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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1988 erschienen.

Systematik

Die Grünen gehen ihren Weg
WIE DER WILLE ZUR POLITIKFÄHIGKEIT EINE PROTESTPARTEI KAPUTT MACHT

Bei den Grünen herrscht Streit. Gegenseitig werfen sich ihre Sprecher die Schuld an der "katastrophalen Situation" vor: Laut wird über die Krise ihrer Partei nachgedacht. Einige drohen mit Spaltung, andere halten das für so verantwortungslos, daß sie sich schwer Mühe geben, um der Sache der Partei willen die streitenden Positionen wieder miteinander zu versöhnen.

Das alles erfüllt die anderen Parteien und auch die Öffentlichkeit mit Schadenfreude. Sie haben die Partei mit dem grünen Anstrich nie leiden können und haben diese Konkurrenzpartei nie in den erlauchten Kreis der Gemeinsamkeit aller Demokraten aufgenommen. Zu staatszersetzend erscheint ihnen bis heute der Anspruch, mit dem Ideal von der Politik als Schutz der Heimat und Dienst am Ansehen in der Politik ernstzumachen. Deshalb hat, seit es die grüne Partei gibt, die Hetze gegen sie nie aufgehört. Ziemlich radikal haben die christlichen, liberalen und sozialen Parteien allerweil zum Ausdruck gebracht, daß diese andere Partei eigentlich in der Parteienlandschaft und überhaupt im freiheitlichen System der Republik nichts zu suchen hat. Dagegen ist bei den Grünen, sie mögen sagen und tun, was sie wollen, kein Kraut gewachsen. Die etablierten Parteien sind nämlich erst zufriedengestellt, wenn keine grünen Abgeordneten mehr in den Parlamenten sitzen.

Um so ärgerlicher, daß die ehemals als radikaloppositionelle Protestpartei angetretenen Grünen alles versuchen und schon unternommen haben durch Veränderungen ihrer politischen Strategie und ihres Programms, durch positive Bekenntnisse zu den Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung und durch sanfte Formen ihres Auftretens im Parlament und anderswo zu einer anerkannten glaubwürdigen und seriösen Partei zu werden. Das gelingt ihnen tatsächlich erst, wenn sie von der politischen Bühne abtreten.

Genauso ärgerlich ist der Streit, der - nach Mißerfolgen im einige Landtagswahlen - bei den Grünen läuft. Da findet keine Auseinandersetzung über die richtige Kritik an den Wirkungen des Systems statt, in dem man Opposition sein möchte. Es handelt sich, genaugenommen, nicht einmal um einen Richtungsstreit, die Ziele der Partei und die Mittel zur Durchsetzung betreffend. Die von den Streitenden allesamt geforderte "inhaltliche Klärung" ist verlogen, weil jede Kritik an den herrschenden Verhältnissen, jeder politische Standpunkt, der sich aus der Kritik ergibt (ganz abgesehen davon, was von ihm zu halten ist), durch das stattfindende Ringen um die beste Glaubwürdigkeit der Partei vor Gott und der Wählerwelt seine Relativierung erfährt und schließlich ganz von diesem methodischen Gesichtspunkt ersäuft wird.

Andererseits ist diese Entwicklung der Grünen nur konsequent. Sie haben ja aus den unübersehbaren Wirkungen kapitalistischen Wirtschaftens: Umweltzerstörung und anderen, der Gesundheit der Leute ziemlich abträglichen Erscheinungen, sowie aus den Folgen staatlicher Energiepolitik und der nationalen Aufrüstung nicht den Schluß auf das kapitalistische System mitsamt seiner demokratischen Staatsgewalt gezogen und eben dieses System als den Grund für all die bekannten Sauereien entdeckt. Die Grünen wollen vielmehr die angeblich höchsten Güter der Nation, Frieden und Natur beim Staat einklagen, so als müßte dieser im Grunde genau diese Sorgen haben, würde sich dabei aber gewissenloser Vernachlässigungen schuldig machen. Und da Vater Staat längst nicht so tat, wie Umweltbewegung und Friedensbewegung verlangten, war der nächste Schritt kein Wunder. In dem Glauben, dort seien die alternativen Anliegen wirksamer durchzusetzen, wurde man Partei, stellt sich zur Wahl und zog in die Parlamente ein.

Damit aber sind Wahlerfolge und die Ventilierung der besten Methoden, wie man sie sichern und verbessern kann - mit dem schönen Argument, da man unter 5% gar nichts durchsetzen könne - zur conditio sine qua non grüner Politik geworden. Dann aber dreht sich die ganze Politik um diesen "Inhalt" - gewisse Anpassungen der Protestpartei an ihre parlamentarische Rolle sind zu vollziehen, ob man will oder nicht. Worum kann es dann noch Streit geben? Und wie verläuft der, nicht erst heute, da die Grünen ihre Krise erklären?

