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Aids
EINE KRANKHEIT WIRD ERFORSCHT
I. Die Genforscher entdecken das Retrovirus
Das Aids-Virus gehört zur Gruppe der sogenannten Retroviren. Bekannt ist diese Virusgruppe schon lange als Erreger von bösartigen Tumoren und auch von Immundefekten bei Tieren. Der spezielle Wirkmechanismus der Retroviren wurde Anfang der siebziger Jahre entdeckt und stieß in der Gentechnologie auf großes Interesse. Die Experten der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages äußern sich in ihrem Bericht 'Chancen und Risiken der Gentechnologie' dazu folgendermaßen:
"Prinzipiell sind die Methoden, Konzepte und Vehikel zum Transfer rekombinierter DNA in Säugerzellen nicht anders als in Bakterienzellen. Die Eigenschaften einiger Virusgenome konnten derart verändert werden, daß sie sich de facto wie Plasmide höherer Zellen verhalten. Eine wichtige Rolle spielen hier das sog. Affenvirus 40, auch SV40 genannt, sowie die sog. Retroviren...
Eine zentrale Rolle als Vektoren in eukaryotischen Zellen spielen die Retroviren. Sie weisen zwei besondere Vorteile als Vektorsysteme auf: Sie erlauben das Eindringen rekombinierter DNA in das Genom, d.h. in die chromosomale DNA der Wirtszelle; sie sind in ihrer Wirtsspezifität leicht zu verändern und können daher ein breites Spektrum von Säugerzellen infizieren. Das Genom der Retroviren ist ein RNA-Molekül einer Länge von ca. 8000 Basen, auf denen drei bis vier Gene angeordnet sind. Zwei dieser Gene kodieren für Hüllproteine, eines für die sog. reverse Transkriptase und ein viertes gelegentlich für ein sog. Tumorgen (s.u.). Zur Vermehrung wird das RNA-Genom in der infizierten Zelle mit Hilfe der viralen reversen Transkriptase in eine DNA-Kopie umgewandelt. Diese DNA-Kopie wird anschließend in die Zell-DNA an beliebiger Stelle, d.h. unspezifisch, eingebaut... Voraussetzung für das Integrationsereignis ist die Gegenwart charakteristischer, identischer Sequenzabschnitte an den beiden Enden des DNAMoleküls, die, je nach Retrovirus, ca. 200 bis 1 000 Basenpaare lang sind und als LTR-Regionen (Long terminal Repeats) bezeichnet werden. Aufgrund der Existenz defekter Retroviren weiß man heute, daß jede DNA-Sequenz, solange sie sich nur innerhalb zweier solcher Sequenzbereiche befindet, in die chromosomale DNA eingebaut werden kann." (Wolf-Michael Catenhusen, Hanna Neumeister (Hrsg.), Chancen und Risiken der Gentechnologie, Dokumentation des Berichts an den Deutschen Bundestag. / Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, München 1987, S. 26f.)
Der Enquetebericht ist zwar kein Lehrbuch; er stellt jedoch eine Zusammenfassung des aktuellen Stands der Genchnologie durch ausgesuchte Wissenschaftler dar, die erklärtermaßen dem Deutschen Bundestag als Grundlage für gesetzgeberische Entscheidungen dienen soll. Insofern dürfte es sich um den politisch verbindlichen Stand des Wissens handeln.
1. Es geht um gezielte Veränderungen am "Erbgut" der Zellen
a) Träger des genetischen Codes der Zellen sind die Chromosomen, die bei eukaryotischen Organismen (höhere Lebewesen von den Hefen bis zum Menschen) im Zellkern lokalisiert sind Die sog. prokaryotischen Lebewesen (Bakterien) besitzen keinen Zellkern; hier befindet sich das genetische Material im intrazellulären Raum (Zytoplasma).
Chromosome bestehen aus DNA (Desoxyribonukleinsäure). Es handelt sich dabei um unverzweigte Fadenmoleküle, die im wesentlichen aus vier verschiedenen Basen (Nucleoitide) aufgebaut sind: Adenin (A), Guanin (G), Thymin (T) und Cytosin (C). Die übrigen Bausteine der DNA - Zucker und Phosphat - spielen für das hier zu Erklärende keine Rolle. Der genaue Aufbau der Nucleinsäuren kann in jedem modernen Biologiebuch nachgelesen werden.
Die DNA wird aus zwei parallel verlaufenden Polynucleotid-Strängen gebildet, wobei die einander gegenüberliegenden Basen über Wasserstoffbrücken miteinander verbunden sind. Dabei verbinden sich immer Adenin und Thymin, Guanin und Cytosin. Die Sequenzen der Basenstränge der DNA laufen also komplementär zueinander. Damit ist eine identische Verdoppelung des Erbmaterials möglich: Während der Zellteilung trennen sich die beiden Stränge, und jeder dient als Matrize für die Anordnung eines neuen Komplementärstranges. So entstehen neue Zellen mit dem gleichen Erbgut.
b) Das gesamte genetische Material einer Zelle wird als Genom bezeichnet. Je nach Organismus kann es aus einem oder mehreren Chromosomen zusammengesetzt sein - beim Menschen sind es bekanntlich 46. Die Länge der DNA-Moleküle ist sehr variabel. Bei einfachen Organismen kann sie nur 3000 Basenpaare, in einem einzelnen menschlichen Chromosom bis zu 500 Millionen Basenpaare betragen.
