der Atomwirtschaft 1986)

Jetzt weisen die Energieversorger den Staat darauf hin, daß sich durch das französische Angebot ihre Geschäftskalkulation geändert habe:

"Bei dem COGEMA/VEBA-Projekt würden die Gesellschafter der DWK, also alle Kernkraftwerke betreibenden Unternehmen, zunächst einmal Investitionskosten von sechs bis sieben Milliarden Mark sparen sowie Wiederaufarbeitungskosten von gut einer Milliarde pro Jahr." (Bennigsen-Foerder in: -Spiegel" 16/1989)

Mit einer Wiederaufarbeitung in Frankreich wäre dem Atomgesetz wie bisher Genüge geleistet, der staatliche Auftrag erfüllt. Die Politiker aber weisen auf einen, ihnen sehr wichtigen Unterschied hin, ob die Wiederaufarbeitung in der Regie heimischer Firmen abgewickelt wird oder ob sich die Firmen an einer ausländischen Fabrik beteiligen.

"Waigel vertrat erneut die Auffassung, daß die Industrievertreter bei ihrer Kontaktaufnahme mit der COGEMA die nationalen Folgen nicht gesehen haben." (SZ, 8.5.)

Ein deutscher Standort verheißt eben doch mehr Autonomie als eine noch so gut gemeinte Zusammenarbeit mit dem Ausland. Dabei haben die Energieversorger gar nicht die Absicht, das nationale Atomprogramm zu torpedieren und den Staat zum Opfer zu machen. Sie verlangen vielmehr von der Politik die ihr zustehende Entscheidung über eine neue AIternative. Eine Beteiligung an La Hague komme nur im Rahmen eines zwischenstaatlichen Vertrages zustande, erklärte der VEBA-Chef. Und die Alternativen gibt es auch.

Entweder wickelt der Staat nun die WAW in eigener Regie und auf eigene Rechnung ab. Geplant war sie aber mit ihrem "Überschuß an Wiederaufarbeitungskapazität" (Jahrbuch der Atomwirtschaft, 1986) für den internationalen Markt. Oder er macht die WAW für die Energieversorger über Strompreis und Subventionen attraktiver als die Beteiligung an La Hague.

Zunächst einmal stellte er durch den Hinweis auf die Folgekosten des Verzichts auf Wackersdorf die vergleichenden Kalkulationen der Atomindustrie (Für deutsche Kunden beträgt der Preis für die Wiederaufarbeitung eines Kilos Spaltmaterial in La Hague DM 1.500, in Wackersdorf soll sie DM 5.000 kosten.) in Frage. Anfallendes Plutonium muß wiederverarbeitet werden, Atommüll muß so lange in Frankreich gelagert werden, bis ein deutsches Zwischenlager zur Verfügung steht, die WAA in La Hague müsse auf "sicherheitstechnisch vergleichbarem Niveau" wie die WAW sein, die WAK (Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe) müsse "zum Zwecke des Technologieerhalts" weitergeführt werden, die WAW muß abgerissen werden, der bayerische Staat entschädigt, Ausgleichszahlungen für Standortgemeinden von atomaren Endlagern müssen geleistet werden, die MOX-Brennelemente müssen in der BRD gefertigt werden, der Entsorgungsnachweis wird über 6 Jahre hinaus verlängert. (Zitate aus der "Frankfurter Rundschau", 8.5.) Des weiteren sollen die gewährten Investitionszulagen zurückgezahlt werden. Die bundesdeutsche Atomindustrie ist aufgefordert, ihre Rechnung unter diesen neuen Gesichtspunkten zu überprüfen, indem der Umweltminister mit lauter zusätzlichen Forderungen gegenüber den Franzosen und den eigenen Atomkapitalisten den Unterschied zwischen französischen und deutschen WA-Kosten nivelliert.

