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Das sozialistische Lager
I. Der Geburtsfehler: nationaler Kommunismus
"Das Prinzip des sozialistischen Internationalismus wurde durch Marx und Engels wissenschaltlich begründet und in der Klassenkampflosung zusammengelaßt: 'Proletarier aller Länder, vereinigt euch!'"
"Im Sozialismus erwachen die Nationen zu neuem schöneren Leben, erreichen sie Vollendung... Die nationalen Unterschiede verringern sich immer mehr, bis sich die Nation als Entwicklungsform der bürgerlichen Gesellschalt endgültig überlebt und nur noch die universelle kommunistische Gesellschaft existiert... 'Volle Gleichberechtigung der Nationen; Selbstbestimmungsrecht der Nationen; Verschmelzung der Arbeiter aller Nationen...' (Lenin 20, 460)..." ("Sozialistischer Internationalismus", "Nation", Philosophisches Wörterbuch, Klaus Buhr, Berlin 1969)
Der Ostblock ist eine Gründung der Sowjetunion. Ihre militärischen Erfolge im Kriegsbündnis gegen Hitler hat die Regierung Stalin als Gelegenheit betrachtet, in Osteuropa und auf dem Balkan befreundete Staaten einzurichten. Eine Annexion hat nicht stattgefunden, auch wenn dieses Verbrechen von alten und neuen Feinden den Russen immer wieder zur Last gelegt wird. Eine "Verschmelzung der Arbeiter aller Nationen" fand nicht statt, wohl aber Staatsgründungen, die den überkommenen Nationalismen Tribut zollten. Entstanden sind nationale Souveräne, mit Grenzen, Pässen für das Volk und einer Miliz, vor der sich auch marodierende russische Soldaten zu verantworten haben. Insofern wurde den Machern in den "Satellitenstaaten" ein Befreiungsprogramm ihrer Nation aufoktroyiert.
Die Linie, nach der in den wiederbelebten Nationen regiert und aufgebaut werden sollte, bereitete denen im Kreml kein Kopfzerbrechen. An die Herrschaft der befreundeten Nationen sollten "fortschrittliche Kräfte" kommen, und zwar in einem möglichst breiten Bündnis. Für diese aus historischen Erfahrungen abgeleitete Notwendigkeit ließen sich in den Völkern genügend Vertreter finden, die das neue Staatsleben in die Hand nahmen. Die Gegnerschaft, auf die das neue Staatsprogramm hier und dort traf, hielt sich in Grenzen, da die Gemüter noch ziemlich von den Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes okkupiert waren. Die Wiederherstellung der Nation, die Sammlung ihrer Kräfte hielt auch mancher bürgerliche Nationalist für das Gebot der Stunde, und die Rote Armee genoß allemal ein höheres Ansehen als die Kollaborateure aus den Tagen des Krieges.
Andererseits stand für die mit einem neuen Staatswesen bedachten Nationalisten damit noch lange nicht fest, daß für ihre Politik nun das feste Bündnis mit der Sowjetunion in allen möglichen Fragen als oberster Leitfaden zu gelten hatte. Darauf aber kam es dem Kreml schon ein bißchen an, zumal die westlichen Alliierten eine Truman-Doktrin erfunden hatten. Die dem ehemaligen Kriegspartner zugestandene Einflußsphäre (kranke Männer in Jalta von Stalin über den Löffel balbiert) wurde offiziell zur weltpolitischen Streitfrage erklärt, als weltpolitisches Unrecht definiert sowie als unerträgliche "kommunistische Expansion" gegeißelt. Um da nichts anbrennen zu lassen, um den lizenzierten Nationalismus am Weg in die andere Einflußsphäre zu hindern, steckte Moskau die Grenzen der gewünschten nationalen Betätigung etwas enger ab. Die nationalen kommunistischen Parteien, denen von sich aus an der Nachahmung des sowjetischen Vorbilds und am Schulterschluß mit Lenins Erben etwas gelegen war, bekamen den Zuschlag. So ist dann doch etwas mehr daraus geworden als ein paar neue Nationalhymnen und Fahnen und Parlamente. Die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse, die Veränderung der Produktionsweise fand auch noch statt.
Die seitdem anhaltende Empörung der bürgerlichen Welt: die Sowjetunion hätte den anderen Völkern mit Gewalt ihr System aufgezwungen, ist ein bißchen verlogen. Über Produktionsverhältnisse ist noch nie per Volksabstimmung entschieden worden. Daß dieser Sachverhalt in der westlichen Einflußzone weniger auffällt, liegt nur daran, daß die westliche Siegermacht mit ihrer Gewalt die Fortsetzung der alten Produktionsweise zu etwas geänderten Bedingungen verfügt hat. Wenn die Masse der Westdeutschen nach 45 wieder als Proleten in die Fabriken einrücken durften, war das auch nicht deren freie Entscheidung; sie mußten sich bloß - anders als ihre osteuropäischen Kollegen - nicht groß umgewöhnen. Wenn der Sozialismus durch die Rote Armee und nicht durch die revolutionäre Arbeiterklasse auf die Tagesordnung gesetzt wurde, so ist das auch keine Schande. Warum sollten sich auch die Arbeiter und Bauern nicht für eine Politik gewinnen lassen, die ihnen bessere Lebensverhältnisse garantiert? Zu kritisieren ist vielmehr, daß das im Osten eingeführte ökonomische System das gar nicht so einfach leistet. Nicht zuletzt wegen des tiefen Respekts, den die Revisionisten vor dem Recht der Völker auf eine echt nationale Herrschaft hegen.
Als Gelegenheit, die Proletarier, wenn schon nicht aller, so doch einiger Länder zu vereinigen, scheinen die russischen Kommunisten ihre Machtposition nach dem Krieg nicht aufgefaßt zu haben. Der Dienst von Arbeitern an "ihrer Nation" ist ihnen so unbedenklich erschienen, daß sie ihn gleich mehrfach zur feiernswerten neuen Lebensgrundlage erhoben. Sie haben den dazu gewonnenen Nationen die Übernahme des "sowjetischen Modells" als den Weg zum Fortschritt offeriert. Damit erben die neuinstallierten kommunistischen Regierungen einerseits den ganzen politischen Unfug, den der bürgerliche Nationalismuis so mit sich bringt, Gebietsansprüche und sonstige Gehässigkeiten mit eingeschlossen. Andererseits wird mit ihnen, in Gestalt der nationalen kommunistischen Parteien ein völlig neuartiger Nationalismus in die Welt gesetzt: nämlich die zweifelnde Begutachtung des "sowjetischen Modells", ob und wie es den Interessen Polens, Jugoslawiens oder Rumäniens gereeht wird. Der Erfolg der "revisionistischen Wirtschaftsweise im Land soll identisch sein mit der bestmöglichen Bedienung der Interessen des jeweiligen Volks - und damit ist die nationale Überprüfung fällig von seiten unbefriedigter Interessen im Volk, bei denen sich die KPs immer vor die Frage gestellt sehen, ob sie sie anerkennen oder bekämpfen wollen, und von seiten der Parteien selbst, die sich ja als das Werkzeug ihrer Nation verstehen.
Siebenfacher nationaler Kommunismus - dieser leibhaftige Widerspruch macht die Schönheiten des östlichen Staatenbündnisses aus. Ganz im Gegensatz zu der Bilderwelt, in der sich der imperialistische Ärger über den verhinderten Zugriff auf diese Ökonomien austobt - "captive nations", "eiserner Vorhang", "Block", "Gleichschaltung" etc. etc. etc. -, mit der Gründung von revisionistischen Nationalstaaten sind "nationale Wege" nicht ver- sondern geboten; und der Streit über deren Zuträglichkeit für den Erfolg des Bündnisses ist auf Dauer institutionalisiert.
II. Ein Wirtschaftsbündnis zur "gegenseitigen Hilfe" - Wahrheit und Lüge
"Die sozialistischen Staaten, die sich von den Prinzipien der völligen Gleichberechtigung, des gegenseitigen Vorteils und der kameradschaftlichen gegenseitigen Hilfe leiten lassen, vervollkommnen allseitig die wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit, was sowohl den Interessen eines jeden sozialistischen Landes als auch denen des gesamten sozialistischen Lagers entspricht." (Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiter-Parteien, 1960)
Das Programm des RGW tut so, als hätte man die in der bürgerlichen Außenhandelstheorie niedergelegten Ideale wahrgemacht, daß Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nationen nur allseitigen Nutzen und nirgendwo einen Schaden hinterlassen. Sicher - eine Konkurrenz um Kapitalerfolge, die sich bei der einen im Gegensatz zur anderen Nation niederschlagen, findet nicht statt; auch die handels- und währungspolitischen Druckmittel, die dem Privateigentum je nach Herkunft und Wirkungssphäre zur Schranke oder zur Hilfe gereichen, sind ja mit der Systemänderung entfallen. "Zusammenarbeit" findet aber auch nicht einfach statt. Der RGW praktiziert eben keine gemeinsame Planung, die über die Entwicklung der Produktivkräfte, die zweckmäßigste Festlegung von Standorten und Ausnutzung geographischer Besonderheiten entscheidet. Das Bündnis stellt gar nicht die Addition sämtlicher nationaler Produktivkräfte zum allseitigen Vorteil dar - sondern die Trennung in national bilanzierte Produktionen, bei der die staatlichen Repräsentanten erst einmal auf den nationalen Vorteil achten, wenn sie vom gegenseitigen reden.
Der revisionistische Einsatz der "Ware-Geld-Beziehung", der sich die Leistungen des Geldes als den Hebel der sozialistischen Produktionsweise zunutze machen will, setzt diesen Maßstab auch nach außen in Kraft und eröffnet damit sehr nationale Interessensgegensätze. Die vorwiegend agrarische Benutzung eines Landstrichs ist eben nur dann identisch mit "arm" und "unterentwickelt", wenn sie national bilanziert wird - ohne nationale Berechnung sind solche Unterschiede reine Transportfragen. Wenn sich dieser Landstrich aber als ökonomische Grundlage eines Staatswesens, einer Nation bewähren muß, wenn sich diese Nation also mit Gemüselieferung eine Industrie verdienen muß, dann ist der Streit um den nationalen Vorteil programmiert.
