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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1988 erschienen.

De Gaulle - ein starkes Stück Frankreich
JEANNE D'ARC, ZWEITE AUFLAGE

Charles de Gaulle, der Kriegsgewinner von Alliierten Gnaden, der Araberschinder und Dekolonisator Algeriens, der alte 68er, der vor ein paar Demos auskniff, der Miterfinder einer zwischenvölkischen Weltneuheit ("Erbfreundschaft"), wird dies- und jenseits des Rheins unbestritten zu den Säulenheiligen der jüngsten (deutsch-)französischen Geschichte gezählt. Die Leute haben recht: es gibt über den Mann wirklich nicht viel Gutes zu sagen.

Ein großer Soldat

soll er zuvörderst gewesen sein, der General de Gaulle, der nie eine bedeutende Schlacht geschlagen hat, den Ersten Weltkrieg teils als unbedeutender Hauptmann, teils in deutscher Kriegsgefangenschaft verbrachte, den Zweiten Weltkrieg als militärisches Anhängsel der Alliierten und den Algerienkrieg mit der Entkolonialisierung des Feindeslandes beendete.

Soldat war der einzige "Beruf", den de Gaulle erlernte, und Berufsoffizier wurde dieser Sohn eines radikal nationalistischen Schullehrers und einer "fast fanatisch" (so de Gaulle selbst) katholisch-monarchistischen Mutter wie mancher Jüngling, der hofft, einmal als Teilhaber der nationalen "Elite" mitmischen zu können, und nicht schon als Kind einflußreicher Eltern geboren wurde: Wohl wissend, daß einfacherer Leute Kinder den Marschallstab (und andere Chefutensilien) eher im Tornister, keinesfalls aber in der Brotzeittasche mit sich herumtragen, zog er es durch den Eintritt in die Armee entschieden vor, seine Zeit nicht mit Arbeit zu vergeuden, sich vielmehr von den Arbeitenden aushalten zu lassen und sich zeitlebens lieber mit dem Kommandieren solch nützlichen Fußvolks mit und ohne Uniform zu befassen.

Insofern war de Gaulle zunächst kein großer, sondern ein ziemlich normaler Soldat, "durchschnittlich in allem, bis auf die Körpergröße..." (ein Ausbilder der Offiziersschule), der seinen Verstand dadurch zu trainieren suchte, wie er später laut einer Biographie gerne seinen Enkeln erzählte, daß er stundenlang französische Sätze rückwärts lernte. Zur Anwendung brachte er seinen dadurch auch nicht eben heller gewordenen Kopf in berufsnaher Begeisterung für den "Genius des Krieges" und die "Gewalt als Hebamme des Fortschritts": die Gewalt ist "unentbehrlich" als "Rückhalt des Denkens", der "militärische Geist integraler Teil des Schatzes der Menschheit".

"Kann man Griechenland ohne Salamis verstehen, Rom ohne seine Legionen, die Christenheit ohne das Schwert..., den Völkerbund ohne Frankreichs Sieg?" (de Gaulle in seinem Buch "Die Schneide des Schwertes", 1932 erschienen, nach Vorträgen aus den 20er Jahren)

Einer, der sich von der Geschichte der staatlichen Gewalt die Gewalt nicht wegdenken kann und das für einen guten Grund für eben diese hält, beweist, daß letztere tatsächlich auch "Rückhalt seines Denkens" geworden ist, daß er also ein fertiger professioneller Dummkopf und "Realist" und damit zum Offizier bestens geeignet ist. (Was nicht heißen soll, daß er mit einem solchen Argument nicht auch ein brauchbarer Geschichtsprofessor hätte werden können.)

Davon, daß er für eine bedeutende Karriere bestimmt war, war de Gaulle schon frühzeitig überzeugt, wenn es auch außer ihm lange niemand bemerken mochte. Daß seine Mitoffiziere ihn lange Zeit nur als "Double Metre" oder "Cyrano" (eine Art gallischer Zwerg Nase) bespöttelten oder genervt als "selbstbewußt bis an die Grenze der Unzurechnungsfähigkeit" bekrittelten, hielt ihn nicht davon ab, sich frühzeitig und dann sein Leben lang zum "Chef" zu stilisieren, methodisch und unter Einsatz der ganzen Person:

"...ein solcher Chef hält auf Distanz, denn es gibt weder eine Autorität ohne Prestige, noch Prestige ohne Distanz. Und vor allem gibt es kein Prestige ohne Geheimnis... Unter ihm raunt man von seinem Hochmut..., er macht dem Gefallenwollen keine Zugeständnisse..." (Die Schneide des Schwertes)

So trug er denn geheimnisuoll-weiße Handschuhe, sprach und schrieb in "schönen" Sätzen, lachte nicht, hielt "Distanz" selbst noch zu Weib und eigner Brut, sprach nie jemanden mit Vornamen an und von sich selbst in seinen Memoiren nur in der dritten Person, hielt sich von Freundschaften fern und insgesamt mächtig auf "Haltung".

