Info
Bekenntnisse einer Radikalökodemokratin
WIE DENKT JUTTA DITFURTH?
Sei es aufgrund ihres "faszinierenden Fernsehauftritt(s) in der 'Elefantenrunde' vor der Bundestagswahl 1987 mit Strauß, Bangemann, Kohl und Rau" (3) oder wegen ihres Diktums von der staatlichen Sehnsucht nach Terror - Freund und Feind sind sich darin einig, daß es sich bei Jutta Ditfurth um die Vertreterin einer radikalen Kritik an dieser Gesellschaft handelt, wie sie heute sonst nicht mehr üblich ist. Fragt sich nur, worin ihre Radikalität besteht - ihr Sammelbändchen "Träumen Kämpfen Verwirklichen" (KiWi 158, Köln 1988) gibt die Antwort.
Ditfurths radikale Weltsicht
1. Das Wirtschaftsleben aus ökologischer Perspektive: Schuld und Sühne
An tausend Beispielen belegt die Autorin, daß die bestehende Produktionsweise Mensch und Natur schädigt. Der Grund liegt für sie in den
"Strukturen (der) kapitalistische(n) Wirtschaftsweise" (91), der "Logik kapitalistischer Produktion, deren einzig steuerndes Interesse das der Profitmaximierung ist. Der Mensch bleibt als auszubeutende Arbeitskraft und als zahlender Konsument, die Natur ist der unendliche Rohstofflieferant, der große Abfalleimer." (121)
Ganz ernst nimmt Jutta Ditfurth ihre Behauptung, der Kapitalismus sei der Fehler, dessen Wirkungen sie beklagt, allerdings nicht. Wie viele andere Moralwachteln, die gelegentlich auf den Profit schimpfen, kennt sie diese Maßeinheit des kapitalistischen Wachstums vornehmlich als ein verachtenswertes Interesse, dessen Nicht-Beaufsichtigung so katastrophenträchtig ausschlage. Nicht die Gültigkeit dieses Interesses klagt sie an, sondern die übertriebenen Befugnisse. die ihm das Recht gewährt. Ihr politischer Verstand funktioniert also - sie gehört in ihrer Radikalität zu den Zeitgenossen, die in politischen Alternativen denken und die Allmacht des Staates für die Korrektur des Privateigentums und seiner Verfehlungen in Anspruch nehmen wollen:
"Die Logik der chemischen Industrie bestimmen bis heute die, die davon profitieren. Deshalb entscheidet das Chemiekapital, selten eingebunden in wirkungsvolle Gesetze, den Grad der Zerstörung von Mensch und Natur weitgehend frei nach Profitgesichtspunkten." (107)
Was wie eine vernichtende Kritik a m System daherkommt, dem die Zerstörung von Mensch und Natur zur Last gelegt wird, ist nichts weiter als eine demokratische Klage auf Unterlassung. Als wäre die Freiheit des Kapitals nicht fester Bestandteil "unserer Ordnung" und der oberste Grundsatz demokratischen Regierens, sieht Jutta Ditfurth bei ihrer Hetze auf die Wirkungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise keine Notwendigkeit am Werk. Und in ihrem Anliegen, Mensch und Umwelt schonend zu behandeln, fällt ihr keineswegs bloß der Gesetzgeber ein als eine Instanz, die das Nötige unternimmt. Als Vertreterin eines allgemeinen Interesses der höchsten Preisklasse kann sie sich auch vorstellen, daß diejenigen, die unter der Rubrik "Wirtschaft" bislang ihr Unwesen treiben, ihre Grundrechnungsart überdenken.
Radikal betrachtet ist Naturbewahrung ja sogar eine immanente Notwendigkeit des Kapitals, weshalb ihm bei deren Nichtbeachtung der Untergang droht:
"Die herrschende Ökonomie frißt sich selbst auf, d.h., sie ruiniert perspektivisch ihre eigene Wirtschaftlichkeit, ihr eigenes Kapital, indem sie als Kosten nicht das rechnet, was sie unseren Lungen... aufbürdet, und den Nutzen nur im allerengsten betriebswirtschaftlichen Sinn versteht." (17)
Aus den kapitalistischen "Strukturen" sind die subjektiven Verfehlungen der Unternehmer geworden, die sich auch an ihnen bitter rächen. Ökologie kennt keine Klassen! Wo der Staat mit der nationalistischen "wir"-Ideologie sein im Recht ausgesprochenes Verbot flankiert, die Gegensätze von unten auszutragen, glaubt Ditfurth, wenn "mensch" - das sind "wir" alle - seinem Egoismus abschwörte, die Ideologie also befolgt würde, würden sich die gesellschaftlichen Gegensätze und nicht mehr SO2 in Luft auflösen. Auf Basis der geleugneten wirklichen Notwendigkeiten des Kapitals, braucht die harmonie-idealistische Fiktion mensch nur noch bekanntzugeben, was sie braucht und was nicht: 1. Umweltzerstörung nein danke, deswegen müssen wir das dafür verantwortliche Profitinteresse auf ein gesundes Maß herabstutzen, seine Vorherrschaft zurücknehmen; 2. Ökologie - ja bitte, und zum Einsatz des Kapitals für diesen schönen Zweck heißt es, die Geschäftsleute zu läutern - mit einem Blick zurück und einem voraus:
Bei den AKWs wird "massenhaft Kapital gebunden, das für die Müllvermeidung, für Recycling, für Umweltsanierung fehlt" (12). "Würden die Baukosten eines Atomkraftwerkes in sinnvollere und gesündere Produktionen gesteckt, könnten viel mehr Arbeitsplätze entstehen: Für die notwendigen Investitionskosten eines Arbeitsplatzes in der Atomindustrie könnten vier Industriearbeitsplätze und mindestens 3 im Bereich der regenerativen Energietechnologien (Wind und Sonne zum Beispiel) geschaffen werden. Allein die Isolierung einer Million Wohnungen im Jahr bringt 200.000 Arbeitsplätze jährlich für die nächsten 20 Jahre... Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt". (61 f.)
Wahrlich nicht, wenn man nur an die Idiotie glauben will, das Kapital mit kapitalistischen Ködern von seinem Standpunkt herunter- und in die Gefilde des philanthropischen Idealismus hineinlocken zu können!