Auf ihre vertrackte Weise wissen die Ostblock-Ökonomen das sogar: Wenn das Gebot der Entwicklung der Produktivkräfte unbedingt gilt, wenn nämlich aus politischen Gründen die Produktion eines Landes aufgebaut oder unterstützt werden muß, setzen sie ihr Rechnungswesen außer Kraft und leisten schlicht und einfach Hilfe, überlassen unentgeltlich Lizenzen, schicken Maschinen und Spezialisten. In der Aufbauphase war das der Fall, gegenüber den sozialistischen "Entwicklungsländern" Kuba, Vietnam und Mongolei; auch in Krisenfällen wie in Polen geschieht das immer noch. Und daß der Sozialismus mit seiner "kameradschaftlichen gegenseitigen Hilfe" einiges an Entwicklung zustandegebracht hat, was die Länder, wären sie dem freien Westen zugefallen, garantiert nie gesehen hätten, ist kaum zu leugnen. Aber der Aufbau von Industrien zur allseitigen Versorgung mit nützlichem und erfreulichem Kram ist nicht der maßgebliche Zweck in diesem Bündnis, und die "gegenseitige Hilfe" nicht der Normalfall. Dieser edle Name sagt ja schon, daß auf seiten der hilfeleistenden Nation die Rechnung gilt, nach der da ein Abtreten, Wegschenken von Reichtum ein nationales Minus stattfindet.
Der problematische gegenseitige Vorteil - die Suche nach dem gerechten Preis
Der Zusammenarbeit können die Hebelökonomien einerseits sehr viel abgewinnen, insofern die jeweils anderen allerhand produzieren, was sie brauchen können und selber nicht zustandebringen. Andererseits aber kostet das, die Beschaffung hat ihren Preis, der genau genommen keine Geldsumme, sondern ein Problem darstellt: Man muß nämlich selber etwas aus dem Fundus der eigenen "nationalen Entwicklung" dafür abtreten. Intern ist jedes Produht als Beitrag zur nationalen Ökonomie verbucht; die sozialistische Ware schafft sozialistisches Reineinkommen, bildet Fonds und schafft dem Staat finanzielle Dispositionsfreiheit, erfüllt also innerhalb einer realsozialistischen National-Ökonomie manche Dienste für das alles müßte, wird sie per Außenhandel abgetreten, die bezogene Ware eigentlich Ersatz leisten:
"Vom Standpunkt der internationalen Ware-Geld-Beziehungen muß der Verrechnungspreis unbedingt alle gesellschaftlichen Aufgaben der erweiterten Reproduktion eines bestimmten Erzeugnisses innerhalb eines Landes möglichst vollständig und richtig wiedergeben. Die einzelnen Elemente dieser Aufwendungen wären:
1. Lohnaufwand einschließlich der Leistungen aus gesellschaftlichen Konsumtionsfonds; (= die per Staatshaushalt verausgabten Mittel zur Reproduktion der Arbeitskraft)
2. Ersatz der verbrauchten Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel;
3. Mittel für die Erweiterung der betreffenden Produktion sowie für die Schaffung von Reservefonds;
4. Aufwendungen für Verteidigungszwecke, Verwaltung und andere Aufgaben, die nur aus dem in der materiellen Produktion geschaffenen Mehrprodukt gedeckt werden können."
(O. Bogomolow, Theorie und Methodologie der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung, Berlin 1969, S. 133)
Kaum entschließen sich die sozialistischen Nationen zu einer Arbeitsteilung, verfallen sie auf die Gesetze des Schachers. Und da sie einerseits mitbekommen haben, daß der realexistente Schacher zwischen den Nationen, die sich darauf verstehen, manches Ungleichgewicht und eine erhebliche Scheidung zwischen arm und reich hervorbringt, sinnen sie darauf, den Schacher ganz gerecht zu gestalten. Hilfe bei diesem Vorhaben erwarten sie sich von Marx, allerdings abzüglich der kleinen Nebensache, daß dieser die Bewegung von Werten im Kapitalismus erläutert hat. Die Idee des gerechten Tauschs, die in den vier Punkten der zitierten Ersatzliste aufgemacht wird, ist nämlich kein Vergleich zwischen Werten, sondern zwischen nationalen Unkosten. So wenig im Kapitalismus diese Unkosten den Maßstab für die internationalen Tauschverhältnisse abgeben, so absurd ist es, sie im Sozialismus zur Bedingung von Arbeitsteilung zu machen. Was ist denn schlimm daran, wenn mit der Überführung von ein paar Tonnen landwirtschaftlicher Produkte ins sozialistische Ausland die jewelige Empfängernation nicht für den Ersatz der verbrauchten Mistgbeln und Mähdrescher geradesteht? Umgekehrt: Wie stellt sich denn ein sozialisischer Außenandelstheoretiker eine Warenlieferung vor, die einem Handelspartner seine Aufwendungen für Verteidigungszwecke gerecht entgilt? Was schadet überhaupt dem sozialistischen Aufbau hier und dort ein "Ungleichgewicht" in der grenzüberschreitenden Belieferung mit Produkten?
Eine Versorgung mit dem, was andernorts fehlt oder nicht so schnell günstig produziert werden kann, scheint in der Vorstellungswelt sozialistischer Weltmarkttheoretiker gar nicht zu existieren. Als Nationalisten wissen sie "mein" und "dein" strikt zu unterscheiden; sie kalkulieren als Nationen wie Privateigentümer, also wie die Figuren, denen sie in ihren Systemen kein Recht mehr zubilligen. Die großartige Idee der "wechselseitigen Hilfe" fängt gleich mit dem Verdacht an, es könne manchmal zu viel in eine Richtung gehen - und der Anspruch auf Entschädigung beschränkt von vornherein den Willen zur Arbeitsteilung.
Als müßten sozialistische Länder die Stundenzetteltheorie zwischen den Nationen ihres Lagers wahrmachen, bemühen sich ihre Theoretiker und Planer um den Vergleich ihres Aufwands. Damit verlangen sie nach nichts anderem als nach einem abstrakten Maß des Reichtums, über den die eine Nation garantiert anstelle der anderen verfügen können muß; und der Gesichtspunkt des Nutzens der Arbeit wie der Produkte ist ersteinmal gründlich verlassen. Dieselben Leute, die am Wert, wie es ihn auf dem kapitalistischen Weltmarkt gibt, und an seinen Wirkungen lauter Ungerechtigkeiten entdecken, wollen ihm bei sich die Rolle des Gerechtigkeitsstifters zuschreiben. Dabei fällt ihnen nicht einmal auf, daß die Idee einer konsequenten Schadensvermeidung in den "internationalen Ware-Geld-Beziehungen" nur der negative Ausdruck für ein banales positives Interesse ist: Der Handel mit den anderen soll durch seine Bemessungsgrundlage, durch den sozialistischen Verrechnungspreis das Mittel für die eigene nationale erweiterte Reproduktion sein.
Angesichts dieser gewaltigen Aufgabe, dem kompletten Fortschritt der Nation mindestens soviel zu nützen wie ihm entzogen wird, hilft es nicht nur wenig, sondern bereitet geradezu das Problem, daß die fremden Waren ihre nationalen Preise haben. Die Meister der Ware-Geld-Beziehung wissen nur zu gut, daß ihre Preise gar nicht Wertausdruck, sondern Produkt nationaler Bewertungen sind. Die staatliche Preisfestlegung - im Inneren der Hebel - zieht sich grenzüberschreitend den Verdacht auf Willkür zu, entpuppt sich als untauglicher Maßstab für den beiderseitigen Vorteil.
"Im Rahmen einer nationalen Wirtschaft bleibt der Staat Eigentümer der Produkte... und kann planmäßig preisliche Proportionen des Warenaustauschs mittels einer bestimmten Preispolitik regulieren. Damit hat der Staat die Möglichkeit, Gewinne oder Verluste der einzelnen Zweige oder Wirtschaftseinheiten auszugleichen.
Der Akt des Warenaustauschs auf dem sozialistischen Weltmarkt hat einen anderen Charakter... Mögliche Gewinne und Verluste sind irreversibel... eine Verletzung der Proportionen des internationalen Austauschs beeinflußt unmittelbar die Größe des Nationaleinkommens des gegebenen Landes...
Es zeigt sich mit ausreichender Deutlichkeit daß der Äquivalententausch auf dem sozialistischen Weltmarkt gewährleistet sein muß. Eine solche Aufgabe zu realisieren ist eine ganz schwierige Aufgabe." (Autorenkollektiv/Parteihochschule beim ZK der KPdSU, Politische Ökonomie Bd.4, S. 300/1)
So freuen sich die Parteitheoretiker ganz unbefangen über die herrliche Preishoheit, mit der sich so schön planmäßig regulieren läßt - und entdecken im auswärtigen Gütertausch ebenso unbefangen das ärgerliche Problem, daß da ein staatlicher Eigentümer dem anderen dessen "planmäßige Regulierung" wahrhaftig mit "Verlusten" bezahlen könnte. So bringen diese proletarischen Internationalisten einen Streit völlig neuen Typs zustande: Die Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil soll gerade nicht die Verteilung von Vor- und Nachteilen darstellen, tut es aber. Damit steht das Problem einer gerechten Preisgestaltung an, d.h. die Suche nach Methoden zur Entscheidung des Streits, zur Preisfindung zwecks Garantie des gegenseitigen Vorteils. Eine schöne Aufgabe, die etliche Generationen von Wissenschaftlern beschäftig hat.
