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Massenentlassungen in Rheinhausen:
"WENN DAS DER ALTE KRUPP WÜSSTE; DANN WÜRDEN SIE ENTLASSEN, HERR CROMME!" SAG BLOSS!
Ein Gerücht geht um in Rheinhausen: Unter dem alten Krupp, da wäre so was nicht passiert. Das war wenigstens noch ein Arbeitgeber mit Herz. Einen ganzen Standort schließen, verdiente "Kruppianer" im Regen stehen lassen - so was bringen eben nur Typen wie Cromme fertig, die "eiskalt" des "Lebenswerk" von Generationen plattmachen. Also wird der Geist vom alten Krupp angerufen, um seinen bösen Erben zu drohen:
"Wenn das der alte Krupp wüßte..."
- der würde sich im Grabe umdrehen, heißt es. Ach wirklich? Und woher weiß man das? Haben die Rheinhausener extra noch mal die Familienchronik ihres Dienstherren studiert: Es ist ja nicht mal ganz klar, welcher Krupp eigentlich gemeint ist: Etwa der, von dem Urgroßvater noch zu erzählen wußte, daß er gerne öffentlich damit angab, "den Kontrakt der Arbeiter zu verlängern oder sie zu entlassen, wie ich Kräfte für die Firma brauche" (1877)? (Das hätte Cromme freilich auch nicht schöner sagen können!)
Oder vielleicht der, der die berühmten Kanonen baute und so mit dafür sorgte, daß der deutsche Landser erst "hart wie Kruppstahl" und dann tot wie Opa war? (Diese nette Familientradition machen die Crommes allerdings ganz bestimmt nicht platt!) Oder dann doch lieber wieder der mit dem Rührstück vom eingeschmolzenen Familiensilber, mittels dessen Erlös er sich in einer Finanzklemme mal eben die fällige Bezahlung der Löhne seiner Belegschaft vorstreckte? (So geht's zu bei Kapitalistens: Wenn's der Ausbeutung dient, schmelzen sie sogar ihr Heiligstes ein!) - Sei's drum: Alles in allem eine ganz gewöhnliche Kapitalistensippe, die alles fürs Geschäft tut und aus allem ein Geschäft macht.
Eine denkbar ungeeignete Berufungsinstanz ist es demnach auf jeden Fall, die Flasche mit dem Geist vom alten Krupp zu entkorken, wenn man sich dagegen wehren will, wie dessen Nachfolger über einen verfügen.
Nur: Warum werden die toten Krupps dann überhaupt ins Spiel gebracht? Vielleicht bloß deshalb, weil sich - im Lichte dessen, daß in Rheinhausen jetzt Feierabend ist! - die Gründung dieses Fleckchens Erde zu einem Kapitalstandort wie eine einzige Wohltat ausnehmen soll, an der Cromme und Konsorten sich nun schamlos vergehen: Aber mal ehrlich: Dafür soll man den alten Krupp nachträglich verhimmeln, daß Hunderttausende von Menschen seit über 100 Jahren der Existenz und dem Wachstum seines Konzerns das zweifelhafte Glück verdanken, als "Familie" von Kruppianern in lauter kleineren oder größeren Krupphausens arbeiten, stempeln, Miete zahlen, Ratenverträge abstottern und im Krankhaus liegen zu dürfen? Nein danke! Hätte der unsere Vorfahren mal wirklich gut behandelt, dann bräuchte heute keiner mehr mit Haut und Haaren vom Bedarf Kruppscher Stahlwerke nach seiner Arbeitskraft zu leben, sondern hätte längst sein eigenes Familiensilber, um sich aus einer momentanen Finanzklemme zu helfen.