2. Der Staat
In der Bundesrepublik Deutschland sieht Jutta Ditfurth einen
"kalten, durchtechnisierten, waffenstarrenden, computerisierten, kapitalistischen Staat... mit all den Erscheinungen wie Korruption, Repression gegenüber Minderheiten, alter und 'neuer' Armut und einer großflächigen Vernichtung unserer ökologischen Lebensgrundlagen" (218).
Gemach; so destruktiv, wie man meinen könnte, ist ihr Urteil über den Staat gar nicht, da es sich auch bei seinen Häßlichkeiten um unnötige Entartungen handelt. Es liegt am Umgang mit dem staatlichen Auftrag, daß dessen idealer Charakter erst nur ein eigentlicher und noch kein wirklicher ist. An drei Beispielen soll gezeigt werden, mit welch unbeirrbarem Vertrauen in das eigentlich gute Wesen des Staates sie gegen seine Machenschaften zu Felde zieht.
Die Atompolitik
Über die Folgen eines in Betrieb genommenen AKWs für die Gesundheit der benachbarten Menschheit herrscht bei der Grünen völlige Klarheit. Auch an die Mär vom sicheren deutschen Meiler glaubt sie nicht:
"Es gibt keine sicheren Atomkraftwerke!" (57)
ebensowenig wie an
"die Lüge von der Trennung der Atomenergie in die zivile und die militärische Nutzung" (63).
Ihr ist sogar die entscheidende Tatsache bewußt, daß die Modalitäten der stattfindenden Naturzerstörung auf staatlichen Entscheidungen beruhen:
"Ich behaupte, daß die Katastrophe, die die Ökologie in der gegenwärtigen Zeit zerstört, der Normalzustand ist, d.h. ... aufgrund von Gesetzen, von politischen Entscheidungen. Die Katastrophe ist der Normalzustand." (23)
Wenn dem so ist, wäre es vielleicht ganz nützlich, Näheres über die Gründe des staatlichen Faibles fürs Atom zu erfahren. Doch diese Frage ist bei Ditfurth wieder sehr schnell erledigt:
"Die Interessen brauchen nicht groß berechnet werden. Sie liegen im wesentlichen auf der Hand. Ein allgemeines Profitinteresse, die spezifischen Interessen des militärisch-industriellen Komplexes und schlicht und einfach Herrschaftsgelüste, und die gibt's auch, massenhaft und reichlich." (24)
So also steht der Staat zum Profit! Politiker erniedrigen sich zu dessen treuen Dienern und stillen dabei ihren Machthunger! Eine schöne Analyse, die sich in Sachen Politik noch nicht einmal klar zwischen Macht und Ohnmacht entscheiden will:
"Chemiekonzerne haben viele Politiker gut im Griff. Wer könnte behaupten, daß Kanzler Kohl, der bei der BASF unter Professor Carl Wurster lernen durfte, jemals gegen die Interessen seiner alten Arbeitgeber verstieß?" (101)
Der Fingerzeig auf den geheimen Hintermann war offenbar nötig. Daß ein bürgerlicher Politiker, auch wenn er nicht bei Professor Carl Wurster lernen durfte, als Staatsagent ein originäres Interesse daran hat, für das Wachstum seines nationalen industriellen Kapitals eine rentable Energieversorgung im Lande aufzuziehen, weil die Stärke des Staats auf diesem Wachstum basiert und weil jene wiederum den Grad bestimmt, bis zu dem der Staat die Welt seinen Konditionen zu unterwerfen vermag - diesen Zusammenhang wird man in Juttas Büchlein nicht finden: Da müßte sie sich ja glatt mit der Tatsache theoretisch vertraut machen, daß die Folgen der staatlichen AKW-Entscheidung für die Gesundheit der Bürger nicht aus der Bestechlichkeit bzw. Lenkbarkeit der Inhaber staatlicher Ämter resultieren, sondern aus den Notwendigkeiten, die den Zweck dieser Ämter ausmachen! Doch auf die läßt Ditfurth keinen Schatten fallen, und wenn doch einmal, wie teilweise auf das Parlament, dann ist die betreffende Institution nicht in dem Zustand, in dem sie sein sollte, sondern um bereits erwähnter "Herrschaftsgelüste" willen "degeneriert" ( 142), also letztlich doch dem schlechten Charakter ihrer Inhaber zum Opfer gefallen. Diese Subjektivierung und damit Leugnung mißliebiger Staatsfunktionen beherrscht Ditfurth auch in ihrer historischen Variante:
"Bald nach dem 2.Weltkrieg begannen in der Bundesrepublik alte Nazis, ohne je für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden zu sein, mit dem Aufbau des Atomprogramms... Die Bundesrepublik wurde nie wirklich 'entnazifiziert'." (63)
Auch wenn sich Jutta daher wenig Hoffnungen darüber macht, die Institutionen könnten rasch von den braunen Filzläusen befreit werden, so ist sie doch nicht um Alternativen verlegen, die des Amtes würdige Menschen sich zu Herzen nehmen müßten. Wenn die praktizierten Staatszwecke gar keine eigentlichen Staatszwecke sind, dann muß es nämlich mal gesagt weden, worin letztere zu bestehen haben. Staat, dem unser aller Wohl deine größte Sorge eigentlich sein müßte, lerne aus Fehlschlägen:
"Die logische und verantwortungsbewußte Konsequenz aus Tschernobyl hätte die Schließung der bundesdeutschen Atomanlagen sein müssen." (57)
Staat, mach doch einfach das Gegenteil von dem, was du bezweckst, das kommt dich und deine Steuerzahler viel billiger:
"Übrigens, die geschätzten Baukosten für die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf liegen jetzt schon bei rund 10 Milliarden DM. Unser Abschaltkonzept kostet nur 5,6 Milliarden." (60)
Und merk'dir - für meine vier Wände brauch' ich nicht das Atom:
"Um eine Wohnung auf 21 Grad zu erwärmen, gibt es genug Alternativen... Sonnenkollektoren, Wärmedämmung, passive solare Bauweise, gas- oder dieselbetriebene Wärmepumpen und vieles andere mehr." (65)
Bliebe nur noch das Militär mit seinem industriellen Komplex, denn die sind doch so auf die Atombomben scharf. Wenn sich aber zeigen ließe, daß das Militär für unsere Verteidigung überflüssig ist, dann wäre das Atomproblem endgültig gelöst (und der "Komplex" soll dann auf Pflugscharen umsatteln).