Für klare Verhältnisse wäre eine Angleichung der Preisbildungsmethoden erwünscht:
"Eigene Preisbasis im RGW: System von Vertragspreisen, das von den im Maßstab des RGW vorhandenen Aufwendungen (Inlandspreisen ) ausgehen soll. Die 9. Tagung des RGW empfahl 1958 das Studium der möglichen Wege des Übergangs auf eine e.P. ..." (RGW-Lexikon, herg. v. Manfred Engert, Heinz Stephan, Leipzig 1981 )
"Zur Bestimmung einer eigenen Preisbasis gehört auch, die in den einzelnen Ländern übliche Methodologie zur Berechnung der Industrieabgabepreise einander anzunähern sowie Methoden zur Umrechnung der Warenpreise in eine einheitliche Währung auszuarbeiten..." (Politische Ökonomie, S. 133)
Bloß, genau das geht nicht:
"Die Ergebnisse der mehrjährigen theoretischen und. praktischen Arbeit zeigten, daß es allgemeine und zeitlich begrenzt gültige Einwände gegen die Schaffung einer e.P. im dargestellten Sinne gibt. Sie würde nicht ausreichend den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, hohe Arbeitiproduktivität und niedrige Selbstkosten stimulieren und eine bestimmte Isolierung des RGW-Markts herbeiführen. Hinzu kommen Probleme, die sich infolge spezifischer wirtschafts- und sozialpolitischer Zielstellungen der Bildung der Inlandspreise ergeben und die die Vergleichbarkeit der Inlandspreise verschiedener RGW-Mitglieder erschweren würden." (RGW-Lexikon, "Eigene Preisbasis")
Es geht eben nicht, weil es keiner der Beteiligten will: Was da die "Vergleichbarkeit erschwert", ist ja immerhin der Einsatz der nationalen Souveränität für die Bewertung von Arbeiten und Produkten im Innern des Staates:
"...spezielle Bildungsprinzipien für Selbstkosten... Aufwendungen für geologische Erkundungen, für Forschungsarbeiten, für die Aneignung der neuen Technik... verschiedene Systeme der Lohnberechnung... Unterschiede in den Abschreibungssätzen und in der Handhabung, wie der Transportaufwand in den Preis einbezogen wird..." (Politische Ökonomie, S. 304)
Und schließlich gibt es auch noch "wesentliche Differenzen im Niveau der Arbeitsproduktivität" (a.a.O. ), so daß die größere "nationale Arbeit" - werttheoretisch:
"nach internationalen Normen eine geringere Bewertung erfahren" müßte (Politische Ökonomie, S. 301).
Denn sonst würde ja - hebelökonomisch nicht genügend "stimuliert". Umgekehrt aber darf - von wegen "gegenseitige Vorteil" auch nicht einfach geringer bewertet werden...
In dieser Kalamität ist man dann ausgerechnet auf die Preise des feindlichen Lagers als praktisches Auskunftsmittel verfallen. Den Vorteil besitzen die Weltmarktpreise zweifelsohne, daß sie objektiv und nicht durch sozialistische Willkür verpfuscht sind:
"... daß die Weltmarktpreise wichtige - für die RGW-Mitgliedsländer relevante = internationale Entwicklungstendenzen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Gebrauchswertparameter, der Produktivität und der Kosten. widerspiegeln..." (RGW-Lexikon: "RGW-Preissystem")
Da bedauern die realen Sozialisten regelrecht, daß sie den Kapitalismus abgeschafft haben. Andererseits aber haben die Weltmarktpreise in all ihrer vorbildlichen Widerspiegelei den Nachteil, daß sie schwanken. Und einen solchen Maßstab, der immerzu mit den Austauschrelationen die nationale Planung durcheinanderbringt, kann man auch wieder nicht gebrauchen:
"Entsprechend der Methodik der RGW-Preisbildung gelten als Weltmarktpreise die Hauptwarenmarktpreise. Die Preise der Hauptwarenmärkte werden mit Hilfe von Dokumentationen ermittelt. Die dokumentierten Preise sind hinsichtlich ihrer Beweiskraft und ihres Repräsentationsgrades zu analysieren. Die Hauptwarenmarktpreise werden vom schädlichen Einfluß der Konjunkturschwankungen und Preismanipulationen der kapitalistischen Märkte bereinigt... Das wird im wesentlichen dadurch erreicht, daß als Basis nicht die Preise eines zufälligen Zeitraums, sondern die durchschnittlichen Weltmarktpreise einer Basisperiode Verwendung finden (... gegenwärtig 5 Jahre)..." (a.a.O.)
Ein schöner Ertrag der östlichen Kapitalismuskritik: Da hat man sich das Geld als Hebel der sozial denkenden Staatsmacht auserkoren und muß feststellen, daß es im grenzüberschreitenden Gütertausch seine Hebeldienste versagt. Das Verfahren, einen staatlich gesetzten, objektiv wirksamen Maßstab der Reichtumsproduktion in Anschlag zu bringen, gerät beim grenzüberschreitenden Verkehr zwischen den staatlichen Eigentümern in den Verdacht, ungerecht zu sein. Da entwickeln sie das Bedürfnis nach einem "echten Geld" als Maßstab der Preise, nach objektiven Preisen und nehmen Zuflucht bei dem System, das sie doch gerade so herrlich überwunden haben wollten. Bloß eben wieder als Krücke für ihr System, sie verlangen nämlich nach reichlich unkapitalistischen Leistungen des Geldes: nach einem Maßstab für "stabile, langfristig planbare" Preise. "Objektiv" soll es zugehen, aber nicht mit einem Preis, der von der Konkurrenz bestimmt wird und schwankt, nicht mit einem Geld, das von der Konkurrenz gehandelt wird und im Kurs steigt oder fällt. Gesucht wird nach Preisen, die die von der kapitalistischen Konkurrenz bewerkstelligten "Revolutionen" widerspiegeln und der sozialistischen Planung ihre Verläßlichkeit garantieren sollen.
Insofern ist mit der Orientierung an Weltmarktpreisen die Methodenfrage doch auch nie zufriedenstellend gelöst, zumal die Weltmarktpreise ihren sozialistischen Verehrern auch selten den Gefallen erweisen, mitzuteilen, wieweit sie durch "Spekulation" oder "Preismanipulation" verunreinigt sind. Phasen steigender oder sinkender Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt stellen gewohnte Austauschverhältnisse im RGW in Frage - wegen des großen Anteils am Außenhandel machen sich da vor allem die Energieexporte der Sowjetunion geltend, den "Ölkrisen" getreulich hinterherhinkend, mal als "Verlust" der Partner, mal als der der Sowjetunion. Gleichzeitig wirft das notwendigerweise lauter Gerechtigkeitsfragen auf. Die nationale Vorteilsrechnung soll ja im Bündnis auf ihre Kosten kommen und feilscht um ihre preispolitische Anerkennung: Vorzugsweise für Unterentwickelte, besondere Erschließungskosten für unverzichtbare Rohstoffe... Und umgekehrt, wenn schon die Weltmarktpreise als Orientierungshilfe fungieren, müssen sich auch die Güter fragen lassen, ob sie denn auch weltmarktsmäßig sind, worüber dann weniger der Weltmarkt als die verhältnismäßige Unverzichtbarkeit der Gebrauchswerte für die nationale Reproduktion entscheidet: Es gibt "harte" und"weiche" Waren - eine genuine Ostblockerfindung.
So bleibt aber, auch wenn man sich auf Bewertungen geeinigt hat - gerade weil man sich darüber einigen muß -, der Vorteil ein problematischer. Der Verdacht auf mögliche Verluste, auf mögliche Übervorteilung begleitet die allseitig harmonische Zusammenarbeit. In diesem Bündnis, das seine Leistungen für die Arbeiterklasse unbedingt national organisieren und national bilanzieren will, bleibt die Bezifferbarkeit von Außenhandelserfolgen als Problem auf Dauer erhalten; daß Exportieren ein Erfolg sein kann, ist für sie untereinander ein sachfremder Gesichtspunkt.
Der zweifelhafte Nutzen von Überschüssen - das Bedürfnis nach Geld als Kaufmittel
Wo die Zusammenarbeit als schwierige Bemessung äquivalenter Gütermengen stattfindet, gilt das Interesse an ausgeglichenen Handelsbilanzen und wird zugleich als Hindernis bemerkt. Der beiderseitige Vorteil wird auf die Wirtschaftskraft des jeweils schwächeren Partners begrenzt; Handelsüberschüsse sind, wie die entsprechenden Defizite auch wieder ein Problem. Daher gibt es im RGW, solange wie es ihn gibt, das Bedürfnis nach einem mehrseitigen Ausgleich der Handelsbilanzen und nach einem Geld zur mehrseitigen Verrechnung. Das Bedürfnis hat den transferable Rubel zustandegebracht - als Resultat ständiger Rechenoperationen mit Hilfe von Warenkörben, die durch den Vergleich der nationalen Kaufkraft der Gelder Kurse untereinander und zum transferablen Rubel ausrechnen - und die Klage, daß er zur Lösung des Problems wenig taugt.
"Ein mehrseitiges Verrechnungssystem hat gegenüber einem zweiseitigen den Vorteil, daß ein passiver Saldo mit einem Land durch einen aktiven Saldo mit einem dritten Land ausgeglichen werden kann, was die Möglichkeiten des gegenseitigen Warenaustauschs erweitert.. Verrechnungseinheit ist der transferable Rubel... " (RGW-Lexikon: "Verrechnungssystem der Mitgliedsländer des RGW, internationales")
Die Möglichkeit findet bloß nicht statt:
"Obgleich das internationale Verrechnungssystem banktechnisch alle Voraussetzungen für eine mehrseitige Verrechnung und Bilanzierung der Zahlungen bietet, wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt der größte Teil der Zahlungen noch zweiseitig bilanziert..." (a.a.O)
Denn, sich einen Handelsüberschuß gegenüber einem Zweiten von einem Dritten entgelten zu lassen, wirft schon wieder die schwierige Frage nach der Äquivalenz auf:
"Ein Überschuß, den das Land A gegenüber dem Land B hätte und nun zum Einkauf im Land C benützen möchte, könnte wegen ungünstiger Preise weniger wert sein." (Gunther Kohlmey, Vergesellschaftung und Integration im Sozialismus, Berlin 1973, S. 179)
Und außerdem macht sich da die Tatsache störend bemerkbar, daß es sich bei Land A, B und C um revisionistische Planwirtschaften handelt, in denen über das nationale Gesamtprodukt in stabilen Handelsverträgen längst verfügt ist:
"Auch bietet das gegenwärtige Verfahren der zweiseitigen Plankoordinierungen, Außenhandelsabkommen und Jahresprotokolle nicht genügend Spielraum für die multilaterale Verwendung von Salden im Verrechnungsverkehr. Ebenso gibt es Grenzen in der innerstaatlichen Planung und Bilanzierung. Bei der jetzigen Handhabung fehlen in den meisten Ländern oft die Möglichkeiten, im Laufe eines Jahres Umdispositionen in der Produktion, im Bezug und Absatz von Ware zu Ware und von Land zu Land vorzunehmen, wie sie sich aus einer Erweiterung der multilateralen Verrechnung ergeben könnte." (a.a.O)
Der transferable Rubel bleibt daher auf die bescheidene Rolle einer Erscheinungsform unausgeglichener Handelsbilanzen beschränkt:
"Der t.R. existiert nur in der Form von Buchgeld auf den Konten der internationalen Banken der Mitgliedsländer des RGW...