Es ist nämlich genau umgekehrt: Ohne Krupp kein Cromme! Ohne diese emsigen Vorfolger in Sachen Profit hätten seine Nachfolger eben gar nicht die Möglichkeit, über so viele Köpfe zu gebieten, deren Nützlichkeit für das Unternehmen zu berechnen, Standorte hie mal auf- und da mal zuzumachen - und so einen Konzern hochzuziehen, gegen den sich der alte Familienbetrieb wie eine kleine Klitsche ausnimmt. Also: Wenn dieses Kapital, mittlerweile vertausendfacht, heute mal wieder Arbeiter auf die Straße setzt, dann verletzt es ganz bestimmt nicht irgendeine Fürsorgepflicht für den Lebensunterhalt der Beschäftigten, sondern tut genau das, was ihm nützt, und damit das, was es immer schon getan hat: Rein/raus, "wie ich Kräfte für die Fabrik brauche!"
Einen Clan, der nach diesem Familienmotto schon x Generationen von Malochern verschlissen hat, als Kronzeugen gegen Entlassungen das muß in die Hose gehen!
"...dann würden Sie entlassen, Herr Cromme!"
- stimmt also auch gar nicht. Umgekehrt wäre es: Würde Cromme aus lauter Rücksichtnahme auf sein soziales Gewissen entgegen der kapitalistischen Kalkulation die Entlassungen nicht durchführen, dann würde ihn der alte Krupp höchstpersönlich noch aus dem Grab heraus entlassen!
Da war doch der Wunsch der Vater des Gedankens. Und außerdem: Was wäre denn, wenn dieser Wunsch in Erfüllung ginge? Was hätten die Stahlkocher denn davon, wenn Cromme weg vom Fenster wäre: Sollte der Beschluß, 5.600 in Rheinhausen überzählig gemachte Arbeitskräfte auf die andere Rheinseite, in die "Anpassung" oder auf den Stellenmarkt zu verweisen, tatsächlich nur der besonderen Herzlosigkeit dieser Figur geschuldet sein? Sollte es wirklich so sein, daß dann kein Bromme, Crumme oder Dromme mehr auf die Betriebsversammlung käme, um die Schließungsbotschaft in gesetzten Worten vorzutragen: Ist es nicht so, daß dieser "Hund" deswegen so "eiskalt" ist, weil die Berechnungen des Kapitals, die durchzusetzen er zu seinem Beruf gemacht hat, in gar nichts anderem als Zynismus bestehen? Es ist schon die "Marktwirtschaft", die den Lebensunterhalt der Arbeiter an ihre Nützlichkeit für den Gewinn knüpft - und zwar viel systematischer und gnadenloser als ein einzelner Sadist das jemals hinbekäme!
Wenn das so ist, dann springt bei den Schmähreden auf Cromme aber auch nur die kindische Genugtuung heraus, einen Top-Manager der freien Marktwirtschaft ausgerechnet aufs Arbeitsamt jagen zu wollen - ohne ein einziges Wort gegen die freie Marktwirtschaft vorgebracht zu haben. Im Gegenteil: Crommes Beschluß bezüglich lohnender Kosten in Rheinhausen kann man sich offenbar nur als Verbrechen gegen den schönen Beruf des Arbeit"gebers" vorstellen - so, als ob der eine gemeinnützige Einrichtung wäre, deren Pflicht in der Versorgung armer Menschen mit ganz viel Arbeit besteht. Ein Cromme soll diese "Pflicht" ausgerechnet dann verletzen, wenn er Leute aus den gleichen Gründen ausstellt wie er sie eingestellt hat?! Bei der überall ausgehängten Parole:
"Gesucht wird Dr. Gerhard Cromme. Tot oder lebendig wegen:
Mord am Standort Rheinhausen und Betrug der Arbeitnehmer.
Belohnung: Leben und Arbeiten in Rheinhausen."
bleibt also allemal die Frage offen, warum man Cromme ausschließlich in seiner Eigenschaft als "Mörder" unschuldiger Arbeitsplätze auf den Fersen ist und kein bißchen in seiner Eigenschaft als Geburtshelfer mörderischer Arbeitsplätze. Haben die jetzt ausrangierten Arbeitsplätze etwa nicht dafür gesorgt, daß "Leben und Arbeiten in Rheinhausen" durchaus keinen Hauptgewinn darstellten? Warum ist dann aber ausgerechnet das als "Belohnung" ausgesetzt? Das ist ja wie eine Tombola nur mit Trostpreisen!
