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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1988 erschienen.

Systematik

Gentechnologie
WARUM INTERESSIEREN SICH STAAT UND KAPITAL FÜR DIE BEHERRSCHUNG DES ZELL-STOFFWECHSELS

Gefährlicher als die Atomkraft und ökonomisch mindestens so brisant wie der Computer, und das alles, bevor überhaupt ein Profitchen (außer an der Börse) gemacht wurde oder der erste Störfall heruntergeredet werden mußte: Die Gentechnik gilt als eine unser künftiges Schicksal bestimmende Macht. Die kritische Öffentlichkeit diskutiert schon jetzt über deren Ambivalenz, wo der Einteilung in Fluch und Segen das Material noch gänzlich abgeht; man ist sehr stolz auf das eigene Problembewußtsein, das diesmal schon so früh und voraus schauend zum Zuge kommt. Allen voran sind die Politiker sich sicher, daß mit der modernen Mikrobiologie Großes auf sie zukommt. Einerseits zurecht, insofern sie eben unter Mobilisierung sämtlicher Idealismen der Zukunftsplanung und der Technologiefolgenabschätzung beschließen, für die Relevanz der Sache zu sorgen, die an sich nur aus wissenschaftlichen Einsichten und mehr oder weniger gediegenen technischen Möglichkeiten besteht und daher weder überhaupt Folgen haben noch ausgerechnet den staatlichen Garanten entschieden marktwirtschaftlicher Produktion interessieren kann. Andererseits ist der spekulative Charakter solcher Beschlüsse, siehe die Vergleiche, und damit ihr negativer Grund auch kein Geheimnis. Die eigene Nation soll an der Entwicklung des nächsten technischen Knüllers, wenn er denn einer wird, unbedingt und maßgeblich selber beteiligt sein und Positionen vor und gegen die lieben Konkurrenten besetzen. Die Sortierung des Neulands in veritable Goldminen, strategische Gebiete und uninteressante Wüsteneien wird sich dann schon von selbst ergeben.

Science and Fiction I.

Der Vergleich ist auch das liebste Auskunftsmittel der Leute, die genauestens über die verhandelte Sache selbst berichten könnten. Die Exponenten mikrobiologischer Forschung gehen mit dem Propagandagedanken hausieren, daß ihre Wissenschaft - wie Physik und Chemie zuvor - die Welt umkrempeln und überhaupt das 21. Jahrhundert beherrschen würde. Zum größeren Lobe neugewonnener Einsichten und der beteiligten Forscherpersönlichkeiten geniert man sich nicht, die "alte Biologie", die es in puncto Bedeutung offenbar nicht weit genug gebracht hat, als eine einigermaßen vorwissenschaftliche Veranstaltung hinzustellen:

"Die Biologie des Jahre 1985 unterscheidet sich dramatisch von der Wissenschaft, die man noch vor zehn Jahren so bezeichnet hat... Traditionsgemäß ist die Biologie immer eine beschreibende Wissenschaft gewesen. Die Vielzahl der Organismen wurde katalogisiert, ihre Merkmale wurden aufgelistet und ihre Strukturen makroskopisch wie mikroskopisch untersucht. Bei der bloßen Beschreibung von Organismus-Merkmalen, des Phänotypus, fragten die Biologen aber nicht nach den Triebkräften der Lebensvorgänge, sondern beschäftigten sich lediglich mit deren Folgen... Mit der eben erworbenen Fähigkeit, Moleküle darzustellen und zu manipulieren, muß sich der Biologe auch nicht länger damit zufriedengeben, das Leben als bisher letztes Stadium einer Entwicklung von mehr als zwei Milliarden Jahren zu untersuchen. Mit den neuen Arbeitstechniken ist es inzwischen möglich, wichtige Elemente des biologischen Bauplans nach Gutdünken zu ändern und so Lebensformen entstehen zu lassen, die von der natürlichen Evolution niemals vorgesehen waren." (Spektrum der Wissenschaft, 12/85)

Noch die dickste Eurosau erinnert durch individuelle Ausprägung, unflexiblen Lebenszyklus, Neigung zu Krankheiten etc. daran, daß sie nicht wie eine Maschine ingenieursmäßig durchkonstruiert wurde. Die Benutzung der lebendigen Natur beruht auf der zweckmäßigen Auswahl, züchterischen Anpassung und äußeren Beeinflussung vorhandener Existenzen und gewährt nicht die Freiheiten, deren sich das Kapital (unter Naturwissenschaftlern ebenso liebevoll wie dumm als "die Praxis" bekannt) dank Physik und Chemie bei der industriellen Produktion erfreut. Daher das Ideal, Lebendiges (zwar nicht wie bei den Altvorderen, aus unbelebter Materie, aber immerhin:) rein als Träger nützlicher Eigenschaften und Funktionen konzipieren und herstellen zu können. Wenn nun moderne Biologen beanspruchen, diesem Ideal den entscheidenden Schritt nähergerückt zu sein, so liegt das am Inhalt der inzwischen vorhandenen Ergebnisse und nicht etwa daran, daß sie an die Stelle des bloßen Beschreibens endlich die Frage nach den Triebkräften der Lebensvorgänge gesetzt hätten. Das moderne Zeug beruht denn auch auf mindestens doppelte Weise auf den Leistungen der Vorgänger.

Erzeugt wird, was da kreucht und fleucht, die MSZ verrät da sicher kein Geheimnis, durch Fortpflanzung, also von Seinesgleichen. In den Nachkommen werden die Eltern und damit die Gattung reproduziert, wie auch immer die Techniken der Vermehrung und die äußeren Umstände im einzelnen aussehen mögen. Diese Kontinuität und die damit einhergehende geringfügige Variation von Eigenschaften bildet den Gegenstand der Genetik. Sie erkannte, beginnend mit G. Mendel 1864, den Unterschied von Erscheinungsbild und genetischer Ausstattung eines Organismus und deren kombinatorischen Charakter; man schloß aus den gefundenen Gesetzen auf die Existenz von Genen, das heißt elementare Faktoren der Vererbung. Aufklärung über die Gene erbrachte dann schließlich ein halbes Jahrhundert-Chemie der Zelle. Die die Vorgänge in lebenden Organismen vermittelnden Eiweißstoffe müssen ihrerseits mit Hilfe einer anderen Sorte Makromoleküle aufgebaut werden. Diese Substanz, DNA geheißen, determiniert die Struktur und damit Funktion der produzierten Eiweiße; sie vermag sich selbst zu verdoppeln und wird bei Vermehrungsvorgängen weitergereicht. Diese Eigenschaften qualifizieren die DNA zum Träger der Vererbung.

Genauere Aussagen über Bau und Wirkungsweise der DNA kann man in jedem modernen Biologiebuch nachlesen. Für uns genügt die folgende Zusammenfassung:

Die DNA liegt normalerweise in Form von mikroskopisch sichtbaren Chromosomen vor, die bei Zellen höherer Organismen in einem Zellkern zusammengefaßt sind. Körperzellen enthalten einen doppelten, Keimzellen einen einfachen Chromosomensatz, aus dem dann bei der Befruchtung wieder die Normalausstattung resultiert. Die zu einem Organismus gehörigen Zellen, weil aus derselben befruchteten Eizelle entstanden, stimmen in ihrer Erbsubstanz überein.

DNA-Moleküle sind im wesentlichen Aneinanderreihungen vieler (einige Tausend bis Hunderte Millionen) kleinerer Moleküle, sogenannter Basen oder Nukleotide. Es gibt vier verschiedene solcher Basen. Die Abfolge dieser Basenmoleküle in einem DNA-Strang, und nicht die summarische Zusammensetzung, begründet die Funktion der DNA für die Eiweißsynthese. Eiweißstoffe sind ihrerseits im wesentlichen Ketten kleinerer Moleküle, nämlich von Aminosäuren. Teilfolgen von drei Nukleotiden, sogenannte Triplets, werden bei der Protein-Biosynthese in jeweils eine spezifische Aminosäure übersetzt, größere DNA-Abschnitte entsprechend in Aminosäuresequenzen. Das Entsprechungsverhältnis von Nukleotidtriplets und Aminosäuren ist fix und universell, d.h. in der ganzen lebenden Natur gleichermaßen gültig; die DNA determiniert also durch ihre Nukleotidsequenz die in der Zelle aufzubauenden Eiweiße. Man spricht deshalb vom "genetischen Code" und bezeichnet die DNA als "Erbinformation"; natürlich handelt es sich dabei, auch wenn die analogiereichen Redensarten ("Bauplan", "Handlungsanweisung", "Wissen") der Genetiker oft das Gegenteil suggerieren, um ein Verhältnis zwischen materiellen Dingen, ungefähr so wie zwischen Gußform und Gußstück. Der genetische Code ist heute bekannt, so daß man grundsätzlich (eine Komplikation wird unten genannt) von DNA- auf Eiweiß-Strukturen schließen kann und umgekehrt, wenn eine der beiden Seiten bekannt ist. Technische Verfahren zur Sequenzanalyse auch größerer DNA-Abschnitte existieren inzwischen.