"Für die Entwicklung der Gentechnik war es essentiell, daß Verfahren zur Bestimmung der Reihenfolge der Basen, d.h. zur Sequenzierung der DNA entwickelt wurden. Es ist heute ohne weiteres möglich, die Struktur eines DNA-Moleküls von einer Länge von einigen Tausend Basenpaaaren in wenigen Tagen aufzuklären." (Enquete, S. 13)
Daß die DNA eine Aneinanderreihung weniger Molekültypen ist und als solche durch Einfügen, Weglassen, Umgruppieren u.ä. chemisch verändert werden kann, ist die sachliche Grundlage für gentechnologische Eingriffe. Die Reihenfolge der Basen auf der DNA determiniert wiederum, und zwar in artübergreifender und universeller Weise, den Stoffwechsel der Zelle und damit sämtliche biologischen Funktionen des Organismus. Durch sie wird nämlich die Proteinbiosynthese gesteuert. Proteine, die für das Funktionieren des Körpers eine besondere Rolle spielen und deshalb laufend gebildet und aus der Zelle abgegeben werden, sind beispielsweise Hormone, Enzyme, Antikörper, Hämoglobin, Hormonrezeptoren, Neurotransmitter.
Proteine sind aus ca. 100 bis 300 Aminosäuren aufgebaute Eiweißmoleküle. Insgesamt existieren 20 verschiedene Aminosäuren, von denen jede durch die Abfolge von jeweils drei der verschiedenen Basen (A, T, G, C) auf der DNA codiert wird. Die Zuordnung dieser sog. Nucleotidtriplets zu den entsprechenden Aminosäuren ist bekannt. Gene nennt man die Abschnitte auf der DNA, die durch eine entsprechende Reihenfolge von Basenpaaren den genetischen Code für ein Eiweißmolekül tragen. Die Proteinsynthese der Zelle wird über RNA (Ribonukleinsäure) gesteuert. RNA ist ein immer nur einsträngiges Molekül, das sich von der DNA außerdem durch den Zuckerbestandteil (Ribose anstelle von Desoxyribose) sowie durch den Einbau der Base Uracil anstelle von Thymin unterscheidet. Im Zellkern wird eine RNA an den aktivierten Abschnitten der chromosomalen DNA komplementär zu deren Basensequenz gebildet. Sie verläßt den Zellkern und wirkt im Zytoplasma der Zelle als Matrize für die Bildung von Eiweißketten. In der blumigen Sprache der Biologen heißt sie daher "messenger" (= Botschafter)-RNA (m-RNA).
2. Das gentechnologische 'Handwerkszeug'
Für den Genforscher, der Gentechniker sein will, besteht das zentrale Problem darin, DNA-Fragmente mit bekannter und mit der beabsichtigten Wirkung in das Genom einer intakten Zelle hineinzubringen. Dazu werden sog. Vektoren benötigt: Hilfsmittel, die die fremde DNA so mit dem zellulären Erbgut verknüpfen -"rekombinieren" -, daß die Zelle nicht - unmittelbar - zugrundegeht. Das gewünschte Resultat ist eine Wirtszelle, die mit ihrer eigenen Vermehrung die eingeschleuste DNA und die damit determinierten Stoffwechselvorgänge reproduziert.
a) Als 'Handwerkszeug' für Eingriffe in den Zellkern werden in der Gentechnologie schon seit Jahren Retroviren benutzt. Sie bestehen wie alle Viren - nur aus einem Nucleinsäureolekül wnd dessen Umhüllung, haben also keinen eigenen Stoffwechsel und benötigen daher für ihre Vermehrung eine Wirtszelle. Retroviren gehören zu den RNA-Viren, d. h. ihr Genom besteht nur aus einem RNA-Strang. Daneben besitzen Retroviren ein Enzym (reverse Transkriptase), das als Katalysator für die Synthese einer DNA-Kopie des viralen NA-Stranges in der Wirtszelle wirkt. Diese DNA wird von der DNA der Wirtszelle eingebaut. Die 'Fähigkeit' zur Umwandlung von RNA in DNA ist die Besonderheit der Retroviren, nach der auch ihr Name gebildet worden ist; sie bildet die einzige bekannte Ausnahme von der biochemischen Regel, daß sonst nur DNA in RNA abgebildet wird. Bei jeder Vermehrung der Wirtszelle wird das in DNA übersetzte Genom des Virus mit vermehrt. Diese Eigenschaft macht Retrouiren als 'Handwerkszeug' der Gentechnologie so brauchbar.
"Retroviren... können nicht nur, sondern sie müssen zu ihrer Vermehrung das genetische Material in das Genom der Zelle selbst einschleusen (integrieren). Sie sind daher - sieht man von möglichen Risiken ab - ideale Vehikel für die effiziente Einschleusung von Genen in höhere Zellen." (Enquete, S. 11)
In einem gewissen Gegensatz dazu, was Gentechnologen sich an segensreichen Wirkungen vom Einsatz der Retroviren erwarten, sind zwei Wirkungen sicher bekannt. Durch den Einbau des viralen Genoms kann die befallene Zelle zur Tumorzelle transformiert werden; oder es kann der zelluläre Stoffwechsel bei einer entsprechenden Aktivierung der viralen DNA für die Synthese von neuen Viren Aufbau von RNA-Ketten und Hüllproteinen im Zytoplasma - in Anspruch genommen werden, was letztlich zum Absterben der Wirtszelle führt.