Das Militär
Sein Handwerk ist der Tod, und BRD-Politiker gedenken, sich seiner zu bedienen:
"Bundesdeutsche Politiker haben heute bereits ihr 'O.K.' zum geplanten Massenmord, zur radioaktiven Zerstrahlung unserer natürlichen Umwelt gegeben, das O.K. ist verpackt in die Formulierung: Freiheit vor Frieden. Das heißt nichts anderes als: Besser die Leute sind tot, als sie leben unter falscher Ideologie." (43f.)
Und der Grund uon alledem:
"Ideologie und... Profitinteressen" (43).
Eine bizarre Erklärung! Was die Profitinteressen betrifft: Die scheinen wohl nur noch bei der Rüstungsindustrie vorhanden, wenigstens solange, bis ihr die ersten Produkte der östlichen Konkurrenzbetriebe aufs Dach fliegen. - Zur Ideologie: Daß die Staatsmänner ihre Leute dafür, daß sie nichts Mißliebiges denken, abschlachten lassen, kann nur einer Grünen einfallen, die sich Politiker und Militärs als rechte Trottel zurechtmacht, weil sie im bürgerlichen Staat wieder einmal keinen Grund für sein Tun entdecken will. Überhaupt: Seit wann ist denn eine staatliche Ideologie wie 'Bewahrung der Freiheit' ein 'bloß'? Jutta Ditfurth ist wohl unbekannt, daß sich in ihr ein politisches Interesse prinzipiell artikuliert, das die Existenzgrundlage der BRD darstellt: ihre bedingungslose Feindschaft gegen den Osten. Ausgerechnet da, wo solche grundsätzliche Feindschaft noch vor aller politischen Kalkulation mit ihr und vor aller Ideologie, die vielmehr jener gemäß konstruiert wird, feststeht, weigert sich die Autorin, das Militär als etwas anderes denn als Resultat ideologischer Verbohrtheit zu sehen, weshalb mensch es, bei Lichte besehen, auch weglassen könne.
Hier täuscht sie sich ganz gewaltig, denn nicht nur ist das Militär durch die Beseitigung der vermeintlich grundlosen Ideologie nicht abzuschaffen; gerade sie übernimmt die ideologische Rechtfertigung der Notwendigkeit 'unserer' Wehrmacht, erhebt aber mahnend den Zeigefinger, weil die gute Absicht s o nicht klappt:
"Alle Versuche, Frieden durch Aufrüstung und Abschreckung zu erreichen, sind historisch gescheitert." (31)
Die Abschreckung bedarf nämlich der glaubwürdigen Androhung des Atomkrieges, das aber macht dem Gegner Angst, und die senkt wiederum ausgerechnet seine Hemmungen, den Krieg anzuzetteln. Klarer Fall, wir müssen die Kiste nur auf den Kopf stellen und dabei iricht einmal auf unser vertrautes Feindbild verzichten:
"Wir brauchen also eine Politik, die das Gegenteil bewirkt. Mensch muß die Faktoren berücksichtigen und verstärken, die die Hand des Gegners vom auslösenden Knopf fernhalten können. ... Die einzig wirksame Form der Verteidigung ist die Verstärkung der kriegshemmenden Faktoren im wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Bereich. Es ist die einzige Möglichkeit." (32f.)
Na, so schlimm kann Ditfurths Abneigung gegen den "kalten... kapitalistischen Staat... mit all den Erscheinungen wie..." nicht sein, wenn sich ihr nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde die Frage aufdrängt, was an dem für "mensch" eigentlich verteidigenswert ist, und wenn ihr die kapitalistischen Geschäfte mit dem Osten die einzige Möglichkeit sind, den Krieg zu verhindern! Da sitzen wir dann doch wieder alle in einem Nationalboot, natürlich alternativ: Es
"müssen andere Wege gefunden werden. Wege, die davon ausgehen, daß eine Gesellschaft ohne militärische Rüstung keine militärische Bedrohung für eine andere Gesellschaft darstellen kann. Für einen möglichen Angreifer entfällt eine wichtige Motivation. Methoden einer strikt gewaltfreien, nicht-militärischen sozialen Verteidigung zielen auf die Entwaffnung, Aufdeckung, Veränderung und Beseitigung von Gewalt aufbauenden Zuständen ab. Nicht der Mensch ist der Gegner, sondern seine Rolle als Vertreter zerstörerischer Strukturen." (34)
Da heißt es aber erst einmal, daß ich und du das im Kleinen üben: Es
"werden verschiedene Schritte unverzichtbar, die ich kurz nennen will: 1. Sich gegen Gewaltstrukturen im eigenen Alltag in allen Lebensbereichen wenden. 2. Solidarisch mit Menschen umgehen, ihnen die Freiheit des Andersseins gewährleisten. 3. Herrschafts- und gewaltfreie und solidarische Verhaltensweisen einüben. 4. ..." (34)
Jetzt kennen wir den wahren Friedensstörer: Mensch, reiß dich zusammen! Und ihr Herren im bunten Rock, die ihr nicht mit Gewaltmitteln, sondern mit untauglichen Gewaltverhinderungsmitteln herumhantiert, die leicht ins Auge gehen können, für euch hat mensch keine Verwendung mehr. Wären da nicht noch die herrschaftslüsternen Politiker, aber auch für die gibt es die Möglichkeit, sich eines Besseren zu besinnen:
"Im Prinzip sind diese Entscheidungsträger in Wertsysteme moralischer, kultureller und politischer Art eingebunden und leiten aus diesen, sich durchaus verändernden Zusammenhängen ihre Legitimation und damit ihre Handlungen ab." (32)
Nicht die politischen Zwecke bestimmen die Gestalt ihres ideologischen Beiwerks, nein, es gibt humane und inhumane Wertsysteme. Gottlob sind diese durchaus zu verändern siehe oben genannte Übungsempfehlungen und dem Frieden auf Erden steht nichts Notwendiges mehr entgegen!
Doch wie steht es um den staatsinternen Gewaltapparat?