Innerhalb der vier Nukleotide gibt es wiederum ein festes Entsprechungsverhältnis: Je zwei von ihnen können sich, zusätzlich zu ihrer Einbindung in den DNA-Strang, auch noch untereinander verbinden. Diese Paarbildung komplementärer Basen erlaubt es, DNA-Moleküle informationserhaltend zu vervielfältigen. Im Normalfall zeigt die DNA die berühmte Doppel-Helix als Superstruktur: Zwei aus komplementären Basen aufgebaute parallele DNA-Stränge sind zu einer Spirale gewunden. Zur Verdoppelung des Erbmaterials für die Zellteilung trennen sich die beiden Stränge und bauen ihr jeweiliges Gegenstück durch Anlagerung freier Basenmoleküle wieder auf. Ähnliches geschieht bei der Expression der Erbinformation. Ein von seinem Komplement abgelöster DNA-Abschnitt wirkt durch Basenanlagerung als Matrize für den Aufbau eines neuen Moleküls, das den Code für ein Eiweiß an den Ort der Synthese bringt, während das Urbild im Zellkern verbleibt und für weitere Kopiervorgänge zur Verfügung steht. Tatsächlich ist jene Transportkopie kein DNA-Molekül, sondern aus einem sehr ähnlichen Stoff, RNA geheißen. Die chemischen Unterschiede von DNA und RNA brauchen uns hier genausowenig zu interessieren wie der weitere Verlauf der Eiweißsynthese, also die praktische Betätigung des genetischen Codes. Wichtig für die gentechnische Forschung ist die RNA unter anderem deshalb, weil sie eine weitere und überdies funktionell spezialisierte Existenzweise der Erbinformation darstellt. Zum Beispiel besitzen Körperzellen, die ein bestimmtes Hormon herstellen, zwar qua DNA dieselbe genetische Ausstattung, dasselbe "Genom", wie der Rest des Organismus, produzieren und enthalten aber vorwiegend die ihrer arbeitsteiligen Funktion entsprechende RNA.

Ein Gen ist also ein DNA-Abschnitt, der ein Eiweiß codiert. Ein DNA-Molekül enthält eine große Anzahl solcher Gene; es muß also auch Anfangs- und Endemarkierungen, also gleichsam Satzzeichen, für deren Aneinanderreihung geben. Dieses Grundschema wird erheblich kompliziert dadurch, daß die Gene höherer Organismen meist gestückelt vorliegen, d.h. reichlich Nukleotid-Folgen als Einschübe enthalten, die keine Entsprechung im produzierten Eiweiß haben und bei der Umsetzung der Erbinformation unterdrückt werden. Die Funktion dieser Einschübe, wenn es eine gibt, ist noch nicht bekannt. Sie bilden ein praktisches Problem, wenn man Gene aus höheren Zellen in Bakterie zur Expression bringen will. Eine weitere offene Frage ist die Steuerung der Gen-Expression in ihren verschiedenen Phasen. Die in der DNA verschlüsselten Eiweiße werden von der Zelle nicht gleichzeitig und nicht gleichermaßen benötigt; die spezialisierten Zellen höherer Organismen exprimieren nur einen sehr kleinen Teil ihrer Geninformation. Die Untersuchung solcher Steuerungsmechanismen, die ebenfalls an Markierungen auf der DNA ansetzen, ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Im Unterschied zur Universalität des genetischen Codes selbst gibt es hier sicher kein für alle Organismen zutreffendes Schema.

Die Komplikationen und Fragen, mit denen sich die Genetik jetzt weiter herumschlägt, sollen hier nicht verfolgt werden. Die vorhandenen Resultate reichen offenbar aus, um praktische Anwendungen in Angriff zu nehmen, wovon gleich zu berichten sein wird. Und sie reichen den beteiligten Forschern erst recht aus, weltanschauliche Resümes zu ziehen. Wie immer, wenn Naturwissenschaft populär und das heißt leider philosophisch wird, gibt es zwei komplementäre falsche Positionen.

"Jetzt können wir den Menschen definieren. Genotypisch wenigstens ist er 6 Fuß einer bestimmten molekularen Reihenfolge von Kohlenstoff-, Sauerstoff-, Stickstoff- und Phosphoratomen..." (Nobelpreisträger J. Lederberg)

Diese Zierde seines Fachs bringt es fertig, den von ihm miterarbeiteten Stand der Erkenntnis in einem einzigen Satz gleich dreimal zu verfälschen. Erstens verwechselt er an der Erbinformation gezielt die Sache mit ihrer Metapher: Daß die DNA die Proteine und damit, man weiß noch nicht recht wie, auch sonst noch einiges praktisch festlegt, macht aus dieser Chemikalie noch lange keine wissenschaftliche Definition des betrachteten Organismus. Zweitens hat eine gelungene Erklärung nichts mit der pseudoaufklärerischen Tour zu tun, die erklärte Sache zugunsten ihrer Bestimmungsgründe abdanken zu lassen: Wenn irgendein Vieh wirklich bloß seine DNA wäre, hätte man sich die ganze Mühe gar nicht zu machen brauchen. Und wenn drittens wegen dieser Tour soviel Wert auf Kohlenstoff, Sauerstoff etc. gelegt wird, so ist offenbar der Witz an der DNA verpaßt, auf den die Biologen sonst so stolz sind: Die Funktion dieses Moleküls beruht auf seiner Form und nicht einfach auf seiner stoftichen Zusammensetzung, die schon zig Jahre bekannt ist.

Sprüche wie die des Herrn Lederberg pflegen Mißfallen zu erregen, weil sie der Würde des Menschen zu nahe treten, der immer weit mehr sein soll, als was man jemals über ihn herausfinden kann. Die Gegenposition zum "Reduktionisnus" ist aber auch nicht intelligenter:

"Läßt sich etwa das Leben eines Säugetiers einfach als Summe einer großen Zahl von Teilsystemen verstehen, von denen jedes durch ein jeweils anderes, aber genau definiertes Gen gesteuert wird? Doch wohl nicht. Realistischer ist da schon die Annahme, daß Gene, Gen-Produkte und spezialisierte Zellen durch Wechselwirkungen miteinander vernetzt sind und daß erst diese Beziehungen viele Aspekte des Funktionierens eines Organismus erklären. Ein Gen ist nicht isoliert entstanden, sondern im ständigen Wechselspiel mit anderen Genen über eine lange evolutionäre Zeitspanne. Die meisten Molekularbiologen geben gerne zu, daß sie noch keine umfassenden Vorstellungen davon haben, wie komplexe biologische Systeme oder Prozesse mit einer Vielzahl interagierender Komponenten als Ganzes funktionieren.." (Spektrum 12/85)

Der Hinweis auf Wissenslücken und offene Fragen mag ja richtig und vielleicht auch nötig sein angesichts der Angeberei der lieben Kollegen. Etwas anderes ist allerdings die treuherzige Versicherung, daß "doch wohl nicht" einfache Summation, sondern komplizierte Vernetzung das Leben auszeichne. Von Realismus ist bei keiner Position etwas zu entdecken: Was weiß einer denn von Biologie, wenn er erfährt, daß es da drunter und drüber geht, alles mit allem zusammenhängt, die Komponenten viele sind und die Beziehungen noch mehr? Das einzige, was er lernt, ist eine ehrfürchtige Einstellung zu dem Zeug. Und das sachverständige Zitieren der Evolution schafft auch keine Belege, sondern nur Vorwände für die Wiederholung derselben wissenschaftsmoralischen Redensarten.

Science and Fiction II.

Mutationen sind stabile Veränderungen des Erbguts. Sie haben Folgen für die Nachkommen, wenn sie Keimzellen betreffen; treten sie in Körperzellen auf, so können sie das Individuum selbst affizieren, z.B. durch Krebsentstehung. Bei niederen Lebewesen ohne sexuelle Vermehrung und entsprechende Zelldifferenzierung gibt es diesen Unterschied selbstverständlich nicht. Mutationen treten in der Natur zufällig auf- und können absichtlich, wenn auch mit im einzelnen gänzlich unvorhersehbarem Ergebnis, durch Einwirkung von Chemikalien oder energiereichen Strahlen ausgelöst werden. Mit der Einsicht nun, daß die DNA ein Kettenmolekül ist und aus der Anordnung der vielen einzelnen Komponenten ihre Wirkung erhält, ist auch das Vorkommen von Mutationen erklärt: Es handelt sich um Veränderungen der Nukleotidfolgen der DNA. Und zugleich ist die Grundlage einer Gentechnologie geschaffen: Es geht um den gezielten Eingriff in die Erbinformation, das absichtsvolle Einfügen oder Weglassen einzelner Nukleotide oder ganzer Folgen. Von besonderer Wichtigkeit, für praktische Zwecke und die Forschung, ist zunächst die Übertragung ganzer Gene, also von Natur aus sinnvoller Einheiten. Insbesondere sucht man Gene aus dem Erbmaterial höherer Organismen in Einzeller, z.B. Bakterien, zu übertragen, die sich dann leicht kultivieren lassen. Eine solche Übertragung über die Artgrenzen hinweg ist wegen der Universalität des genetischen Codes möglich.

Populäre Darstellungen pflegen das Geschäft des Gentechnikers mit der Arbeit an einem Computerprogramm zu vergleichen, wo hier ein paar Anweisungen eingefügt und dort vielleicht andere weggelassen werden. Dieser Vergleich illustriert das technische Ideal, aber kaum die tatsächlich nötigen und heute praktizierten Verfahrensweisen. Stellt man diesen Vergleich ernsthaft an, so belegt er eher das Gegenteil der Souveränität, die man dem Gentechniker zuschreiben möchte. Denn zum ersten bewegt sich dieser auf einem Terrain, das ihm erst in seinen elementaren Prinzipien, den allgemeinen chemischen Eigenschaften und Wirkungen der DNA, bekannt ist - die im folgenden beschriebenen Verfahren dienen zugleich in der Forschung dazu, überhaupt erst den Bau spezieller DNA-Moleküle, die Bedeutung einzelner Abschnitte etc. aufzuklären. Zum zweiten sind die informationstragenden DNA-Moleküle nicht wie Programme wesentlich Gegenstände des Nachdenkens, sondern komplizierte chemische Gebilde, deren bloße Handhabung schon bedeutende Schwierigkeiten macht. Und das liegt zum dritten daran, daß die lebende Zelle kein Computer ist, der zur Entgegennahme und Ausführung geeignet formulierter Anweisungen eingerichtet wurde - sie funktioniert ohne solche Einwirkungen von außen sehr gut und kann umgekehrt eingebrachte fremde DNA ebensowohl mit Nichtachtung strafen wie daran zugrunde gehen.