Der t.R. wird generell im Ergebnis des Exports von Waren oder Leistungen emittiert, wenn der Importeur nicht über ein ausreichendes Guthaben zur Bezahlung verfügt." (RGW-Lexikon: "Rubel, transferabler" ) '
Wo das realsozialistische Warenprodukt intern verplant ist und aufgrund der dauerhaften Schwierigkeiten in der Bemeisterung der "wissenschaftlich-technischen Revolution" nur ausnahmsweise einfach überschüssige Waren zur Verfügung stehen, kann man auch von einem sozialistischen Weltgeld schwerlich verlangen, daß es als internationales Kaufmittel fungiert. Das mindert dann allerdings die Beliebtheit eines solchen Weltgelds beträchtlich, weil man mit ihm nichts anstellen kann:
"Es hat keinen Sinn, wenn ein Land im mehrseitigen Verrechnungsverkehr Überschüsse hat und es mit diesen nichts anfangen kann, wenn sie also einfrieren, da sie keinen Anspruch auf Gold, freie Devisen oder Welthandelswaren darstellen." (Gunther Kohlmey, Der demokratische Weltmarkt, Berlin 1955, S. 86/7)
Aber eben das garantiert immerhin die Stabilität dieses Geldes:
"Durch die Bindung der Emission des t.R. an den Export von Waren und Leistungen... ist die Warendeckung und damit auch die Stabilität des t.R. stets gewährleistet." (RGW-Lexikon)
Daß die Reformdenker im RGW immer wieder und zur Zeit wieder einmal die Frage der Kovertibilität ihrer Währungen aufwerfen, ist zwar konsequent, aber auch reichlich verrückt. Wenn man schon das Privateigentum und die Privatmacht des Geldes abgeschafft hat, sollte man sich auch nicht darüber beschweren, daß ein solcher nationaler Hebel in der anderen Nation nicht den beliebigen Zugriff auf Ware garantiert. Eine fehlende Eigenschaft des Geldes ist das jedenfalls nicht, auch wenn die Hebeltheoretiker das so sehen mögen und das x-te Studienprogramm in Auftrag geben, wie man an ihrem Geld drehen kann, damit es sich als Hilfsmittel für einen flüssigen Gütertausch besser bewährt.
Die "sozialistische Integration" - national kalkulierte Kooperation statt Arbeitsteilung
Im Außenhandel blamiert sich der proletarische Internationalismus gründlich an den nationalen Schranken, die die realsozialistische Produktionsweise der vorteilhaften Zusammenarbeit entgegensetzt. Da gesteht man sich auch schon einmal selbstkritisch den Unfug eines sozialistischen Bündnisses ein, das keine zweckmäßige Arbeitsteilung institutionalisiert hat. Großspurig verkündet man den Vorzug des eigenen Systems im Unterschied zum anarchischen Kapitalismus:
"Die planmäßige internationale Arbeitsteilung trägt bei zur maximalen Ausnützung der Vorzüge des neuen Wirtschaftssystems, zur Herstellung richtiger Proportionen in der Volkswirtschaft jeden Landes, zur rationellen Standortverteilung der Produktivkräfte, zur effektiven Ausnutzung der Arbeitskräfte- und Materialressourcen im sozialistischen Weltsystem..." (Politische Ökonomie, S. 319)
Und ein paar Seiten weiter bzw. auf jeder RGW-Tagung folgt das Eingeständnis, daß dieses schöne Ideal wegen andersartiger Berechnungen eines bleibt:
"Ein gewisses Bestreben, möglichst viel verschiedene Produktionsarten in den eigenen Ländern zu schaffen, führte in einer Reihe von Zweigen zum Entstehen von Betrieben mit Kleinserienfertigung... In der DDR werden zum Beispiel 92% der Weltnomenklatur der Maschinenbauproduktion hergestellt; in der CSSR sind es etwa 70%; ein Fünftel der in der CSSR produzierten Maschinen wird durch Einzelfertigung, etwa zwei Fünftel in Einzelserien hergestellt..." (Politische Ökonomie, S. 331)
Allseits begehrte Güter, von denen immer zu wenig für den Handel zur Verfügung stehen, gegenüber Ramsch, den keiner haben will; Parallelproduktionen auf kleiner Stufenleiter, die die nationale Verfügbarkeit des Produkts garantieren, aber unproduktiv sind - an derlei Resultaten wird immer wieder konstatiert, daß keine "planmäßige internationale Arbeitsteilung" stattfindet. Und das Bündnis, in dem schon immer der gemeinsame Fortschritt der Zweck aller Beteiligten sein soll, faßt immer wieder eigens den Beschluß zur Gemeinsamkeit: selbstverständlich nicht zur gemeinsamen Planung, sondern dazu, daß sich die nationalen Interessen besser miteinander absprechen sollten. Es gilt das "Interessiertheitsprinzip"; mitmachen muß niemand, die nationale Planung wird mit Verträgen über Kooperation und Spezialisierung kombiniert - soweit das die sozialistischen Souveräne für lohnend befinden.
Schließlich soll eben doch nicht bloß füreinander produziert werden:
"Die Plankoordinierung bedeutet die Organisation der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Länder bereits im Stadium der Produktion... Bei der Koordinierung... muß auch das notwendige Gleichgewicht der Zahlungsbilanzen der sozialistischen Länder gesichert werden." (Politische Ökonomie, S. 317/8)
- sondern das unter Respekt vor der nationalen Bilanz.
So stellt sich wieder die Preisfrage und zwar bezogen auf die Zukunft; ganze Wissenschaftlerstäbe werden auf die Aufgabe angesetzt, mit "Weltmarktspreisprognosen" den voraussichtlichen "Nutzeffekt" einer arbeitsteiligen Einrichtung der Produktion zu "errechnen" - kein Wunder, daß sich die dann wie eine national zweifelhafte "Festlegung" von nationalen Produktivkräften ausnimmt:
"Dafür ist... Voraussetzung, daß die Partner einigermaßen genau wissen, welche Veränderungen durch Spezialisierungsabreden hervorgerufen werden, handelt es sich doch um Festlegungen für viele Jahre. Bisher gab es diese Übersicht unter anderem deshalb nicht, weil die wissenschaftlichen Instrumente und die Planungsmethoden fehlten, um die Nutzeffekte einigermaßen genau zu ermitteln..." (Gunther Kohlmey, Nationale Produktivität, dynamische Produktionen, internationale Arbeitsteilung, Berlin 1965, S. 79)
Von seiten der entwickelten RGW-Länder tritt der kräftige Verdacht auf, die weniger entwickelten wollten einem rentable Produktionen entziehen:
"Die CSSR spiele die Rolle des guten Onkels, der jedem helfe und so nicht nur die Zeche bezahle, sondern von undankbaren Verwandten noch ausgenützt werde." (Radio Prag, am 25.10.1965, über Gerüchte bezüglich von Produktionsveränderungen, Rolf C. Ribi, Das Comecon, Zürich, St. Gallen 1970, S. 289)
Die weniger entwickelten Länder äußern spiegelverkehrt denselben Verdacht, daß ihnen weniger zukunftsträchtige Produktionsprogramme angedreht werden sollen. Und angesichts des zweifelhaften Nutzens geraten die Beschlüsse zur arbeitsteiligen Belieferung in den Verdacht, belastende Abhängigkeiten zu stiften. Beweise liefern die Tücken der Hebelökonomie genug, die naturgemäß immer auf Seiten der Partner, als deren Unzuverlässigkeit, moniert werden:
"Es bestehen gewissermaßen nur moralische Verpflichtungen und Ansprüche... Das hat in der Praxis zu erheblichen materiellen Schäden geführt. Zum Beispiel stellt ein Partner eine Produktion ein, weil sich ein oder mehrere Partner in internationalen Spezialisierungsabkommen verpflichtet hatten, die betreffende Produktion zu übernehmen bzw. zu erweitern. Später wurden von den anderen die Konzeptionen geändert; sie lieferten also nicht, weil sie die erforderlichen Investitionsmittel nicht bereitgestellt hatten. Oder aber der ursprüngliche Produzent stellte seine Produktion nicht ein, nahm also international spezialisierte Erzeugnisse nicht ab. Oder es kam vor, daß die spezialisierten Lieferungen nicht den vereinbarten Terminen, Qualitäten, Sortimenten usw. entsprachen..." (Kohlmey, a.a.O)
So bleibt dem östlichen Bündnis die Klage über "Autarkietendenzen" erhalten; anstelle einer gemeinsamen Planung pflegen die beteiligten Souveräne das Ideal verläßlicher Kompensationsgeschäfte - und plagen sich dauerhaft mit der Sorge um deren Sicherstellung, was den geldlichen "Nutzeffekt" und die sachlichen Qualitäten betrifft.
Der RGW handelt mit dem Westen - allseitiger Schaden und brüderliche Hilfe
"Die Existenz des sozialistischen Weltsystems ist überaus wichtig für den Charakter der gesamten ökonomischen Entwicklung der sozialistischen Länder, für die Herausbildung der Struktur volkswirtschaftlicher Komplexe. Kein sozialistisches Land muß als Teil der sozialistischen Gemeinschaft allein, nur auf sich gestellt, die technisch-ökonomische Unabhängigkeit vom Kapitalismus sichern. Diese Aufgabe würde die Kräfte der meisten Länder übersteigen. Durch die vereinten Kräfte aller sozialistischen Staaten wird die ökonomische Unabhängigkeit von der kapitalistischen Welt gewahrt." (Politische Ökonomie, S. 293)
Im Unterschied zur gelegentlichen Erinnerung daran, daß zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen Lager ein Gegensatz besteht, den die NATO-Staaten auch immer wieder einmal ökonomisch austragen, haben sich die sozialistischen Staaten eine Sichtweise zugelegt, in der die Furcht vor "Anschlägen des Weltimperialismus" und das Bemühen um Unabhängigkeit (Politische Ökonomie, a.a.O.) gänzlich zugunsten von höchst eindeutigen Komplimenten an das feindliche Lager verschwunden ist. Die Erfahrungen mit dem eigenen System haben sie allesamt nicht klüger, sondern empfänglich für die Vorzüge des anderen gemacht. Wo das nationale Interesse im eigenen Bündnis regelmäßig zu kurz kommt, immer schlecht bedient wird, summieren sich die schlechten Erfahrungen zu einem Pauschalurteil, das am kapitalistischen Weltmarkt all das entdeckt, was das eigene Bündnis nicht zu bieten hat: Ware und Geld.