Die Polizei
Anders als bei der Truppe will Jutta Ditfurth hier keinen verfehlten Sinn erblicken. Diese Institution ist als solche für sie eine einzige Verfehlung des Staates an seiner an sich begrüßenswerten Ordnungsaufgabe:
"Die Polizei macht genau das nicht, was sie vorgibt. ... Die Polizei schützt die Bürger systematisch nicht vor Gewalt. Die Polizei hat in den letzten 10 Jahren mehr als 150 Menschen erschossen. ... wenn ein Polizeigesetz beschlossen wird, das den Todesschuß selbst gegen Kinder legalisiert, dann ist es kein Zufall, sondern die Konsequenz des Systems." (179)
"Der Staat behält es sich vor, mittels der Polizei Bürger zu verletzen oder sogar umzubringen." (182)
Doch auch hier bleibt sie ihrer unkritischen Tour treu: Der emphatischen Anklage, der wortradikalen Beschuldigung des Staates folgt seine ideelle Entlastung auf dem Fuß:
"Die Polizei wird nicht zur Verteidigung von 'Demokratie und Freiheit' eingesetzt, sondern zur Verteidigung der Vorrechte der Herrschaftsgruppen, gegen Freiheit und Demokratie und für die Betonierung sozialer Ungleichheit." (180)
"Sie sichert und schützt selbst zu Unrecht ausgeübte Gewalt." (180)
Auf Freiheit und Demokratie läßt eine Grüne eben nichts kommen. Daß der Kodex dieser obersten Werte, das heißgeliebte Grundgesetz, nicht nur in Art. 14, wo es Freiheit als Recht auf Eigentum definiert, oder z.B. in Art. 9, wo es "jedermann und für alle Berufe" das Recht gewährt, Vereinigungen zu bilden, Demokratie als Herrschaftsform der kapitalistischen Klassengesellschaft ausweist, ist für frau (Ditfurth) undenkbar. Deswegen will es ihr auch nicht in den Kopf, daß die beklagte soziale Ungleichheit und die gewaltsame staatliche Absicherung gegensätzlicher Interessen aus dem G e- und nicht aus dem Mißbrauch des Rechts herrühren.
Wäre unser Staat, wie er sein sollte, dann gäbe es die Polizei nicht, denn
"die deutsche Polizei ist... von ihrer Geschichte her keine Institution der Demokratie. ... die deutsche Polizei war eine der tragenden Säulen des Faschismus." (184 f.)
Vielmehr ist sie
"Staat im Staat für die Machterhaltung und Machtexpansion der staatstragenden Komplexe, für die Interessen von Bürokratie, Kapital und Militär." (190)
Andere Interessenten außer diesen Dunkelmännern gibt es nicht. Was folgern wir daraus? Logo: Solange die langfristige Perspektive
"einer Gesellschaft, frei von der Herrschaft von Kapital und Militär... nicht erreicht ist, ist die Polizei schon aufgrund ihrer strukturellen Tendenz zu Gewalt einer unabhängigen BürgerInnenkontrolle zu unterStellen" (190).
Aber bei welcher Tätigkeit, wenn doch Töten und Unrechttun ihren Job ausmachen, soll mensch die Polizei überhaupt kontrollieren?
Richtig, das geht gar nicht, und eben dies ist die Grundlage für unseren Trick 17. Wir fordern etwas, was gar nicht möglich ist, denn diese Erkenntnis lenkt unser Augenmerk auf die Perspektive, auf die es ankommt:
"Für eine demokratisierte Polizei eintreten, die die Menschenrechte respektiert, setzt voraus zu erkennen, daß es letztendlich eine demokratische und gewaltfreie Polizei nicht geben kann. Die Polizei als Polizei muß, weil sie das Organ des Gewaltmonopols des Staates ist, immer eine gewaltstiftende und undemokratische Grundposition haben." (190)
Die Abschaffung der Polizei setzt aber die Aufhebung ihres Grundes voraus:
"Eine polizeilose Gesellschaft zu wollen bedeutet, das Gewaltmonopol des Staates zur Disposition zu stellen." (191)
Will Ditfurth also doch noch den bürgerlichen Staat als die politische Gewalt des Kapitalismus abgeschafft haben? Weit gefehlt! Staat und Gewaltmonopol sind für sie nämlich zweierlei: Als Organ des Gewaltmonopols ist für sie ja die Polizei undemokratischer Staat i m Staat. Letzterer, also der 'eigentliche' Staat, soll sich daher dieses Fremdkörpers entledigen. Ihr Wunsch ist der Aberwitz eines Staates ohne Gewaltmonopol!
*
Das ist die Krönung ihrer 'Analysen', die so recht zu den anderen Wahngebilden ihres Harmonieidealismus paßt: Die Gemeinheiten, die die kapitalistische Ökonomie und der bürgerliche Staat den Leuten antun, sind Jutta Ditfurths Ausgangspunkt. Doch so, wie sie diese Wirkungen als systembedingt = notwendig faßt, werden aus den realen Notwendigkeiten von Staat und Kapital eigentliche Unnötigkeiten, unnötig von ihrem BRD-Ideal aus gesehen, für dessen noch ausstehende ökologischhumane Entfaltung sie lauter dem Staat äußerliche Gründe verantwortlich macht: Irrtümer, unsere 'unselige' Geschichte und v.a. inhumane egoistische Interessen privilegierter Menschen. Aber auch diese erfundenen Letztursachen der Übel sind als solche ohne innere Notwendigkeit konstruiert; ihre Mythologie ist 'optimistisch': Von der Geschichte und von Irrtümern kann mensch Abstand nehmen. Damit das auch bei den Interessen klappt, verdoppelt Ditfurth deren Träger in diese selbst und in die Abstraktion Mensch, deren fundamentalen Notwendigkeiten die Interessen unterzuordnen seien. Daß die Abstraktion Mensch real gar nicht existiert, ist ihr kein Einwand, sondern Ansporn: Den Menschen im Kapitalisten, im Juristen usw. spricht sie an, und mit jenem sieht sie sich einig, wenn sie gegen seine 'uneigentliche' ökonomische oder politische 'Hülle' losschwadroniert!
Diese ideelle Vereinahmung von allem und jedem, was in dieser BRD kreucht und fleucht, vom General bis hin zum Tierbefreier, ist Opportunismus im Quadrat, ist Opposition, die sich selbst aufhebt: Denn der im Bild der Ökologie und Humanität sich manifestierende Versuch, das oppositionelle Anliegen in den Rang einer Unwidersprechlichkeit zu heben, zu dem von seiten der Ökonomie und des Staates gar kein Widerspruch mehr denkbar sein können soll, ist moralische Selbstbefriedigung, weil er eben auch keinen einzigen realen Gegensatz ankratzt der das Wohlergehen der Leute verunmöglicht.