Das alles hätte in der Lächerlichkeit einer Offiziersmarotte enden können, wenn de Gaulle nicht schon frühzeitig durch Zufall auf den besten Förderer gestoßen wäre, den man dannals für die Förderung einer französischen Offizierskarriere finden konnte: Er imponierte seinem ersten Obristen, dem nachmaligen Weltkriegshelden und Marschall Petain durch seinen demonstrativen Eifer und seine militärische Borniertheit so sehr ("...liebt seinen Beruf über alles", so Petain über de Gaulle) und schmeichelte ihm in einer öffentlichen Vortragsreihe so überzeugend, daß der alte Kommißkopf nicht umhin konnte, eine für de Gaulles Laufbahn tödliche Note der Kriegsschule kurzerhand zu kassieren und den jungen Karrieristen zum "intelligentesten Offizier Frankreichs" zu ernennen.

Der zweite Glücksfall, der aus dem bei Kriegsausbruch inzwischen Brigadegeneral und Unterstaatssekretär gewordenen de Gaulle endgültig einen "Großen Soldaten" machte, war der Umstand, daß er als einziges, wenn auch subalternes Regierungsmitglied auch nach dem Waffenstillstand von 1940 nicht wie die Vichy-Mannschaft an den Sieg der Deutschen und eine bedeutende Rolle Frankreichs in einem faschistischen Europa glaubte, sondern an den der Alliierten, und daß Churchill diesen unbekannten und leicht spinösen Unterstaatssekretär-General in London mit Geld und Propagandamitteln ausstattete, damit er als "Freies Frankreich" und alternative Option zu Vichy figuriere.

So wurde der General über BBC einer zunächst mäßig interessierten, besiegten und mehr oder minder kollaborierenden Grande Nation bekannt gemacht. Als er dann aber, nach zahllosen Querelen und Intrigen als Chef der "Freien Franzosen" sich behauptend, in Paris einmarschiert war, so als hätten er und die Franzosen und nicht Amis und Briten die Nazis geschlagen, war sein Übergang zu ewigem Ruhm nicht mehr rückgängig zu machen: der General war nun für den französischen Nationalismus von rechts bis zur KPF die Personifikation Frankreichs als Siegermacht, der uniformtragende Beweis und Garant dafür, daß das "wirkliche Frankreich" immer gekämpft und letztlich auch militärisch gesiegt und "eigentlich" nie kapituliert und kollaboriert hatte, weshalb die Nation folgerichtig auf der Seite der Anspruchsberechtigten bei der Neuordnung der Nachkriegswelt zu stehen hatte.

Von diesem Zeitpunkt an konnte sich de Gaulle der Aufmerksamkeit der Franzosen sicher sein, wenn er in der Uniform des siegreichen Generals vor ihre Linien trat, um sie für seine Variante des nationalen Wohls strammstehen zu lassen und die "Legitimität der Macht, (die) aus den Siegen der Waffen geboren ist" (de Gaulle), agitatorisch für sich nutzen:

So verfuhr er 1958, als er die aufrührerischen algerischen "Pieds Noirs" und Militärs damit beruhigte, daß er auf ihren Wunsch hin als neuer Regierungschef und einer der ihren "Algerien befrieden (werde), und zwar so, daß es für immer mit Leib und Seele französisch bleibt" (de Gaulle im Juni 1958). Zugleich überzeugte er seine Wähler, die den Bürgerkrieg fürchteten, daß nur er als über den Parteien stehender General und neuer Staatspräsident einer V. Repubtik mit den neuen Vollmachten seiner eigenen Verfassung eben diesen Bürgerkrieg verhindern und den Algerienkrieg beenden könne.

Nach drei Jahren härtester Kriegsführung in Algerien legte der Präsidentengeneral wieder die Montur an und verkündete seinem Volk, daß

"die Dekolonisation in unserem Interesse liegt. Sie ist deshalb unsere Politik. Warum sollen wir uns an kostspielige, blutige, ausweglose Herrschaftsverhältnisse klammern, wo unser Land doch von Grund auf zu erneuern ist?"