Das Plakat, das die Verklärung des Kruppkonzerns in einen Dienst an den Menschen und die Empörung über Cromme, der diesen "Auftrag" versaubeutele, zu der Forderung zusammenfaßt:
"Krupp muß leben, sonst sterben wir!"
enthält also drei grundlegende Irrtümer:
Krupp stirbt ja gar nicht. Im Gegenteil: Damit die Firma gesund bleibt und ihre Bilanzen kein Fieber kriegen, läßt sie einen Standort ihres Kapitals sterben.
Die auf den Lohn angewiesenen Arbeiter schauen jetzt deswegen in die Röhre, weil Krupp vorher jahrzehntelang von ihrer Benutzung satt gelebt hat. Warum sonst stehen die Rheinhausener nach Krupps Verschwinden so mittellos da, daß es ein Unglück ist, keine Arbeit zu haben, und verschwinden nicht auch in den Süden?
Es hätte also heißen müssen:
Das Kapital muß weg, dann fängt das erst an!
Warum wird in Rheinhausen dichtgemacht?
DIE GEWERKSCHAFT KLÄRT AUF:
"BÖSER WILLE MACHT GUTES GESCHÄFT KAPUTT!"
DAS SOLL DIE WAHRHEIT ÜBER EIN STÜCK KAPITALISMUS SEIN?
Die Unternehmer sagen: Die Rheinhauser Hütte muß geschlossen werden, weil sie 100 Millionen Mark Verluste pro Jahr bringt.
Die Betroffenen können diese Rechnung schlecht überprüfen: Ihrer Arbeit ist ja wirklich nicht anzusehen, ob ihr Unternehmen damit gute oder schlechte Geschäfte macht. Die bleibt in beiden Fällen gleich nämlich der gleiche Leistungsdruck. Das Arbeiten ist eine Sache, das Geschäftemachen eine andere; das gehört mit zur Abhängigkeit von Lohnarbeitern.
Hier hilft die Gewerkschaft weiter. Nicht gegen die Abhängigkeit; dafür aber beim Nachrechnen. Dafür hat sie schließlich einen Mann im Vorstand, Leute im Aufsichtsrat, Betriebsräte und einen ganzen volkswirtschaftlich geschulten Expertenstab.
Und die wollen herausgefunden haben - nachzulesen in der letzten Mitgliederzeitschrift "metall" -, von Verlusten könnte keine Rede sein; mit Stahlarbeitern würden nach wie vor "Milliardengewinne" gemacht. Da wird herumgerechnet, als wäre es eine Ehrenfrage für Lohnarbeiter, daß mit ihrer Ausbeutung auch wirklich Gewinne gescheffelt werden und nicht "bloß" verlustbringende Konkurrenzkämpfe abgewickelt werden.
Auf alle Fälle soll deswegen die geplante Betriebsschließung in Rheinhausen samt Entlassungen überflüssig sein. Und das ist schon mal ein sehr verräterisches Argument. Denn das heißt doch wohl: Wenn eine Firma tatsächliche Verluste nachweisen kann, dann gehen für diese Gewerkschaft auch alle Entlassungen und Arbeiteropfer in Ordnung.
Wo kein Gewinn, da haben die Lohnarbeiter ihr Recht verloren - Schönen Gruß, Eure IG Metall!
Das ist für diese Gewerkschaft im übrigen keine neue Entdeckung. Nach dieser Regel handelt sie auch; wenn ihre Funktionäre z.B. die "betriebswirtschaftlich nötigen" Entlassungen im Vorstand mitbeschließen, im Aufsichtsrat absegnen, im Betriebsrat gegenzeichnen. Was Rheinhausen betrifft: Alle "Gesundschrumpfungen" der Hüttenbelegschaft in den letzten Jahren haben Gewerkschaftsleute mitbeschlossen.