So kommt es, daß sich die Gentechniker zwecks "Neuprogrammierung des Lebens" an Mechanismen halten, die samt und sonders nicht zur Normalität funktionierender Zellen und der Vererbung gehören, sondern im Zusammenhang mit Krankheiten, Störungen und Unregelmäßigkeiten entdeckt worden sind. Und es verwundert auch nicht, daß der Umgang mit dem Zufall gentechnische Verfahrensweisen charakterisiert: Man produziert eine unkontollierte Vielfalt von Resultaten und sucht das gewünschte, wenn überhaupt vorhanden, auszusondern.

Die erste praktische Voraussetzung für Verfahren zur DNA-Rekombination wurde mit der Entdeckung der Restriktionsenzyme geschaffen. Dabei handelt es sich um biochemische Wirkstoffe, die DNA-Moleküle in wesentlich kleinere Teilstränge zerschneiden. Die auftretermden Schnittpunkte sind spezifisch für das jeweils eingesetzte Restriktionsenzym und durch Basenkombinationen auf der DNA definiert; haben aber mit der Gliederung der DNA in Gene nichts zu tun. (Ungefähr so, als würde man einen deutschen Text anhand des Auftretens von Umlauten gliedern.) Umgekehrt erlaubt eine andere Sorte Enzyme, die sogenannten Ligasen, solche DNA-Bruchstücke wieder (mit ähnlich zufälligem Resultat) zusammenzukleben.

Die zweite wesentliche Entdeckung betrifft sogenannte Vektoren, d.h. spezielle, natürlich vorkommende DNA-Moleküle, mit deren Hilfe sich fremde Erbinformation in lebende Zellen einschleusen und zum Funktionieren bringen läßt. Dabei sorgt die zum Vektor gehörige Steuerinformation dafür, daß die mit ihm kombinierte fremde DNA in den Prozeß der Zelle integriert, also zur Expression gebracht und mitvermehrt wird.

Die ersten tauglichen Vektoren fand man in den Plasmiden. Das sind ringförmige, relativ kleine DNA-Moleküle, die neben den Chromosomen zum Erbmaterial von Bakterien gehören, und von diesen Viechern ziemlich freizügig untereinander ausgetauscht werden, was sich im Labor nachahmen und ausnutzen läßt. (Plasmide wurden entdeckt und zugleich berüchtigt, insofern sie Antibiotika-Resistenzen codieren und quer durch die Bakterienwelt verbreiten können.) Ebenfalls als Vektoren eignen sich Viren. Viren sind eine zu selbständigem Stoffwechsel unfähige Form des Lebens; sie erhalten sich dadurch, daß sie die eigene Erbinformation einer Wirtszelle aufherrschen. Die Virus-DNA veranlaßt infizierte Zellen parasitär zum Nachbau, d.h. zur Vermehrung des Fremdkörpers. Eine Sonderform der Viren sind Retroviren. (Ihr prominentester Vertreter ist däs Aids-Virus.) Die Erbinformation von Retroviren existiert in Form von RNA; sie wird erst in der Wirtszelle in DNA umgeschrieben und überdies in die chromosomale Erbausstattung eingebaut. Ein solcher Einbau kommt bei gewöhnlichen Viren nur selten vor.

Die Kombination dieser beiden Entdeckungen - Restriktionsenzyme und Vektoren - ergibt das typische Verfahren zur Genübertragung, wie es mit dem größten Erfolg bei Bakterienzellen angewendet wird:

"Ein hochentwickeltes Genom, zum Beispiel das menschliche, kann in einige hunderttausend DNA-Bruchstücke gespalten und jedes einzelne in ein Vektormolekül eingebaut werden. Dazu muß aber nicht ein geduldiger Assistent mühsam Molekül um Molekül fusionieren; vielmehr werden Millionen der einzubauenden Fragmente mit Millionen Vektormolekülen gemischt, und nach Zugabe von DNA-Ligase läuft die Synthese binnen Minuten ab. Ist das Sortiment von Hybridmolekülen groß genug, kann man sicher sein, daß das gewünschte Gen in irgendeinem der Fragmente steckt, die an die Vektormoleküle gekoppelt sind.

Als nächstes werden Hybridmoleküle in Bakterienzellen eingeschleust, die sie viele Male kopieren. Jedes dieser Moleküle bildet so eine eigene Population von Tochtermolekülen, die mit dem ursprünglichen identisch sind. Eine solche Population bezeichnet man als Klon..." (Spektrum 11/85)

Der so liebevoll geschilderte Vorteil dieses auch als "Schrotschußexperiment" bekannten Verfahrens besteht in Wahrheit darin, daß man in der Regel eine Alternative gar nicht hat. (Für bekannte und einfache Gene, d.h. in Einzelfällen, gibt es inzwischen auch gezielte Synthesen.) Das Resultat ist jedenfalls eine wüste Mischung von Vektormolekülen, die um ein Bruchstück fremder DNA bereichert sind und nun ihrerseits das Genom von Bakterienzellen bereichern. Auswahl tut not: "Zum Klonieren gehört noch ein weiterer Schritt, der im allgemeinen der kritischste ist. Mit der Vermehrung der gesamten Hybridmoleküle sind Hunderttausende verschiedener Klonpopulationen entstanden. Wurden die Hybriden anfangs ausreichend verdünnt, so hat jede Bakterienzelle höchstens ein solches Molekül aufgenommen und vermehrt. Damit ist jede Population von solchen mit anderer Fremd-DNA räumlich getrennt. Für den Experimentator stellt sich nun gleichwohl das Problem, aus der ganzen Reihe unterschiedlicher Klonpopulationen (einer sogenannten Klon-Bibliothek) diejenige oder diejenigen herauszufinden, die ihn interessieren." (Spektrum 12/85)

Die Methoden, die zur Aufbereitung der Klonbibliothek entwickelt wurden, sollen uns hier ebensowenig interessieren wie die Vor- und Nachteile der diversen Vektoren und all die Verfeinerungen und Tricks, die sich die erfinderischen Genetiker fortlaufend einfallen lassen. Wichtig ist, daß nach dem angegebenen Grundmuster fremdes genetisches Material in kultivierbare Bakterienzellen gelangt, so daß ebensowohl die Vermehrung dieses Materials, etwa für Forschungszwecke, als auch die technische Verfügung über die Genprodukte, also eventuell nutzbare Proteine, resultiert.

Beim Transfer von DNA in höhere Zellen geht man ähnlich vor; wichtigstes Ziel ist dann aber der Einbau des fremden Gens in die chromosomale Erbinformation. Dafür geeignete Vektoren sind die schon genannten Retroviren sowie, bei manchen Pflanzen, auch ein Bakterienplasmid. Daneben versucht man auch mit einigermaßen grobschlächtigen physikalischen und chemischen Methoden DNA-Stücke direkt in Zielzellen einzubringen, wobei dann manchmal etwas an den Chromosomen hängenbleibt. Der Erfolg ist allerdings bei höheren Zellen noch weniger sicher als bei Bakterien und typischerweise auf die Freude reduziert, daß überhaupt etwas passiert ist. Berichte über erreichte Leistungen bringen denn auch deutlich zum Ausdruck, daß es sich hier noch keineswegs um eine Technik im landläufigen Sinne handelt:

"Die transgene Maus ist in erster Linie ein Werkzeug der Forschung. Bisherige Ergebnisse zeigen, daß die Integration der transferierten DNA im Genom der Empfängerzelle nachgewiesen werden konnte, daß aber Integrationsort im Empfängergenom, Genexpression, Zeitpunkt der Expression, Gewebsspezifität und Syntheserate des Proteins noch nicht beherrscht werden können." (Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie" des Deutschen Bundestags, S. 87)

Dabei bedeutet allein schon die Zufälligkeit des Integrationsorts, daß an diesem Wundertier auch was kaputt gegangen ist, weshalb die mit Fremd-DNA traktierten Mäuseeier in der Regel lieber gleich aus dem Leben scheiden und die vielen anderen genannten Probleme gar nicht erst aufwerfen. Überhaupt leidet der gentechnische Fortschritt sehr darunter, daß höhere Organismen, bei denen die Zelle eben nicht schon das ganze Vieh ist, sich schlecht dazu eignen, die Unsicherheiten der Genmanipulation durch eine astronomische Anzahl von Versuchsobjekten auszugleichen und so doch noch in eine vorzeigbare Effizienz zu überführen. Zellen höherer Organismen lassen sich nur schwer in Kultur halten und vermehren und sich erst recht kaum wieder zu einem kompletten Individuum ausbauen. In der Regel benötigt man für den letzten Zweck Keimmaterial; nur bei manchen Pflanzen gelingt eine Rekonstruktion aus somatischen Zellen, also eine vegetative Vermehrung.

Ganz gleich aber, was der Forscherfleiß der Menschheit auf diesem Gebiet noch in den nächsten Jahren bescheren wird: Zu widersprechen ist den Phantastereien, die seit der Entdeckung der rekombinierten DNA in der Öffentlichkeit zirkulieren. Denn nach der Devise:

"Die Anwendungsmöglichkeiten der Genverpflanzung werden nur durch die Phantasie des Forschers begrenzt" (Stern)

fühlt sich jedermann berufen, dem Fortschritt durch Wunschträume und Horrorvisionen auf die Sprünge zu helfen. Das Spektrum reicht von den Rieseninsekten des Science-Fiction-Kinos über universell nützliche Chimären vom Schlage der eierlegenden Wollmilchsau bis hin zum genetisch veredelten Menschen, der arbeitsfähig wie ein Roboter, intelligent wie ein Nobelpreisträger und dazu resistent gegen radioaktive Bestrahlung ist.

Diese ganze Wunderwelt ist ein zutiefst untechnischer Blödsinn, und zwar schon aus Gründen, die mit der Gentechnik rein gar nichts zu tun haben. Ameisen, die so groß wie eine Kuh wären, könnten schon wegen elementarer Gesetze der Festigkeitslehre nicht auf ihren Chitinbeinen stehen; die eierlegende Wollmilchsau wüßte sich nicht zu entscheiden, nach welcher der in ihrer Gattungsbezeichnung angegebenen Methoden sie denn ihre Kinder kriegen sollte; und wie die Resistenz lebenden Materials gegen Radioaktivität, von den genannten moralischen Desideraten ganz zu schweigen, naturwissenschaftlich funktionieren soll, bleibt das Geheimnis der Autoren solch kühner Perspektiven.