Es gibt alle benötigten Güter in der notwendigen Quantität, Qualität, Frist, und sie sind käuflich. So werden die Vertreter der revolutionären Arbeiterklasse zu Bewunderern des kapitalistischen Weltmarkts, erklären ihr System regelrecht für rückständig und unterentwickelt und betonen ihren heftigen Willen, den Nutzen einer "internationalen Arbeitsteilung" in ihr System einzubauen. Gemessen an den Schranken, den der Inner-RGW-Handel den nationalen Rechnungen entgegensetzt, nimmt sich der westliche Markt wie ein einziges Kompensationsangebot aus und wird als das benützt - ein Fehler, den alle Beteiligten inzwischen zu spüren bekommen haben.
Das Bedürfnis, sich da alle Element der nationalen erweiterten Reproduktion zu besorgen, die das eigene Bündnis nicht oder nicht genügend zur Verfügung stellt, trifft auf eine kleine Bedingung: Man muß dafür bezahlen. Es muß also für den Export dorthin für Devisen produziert werden. Und dieselben Staaten, die bei der Produktion füreinander den Entzug national notwendiger Güter und den nationalen Nutzeffekt kleinlich berechnen, lassen beim Abzug von Gütern für den Westexport oder bei der Einrichtung von Exportindustrien alle Skrupel fallen. Immerhin besitzen diese Exporte den unbestreitbaren Vorteil, daß sie wirkliche Kaufkraft sichern und das in doppeltem Sinn: Man erhält die passenden Güter, und die Erlöse in westlichem Geld garantieren das Recht zu kaufen.
Je mehr die sozialistische Staatenwelt sich diesen Vorteil zunutze macht, um so mehr Gelegenheit bekommt sie zu Vorhaltungen untereinander. Wo jede Nation kalkuliert, welche Güter sie lohnender auf westlichen Märkten absetzen kann, wird die Unterscheidung von "harten" und "weichen" Waren auf dem Ostmarkt die Regel; der gegenseitige Vorteil leidet unter der Kontingentierung von Waren zugunsten des Westhandels. Die UdSSR beschwert sich auf der einen Seite, "daß die sowjetischen Energie- und Rohstofflieferungen in die übrigen RGW-Länder von diesen nicht hinreichend mit technisch hochwertigen Fertigprodukten vergütet würden" (FAZ, 11.11.86). Auf der anderen Seite kürzt sie zugunsten der Devisenbeschaffung Energielieferungen an ihre Partner und trägt so das Ihre zu deren Devisensorgen bei, wenn die sich zuschüssige Lieferungen auf dem Weltmarkt besorgen müssen.
Der interne Handel wird zur Erpressung von Devisen ausgenützt: Außerplanmäßige Lieferungen, insbesondere von Rohstoffen und Lebensmitteln, werden zunehmend nur noch gegen Zahlung in westlichem Geld vereinbart. Und die Forderung, Überschüsse grundsätzlich in Devisen zu entgelten, wird regelmäßig in die RGW-Reform-Debatten eingebracht, scheitert aber ebenso regelmäßig daran, daß die Sorge alle gemeinsam haben: zu wenig Devisen, gemessen an ihren Kaufbedürfnissen und ihrem Schuldendienst. Als Ersatz für den transferablen Rubel wären Devisen zwar allerseits erwünscht, aber niemand will sie dafür hergeben.
Schließlich sorgt der Handel mit dem Westen auch dafür, daß der Vorzug des sozialistischen Handels, seine "stabile, langfristig planbare" Natur ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wird: Unter dem Zwang zum Export wird die "Liefer- und Vertragsdisziplin" ganz anders erschüttert als durch die notorischen Mängel der Hebelökonomie. Mit dem Zwang, den Weltmarkt zu bedienen, sind die sozialistischen Staaten nun mit dessen Preisbewegungen konfrontiert, ohne viel für die "Reinigung" von dessen spekulativen und sonstigen manipulativen Einflüssen unternehmen zu können.
Darüber wird allerdings gerade der RGW immer unersetzlicher, aber eben nicht als der überlegene "sozialistische Weltmarkt", wie er in früheren Zeiten gefeiert wurde, sondern schlicht als Lückenbüßer für die schädlichen Wirkungen des Westhandels. Die Gelegenheit zu devisenfreien Kompensationsgeschäften wird immer unverzichtbarer. Gerade die westhandelsfreundlichsten Nationen, deren Drang und Unabhängigkeit sie früher im Westen so beliebt gemacht hat, denken gar nicht daran, aus diesem Bündnis jemals auszutreten. Polen ist ein Zuschußbetrieb auf Dauer, dessen Schulden zwar auch in transferablem Rubel bilanziert, mit Sicherheit aber nie bezahlt werden. So leistet die Sowjetunion reinste wirtschaftliche "Hilfe" und trägt mit ihren Spezialisten, Ersatzteillieferungen und Rohstoffen dazu bei, daß Polen weiterhin mit Billigstexporten in den Westen um seine Glaubwürdigkeit als guter Schuldner konkurriert.
Die hoffnungsvolle Parole, die mit der Grundung des sozialistischen Lagers ausgegeben wurde, daß alle Nationen gemeinsam eine Angleichung in der Entwicklung der Produktivkräfte und einem gewaltigen Fortschritt zustandebringen, bis sich schließlich die Nation überlebt und nur noch eine kommunistische Gesellschaft übrig bleibt, hat sich also nicht ganz bewahrheitet. Mit seiner durch die nationale Vorteilskalkulation gebremsten Kooperation hat das sozialistische Lager neben einigem an Entwicklung auch eine gründliche Hierarchisierung in Arme und Reiche zustandegebracht. Es hat das allseitige und national unterschiedliche Interesse am Westhandel gefördert und laboriert nun an dessen Wirkungen. Die Konkurrenz der Systeme ist darüber als berechtigter Anspruch i m Ostblock institutionalisiert: Als der Anspruch, das Bündnis als Hilfs- oder Kompensationsmittel für den Westhandel zu benützen und als Inspiration für reformpolitische Bedürfnisse. Wenn in Polen die sogenannte Wirtschaftsreform eine einzige Beschwörung des risikofreudigen, ideenreichen Unternehmertums darstellt und die Partei "zentralistische Planung" als ihren größten Fehler hinstellt, wenn in Ungarn "Weltmarktpreise" als Inbegriff ökonomischer Effizienz gehandelt werden, an denen sich die Betriebe messen sollen, wozu sie im Inneren die Freiheit zum Schröpfen erhalten, sind das keine Erfolgsrezepte zur Sanierung einer sozialistischen Ökonomie, wie sie selbst und ihre westlichen Betreuer behaupten. Sondern ideologische Bankrotterklärungen sozialistischer Parteien, die weder die Schranken der revisionistischen Planwirtschaft begriffen haben noch, warum diese den Handel mit dem Westen so schlecht verträgt. Statt dessen erklären diese Sozialisten inzwischen rundheraus, daß das westliche System bzw., was sie dafür halten, letztlich doch das überlegene, das bessere ist. Und auch ein "konservativer" Staat wie die DDR hat die Zweckbestimmung eines Sozialismus schon ein bißchen umdefiniert, wenn er seine Werktätigen mehr mit dem Stolz aufs "Weltniveau" der eigenen Produkte als mit deren praktischem Genuß bedient.
III. Die politische Einheit im sozialistischen Lager
Nach westlicher Einsicht stellt der Ost"block" nicht nur ein Völker- sondern auch ein Staatengefängnis dar; der Zwang zur Linientreue erlaubt den "Satelliten" keine echte Souveränität; bei jedem Schritt, den sie unternehmen, müssen sich ein Honecker oder Kadar zuvor die Genehmigung im Kreml abholen. Das gilt als unumstößliche Wahrheit, weil der freie Westen der Sowjetunion ein Recht auf Verbündete nicht zugesteht. Und die einschlägigen Dummheiten blamieren sich auch nicht daran, daß bei Bedarf das genaue Gegenteil behauptet wird. Seitdem der Westen Geschmack an der Perestroika gefunden hat, wird die DDR vormals angeblich der treueste Lakai - unaufhörlich beschimpft, daß sie die sowjetische Linie nicht kopiert. Und wenn die neueste Fortschreibung der KSZE an der rumänischen Position zu scheitern droht, wird direkt angefragt, ob denn da die Breschnew-Doktrin nicht zur Anwendung gebracht werden kann.
Gegen das Gerücht, daß eine doktrinäre Ideologie und die Hegemonie der Sowjetunion die osteuropäischen Staaten auf eine einheitliche Linie zwingen, sprechen alleine schon die zahlreichen nationalen Abweichungen. Und die sind auch nicht der Beweis dafür, daß die Unterdrückung von Nationen letztlich doch nicht gelingen kann. Mit der Einrichtung realsozialistischer Nationalstaaten ist die nationale Beschlußfassung anerkannt, und die politische Einheit des Lagers besteht in einem denkbar minimalen Konsens: nämlich darin, daß die revisionistische Produktionsweise gilt, jedes Land damit einen Beitrag zum Fortschritt des Bündnisses leistet und die Partei als politischer Garant sich im Inneren keiner politischen Konkurrenz aussetzt.
Diese formelle Einheitlichkeit gilt im sozialistischen Lager; sie hat aber keineswegs verhindert, daß lauter "nationale Wege" und politische Divergenzen aufgetreten sind - eben in Gestalt der Parteien, die ja schließlich regieren. Daß sich Fraktionen in der Partei, oder auch die Partei als ganze, nationale Modifikationen der revisionistischen Wirtschafts- oder Herrschaftsmethoden einfallen lassen oder außenpolitische Differenzen zur Sowjetunion aufmachen, ist nicht zu vermeiden, wenn das "System", wie es sich die KPdSU mit ihren "schöpferischen Erfahrungen" zusammengebaut hat, am nationalen Opportunismus der anderen KPs gemessen und für deren Bedürfnisse eines nationalen Aufstiegs zurechtinterpretiert wird.
