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Internationale Heimatkunde: Schweden
WOHLFAHRTSSTAAT UND WELTGEWISSEN
Mit drei Dingen macht Schweden besonderen Staat auf der Welt: mit Wohlfahrt, Steuermoral und offensiver Neutralität. Das Pro und Contra, unter dem dieses nördliche Staatswesen in demokratischer Öffentlichkeit einerseits als Wohlfahrtsparadies, andererseits als Obrigkeitsstaat und Steuerhölle mit den jeweiligen Idealen von bürgernaher Herrschaft verglichen zu werden pflegt, ist so langweilig wie der demokratische Unterschied von 'sozial' und 'liberal' und so tiefschürfend wie das Verhältnis von Staatsausgaben und Staatseinnahmen.
Denn darauf reduziert sich der ganze Vergleich: Der schwedische Staat läßt sich die Tauglichkeit seines Bürgermaterials einiges (über den intemationalen Standard hinaus) kosten, weil er mit dessen umstandsloser Einsatzbereitschaft Staat und Geschäfte macht. Also bittet er dieselben Bürger (wen auch sonst?) entsprechend kräftig zur Kasse. Nicht zuletzt für eine wehrhafte Neutralität über die soviel feststeht, daß Schweden ökonomisch und politisch zum Westen gehört und militärisch gegen den Osten gewappnet ist.
Vom Armenhaus zum Volksheim
Noch zu Beginn des Jahrhunderts galt Schweden als ein "Armenhaus Europas", das reichlich mit Wald, Wasser, Steinen und spätwinterlichen Hungersnöten gesegnet war. Wald, Wasser und Steine bildeten dabei die Geschäftsgrundlage für ein paar Sägewerke und Erzgruben, die hauptsächlich für auswärtigen Bedarf produzierten. Auch die bescheidene Industrialisierung in den "Gründerjahren" nach 1870 war auf den "veredelten" Abtransport dieser stofflichen Reichtümer auf den Weltmarkt ausgerichtet, insbesondere ins mächtig gewordene Deutsche Reich. Mit deutschem und französischem Kapital und mit ein paar zündenden einheimischen Entwicklungen in Sachen Streichhölzer, Dynamit, Edelstahl und Papier wurden die alten "Werksorte" (brukssamhällen) der Großmachtzeit auf Vordermann gebracht. Mit der patriarchalisch bornierten Gemütlichkeit der gutswirtschaftlich betriebenen Gruben, Hütten und Mühlen war es schnell vorbei. Die angestammten Kontraktarbeiter, die vielfach durch ewige Schulden im Werksladen an das "bruk" gebunden waren, aber in der Regel im "bruk" ihr sicheres Auskommen (einschließlich Gnadenbrot) gehabt hatten, wurden in die Unwägbarkeiten der Konkurrenz mit landlosen Tagelöhnern gezwungen.
Dieses Landproletariat war wiederum das Produkt umfangreicher "Flurbereinigungen" in den vorausgegangenen Jahrzehnten. Für sein Elend zeichneten nach offizieller Geschichtsschreibung natürlich nicht die Vertreibungen und Wechselfälle gutsherrlicher Kalkulation verantwortlich, sondern der Zeitgeist und die bekannte sexuelle Zügellosigkeit der Schweden:
"Die altschwedischen Bauerngemeinschaften, deren kollektive Arbeitsformen der Zeit nicht mehr entsprachen, wurden aufgelöst und durch individuell arbeitende Bauernhöfe ersetzt. Neues Land wurde urbar gemacht, die Anbaumethoden wurden verbessert. Die Bevölkerung wuchs jedoch schneller als die neuen Anbauflächen, so daß bald ein Proletariat entstand, dessen Probleme kaum lösbar waren." (Ingvar Anderson: Schwedische Geschichte, Stockholm 1966)
Der übliche Weg der Landlosen in die Wälder, wo sie sich zum Nutzen und Frommen der Krone ein wenig mageres Ackerland roden und erhungern durften, war nämlich angesichts der Wertschätzung versperrt, die der Wald in der Hand großer Kapitalgesellschaften nun genoß Die "Probleme" mit der landlosen Überbevölkerung wurden allerdings ganz einfach gelöst:
durch ihre produktive Verwendung in den neuen Industrien,
durch Auswanderung.
Neben Getreide und Holz, das dank der verbesserten "individuellen" Anbaumethoden reichlich exportiert werden konnte, wurde überschüssiges Volk ausgeführt. Häufige und andauernde Absatzkrisen in der Holz- und Papierindustrie und Lebensmittelteuerungen nach Mißernten taten ein übriges dafür, daß schließlich zwischen 1860 und 1910 ein Viertel der schwedischen Bevölkerung auswanderte - meist als zahlender Ballast über den großen Teich.
Dennoch unterschied sich Schweden gewaltig von anderen Emigrantenlieferanten und "Armenhäusern Europas", wie etwa Irland oder Galizien. Es war keine armselige Randprovinz einer Großmacht, sondern selbst ein Staat, der sich in puncto Ostseeherrschaft zwar nicht mehr mit Rußland oder Deutschland messen konnte, wohl aber die Nr. 1 im Norden zu spielen gedachte und daraufhin sorgfältig die ökonomischen Grundlagen seiner Souveränität begutachtete. So wurde z.B. das ausländische Kapital zur Industrialisierung vomehmlich in der hoheitlichen Form von Staatsanleihen ins Land geschleust. So wurden z.B. englische Konsortien, die im Eisenbahnbau und in der Erschließung der nordschwedischen Eisenerzgebiete eine große Rolle spielten, um die Jahrhundertwende kurzerhand zum Verkauf gedrängt und die Gruben und Bahnlinien verstaatlicht, als sich abzeichnete, daß das nordschwedische Eisenerz zugleich einen Exportschlager ersten Ranges und Grundstoff für eine nationale Kapitalakkumulation bilden konnte und deshalb nicht den partikularcn Interessen fremdländischer Geldsäcke anheimfallen durfte.