Nach heutigem Verständnis legen Gene Eiweißstoffe fest. Das nennen die Genetiker zwar skeptisch einschränkend die "Ein-Genein-Protein-Hypothese", aber diese Einschränkung, wenn sie denn eine ist, definiert sehr genau die Verfahrensweisen und Resultate der Gentechnik: Zellen werden zur Produktion bestimmter Eiweiße veranlaßt. Das Lieblingsobjekt der Gentechnologie sind deshalb einfachste Lebewesen, die sich als biochemische Maschinen in die Pflicht nehmen lassen, weil sie von Haus aus nichts anderes sind. Dagegen fallen bei höheren Lebewesen die biologischen Funktionen nicht zusammen mit den Prozessen in der Zelle; es gibt differenzierte Organe und entsprechend eine individuelle Entwicklung, von der Eizelle bis zum ausgewachsenen Elefanten, inklusive Altern und Tod. Im Verhältnis dazu sind die Einsichten und technischen Möglichkeiten der Molekulargenetik überaus abstrakt. Sie bewährt sich zunächst und typischerweise in der Erklärung gewisser Krankheiten. Wo ein Protein, ein Hormon, ein Enzym etc. in Folge eines Erbschadens fehlt, kommt die Gentechnik grundsätzlich als Reparaturinstanz in Frage, und in genau diesem beschränkten Sinne ist auch eine Verbesserung vorhandener Lebensformen denkbar. Die tatsächlichen Schwierigkeiten eines solchen Programms wurden oben schon angedeutet.

Der populäre Gedanke, daß es für alle interessanten Erscheinungen an Pflanze, Tier und Mensch die entsprechenden Gene geben müsse, ist an sich widerlegt, wenn auch nicht kritisiert durch die genannte "Ein-Gen-ein-Protein-Hypothese": So ziemlich alles, was sich die Menschheit zurecht oder zu unrecht als vererbbare Eigenschaft vorstellt, ist nun mal kein Eiweiß. Man weiß es von manchen, meist "fehlerhaften" Ergebnissen her, welche Chromosomen bzw. welche ihrer Abschnitte für die Ausbildung welcher Körperpartien (mit-) zuständig sind. Ein wissenschaftlicher Fehler ist es aber, Eigenschaften eines höheren Organismus als Resultat einer Determination durch Proteinsynthesen zu behaupten. Denn so wird nicht die jeweils thematisierte Sache erklärt und da kommt bei einer krummen Nase sicher etwas anderes heraus als bei der so beliebten Intelligenz -, sondern eine tautologische Verdoppelung vorgenommen: Die Sache ist Ausdruck des Gens, und das Gen wiederum ist der als selbständiges Ding vorgestellte Inbegriff der Sache. Man darf den Biologen glauben, daß sie den Zusammenhang von krummer Nase und irgendwelchen Proteinen, wenn es ihn gibt, schon noch herauskriegen werden; in diesem Sinne wird intensiv Embryoforschung betrieben, weil der Embryo bei der Suche nach Entsprechungen zwischen Erbmaterial und fertigem Individuum die geeignete Versuchsanordnung ist. Einstweilen behilft man sich mit dem ziemlich dürftigen Lehrsatz: "DNA makes RNA makes protein makes all the rest." Und de populären Vererbungsquatsch widersprechen wollen sie anscheinend nicht, weil derso eine schöne Werbung für die Bedeutung ihres Fachs ist.

Das Machbare und die Macher

Auch ohne solche Spinnereien ist das Potential der Gentechnologie nicht klein. Es handelt sich zunächst und vor allem um eine Alternative zu chemischen Produktionsverfahren und damit um eine ziemlich fundamentale Sache. Bakterien oder ähnlich leicht kultivierbare Mikroorganismen lassen sich genetisch so modifizieren, daß sie Proteine produzieren, die entweder unmittelbar nützliche Gegenstände sind oder die des weiteren den kleinen Viechern einen Stoffwechsel mit nützlichen Resultaten aufprägen. Vielbesprochene Beispiele für die erste Abteilung stellen pharmazeutisch wertvolle Proteine dar, z.B. menschliche Hormone, Interferone, Blutplasmastoffe u.ä. oder Impfstoffe, Antibiotika und diagnostische Hilfsmittel. Weniger spektakuläre Beispiele sind Enzyme, d.h. Eiweißstoffe, die als Katalysatoren chemische Umsetzungen vermitteln und z.B. in der Waschmittel- und Nahrungsmittelindustrie eine große Rolle spielen. Bei der zweiten Variante handelt es sich darum, die Mikroorganismen nach dem Muster der uralten alkoholischen Gärung allerlei Standardchemikalien fabrizieren zu lassen, also eine ganze Palette von Alkoholen, organischen Säuren, Fetten usw. In derselben Manier kann man sie auch auf den Müll im allgemeinen und die Exkremente der Industrie im besonderen loslassen, damit wieder etwas Nützliches daraus wird oder wenigstens die sprichwörtliche Giftigkeit vermindert wird. Auch können Mikroben dürftige Bodenschätze (Erze, Erdöl ) aufbereiten.

Die tatsächliche Nutzung solcher Möglichkeiten wird derzeit dort vorangetrieben, wo es sich nicht nur um eine Alternative zu etablierten Prozeduren handelt. Mit der Schlagkraft der chemischen Produktion, die heute Petrochemie ist, können die Mikroben nicht konkurrieren. Anders als bei Massenchemikalien steht es bei pharmazeutisch brauchbaren Stoffen; insbesondere solche, die bisher überhaupt nicht technisch machbar bzw. nur mühsam durch Extraktionsverfahren zu gewinnen waren, versprechen sofort ein Bombengeschäft und erfreuen sich entsprechender Aufmerksamkeit.

Konkurrenzlos, nämlich dem Maßstab des Profits nicht unterworfen, sind modifizierte Mikroben natürlich auf militärischem Gebiet. Die Gentechnik kann Krankheitserreger in ihren pathogenen, Resistenz- und Verbreitungseigenschaften verbessern, und jede Wortmeldung zu diesem Thema präsentiert als eine Selbstverständlichkeit die Idee, allgegenwärtige Mikrobentypen zu Produzenten von Botulinus- oder Tetanus-Toxinen, d.h. der wirksamsten organischen Gifte, umzufunktionieren. Die strategische Problematik solcher Waffen, nämlich die Rückwirkung auf die eigene Mannschaft, hält keinen Staat davon ab, sich dieser Option zu vergewissern; öffentlich zugegeben werden in der Regel nur Forschungen über Schutz- und Vorsorgemaßnahmen, die ja dann in der Tat auch sein müssen.

Der dritte mögliche Nutznießer der Gentechnik ist die Landwirtschaft. Auch hier geht es - um eine verbesserte chemische Ausstattung vorhandener Nutztiere und Pflanzen und nicht um spektakuläre neue Lebensformen. Also z.B. um die Fähigkeit von Nutzpflanzen, die aufs Feld gebrachten Herbizide in ihrem Organismus abzubauen, anstatt wie das Unkraut selber daran zugrunde zu gehen. Oder es werden Nutztiere zur vermehrten Produktion von Hormonen veranlaßt, die erfahrungsgemäß Wachstumsgeschwindigkeit, Fleischertrag oder Milchleistung beeinflussen; die Gentechnik würde hier also die äußere Behandlung der Viecher mit den einschlägigen Mittelchen ersparen. Wesentlich wichtiger als solche Verfahren ist aber auf ahsehbare Zeit der Ausbau von Methoden, die nicht eigentlich gentechnisch sind, aber volkstümlich gern damit verwechselt werden, weil sie die Fortpflanzung betreffen. Also Samenbanken, In-vitro-Fertilisation, Embryo-Transfer bei Tieren sowie zellbiologische Züchtungsverfahren bei Pflanzen. Solche Verfahren können den enormen Aufwand der klassischen Züchtung wesentlich verringern und ihre Resultate sicherstellen helfen. Daß die Genforscher von den Möglichkeiten ihres Fachs begeistert sind und sie jedem potentiellen Geldgeber und vor allem ihrem Staat andienen, versteht sich von selbst. Sie wollen ihre schöne Forschung betreiben, und gerade weil deren Erfolge nicht in Mark und Pfennigen bestehen, werden sie nicht müde beim Entwerfen großartiger Menschheitsperspektiven, wo Hunger und Krankheit endgültig besiegt und überhaupt die weiland viel beschworenen "Grenzen des Wachstums" auf biotechnischem Wege überwunden würden. In den USA, wo die Sache anfing, tritt ausnahmsweise neben dem Department of Defense auch mal die nationale Gesundheitsbehörde als wichtiger Sponsor auf. (Unter anderem deshalb, weil den aufstrebenden Gentechnikern mit dem Anzetteln einer Gefahrendebatte ihr Debüt in der Öffentlichkeit gelang - die Gefahren sind ja auch ein guter Beweis dafür, daß diese Brüder etwas können müssen.) Ansonsten vervollständigen diese Wissenschaftler dort ihre akademische Konkurrenz (es geht um Personal- und Sachmittel sowie die Ehre) um einen handfesten ökonomischen Sinn und gründen Firmen. Das ökonomische Dasein solcher Privatlabors besteht darin, Patentkriege zu führen und wagemutiges Geldkapital auf sich zu ziehen, dessen Kriterium meist einzig die Zahl der engagierten Nobelpreisträger und sonstigen ausgewiesenen Geistesriesen ist. Große Firmen kaufen kleine Firmen oder gleich eine ganze Uniabteilung; mit zunehmender Solidität der Programme und Vermehrung der Fachleute wird natürlich auch stinknormale Konzernforschung daraus.