Auch die Autorin merkt, daß sich im Grundsätzlichen nichts schiebt, erklärt sich dies aber mit der Zählebigkeit der schlechten Interessen. Denn wo jedem Akt kapitalistischer Ausbeutung und jeder Staatsmaßnahme ihre immanente Rationalität durch die Konfrontation mit 'Menschheitsanliegen' bestritten ist, da müssen "lineares Denken" (21), "fehlender Wille" (26) (Hvhg. MSZ) und ähnlicher Käse daran schuld sein, daß die bessere Alternative, obwohl doch möglich, nicht zum Zuge kommt. So unverzichtbar es ihr daher erscheint, Managern, Richtern und Politikern ins ökodemokratische Gewissen zu reden, so wenig will sie sich angesichts der in diesen Kreisen verbreiteten Untugenden allein auf den Erfolg dieser Bemühungen verlassen. Der im Prinzip tugendhafte, aber leider noch viel zu verzagte Bevölkerungsteil der betroffenen kleinen Leute muß aufgemuntert werden, damit er obigen Herrschaften auf die Sprünge hilft. Auf dem Programm steht also das Wahrmachen der Demokratie.
Radikalökologische Politik
"... ist radikale Politik, d.h. eine Politik, die an die Wurzeln der Gesellschaft geht, die - ausgehend von den sozialen, ökologischen und humanen Interessen - die Profitlogik dieses kapitalistischen Wirtschaftssystems in Frage stellt. Radialökologische Politik vermittelt radikale Formen mit konkreter Utopie, d.h. wir setzen uns für konkrete Verbesserungen der Lebenssituation der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt ein, die jedoch mit einer Gesamtperspektive vermittelt sein müssen. Beides, konkrete Veränderungen und konkrete Utopie, geht nicht ohne einander. Das erstere erstickt für sich allein im perspektivlosen Gebastel, das zweite läuft für sich allein Gefahr, nicht an die Interessen der Menschen, nicht an ihr reales Bewußtsein anzuknüpfen und damit auf die Basis für gesellschaftliche Veränderungen zu verzichten." (216)
Die Gesamtperspektive besteht in der
"Umorientierung der gegenwärtigen Politik" (274),
also darin, daß sich der Staat einerseits von den für undemokratisch bzw. überflüssig erklärten Abteilungen trennt und andererseits seine potentiell wohltätigen Institutionen bestimmungsgemäß betrieben werden. Der Witz des radikalökologischen Programms liegt aber in der geforderten ideellen Wechselbeziehung: Was wäre eine konkrete Verbesserung, z.B. der Bau eines sicheren Straßenüberweges für Kinder, ohne ihr Bezogensein auf die Gesamtperspektive: Sie wäre perspektivlos, eben nur das, was sie ist. Sie soll aber mehr sein, mehr als sie ist: Beweis für die Möglichkeit (im obigen Sinne) grundlegender Veränderungen. Das komplementäre Verhältnis -
"... wird eine gesellschaftliche Perspektive erst dadurch politisch, daß sie mit 'kleinen konkreten Schritten' begonnen werden kann" (151) -
betont das obige Beweisziel nur anders: Die bestehenden Verhältnisse erlauben ihre Veränderung. Wenn aber die Tauglichkeit einer "konkreten Verbesserung", die Möglichkeit grundsätzlicher Veränderungen zu beweisen, davon abhängt, daß sie als "konkrete Utopie" verstanden wird, dann wird radikalökologische Politik zum Kampf um die symbolische Denkweise der Bürger: Die "konkrete Verbesserung" 'beweist' die grundsätzliche Veränderbarkeit nur dann, wenn mensch sie interpretiert als "kleinen Schritt" auf dem Weg zur "Utopie"!
Im Parlament
Das beschert der Radikalökologie ganz seltsame Probleme: Sind Grüne mit ihren Vorschlägen in irgendeinem Stadtparlament relativ erfolgreich, so interessiert sich niemand mehr für das Beweisanliegen der "konkreten Verbesserung", nämlich daß sie dafür da ist, "grundlegende gesellschaftliche Veränderungen vorzubereiten" (145)
"Nichts schlimmer, als wenn 'unsere' Wähler alle sagen, Mensch, was sind die GRÜNEN fleißig, die machen das schon für uns, wir brauchen nur noch zu wählen." (274)
Das würde ja das Parlament als eine Institution unterstellen, in der die "sozialen, ökologischen und humanen Interessen" der Bürger schon das maßgebliche politische Entscheidungskriterium wären. Ignoriert nämlich der grüne Wähler dieses perspektivische 'Mehr' als den die betreffende Parlamentsentscheidung inspirierenden und von ihr zugleich differierenden Maßstab, wird es ihm schlechterdings unmöglich, an der Institution Parlament, die den wunderbaren grünen Konzepten zu praktischer Gültigkeit verhilft, noch einen Mangel zu entdecken:
"Es ist uns von Anfang an bewußt gewesen, daß wir gerade als GRÜNE ParlamentarierInnen Illusionen im Parlament geradezu schüren - je besser wir arbeiten, desto mehr." (146)
Es ist daher nötig, darüber aufzuklären, wie sehr diese Einrichtung, und nicht nur sie, im argen liegt:
"Wir müssen die Funktionsweise und die Entscheidungsstrukturen im Parlament und zwischen Parlament, Verwaltung und Industrie transparent machen." (274)
Da wäre grundsätzlich erst einmal mit der Lüge aufzuräumen,
"daß die zentralen gesellschaftlichen Entscheidungen in den Parlamenten stattfinden und nicht etwa, durch Kapitalprozese bestimmt, in den Chefetagen von Konzernen und Militär getroffen werden" (230).
Im Parlament, das letzteren Subjekten zu dienen hat,
"wird von den Abgeordneten die Verpflichtung auf das bürgerliche Gemeinwohl, den Interessenausgleich zueinander in Widerspruch stehender Interessen, verlangt. Obgleich kein Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit möglich ist, werden mittels dieses Ausgleichsmechanismus Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen miteinander 'in Einklang' zu bringen versucht, berechtigte Interessen verwässert - seien es ökologische oder soziale. Dieser Interessenausgleich, ideologische Grundlage der Volksparteien, schlägt im Kapitalismus immer zuungunsten sozial schwacher Gruppen und der Umwelt aus." (265 f.)