Die eingleisige Doppelschiene der grünen Partei

Ohne Wählersoziologie und die Arithmetik der komplexen Psychologie der "neuen Mittelschichten" kommt die Sache der Grünen einfach nicht vorwärts.

"Es findet ein Einstellungswechsel zwischen Wählern und Grünen statt, der auf keinen Fall unproblematisch ist, drückt sich doch in ihm das gegenwärtige Dilemma der Grünen aus, einerseits noch immer eine tatsächliche alternative Partei mit starker Bindung an außerparlamentarische Bewegungen zu sein, 'die' Gesellschaft und die konkurrierenden Parteien mit einer Programmatik 'radikaler' Einschnitte in gängige Wachstums-, Industrie- und Technologieorientierungen unter Diskurs- und (Ja!) Handlungsdruck zu setzen, andererseits aber auch tatsächlich exekutive und administrative Entscheidungspositionen und Geltungsspielräume 'erobern' zu müssen. Während sie sich bei ihren 'traditionellen' Wählerinnen dem Verdacht einer unaufhaltsamen Annäherung an die 'Logik' bleierner Bürokratiekomplexe aussetzen müssen, können sie andererseits neue Wählergruppen ansprechen und gewinnen: So finden sich in der grünen Anhängerschaft und besonders in der Wählerschaft nicht mehr nur die Lieferanten von Humandienstleistungen, sondern auch 'Freunde' und Abhängige der neuesten technologischen Entwicklungen. Wenn als wesentliches Merkmal der 'neuen Mittelschichten' ihre sukzessive Fragmentierung und ein im Wege sozialer Differenzierung und technologischer Dynamik erzeugter Wandlungscharakter angenommen werden müssen, so werden die Grünen ihrerseits in ihren Strukturen und 'selbstgeschöpften' Zielvorgaben politischen Pragmatismus und soziale Lernfähigkeit abzubilden haben." (Tom Styck, Grüner Kreisvorstand Frankfurt; Helmut Wiesenthal, ehemals Bundestagsvorstand der Grünen)

Unter dem Gesichtspunkt der Attraktivität der Grünen Partei für den Wähler will man sich als Protestpartei vorstellen, um sich die Anhängerschaft aus dem Bewegungspotential zu erhalten. Unter demselben Gesichtspunkt ist Wählerbetörung mit der Demonstration von Radikalität natürlich eine beschränkte Angelegenheit. Deshalb hat man sich "normalen" Bürgern gegenüber als wählbar zu erweisen dadurch, daß man staatliche "Entscheidungspositionen" einnimmt und es schafft "politischen Pragmatismus... abzubilden. " Als Problem erscheint den grünen Wahlstrategen nicht die Kleinigkeit, daß die Öko-Partei ausgerechnet bei Freunden des technologischen Fortschritts Anhängerschaft sucht. Ein "Dilemma" existiert nur auf dem Felde der Herstellung von Glaubwürdigkeit für diverse Wählerschichten: Eine zu radikale Programmatik könnte die neu umworbenen Wählergruppen abschrecken. Eine Mauserung zu einer stinknormalen Regierungspartei birgt die Gefahr in sich, daß sich "traditionelle Wähler" abwenden, die sich von der oppositionellen Seite der Partei haben anmachen lassen. Die Lösung dieses originellen Problems, das mit unterschiedlichen Auffassungen über Kritik der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit verschiedenen Wegen zu ihrer Veränderung nichts mehr zu tun hat, ist bekannt. Bei den Grünen gibt es zum Zwecke des Stimmenfangs eben beides, das oppositionelle Element und das Element, das die Partei als eine vorstellt, die Verantwortung übernimmt und sich um das politisch Machbare kümmert. Sie sind verkörpert in Fundis und Realos. Der eine sieht die Chance der Partei so:

"Die Grünen dürfen sich nicht in radikale Utopien flüchten, sondern müssen tatsächlich die Machtfrage stellen." (Joschka Fischer)

Der andere sieht sie etwas anders:

"Wenn neue soziale Bewegungen aufbrechen, sind wir nur noch eine verspießerte Mittelstandspartei, die sich ein bißchen Sorgen um das Trinkwasser macht." (Marion Tuckteld, eine Fundine)

Beide Positionen meinen die Glaubwürdigkeit der Partei und denken immer schon an die nächsten Wahlen.