Der allgemeine Witz der relativ späten, aber schnellen Verwandlung Schwedens vom "Agrar-" zum "Industriestaat" lag überhaupt darin, daß die stoffliche Grundlage der über den Weltmarkt bewerkstelligten Kapitalisierung zugleich die stoffliche Grundlage einer nationalen industriellen Akkumulation bildete. Auf der Basis von Holz, Stahl und Wasser (als Transportweg und Stromlieferant) sowie mit Hilfe der Exportrevenue, eines stark zentralisierten Bankkapitals und einiger bahnbrechender Entwicklungen expandierten die Industriezweige Chemie, Stahl, Maschinenbau und Elektrotechnik: Separatoren, Turbinen, Akkumulatoren, Transformatoren, Kompressoren, Telefonsysteme und Kugellager hießen die neuen Exportschlager, mit denen schwedische Firmen wie Alfa-Laval, ASEA, Atlas Copco, LM Ericsson oder SKF dauerhaft auf dem Weltmarkt reüssieren sollten. Nebenher zählte das neutrale Schweden im Ersten Weltkrieg zu den Siegermächten - ganz unblutig natürlich:
"Der Exportüberschuß während des ganzen Krieges war enorm und erleichterte die Rückzahlung der Vorkriegsanleihen aus dem Ausland. Diese wurden mit Inflationsgeld getilgt, und Schweden ging mit einer bedeutend gestärkten Stellung auf den Finanzmärkten aus dem Krieg hervor." (L. Jörberg in B. Södersten: Svensk ekonomi, Lund 1979, S. 44)
Die Kosten der neutralen Geschäftstüchtigkeit von damals bilden dagegen nur noch den Auftakt zum Lobgesang auf den Wohlfahrtsstaat von heute:
"Daß es noch zum Ende des 1. Weltkrieges Hungerrevolten im Lande gegeben hat, ...(gehört) vielleicht noch (zu den) herausragenderen Daten... Viel erschreckender sind die allgemeinen Lebensumstände im Lande, die um so ärmlicher ausfallen, desto niederer die Schichten (sic!) und desto weiter im Norden sie leben. Das soziale und regionale Gefälle ist begleitet von hoher/früher Mortalität und Morbidität und einer inhumanen Arbeitswelt, wenn es denn überhaupt Arbeit gab." (B. Hennigsen: Wohlfahrtsstaat Schweden,
Baden-Baden 1986, S. 94)
Für die leeren Bäuche gab es aus "sozialpazifistischen Erwägungen" der Liberalen 1919 allgemeines Wahlrecht und ab 1920 dann mehrfach sozialdemokratische Regierungen. Die schwedische Partei der Arbeit (SAP) hatte ihren Revisionismus treu nach deutschem Vorbild entwickelt. Einmal an der Macht, betrieb sie in den 20er Jahren "realistische Tagespolitik im Kampf gegen die Inflation", förderte umfangreiche Rationalisierungen und Fusionen in der schwedischen Industrie und erzielte (zusammen mit den wechselnden bürgerlichen Regierungen) enorme Arbeitslosenquoten.
Obwohl als Stimmvieh meist brav sozialdemokratisch, war auf das Arbeitsvolk in jenen Jahren nicht so recht Verlaß. Die permanenten Lohnsenkungen und Entlassungen erzeugten ständig Unruhen und Rekordserien von Streiks, sobald es die Auftragslage nur irgend erlaubte. Der sozialdemokratische Gewerkschaftsbund LO sah sich hierzu oft widerstrebend getrieben durch Anarcho-Syndikalisten (die neben Spanien und den USA in Schweden ihre Hochburg hatten), durch obrigkeitsverachtende Freireligiöse und zunehmend durch kommunistische Opposition in den eigenen Reihen. Diese kontrollierte zeitweilig mehr als ein Fünftel aller Sektionen - insbesondere in den nordschwedischen Erzgebieten, in denen z.B. 1928 monatelange Streiks nur dank sowjetischer Hilfe durchgestanden werden konnten.
Im Jahre 1931 brach in der Weltwirtschaftskrise das weltweite Finanzimperium des schwedischen Zündholzmagnaten Ivar Kreuger zusammen. Damit waren nicht nur die in Kreuger-Aktien angelegten Ersparnisse des Kleinbürgertums entwertet, sondern auch große Teile des produktiven Kapitals, das sich an Kreugers schwindelnden Kreditgeschäften beteiligt hatte und nun unter den Fittichen zweier großer Gläubigerbanken neu formiert und rationalisiert wurde. Im gleichen Jahr schoß erstmals Militär auf streikende Arbeiter. Zu ihrem Glück waren die Sozialdemokraten gerade in der Opposition. Konsequent nutzten sie die Gelegenheit, sich im nächsten Wahlkampf unter der nationalsozialistisch anmutenden Parole vom "Volksheim" als Garanten von sozialem Frieden und nationaler Einheil herauszustreichen:
"In einem guten Heim sind Gleichheit, Rücksicht, Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft die Hauptregel. Wenn man dies alles auf das Heim einer Nation und eines Bürgers überträgt, dann bedeutet dies das Verschwinden der sozialen Barrieren, die heute die Bürger trennen." (Der spätere Premier Hansson, zitiert nach Hennigsen, a.a.O., S. 313 f.)
Diese Volksheimordnung beinhaltete mit ihren ideologischen Titeln schon das ganze Programm des Wohlfahrtsstaates in aller Allgemeinheit.
Hauptregel Nummer 1: Vor dem Anspruch der Heimleitung auf "Mitarbeit" am Reichtum der Nation sind alle Insassen gleich.
Hauptregel Nummer 2: Auf Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit und -willigkeit wird seitens der Heimleitung dermaffen Rücksicht genommen, daß alle Insassen für obigen Zweck brauchbar bleiben/werden. Im "Nachkriegsprogramm der schwedischen Arbeiterbewegung" fand diese "Regel" ein paar Jahre später den vollkommensten Ausdruck:
"Es ist das grundlegende Ziel unserer Wirtschaftspolitik, die ganze Bevölkerung in Arbeit zu bringen. Geldpolitik, Finanzpolitik, Preis- und Lohnpolitik, private und öffentliche Wirtschaft - jede Art von Politik und Aktivität soll darauf ausgerichtet sein, Arbeitskraft und Kapital voll zu nutzen." (zitiert nach R. Meidner und A. Hedborg: Modell Schweden, Frankfurt/New York 1984, S. 116)
Hauptregel Nummer 3: Alle Insassen sind zur Zusammenarbeit zum Wohle der Nation - tarifautonom, selbstverwaltungskollektiv, paritätisch oder wie auch immer - berechtigt.
Hauptregel Nummer 4: Machen sie von dieser Pflicht nicht ausreichend Gebrauch, lernen sie die Hilfsbereitschaft der Heimleitung gebührend kennen.
Die Sozis wurden 1932 zur neuen Heimleitung gewählt und machten in den folgenden 44 Jahren ununterbrochen Ernst mit dem Volksheim-Programm. Zunächst einmal dadurch, daß sie mitten im neutralen Frieden eine Kriegswirtschaft installierten: Der bis dahin geheiligte Friedensgrundsatz eines "ausgeglichenen Staatsetats" wurde außer Kraft gesetzt und eine Staatsverschuldung inszeniert, die den kreugergeschädigten Kreditüberbau und die neuformierte Industrie wieder in Schwung "zwang". Die "Bereitschaftsarbeiten" zur Erhaltung der Arbeitsbereitschaft von zeitweilig überflüssig gemachten Lohnabhängern wurden mittels dieser Staatsschulden kräftig ausgedehnt. Noch vor Hitlers Arbeitsdienst und Roosevelt's 'New Deal' hatte man in Schweden den "Wert der Arbeit für die Nation" entdeckt: eher ideell für die ganz demokratisch durch ihre leeren Geldbeutel zur Arbeit Verpflichteten; ganz materiell dagegen für Staat und beauftragte Unternehmer, die auf diese Weise eine Menge Arbeitskraft zu Schleuderpreisen im Bau von Staudämmen, Straßen, Miets- und Militärkasernen einsetzten.
Die weitere Behauptung der nationalen Arbeitsfront verlief dann im wesentlichen über ein ganz handfestes Argument: Ab 1934 wurden staatliche Zuschüsse an die gewerkschaftliche Arbeitslosenkassen gezahlt - aber nur an die "anerkannten A-Kassen" sozialfriedensdemokratischer. LO-Gewerkschaften (LO = Landesorganisationen). Durch deren Zahlungsfähigkeit bekamen diese einen Zulauf, der ausreichte, um LO durch ein "Generalabkommen" mit dem Arbeitgeberverband 1938 zum Verhandlungsmonopol auf Arbeiterseite zu machen und eine geradezu intime Sozialpartnerschaft von Dauer zu begründen. Das "A-Kassenargument" ist bis heute doppelt wirksam: mit einem Organisationsgrad von 95% in der Industrie ist dio LO zur Hauptverwaltung blaugelber Arbeitskraft avanciert, während die Sozialdemokratie durch den "Kollektivanschluß" von LO-Sektionen automatisch die proletarisch staatstragende Partei bildet.