Auf eine deutsche Plutoniumherstellung wird auf keinen Fall verzichtet. Mit der Fortführung der WAK, die "Zugang zur französischen und zur britischen Wiederaufarbeitungstechnik" (Jahrbuch der Atomwirtschaft 1989) hat, wird die nationale Wiederaufarbeitung in kleinerem Maßstab fortgeführt, außerdem bleibt eine Plutoniumproduktion von 2,5 Tonnen pro Jahr (Jahrbuch der Atomwirtschaft 1989) erhalten, die allein unter deutscher Regie steht.

"Neben der Entsorgungsfunktion erfüllt die WAK vor allem die Aufgabe einer Testeinrichtung für die Erprobung neuer Komponenten." (Jahrbuch der Atomwirtschaft 1987)

Die Forderung, daß La Hague den deutschen Sicherheitsbestimmungen zu entsprechen habe - G. Schmitt, SPD, weist auf den "anerkannt schlechten Standard der Sicherheit von Atomanlagen in Frankreich hin" (SZ, 11.5.) -, heißt, daß die BRD in Zukunft darüber mitentscheidet, wie der französische Atombetrieb zu laufen hat. Wie sich das Gewicht der BRD im Verhältnis zu Frankreich geändert hat, zeigt ein Rückblick auf die 50er Jahre und die Querelen um die Euratom-Gemeinschaft. Die BRD hegte damals den Verdacht, sie werde dazu mißbraucht, die französische Atombombe mitzufinanzieren. Welche Schlagkraft die deutsch-französische Zusammenarbeit heute hat, ist dem einzigen verbleibenden europäischen Konkurrenten klargeworden.

"Inzwischen haben auch die Briten, die eine Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield betreiben, ihr Interesse an einer europäischen Zusammenarbeit bekundet." (SZ, 13./15.5.)

Unter Führung der BRD wächst die europäische Nuklearindustrie

"mit dem Ziel, in Europa lebensfähigeund solide Strukturen zu erhalten oder zu schaffen, die im hart umkämpften Weltmarkt mit Japanern und Amerikanem konkurrieren können" (Hirschmann, Vorstandsmitglied der KWU, in: Atomwirtschaft und Atomtechnik, März 1989)

Auf dem Gebiet der Wiederaufarbeitung war das für 2,5 Mrd. DM, die bisher Wackersdorf gekostet hat, zu haben.

Die Zusammenarbeit von Framatome und Siemens

Auch auf dem Gebiet des Reaktorbaus sind für die internationale Konkurrenzfähigkeit Zusammenschlüsse notwendig. Zunächst haben auf nationaler Ebene Siemens und AEG in der KWU ihre Potentiale vereinigt, dann schlossen sich ASEA und BBC zu ABB zusammen. Für die Weiterentwicklung und den Export des HTR gründeten ABB und Siemens die HTR-GmbH. Jetzt haben Siemens und die staatliche Framatome ein gemeinsames Tochterunternehmen nach französischem Recht, die Nuclear Power International, für den Export von Druckwasseireaktoren und die Neuentwicklung eines Reaktortyps in der Größenordnung von 600 bis 1.000 Megawatt gegründet. Um den Erhalt der französischen Atomindustrie und die Kontrolle über sie zu sichern, intervenierte der französische Staat vor Vertragsabschluß: Der französische Staat kann sein Veto beim Export der Nukleartechnologie auf Grund des Atomwaffensperrvertrages einlegen, Siemens verpflichtet sich, die Interessen französischer Firmen nicht zu verletzen, besonders die der Firma Alsthom, der Nummer Eins auf der Welt im Dampfturbinenbau, und der Vertrag darf die Verbindungen zwischen Framatome und ihren Partnern, den französischen Energieversorgern, nicht stören ("Liberation", 14.4. ). Die Überlebenschance der französischen Nuklearindustrie (Le Monde, 14.4.) sieht so aus, daß das, was überlebt, nicht mehr eine nationale, sondern eine europäische Industrie ist.