Der Logik jeder demokratischen Partei, der es um Glaubwürdigkeit gehen muß, um Erfolg zu haben, widmen die Grünen ihren "Anpassungsprozeß". Dabei ist es kein Wunder, daß sich diese Logik als Totschläger der oppositionellen oder auch nur alternativen Ziele und des Willens zu ihrer Durchsetzung erweist. Das heißt konkret, daß die Fundamentalposition, die nicht weniger zynisch gegenüber dem "alternativen Aufbruch" von damals als die "realistische" an den parlamentarischen Erfolg der Partei denkt, an Bedeutung verliert. Wenn man "in breiten bürgerlichen Schichten Stimmen fischen will" (die Feministinnen bei den Grünen über die Grünen), dann zählen Regierungsbeteiligung, "Bündnisfähigkeit" mit den gestandenen Parteien, das sogenannte "sachliche" Debattieren im Parlament allemal mehr als ein frecher Standpunkt, der es nicht mit dem Respekt hat. Das weiß der Wähler auch ohne die Hetze der bürgerlichen Parteien gegen die Grünen, daß man das Parlament nicht mit Opposition verwechseln darf. So stehen dann programmatische Ziele der Partei und Leute, die sie noch vertreten, dem parlamentarischen Erfolg im Wege, werden grüne Grundsatzforderungen der Glaubwürdigkeit der Partei geopfert. Die Fundis, die noch merken, daß die ganze Andersartigkeit ihrer Partei im stinknormalen demokratisch-bürgerlichen Sumpf versinkt, wissen - so sehr sind sie schon längst Parteigänger der Gepflogenheiten demokratischen Parteientums - auch nichts besseres, als den Realos vorzuwerfen, sie hätten "gültige Beschlüsse revidiert", "unter Umgehung basisdemokratischer Diskussionsprozesse".

"Konkret werfen die Verfasser des Briefs (die Abgeordneten Regina Bott, Thomas Ebermann und Ellen Olms) führenden Realos vor, den von der Partei beschlossenen Boykott der Volkszählung durchbrochen zu haben, die 'Beschlußfrage' zur 'Unvereinbarkeit' von NATO-Mitgliedschaft und grüner Fiedenspolitik aushebeln zu wollen, den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, den die Partei fordert, öffentlich als 'irreal' zu bezeichnen, und anstatt die im Programm festgestellte Notwendigkeit der Vergesellschaftung der Stahlindustrie zu vertreten, für 'mehr Markt' zu plädieren." (Frankfurter Rundschau, 3.12.)

Auf den Gedanken, daß es am Willen zu parlamentarischer Mitwirkung liegt, weshalb grüne oppositionelle Anliegen ganz schön hintangestellt oder liquidiert werden, sind sie nicht gekommen. Aber das hieße ja auch den Marsch der Grünen in die Parlamente für falsch anzusehen, und welcher Grüne mag schon so fundamental sein wollen.

Gipfel grüner Glaubwürdigkeit - ein lautes Ja zu staatlichem Gewaltmonopol

Als Höhepunkt des "Anpassungsprozesses" an das demokratische Parteientum haben sich die Grünen die ihnen von ihren Gegnern aufgemachte Gretchenfrage: "Wie hältst du's mit der Gewalt?" sehr zu Herzen genommen und versuchen der frechen Anmaßung, die in der Frage steckt, ziemlich grundsätzlich zu entsprechen. Das fällt sogar den "Feministinnen unter den Grünen" unangenehm auf; andererseits aber haben sie vollstes Verständnis, daß Bekenntnisse zum Gewaltmonopol des Staats unverzichtbar sind für das Programm der Normalisierung der Partei.

"Überhaupt ist das Mittel der Distanzierung zentral geworden in der Grünen-Politik. Warum haben die Grünen es nötig, sich ständig von Gewalt zu distanzieren? Die öffentliche Meinung zwingt es ihnen einerseits auf, der Druck, nach außen völlig 'normal', 'mehrheitsfähig' zu erscheinen; zum anderen ist es ein brillantes Mittel, um sich gegen die eigenen ungeliebten Parteigenossinnen abzugrenzen, die allein dadurch, daß sie sich nicht ständig distanzieren, in den Geruch kommen, nicht für Gewaltfreiheit zu sein."