Politische Divergenzen hat es genug gegeben, ohne daß die berüchtigte Block-Disziplin durchgesetzt worden wäre. Der Paradefall, der rumänische Conducator, ist ein wunderschönes Beispiel für die Konjunkturen, die die westliche Instrumentalisierung solcher Standpunkte mit sich bringt. Die westliche Hetzpresse, die sich Ceausescu zur Zeit zu dem Buhmann Europas zurechtstilisiert, sollte sich einmal ihre Lobeshymnen aus den 70er Jahren zu Gemüte führen. Derselbe Mann, dessen originelle Ideen zur Agrarreform zur Zeit als das denkbar finsterste Verbrechen - Mord an Dörfern! denunziert werden, war damals sämtlichen Führern der freien Welt Staatsbesuche in Glanz und Gloria wert: Als Belohnung einer nationalen Linie, die die Versuche, im RGW ein Stück gemeinsame Planung und Arbeitsteilung durchzusetzen, als Angriff auf die Ansprüche der rumänischen Nation begriffen und erfolgreich torpediert hat. Genau die Politik einer Industrialisierung um jeden Preis, die heute geradezu als Menschenrechtsverbrechen gehandelt wird, ist damals vom Westen mit allen Mitteln gefördert worden, eben weil sie das östliche Wirtschaftsbündnis durch den partiellen Entzug geschädigt hat und weil ihr oberster Repräsentant seinem Bündnis in außenpolitischen Fragen immer wieder in den Rücken gefallen ist: Als Schacher für Wirtschaftsbeziehungen mit der BRD wie in der Berlinfrage, zur Betonung seiner unabhänigen Drittweltpolitik, wegen der Rumänien im Sechs-Tage-Krieg die diplomatischen Beziehungen zu Israel im Unterschied zum Block nicht abgebrochen hat, und zuletzt noch während des INF-Streits, in dem der rumänische Chef die westlichen Losungen von einer sowjetischen "Vor"- und westlichen "Nach"rüstung nachgebetet hat. Damit hat er sich in seinem Bündnis zwar unbeliebt gemacht, aber mehr als diplomatische Zurechtweisungen sind nicht erfolgt. Ähnliche Eskapaden eines NATO-Mitglieds ohne härtere Pressionen sind völlig undenkbar. Der RGW ist nun einmal seiner ökonomischen Natur nach nicht für politische Erpressungen tauglich. Die Kooperationsabkommen, die Rumänien als Knebelung seiner Wirtschaftsentwicklung verdächtigt hat, haben eben ohne rumänische Beteiligung stattgefunden. Die zusätzlichen Ölkontingente, die die Sowjetunion nicht liefern wollte, hat sich Rumänien beim Schah von Persien besorgt und damit die Schulden akkumuliert, wegen derer der Kampf für die rumänische Unabhänigkeit heute als Kampf um Schuldenabbau stattfindet. Das empört die früheren westlichen Sponsoren als eine unpassende Definition von Unabhängigkeit.
Von wegen "monolithischer Block": Im sozialistischen Lager haben sich regelrecht nationale Taktiken entwickelt, sich mit Bündnistreue in einigen Fragen Alleingänge in anderen abzusichern. Die ungarische Partei hat sich in der Außenpolitik immer an die Linie der Sowjetunion gehalten und im Innern die Auflösung der realsozialistischen Produktionsweise am weitesten vorangetrieben.
Der Standpunkt, daß eigentlich nur das Kapital ein lohnender Wirtschaftspartner ist, gilt längst im angeblich so menschenfreundlichen Gulaschkommunismus, und die Zerstörung des revisionistischen Sozialstaats ist mit den Fortschritten des Westhandels und den davon inspirierten Reformen entsprechend weit gediehen. In solchen Fragen agiert die Sowjetunion überhaupt nicht als der ideologische Aufpasser, als der sie immer gehandelt worden ist. Während Gorbatschow auf seinem Antrittsbesuch in Rumänien für Ostblockverhältnisse ziemlich häßliche Bemerkungen darüber gemacht hat, daß der rumänische Sozialismus dem rumänischen Volk nicht besonders zuträglich ist, hat er so etwas in Ungarn erst gar nicht zur Kenntnis genommen, obwohl sich ungarische Armutsexistenzen mit rumänischen leicht vergleichen können. Wegen der ökonomischen Leistungen, die Ungarn immerhin seinem Bündnis beisteuert, sind die Partner, allen voran die Sowjetunion, so undogmatissch, einfach zu übersehen daß die innenpolitischen Fortschritte der Partei mit Marxismus-Leninismus überhaupt nichts mehr, sondern nur noch mit der Kopie vermeintlicher westlicher Erfolgsrezepte zu tun haben.
Die DDR hat sich mit ihren Wirtschaftsleistungen fürs Bündnis und mit ihrer Unterstützung der sowjetischen Außenpolitik das Recht auf lauter deutschlandpolitische Sondergeschäfte und Sonderbeziehungen eröffnet. Immerhin gilt sie "nicht" als "Ausland im Sinne der EG-Bestimmungen" und dient dem westdeutschen Kapital fast wie eine monopolisierte Geschäftssphäre. Daß sie darüber zu so etwas wie einer sozialistischen Exportnation geworden ist, schätzt das sozialistische Lager offensichtlich auch als nützlichen Beitrag. So kann es sich die DDR erlauben, zu Zeiten, in denen die Sowjetunion der "nach"rüstenden BRD eine "Eiszeit" ankündigt, ungerührt deutschlandpolitische Fortschritte auszuhandeln.
Die Ideologie der Ostblockparteien, daß im Sinne ihrer "wissenschaftlichen Weltanschauung" jeder politische Schritt auf seine Übereinstimmung mit lauter objektiven Gesetzen des gesellschaftlichen Fortschritts und kommunistischer Prinzipienfestigkeit hin überprüft wird, steht eben auch nur in den Büchern und die liest keiner mehr. Und auch die Führungsmacht, die Sowjetunion, scheint vollauf damit zufrieden zu sein, wenn ihre Partner ihren wirtschftlichen Beitrag zum Bündnis und bei passender Gelegenheit diplomatische Unterstützung leisten - darunter sind alle Experimente und Alleingänge erlaubt, so wenig sie ahch zu den unerschütterlichen Weisheiten des ML passen mögen, wie z.B. das intime Gekungel von Arbeiterpartei und Kirche in Polen.
Selbstverständlich wird jede nationale Linie von der Führungsmacht hnd den anderen Partnern begutachtet und bei Gelegenheit auch kritisch kommentiert. Allerdings eben auch nur nach dem Gesichtspunkt, wie weit eine besondere nationale Politik noch als Beitrag zum Bündnis angesehen werden kann oder nicht. Und dieses Kriterium ist notwendigerweise weit gefaßt: Denn die Maßnahmen, die eine nationale KP jeweils für sich für erforderlich hält, sei es zur inneren Absicherung ihrer Stabilität, sei es zur Beschleunigung ihres ökonomischen Fortschritts, sollen mit dem beabsichtigten nationalen Erfolg schließlich auch immer dem Bündnis zugute kommen. Die polnische Beschwichtigung des rebellischen Proletariats mit Kriegsrecht auf der einen und der Duldung von lauter un-sozialistischen Standpunkten in der Öffentlichkeit auf der anderen Seite mag anderen Parteien durchaus suspekt vorkommen. Als Methode, die polnische Krise zu bewältigen, wird es jedoch abgesegnet.
Eine eindeutige Grenze für nationale Abweichung gibt es: Ein Austritt aus dem Bündnis ist nicht gestattet. Als der Kurswechsel der KPdSU, die Entstalinisierung, in den 50er Jahren in allen Bruderparteien Unsicherheiten gestiftet und in Ungarn die offene Konkurrenz zweier Parteilinien hervorgerufen hat, die von Anhängern des alten Systems als Gelegenheit begriffen wurde, die Volksdemokratie zu stürzen, als der Vertreter der einen Linie, Nagy, versuchte, die außer Kontrolle geratenen Teile des Volks zu beschwichtigen mit dem Versprechen, aus dem Bündnis auszutreten, hat die Rote Armee für eindeutige Verhältnisse gesorgt. Ebenso, als im Prager Frühling der Verdacht aufkam, die CSSR, einer der wirtschaftlich wichtigsten Staaten im Bündnis und Frontstaat gegenüber der NATO wollte sich dem westlichen Lager annähern und von seinen Bündnisverpflichtungen lossagen.
Seitdem gilt die sogenannte Breschnew-Doktrin als eine Ungeheuerlichkeit, ein völkerrechtliches Verbrechen sondergleichen. Dabei handelt es sich nur um eine Feststellung, die im NATO-Bündnis die allergrößte Selbstverständlichkeit darstellt; nämlich daß es ein Bündnisinteresse gibt, das im Zweifelsfall gegen ein nationales durchgesetzt wird:
"Wenn innere und äußere dem Sozialismus feindliche Kräfte die Entwicklung eines sozialistischen Landes zu wenden und auf eine Wiederherstellung der kapitalistischen Zustände zu drängen versuchen, wenn also eine ernste Gefahr für die Sicherheit der ganzen sozialistischen Gemeinschaft entsteht - dann wird dies nicht nur zu einem ernsten Problem für das Volk dieses Landes, sondern auch zu einem gemeinsamen Problem, zum Gegenstand der Sorge aller sozialistischen Länder." (Prawda 12.11.68)
Es ist ja nicht so, als ob im westlichen Bündnis keine dauernde Begutachtung der Linientreue anderer Staaten stattfinden würde. Wenn da überhaupt jemals politische Standpunkte aufkommen, die in die Nähe der Systemfrage geraten, ist Einmischung total angesagt. Dementsprechend ist die Offiziersrevolution in Portugal einmütig betreut und von allen sozialismusverdächtigen Elementen gereinigt worden; und die KPI ist in Italien einfach nicht regierungsfähig, da kann sie sozialdemokratischer denken als die SPD. Und auch unterhalb solcher politischer Fragen ist Einmischung in die souveräne Politik anderer im westlichen Bündnis nicht die Ausnahme, sondern die Reygl.