b) Die chemische Affinität der Virushülle zur Zellmembran der Wirtszelle ist die entscheidende Voraussetzung dafür, daß ein Virus in eine Zelle eindringen und sie infizieren kann. Für den Einsatz als Vektor bei gentechnologischen "Neuzüchtungen" stellt diese sog. Wirtsspezifität der Viren eine Schranke dar. Ein gängiges Verfahren, sie zu überwinden, ist die Kombination von Viren, also das Herstellen von neuen Erregern mit erweitertem "Wirtsspektrum":
"Die Möglichkeit, einen Vektor als Viruspartikel in eine Zelle einzubringen, ist, wie wir schon bei den Bakterienviren gesehen haben, wegen der Wirksamkeit des DNA-Transfers immer bestechend. In Viruspartikel kann jedoch wegen der Größenbeschränkung der Partikel selbst nicht beliebig viel DNA eingebaut werden. Überdies ist in den meisten Fällen, wie z.B. bei dem erwähnten SV40, das für Affenzellen spezifisch ist, die Wirtsspezifität extrem eingeschränkt. Bei Retroviren läßt sie sich jedoch verändern. Hier hängt sie nur von der Natur des Hüllproteins ab. Infiziert man z.B. Mäusezellen gleichzeitig mit einem rekombinierten Retrovirus, das nur in Mäusezellen wächst, und einem anderen Retrovirus, das sowohl in Mäusen als auch in menschlichen Zellen sich vermehrt, so wird in der gemischten Infektion das rekombinierte Genom auch mit dem Hüllprotein desjenigen Virus verpackt werden, das sich ursprünglich in beiden Systemen vermehrte. Das rekombinierte Virus kann nun auch in menschlichen Zellen wachsen. Diese 'Wolf-im-Schafspelz-Strategie' erlaubt es, rekombinierte Retroviruskonstruktionen für Zellen unterschiedlicher Spezies herzustellen." (Enquete, S. 28)
3. Das sogenannte "Restrisiko"
Bei dieser Sorte Genmanipulation fällt die Absicht mit dem Ergebnis notwendigerweise nicht immer zusammen.
a) Zum einen treten gewußte, nicht beabsichtigte Effekte auf. Die Gentechnologen thematisieren das als Problem. Wenn sie beispielsweise mit tumorerzeugenden Viren als "Helferviren" bei DNA-Übertragungen operieren, wird die durchaus bekannte Wirkung dieser Viren als lästige Nebenwirkung besprochen, die es durch entsprechende Techniken zu unterdrücken gilt.
"Die Helferviren sind jedoch unerwünscht, da sie, wenn auch mit langen Latenzzeiten, als Tumorviren wirken, d.h. schließlich im Wirtsorganismus zur Ausbildung von Tumoren führen. Glücklicherweise gibt es hier einen eleganten Ausweg." (Enquete, S. 27)
- dessen Chancen und Tücken hier nicht erörtert zu werden brauchen. Gentechniker wissen auf alle Fälle, daß die verwendeten Vektoren ihre Fähigkeit, genetisches Material ins Genom der Zelle hineinzutransportieren, nicht verlieren, wenn sie einmal für einen bestimmten Zweck eingesetzt worden sind. Wenn Gentechniker sich natürliche Hilfsmittel für ihr Programm besorgen, dann werden gar nicht zufälligerweise besonders schädliche Agentien freigesetzt oder geschaffen, deren Wirkungsweise bekannt, deren Wirken aber nicht beherrscht ist. Was zur Veränderung der Zelle taugt, ist eben deswegen besonders schädlich.
Zum anderen ist bei jeder Veränderung eines Genoms mit nicht vorhersehbaren "Neben"Effekten zu rechnen; schon allein deswegen, weil das übertragene DNA-Stück an einer nicht im voraus bestimmbaren Stelle in das ohnehin nur bruchstückhaft bekannte Genom der Wirtszelle eingebaut wird, so daß sich nicht absehbare Rückwirkungen auf und Wechselwirkungen mit anderen Genen ergeben. Wenn Gentechnologen daran gehen, in ihrer Wirkweise bekannte 'harmlose' Mikroorganismen neu zu kombinieren, müssen sie einräumen, daß sie als Naturwissenschaftler unmöglich die Eigenschaften des von ihnen manipulierten Organismus vorher angeben können.