Ein wahrhaft interessanter Streit. Aber für die Glaubwürdigkeit der Partei muß auch noch der Schein von Radikalität abgelegt werden. Dafür bekennt man sich heftiger zu Staatstreue, als das der normale Bürger tut. Obwohl die Grünen sich gar nicht vermummen, fordert der Saubermann Fischer - nach den Polizistenmorden - "mit hörbar bewegter Stimme" zur freiwilligen "Entmummung" auf. Warum sich Demokraten gegen staatliche Observation schützen, worum es bei dieser oder jener Demonstration geht, dazu wird kein Wort mehr verloren. Frau Schoppe hat die originelle Idee, "mit Mord könne man keine humane Gesellschaft schaffen". Ja, wer hat denn das behauptet, gute Frau? Schily führt sich gleich wie ein Oberstaatsanwalt auf und reagiert garantiert unpersönlich aber hoheitsvoll-staatsmännisch "mit Entsetzen und Trauer". Eine Akkumulation von Bekenntnissen zum staatlichen Gewaltmonopol hebt an, zu demselben Staat, den sie eben noch als Verursacher von Umweltzerstörung und Friedensgefährdung beschuldigt haben. Dabei schafft Schily sogar den Aberwitz, viele, ach so nützliche, Seiten staatlicher Gewaltausübung aufzuzählen, die er im Sozialkundeunterricht gelernt hat. Und ein paar ungezogene wie Jutta Ditfurth, die ja nun wirklich nur ein paar unangenehme Wahrheiten gesagt hat, werden öffentlich und demonstrativ zu Anstand angehalten.

An die Stelle der Kritik des falschen Kampfes der Autonomen tritt die Distanzierung; statt Kritik an den wirklich nicht zu übersehenden Wirkungen des Gewaltmonopols zu üben, bekennt man sich zu ihm aufs schärfste. Man will unbedingt den Verdacht loswerden, man hätte mit irgendwelchen staatsfeindlichen Umtrieben irgendetwas zu tun. Trotz all dieser Anstrengungen will der politische Gegner diesen Verdacht gar nicht loswerden. Er braucht ja auch nur darauf zu verweisen, daß "gewaltfreier Widerstand" immer noch Widerstand ist, und der gehört sich nicht in unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung.

Entschieden gegen Spaltung

Wenn die Wahlerfolge nicht mehr so selbstverständlich sind wie bisher, muß es natürlich Streit geben in der Grünen Partei. Der läuft so, wie er jetzt läuft zwischen Fundis und Realos, und so lange, wie es bei den Grünen noch Leute gibt, die daran glauben, daß sich radikale Opposilion und parlamentarischer Weg vereinbaren ließen, alternative Ziele ein Mittel seien, um Glaubwürdigkeit und Wahlerfolge zu erzielen, während die Realos das längst als Traumtänzerei abtun. Daß die Fundis, die ja mitbekommen, daß alle oppositionellen Eingriffe, die man sich einmal vorgenommen hat, Zug um Zug auf der Strecke bleiben, sich nicht einfach abseilen, um etwas eigenes in ihrem Sinne auf die Beine zu stellen, und sich die Realos nicht einfach von den "Utopisten" trennen, liegt sicherlich nicht daran, daß sie sich letztlich doch noch mögen. Beide Seiten stellen den Erfolg der Partei, mit dem nötigen Schuß Gleichgültigkeit gegenüber dem 'Wie' und 'Für was', über alles. So kommt Spaltung überhaupt nicht in Frage, und schon der stattfindende Streit wird unter dem inhaltslosen Gesichtspunkt geführt - das haben die Grünen inzwischen auch schon von den bürgerlichen Parteien gelernt -, wie er und daß er dem Ansehen der Partei schadet. Selbst die Basis, über die die Grünen im Unterschied zu den anderen Parteien verfügen wollen, führt sich im Grunde wie stinknormales Wählervolk auf, wenn sie bei der Bundestagsfraktion gegen den "Streit der Fraktion und die Profilierungssucht einiger Grünen-Bundestagsabgeordneter auf Kosten der Glaubwürdigkeit der gesamten Partei" protestiert. Also gehen die Führenden der Partei daran, Gemeinsamkeit zu stiften. Eine ganze Abteilung der Grünen macht Versöhnung zu ihrem Programm und findet sich in ihrer Rolle als "Neutros" wieder. Diese Leute mit dem geschlechtslosen Namen würden es weit von sich weisen, wenn man ihnen unterstellt, sie würden keine "inhaltliche Klärung" mehr anstreben. Wenn "Identität" zeigen sein muß, weil die Umwelt auf so etwas sieht, bleiben natürlich auch andere Kindereien nicht aus. Da geht es dann um so heiße Fragen schon wieder was gelernt von den "Staatsparteien" - wie den angemessenen Proporz der Besetzung der diversen Vorstände: Fundis zu Realos 1:1; 1 Fundi 2 Neutros 1 Realo; nur Neutros in die Vorstände; oder wie oder was?

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Wir halten nicht viel von den Grünen, weil wir ihre Kritik für falsch halten. Wenn nun auch dieses bißchen Opposition in der Bundesrepublik so saudumm und kotzbürgerlich den Bach runter geht, dann zeigt das nur, wie ansteckend die Prinzipien der Wende sind.