Natürlich, dabei hatten sie immer bloß die "Rettung von Arbeitsplätzen" im Sinn. Oder genauer: Die Rettung der Gewinne, damit dafür auch weiterhin ein paar Arbeiter gebraucht werden. Das zeigt zwar schon, daß Gewinne keineswegs dazu da sind, viele hübsche, ruhige Arbeitsplätze zu schaffen, sondern umgekehrt. Manchmal kosten die Gewinne eben auch einige Arbeiter ihren Platz in der Firma. Und die Arbeitsplätze, an denen der Gewinn hergestellt wird, sind alles andere als hübsch und ruhig. Aber deswegen hat die Gewerkschaft nie aufgehört, Gewinn in "sichere Arbeitsplätze" umzurechnen. J e nach der Profitlage unterscheidet sie zwischen "nötigen" und "unnötigen" Entlassungen - fast so wie die richtigen Unternehmer!
Nun sollen die Stahlunternehmer also falsch gerechnet, ihre Gewinne - die eigentlich für jede Menge Arbeitsplätze gut wären - weggerechnet haben: "Milliardengewinne kunstvoll versteckt". Da fragt sich natürlich ein jeder: Wozu machen die denn so was? Und die Gewerkschaft steht Rede und Antwort. Allerdings begibt sie sich damit nicht bloß logisch aufs Glatteis:
"Nur so können weitere Massenentlassungen durchgesetzt und die Forderung nach Ersatzarbeitsplätzen abgewehrt werden."
Kein leichter Gedanke! Man sollte doch denken, einer Firma könnte nichts Besseres passieren als ein Milliardengeschäft. Weshalb sollte sie Arbeiter, deren Leistung sich dermaßen lohnt, massenhaft entlassen? Weshalb sollte sie überhaupt an "Ersatzarbeitsplätze" denken? Und wenn sie mit denselben Arbeitern noch mehr und neue Geschäfte machen kann: Was sollte sie daran hindern?
Sei's drum. Die Gewerkschaft nimmt es den Stahlkapitalisten übel daß sie - angeblich - ihre Groschen zusammenraffen und abziehen:
"Tödlich für das Revier war und ist jedoch, daß die von den Stahlarbeitern erarbeiteten Milliardengewinne fast ausschließlich im Süden der Republik oder im Ausland angelegt wurden und werden. Dort kauften sich die Konzerne jene Zukunftsindustrien zusammen, die als Ersatzarbeitsplätze an den Stahlstandorten so bitter nötig wären."
Sehr interessant: Auf einmal kann die Gewerkschaft doch, besser als jeder Kapitalist, zwischen "Zukunftsindustrien" und anderen unterscheiden - will also mitbekommen haben, daß die Stahlwerkerei in der Konkurrenz der Kapitalanlagen ziemlich alt aussieht, trotz schönster "Milliardengewinne". Auf einmal sind ihr Entlassungen in der Stahlbranche so selbstverständlich, daß sie "Ersatzarbeitsplätze" bitter nötig findet. Und auf einmal sortiert die Gewerkschaft nicht bloß schlecht nationalistisch nach In- und Ausland, sondern auch noch nach Bundesländern: Im Westen beschwert sie sich über angebliche kapitalistische Machenschaften als "Mord am Revier", die ihr im Süden der Republik als "Investitionsspritze" hochwillkommen sind. Für wie blöd hält dieser Verein eigentlich die Arbeiter, wenn er sich mit solchen widerlichen Dummheiten an ihren Ärger anschleimt?!
Bleibt das Rätsel, warum die kapitalistische Ersatz-Zukunft nicht im Revier veranstaltet wird. Die gewerkschaftliche Antwort:
"Flucht aus der Montanmitbestimmung" und: "Ein SPD-regiertes Bundesland muß die hinterlassenen Schulden begleichen."