"Bei der Anwendung dieser Technik sind Risiken aber nicht mit Sicherheit auszuschließen. Risiken können entstehen, wenn Organismen, die Träger neukombinierter Nukleinsäuren sind, das mit dem Versuch betraute Personal infizieren oder sich außerhalb des Labors unkontrolliert verbreiten. Es kann nicht immer vorausgesehen werden, wie sich die durch die neuen Nukleinsäure-Kombinationen veränderten Organismen verhalten werden, wenn sie an die Umwelt gelangen. Deshalb ist es notwendig, daß die Arbeiten unter sorgfältigen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden, um die beteiligten Menschen und die Allgemeinheit vor unerwünschten Folgen zu schützen." (Enquete, S. 196)
b) Für "Experimente, die eine Erweiterung der Wirtsspezifität von Retroviren auf den Menschen zum Ziel haben " (Enquete, S. 202) - ein wichtiges Vorhaben, um diese Viren als Vektoren handhabbar zu machen -, werden die zweitschärfsten Laborsicherheitsmaßnahmen (L3) empfohlen: Ein von der Umgebung abgeschirmtes Labor mit zweitüriger Schleuse, ohne Wasserversorgung, das unter ständigem Unterdruck zu halten ist, damit keine Luftströmung von innen nach außen erfolgen kann usw. usf. (Vgl. hierzu Enquete, S. 383 ff) Diese "sorgfältigen Schutzvorkehrungen" belegen zweierlei. Sie zeugen davon, daß die Gentechnologen - und ihre Auftraggeber - durchaus von den Unsicherheiten wissen, die mit ihrer Sorte Forscherei und 'Produktion' verbunden sind, daß sie es mit den diesbezüglichen Bedenken aber auch nicht übertreiben wollen. Neben ihren Hochsicherheitslabors mit Notstromversorgung und Alarmanlagen - falls der ein oder andere Ventilator doch mal ausfällt - verfügen diese Naturwissenschaftler über einen ausgesprochen lockeren Optimismus. In ihrer naturwissenschaftlichen Forschung legen sie Wert auf nachprüfbare Beweise; sobald sie sich zur Frage der sog. "Restrisiken" äußern, hört das schlüssige Argumentieren auf. Um die Geringfügigkeit der gewußten Gefahr plausibel zu machen, sind ihnen Aussagen wie "relativ selten, bisher nicht bekannt, weitgehend auszuschließen" allemal exakt genug. Ein paar Kostproben aus dem Bericht der Enquete-Kommission:
"Solche Rekombinationsereignisse in Zellkulturen sind allgemein ein Risikofaktor. Sie können stattfinden zwischen zwei verschiedenen Viren, zwischen verschiedenen Varianten eines Virus oder auch zwischen Viren nnd genetischem Material der Wirtszellen. Dabei können auch Viren mit veränderten Pathogenitäten entstehen. An derartigen Rekombinationsereignissen können Retroviren, Adenoviren, Herpesviren und andere beteiligt sein. Bei diesen Rekombinationsereignissen handelt es sich um relativ seltene Prozesse. Trotz der Züchtung astronomisch großer Zahlen an Adenoviren auch und gerade unter Bedingungen, die Rekombinationsereignisse mit der Wirts-DNA fördern, ist nicht bekannt, ob es zur Aufnahme eines menschlichen Onkogens oder eines anderen, evt. toxischen- Gens gekommen ist...
Bei Viren, die beim Menschen nicht infektiös sind, ist bislang ein besonderes Risiko nicht erkennbar geworden. Auch wenn dadurch die Chance, daß dank der neuen zellbiologischen und gentechnologischen Verfahren jetzt in vielen Laboratorien mit großem Kulturvolumina und vielen Zellpassagen gearbeitet wird, um ein Vielfaches erhöht wird," (steht so da. Gemeint ist offenbar die durch eine fabrikmäßig angewandte Gentechnologie erhöhte "Chance", daß für den Menschen zunächst nicht infektiöse Viren doch zu Krankheitserregern mutieren. Die bliebe klein, trotzdem. Das ist ein schöner Trost - neben der Mitteilung, daß viel Gentechnik die "Erweiterung der Wirtsspezifität" von Viren zum Ziel hat. Zur Erinnerung: Das ist nur ein anderer Ausdruck für die Herstellung von Infektiosität.) "handelt es sich bei den beschriebenen, in der Zelle ablaufenden Rekombinations- und Mutationsereignissen um relativ seltene Ereignisse." (Enquete S. 200)
Diese 'Argumentation' läßt sich auch umkehren, ohne an Plausibilität einzubüßen: Angesichts der "astronomisch großen Zahl von Züchtungen" wird die Wahrscheinlichkeit, daß ein an sich "relativ seltenes Rekombinationsereignis" eintritt, immer größer.
"Zusätzlich und unabhängig von Rekombinationsereignissen können auch Mutationen zur Veränderung von Struktur und Pathogenität durch Austausch, Einsatz oder Herausnehmen von DNA-Bausteinen führen. Dabei kann schon der Austausch weniger DNA-Bausteine zu schwerwiegenden Pathogenitätsveränderungen führen. Auch für diese Mutationsereignisse gilt, daß es sich um relativ seltene Vorgänge handelt." (Enquete, S. 200)
Und was ist los, wenn das "schwerwiegend pathogene Mutationsergebnis" - bei aller "relativen Seltenheit" - dann vorliegt und sich epidemisch weiterverbreitet: Das Ganze reduziert sich auf die ganz und gar nicht beruhigende Beteuerung, daß "unter den Wissenschaftlern eine weitgehende Beruhigung gegenüber den Cefahren dieser Technologie eingetreten ist." (Enquete, S. 209) Mehr als ihren guten Glauben, d ß alles schon irgendwie gut gehen wird, haben die Männer der Wissenschaft nicht anzubieten. Und das soll auch gleich noch den Grund dafür abgeben, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für gentechnologische Verfahren in industriellem Maßstab ausstellen zu können.
"Alle bisherigen Erfahrungen mit der Gentechnologie sprechen gegen die anfänglich vertretene Hypothese, daß mit der Neukombination von Nukleinsäuren ganz neue, bisher nicht absehbare und nicht definierbare Gefahrenpotentiale verbunden sein könnten. Die Grundlagenforschung unter vorbeugenden Sicherheitsmaßnahmen funktionierte insofern als eine Art implizite Sicherheitsforschung. Die Wahrscheinlichkeit, daß man neue, unbekannte Gefahrenpotentiale im Laufe von unzähligen Experimenten entdeckt hätte, wäre groß gewesen. Diese Erfahrungen kann man theoretisch vorsichtig extrapolieren, zumindest auf solche Stämme und Verfahren, die den in der Forschung verwendeten ähneln." (Enquete, S. 209)
Die Behauptung, im Bereich der vergleichsweise kleinen Grundlagenforschung hätten bisher keine Anhaltspunkte für "Gefahrenpotentiale" ergeben, ist falsch. Sie wird durch denselben Bericht ein paar Seiten vor der zitierten Stelle widerlegt:
"So hat es z.B. tödliche Erkrankungen durch das Marburg-Virus gegeben, ein Virus, welches in einer Affenzellkultur trotz monatelanger Quarantäne ausbrach." (Enquete S. 198), "1986 sind bei fünf Mitarbeitern des Institut Pasteur, die mit krebsauslösenden Viren und mutations- und krebsauslösenden Chemikalien arbeiteten, Krebserkrankungen aufgetreten." (Enquete, S. 200)
Die Frage, wie es sich mit den "Stämmen und Verfahren" verhält, die den in der Forschung verwendeten nicht ähnlich sind, wird lieber gar nicht gestellt. Leute, die es besser wissen, tun so, als hätten sie beispielsweise noch nie etwas davon gehört, daß jede gentechnologische "Neuzüchtung" auch den Ausgangspunkt für ganze Mutationsketten bilden kann. Deren vielfältige Resultate samt Wirkungen sind nie abzusehen; schon gar nicht dann, wenn eine massenhafte Züchtung im Labor - ganz zu schweigen von einer industriellen Produktion - auch entsprechend viele Mutationen hervorbringt, die in der Natur sonst nur in größeren Zeiträumen auftreten würden.