Den Putsch der düpierten Algeriengenerate schlug er nieder und entließ Algerien in die "Unabhängigkeit" der imperialistischen Franc-Zone.

Da er als General der Franzosen seine "Rolle" darin sah, "dem Gemeinwohl die verschiedenen Elemente der Nation zu deren (!) Heil unterzuordnen", gab er ihnen doch auch immer wieder eine Chance, obwohl die Franzosen "nichts als Krämer, Friseure und Bauern" waren.

Deshalb ging er 1968 zum letztenmal in Uniform vor die Kameras, da einige "Elemente der Nation", Studenten und Arbeiter, demonstrierend und generalstreikend ihre Aufsässigkeit bewiesen hatten und neu dem Heil der Nation unterzuordnen waren.

Zuvor hatte er sich schon in die Arme des getreuen Generals Massu nach Baden-Baden gefllüchtet

- "Massu, tout ent foutu!" (Massu, alles ist im Eimer!) -,

verkennend, daß die Studenten eigentlich nur ordentlich studieren und neben de Gaulle auch noch "die Phantasie an die Macht" bringen wollten und "die zehn Millionen streikenden Arbeiter nicht die Macht, sondern bessere Lebensbedingungen" (CGT-Chef Seguy) wollten.

"Massu in seiner offenen Art gelang es endlich unter Hinweis auf die Treue der Armee, den General umzustimmen." (Schilderung des damaligen Premierministern Pompidou)

So ermutigt, daß die Armee notfalls die Unbotmäßigen, die von der Polizei nicht mehr niederzuknüppeln waren, mit ihren Mitteln befrieden werde, rief er seinen Anhang öffentlich zur Lynchjustiz auf-

"...überall muß sich die Bürgeraktion organisieren, um die Regierung zu unterstützen und die Subversion zu bekämpfen..." (Ansprache vom 30. Juni 68) -

und bot dann dem Land ein Referendum an, um sich zu

"versichern, daß die Franzosen, die sich im Mai 1968 schlecht betragen haben, noch einmal mit de Gaulle eine letzte Anntrengung unternehmen wollen, den Staat iu reformieren".

So oft de Gaulle in der Parteienkonkurrenz einen entscheidenden Stich machen wollte, dienten ihm Uniform und Generalsrang als Ausweis dafür, daß er gerade über den verächtlichen Niederungen dieser Konkurrenz stehe, daß er gerade als Soldat ein Mann sei, "der niemandem gehört und für alle da ist", eben ein

Großer Staatsmann,

dem nicht die Politik, sondern der Staat überhaupt am Herzen liege.

Die sehr gewöhnliche Politikerphrase, daß der eigene Standpunkt nichts Parteipolitisches an sich habe, sondern der nationale schlechthin sei, trug kaum einer so gläubwürdig vor wie de Gaulle, und vermutlich glaubte auch kaum einer so daran wie er selbst.

Er sah sich zeitlebens nur in "historischer Mission" unterwegs, rettete ein ums andere Mal das Vaterland und betrachtete deshalb "als einzige Instanz, die mich interessiert, die Geschichte".

War das krampfhaft würdevolle Gehabe des soldatischen Befehlshabers, über das er sich so gerne in seinen Traktaten über den "Charakter des Chefs", "die Selbstinszenierung", die "Natur des echten Führers" ausbreitete, noch die Vorbereitung eines Karrieristen auf erhoffte spätere Größe, so wurde dem Menschen der Wahn, eine Reinkarnation der Jungfrau von Orleans zu sein, mit der er sich häufig verglich, nach und nach zur ersten Natur. Er wollte tatsächlich Staatsmann sein und sonst gar nichts. Dafür machte er konseguent seine ganze trostlose Persönlichkeit zurecht, so daß selbst noch ein sympathisierender Biograph feststellen muß, daß sein Held ein arg beschränkter Trottel ist, geadelt, allerdings durch den Erfolg als Machthaber:

"Für das Theater, die Musik oder die Oper interessierte er sich nicht... Die Schlichtheit und Schmucklosigkeit seines persönlichen Lebens und seiner Lebensgewohnheiten, der bewußte Verzicht auf Vergnügungen, Zerstreuungen, Humor und Spaß diente bei de Gaulle dazu, seine völlige Hingabe an die Kunst der Macht zu ermöglichen. Was an anderen Menschen Borniertheit wäre, wurde bei de Gaulle ein Teil seiner Faszination und des Geheimnisses seiner Macht." (Don Cock, De Gaulle)

So blieb dem Mann nur der Genuß der eigenen messianischen Bedeutsamkeit und des großartigen jesusmäßigen persönlichen Opfers:

"Ein Ruf aus den Tiefen der Geschichte und dann der Instinkt des Landes haben mich bewogen, das verlassene Erbe anzutreten, die französische Souveränität auf mich zu nehmen... Was die menschlichen Beziehungen angeht, so ist mein Los also die Einsamkeit..."