Gerade zwischen imperialistischen Nationen, deren Erfolg durch die Konkurrenz in der wechselseitigen Benützung und der Benützung Dritter hergestellt wird, gibt es so gut wie keine interne Frage, die nicht die Bündnispartner etwas angeht, die nicht irgendein Interesse eines anderen berührt. Allerdings verfügen imperialistische Nationen mit ihrer Geschäftskonkurrenz auch über andere Erpressungsmittel, so daß die dauernde Einmischung gar nicht als Gewaltakt einer Nation gegen eine andere in Erscheinung tritt.
Insofern ist es schon eine besonders gelungene Idee des Feindbilds, aus den genau zwei militärischen Operationen zur Wiederherstellung der Bündnistreue im Ostblock zu deduzieren, daß 1. dieses Bündnis nur durch die Gewalt der Roten Armee zusammengehalten wird und 2. jeder Staat, wenn er nur dürfte, sofort in den Westen überlaufen würde. Würde das nur ein bißchen zutreffen, wäre die Rote Armee reichlich überfordert gewesen und es gäbe den Ostblock schon längst nicht mehr.
Schließlich gibt es das Interesse gar nicht, das die Feindbildpflege den "Satelliten" immer wieder unterstellt. Warum sollten auch die realsozialistischen Staaten, deren Kalkulationsgrundlage durch den Pakt mit der Sowjetunion gesichert ist und die bei allen Beschwerden über den mangelnden Ertrag des RGW auf dessen Leistungen für die nationale Ökonomie nicht verzichten wollen, einen Austritt aus diesem Bündnis ernsthaft in Erwägung ziehen? Auf der Grundlage suchen sie sich vielmehr Nischen und Extravorteile, gehen Sonderbeziehungen ein, kalkulieren eben national. Mit Fortschritten in Richtung Kommunismus hat das nichts zu tun; einige sozialistische Errungenschaften in der Lebensführung der Massen, die schon Gewohnheit waren, werden darüber ruiniert; das mittlerweile allgemein erlaubte Geschäft mit dem Klassenfeind hat seine ökonomischen Schäden in den Planwirtschaften und ein Stück Zersetzung der Hebelökonomien angerichtet - aber eine Auflösung des Bündnisses aus sich heraus, aus dem Interesse seiner Mitmacher ist deswegen noch lange nicht angesagt. Diese Prognose des Westblocks gilt zwar seit 45, hat aber außer ihrer Parteilichkeit nichts auf ihrer Seite.
IV. Die Warschauer Vertrags-Organisation
In den kommunistischen Parteiprogrammen ist die Verausgabung von Reichtum für sämtliche Erfordernisse einer flexible response, für Atomraketen und Weltraumtechnik nicht enthalten. Auch wenn die westliche Hetze "Aggressivität" und "Expansionismus" des Ostblocks zum Dogma erhoben hat - Kommunisten sind gemeinhin nicht dafür bekannt, daß ihre Interessen vorrangig auf militärischem Gebiet liegen. Und wenn die Staatschefs von der Gründungsphase des Ostblocks bis heute, von der Periode, in der die Parole vom "Überholen" ausgegeben wurde, bis zur heutigen Kritik an der "Stagnationsperiode" immerzu mit ihrer Etappenbestimmung in Richtung auf einen vollständigen Kommunismus und mit der schöpferischen Lösung ihres Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen beschäftigt sind, läßt sich dem auch entnehmen, daß sich ihr Programm erst einmal nicht über die militärische Schlagkraft ihres Staats definiert.
Die Vorstellung, wenn die Kriegsschäden beseitigt wären, könnte man einen gemeinsamen und gewaltigen sozialistischen Aufbau ins Werk setzen und den "faulenden" Kapitalismus an der ökonomischen und sozialen Front übertrumpfen, mußten sich die volksdemokratischen Regierungen aber bald abgewöhnen. Die Last einer Kriegswirtschaft, eines dauernden Abzugs von Reichtum für Rüstungszwecke ist ihnen geblieben bzw. im Verhältnis zu den von der NATO vorgegebenen Dimensionen gewachsen.
Geplant war in Sachen Militär etwas anderes, nämlich der Aufbau zuverlässiger Armeen als Stütze für die sozialistische Staatsmacht, als der "bewaffnete Arm der Revolution". Bis heute wird diese Tradition mit Betriebskampfgruppen und Volksmilizen gepflegt, die es nur noch in den seltensten Fällen mit dem Klassenfeind zu tun bekommen, stattdessen bei Popkonzerten, nationalistischen Unruhen oder polnischen Streiks zum Einsatz kommen. Die regulären Armeen stehen für die äußere Garantie der Volksdemokratien ein und unterhalten bilaterale Verteidigungsverträge mit der Sowjetunion.
Daß sie zusätzlich zu dieser Funktion in eine gesamteuropäische Kriegsstrategie eingeplant sind, dafür trainieren und ansehnliche Teile der Staatshaushalte beanspruchen, folgt nicht aus dem Gründungsprogramm des sozialistischen Lagers, sondern stellt die Reaktion auf die europäische Front dar, zu der die USA die NATO-Staaten vereinigt haben! Der Warschauer Vertrag, das formelle Gegenstück zur NATO, ist abgeschlossen worden, als alle Versuche der Sowjetunion, die Bildung des gegnerischen Blocks zu verhindern - vor allem: "die deutsche Frage offenzuhalten" -, gescheitert waren. 1949 wurde die NATO gegründet, 1954 die BRD aufgenommen; 1955 wurde der Warschauer Pakt abgeschlossen und 1956 die DDR Mitglied. Die Weltkrieg-II-Generäle der Sowjetunion mußten die Strategie des Atomkriegs lernen, sich darauf einstellen, die europäische Herausforderung durch eine NATO auszurechnen, und die Bündnisarmeen in ihre Funktionen einweisen.
Die Warschauer-Pakt-Staaten kennen nur einen Kriegsgrund, das ist der Anspruch des militärisch vereinigten Westens auf die Herrschaft in Europa und seine entsprechende Kampfansage an die Sowjetunion. Diese Kampfansage, obwohl an die Adresse der Sowjetmacht gerichtet, bedroht die Staatswesen, mit denen die zur Macht gelangten sozialistischen Parteien ihr Land aus dem Herrschaftsbereich der bürgerlichen Welt ausgegliedert haben, in ihrer Existenz. Die Herren der neuen Arbeiter-und-Bauern-Staaten brauchten daher gar keine besonderen nationalen Rechnungen anzustellen, um in der Frage ihrer militärischen Existenzsicherung auf jeden "Sonderweg" außerhalb des sowjetischen Verteidigungsbedürfnisses zu verzichten. In das haben sie sich eingeordnet, ohne damit irgendein weitergehendes Interesse als das an ihrer Selbsterhaltung zu verfolgen - und weiter geht auch das sowjetische Interesse an einem eigenen europäischen Militärbündnis nicht. Denn so wie es zwar ideologisch, aber keine Verstellung ist, wenn die NATO-Partner in ihrer Gründungsurkunde ihren Friedenswunsch unter den Vorbehalt stellen, daß die "Herrschaft des Rechts" - des von ihnen vertretenen nämlich - unangefochten gilt, also ein Programm zur Bereinigung der Weltlage verkünden, so ist es gleichfalls keine Verstellung, wenn die Sowjetunion und ihre "Satelliten" dieses Programm mit dem unbedingten Willen zur "Sicherung des Friedens", unideologisch ausgedrückt: zur Selbstbehauptung und Sicherung des Status quo beantworten.
Mit ihrem Kriegspakt verfolgen weder die Führungsmacht noch die kleineren Partner des Warschauer Vertrages ein - alternatives - imperialistisches Programm, um dessen Auslegung im jeweiligen nationalen Interesse alsdann der Streit losgehen könnte und müßte. Weder hat sich der "Ostblock" einem gemeinschaftlichen Revisionismus von der Art des westlichen Willens zur "Wiedervereinigung" Europas und der Welt... - verschrieben, noch gibt es die dazu gehörigen nationalen Bemühungen, das Bündnis für besondere Weltveränderungsanliegen zu funktionalisieren - die DDR hat sich keine "Wiedervereinigung" in ihr Grundgesetz geschrieben, und genausowenig beanspruchen Ungarn und die CSSR einen gerechten Anteil an Österreich oder den Österreichern, Bulgarien makedonische Bestände in Jugoslawien oder Griechenland, Polen seine alten Ostgebiete. Streitfälle dieser Art, soweit es sie gegeben hat, hat die Sowjetunion verboten - typisch totalitär, hat sie solchem kriegsträchtigen nationalen Ehrgeiz, ohne den Nationalisten nie recht glücklich sind, in ihrem Kriegspakt keinerlei Rechte gewährt. Damit hat sie auch die Konkurrenz der Beteiligten um ihre besondere nationale Geltung im Bündnis gar nicht erst aufkommen lassen. Entsprechend schlicht sieht dessen militärische Struktur aus: Die Sowjetunion plant den Kriegsfall, dem sie sich in Europa gegenüber sieht, als totale Abwehr und Gegenschlag, bereitet so den Weltkrieg vor; und ihre Führungsstäbe weisen den assoziierten Armeen die Teilaufgaben zu, die sie zu übernehmen haben.
Ein langweilig undemokratisches Militärbündnis
Bei der Rollenverteilung ist es im Warschauer Pakt bis heute geblieben. Die Bruderstaaten stellen Teilstreitkräfte, garantieren eine bestimmte konventionelle Truppenstärke und räumen der Sowjetunion das Recht auf Operationsfreiheit in ihrem Territorium ein (mit Ausnahme Rumäniens, das sich damit im Westen früher einmal äußerst beliebt gemacht hat, aber, strategisch betrachtet, leider auch ziemlich zu vergessen ist). Die Sowjetunion beschließt, welche Rüstungsfortschritte fällig sind, und stattet die anderen Armeen mit allen wichtigen Waffen aus, je nach deren strategischer Funktion und auch nach politischen Konjunkturen, in Abhängigkeit von der Beurteilung ihrer Zuverlässigkeit. Die anderen Staaten betreiben eine Rüstungsproduktion für die Grundbedürfnisse des Militärs bzw. führen Spezialaufträge aus.