Also: Die Unternehmer mögen ganz einfach die SPD nicht - die ihnen, in NRW und anderswo seit Jahrzehnten einen blauen Himmel über ihren Gewinnerwartungen garantiert. Und sie können die gewerkschaftliche Mitbestimmung nicht ertragen - die noch jede Entscheidung für mehr Gewinn mitgetragen hat und die auch die Entscheidungen gegen die letzen paar tausend Stahlarbeitsplätze in Rheinhausen letzen Endes mitverantworten wird.
Böse, diese Kapitalisten, geradezu ekelhaft! Aber Gottseidank acht die Gewerkschaft. Die lüftet das finstere Geheimnis - etwas Besseres hat sie ja sowieso nicht zu tun: Den Konzernen geht Parteipolitik über Profite!
An dieser "politischen Ökonomie" der IG Metall ist kein wahres Wort. Übers Stahlgeschäft erfährt man nur lauter dummes Zeug, das jede Wahrheit über Rheinhausen totschlägt. Vor allem die einfache Hauptwahrheit: Kapitalistisches Geschäftstreiben war noch nie, ist nicht und wird auch nie im Leben eine gute, sichere Existenzgrundlage für Lohnarbeiter. Punkt und aus. Auch das, was die Gewerkschaft als "Zukunftsindustrien" beschwört, ist Menschenbenutzung für den Profit und schließt neben der Gnade, dem Kapital dienen zu dürfen, allemal Entlassungen nach Bedarf des Hauses ein. Auch "Ersatzarbeitsplätze" sind Arbeitsplätze, die ihren "Besitzer" verschleißen und ihm keinen lebenslangen Unterhalt garantieren.
Aufschlußreich sind die gewerkschaftlichen Aufklärungen nur in einer Hinsicht. Sie zeigen
Was ein Arbeiter an seiner "radikalen" IG Metall hat
Lauter Experten, die sich am liebsten den Kopf der Unternehmer zerbrechen. Wenn's sein muß, auch gegen alle Logik. Sogar gegen die weiß Gott nicht schwierige, platte Logik des kapitalistischen Geschäfts. Die lassen nicht locker, bis sie mit den dümmsten Argumenten jeden Ärger über die Lohnarbeit und über Entlassungen in die Irre geführt haben. Nämlich so: Sie teilen die Figur des Kapitalisten auf in den ganz erhabenen eigentlichen Beruf des "Arbeitgebens", der mit seinen Profiten emsige Proleten ernährt; und in die wirklichen Gestalten, denen man leider andauernd Pflichtvergessenheit vorwerfen muß. Dann setzen sie sich an die Spitze des moralischen Beschwerdewesens, das sie anleiern, und passen auf, daß sonst nichts weiter daraus wird und daß die empörte Menschheit sich auch wieder abregt.
So lullt die Gewerkschaft ihren Mitgliedern vor, Konzerngewinne gehörten irgendwie eigentlich den Arbeitern - als wären sie nicht das planmäßige Ergebnis der Einrichtung, daß im Kapitalismus den Arbeitern erst mal überhaupt nichts gehört. Sie pflegt die Illusion, mitten im blühenden Kapitalismus hätten die Arbeiter wunder was für Rechte, gegen die ihre Firma bloß dauernd verstoßen würde. Und natürlich macht sie auch gleich klar, daß man sich sein angebliches Recht auf gar keinen Fall selber nehmen darf. So passen Aufregung und Abwiegelei nahtlos zusammen.
Am Ende bleiben - ein paar echt Stein-gekühlte Krokodilstränen für die Opfer!
Viel Bewegung - aber wohin?
WAS NÜTZT DIESER PROTEST?