Von dieser hohen Warte aus erschien dem General das gewöhnliche parlamentarische Getriebe der demokratischen Machtkonkurrenz stets als unzumutbare und unverantwortliche Behinderung seiner staatsmännischen Vorhaben, weswegen er sich mehrmals beleidigt in sein Kaff zurückzog:

- als man ihm 1946 seitens der Verfassunggebenden Versammlung zur IV. Republik die gewünschten präsidialen Vollmachten verweigerte, - als er 1951/52 mit seinem "Rassemblement du Peuple Francais" (RPF) bei Wahlen den Durchbruch zur Regierung verfehlte und

- als er bei dem selbst angesetzten Referendum zur Regionalisierung der Verwaltung 1969 keine Mehrheit gewann.

Zwar befand er solche Rückzüge aus den Niederungen der Politik als seiner Bedeutung angemessen:

"...es ist doch so: die Jungfrau von Orleans kann man sich nicht verheiratet denken, als Mutter einer Familie und womöglich mit einem Mann, der sie betrügt." (de Gaulle nach seinem Rücktritt 1946 zu einem Vertrauten)

Noch angemessener hätte er es allerdings gefunden, wenn die Massen die uniformierte männliche Staatsjungfer im Triumphzug zurückgeholt hätten. Als diese ausblieben, schickte er nach seinem ersten Rücktritt Späher aus, um erkunden zu lassen, ob sie etwa durch Straßensperren von ihm ferngehalten würden. Man hatte aber gar keine Straßensperren errichtet. Die Massen hatten gerade andere Sorgen.

Derlei Enttäuschungen bestärkten den Großen Staatsmann nur in seiner Verachtung für das "System", das eine ständige

"Atmosphäre von Skandal, Skeptizismus und Ekel erzeugte", für die Parlamentarier, die "Politichiens" - "alles Taugenichtse! Sie haben nur ihre Karierre im Kopf." - und die Wahlen, da "...daraus doch nur Verdruß für das Land und die Nationalversammlung selbst resultieren... diese Kombinationen, Geschäftigkeiten, Vertrauensvoten, Investituren, die das Spiel, das Gift, das Entzücken des Systems sind...",

inklusive Volk:

"La France vacharde!" (Das Frankreich der Rindviecher!)

Trotz all dieser Faschistereien gegen die heiligsten Güter der Demokratie und obwohl er immer wieder einmal mit der Möglichkeit der Militärdiktatur kokettierte:

"Die ausschließliche Herrschaft der Parteien ist wieder da. Ich mißbillige sie. Aber außer der zwangsweisen Errichtung der Diktatur, die ich nicht will und die zweifellos schlecht ausgehen würde, habe ich keine Mittel, diese Entwicklung zu verhindern." (de Gaulle 1946),

obwohl er für den Erfolg seines "Rassemblement" den theoretischen Faschismus der nationalistischen Massen nach Kräften ausnutzte und anheizte wie jeder rechte Demokrat, verkannte er vom Standpunkt des eigenen Staatsfanatismus nicht die Leistungen der demokratischen Tour bei der Abwicklung von Ausbeutung und Gewalt: Den Fehler des faschistischen Anti-Demokratismus machte er nicht mit, der ausgerechnet das Durchstreichen von Interessen mittels parteimäßiger "politischer Willensbildung" und die Benützung und Befriedung des Bürgerwillens per Wahlkreuzchen für eine Schwächung der politischen Gewalt hält. De Gaulle stritt seiner Lebtag für eine Variante demokratischer Machttechnik, die - selbstverständlich mit de Gaulle an der Spitze - dafür sorgen sollte, daß nicht hinter dem "Parteienstreit die höheren Interessen des Landes verschwinden".

Im Präsidentenamt soll

"eine nationale Schiedsinstanz bestehen... über der Tagespolitik,... die in Augenblicken emster Wirren durch den Appell an das Land, seinen souveränen Willen (durch Referendum oder Wahlen) kundzutun", für die "nationale Unabhängigkeit" sorgt.