Die "volksheimliche" Kriegswirtschaft zur inneren Befriedung ging im übrigen nahtlos in totale Kriegswirtschaft über - mit der Besonderheit, daß die Aufrüstung Deutschlands, Italiens, Englands usw. zu einem wahren Bombengeschäft für schwedisches Kapital wurde und dadurch die "faux frais" der enormen Hochrüstung sehr minderte, die der schwedische Staat betrieb, um umgekehrt seine Geschäftsgrundlage in den Kriegen anderer Staaten für sich zu erhalten. In militärischer Ausrüstung machte sich der ehemalige Wald-, Wasser- und Steine-Staat, der kaum über mehr Volk verfügte, als Groß-Berlin an Einwohnern zählte, binnen kurzem nahezu autark und...:
"Gerechnet nach Zeitpunkt und Umfang war Schweden für die Bewältigung der organisatorisch-administrativen Erfordernisse der Kriegsjahre früher und dann besser gerüstet als die Kriegsteilnehmer." (Hennigsen, a.a.O., S.163)
Die sozialen Wohltaten
Der schwedische Sozialstaat hat seinen Kern in der Arbeitsmarktpolitik. Und diese hat wiederum ihren Grund darin, daß "die Krone" nach dem Zweiten Weltkrieg große Mängel an ihrem Arbeitsvolk entdeckte: auf einmal war es zu weit weg, zu ländlich, zu schlecht ausgebildet und überhaupt zu wenig - im Verhältnis zu dem kapitalen Geschäft, das der "Wiederaufbau" Europas und die Öffnung der Welt für die Segnungen des Freihandels versprachen. Denn der amerikanische Beschluß, Europa als Front gegen die Sowjetunion herzurichten und dafür durch Dollarkreditierung instandzubesetzen, bedeutete für Schweden einerseits, daß die Grundstoffexporte (Holz, Stahl etc. ) nach kurzer Unterbrechung weitergehen konnten. Andererseits stand Schweden mit seiner intakt gebliebenen Industrie sofort im Produktivitätsvergleich mit den USA, weil das Geschäft auf dem amerikanischen Markt zunächst das einzig "reale", nicht auf Kredit gebaute war und es hier Maßstäbe für die rekonstruierten europäischen Konkurrenten zu setzen galt. Im Unterschied zu beispielsweise Großbritannien setzten in Schweden Staat, Kapital und Gewerkschaften in schöner Einigkeit auf rücksichtslose Modernisierung des Produktionsapparates. Die Landwirtschaft sowie Bergbau und Forstwirtschaft wurden rationalisiert. Die Industrie wurde in den "Ballungsräumen" des Südens - Stockholm, Göteborg und Malmö
- zentralisiert. Das Ganze wurde unter dem Titel "Sicherung der Vollbeschäftigung" von einem gigantischen Umsiedlungsprogramm der Arbeitsmarktbehörde begleitet und deren Kürzel AMS umstandslos in "Alle müssen südwärts!" übersetzt. Zur Verminderung von "Reibungsverlusten" wurden so soziale Wohltaten wie Umzugsgeld, Umschulungslohn und Wohngeld bei allzu hohen Stadtmieten eingeführt. Dazu jede Menge sozialer Wohnungsbau in tristen Trabantenstädten: in ihrer funktionalistischen Kastenbauweise lauter wahre "Volksheime" im kleinen, in denen sich der Stadtschwede sein Wohnrecht meist auch noch extra erkaufen darf, wofür er dann zumindest eine komplette Einheitsküche beanspruchen kann.
Rationalisierung und Mobilisierung der Mangelware Arbeitskraft führen auch in Schweden dazu, daß im "Strukturwandel" permanent Proleten überflüssig gemacht werden. Der vorbildliche Sozialstaat nimmt sich dieser Herausforderung auf seine Weise an. Dem Volksheim kommt es sehr darauf an, arbeitsfähige Blaugelbmänner auch einzusetzen - und das erfordert mehr als eine offizielle Zurichtung der Arbeitslosenquote auf 3%. Wer länger als drei Monate zu den "offen Arbeitslosen" gehört, weiß damit- auch, daß er zum langfristig ausrangierten Bodensatz zählt und der Sozialhilfe nach kommunalem Ermessen überantwortet wird. Für die übrigen - "eigentlich Arbeitslosen" gibt es keine Arbeitslosigkeit, insofern auch das "eigentliche Arbeitslosengeld" anständig verdient sein will. Dafür sorgt ein großes Sortiment an "Bereitschaftsarbeiten", Umschulungen, subventionierten Arbeitsplätzen und "geschützten Arbeiten". Solchermaßen gehört die Arbeit zur Wohlfahrt, die jedem verabreicht wird - und sei es in Form einer erzieherischen "Beschäftigungstherapie". Denn da sich der Sozialstaat des Arbeitswillens seines Jungvolkes nicht so ganz sicher ist, gibt es seit 1983 ein "Jugendgesetz", das zu Arbeitsdienst verpflichtet:
"Wer 18 oder 19 Jahre alt ist, soll keine finanzielle Unterstützung ohne Gegenleistung bekommen. Allen Jugendlichen werden Praktika, Jobs oder Ausbildungsmaßnahmen angeboten... Arbeitslosenhilfe gibt es für diese Gruppen nicht mehr. Stattdessen sollen sie täglich vier Stunden zum Tariflohn arbeiten." (Arbeitsmarktministerin Leijon in der LO-Zeitung, 41/1983)
Daß über solcher und weiterer Fürsorglichkeit "der öffentliche Sektor" in Schweden - fast ohne Verstaatlichungen - so groß geworden ist wie der private, ist übrigens kein Zeichen für irgendwelche "Schwächen" der schwedischen Ökonomie. Im Gegenteil: Daß sich dieses halbarktische Gemeinwesen die Kosten des enormen Staatsapparates leisten kann, zeugt vom Erfolg der ständigen Nationalrationalisierung. "Bereitschaftsarbeiten " sind schließlich auch kein Deckchensticken, sondern sollen gefälligst weiteren Geschäften den Boden bereiten. Manchmal sogar im Sinne des Wortes, wenn ganze Seen von Bereitschaftsarbeitern gekalkt werden, damit beide nicht versauern.
Die kapitalrationale Umgestaltung der nationalen Arbeitskraft machte und macht auch vor traditionellen Reservaten wie "der Hausfrau" oder "dem nährenden Stand" nicht den geringsten Halt. Das Gebot der Gleichheit lautet: Frauen gehören auf den Arbeitsmarkt und haben da überall ihren Mann zu stehen, wofür sie auch die männergleichsten Löhne der Welt kriegen. Spätestens die Steuerreform von 1970 stellte klar, daß eine normale Lohnabhängerfamilie von einem Lohn nicht leben soll: Eheleute werden getrennt veranlagt, und alle werden vor der Lohnsteuer gleich, so daß ein Familienvater mit Nur-Hausfrau auf die gleiche Progressionsstufe gehört wie ein Single. Da hierdurch ein zentrales Bürgerargument für die Ehe entfällt, erklärt der schwedische Staat seine "Keimzellen" zur formlosen Angelegenheit: die mittlerweile übliche "wilde Ehe" wird
in allen Belange der staatlich anerkannten gleichgestellt.