Die Verwirklichung ihres Demokratieidealismus eines 'wirklichen' Interessenausgleichs zugunsten "sozial schwacher Gruppen", notfalls auch gegen Kapitalinteressen - als ob nicht schon überhaupt die vom Kapital produzierte Existenz "sozial schwacher Gruppen" deren unausgleichbaren Gegensatz zum Kapital ausmachte! - sieht Ditfurth gerade durch den gegenteiligen Zustand verhindert. Wenn es daher so ist,
"daß wir in den Parlamenten keine grundsätzlichen Veränderungen durchsetzen können" (145),
dann leidet aber der gewollte Symbolwert von im Parlament durchgesetzten "konkreten Veränderungen" ganz beträchtlich. Es stellt sich dann überhaupt die Frage, wozu man in einen solchen Saftladen Leute reinwählen soll. Doch so war die düstere Diagnose natürlich nicht gemeint; die beklagten Mißstände müssen durch eine Demokratisierung des politischen Willensbildungsprozesses beseitigt werden. Die Lösung bietet die direkte Demokratie:
Wir zweifeln an der Funktionsweise dieser repräsentativen Demokratie, in der die Bürger nur alle 4 Jahre eine Stimmkarte ausfüllen dürfen. Es fehlt die basisdemokratische Anbindung der Parlamentarier. Die einzige Kontrolle ist bei den undemokratisch strukturierten etablierten Parteien, nicht beim Wähler. Wir müssen über Möglichkeiten direkter Demokratie diskutieren." (171)
Diese besteht darin,
"staatliche (Entscheidungs)Gewalt zu dezentralisieren, an die Menschen zurückzugeben" (210).
Damit ist zweierlei auf den Kopf gestellt: Weil der bürgerliche Staat in der Durchsetzung der kapitalistischen Notwendigkeiten seinen Bürgern einiges zumutet, er darin Herrschaft ausübt, daß er in der Festlegung des 'Gemeinwohls' die Erfordernisse des Wirtschaftswachstums den Trägern recht konträrer Interessen als verbindliche Richtschnur ihres Handelns vorgibt, läßt er sich zu dieser notwendigen Freiheit der Politik von den Ansprüchen der Bürger von diesen in Wahlen periodisch ermächtigen. Weil die Kapitalakkumulation für einen Radikalökologen gar nicht das Zwangsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft, sondern bloß ein zu Unrecht überprivilegiertes Interesse darstellt, leugnet er die notwendige Trennung des Staates von der bürgerlichen Gesellschaft und stellt die Fiktion auf, wenn die Leute die Politik selbst betrieben, verlöre diese ihren 'inhumanen' Charakter. Das ist die eine Seite.
Den Radikalökologen quält aber eine andere: Weil die "Profitinteressen", die sich die staatlichen Institutionen unterjocht haben, Mensch und Natur kaputt machen, bedarf es einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft, zu der es auch gehört, daß das Parlament zu dem wird, was es sein soll:
"Raum freier Debatten,... Ort demokratischer Entscheidungsfindung" (142).
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen "konkrete Verbesserungen" erkämpft werden, die auf die Erreichbarkeit des Ziels verweisen. Wie jedoch gesehen, verhindert die gegenwärtige Struktur der Volksvertretung dieses Unterfangen. Deshalb muß das Parlament demokratisiert werden, d.h., um die Bedingungen der Möglichkeit einer grundlegenden Veränderung zu gewährleisten, müssen Teile derselben, wenn nicht sie sogar zur Gänze vorweggenommen werden:
"Ökologie ist die materielle Grundlage für gesellschaftliche Veränderungen. Wer nicht atmen kann, hat keine Luft für den langen Atem für den politischen Kampf für Frieden, gegen Kapitalismus, gegen den Faschismus, für demokratische und soziale Menschenrechte und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung." (52)
Um aber der Ökologie zu ihrem Recht zu verhelfen und um das Parlament zu demokratisieren, müßten in diesem schon Verhältnisse bestehen, die diese Vorhaben erlaubten, was aber nicht so ist etc. pp.
Außerhalb des Parlaments
Die radikale Jutta weiß aber auch, wie diesem Karussel zu entrinnen ist: Es gilt,
"den gesellschaftlichen Druck von außen zu organisieren, der dann wiederum in den Parlamenten zu vorwärtstreibenden Reformen führen kann" (274).
Mit dieser Zielrichtung des "gesellschaftlichen Drucks" läßt sie freilich keine Zweifel darüber aufkommen, wer für die Inkraftsetzung der notwendigen Veränderungen zuständig ist:
"Laßt uns... gesellschaftliche Power organisieren mit dem Ziel, den Bundestag unter massiven Druck zu setzen. Der beschließt die Gesetze, der ändert und streicht sie." (318 f.)
Gerade Jutta Ditfurth sind die Opfer, die der Staat seinen Bürgern auferlegt, nachdem er sie zuvor durch seine Institution des Parlaments hat ahsegnen und in Kraft setzen lassen, faktisch wohlbekannt. Der Rückschluß, daß es sich beim Bundestag um eine Herrschaftsinstitution handelt, ist jedoch mit ihrem negativ-moralischen Denkschematismus unvereinbar. Für sie ist das Parlament die staatliche Einrichtung, die dazu berufen ist, 'Verantwortung' für uns alle auszuüben; Herrschaftsakte der härteren Sorte übersetzt sie sofort in den Befund, hier sei der Bundestag seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, und 'folgert' daraus messerscharf, daß es ihre Aufgabe sei, diese Diskrepanz zu beheben. Deswegen bleibt das Parlament trotz der dort waltenden 'strukturellen Hindernisse' für "grundsätzliche Veränderungen" der Lieblingsarbeitsplatz des Radiakalökologen. Wegen den unauflöslich scheinenden Hindernissen dünkt es ihn jedoch unabdingbar, als flankierende Maßnahme ins Volk zu gehen, um dort "soziale Bewegungen" (145), deren Funktion es sein soll, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben, entweder ins Leben zu rufen oder ihnen die richtige Perspektive zu geben.