Dieser Verfassungsentwurf, erstmals in der "Großen Rede von Bayeux" 1946 vorgestellt, 1958 als Grundgesetz der V. Republik in Kraft getreten, ist gültig bis heute, wo ihn ein sozialistischer Nachfahre des Generals genießt. Den Faschismus hielt der französische Chefideologe und -praktiker der Souveränität und

"Feind jeder Ideologie" (de Gaulle über sich)

im übrigen für den "Ausdruck einer Zivilisationskrise" mit tieferem Grund in "der Transformation der Lebensbedingungen durch die Maschine", in der - so sorgenvoll ausgerechnet dieser berufsmäßige Verächter jedes persönlichen Interesses - das "Individuum unvermeidlich untergeht."

Der Haupt- und Erzfeind stand für diesen famosen Staatsmann und Anti-Ideologen selbstverständlich links. Vom Standpunkt des souveränen staatlichen Einsatzes von Land und Leuten für die maximale nationale Schlagkraft war ihm eine Partei, die theoretisch und praktisch, getrennt von dem der Nation, das Sonderinteresse einer Klasse aufmachte, zutiefst zuwider:

"Auf unserem Boden, mitten unter uns, haben Menschen einem fremden (!) Herrschaftswillen, gelenkt von den Herren einer großen slawischen Macht, den Treueeid geleistet. Sie haben das Ziel, bei uns die Diktatur zu errichten, so wie es ihresgleichen andernorts mit Unterstützung dieser Macht gelungen ist. Für sie... handelt es sich in Wahrheit darum, unser schönes Land in totalitäre Knechtschaft zu bringen, wo kein Franzose mehr über seinen Körper und seine Seele verfügte und Frankreich selbst zum Vasallen eines kolossalen Hegemonen würde." (de Gaulle 1952)

Der Widerstand solcher "Menschen" gegen die ihnen stets schädliche Vereinnahmung durch den inländischen "Herrschaftswillen" ist de Gaulle nicht anders erklärlich als durch die Verpflichtung auf einen fremden ausländischen. Die Möglichkeit, eine ganze Abteilung von Franzosen könnte ihres eigenen Interesses wegen gegen Typen wie ihn und ihre Vorhaben Front machen, ist ihm undenkbar, weshalb die Weigerung, sich auf den nationalen Standpunkt verpflichten zu lassen, für den französischen Führer nur im Dienste fremder und daher feindlicher Souveränität erfolgen konnte, als Separation von der Gemeinschaft der Franzosen. (Dieselbe Logik machte im übrigen auch der deutsche Führer den Kommunisten auf, so wie es jeder staatstragende Antikommunist bis heute tut.)

Konsequenterweise nannte de Gaulle die Kommunisten öffentlich nie anders als "die Separatisten", die

"alle Bereiche nationaler Aktivität unterwandern, die Verwirrung stiften, die Unzufriedenen anstacheln, die Naiven täuschen usw. usf."

Die "Separatisten" waren um jeden Preis zu bekämpfen, und vor allem vor ihnen mußte de Gaulle das Vaterland immer wieder retten: Während des Krieges durch die Unterstützung der nichtkommunistischen Resistance, nach der "Befreiung" durch schnelle Entwaffnung der starken kommunistischen Milizen und ihre kurzzeitige "Einbindung" in die erste provisorische Regierung (was die KPF, verantwortungsvoll wie sie war, sich alles gefallen ließ), durch Putschdrohungen zwischen 1947 und 1952 für den Fall, daß die starke KPF-Fraktion des Parlamentes mit an die Regierung käme und durch Bürgerwehr-Aufrufe und die Androhung des Einsatzes "aller Möglichkeiten ohne Ausnahme" zur Aufrechterhaltung "der nationalen und republikanischen Legitimität" und um den "Sieg des totalitären Kommunismus" zu verhindern, bei den Mai-Unruhen 1968.