"Und zweitens werden wir im globalen Maßstab langfristig eine Konkurrenzsituation zwischen den Unternehmen in Europa, Japan und den USA haben. Die Bemühungen um Überlebensstrategien sind, wie ich meine, ein Zeichen für den Willen zum Überleben und damit ein Zeichen für den Glauben an die Zukunft der Kernenergie, die für die europäische Nuklearindustrie und ihre Vorwärtsstrategie gute Chancen bietet." (Hirschmann, Vorstandsmitglied der KWU, in: "Atomwirtschaft und Atomtechnik", März 1989)

Die innereuropäische Konkurrenz, die früher bestand und kritisiert wurde -

"Jeder der Sechs (Mitglieder von Euratom, Red.) will mit dem Verkauf von Atomreaktoren Geld verdienen. Daran krankt die Zusammenarbeit." (Industriekurier, 18.11.1968) -,

wird in der gegenwärtigen Auftragsflaute für Reaktoren im Blick auf die Bewährungsproben auf dem Weltmarkt durch Zusammenarbeit in jeder Größenordnung ergänzt:

"Um die Durststrecke zu überwinden, müssen wir unsere Kräfte vereinen." (Jean-Claude Leny, Framatome, in: "Le Monde", 14.4.)

Allein nicht mehr konkurrenzfähige Firmen schließen sich zusammen oder werden übernommen, man rüstet sich, die außereuropäischen Konkurrenten zu übertrumpfen.

Die europäische Nuklearindustrie auf dem Weltmarkt

"Nun sind einige wichtige Märkte, wie z.B. Frankreich und Japan, nicht oder noch nicht zugänglich, und andere unterliegen sehr starken direkten und indirekten protektionistischen Einflüssen, aber die starke Orientierung der europäischen Firmen Framatome, ABB und Siemens/KWU in Richtung USA werden weltweite Auswirkungen auf die Wettbewerbsstrukturen und die Marktzugänglichkeit haben." (Hirschmann)

Nicht nur der Bau, der Unterhalt, auch der Abbruch von Reaktoren ist ein erfolgversprechendes Geschäft, das die Europäer dominieren wollen: In den nächsten 10-30 Jahren eröffnet sich ein Markt von mehreren Mrd. DM. Und auch hier werden Konkurrenzvorteile der Europäer konstatiert:

"Der entscheidende Aspekt dieser Entwicklung aber ist, daß die dominante technische Position der europäischen Nuklearfirmen, bestätigt durch die exzellente Verfügbarkeit der Anlagen, ihr eine führende Rolle in der Gestaltung des internationalen Servicegeschäftes ermöglicht." (Hirschmann)

Ein Konkurrenzvorteil der europäischen Nuklearindustrie gegenüber der japanischen und amerikanischen ist die "Referenzbasis" von rund 170 gebauten oder im Bau befindlichen Kernkraftwerken.

"Gegenüber den amerikanischen Firmen können wir zusätzlich auf die Erfahrungen bei der schlüsselfertigen Errichtung von Anlagen verweisen, ein Vorteil, der gerade im Export von Anlagen und beim Technologietransfer ein besonderes Gewicht hat.

Ein weiterer, nicht unwichtiger Aktivposten in der europäischen Bilanz ist die Tatsache, daß die Europäer über kommerzielle Wiederaufarbeitungsanlagen verfügen bzw. diese sich wie in der Bundesrepublik Deutschland in der Errichtung befinden und zwei Anreicherungstechnologien, nämlich das Diffusions- und das Zentrifugenverfahren, kommerziell genutzt werden. Auch die Entwicklung der Endlagerkonzepte bzw. -technologie befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium, so daß die europäische Industrie auch in allen Fragen des Brennstoffkreislaufes ein kompetenter Partner ist." (Hirschmann)

An einem zukünftig wieder zunehmenden Geschäft zweifelt keiner der Atommanager. Über mindestens einen Auftrag für das deutsch-französische Konsortium wird derzeit verhandelt, es geht um den Bau eines 600-MW-Reaktors in Indonesien. Weitere Aufträge werden erwartet:

Vergabeerwartungen für Kernkraftwerke bis zum Jahr 2000

Realistische Projekte:

Belgien 1

BR Deutschland 2

China 4

Finnland 1

Frankreich 6

Großbritannien 4

Japan 7

Korea 2

Niederlande 1

Spanien 2

Taiwan 2

11 Länder 32 Blöcke

Mögliche Projekte:

Länder 11 Blöcke

(Hirschmann)

"Milliardengrab" HTR-Projekt

Neben den angeblich hinausgeworfenen Milliarden für Wackersdorf erregt sich die Öffentlichkeit, z.B. die "Süddeutsche Zeitung" in dem Artikel "Wie der Kugelhaufenreaktor ins Aus geriet", über ein weiteres, angeblich gescheitertes Projekt der deutschen Atomindustrie, den Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop. Zum einen könnte allein schon die Tatsache, daß es sich bei diesem Gerät um einen Versuchsreaktor handelt, dem kritischen Zeitgenossen klarmachen, daß die Kosten-Nutzen-Rechnung dieser Anlage nicht über die produzierten Gigawattstunden geht. Vielmehr dient dieser Reaktor der Entwicklung der Technologie, die Hälfte der Stillstände im Jahr 1987 waren für Optimierungsarbeiten, Überprüfungen und diverse Versuche mit dem Abschaltmechanismus geplant. Der Bau und Betrieb des Reaktors hat die gewünschten Ergebnisse zu 80% erbracht, wie der Forschungsminister mitteilte. Die Anlage ist für eine weitere Optimierung der Technologie "wegen einer gasdynamischen prototypischen (Hervorh. durch die Red. ) Besonderheit in der Brennelementbeschickungsanlage" (Atomwirtschaft und Atomtechnik, 5/88) veraltet, mit ihr lassen sich keine weiteren Erkenntnisse, von der Abbruchtechnologie einmal abgesehen, gewinnen. Und im Unterschied zu einem Kohlekraftwerk läßt sich ein Kernreaktor nicht einfach umbauen. Für die Entwicklung zur Serienreife dieses Reaktortyps wird noch ein weiterer Versuchsreaktor benötigt, und der wird von ABB/Siemens mit dem Staatskomitee für die Nutzung der Atomenergie im Kernforschungszentrum in Dimitrowgrad als großtechnische Versuchsanlage mit einem 200-MW-Hochtemperaturreaktor in Modulbauweise errichtet. Mit der Volksrepublik China verhandeln die beiden Firmen über eine langfristige Zusammenärbeit. Nach dem angeblichen Scheitern des HTR in Hamm-Uentrop verkündet die KWU:

"Wir können mit Genugtuung feststellen, daß die europäische Industrie mit der HTR-Technologie in der Welt führend ist auf einem Sektor, der zunehmendes Interesse verzeichnet." (Hirschmann)

Der Gedanke, die Industrie halte aus Starrsinnigkeit an einer gescheiterten Technologie fest, wird in der "Süddeutschen Zeitung" vom 11.5. damit begründet, daß die USA ihr HTR-Programm schon 1973 zusammengestrichen hätten. Die deutsche Nuklearindustrie hingegen hält sich in Zusammenarbeit mit europäischen Firmen alle Optionen auf dem Gebiet des Atoms offen, seien es verschiedene Reaktortypen, unterschiedliche Urananreicherungsverfahren, unterschiedliche Wiederaufarbeitungs- und Endlagerverfahren. So sieht der deutsche Einstieg in den Ausstieg aus.

Wackersdorf erweist sich als eine Größe, mit der die europäischen Nationalisten und ihre florierende Atomindustrie kalkulieren. Die Anti-Atom-Szene ergeht sich in dem Genuß, in Bayern ein Zeichen ihres Sieges vor sich zu haben. So sind beide Seiten zufrieden.