Damit die Nachwuchsproduktion unter der Erschließung der Produktivkraft 'Frau' nicht leidet, gibt es Kinderkrippen, Kindergärten, gleichberechtigten Mama-oder-Papa-Urlaub bis zu 12 Monaten in den ersten Lebensjahren, später dann den arbeitszeitgerechten Schultag mit Abfütterung und Astrid Lindgren. Kinderkrippen- und -gartenplätze sind exklusiv dem Doppelwerktätigennachwuchs vorbehalten, so daß die Alternative 'Arbeiten oder Kinderhüten' den Dienst an der Nation sicherstellt und elterlichem Müßiggang wirksam vorbeugt. Und Pippi Langstrumpf leistet unschätzbare Dienste für die Emanzipation des Kindes von Mutterns Rockzipfel und deren Befreiung zur Arbeit.
Wenn die Emanzipation der Kinder gelegentlich zu weit geht und diese in den funktionalen Schlafsilos randalieren, werden höchst fürsorgliche Kosten-Nutzen-Rechnungen etwa dieser Art angestellt:
"Wenn man sich das Spielmilieu etwas kosten läßt, so kann man eine Menge anderer Ausgaben einsparen... Endlich wurde erkannt, daß ein Insasse eines Jugendgefängnisses mehr kostet als ein Freizeitpädagoge." (Nic Nilsson in: Merian 'Schweden', 11/1984, S. 70)
Wie viele Jugendliche einsitzen, weil sie nebst Freizeit die -pädagogen totgeschlagen haben, ist nicht bekannt.
Auch den Bauern wird im "Merian" das Nötige gesagt:
"Sie sind ein lächerliches Bevölkerungssegment dem man aus sentimentalen Gründen allzu lange erlaubt hat, auf den Äckern herumzulatschen." (T. Ehrenmark in: Merian 'Schweden' 11/1984)
"Nach dem 2. Weltkrieg wurde das System der offenen und verdeckten Agrarsubventionen einer Revision unterzogen, die Landwirtschaft den Rationalitätsgesetzen überlassen - und das heißt: der Konkurrenz des Marktes." (Hennigsen, a.a.O., S. 152)
Und die sorgt dafür, daß einerseits Fleisch und Frischgemüse in Schweden zum gehobenen Bedarf zählen und andererseits auch schwedische Normalhaushalte in großer Zahl mit roten Sommerhäuschen gesegnet sind, die nach dem Bauernlegen teils ererbt, teils spottbillig erstanden oder von den Nutznießern, den Waldgesellschaften gepachtet wurden. So macht als weitere soziale Wohltat die "Aktiengesellschaft Schweden" jeden Sommer geschlossen sechs Wochen Industrieferien, damit der Schwede dem Landleben bei Wasser, Wald und Steinen frönen kann und anschließend den langen, dunklen Winter geschlossen auf der Matte steht. Wenn er dann noch der Arbeit fernbleiben will, muß er meistens schön "krankfeiern" - auf Kosten von 10% Lohnabzug im "Krankengeld".
Was sonst noch so alles in den 60er Jahren in puncto Wohlfahrt als "schwedisches Modell" galt, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden, da es heute zum Arsenal eines jeden ordentlichen Sozialstaates gehört - oder auch schon nicht mehr:
- z.B. Bildung für alle Volks- und Altersklassen - für ein vielseitiges, jederzeit bereites und damit billiges Spezialangebot auf dem Arbeitsmarkt;
- oder Ombudsmann und Sorgentelefon als Stimme und Ohr für die schweigende Mehrheit, die damit da auch alles gesagt zu haben hat;
- oder hemmungslose Sexualkunde für die gesundheitspolitische Einheit von Staats- und Geschlechtsorganen - nicht erst in Sachen AIDS.
Die - auch pornographisch gepflegte - Sexualhygiene zeigt allerdings schon eine schwedische Besonderheit, nämlich die umfassende Fürsorge in Sachen Volksgesundheit: Den Krankenmarkt hat der schwedische Staat nicht dem Geschäftstrieb seiner Medizinmänner überlassen, sondern kurzerhand verstaatlicht, um die Kalkulation mit der Gesundheit des kleinen Volkskörpers direkt am Steuersäckel machen zu können. Sämtliche Behandlungen sind für alle - mit Ausnahme kleiner "Schutzgebühren" - gleichermaßen kostenlos, weil gerechtermaßen mit den Steuern bezahlt (dazu später). Der Staat befindet über die Notwendigkeit und Kostengünstigkeit von Behandlungen durch die Konzentration der Arztpraxen auf Krankenhausambulanzen und durch die jeweilige Ausstattung der "Lazarett"-Abteilungen. Der Patient darf sich angesichts der unterschiedlichen Wartezeiten (und des Lohnabzugs im Krankheitsfall) ganz frei entscheiden, wie krank er eigentlich ist. In der Apotheke werden dann die Pillen sorgsam abgezählt, damit keiner von der Wohlfahrt süchtig wird.
Allgemein bekannter dürfte die Verstaatlichung des Alkohols sein. In den Monopolläden mit dem gediegenen Namen "Systembolaget" (= Systemgesellschaft) werden Schnaps und Starkbier zu so hohen Preisen verkauft, daß der Schwede jegliche alkoholische Beeinträchtigung seines Arbeitsvermögens gleich kräftig im Geldbeutel spürt. Daß es folgerichtig in weiten Kreisen als chic gilt, möglichst öffentlich einen gepflegten Vollrausch hinzulegen (nötfalls Marke 'Hausbrand'), wird von in- und ausländischen Biedermännern gern als untrügliche Äußerung wohlfahrtskritischer Staatsverdrossenheit gewertet. Dabei beweist dieses demonstrative Saufgebaren der letzten Wikinger nie und nimmer die Untauglichkeit staatlicher Alkoholdosierung für die bezweckte Disziplin. Erstens konzentrieren sich die Gelage hübsch brav auf Mittsommer, ein paar Wochenenden und das billige Ausland. Zweitens machen sich besoffene "Kritiküsse" zuallererst selbst unschädlich. Drittens beweisen die 27,5 Parade-Alkoholiker blaugelber Nationalität in ihrer haltlosen Haltung erst recht die Notwendigkeit des fürsorglichen "Zusammenhalts" (samhälle), als der sich der schwedische Staat offiziell und immerzu so schlagend bezeichnet.