Deutsche Chemie- und Pharmakapitale betätigen sich längst genauso als Aufkäufer in der amerikanischen Goldrauschszenerie; daneben erwarten sie von ihrem Staat Hilfe für die kostengünstige und risikoarme Produktion eigener wissenschaftlicher Ergebnisse und bekommen bundesdeutsche Genzentren gewidmet. Mit der hierzulande nicht nur in der Gentechnik zunehmenden öffentlichen Förderung "anwendungsorientierter" Forschung, die gleich im "Verbund" (z.B. Heidelberg für BASF und Merck Berlin für Schering, München für , Hoechst und Wacker) mit dem designierten geschäftlichen Nutznießer durchgeführt wird, versucht der Staat seinen Wissenschaftsbetrieb zu effektivieren. Dabei geht es nicht, wie Kritiker befürchten, darum, die Freiheit der Wissenschaft zu untergraben oder die Grundlagenforschung kurzsichtigen Verwertungsinteresse zu opfern, vielmehr insistiert hier der Staat auf dem Zweck der reinen Wissenschaft.

Naturwissenschaft und Technologie sind Mittel der Konkurrenz des Kapitals. Neue Produkte und Änderungen in der Produktion sollen den Unternehmer befähigen, sich auf dem Markt durchsetzen und einen Profit machen will. Zweck und Folge der Technik ist deshalb auch nicht die Erleichterung der Arbeit oder die Besserstellung des Konsumenten. Die Erarbeitung der nötigen Kenntnisse ist allerdings selbst kein Geschäft. Zum einen taugt Wissen seiner eigenen Natur nach nicht zum exklusiven Besitz; selbst der Schutz seiner Anwendung in Form spezieller Technologien durch das Patentrecht, mit dem der Staat private Forschungsanstrengungen honoriert, ist beschränkt und temporär wie jeder andere Versuch, einmal entstandenes Know how, materialisiert in Personal und Anlagen, vor der weiteren Verbreitung zu bewahren. Das ist auch kein Wunder. Wenn durch Gewalt ein Verfahren zum Eigentum wird, soll es eben dem Geschäft dienen - und das will der Staat nicht an einer Stelle fördern, um es anderswo zu behindern. Patente werden nicht nur auf Zeit erteilt, sondern auch veräußert und umgangen. Zum anderen ist die Investition in Forschung und Entwicklung keine Garantie für nichts; selbst wenn ein solches Programm nach seinen eigenen Maßstäben Erfolg hat, also tatsächlich zu neuen wissenschaftlichen Einsichten oder einer technischen Erfindung führt, ist deren Nutzen für die Profitmacherei immer noch eine offene Frage. Der Staat organisiert deshalb Naturwissenschaft und Technologie in eigener Regie, als notwendige Voraussetzung seiner Geschäftswelt und weil er selber bei seiner Ausstattung mit Gewaltmitteln an technischen Spitzenleistungen sehr interessiert ist.

Daß die Forschung dergestalt frei und unabhängig von jedem besonderen Interesse organisiert ist, macht gerade ihr Dienstverhältnis für Kapital und Staat aus. Etabliert ist damit aber auch der Dauervorwurf mangelnder Funktionalität. Mit allerlei ökonomischen Auflagen, von der Dominanz der sozialpolitisch sonst unbeliebten Zeitarbeitsverträge bis hinunter zum Kopierkostenbudget, versucht der Staat einen Berufsstand anzustacheln, bei dem der Fleiß vom Schlendrian schwer zu unterscheiden ist und selbst im Fall des Vorhandenseins oft in des Kaisers neuen Kleidern resultiert. Die direkte Zusammenarbeit seiner Forscher mit der Industrie sieht er auch nicht ungern, scheint ihm doch mit solcher Überwindung des "Elfenbeinturms" allemal ein Schritt in die richtige Richtung getan und die Unsicherheit des Nutzens wenigstens durch beflissene Orientierung an der "Praxis" kompensiert. Gar nicht kleinlich, in Geldfragen und in organisatorischen Dingen, zeigt sich der Staat dann, wenn er "forschungspolitische Weichen stellt", also die Stärkung seiner Wissenschaft auf besonderen Gebieten beschließt. Und genausowenig kleinlich ist er bei der Begründung solcher Beschlüsse.

"Die Bundesregierung sieht in der Biotechnologie eine wichtige Zukunftstechnologie mit einem großen Entwicklungspotential vergleichbar mit den Informations- und Kommunikationstechnologien, den neuen Fertigungstechniken sowie der Entwicklung neuer Materialien. Sie schätzt den Beitrag von Gentechnologie und Zellbiologie zur Biotechnologie als sehr hoch ein. Mit diesen modernen Zweigen der Biotechnologie konnten die Kenntnisse über grundlegende Lebensvorgängc sprunghaft vermehrt werden. Damit eröffnen sich Entwicklungsrichtungen und Möglichkeiten, die zu Anfang der 70er Jahre kaum für möglich gehalten wurden. Wegen des erwarteten großen Innovationspotentials für die Entwicklung breiter Bereiche der Volkswirtschaft wird der Biotechnologie eine Schlüsselfunktion zugeschrieben. Als moderne Methodenentwicklung in der Biotechnologie wird der Gentechnologie ein hoher Stellenwert im Programm der Bundesregierung zuerkannt." (Enquete, 268)

Wie hier gleich mehrfach verraten wird, besteht die Bedeutung der Gentechnologie darin, daß ihr eine solche zugeschrieben wird. Der Verweis auf die "vermehrten Kenntnisse" sowie die "früher nicht für möglich gehaltenen Möglichkeiten" stellt bloß, daß sich kaum mit handgreiflichem ökonomischen Nutzen für die Gentechnologie argumentieren läßt. Diesbezüglich wird allenfalls spekuliert, und man geniert sich nicht, seine eigenen hochgesteckten Erwartungen im selben Satz zu widerlegen und aufrechtzuerhalten:

"Gegenüber den teilweise sehr optimistischen früheren Prognosen erfolgt die Markteinführung jedoch deutlich langsamer, auch wenn das Marktpotential weiterhin als außerordentlich hoch eingeschätzt wird." (Enquete, 268)

Daß der Staat solchermaßen unverdrossen auf die Gentechnologie setzt, bedeutet nicht, daß er Absicht hätte, die Möglichkeiten der von ihr favorisierten Technologie, soweit vorhanden, in die beschworenen "breiten Bereiche der Volkswirtschaft" hineinzutragen und dort durchzusetzen. Entscheidungen über Produkte und Produktionsverfahren treffen bei uns noch allemal die Unternehmer selber und nach ihren eigenen Kriterien; alles andere wäre Sozialismus statt Freiheit. So daß unterm Strich bleibt: Der Staat will über das Potential der Gentechnologie verfügen, ohne Wenn und Aber, - das Zeug soll verfügbar sein, und er will sich nicht mit kleinlichen Rechnungen nach einem "lohnenden" Warum und Wozu befragen lassen.

Derselbe Absolutheitsstandpunkt hat auch die Phrase von der "Spitzentechnologie", eingedeutscht aus "high tech", zu einem Argument gemacht. Was soll eigentlich an den so qualifizierten Sachen, neben der Weltraumfahrt und diversen Elektronikabteilungen nun eben auch die Gentechnik, Spitze sein, was zeichnet sie aus vor stinknormalen Autos und Radioapparaten, Druckmaschinen und Schaufelbaggern? Technisch gesehen ist all das Zeug einfach verschieden, genau wie Wurst und Käse; es gibt keine Rangfolge, kein hoch und niedrig. Staatlich gesehen zeichnet die Spitzentechnologien aber aus, daß sich mit ihrer Hilfe ein Unterschied zu anderen Nationen herstellen läßt; es geht darum, daß wir Spitze sind.

Klar: Vorausgesetzt ist bei solcher Wertschätzung neuer Forschungszweige, daß sie ein Potential neuer Geschäfts- und Gewaltmittel beinhalten; es geht hier nicht um das berühmte Prestige, das intellektuelle Durchblicker gern zur Triebkraft ihrer Obrigkeit erklären, weil die auf es dann immer auch noch scharf ist. Aber diese schönen Geschäfts- und Gewaltmittel gelten erst dann als richtig zweckmäßig, wenn man sie selber (vor)schneller und gegen die übrige Staatenwelt in die Finger kriegt. Angesichts jahrzehntelanger NATO-Waffenbrüderschaft, angesichts eines Erfolgs in der Weltwirtschaft, der lässig mit fremdem Know how, mit importierten Patenten und Gerätschaften vorangetrieben wird, besteht die BRD, und nicht nur sie, auf dem Unterschied von selbstgemachtem und eingekauftem Fortschritt:

"Sollten die Chancen der Gentechnologie durch allzu umfassende Regelungen und schwerfällige, sachfremd bestimmte Entscheidungsabläufe eingeschränkt werden, so kann dies schwerwiegende Konsequenzen für die zukünftige Entwicklung dieses Wissensgebietes in unserem Lande haben. Die Bundesrepublik Deutschland wird dann in die Rolle eines Zuschauers versetzt, der von den Chancen nur noch indirekt profitiert. Sie wird aber keinen Einfluß mehr darauf haben können, daß die Entwicklung in dem von ihr gewünschten Sinne verläuft." (Enquete, 281)

Profit ist Profit, was auch immer man sich unter "indirekt" vorstellen mag, und wer profitiert, braucht sich wegen einer bloßen Zuschauerrolle sicher nicht zu grämen. Aber "der Entwicklung" den eigenen Willen aufzuherrschen, das ist eben etwas anderes als eine ökonomische Rechnung. So abstrakt und unbestimmt die beanspruchte Sache ist, so maßlos ist der eigene Anspruch: Selber Bedingungen setzen, anstatt unter gegebenen Bedingungen agieren; andere Staaten von sich abhängig machen, anstatt selber abhängig zu sein, lautet der weltpolitische Anspruch, der hier zum Forschungsauftrag wird.