Eine Konkurrenz in Rüstungsfragen ist überhaupt gar nicht erst aufgekommen, und die sozialistischen Massen brauchen sich darüber wirklich nicht den Kopfzu zerbrechen, welcher Leo der beste ist. Weder hat es die Sowjetunion jemals in Erwägung gezogen, ihre Partner auf die Eigenproduktion von Panzern, Kampfflugzeugen oder U-Booten zu verpflichten, noch gilt dieser Sektor in der nationalen Rechnung der anderen als erstrebenswerte Branche - "High tech! " -, die unbedingt erobert werden muß. Die Ausgaben fürs Militär sind reine Unkosten, bloßer Abzug vom realsozialistischen Nationaleinkommen, und lohnen sich weder für eine damit zu gewinnende nationale Bedeutung noch für auswärtige Geschäftserfolge - der Waffenhandel, den der Ostblock betreibt, hat sich wegen seiner politischen Zweckbestimmung kaum jemals rein auf den Standpunkt des Geschäftserfolgs stellen können. "Kunden" wie Kuba, Vietnam, Angola, Syrien, Nicaragua, Afghanistan, Äthiopien zeichnen sich nicht gerade durch Zahlungsfähigkeit aus.
Genauso unbekannt sind dem östlichen Militärbündnis die belebenden NATO-Debatten um "Abkoppelung" oder "Risiko- und Lastenverteilung". Würden z.B. die Frontstaaten DDR und CSSR nur einmal den Standpunkt einnehmen, den die BRD laufend als ihr gutes Recht beansprucht, und das nationale Verteidigungsbedürfnis, getrennt vom Bündnis, gegen den Feind aufrechnen; würde man dort einmal den nationalen Rüstungsbedarf nach der Methode der BRD anmelden - das eigene militärische Gewicht so erhöhen, sich strategisch so wertvoll und so unverzichtbar machen, daß ein Recht auf strategische Mitbestimmung daraus folgt -: dann wäre die Hölle los, und zwar nicht drüben, sondern hier. Es ist sehr bezeichnend für die berechnende Sichtweise des Feindbilds, daß sie am anderen Bündnis in allen Fragen die Unterdrückung der "Satelliten" durch die Sowjetunion feststellt - nur in der Frage nicht, an der sich in der Freien Welt die ganze Freiheit einer Nation letztlich entscheidet, nämlich bei der Freiheit, nationale Verteidigungsbedürfnisse - also Kriegsgründe - und Rüstungsnotwendigkeiten zu definieren. Daß die Sowjetunion ihre Verbündeten militärisch kurz hält und ihnen keine, denen der westlichen "Satelliten" vergleichbaren Militärapparate gönnt, das ist ihr noch nie zum Vorwurf gemacht worden.
Dieser Zustand hat ja auch durchaus seine praktischen Bequemlichkeiten. Die Nationale Volksarmee der DDR, die tschechische und polnische Armee werden von den konventionellen NATO-Kräften als Teilaufgaben eingeplant. Zusätzlich wird mal das Gerücht von einem extremen preußischen bzw. polnischen Militarismus gepflegt - wenn die Schlechtigkeit des Systems Thema ist - oder die nette Idee verbreitet, daß die im Ernstfall ohnehin überlaufen - wenn die ideelle Vereinnahmung der "Unterdrückten" ausgemalt wird.
Besondere Militärstrategien oder Rüstungsvorhaben der "Satelliten" muß die NATO jedenfalls weder ideologisch noch praktisch berücksichtigen, weil es sie nicht gibt. Daß ein Honecker, Husak oder Jaruzelski die Strategie ihres Pakts vom nationalen Interesse aus überprüfen, etwa das Thema "Kriegsschauplatz DDR" aufwerfen und daraus einen besonderen Rüstungsbedarf ableiten, ist in ihrem Kriegsbündnis nicht üblich. Außer dem gemeinsamen Kriegsfall kennen die beteiligten Staaten keine Funktion ihres Militärs. Für den Fall leisten sie ihren militärischen Beitrag, der nur vor dem Hintergrund der sowjetischen Atommacht und bloß als Beitrag zur Schlagkraft der Roten Armee zählt.
Null atomare Souveränität - viel Friedenspolitik
Im Unterschied zur westlichen Schutzmacht hat die Sowjetunion in ihrem Lager ihr Atomwaffenmonopol aufrechterhalten. Sie hat jahrelang mit den USA um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr gestritten und die amerikanische Entscheidung, den Deutschen atomare "Gefechtsfeldwaffen" abzüglich eines letzten Sicherungsschlüssels in die Hand zu geben, nicht mit der atomaren Bewaffnung ihrer Frontstaaten beantwortet; sie hat die Existenz von noch zwei unabhängigen Atommächten in der NATO nicht damit gekontert, ihren Verbündeten diese Technologie zugänglich zu machen. Friedenspolitik oder Diktatur? Auch in der Frage hat die Sowjetunion niemals für die erste Antwort Komplimente geerntet, noch Tadel für die zweite.
Umgekehrt haben die Bündnispartner der Sowjetunion auch nie das Recht auf eine atomare Rüstung angemeldet oder "Raketenlücken" auf ihrem Territorium entdeckt - nach der alten "Nach"rüstungslogik eines Helmut Schmidt wäre das in sämtlichen Warschauer-Pakt-Staaten längst überfällig. Während die NATO-Partner unter dem atomaren Schutzschirm der USA immer auch leiden - nämlich daran, daß sie in ihren nationalen Ambitionen von den strategischen Fähigkeiten und der Atomkriegsbereitschaft ihrer Führungsmacht abhängig bleiben -, gibt es im östlichen Bündnis Unzufriedenheiten aller Art, bloß nie mit der strategischen Rollenverteilung und der atomaren Garantie der Sowjetunion. Der Grund dafür ist einfach: Die Partner sind - genauso wie die Sowjetunion - zufrieden mit dem durchs Militär garantierten status quo; sie setzen gerade nicht -auf eine irgendwann fällige Entscheidung der globalen "Machtfrage", sondern darauf, eine solche Entscheidung zu verhindern.
Das hat allerdings auch seine Folgen. Während die Sowjetunion nicht nur mit den USA, sondern auch noch mit deren europäischen Vorposten um Rüsrungsfrage rechten muß, denen also die entsprechende diplomatische Anerkennung zollt, Sondererpressungen und Sonderangebote für Europa-West aufmacht und die Zusatzbedrohung durch dessen Militarismus kalkulieren muß, kennen die NATO-Staaten ausschließlich die Sowjetunion als Verhandlungspartner im rüstungsdiplomatischen Geschäft. Die Briefe, die Honecker regelmäßig mit den peinlichsten Anspielungen auf ein gesamtdeutsches Interesse nach Bonn abschickt, um für gemeinsame Abrüstungsinitiativen zu werben, werden im Kanzleramt ebenso regelmäßig als gutgemeinte, aber größenwahnsinnige und unpassende Einmischung abgelegt. Die ach so friedliebende und verständigungsbereite BRD verhandelt ernstlich nur mit Nationen, die sich als Atommächte rüstungs- und sonstigen diplomatischen Respekt verschafft haben - ganz als würde die europäische Kriegsfrage die DDR nichts angehen, nur weil sie darin eine verhältnismäßig viel bescheidenere Rolle spielt. Forderungen oder Anliegen der osteuropäischen Mitmacher werden nur dann im Ost-West-Verhältnis ernsthaft zum Verhandlungsgegenstand, wenn entweder die Sowjetunion der Sache ihr Gewicht verleiht und ein Anliegen des gesamten Bündnisses daraus macht - wie z.B. in der Frage einer Anerkennung der DDR, die flau genug ausgefallen ist - oder wenn es der Westen selbst für günstig hält, nämlich Ansatzpunkte für besondere Erpressungen zu schaffen, dadurch Abweichungen zu fördern und womöglich den feindlichen Block ein wenig zu spalten.
Daß die Warschauer-Pakt-Staaten mit Ausnahme der Sowjetunion im rüstungsdiplomatischen Schacher nichts zu bestellen haben, hat sie allerdings auch nicht mit ihrer beschränkten militärischen Rolle unzufrieden werden lassen. Weil sie die Sache nun einmal ganz anders sehen, gilt eher das Gegenteil: Weil erst einmal Zufriedenheit herrscht mit dem status quo, den man erreicht hat und den die Sowjetunion garantiert, betrachten die "Satelliten" die Kriegsfrage mit einer ganz eigentümlichen Distanz. Gerade in Phasen rüstungsdiplomatischer Verstimmung zwischen Sowjetunion und NATO ist z.B. das Bedürfnis nach einem Mehr an lokaler Entspannung und das Gerücht von der besonders wertvollen Friedenspolitik der "Kleinen" aufgekommen. Wenn schon die Führungsmacht ihr Militär tatsächlich bloß zum Zweck der Abschreckung aufstellt und der Rüstungsdiplomatie allen Ernstes die Aufgabe zuschreibt, den Frieden zu sichern, dann kann bei den Partnern durchaus auch die Frage aufkommen, ob der eine oder andere Rüstungsschritt wirklich sein muß. Und wenn schon die Sowjetunion - wie zur Zeit - die verrückte Selbstkritik ventiliert, ob nicht sie in der Vergangenheit womöglich die Lage unnötig verschärft hätte, dann können sich die "Kleinen" noch nachträglich dafür ins Recht gesetzt fühlen, wenn sie wegen ihrer geschäftlichen und sonstigen Interessen schon einmal auf Distanz zu den rüstungsdiplomatischen Verhandlungspositionen ihrer Schutzmacht gegangen sind.
Das bedeutet allerdings nicht, daß sie in praktischen Rüstungsfragen etwas unterlassen würden oder sogar aus ihrem Bündnis austreten wollten - dazu gibt es weder einen Grund noch irgendwelche besseren Angebote. In ein paar Fällen erinnert zudem der Revanchismus der BRD zuverlässig an den Ernst der Lage. Aber die ideologische Wehrbereitschaft geht ziemlich verloren. In der nationalen Abwandlung der sowjetischen Friedensidiotie leistet jeder sozialistische Staat seinen - nationalen - Beitrag zur ostblocküblichen Volksverdummung, die einen Gegensatz zum Imperialismus von östlicher Seite aus für zunehmend überholt und überflüssig erklärt.