Solidarische Lohnpolitik und Krisenbewältigung
"Der Arbeitsmarkt ist durch ruhige und methodische Tarifverhandlungen auf zentraler Ebene gekennzeichnet. Streiks sind ungewöhnlich." (Schwedisches Institut: Schweden 1986)
Der schwedische Gewerkschaftsbund LO ist stramm sozialdemokratisch und sozialpartnerschaftlich ausgerichtet. Seit den 50er Jahren betreibt LO "solidarische Lohnpolitik". Das bedeutet in der Regel, daa LO mit dem Arbeitgeberverband SAF zentrale Rahmenverhandlungen über die "volkswirtschaftlich verträgliche Lohnsumme" führt. Anschließend wird zwischen den Branchenverbänden und in den Untemehmen unter Friedenspflicht über die "Verteilung" der Sonderpötte, Ausgleichs- und Differenzierungszulagen etc.pp. verhandelt, die neben der allgemeinen Erhöhung im großen Topf der Volkslohnsumme ausgekocht worden sind. Das Prinzip, unter dem sich Schwedens Lohnabhänger die Solidarität der gewerkschaftlichen Gesamtlohnbuchhaltung vorzustellen haben, heißt:
"Gleichwertige Arbeit sollte in der ganzen Wirtschaft gleich bezahlt werden, unabhängig von der jeweiligen Gewinnlage." (Meidner und Hedborg, a.a.O., S. 67)
Abgesehen von der Fiktion, der Lohn wäre ansonsten eine Art Gewinnbeteiligung, enthält das Prinzip der solidarischen Lohnpolitik zwei Aufträge, die sich mit dem staatlichen Dauermodernisierungsprogramm aufs trefflichste decken:
1. an die Adresse der Kapitalisten ergeht die Forderung, ihre Konkurrenz nicht auf traditionelle Lohnunterschiede zwischen den Sphären, Regionen und Geschlechtern abzustellen, sondern auf Basis gleichmäßig "gesamtverträglicher" Lohnkosten effektiv an der Leistungsschraube zu drehen, was das Zeug hält. So rühmen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften unisono, in Schweden die teuersten Textilarbeiter und die billigsten Autoarbeiter erzeugt und im tarifautonomen Nationalismus der "Strukturrationalisierung" die Gleichheit als Produktivkraft entwickelt zu haben:
"Unternehmen, die dem Druck (auch) der solidarischen Lohnpolitik nicht gewachsen waren, schieden aus dem Knnkurrenzkampf aus. Ein, wie sich herausstellen sollte, für die schwedische Gesamtindustrie heilsamer und stärkender Prozeß, der nur die konkurrenzfähigsten Unternehmen überleben ließ; gleichzeitig aber (?) muß die Lohnpolitik als Mittel gesehen werden, das die Produktivität gesteigert hat." (Hennigsen, a.a.O., S. 166)
2. An die Adresse der Proleten ergeht somit erstens die Klarstellung, daß sich ein borniertes Festhalten an "unproduktiven", weil unrentablen Arbeitsplätzen nicht gehört, also Mobilität und Flexibilität gewerkschaftlich verordnet sind - Zweitens kommt bei, dem innergewerkschaftlichen Streit darüber, wer mehr leistet oder gleicher bezahlt werden sollte, gar keine Erinnerung mehr daran, auf, was man sich so alles nicht leisten kann. Bei der Einigung auf den solidarischen Lohnverzicht in den höheren Lohngruppen und in den rentableren Betrieben steht jedenfalls die Solidarität mit der Nation, die mit der vorgängigen Fixierung des Lohnrahmens demonstriert wird, vollkommen außer Debatte.
Da die solidarische Lohnpolitik andererseits auf diese Weise mit der Lüge von der Einkommensverteilung so anschaulich ernst macht, entbrennt der Streit um die "Gleichwertigkeit" der Arbeiten immer dann am heftigsten, wenn LO das "Kuchenstück" für die eigene Mannschaft aus nationalem Verantwortungsbewußtsein schrumpfen läßt. So hat sich der blaugelbe Gewerkschaftsbund die Absatzeinbrüche schwedischer Unternehmen auf dem Weltmarkt 1976/77 schwer zu Herzen genommen und mitgeholfen, den einstmals viel gerühmten Lebensstandard schwedischer Normalverdiener auf europäisches Mittelmaß zu stutzen. Berechnungen der LO-Zeitung (Nr. 46/1984), nach denen das "Realeinkommen des schwedischen Arbeiterhaushaltes" zwischen 1976 und 1984 um 15% gesenkt worden ist, dienen aber nur der Klage, daß die (nicht in der LO organisierten) Angestelltenhaushalte ungleich besser weggekommen seien. Und während die Managerpostille "Veckans Affärer" (Nr. 15/1984) die "Einsichtigkeit" der Sozialpartner lobt, mit der die schwedischen Löhne seit 1976 viel stärker gedrückt worden seien als die Löhne in den großen Konkurrenzstaaten, bejammern Gewerkschaftsökonomen die Gefahr außertariflicher "Lohndrift" durch verantwortungslos freigiebige Arbeitgeber.
"Es liegt also ein stabilisierendes Element in der solidarischen Lohnpolitik... Die disziplinierende Wirkung von zentralen Abkommen ist beispielsweise der Grund für die Erwartungen, daß die starke Abwertung der schwedischen Krone im Herbst 1981 auch zu einer realen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der schwedischen Industrie führen kann." (Meidner und Hedborg, a.a.O., S.77)
Und ob sie kann! An LO soll es jedenfalls nicht liegen. Denn die hat (nicht erst) seit der Abwertung Gesamtlehnerhöhungen nur dann für "verträglich" für ihre Mitglieder erachtet, wenn sie i m Durchschnitt unter der Preissteigerungsrate zu liegen kamen - im Jahr nach der Abwertung immerhin gleich um 5%. Damit sich jeder und keiner beklagen und über die Gleichheit von Lohn und Leistung ereifern kann, bekommt der blaugelbe Arbeitsmann seinen Lohnverlust mit x Ausgleichszulage Faktor 0,4 + y Konsumentpreisindexveränderungsnachschlag Faktor 0,6 + z Verdienstentwicklungsgarantie Faktor 0,8 persönlich maßgeschneidert - kriegt also genau das, was er verdient.
Aufgrund der hochgradig nationalisierten Lohnpolitik sind Streiks in Schweden in der Tat "ungewöhnlich". Aber nicht etwa, weil sie eine Seltenheit wären, sondern weil sie in aller Regel entweder außerhalb der LO (etwa im öffentlichen Dienst) oder gegen die LO geführt werden (müssen), wenn man einmal vom üblichen Theaterdonner der verordneten Warnstreiks und Überstundenblockaden während der Tarifrunden absieht. So war der große Aufstand von 1980 -
"Gemessen an dem betroffenen Teil der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens Schwedens war der Konflikt mit aller Wahrscheinlichkeit einer der schwersten, den ein modernes Industrieland in Friedenszeiten erlebt hat. (Meidner und Hedborg, a.a.O., S. 44)
- zunächst ein ganz vorsichtiger Warnstreik, den Staat und Kapital durch massive Aussperrungen eskalierten, bis LO ob des nationalen Schadens erschrocken einlenkte, sobald Würde und Anstand dies zuließen. Die großen "Streikwellen" der frühen 70er Jahre, die von den nordschwedischen Erzgruben ausgegangen waren und binnen weniger Wochen oft zweistellige Lohnerhöhungen bewirkt hatten, waren dagegen "wilde Streiks" gewesen, die zum Teil direkt gegen die LO-Gewerkschaften geführt werden mußten.
Die staatliche Antwort auf die wilden Streiks bestand in einem Mitbestimmungsgesetz, das den gesetzlich anerkannten Arbeitnehmerorganisationen (vor allem der LO) neben dem Recht auf folgenlose Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auch die süße Pflicht auferlegt,
jegliche Kampfmaßnahmen zu be- und verhindern, die sie nicht selbst nach allen Regeln der Friedenspflicht beschlossen haben, und
sowohl "wild" Streikende als auch Sympathisanten solch illegaler Aktionen in anderen Betrieben und Branchen der Strafverfolgung preiszugeben (Paragraphen. 41-43 des Gesetzes über Mitbestimmung im Arbeitsleben - MBL - von 1977).