Dazu, wie solche Aktionen aussehen, ein Beispiel: 1984 entdecken die grünen Frankfurter Stadtparlamentarier, daß in öffentlichen Bauwerken, z.B. Brücken, Sprengkammern angebracht sind, deren Zweck es ist, im Kriegsfall die Bürger am Verlassen der Stadt zu hindern, damit diese den aufmarschierenden Divisionen nicht in die Quere kommen. An der Brücke haben die Grünen die Kammern zugemauert:
"Die einzige Wahl, die wir haben, ist, so viele Menschen wie irgend möglich über die Wirklichkeit dieses möglichen Grauens zu informieren und zu erreichen, daß sich Menschen für die Interessen der Herrschenden nicht wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen. ... Nur durch unsere Aktion der Zumauerung der sieben Sprengkammern in der Frankfurter Friedensbrücke am 16. September 1984 konnten wir z.B. die Bevölkerung in einem ersten Schritt darüber informieren, welche Rolle ihnen im tödlichen Spiel der Großen zugedacht wird. Wir beschlossen im Sommer, die Beschädigung der Friedensbrücke wieder rückgängig zu machen und die geplante Sprengung symbolisch durch eine reale Zumauerung zu blockieren." (45)
Es ist nicht verwunderlich, daß die radikalen Abgeordneten nicht auf die Idee gekommen sind, die Leute über die Kriegsträchtigkeit der Zwecke der bürgerlichen Staaten aufzuklären und ihnen zu sagen, warum die Erhaltung von Hof und Herd nie und nimmer der Zweck eines Krieges ist. Damit hätten sie das "reale Bewußtsein" ja kritisiert und nicht an es "angeknüpft"! Worauf dieses Anknüpfen sich bezieht, teilt Jutta Ditfurth uns mit:
"Betroffene Reaktionen von Bürgerinnen und Bürgern sind es, die uns das Gefühl geben, in einem Land zu leben, in dem trotz der eingeschränkten Souveränität und trotz der Sonderrechte der Besatzer, die in fast alle wesentlichen Bereiche unserer Demokratie eingreifen können, Menschen da sind, die die Wirklichkeit nicht mehr verdrängen wollen." (46)
Daß Kriege eine ziemlich lebensgefährliche Angelegenheit sind, dürfte der Frankfurter Bevölkerung auch schon vor dieser Aktion bekannt gewesen sein. Auf Ungläubigkeit sind die offiziellen Feindbilder, mit denen die Notwendigkeit der Verteidigung unserer Freiheit begründet werden, deswegen noch lange nicht gestoßen. Jutta hingegen stellt sich den Bürger als einen vor, dem fürs Opponieren gar keine Argumente genannt werden müssen, oder anders: Das Deuten, das Vorhalten einer Lupe vor den Skandal, ist schon ihr halbes Argument! Der Irrglaube, der Bürger würde schon mordsmäßig rebellieren, wenn er nur wüßte, ob's denn geht, ist der Grund für die symbolische Aktion, die - statt Opposition zu begründen - deren Möglichkeit belegen soll. Es ist notwendig so, daß auf diese Weise hervorgerufene Aufregung unter den Bürgern bald nach ihrem Entstehen wieder verebbt: Denn die Meinungskundgabe "So etwas darf nicht sein!" reflektiert ja gerade auf ihre allgemeine Akzeptierbarkeit, statt sich zu den Kalkulationen der Machthaber in begründeten Gegensatz zu setzen: Radikaldemokratie ist eben keine Aufkündigung des staatlichen Herrschaftsverhältnisses von unten, sondern der illusionäre Glaube an dessen 'humane' Modifizierbarkeit: eben weil die hoheitliche Verfügung über Leib und Leben des Bürgers als verfehlte staatliche Bürgerfürsorge aufgefaßt wird! Der Geschädigte soll nicht gegen die Instanz angehen, die ihn durch ihre Regelungen betroffen macht, sondern als Betroffener, d.h. als Objekt, Untertan staatlicher Herrschaft, deren Inhaber ausgerechnet dadurch unter Druck setien können, daß er ihnen mit aufrechter Gesinnung gegenübertritt, d.h. ihnen die grünen Kopien ihrer Harmonieideologien massiv unter die Nase hält (= "gesellschaftliche Power")!
Ohne begriffen zu haben, warum das gar nicht anders sein kann, ist es vielen Grünen dennoch nicht entgangen, daß auch von der "gesellschaftlichen Gegenmacht" (15) nicht der nötige Druck aufs System ausgeht; sie haben daher beschlossen, sich auf das 'Machbare' zu beschränken, d.h. ohne die penetrante Betonung der Perspektivität der "konkreten Veränderung" dasselbe zu machen wie ihre radikalökologischen Parteifreunde. Aus dem Glauben an die guten Potenzen des Staates, den Jutta Ditfurth mit ihnen gemeinsam hat, haben sie den Schluß gezogen, daß es nur darauf ankommt, daß sie als Grüne sie nutzen können. Ditfurth hingegen will ihren Glauben an die humanökologische Benutzbarkeit der Nutiung nicht opfern:
"Dieses Land braucht keine Reformpartei, deren Grenzen durch einen in der Sackgasse der Integration endenden Reformismus abgesteckt werden, sondern eine Partei, die aus ihrer (Gesellschafts)Utopie die Kraft zu einer radikalen Reformpolitik schöpft."
Eine Radikalisierung der staatlichen Reformideologie: Jutta Ditfurths Konzept der nichtreformistischen Reform
Der Motor des Ditfurthschen Politiktreibens ist ihre Unzufriedenheit mit dem, was unter dem Etikett 'Reformpolitik' praktiziert wird: Da entdeckt sie nur lauter Halbheiten, lauter unernsthafte, weil sich nur am Bestehenden orientierende Reformbestrebungen. Damit freilich ist sie der staatlichen Reformideologie schon im Ausgangspunkt auf den Leim gegangen.
Ideal und "Sachzwang"
Sei es nun etwa die Reform des Gesundheitswesens oder die Steuerreform: Die Politik präsentiert ihre Maßnahmen nicht als bloße Durchsetzung staatlicher Notwendigkeiten - was sie sind! -, sondern pflegt den Schein, als ginge es bei ihrem Geschäft darum, die Verhältnisse überhaupt zu verbessern, 'dem Menschen' gemäßer zu machen. So betrachtet, geht es dem Staat nicht einfach um eine für ihn sehr zweckmäßige Verteilung der Kosten fürs Kranksein, sondern um die Rettung der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens, allen 'wirklich' Bedürftigen zu helfen. Da geht es nicht um eine konjunkturgerechte Neusortierung und Erweiterung der staatlichen Finanzquellen, sondern um mehr Gerechtigkeit für alle. Dieser Adelung staatlicher Maßnahmen tut es durchaus keinen Abbruch, wenn über ihren Inhalt wenig Freude aufkommt, im Gegenteil: Gerade deswegen soll man das jeweilige Gesetz so sehen, nämlich als das 'Machbare', also als optimalen Kompromiß zwischen dem angeblichen Ziel, dem Ideal, und den obwaltenden Sachzwängen. Als das Machbare definiert, wird noch das ungemütlichste Gesetz zum Beleg für die Lüge, daß es der Politik eigentlich um mehr ginge, als was sie praktiziert, nämlich um solche obersten Menschheitsanliegen wie z.B. Gerechtigkeit, die zwar für niemanden einen materiellen Vorteil versprechen, jedermann aber die Täuschung nahelegen, sich einen solchen einzubilden.