Auch folgender Erfahrungswert hat zur Beruhigung der Fachwelt beigetragen:
"Die Verwendung von Organismen/Viren, die an besondere Bedingungen im Fermenter (höhere Temperaturen, Sterilität) angepaßt sind, und daher in der natürlichen Umwelt nicht überleben können, verhindert in der Regel, daß sich die Organismen im Fall des Versagens des technischen Containments in der Umwelt ausbreiten und etablieren können." (Enquete, S. 209)
In der Regel wird also die "Ausbreitung in der Umwelt" verhindert - Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Und dann gibt es höchstens noch solche Mikroorganismen, die für ihre Ausbreitung und Etablierung zwar mit der "rauhen Umwelt" nichts anfangen können, sich dafür aber um so besser in ihrem "Wirtsorganismus" vermehren. Daß sie auf einen Übertragungsweg ohne Dazwischentreten der "Umwelt" angewiesen sind, also "nur" durch Blut oder direkten Schleimhautkontakt eine Infektion hervorrufen können, schließt ihre epidemische Ausbreitung eben überhaupt nicht aus.
II. Das Aids-Virus und die unerwünschte Frage nach seiner Herkunft
1. Erreger und Krankheitsbild
a) AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) wird durch eine Virusinfektion ausgelöst. Der Erreger HIV (Human Immunodeficiency Virus) ist ein Retrovirus. Abgesehen von seinen bisher noch nicht eindeutig zugeordneten Vorstufen oder Mutanten ist es das dritte menschenpathogene Retrovirus, das bisher beschrieben wurde. Der amerikanische Virologe Robert C. Gallo entdeckte 1978 und 1982 die ersten beiden für Menschen pathogenen Retroviren, HTLV I und HTLV II (Human T-cell-lymphotropic Virus), die T-Zell-Leukämien hervorrufen können. Das Aids-Virus befällt ebenfalls in erster Linie die T4-Lymphozyten. Es handelt sich bei diesen Zellen um eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die die Immunaktivität des Organismus - d.h. die Produktion von Antikörpern gegen Krankheitserreger - steuert. Wie bei allen Viren muß bei HIV eine Affinität der Virushülle zu der Zellmembran der Wirtszelle vorliegen, damit das Virus sein Genom in die Zelle einschleusen kann. Einigkeit herrscht bei Virologen mittlerweile darüber, daß das Virus mit einem bestimmten zellulären Oberflächenprotein - dem sog. T4-Marker - in Wechselwirkung tritt.
"Ist das Virus erst einmal im Körper, dann sind Zellen mit dem T4-Marker-Molekül sein Ziel. Dieses Oberflächenmolekül ist vor allem für T4-Lymphozyten charakteristisch, kommt aber auch auf anderen Zellen - den sogenannten Monozyten und Makrophagen - vor." (Robert C. Gallo, Das Aids-Virus, in: Spektrum der Wissenschaft, März 1987)
Auch Monozyten und Makrophagen, die ebenfalls zu den weißen Blutkörperchen gehören, werden von HIV infiziert. Diese Zellen können die sogenannte Blut-Hirn-Schranke zwischen Blut und Zentralnervensystem überwinden, wodurch das Virus ins Gehirn und Rückenmark eindringen kann.
b) Die pathogene Wirkung von HIV auf die T-Lymphozyten unterscheidet sich deutlich von den Folgen einer HTLV I- oder II-Infektion. Die Retroviren HTLV I und II können die Erbsubstanz der Lymphozyten so verändern, daß diese zu Leukämiezellen entarten können. Was diese Mutation auslöst, ist noch unbekannt. Feststeht nur, daß die Krebszellen bei dieser Sorte Leukämie identische Teilungsprodukte nur eines einzigen infizierten T-Lymphozyten sind, die Aufnahme des Virus in die Zelle allein also noch nicht den Krebs auslöst. Eine Virusvermehrung innerhalb der Zellen findet hier nicht statt.