Daß de Gaulle proletarisches Klasseninteresse als strafwürdigen Separatismus betrachtete, bedeutete aber nicht, daß ihm die Differenz zwischen Staat und Bürgern nicht geläufig gewesen wäre. Er stand "nur" auf dem Standpunkt, daß dies ein Dienstverhältnis zu sein habe, das der staatliche Dienstherr souverän auszugestalten habe, eben zu seinem Vorteil:

"Der Zusammenhalt Frankreichs erfordert, daß sie (die Arbeiter) sich moralisch in die nationale Gemeinschaft re-integrieren, von der viele dazu neigen...nich zu entfernen. Wenn darüber hinaus die Arbeiterklasse von sich aus die Quellen ihrer Möglichkeit erschließt, was könnte das für die Produktivität und damit für die französische Macht bedeuten!" (Memoiren)

Großer Staatsmann, der er war, war er eben auch ein

Großer Franzose

darin, daß er den Franzosen den Gegensatz zwischen ihnen und Frankreich stets als einen von ihnen zu erfüllenden Anspruch aufmachte, wenn nötig bis zur letzten Konsequenz -

"Nun, meine Herren, Sie gehen nach Frankreich. Auch wenn Sie sterben sollten - Frankreich wird leben! Auf Wiedersehen meine Herren!" (1943 in London zu französischen Widerständlern) -

und ohne unnötigen Gefühlsaufwand, denn

"zwischen der Hand, die den Zug ausführt und dem Stein am Schachbrett kann es keine Freundschaft geben"

Die Lasten, die Frankreich den Franzosen auferlegt, haben sie immer verdient und eigenem Versagen zuzuschreiben:

"Zu Zeiten, da Mittelmäßigkeit Frankreichs Tun und Lassen kennzeichnet, habe ich das Gefühl einer absurden Anomalie, die auf das Versagen der Franzosen zurückgehen muß, nicht auf den Genius des Vaterlandes."

Wenn aber die Franzosen nicht versagen, ihren Dienst tun und brav ihre Pflichten erfüllen, dann, so teilt ihnen der Größte aus ihrer Mitte mit, kommt Frankreich zu seiner wahren Bestimmung (die nur leider auch die Bestimmung aller anderen Vaterländer auf dem Globus ist): Ansprüche an die ganze Welt stellen zu können.

"Zeit meines Lebens begleitet mich eine bestimmte Vorstellung vom Wesen Frankreichs... berufen zu einem großartigen, außergewöhnlichen Schicksal... Auch sagt mir mein Verstand (!), daß Frankreich nicht Frankreich ist, wenn es nicht an der ersten Stelle steht... Kurz, ich glaube, ohne Größe kann Frankreich nicht Frankreich sein." (de Gaulle, Memoiren)

Den Bemühungen um die Wiedererrichtung französischer Größe in der Nachkriegswelt, in der Frankreich sich als eine Unterabteilung des US-imperialistischen Blocks wiederfand, diente die entschiedene Ablehnung der "Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" (EVG),

eines "vaterlandslosen Monstrums", das dem "wiedererrichteten IV. Reich die militärische Vormacht in Europa wiederbeschafft" (de Gaulle),

die Sonderrolle in der NATO, die Gegnerschaft gegen Großbritanniens Mitgliedschaft in der EG und nicht zuletzt die Sonderregelung des EG-internen Verhältnisses mit dem alten und - wie vorausgesehen - neuen Hauptkonkurrenten auf dem Kontinent: dem Deutschen BRD-Reich, dessen Etablierung und Machtentfaltung als antikommunistische NATO-Großmacht Frankreich dulden mußte, unter dem Titel der "deutsch-französischen Freundschaft".

So war aus dem großen Franzosen de Gaulle am Ende auch noch ein

Großer Europäer

geworden, gerade weil er Europa nie anders als unter dem Gesichtspunkt französischer Macht betrachtete, ein Standpunkt, von dem aus Frankreich allein natürlich immer zu klein ist:

"Diese Gemeinschaft, die 150 Millionen Menschen und beträchtliche Ressourcen umfassen würde, bedeutende intellektuelle, spirituelle, moralische und soziale Werte dazu, in Übersee ergänzt durch angeschlossene oder assoziierte Territorien, würde die Chance der Alten Welt wiederherstellen gegen die Hegemonie der Supermächte...

Aber...es ist Frankreich, dem dabei die Aufgabe und die Würde zukommen muß, das Zentrum und der Schlüssel zu sein." (de Gaulle)

Dabei dachte der General übrigens nicht nur an Europa bis zur DDR-Grenze, sondern sah

"Europa, so wie es ist. Ich sehe es sich erstrecken von Gibraltar bis zum Ural."

Damit hat der europäische de Gaulle einen Ausblick gegeben, der bis heute gilt. Die neuen deutschen Erbfreunde sehen Europa genauso. Nur die Sache mit dem "Zentrum" und dem "Schlüssel" stellen sie sich ein bißchen anders vor als der verblichene General.