Reformismus = radikal
Jutta Ditfurths Radikalität besteht nun nicht darin, daß sie die Versatzstücke der staatlichen Reformideologie nicht teilen würde, sondern darin, daß sie die Funktion des Verhältnisses von politischem Idealismus zum tatsächlichen Gang der Politik auf den Kopf stellt: Während nämlich der Staat seine Maßnahmen als den jeweils machbaren Kompromiß zwischen Ideal und Sachzwängen präsentiert, ist für die Grünradikale der gedachte Bezug der Maßnahme auf das Ideal Beweis für dessen Machbarkeit! Statt daß also das Ideal dazu in Anspruch genommen würde, die staatliche Tat als unter den gegebenen Umständen möglichen Schritt zu ihm hin zu glorifizieren, erhalten bei Ditfurth jedes Gesetz, jeder Verwaltungsakt usw. auf Basis des prinzipiellen Bonus, bei ihnen ginge es eigentlich um die Verwirklichung humaner Ideale, zugleich grundsätzlich einen Malus, weil sich ihre Realität vor dem Ideal immer blamiert.
Dieses Mißverhältnis - eine ideologische Seifenblase! - ist für frau Ditfurth die Lage, die überhaupt den Gegenstand ihres Veränderungsprogramms ausmacht: Sie fordert, das Ideal dürfe beim Verwirklichen nicht immer vor die Hunde gehen. Sie zeiht Staatsmaßnahmen der Inkonsequenz; bedingt durch falsche Rücksichtnahmen werde der Zukunftsentwurf, der Politik zu sein habe, verraten. Die auf die Darstellungsbedürfnisse staatlicher Politik zugeschnittene (Ideo)Logik der Kategorie des Machbaren weist sie von sich und begibt sich damit in den törichten Widerspruch, Reformen zu postulieren, die sich nicht nur an dem, was geht, orientieren, sondern mehr sind! Dies wirft die rasend interessante Frage auf, wie radikal Reformen gesehen und angegangen werden müssen. Antwort: Sehr radikal! Mit all diesen Frage- und Problemstellungen bewegt sich Ditfurth auf der Ebene ideologischer Interpretationen der Politik, und damit ist klar, daß sie nicht im Bemühen, die bestehenden Verhältnisse praktisch zu verändern, erfolglos geblieben ist, sondern sich der Kultivierung eines Spleens verschrieben hat, die den Gang der Politik per se nicht antastet. - Ihre Radikalität besteht daher auch nicht darin, daß ihre Reformideen inhaltlich über die von ihr kritisierten hinausgingen (da tut's manchmal schon die Sicherung eines U-Bahnsteiges), sondern im Anlegen eines absoluten Reformmaßstabes - Harmonie der Menschen untereinander sowie zwischen Mensch und Natur - negativ vorgestellt als Totalzerstörung der Welt, die das gemeinsame richtige Handeln aller erfordert: Wenn jetzt die nötigen Veränderungen unterlassen werden, geht alles baden!
So erklärt sich auch ihre spezielle Radikalität im Verhältnis zu den Realos: Alle Anliegen grüner Politik teilt sie und versieht alle Resultate derselben mit dem Stempel: Das darf doch nicht alles sein! Radikal sein heißt, eine andere Sichtweise zu fordern, nämlich das jeweils Erreichte als einen ersten Schritt zu interpretieren. Dementsprechend löst sich auch Ditfurths Warnung vor der SPD - Gefahr für die Grünen - auf:
"Die hervorragende Qualität der Sozialdemokratie ist es... stets gewesen, in regelmäßigen historischen Rhythmen starken sozialen Bewegungen das Rückgrat zu brechen - in Hessen und an manch anderem Ort knirscht es schon." (266)
Das Bedeutet ganz banal: Die SPD will uns das grüne Mehr kaputtmachen, und die Realos machen auch noch dabei mit! Welche Inhalte "reformistischer" grüner Reformpolitik von ihr beanstandet werden, ist insofern zufällig, als es um diese gar nicht geht. So ist sie zwar nicht darum verlegen, ihre Kritik am grünen hessischen Gift- und Atomminister Fischer a n Inhalten zu illustrieren; auf ihn eingeschossen aber hat sie sich, weil er als Minister praktisch - entgegen den ökologischen Idealen seiner Partei - dieselbe Politik betrieben hat wie sein SPD-Vorgänger, weil er also das grüne Mehr aufgegeben habe:
"Es geht an allererster Stelle nicht um die persönlichen Schwächen oder Probleme eines GRÜNEN-Umweltministers, es geht um Strukturprobleme (!), die unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen für DIE GRÜNEN entstehen und die statt i n ökologischer Reformpolitik i n orientierungslosem Reformismus enden. " (247/Hvhg. MSZ)
Das Ideal der nichtreformistischen Reformpolitik
leugnet die Tatsache, daß die Teilnahme an staatlicher Machtausübung die Unterwerfung unter deren Rationalität bedingt, daß also politischer Idealismus nur soweit zum Tragen kommt, als er für den Staat benutzbar ist: Weil die Denktechnik, alle Gemeinheiten des Kapitalismus in Aufträge zu übersetzen, deren an sich gutem Kern zum Durchbruch zu verhelfen sei, durch Tatsachen nicht zu erschüttern ist, betrachtet Jutta 'Widerstand' - so heißt der unermüdliche Vollzug des Idealismus, die Inhaber der Institutionen auf das Mehr zu stoßen - daher nicht zu Unrecht als Lebensaufgabe. Da muß solcher Widerstand zur persönlichen Haltung werden:
"... eine lebendige, rebellische Widerstandskultur ist eine lebensnotwendige Voraussetzung, die Auseinandersetzung in der Bundesrepublik auf Dauer im aufrechten Gang und mit langem Atem durchzuhalten." (13)
Na dann weiterhin viel Spaß!