Das in die zelluläre DNA integrierte HIV-Genom führt dagegen zu einer Aktivierung des Stoffwechsels der befallenen Zellen für die Neusynthese von Aids-Viren, die aus der Zelle freigesetzt werden und weitere Zellen infizieren. Die Virusvermehrung führt zum Absterben der T4-Lymphozyten, wodurch der Organismus die Fähigkeit zu einer wirksamen Immunabwehr verliert. Es kommt zu sog. opportunistischen Krankheiten und Infektionen - Krankheiten, die bei Menschen mit normaler Immunaktivität nur selten und dann nur in wesentlich schwächerer Form auftreten. Da es bislang kein Mittel gibt, die fortschreitende Vernichtung der T-Lymphozyten zu stoppen, führen diese Erkrankungen zwangsläufig zum Tod des Infizierten. Die Gründe der langen - meist mehrjährigen - Latenzphase zwischen der HIV-Infektion und dem Ausbruch der Aids-Erkrankung sind noch nicht geklärt. Es gibt jedoch Anhaltspunkte dafür, daß gerade die immunologische Aktivierung der T-Zellen bei beginnenden Infektionen zu einer Stimulierung der viralen Gene führt, wodurch die intrazelluläre Virusvermehrung in Gang kommt (Vgl. Robert C. Gallo, Das Aids-Virus, a.a.O.). Das würde bedeuten, daß gerade dann, wenn körpereigene Abwehrstoffe gebildet werden sollen, eine Vernichtung der die Immunantwort steuernden Zellen eingeleitet wird.
Über die pathogenen Wirkmechanismen des HIV in Gehirn und Rückenmark ist noch weniger bekannt. An Krankheitsbildern werden Demenzen, Lähmungen und Hirnhautentzündungen beschrieben. Sicher zu sein scheint nur, daß das Virus hier unabhängig von einer Immunschwäche unmittelbar pathogen wirkt und daß die HIV-Infektionen des Zentralnervensystems eine große Ähnlichkeit mit Gehirnkrankheiten aufweisen, die bei Huftieren durch das Visna-Maedi-Retrovirus ausgelöst werden.
"Forscher von der John Hopkins Universität fanden jetzt, in welchem Teil des Gehirns das Visna-Virus, ein naher Verwandter des Aids-Erregers HIV, sich vermehrt... Das könnte auch für die Aids-Forschung ein entscheidender Durchbruch sein; bislang sind nämlich die Zielzellen im Gehirn noch nicht bekannt." (Visna-Virus-Vermehrung in Zellen des Neurophils, in: Ärztliche Praxis, XXXVIII, Nr. 61, 2.8.1986)
"Das Retrovirus HIV ist offenbar in der Lage, relativ rasch das ZNS zu besiedeln. Manche Patienten erkranken auch an Enzephalopathien und sterben daran, ohne je irgendeine für Aids oder ARC typische Symptomatik zu zeigen. Wie L.G. Epstein von der New Jersey Medical School auf dem Münchner Infektiologie-Kongreß betonte, ist die virale Replikation ebenso wie die Produktion HIV-spezifischer Antikörper im ZNS mittlerweile gesichert. Besonders auffällig ist die Ähnlichkeit von HIV mit dem Visna-Maedi-Virus, das Slow Infections bei Schafen und Ziegen auslösen kann." (Aids-Enzephalopathie - Neurologische Störungen auch ohne Immundefekt, in: Ärztliche Praxis, XXXVIII, Nr. 68, 26.8.1986)
"Aids ist eine echte Retrovirusinfektion, die sich letztlich genauso verhält, wie man es von tierischen Retrovirusinfektionen gewohnt ist. Die bei Schafen seit vielen Jahrzehnten bekannte Retrovirusinfektion Visna ist recht weitgehend eine Kopie des menschlichen Aids." (Eilke Helm, Wolfgang Stille, Aids ist das Endstadium einer jahrelangen Erkrankung; in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.4.1987)
2. Das Aids-Virus unter antimilitaristischem Verdacht
Verwunderlich ist es nicht, wenn Kenner der Gentechnologie und Molekularbiologie auf die Idee kommen, HIV sei ein gentechnologisches Kunstprodukt. Professor Jakob Segal, ehemaliger Leiter des Instituts für allgemeine Biologie an der Humboldt-Universität in Ostberlin, hat seine diesbezüglichen Schlußfolgerungen in der "taz" vom 18.2.1987 und 26.3.1987 öffentlich bekanntgemacht. Er besteht darauf, das Aids-Virus sei "man-made in USA ", und zwar in einem Labor der US-Armee. Segal beruft sich auf die - von keinem Virologen bestrittene - Ähnlichkeit des Genoms des menschenpathogenen Aids-Virus mit dem tierpathogenen Visna-Maedi-Virus und auf die ebenfalls unbestrittene Gemeinsamkeit, die die Hülle des Aids-Virus mit der Hülle des HTLV I aufweist. Die Hüllen beider Viren zeichnen sich durch eine Eiweiß-Affinität zu dem T4-Markermolekül der Zellmembran der T4-Lymphozyten aus. Hierdurch können sowohl HIV als auch HTLV I in menschliche Lymphozyten eindringen. Segal zitiert genetische Untersuchungsergebnisse, in denen gezeigt wurde, daß die Genome von HIV und HTLV I in einem kleinen Nucleinsäureabschnitt übereinstimmen - eben in dem Abschnitt, der diese Hüllproteine codiert. Eine solche Übereinstimmung muß angesichts der bestehenden Übereinstimmung der Wechselwirkung beider Virushüllen mit dem T4-Oberflächenmolekül nach allen bekannten biologischen Gesetzen vorliegen.
Aus diesen Erkenntnissen schließt Segal, daß das Aids-Virus das Produkt einer gezielten Veränderung der Wirtsspezifität des Visna-Maedi-Virus ist. Aus den beschriebenen genetischen Besonderheiten schließt er auf einen gentechnologischen Eingriff, in dem das Genom des Visna-Maedi-Retrovirus um das Gen erweitert wurde, das bei HTLV das Hüllprotein für die Anheftung an menschliche T4-Lymphozyten codiert. Hierdurch wäre aus dem ursprünglich für menschliche Zellen ungefährlichen Virus ein neues menschenpathogenes Virus entstanden.