Eines kann niemand den Krupp-Arbeitern von Rheinhausen vorwerfen: daß sie untätig sind. In ihren Aktionswochen unternehmen sie sogar sehr viel. Die ganze Republik kriegt über Presse und Fernsehen ausführlich Kenntnis vom "verzweifelten Kampf", den eine Belegschaft da führt. Diese Belegschaft, die demnächst wohl keine mehr ist, braucht sich offenbar nur darüber keine Sorgen zu machen, ob ihre Sorgen auch genügend Beachtung finden. Statt Kritik an ihrem durchaus ungewöhnlichen Auftreten heimst sie jede Menge Verständnis ein - eine Anteilnahme, die von einem unerschütterlichen Urteil ausgeht: Diese Menschen habe sich nichts zuschulden kommen lassen, aber nichts zu bestellen; gegen den ihnen angekündigten Verlust ihres Arbeitsplatzes ist nichts zu machen - insofern sind ihre Demonstrationen berechtigt. Es ist, -als ob eine ganze Nation den Arbeitern von Rheinhausen mildernde Umstände zubilligt, wenn ihr Benehmen die sonst geltenden Regeln verletzt.
"Aus berechtigter Verzweiflung"
Leider kommt diese Tour in Rheinhausen selbst gut an. Der Befund, es ginge nun wirklich nichts z u machen und deswegen sei manches erlaubt, was sonst unter "Störung der öffentlichen Ordnung" fällt, wird vor Ort nicht als das genommen, was er ist: als Applaus für wehrlose "Betroffene". Umgekehrt gilt jede Aktion genau so viel, wie sie zu dieser Sympathie mit unwiderruflich Geschädigten beiträgt.
Ja, das ist eine Kritik an den Aktionen, und zwar eine, die sie an ihrem Nutzen für die Arbeiter mißt! Im Klartext:
- Wie soll ein Gottesdienst im Stahlwerk einen Arbeitsplatz retten, erhalten oder schaffen? Er führt vielleicht die anwesenden Pfarrer in Versuchung, die letztendlich wieder einer Lohnarbeit zugeführte Hälfte der Krupp-Arbeiter als Erfolg ihrer Gebete zu deuten. Dabei spielt aber die andere Hälfte keine Rolle und die neuen Arbeits- und Lohnverhältnisse schon gar nicht. So etwas ist kein Kampf, durch den etwas verhindert bzw. erreicht wird, sondern eine öffentliche Sympathiekundgebung mit den Opfern, die herauskommen.
- Wie sollen Veranstaltungen mit Politikern der ersten Garnitur den bedrohten Lebensunterhalt der Stahlkocher sichern? Die Redner sagen einerseits, inwiefern sie keine Möglichkeit sehen, etwas für die Leute zu tun; andererseits stellen sie schon wieder einmal ihr Mitgefühl zur Verfügung - mit Leuten, die nichts dafür können und dennoch dem Gang der Geschäfte zum Opfer fallen. Und wenn sie ausgepfiffen werden, lassen sie es sich mit dem Hinweis auf ihre "Ehrlichkeit" und die "Tatsachen", die sie schaffen, auch noch gefallen.
- Was sollen die demonstrativen Besuche in Nachbarbetrieben, die gerade mit ihrem Dienst an ihrem Unternehmen zugange sind: Rettet es vor Entlassungen, wenn unter gewerkschaftlicher Anleitung den Kollegen erzählt wird, ihre 16% Überstunden seien sowas wie der 16%ige Verlust von Arbeitsplätzen? Welcher Gewerkschafter hat denn da unter heftiger Bearbeitung seines Taschenrechners die Lüge aufgebracht, daß die Lohnabhängigen nach ihrem Ermessen Arbeitszeit und Arbeitsplätze aufteilen? Und welcher Gewerkschafter ist denn darauf gekommen, die nutzlosen Solidaritätsadressen nun auch noch abholen zu lassen? Freilich, das kommt schon heraus: Auch bei den achselzuckenden Kollegen, die gar nicht wissen, wofür sie jetzt etwas können, stellt sich garantiert Sympathie ein - mit denen, die "es trifft".
- Wie sollen Verkehrsbehinderungen größeren Stils die Schließung des Betriebs verhindern: Solche Aktionen können schon mal nützlich sein - dann nämlich wenn das Geschäft des Kapitals für überflüssig und die Lahmlegung seines Betriebs für fällig erachtet wird. Bloß: Wer gleichzeitig der anständigen Meinung ist, daß man den Laden, der gerade entläßt, "nicht kaputtstreiken" darf, will sich doch immer noch mit den Entlassein arrangieren.