Das Steuerjoch
So wie die Gewerkschaften sich zuvörderst um Gleichheit und Gerechtigkeit beim Lohn sorgen, kümmert sich der schwedische Steuerstaat darüm, daß es bei den Lohnabzügen innerhalb der ganzen Abteilung der Lohnempfänger gleich und gerecht zugeht. Die Steuerabzüge auf "A-Einkommen" ( wie Armut durch Arbeit) werden sorgsam so "verteilt", daß der Lohnabhänger in allen Lebenslagen etwa gleich viel/wenig zum Leben hat. Wobei alle mildernden Umstände bei Lohnsteuerzahlern weniger mit Freibeträgen als mit Beihilfen wie Kindergeld, Wohngeld, Sozialhilfe etc. berücksichtigt werden. Dieses umständliche Verfahren gewährleistet, daß der Sozialstaat erst einmal seine Mittel einsackt, bevor er von Fall zu Fall prüft, ob die geltend gemachten Belastungen des Steuerzahlers funktional sind. (Nebenbei werden durch die Beihilfen die hämischen Tabellen in der deutschen Presse sehr relativiert, nach denen die Schweden ewige Weltmeister im Steuerzahlen sind). Auf diese Art und Weise läßt sich eine ziemlich saubere Trennung zwischen den A- und B-Einkommen bewerkstelligen: zwischen den Arbeitnehmern, die als "Nutznießer" des sozialen Netzes gefälligst auch dessen Zahlväter zu sein habe, und der Business Class, deren Reichtumsmehrung mit der des Königreiches einhergeht.
Bei den B-Einkommen wird nämlich mittels aller möglichen Freibeträge, "Unterschußabzüge" und "Steuerkredite" fein darauf geachtet, daß sich der produktive Einsatz des Vermögens auszahlt. "Steuerplanung" heißt die Devise, und wer den nominalen Steuersatz zahlt, ist selbst schuld bzw. hat nicht genug Schulden:
"Stellt man das Bruttoeinkommen den Steuern und den nach Einkommen gestaffelten Beihilfen gegenüber, bleibt in der Endabrechnung allen ungefähr das gleiche übrig. Wer allerdings Schulden macht, sich etwa eine riesige Villa auf Kredit kauft, der kann durch die Abschreibung der Zinsen sein Steueraufkommen drastisch reduzieren. Schulden sind also der Weg zu einem überdurchschnittlichen Lebensstandard." (Frankfurter Rundschau, 13.1.1982)
An der Kreditwürdigkeit scheiden sich die Klassen. Da honoriert es der Fiskus in besonderer Weise, wenn seine B-Bürger mit ihrem Vermögen und Konsum beständig wachsende Geschäfte in Gang setzen, die für ein größeres Steueraufkommen gut sind. Wie steuerhöllisch es dabei zugeht, zeigen die Steuerbescheide für prominente Spitzenverdiener, die säuberlich in telefonbuchartigen Katalogen und aufreißerisch in den Zeitungen veröffentlicht werden. Wer sein Vermögen richtig profitlich und kreditlich gebunden hat, läßt Millioneneinkommen locker "auf Null taxieren", ohne dazu unbedingt nach Monaco fliehen zu müssen.
Und weil dem Steuerhöllenhund bei solcher Großzügigkeit manche Einnahmen aufgrund unerwünschter Pro-forma-Geschäfte durch die Lappen gehen, setzt der schwedische Staat gelegentlich mit "Lauschangriffen " und " Generalklauseln" gegen legale, aber das gesunde Staatsempfinden verletzende "Verstöße gegen den Geist der Steuergesetzgebung" geheiligte Rechtsstaatsprinzipien außer Kraft. Das Mißtrauen ist dann so gegenseitig, daß auswärts verdienende Paradebürger wie Björn Borg, die ABBAs, Ingemar Stenmark bzw. Bergmann sicherheitshalber ihren Wohnsitz zeitweilig in irgendwelche Steueroasen verlegen - jedoch selten, ohne einen Teil ihres Kapitals i n Schweden angelegt zu haben.
Überhaupt: So richtig drückend wird das Steuerjoch dann bei den Unternehmen. Da raubt der Fiskus gnadenlos den nullwachsenden, ertragsschwachen Firmen bis zu 76% ihrer erbärmlichen Gewinnchen und erkennt Verluste nur sehr bedingt als seine Verluste an Steuereinnahmen an, während er schnell wachsenden, ertragsstarken Konzernen effektiv meist weniger als 20% ihrer fetten Profite abverlangt, weil Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen, Fusionen etc. großzügigst abgeschrieben und in steuerfreien Reserven antizipiert werden dürfen. Wer das für ungerecht hält, hat nicht kapiert, wozu Eigentum verpflichtet.
Mit der Obrigkeit auf Du und Du
Da der schwedische Staat es sich vorbehält, die Funktionalität seiner Bürger der Klassen A und B bis in den Einzelfall abzuwägen, hat er sein Volk mit besonderer Sorgfalt in 1000 Dateien und 1 Zentralregister erfaßt und mit lebenslänglichen Personalnummern für alle amtlichen Belange vereinheitlicht. Auch das ist eine Wohltat des Volksheimes:
"Das Wohlwollen besteht darin, daß ein großer Teil der Erfassungen durch die Sorge motiviert wird, die die Behörden in vielerlei Hinsicht für die einzelnen Menschen hegen... Ein anderes Ergebnis des Wohlwollens sind die Forderungen nach millimetergenauer Gerechtigkeit, die ihrerseits den Bedarf an Daten noch weiter steigern, damit die Behörden nicht Gefahr laufen, jemanden zu übervorteilen." (Aktuelle Informationen aus Schweden; Nr. 344/1986)
Daß der brave Bürger vor lauter staatlichem "Wohlwollen" ständig Angst haben muß, "übervorteilt" zu werden, ist schon einigerma-
ßen verräterisch. Daß der Staat obendrein die (selbst erfundene) Forderung nach Gerechtigkeit für die Bürger damit erfüllt, daß er "millimetergenau" Material gegen sie sammelt, zeigt erstens, daß Gerechtigkeit den Untertan teuer zu stehen kommt, und zweitens, daß der Neid, den die Schweden in demoskopischer Selbsteinschätzung zu ihrer nationalen Untugend Nr. 1 erhoben haben, eine staatlich verordnete Angelegenheit ist.
So nimmt es nicht wunder, daß in Schweden der Staat selbst für Staatskritik sorgt, indem er "Gleichheit und Gerechtigkeit" zu den Oberbegriffen jeder öffentlichen Debatte macht und mit der ganzen Presse auch radikale Blättchen subventioniert, um für ein breites Meinungsspektrum in dieser langweiligen Debatte zu sorgen. Und keiner mißversteht es als Aufruf zum Umsturz, wenn Dagens Nyheter, die größte Tageszeitung Schwedens, regelmäßig Artikelserien unter der Rubrik "Ist Schweden totalitär?" bringt, die diese Frage vehement bejahen. Erstens gehört es überhaupt zum guten Ton, kräftig gegen die "Staatsmächte" zu wettern, weil man sich in allen Lebenslagen von ihnen abhängig gemacht und bevormundet sieht. Zweitens hält sich der Schwede aber auch wieder der eigenverantwortlichen Botmäßigkeit und Steuermoral nicht für fähig und klagt sich selbst seines kindlichen Klein- und Schwermutes an, mit dem er sich die totale Fürsorge seines unheimlichen Staatswesens gefallen läßt. Die Stilisierung dieses angeblichen Mangels an Selbstbewußtsein zum nationalen Selbst-Bewußtsein hat sich unter Ingmar Bergman zu einem ganz eigenen Filmgenre entwickelt. Drittens trennt man in Schweden fein säuberlich zwischen der beklagten Allmacht des Staates und deren Exekutoren. Mit den Figuren der Macht nämlich steht man sich vertraulich. Schließlich sind auch Politiker irgendwie alle gleich, und Menschen wie du und ich. Deshalb werden sie geduzt und auch mal gescholten, wenn sie die Preise für Milch, Bahnfahrten und andere Alltagssorgen nicht kennen. Wo sie sie doch immerzu erhöhen.