Seine molekularbiologische Argumentation verhält sich zu dem Interesse der Gentechnologen an den Retroviren und ihrer Veränderung wie die Analyse eines Beispiels zum allgemeinen Programm. Insofern läßt sich hieraus durchaus ein Schluß auf die Interessen ziehen, die in diesem Forschungszweig bestimmend sind (dazu später). Einen solchen Schluß zieht Segal nicht. Er stellt seine Analyse in den Dienst einer ganz anderen Beweisführung. Es geht ihm darum, eine lückenlose Indizienkette vorzulegen, die aufs imperialistische Militär als Auftraggeber für die Herstellung des Aids-Virus führt. Daß er das US-Militär für eine der übelsten Einrichtungen der Weltgeschichte hält und dem Pentagon jede Schweinerei zutraut, mag man Segal nicht vorwerfen. Als aufrechter Moralist kann er sich allerdings eine Argumentation gegen den imperialistischen Kriegsapparat nur als Aufdeckung von 'dunklen Machenschaften' vorstellen. Die Vorstellung, militärische Forschung sei böse und verbrecherisch und zu unterscheiden von ihren staatlichen, guten und demokratischen Auftraggebern, hat es ihm so angetan, daß er allen Ernstes zusammen mit seinem Gesprächspartner Stefan Heym in der taz die fiktive Frage aufwirft, ob die US-Regierung wohl "den Leuten, die das Aids-Virus hergestellt haben," die Erlaubnis geben würde, vor einem amerikanischen Gericht oder Kongreßausschuß auszusagen.
So interpretiert er seinen molekularbiologischen Befund als einen Beweis, daß das Aids-Virus nur durch Gentechnik entstanden sein kann, und übersieht dabei, daß, gerade wenn seine Überlegung stimmen sollte und das Virus gemacht ist, dem fertigen Produkt seine Entstehungsgeschichte nicht eindeutig nachzuweisen ist: Eine 'Nahtstelle' ist an einem RNA-Strang mit allen Mitteln der Molekularbiologie ebensowenig zu entdecken wie dasjenige Gen, das als letztes eine Mutation durchgemacht hat. Segal will jedoch seine naturwissenschaftlichen Überlegungen in eine quasi gerichtstaugliche "Beweiskette" einbauen, die zum schuldigen Verbrecher - dem US-Militär - führt. Ohne kriminalistische Spekulationen über den wahrscheinlichsten Tathergang kommt er dabei nicht aus. Er muß annehmen, daß der von ihm vermutete Gentechniker im Auftrag des Pentagon ein für die biologische Kriegsführung taugliches Virus konstruieren wollte. Da das Aids-Virus dies offensichtlich nicht ist, erklärt Segal es zum "mißglückten Lehrlingsstück " der Militärforscher. Er verweist auf ein Laboratorium mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen für biologische Experimente im Dienste der Armee, das bereits 1977 auf dem Gelände des Fort Detrick in Maryland eröffnet wurde. Er erinnert daran, daß durch Berichte des amerikanischen Kongresses längst offiziell bestätigt wurde, daß die US-Army radioaktives Material und biologische Kampfstoffe an menschlichem Versuchsmaterial ausprobiert. Die "freiwilligen Versuchspersonen" rekrutieren sich meist aus Strafgefangenen mit lebenslänglichen Haftstrafen, die im Falle ihres Überlebens mit der Freiheit 'belohnt' werden. Segal nimmt an, daß die zu Versuchszwecken Infizierten wegen der langen Inkubationszeit des Aids-Virus nach einigen Monaten für gesund gehalten und in die versprochene Freiheit entlassen wurden. Dort hätten sie ihre im Knast angenommenen homosexuellen Gewohnheiten fortgeführt und so für eine Ausbreitung des Virus gesorgt. Segal macht sich sogar die Mühe zu begründen, warum die freigelassenen Häftlinge wohl eher von der Millionenstadt New York als von Washington angelockt wurden, das von Maryland gleich weit entfernt liegt. Er legt darauf Wert, weil in New York 1979 die ersten Aids-Fälle registriert wurden.
Plausibel mag das alles sein - aber eben eine plausible Spekulation und damit durch eine Gegenspekulation anfechtbar. Das läßt sich die interessierte Fachwelt nicht entgehen.
3. Die Fachwelt schlägt zurück
a) Im Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt
"hält man von Segals Überlegungen nichts....Der Retrovirologe Löwer hält eine solche gentechnische Bastelarbeit auch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft für nicht machbar. Das hätten 'molekularbiologische Supermänner' sein müssen." (Frankfurter Rundschau, 18.3.1987)
Die Technik, Retroviren als Vektoren für genetische Manipulationen zu benutzen und zu diesem Zwecke ihre Wirtsspezifität zu verändern, kennt Professor Löwer natürlich haargenau. Für die Abfertigung der Segalschen Theorie bezieht er sich allerdings nicht auf diese sicher auch am Paul-Ehrlich-Institut durchaus "machbare" - "genetische Bastelarbeit". Er greift den von Segal selbst nahegelegten Maßstab auf, die unterstellten HIV-Bastler hätten nach einem vorher genau ausgetüftelten Plan ein neues Virus konstruiert und seien sich dabei über dessen zu erwartende Eigenschaften und Wirkungen im klaren gewesen. Diese Vorstellung ist leicht unter dem Beifall der Fachkollegen ins Reich der Utopie und "molekularbiologischen Supermänner" zu verweisen. Denn gerade die Fachwelt weiß am allerbesten, "daß nicht immer vorausgesehen werden kann, wie sich die durch neue Nukleinsäure-Kombinationen veränderten Organismen verhalten werden. ..." (Enquete, S. 196)
Dieselbe Argumentation versteht auch Professor Meinrad Koch, Leiter der Abteilung Virologie beim Robert-Koch-Institut in Westberlin, der in der taz vom 28.2.1987 auf Segal antwortete:
"Das Virus ist hervorragend an den Menschen adaptiert. Das als Produkt gentechnologischer Experimente hinzustellen, ist hirnrissig. Es macht eine Krankheit erst nach langer Inkubationszeit. Und dieses Virus bringt ja den Infizierten erst um, wenn er selbst für Nachkommen gesorgt hat. Ein solches Virus als Kampfmittel zu benutzen, scheint mir absurd."