Der Idealismus, den der Staat in seinen hightech-Programmen praktiziert, hat dcshalb auch nicht die übertriebenen bis lächerlichen Nutzenvorstellungen zum Ausgangspunkt, die die öffentliche Diskussion bevölkern. All die Teflonpfannen und Taschenrechner, die Mirakel der Machbarkeit und die ewigen Menschheitsträume, all die pseudowissenschaftlichen Prognosen und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen blühen erst im Gefolge des staatlichen Beschlusses und sind nicht dessen Kriterien. Wesentliches Argument bei solchen Beschlüssen, und das ist im obigen Zitat auch erkennbar, ist immer die Tatsache, daß "die anderen" schon heftig an derselben Front der Forschung engagiert sind, man also mit einem eigenen "Notprogramm" schleunigst gleichziehen muß. Da zeigen die Deutschen auf die Engländer und Franzosen, die Japaner auf die Europäer, und hin und her und vice versa, und alle zusammen zeigen sie auf die Amerikaner, weshalb das Argument auch nicht zirkulär ist, sondern das staatliche Aha-Erlebnis korrekt wiedergibt: Die USA setzen, schon allein durch den Umfang der unter ihrer Regie stattfindenden Anstrengungen, die Maßstäbe in Wissenschaft und Technik, an denen sich die anderen Weltmacht-Aspiranten abarbeiten können. Die so gern als Ergebnis herausgestrichene ökonomische Potenz tritt zuallererst als Voraussetzung für die Finanzierung von high-tech-Programmen auf, und europäische Staaten suchen ihren Nationalismus durch Gemeinschaftsunternehmen zu befördern.

Anwendung und Sicherheit, Geschäft und Philosophie

Der neueste Forschungszweig der Biologie und Biochemie stellt sich gleich als Gentechnolgie vor: als Wissenschaft von der zweckmäßigen Anwendung des Wissens über die Zelle, ihren Stoffwechsel und ihre Vermehrung. Das ist bezeichnend für das Interesse, welches diese Disziplin beherrscht. Ihre Fragestellungen leiten sich aus praktischen Problemen ab; solchen der Medizin vor allem, aber auch aus dem Interesse an bestimmten "maßgeschneiderten" Zuchterfolgen bei Nutzpflanzen und -tieren, vom kälteresistenten Apfelbaum bis hin zuim unverwüstlichen Bakterium in der Wasserreinigungsanlage; von den verfeinerten Tötungsbedürfnissen eines fortschrittlichen Militärwesens ganz zu schweigen. Nützliche Leistungen von Organismen - bzw. die Unterdrückung schädlicher Fehlleistungen - sind von vorneherein der Forschungsgegenstand dieser Naturwissenschaft.

Es liegt in der Natur der Sache, daß dieser Forschungsdrang an sein Ziel gelangen kann, ohne mit dem Organismus, dessen er sich annimmt, theoretisch wirklich fertig zu sein und alle Bedingungen im Griff zu haben, auf die das Interesse an nützlichen Leistungen da trifft. Man macht sich nämlich die Funktionen von Viren, die Eigenheiten von Bakterien, die Chemie lebender Zellverbände usw. zunutze, also eine naturwüchsige Eigengesetzlichkeit dieser "Bausteine des Lebens", die in deren Zweckmäßigkeit für das gewünschte und am Ende womöglich erzielte Ergebnis nicht aufgeht. Die angewandten Verfahren der Genmanipulation bringen im Detail unvorhersehbare Wirkungen hervor, weil zwar die DNA zerschnitten und neu "geklebt" sowie Stücke in andere Zellen eingebaut werden können, die Übertragung und die daraus resultierenden Eigenschaften aber nicht vollständig zu steuern und erklärtermaßen in ihrer Wirkungsweise auch noch gar nicht hinreichend aufgeklärt sind. Der in Gang gesetzte Prozeß, die Arbeit der 'Vektoren', erlischt nicht mit dem bezweckten Resultat. Das Material vollzieht schließlich Lebensfunktionen und ist als vollständige Bakterienzelle wie als unvollständiges Virus biologisch aktiv; für viele gentechnologische Verfahren kommt es sogar darauf an, daß die Wirtszellen nicht resistent sein dürfen und daß die Wirkung der Mikroorganismen nicht auf spezielle Wirtszellen beschränkt bleibt ("Erweiterung der Wirtsspezifität"). Radikale genetische Eingriffe sowie die Masse der gezüchteten Mixturen machen überdies 'überaus seltene' Mutationen überaus wahrscheinlich. Oft kommt es sogar gerade darauf an; etwa wenn man sich mehr oder weniger unspezifisch, in der Weise eines organisierten Zufalls, der Kombinations- und Wandlungsfähigkeit des biologischen Elementarmaterials bedienen will - "Mechanismen", die bei der Aids-Debatte zur Sprache gekommen sind, weil dia ein völlig neuartiges Virus das menschliche Immunsystem, die bisherigen Medizinkünste und die behaupteten Erfahrungen der Gentechnologen buchstäblich überrumpelt hat. Die Herrichtung von Mikroorganismen zu "biochemischen Fabriken" der feinsten Art für eine gewünschte Leistung hat also immer - und in noch ganz anderer Weise als chemische Syntheseverfahren sonst, die ja auch oft genug mit nicht vorausgesehenen synthetischen Giftstoffen überraschen - mit Effekten jenseits der gewünschten und erzielten Ergebnisse zu rechnen. Das ist eine Sache - die "Tücke dcs Objekts" gewissermaßen.

Eine ganz andere Sache ist es, wie die Gentechnologie im Auftrag eines renditebewußten Geschäftswesens und unter dem fördernden Zugriff einer fortschrittsbewußten Staatsgewalt mit dieser Problemläge umgeht. Daß dieser Forschungszweig sich gleich als anwendungsbereite Technologie anpreist, verrät da einiges; eben nicht bloß über die Art der wissenschaftlichen Fragestellung, sondern ebenso über das Ethos ihrer Lösung. Diese 'Wissenschaft weiß sich und ist im Prinzip an ihrem auftragsgemäßen Ziel, wen sie ein Verfahren anbieten kann, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen; darauf wird die "Entzifferung" der Gene und die Erforschung abgestellt. Daß die Wirkung gentechnischer Eingriffe sich in der dadurch hergestellten Leistung des Organismus nicht erschöpft, weiß diese Wissenschaft selber am allerbesten. Als anwendungsbeflissene Technologie nimmt sie sich aber die Freiheit, diesen kleinen Unterschied grundsätzlich als Randproblem zu behandeln, über das man sich im Zuge der Anwendung eines ansonsten erfolgreichen Verfahrens belehren läßt und um dessen Bewährung man sich nicht eher zu kümmern braucht, als es aufgetreten ist. Das ist zusätzlich gut technologisch gedacht; der Haken ist bloß, daß praktische Fehlschläge oder Mißwirkungen gar nicht bloß auf Mängel bei der Anwendung eines theoretisch beherrschten Verfahrens aufmerksam machen. Sie decken in manchen Fällen auf, wie lückenhaft das -Wissen über die Bedingungen der Genexpression in den benutzten Zellen tatsächlich noch ist; in anderen, wie zufällig die angewandten Manipulationsverfahren wirken; oder auch, daß ein hinreichendes Wissen über die Biosynthese bestimmter Stoffe u.ä. immer noch etwas qualitativ anderes ist als die auch bloß theoretische Sicherheit, daß die zweckmäßig veränderten Organismen dauerhaft nur im gewünschten und keinem anderen Sinn funktionieren. Die Experimente, mit denen diese Wissenschaft die Anwendbarkeit gewisser Erkenntnisse über Gene und Zellstoffwechsel erprobt, erweisen sich oft genug als Versuchsanordnungen, denen als einziger praktischer Nutzen eine unentbehrliche Erkenntnis über den biologischen Stoff zu entnehmen ist, an dem da so anwendungsorientiert herumgebastelt wird - oder sogar bloß die Einsicht in das Fehlen gewisser notwendiger Erkenntnisse. Dieses Verhältnis zwischen der Anwendung eines manipulierten Lebensprozesses und seiner auch nur theoretisch vollständigen Kontrolle ist und bleibt eine seltsame Reihenfolge, die nun weder aus der Natur der Sache noch aus der Logik der Forschung folgt, sondern aus einem sehr geradlinigen Willen zum verwertbaren Ergebnis.

Deswegen ergänzt diese Disziplin auch ihr technologisches Selbstbewußtsein durch einen eigentümlich abstrakten Verdacht gegen ihre praktischen Errungenschaften. Sie ist sich dessen, was sie anrichtet, nicht vollständig sicher; und das macht - weil auf kein anwendbares Resultat verzichtet werden soll - ihr fachspezifisches Sicherhe itsproblem aus. So äußert sich z.B. die staatliche "Zentrale Komission für Biologische Sicherheit" zu den Vorgängen in den Labors folgendermaßen:

"Wenn es auch nicht das Ziel der Versuche ist, wird bei den Versuchen jederzeit die Möglichkeit in Kauf genommen, daß Krankheitserreger entstehen. Die Entstehung neuer Organismen ist ja gerade das Ziel dieser Versuche, und mit den neukombinierten Organismen wird im Ablauf der Versuche auch gearbeitet...", wobei "... auch sicher mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß Krankheitserreger entstehen."