Nebenbei steht der Gleichheitsfimmel auch nicht im Widerspruch zu Carl, dem sechzehnten Gustaf und seiner Silvia. Der König ist eben der Gleichste aller Gleichen, leistet Wehrdienst, zahlt Steuern, hat Probleme mit der Rechtschreibung und lebt mit einer Bürgerlichen zusammen, die als gelernte Hosteß etwas vom Repräsentieren versteht. Über der königreichlichen Nachwuchsproduktion hat sogar die Sozialdemokratie die Abschaffung der Monarchie aus ihren Statuten gestrichen. Schließlich genügt die Geburt als Qualifikation zum Amt des Staatsoberhauptes vollkommen, wie man an diesem König sieht, dem man sein Abitur vorsichtshalber honoris causa verliehen hat. Die Wahl eines Repräsentanten der Nation würde bloß das "Konsensprinzip" gefährden, das auch die republikanisch gesinnten Sozialdemokraten so über alles lieben.
Um so mehr hat es die Schweden bestürzt, daß es den wahren Repräsentanten der Gleichheit, den demonstrativen Vietnamdemonstranten, Reihenhausbewohner, Radfahrer und Kinogänger namens Olof Palme ausgerechnet in Ausübung seines Privatlebens erwischt hat. Daß der Ministerpräsident erstens trotz Neutralität, zweitens trotz notorisch weltumspannender Friedensbewegtheit, drittens trotz Konsensprinzip, viertens meuchlings und fünftens während seiner Freizeit erschossen wurde, erscheint den Schweden als solchen vollkomen unbegreiflich und begründet eine anhaltende Heiligenverehrung polnischen Ausmaßes.
Von den Segnungen der Neutralität
- war bereits eingangs die Rede: Weltkrieg Nr. 1 hat die schwedische Zahlungsbilanz saniert, und Weltkrieg Nr. 2 hat der schwedischen Industrie enorme Geschäfte und Vorsprünge vor der Konkurrenz verschafft. Einerseits war dies dem günstigen Umstand geschuldet, daß sich keine Weltmacht auf Kosten schwedischer Souveränität entfalten "mußte". Um beispielsweise das schwedische Eisenerz zu "sichern", genügte es im 2. Weltkrieg völlig, Norwegen zu besetzen. Andererseits lag von schwedischer Seite aus kein Vorteil darin, Front zu beziehen. Man machte schließlich Geschäfte mit allen Seiten, wenn man auch zwecks "Erhalt der Neutralität" eindeutig mit den Nazis in Sachen Eisenerzzufuhr und Gewährung deutscher Truppentransporte über schwedisches Territorium kollaborierte.
Nach dem Krieg bestand keine Notwendigkeit, der NATO beizutreten. Schwedens Ökonomie war intakt und bedurfte nicht der Kreditierung durch den Dollar, wenn auch die Krone nicht umhin kam, sich zum neuen Weltgeld wie alle anderen Währungen ins Verhältnis setzen zu lassen. Zudem hätte sich Schweden an der Nordostflanke der NATO zum strategischen Vorposten und Frontstaat gegen die Sowjetunion und das sowjetisch kontrollierte Finnland herrichten müssen. Neutralität nach allen Seiten eröffnete dagegen die wesentliche Freiheit, über Blockgrenzen hinweg die skandinavischen Nachbarn für die Akkumulation schwedischen Kapitals einzuspannen. Das erklärt nebenbei, warum die Dänen, Norweger und Finnen ihre Animositäten gegen die "großen Onkels" aus Schweden liebevoll pflegen, während die Schweden über die Norweger Ostfriesenwitze reißen, die Finnen als "Polarkanacken" behandeln und über die Dänen als Bauern mit einer Art sprachlicher Maul- und Klauenseuche herziehen.
Da die Neutralität also die politischen Geschäftsgrundlagen der Einmischung in Krieg und Frieden anderswo darstellt, ist auch klar, in welche Hemisphäre Schweden gehört:
"Etwa 90 %o der Unternehmen der eigentlichen Wirtschaft befinden sich im Rahmen einer offenen sozialen Marktwirtschaft in Privatbesitz... Die staatlichen Unternehmen werden nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen betrieben, mit dem Ziel, Gewinn abzuwerfen." (Schwedisches Institut: Schweden im Überblick 1986, S. 25)
50% des Außenhandels verbinden Schweden mit der EG, 12% mit den USA, 10% mit Norwegen, 6% mit Finnland und lumpige 3-5% mit dem Comecon, wobei Schweden eine ganz eigene Rolle in der Herauslösung Polens aus dem Ostblock spielt. Die schwedische Industrie hat sich auf dem Weltmarkt so etabliert, daß 20% ihrer Arbeitnehmer gleich in der EG und den USA stationiert sind. Und überhaupt gilt der Kostenvergleich mit dem Weltmarkt immer, oben und unten, rechts und links als schlagendes Argument. Daß sich darüber soziale Wohltaten nicht häufen, sondern der Ausbau des Sozialstaats manchen "Sozialabbau" erfordert, ist eine Tatsache. Gegen den Verdacht ausländischer Beobachter, manches in Schweden gemahne an Kommunismus, hilft das allerdings nichts. Ein konservatives Gemüt weiß nämlich allemal, daß Kommunismus als unnatürliches, gleichmacherisches Verteilungskunststück anhebt und in Unterdrückung endet.
Die Kosten der Neutralität
Daß Schweden neutral ist, heißt keineswegs, daß man dort keine guten Gründe für einen Krieg kennt. In Schweden heißen diese guten Gründe eben"Neutralität" und "Integrität des Landes":
"Schwedens allianzfreie Außenpolitik und der Wille des schwedischen Volkes, die Integrität des Landes zu schützen, erfordern eine starke Verteidigung. Die Verteidigungsplanung Schwedens ist auf eine totale Verteidigung, die die ganze Gesellschaft umfaßt, eingerichtet...
Aus der Zielsetzung geht u.a. hervor, daß die Abwehr einer Invasion die primäre Aufgabe der militärischen Verteidigung ist, und daß jeder wehrfähige Schwede, der nicht an andere wichtige Aufgaben innerhalb der Gesamtverteidigung gebunden ist, in die Lage versetzt werden muß, militärisch am Kampf für die Selbständigkeit des Landes teilnehmen zu können." (Schwedisches Institut: Die schwedische Gesamtverteidigung 1983)
Zur Totalverteidigung wird mit einer der höchsten relativen Truppenstärken Europas- mobil gemacht - 10% der Bevölkerung sind schon allein zum Heer abkommandiert, während sich 15% die kriegerische Kriegsverhütung zur Herzenssache machen:
"Die Personalstärke des Heeres beträgt im Krieg etwa 700.000 Mann... Über eine Million schwedischer Männer und Frauen sind freiwilligen Verteidigungsorganisationen angeschlossen."