- Was versprechen sich die Rheinhauser eigentlich davon, wenn sie immer fein brav für die Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses sorgen: Noch eine Aktion neben ihren ganzen sonstigen Aktionsformen? Meinen sie, damit hätten sie sich ein Recht über den Betrieb erworben? Da liegen sie aber schwer daneben! Wer Straßen sperrt und gleichzeitig reibungslos arbeitet, der macht höchstens einen guten Eindruck, und zwar aus einem saudummen Grund. So ein Protest liefert gleich die Garantie mit, daß nicht im Traum daran gedacht ist, die Abhängigkeit von der Firma zu kündigen. Dafür kriegen sie Anerkennung: als beleidigte Arbeiter, die bewiesen haben, was sie alles könnten - "Hafenstraße spielen" oder auch "den Betrieb stillegen" - aber natürlich gar nicht wollen.
"Nichts zu machen"
Die Erfolge dieses Protests stehen inzwischen fest. Die Rheinhausner haben mit ihren Anstrengungen jede Menge Fürsprecher gewonnen. Die "Betroffenheit" der Gekündigten, die selbst niemandem ihren Dienst kündigen wollten, hat es zu höchstem Ansehen gebracht. Politiker haben vor Ort und an Weihnachten per Fernsehen zugegeben, daß sie den Gebeutelten ihre Achtung nicht verweigern. Geistliche sind überzeugt, daß da ein klassischer Fall von unschuldigen Opfern vorliegt, denen Ehre gebührt. War' s s o gemeint?! Alle Fackelzüge waren im Fernsehen - als Beispiele für die Aufregung, die nun einmal zu einer Massenentlassung gehört. Die ist damit abgehakt.
Rheinhausen hat enorme Massen von Sympathie aufgehäuft; es war erfolgreich in der Beschaffung von jeder Sorte Zuspruch, insbesondere bei der Prominenz unserer Nation. Und die Stahlarbeiter waren auch sehr scharf auf diese "Unterstützung". Bei der Abwicklung ihres Schadens sobald dessen Ausmaße feststehen, werden sie feststellen, daß sie nichts, aber auch gar nichts erkämpft haben.
Denn sie haben mit all ihren wohlbegründeten Beschwerden gar keine zielstrebige Gegnerschaft gegen ihre "Arbeitgeber" und gegen die staatlichen Hüter eines Motten Wirtschaftslebens zustandegebracht. Und wer die Freiheit der maßgeblichen Instanzen gar nicht angreifen will - der braucht sich auch nicht zu wundern, wenn über die Hüttenschließung und über Vorruheständler, Weiterbeschäftigte und Arbeitslose von Krupp in Absprache mit Thyssen, Mannesmann und Bonn entschieden wird. Es ist eben ein tödlicher Fehler, seine Gegner z u umwerben, bei seinen Feinden um Nachsicht zu betteln.
Nochmal: Das bringt reichlich Sympathie. Jeder andere Erfolg bleibt dafür aus. Am Ende hält mancher - der DGB zuallererst - die "Lösung", die Cromme und Bangemann verfügen, für schlimm, aber doch nicht ganz so schlimm. Und hinterher will wieder eine Generation Entlassener ganz genau wissen, daß "man doch nichts machen kann".
EINE GANZE STADT IST VON KRUPP ABHÄNGIG.
ABER WOFÜR SPRICHT DAS EIGENTLICH?