Und die einschlägigen Ausführungen der "Enquete-Komission" über Sicherheitsfragen lesen sich - wenn man nur will - wie ein heimlicher Katalog, mit welchen bekannten und unbekannten, sicheren und möglichen Folgen die Biotechniker alles kalkulieren, wenn sie Viren präparieren, Bakterien klonen, neue Zellkulturen mixen oder genetisch manipulierte Organismen in die Freiheit entlassen: Wo mit pathogenen Zellstücken und ihrer Vermehrung gearbeitet wird, können 'pathogene Keime' freigesetzt werden; man muß mit 'unuorhersehbaren gefährlichen Eigenschaften' rechnen, weil sich die verschiedenen bekannten Änderungen unter Umständen zu ganz neuen biologischen Verhätnissen kombinieren; die Unterscheidung zwischen 'gesunden- und krankheitserregenden', zwischen 'sterilen und vermehrungsfähigen' Zellkulturen gerät ins Schwimmen, und die biologischen 'Sicherheitsstämme' verlieren deshalb ihre sicheren Eigenschaften; die benutzten Viren können wegen der beteiligten Agentien 'mutieren', sich 'rekombinieren' und 'komplettieren', also unerwünschte Erbinformationen und Eigenschaften zurückgewinnen oder neu entwickeln; die Entdeckung unbekannter Viren ist 'schwierig', sie zu 'bekämpfen' noch mehr; es fehlt an 'gesichertem Wissen' über die Qualitäten nicht nur 'gentechnisch modifizierter Organismen', sondern auch 'isolierter biologischer Agentien unter Laborbedingungen', an 'Erfahrungen mit freigesetzten Mutanten' usw. usw.

In dem Maße, wie Bakterienstämme gezielt medizinische Hilfsstoffe produzieren, Genpartikel zur Früherkennung- von Erbschäden- eingesetzt werden und "Tomtoffeln" von Erfolgen beim Zusammenbau neuen Erbguts auch bei höheren Lebewesen zeugen, werden diese eigentümlichen Gefahren nicht aus der Welt geschafft. Es wird mit ihnen berechnend umgegangen. Sie sind Gegenstand einer Sicherheitsdebatte, die diese in der Natur der Prozesse liegenden Wirkungen - weil unerwünscht - zu Nebenwirkungen erklärt, nicht um wirklich ihre Ungefährlichkeit zu beweisen, sondern um festzulegen, daß sie bei entsprechender Aufsicht zu verantworten seien. Zunächst einmal werden deshalb diese Besonderheiten als Schwierigkeiten besprochen, bei den gentechnologischen Laborexperimenten und ihrer Anwendung im industriellen Maßstab sowie in der Landwirtschaft einen politisch definierten Standard von 'Sicherheit' einzuhalten. Die gewußten und notwendigerweise unkalkulierbaren Abläufe gelten dabei als bloß mögliche Gefahren und werden damit einer politischen Einschätzung zugänglich, die sich des Nutzens der Sache sicher ist und in diesem Sinne eines auf jeden Fall schon weiß: So gefährlich ist das alles nicht, daß man nicht mit staatlicher Betreuung die Experimente weitertreiben und die Verfahren industriell ausbeuten könnte, die man jeweils vorhat oder beherrscht. Dem Eingeständnis, daß z. B. eine "auch nur einigermaßen sinnvolle Risikobestimmung von Zellkulturarbeiten äußerst schwer" ist, daß bei der Übertragung auf industrielle Größenordnungen ein unwägbares "scale-up-Problem" auftritt (also das Argument der statistischen Unwahrscheinlichkeit eines Schadensfalles fragwürdig wird) usw., steht als generelle Leitlinie die trockene Feststellung gegenüber, daß im Gegensatz zur

"Anfangsphase gentechnischen Experimentierens unter den Wissenschaftlern eine weitgehende Beruhigung gegenüber den Gefahren dieser Technologie eingetreten ist. Diese Beruhigung betrifft auch gentechnologische Experimente im Produktionsmaßstab." (Enquete, S. 209)

Als Begründung für diesen Glaubenssatz dient dabei ausgerechnet das Eingeständnis, daß in den Labors einigermaßen unbekümmert nach dem Prinzip: 'Erst mal probieren, dann wird sich schon rausstellen, wie gefährlich es ist', verfahren wird und daß daher jetzt statt mit Wissen mit einiger 'Erfahrung' argumentiert werden kann:

"Die Forschung, die unter besonderen Schutzmaßnahmen ablief, hatte implizit die Funktion einer Sicherheitsforschung. Es ist überaus wahrscheinlich, daß die Risiken erkennbar geworden wären, wenn es sie gäbe." (Enquete, S. 195)

Woraus den Wissenschaftlern diese tröstliche Gewißheit erwachsen ist, warum sie die 'Risiken' nicht gelten lassen, die das Forschen durchaus zutage gefördert hat und die ihnen bekannt sind, das sagen sie gleich dazu: Die nationalen und geschäftlichen Zukunftsperspektiven gentechnologischer Verfahren dürfen nicht durch Sicherheitsbedenken verunmöglicht werden, und das gewachsene Wissen über Eigenheiten und Gefahren dieser Technik erlaubt es, die Risiken immer gezielter zu kalkulieren. Für Experten ist das ein Grund, diese Technik für "beherrscht" zu erklären, und die Inkaufnahme des kleinen "Restrisikos" zu empfehlen.

"Angesichts der oben dargestellten Kette von Sicherheitsfaktoren und des erwarteten Nutzens ist dieses nicht auszuschließende Restrisiko für die Kommission akzeptabel." (Enquete, S. 209)

Man muß nur das eigene Wissen über Zellkulturen, Bakterien, Viren, Wachstumsgene und den Umgang mit ihnen in ein berechnendes Verhältnis zu den staatlichen Vorschriften setzen - schon sortiert sich die Welt des technischen Fortschritts säuberlich in eine große Sphäre garantierter Sicherheit und ein "Restrisiko", das keine wirkliche Gefahr darstellt und als unvermeidlich hinzunehmen ist. Sicherheitsprobleme werfen diese Berater also nur auf, um sie als Frage staatlicher Einschätzung und Entscheidung zu bestätigen. Dabei steht für sie das Prinzip fest, daß für die Gentechnologie gelten muß, was für Gift, Atom und andere Produktion erlaubt und geboten ist: sparsam mit Sicherheit zu kalkulieren.

"Die Frage ist also nicht, ob es eine angemessene Sicherheitstechnik gibt, unter der gentechnologische Produktion vertretbar ist, sondern welcher Grad dieser vorhandenen Technik für die jeweilige Produktion angemessen und notwendig ist. Es stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen, also bei welchen Organismen und Vektoren und verwendeten experimentellen Techniken soll gentechnologische Produktion nach den Sicherheitsstandards für das Arbeiten mit pathogenen Organismen ablaufen, und unter welchen Bedingungen genügen die ohnehin üblichen Standards industrieller Hygiene." (Enquete, S. 207)

Die Antwort steht längst fest. Die staatlichen Richtlinien haben genau den Charakter, den die Experten empfehlen. Die Stoffe sind in vier Risikastufen eingeteilt, und jedes neue Material wird mit dem Bekenntnis, daß das angesichts der "Einstufungsschwierigkeiten" einigermaßen willkürlich ist, einer Gruppe zugeteilt, der dann Sicherheitsauflagen für die Labors entsprechen. Die Handhabung der Anmelde- und Genehmigungsverfahren garantiert zusätzlich, daß kein zukunftsträchtiges Experiment unterbleibt. Zwar künden die Schutzvorschriften gegen ein Entweichen der künstlichen Lebensformen, die sich im Freien - genau wie beim Laborpersonal, bloß noch unkontrollierbarer - krebserzeugend, allergieauslösend ader sonstwie schädlich bemerkbar machen und gegen alle behauptete Erwartung vermehren können, durchaus vom Wissen, daß hier die Menschheit mit manchen 'Gefahren' versehen wird, die zu den schon vorhandenen Segnungen von Chemie-, Atom- und anderer Industrie passen. Gleichwohl haben die Politiker für die profitliche Verwertung so "strenge Richtlinien" wie für ihre Institute und für geförderte Forschungsunternehmungen nicht erlassen wollen. Gentechniker, die neben ihrem Institut eine eigene Firma aufmachen, Chemiekonzerne, die sich der neuen Produktionsmöglichkeiten versichern wollen, sind zurückhaltenderen Auflagen unterworfen, und die Regierung überlegt, ihnen auch noch für die meisten bisher meldepflichtigen Stoffe die Genehmigungsverfahren zu erlassen. In dieser Sphäre ist staatliches Vertrauen allemal besser als Kontrolle; laut Riesenhuber ist nämlich Unternehmerfreiheit die beste Sicherheitsgarantie:

"Alle Unternehmer beobachten sich gegenseitig. Jeder paßt auf, daß sein Partner und Konkurrent sich keine unfairen Vorteile dadurch verschafft, daß er Richtlinien extensiv interpretieren würde. Und ich glaube, das ist ein vorzügliches Maß an Selbstkontrolle."

Wie die menschenfreundlichen Konkurrenzergebnisse der chemischen Industrie vom Rhein bis nach Bhopal zweifelsohne schlagend beweisen. Bei einer derart praxisgerechten Ausgestaltung des staatlichen Aufsichtswesens über Zukunftstechnalagien kann es nicht ausbleiben, daß die freien Unternehmer die eröffneten Möglichkeiten entsprechend konkurrenztüchtig nutzen. Ihrer geschäftlichen Sache sind sie sich so sicher, daß sie auf ihr lebendes Geschäftsmittelchen nichts kommen lassen:

"...daß zur Herstellung von Humaninsulin ein ganz unschädliches, nicht krankmachendes Bakterium verwendet wird... Es ist das Haustier der Molekularbiologie und seit über 50 Jahren bekannt... So wissen wir, daß es keine Krankheiten erregen kann, daß es in der natürlichen Umwelt nicht überleben kann und daß es nicht im menschlichen Darm siedeln kann..." (Hoechst Vertreter)

und wenn die staatliche Aufsichtsbehörde trotzdem Kontrollen verhängt -

"Die nunmehr vorgesehene Erlaubnis gilt nur für zwei Jahre und ist mit strengen Sicherheitsauflagen verknüpft. Dies schließt nach menschlichem Ermessen insbesondere jede Freisetzung genmanipulierter Bakterien aus." (Hessens-Umweltminister. Beide in: "Blick auf Hoechst", eine Zeitung der Hoechst AG) -,

dann zieht ein guter Staatsbürger keine gehässigen Schlüsse aus dem Widerspruch zwischen der demonstrativen Selbstsicherheit der Firma und dem Kontrollbedürfnis der Staatsgewalt, sondern fühlt sich geradezu luxuriös bedient in Sachen Sicherheit.