(ebenda)
Der Rüstungsetat ist auf alle Fälle so hoch, daß 80% des Rüstzeuges in Schweden selbst, ein kleiner Teil auch in Coproduktion mit der NATO, produziert wird. Die Kosten der Rüstungsautarkie namens SAAB, Kema Nobel, Bofors etc. werden durch ziemlich hemmungslosen Waffenexport gesenkt. Palmes Friedensmission im Golfkrieg wurde beispielsweise von einem flotten Ab- und Einsatz schwedischen Kriegsgerätes begleitet, über den sich im Gefolge der Ermittlungen um den Mord an Palme nun entrüstet werden darf. Nebenbei wird ständig übungshalber "wirtschaftlich verteidigt":
"Einige lebenswichtige Industriebetriebe haben auch in Friedenszeiten unterirdische Fabriken." (ebenda)
Eine Mobilmachung besonderer Art läuft seit einigen Jahren in den Gewässern vor der schwedischen Ostküste: Während die NATO-Marine zu offiziellen Flottenbesuchen und zu Manövern dicht vor der schwedischen Südküste aufkreuzt, wird Dauermassenhatz auf "fremde Unterwasserfahrzeuge unbestimmter Herkunft" gemacht und dabei das militärische Arsenal mehr und mehr im Osten des Landes konzentriert. Während peinlich darauf geachtet wird, daß keiner einen Namen nennt, wird die Bevölkerung auf einen Hauptfeind eingeschworen, der zwar auch mit 'S' anfängt, aber mit '...owjetunion' aufhört.
Der wahre Grund für die Aufrüstung gen Osten und die ständigen U-Boot-Affären wird nebenbei von einem schwedischen U-Boot-Kapitän in der Presse ausgeplaudert. Auch Schweden kennt ein Kriegsszenario und seine Rolle darin:
"Es ist von vitaler Bedeutung für die sowjetische Verteidigung, daß das neutrale Schweden fremde U-Boote daran hindern kann, schwedische Gewässer zu benutzen. Deshalb dringen sowjetische U-Boote ein und lassen sich aufschwedischem Gebiet entdecken, um mit solchen bewußten Provokationen die schwedische Regierung zu veranlassen, die U-Boot-Abwehr zu verstärken..."
Auch in Schweden fällt das militärstrategische Denken sehr kompliziert aus; das kommt daher, daß man sich als Ausgangspunkt wie als Ziel eventueller Kriegshandlungen vor der Küste ein Ding namens Neutralität zurechtlegt und sich von da aus fragt, wie die eigenen Fähigkeiten im Falle einer Ost-West-Auseinandersetzung beschaffen sind: Was können wir tun und auf welche Seite müssen wir uns schlagen, um die schwedische Neutralität intakt zu halten.
"Die Sowjetunion hat kein besonderes Interesse an einer Invasion Schwedens. Der denkbare Kriegsfall ist ein Verteidigungskrieg in Zentraleuropa, für den die Truppen des Warschauer Paktes auch üben.
Die Ostsee hätte dann große Bedeutung als Transportweg... Seetransporte von Leningrad, Riga in die polnischen und ostdeutschen Häfen würden Luft und Schiene ergänzen müssen. Aber dieser Transportweg müßte geschützt werden. Er wird von NATO-Flugzeugen, Schnellbooten und U-Booten bedroht.
Die NATO hat 30 U-Boote für die Ostsee, 14 westdeutsche und 6 dänische. Die Bedrohung durch diese 30 U-Boote könnte gemeistert werden, wenn die sowjetische Ostseeflotte die Möglichkeit hätte, die U-Boote überall in der Ostsee zu bekämpfen. Aber die hat sie nicht. Für einen Kampf gegen NATO-U-Boote in neutralen schwedischen Gewässern müßte sie es mit der starken schwedischen Luftwaffe und Flotte aufnehmen...
Von sowjetischer Seite müssen die schwedischen und finnischen Gewässer als eine sechsspurige U-Boot-Autobahn betrachtet werden, auf der NATO-U-Boote unbehindert vom Öresund bis Leningrad fahren können. Die Schweden können sie nicht verjagen..., aber sie können die NATO-U-Boote effektiv gegen sowjetische U-Boot-Jäger schützen. Eine solche Jagd mit sowjetischen Schnellbooten und Hubschraubern würde von Schweden schließlich als direkte Kriegshandlung aufgefaßt." (Nils Bruzelius in "Dagens Nyheter", 18.12.1982)
Zuschauen werden also auch die Schweden nicht können. Die Interessen ihrer Nation gebieten schon eine Entscheidung, einen Dienst gegenüber der einen oder der anderen Seite. Sonst machen die kriegführenden Parteien die Souveränität und Neutralität Schwedens kaputt, treiben in schwedischen Gewässern, was sie wollen, und von einer Kontrolle der Ostsee durch das schwedische Militär bleibt nichts übrig. Die muß aber erhalten bleiben, und da geht angesichts der Stärke, mit der die nicht neutralen Parteien Ost und West da aufkreuzen, nur durch eine nüchtern berechnete Einmischung.
Das Weltgewissen
Auf Basis seiner Neutralität spielt Schweden sich als Weltgewissen und Friedensschlichter auf. Schon der Nobelpreis war eine schwedische Kreation. (Daß der Friedensnobelpreis in Oslo vergeben wird, liegt nur an der damaligen "Arbeitsteilung" innerhalb der schwedisch-norwegischen Union bis 1905.) Die Einrichtung der Vereinten Nationen nutzte Schweden, um sich als "moralische Großmacht" zu präsentieren. Schwedische UN-Bataillone sichern als Friedenstruppen jeden Krisenherd auf der Welt. Ein schwedischer Generalsekre-tär namens Dag Hammarskjöld las den alten Kolonialmächten die Leviten und wurde durch seinen mysteriösen Absturz in Afrika zum Märtyrer der drittweltlichen Blockfreiheit. Ein schwedischer Ministerpräsident namens Olof Palme führte sich als personifiziertes Völkerrecht auf, nahm als Oberblockfreier hübsch ausgewogen unterschiedslos gegen die "Schandtaten" der Großmächte in Vietnampolenicaraguafghanistan und anderswo Partei für die Geknechteten und mischte mit Plänen für kernfreie Waffenzonen in der westlichen Friedensdiplomatie gegen östliche Kurzstreckenraketen mit.
Besagter Palme wurde durch seinen mysteriösen Abschuß mitten in Stockholm schließlich zum letzen Heiligen der moralischen Großmächtigkeit Schwedens. Im Wissen darum, wer mit der Macht in der Welt auch die Moral zu haben hat, setzt die "Frankfurter Allgemeine" hämisch die passende Überschrift über Palmes Nachruf und Nachfolger:
"Schweden überschätzt seine Rolle in der Welt nicht mehr. Die Außenpolitik unter Carlsson: sachlicher, ruhiger, langweiliger." (FAZ, 3.3.1987)
In Zeiten der allgemeinen Frontbegradigung hat das blaugelbe Weltgewissen eben Ruhe und sich mit am grünen Tisch gegen die Roten erschlichenen Eishockeyweltmeisterschaften zufrieden zu geben.