Ohne Kohl und Stahl stirbt
das Revier - und wir
Generationen von Arbeitern haben für die Gewinne von Krupp geschuftet und dafür den Lohn bekommen, der ihnen gezahlt wurde. Sie haben sich, solange es ging und das Stahlunternehmen sie gebrauchen konnte, mit harter Arbeit bei extremen Temperaturen und bei schlechter Luft gar nicht natürlich verschlissen. Generationen von Arbeitern haben die wirtschaftlichen Höhen und Tiefen des Riesenunternehmens mitmachen müssen, sie sind arbeitslos geworden oder auch nicht. - Das kann man jetzt so sehen, daß Krupp immerhin Generationen von Arbeitern in Rheinhausen und anderswo Arbeit und Lohn gegeben hat. Man kann das aber auch anders sehen, daß nämlich Generationen von Arbeitern mit ihrem Leben und mit ihrem Lebensunterhalt ganz und gar abhängig waren von Krupp und daß bei dieser ganzen Geschichte der Lohnabhängigkeit nie rosige Zeiten für die Arbeiter eingetreten sind.
Die Arbeiter in Rheinhausen waren und sind aber nicht nur in Sachen Arbeit und Entlohnung auf die Stahlindustrie am Standort angewiesen. Was hängt nicht alles an Krupp: Arbeiterkolonien und Werkswohnungen, Pensionskassen und Krankenanstalten, Erholungsstätten und selbst das bißchen Kultur kommen von Krupp oder hängen irgendwie an der Stahlhütte. - Das kann man nun so sehen, daß Krupp sogar für die Freizeit seiner Arbeiter etwas getan hat oder wenn sie krank und alt wurden; auch um Arbeiterwohnungen hat sich der Konzern gekümmert. Man kann das aber auch so sehen, daß nichts von diesen Sozialleistungen umsonst zu haben war und ist, daß Krupp allein um der Dienstbarkeit seiner Arbeiterschaft willen diese Einrichtungen geschaffen hat. Wegen der Brauchbarkeit der Leute wurde das Revier erbaut. Und etwas ge- und verbraucht sehen Häuser und Leute auch aus. Wenn der Konzern den Standort dichtmacht, läßt er doch den zurückgebliebenen Arbeitern nicht seine sozialen Leistungen, oder?
Schließlich sind da noch die Friseure und Metzger, die Bäcker und Boutiquen, die Konsums und Kneipen und Würstchenbuden und was es sonst noch an kleinen und mittelgroßen Läden gibt. Auch sie sind von Krupp abhängig, wenn auch nicht so direkt wie die Stahlarbeiter. Letzteren müssen die Kleinhändler nämlich ihren Lohn aus der Tasche ziehen, um einigermaßen auf ihre Kosten zu kommen. Wenn nun Krupp dichtmacht, die Stahlarbeiter keinen Lohn mehr bekommen und gegebenenfalls abwandern, dann gehen selbstverständlich einige kleine Geschäfte pleite, weil ihnen die Geschäftsgrundlage, Krupp, abgeht. - Da kann man jetzt so tun, als wäre es furchtbar, wenn es die Kneipe an der Ecke und den Metzger von gegenüber nicht mehr gibt. Man kann sich aber auch daran erinnern, daß die Bäcker und Konsums mit ihren Preisen einen Posten bei den Schwierigkeiten, mit dem Geld auszukommen, ausmachten. Und feststellen, daß man auch für das kleine Geschäftsleben bloß Kaufkraft ist. Und auf der beruht die ganze Solidarität.
Wenn das Leben einer ganzen Stadt von diesem Stahlkonzern abhängt, dann ist das wahrlich keine gute Lehensgrundlage, sondern ein Armutszeugnis. Denn dann bestimmt einzig und allein die Gewinnkalkulation des kapitalistischen Unternehmens nicht nur, ob man Arbeit und Lohn hat, sondern wie auch sonst das Leben läuft. Dann ist man auf Gedeih und Verderb dem Geschäftserfolg oder -mißerfolg des Stahlindustriellen ausgeliefert. Dann ist es auch nur logisch, daß mit dem Abzug von Krupp eine ganze Menge nicht mehr geht in der Stahlstadt Rheinhausen. Dann ist es aber auch ein Fehler, sich auf den Erhalt des Stahlstandorts, der Stadt, der ganzen Region berufen zu wollen.