Die radikale Frage nach den "Gefahren der "Gentechnologie" gehört ohnehin in die gehobenen Sphären der abendländisch-christlichen Sinnfrage.

Erbgut, Tod und Teufel

Bei den öffentlichen Mahnungen und Warnungen geht es von vornherein weniger um Wissen und Kritik als um Verdächtigungen und Spekulationen ganz anderer Natur, für welche das gentechnologische Treiben höchstens den Anhaltspunkt und bestenfalls den Ausgangspunkt bildet. Das Trio aus Staatsanspruch, Geschäftsinteresse und Forscherehrgeiz erscheint den kritischen Aufklärern über die "Gefaahren der Gentechnologie" banal; die handgreiflichen Anstrengungen und Erfolge lassen sie nicht als das Werk einer politisch geleiteten, geschäftlich verwerteten verantwortlichen Wissenschaft auf, sondern höchstens als Beispiel für Verantwortungslosigkeit und für eine Problematik, die höherer Natur ist. Was in den Labors und Industriefermentern passiert, gilt ihnen bestenfalls als Indiz dafür, was in den Genküchen noch an ganz anderen, ungeheuerlichen Manipulationen zusammengebraut werden könnte und sollte. Statt mit den technologischen Verfahren befaßt sich die problembewußte Phantasie lieber mit den (un-)vorstellbaren Möglichkeiten eines willkürlichen Umgangs mit den Elementarteilchen des Lebens; statt mit den politischen Planungen und ökonomischen Rechnungen viel lieber mit finsteren Absichten und Verstrickungen.

Dieses kritische Räsonnement knüpft gar nicht an die Sache, sondern an die Übertreibungen an, die von der Wissenschaft bzw. ihren Propagandisten selber ins Spiel gebracht worden sind, um die Gediegenheit, Zukunftsträchtigkeit und Förderungswürdigkeit ihres Staatsdienstes herauszustreichen. Bloß, daß nun die behaupteten Möglichkeiten und Segnungen einer schönen neuen Welt mit einem Anführungszeichen versehen werden und für ihr Gegenteil gelten sollen. Damit hebt ein ganz und gar freies Moralisieren über die Vorstellung an, die Gentechnologie hätte die Absicht und den Machern auch schon ein Stück weit die Mittel an die Hand gegeben, zumindest aber die Aussicht eröffnet, alles, insbesondere aber den Menschen beliebig zu "manipulieren". Genau wie bei den schon geschilderten Nutzenphantasien lebt ihre Umkehrung, die Beschwörung von lauter existentiellen Gefahren, von dem Wahn, die Eingriffe ins genetische Material wären - zumindest der Tendenz nach - dasselbe wie eine totale Verfügung über Körper, Geist und Seele eines Individuums, oder noch mehr: seine buchstäbliche Produktion nach Lust und Laune.

Maßstab für beide Seiten in dieser Kontroverse um eine wunderschöne "letzte Frage" ist ein ideologischer Begriff des Staatsbürgers und seiner Willensleistungen, der sich von gentechnologischen Sachverhalten genauso freigemacht hat wie von der Erinnerung daran, was eigentlich den bürgerlichen "Menschen" auszeichnet. Im Gewand einer Forschungs- und Technologiedebatte wird um das Idealbild eines freien Willens gestritten, der gleichwohl ganz in den Verhältnissen aufgeht, in die er gestellt und in denen er dienstbar sein soll.

Die radikalen Propagandisten einer zukunftsweisenden Gentechnologie entwerfen in Gedanken das Musterexemplar eines Menschen, der alle wünschbaren Eigenschaften, die ihn für die vorhandene Staatswelt tauglich machen von Natur aus mitbringt, und zwar ohne langwierige Zuchtwahl:

"Nur mit einem Bruchteil der Mühe sollten wir bald lernen, durch Manipulation der Ploidität der Chromosomen, durch Homozygose, Gametenselektion und vollständige Diagnose von Heterozygoten in zwei Generationen eugenischer Maßnahmen zu vollbringen, was sonst nur in zehn oder gar hundert zu vollbringen wäre." (Lederberg)

Der Wunsch nach einem garantiert gesunden, dienstbaren und moralisch intakten Volk beflügelt eben auch das demokratische Denken ganz selbstverständlich - als Ideal wie als Schreckbild.

Die aufgeregte Entgegnung, die sich die Kritiker dieser 'Zukunftsvision' einfallen lassen, ist nicht viel besser. Gegen das fleißig ausgemalte Zerrbild eines Homunkulus, eines "biologisch angepaßten Norm-Untertanen" und einer "von bewußtseinslosen menschlichen Robotern bevölkerten, 'Schönen Neuen Welt '" (J. Herbig: Der Bio Boom, S. 11 f.) beharren sie auf der Freiheit des Willens, die erhalten bleiben müßte. Die Vorstellung, mit dem ,Eingriff ins Erbgut' das Individuum mit Haut und Haar bestimmen zu können, teilen sie genauso wie die Herrschaftsphantasie, der Staat müßte die Macht über seine dienstbaren Geister immer erst noch erringen. Bloß daß sie die geltenden Umstände als das erstrebenswerte und zu verteidigende Reich der Freiheit hochhalten, in dem, wiederum qua Natur, der Mensch zu Hause, weil sein eigener Herr sei. Deshalb wird für sie alles einerlei: Erzielte und absehbare medizinische Erfolge wie die Früherkennung von Erbkrankheiten und ihre Vermeidung können sie und wollen sie nicht von den Phantastereien über einen maßgeschneiderten Arbeitsmann unterscheiden, sondern wittern in jedem gentechnischen Fortschritt ein und dieselbe Gefahr: Der Mensch verliert seine Würde, verliert seine unverwechselbare Individualität, gerät unter Kontrolle.

Was die Einzigartigkeit einer freien, unverwechselbaren Persönlichkeit ausmacht, kommt dabei unweigerlich zur Sprache. Erstens besteht "die Würde des Menschen" in dem "Recht eines jeden, Produkt des Zufalls zu sein" (Herbig, S. 153):

"Die Tatsache, daß der Mensch nicht der Entwurf und das geplante Experiment seiner Eltern ist, sondern das Produkt des Zufalls der Natur, sichert die Unabhängigkeit der Menschen voneinander, ihren individuellen Eigenwert... Jeder muß die Möglichkeit haben, sich selbst, sein eigenes Wesen als Ausdruck eines, dem Menschen entzogenen Schicksals begreifen zu können oder als von Gott geschaffen - und nicht als der Entwurf oder das mehr oder weniger geglückte Experiment anderer Menschen." (Enquete, S. 187 f.)

Zweitens hat er ein Recht auf seine Gebrechen, weil es

"letztlich nicht das Ziel sein kann, den Menschen genetisch oder physiologisch zu optimieren und stromlinienförmig zu machen, sondern sich auf seine notwendigerweise unvollkommene Natur einzurichten." (v.d. Daele: Mensch nach Maß?, S. 217)

Drittens gebietet gerade ein recht verstandenes Wissen von den Gesetzen der Natur gläubige Ehrfurcht vor ihren Schöpfungswundern:

"Die Biologie hat zwar den magischen oder göttlichen Schleier der 'Lebenskräfte' gelüftet, aber müssen wir nicht noch staunender vor einer alten Eiche, einem fliegenden Adler und vor uns selbst stehen, wenn wir nun wissen, daß die Natur die Pläne, nach denen all dies hervorgebracht wird, mit nur vier Buchstaben schreibt?" (Scheller: Das Gen-Geschäft, S. 32)

Ausgerechnet die Zufälligkeiten von Zeugung und Geburt sollen eine Abhängigkeit der existenziellen Art verbürgen, an der "der Mensch" sich nicht vergreifen darf, sondern eine Ehrfurcht zu lernen hat, die praktisch gar nicht "der Natur" zugute kommt, sondern den gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen die meisten Leute ihre "unvollkommene Natur" überhaupt erst als "Schicksal" zu spüren kriegen: Das ist die moralische Quintessenz aller Einwände. Von den tatsächlichen Resultaten einer geschäftstüchtig benutzten Biochemie bleibt nichts übrig, wenn darum gerechtet wird, wie die komplementären Ideale des freien Willens und seiner garantiert funktionalen Zurichtung ins rechte Verhältnis gesetzt werden können. Mit den tatsächlichen Fortschritten der Gentechnologen und Mediziner stirbt deshalb auch nicht dieser Streit, sondern wächst höchstens der Stoff für Ethik- und Moraldebatten.

Wegen der Sorge, unserem Staats- und Gesellschaftsleben könnte die Grundlage, die 'Menschennatur' abhandenkommen, geht nämlich bei diesen Debatten alles durcheinander: Leihmütter und Retortenbabys, Experimente mit isolierten menschlichen Keimzellen, genetische Früherkennungsmethoden, der genetisch gläserne Mensch, geklonte Viecher und tiefgefrorene Embryonen - alles löst sich in die eine Frage nach dem verantwortlichen Umgang mit "dem Leben" auf, über das keiner verfügen darf.

Mit diesem Generalverbot für jedermann landet die Kritik immer bei der richtigen Adresse. Ob man die "Verantwortungslosigkeit der Forschung" anklagt, ob man die "Kommerzialisierung" gentechnologischer Ergebnisse im "gnadenlosen Wettlauf der Großindustrie" zum Generalübel erklärt, ob man die anständigen rechtlichen und ethischen Richtlinien vermißt oder gleich ganz abgehoben über den "Machbarkeitswahn" und die Eingriffe in den "Bauplan der Schöpfung" sinniert -jedesmal ist die letzte Instanz für alle Verantwortungsfragen aufgerufen: der Staat. So kommt der Fortschritt, den die gar nicht geklonten, sondern gewählten Riesenhubers wollen und fördern, unter philosophischem Geschrei unbehelligt voran.