Warum eine Adaption an den Menschen ein Einwand gegen die Theorie sein soll, ein Virus sei kein Produkt der Gentechnologie - wo eine nicht unerhebliche Abteilung dieser Wissenschaft sich mit der Konstruktion genau solcher Mikroorganismen beschäftigt -, bleibt das Geheimnis von Professor Koch. Recht hat er mit seinem nicht sonderlich originellen Hinweis, daß das Aids-Virus ein denkbar miserables Kampfmittel wäre. Aber wieso soll das eigentlich gegen Segals "Indizienkette" sprechen? Der Ostberliner Professor - dem sein Westkollege an anderer Stelle sein hohes Alter und damit das Recht, "nicht a jour zu sein", bescheinigt - war doch immerhin so realistisch, davon auszugehen, daß die Wirkungen der gentechnologischen Neuzüchtungen erst noch durch Versuchsreihen ausgetestet werden sollten.
Wo Segal behauptet, daß die Genome von HIV und HTLV I einander in einem einzigen kleinen Abschnitt entsprechen, setzt Koch dagegen, daß er "kaum" eine Übereinstimmung gefunden habe. Dieses "kaum" hält er für eine solide Grundlage für die Schlußfolgerung, beim HIV könne es sich unmöglich um ein Produkt der Gentechnologie handeln. Ein solches apodiktisches "geht nicht!" mag beruhigen; wissenschaftlich gesehen ist es (mindestens) genauso unhaltbar wie Segals umgekehrter 'Beweis'.
Daß HIV wie das Visna-Maedi-Virus zur Gruppe der Lentiviren gehört und daß sein Genom auch Übereinstimmungen mit dem des HTLV aufweist, wird von keinem der Wissenschaftler bestritten. Der Streit geht einzig und allein um verschiedene Interpretationen dieser Feststellung, denen man allerdings ihre Unterordnung unter die jeweilige Beweisabsicht anmerkt. Robert Gallo, der beweisen wollte, daß das Aids-Virus dem von ihm entdeckten HTLV sehr nahe verwandt ist, sprach anfangs von einer starken Übereinstimmung. Luc Montagnier vom Pasteur-Instit, der als Kontrahent von Gallo das Gegenteil beweisen wollte, interpretierte die Übereinstimmung von weniger als 10%, die er zwischen den Nucleinsäuresequenzen von HIV und HTLV gefunden hatte, als relativ gering (vgl. Deutsches Ärzteblatt, 19.3.1987).
Wenn Koch jetzt behauptet, er hätte mit verfeinerten Methoden so gut wie keine Übereinstimmung der DNA-Sequenzen von HIV und HTLV gefunden, widerspricht er nicht nur Segal, sondern auch den beiden "Virologen-Päpsten" Gallo und Montagnier, auf die er sich bezüglich ihrer Mutations-Theorien zum Aids-Virus sonst beruft.
In der Sache geht der Streit um folgendes. Die Aufklärung der Nucleinsäuresequenz ist nicht das Problem. Strittig ist, welches Maß an Übereinstimmung der Basenabfolge man fordern muß, um von ursprünglich gleichartigen Sequenzen in dem Teil des Genoms, der das entscheidende Hüllprotein codiert, ausgehen zu können. Koch fordert offensichtlich eine hundertprozentige Übereinstimmung. Segal betrachtet eine 50-prozentige Übereinstimmung der Nucleotid-Paare als ausreichenden Beweis für seine Theorie. Er bezieht sich bei seiner Einschätzung auf den ausgesprochen variablen Genomstrom der Retroviren - also auf deren Tendenz zur Mutation. Dieses Faktum wird ebenfalls von keinem Virologen bestritten:
"Das Aids-Virus ist das komplizierteste Retrovirus, das je gefunden wurde, und es verwandelt sich ständig. Jedes HIV ist anders." (Dr. Helga Rübsam-Waigmann von der Georg-Speyer-Stiftung in Frankfurt, lt. FR, 18.3.1987)
Bei dem Streit um viel oder wenig Ähnlichkeiten zwischen den Viren steht Interpretation gegen Interpretation, streiten läßt sich bestenfalls um die Plausibilität. Genauso ist es mit der Beurteilung des Sicherheitslabors im Gebäude 550 in Fort Detrick. Segal ist überzeugt, daß dort hochbrisante militärische Experimente durchgeführt werden. Koch hält es für eine Widerlegung, wenn er damit angibt, daß er erstens dieses Gebäude höchstpersönlich besichtigt habe und daß es zweitens seines Wissens überhaupt nur ein einziges Mal und drittens nie militärisch genutzt worden sei. Ob der Mann allen Ernstes glaubt, daß das Pentagon ihn im umgekehrten Fall immer informiert hätte? Unrichtig ist auf jeden Fall seine Behauptung, die Experten seien heute davon überzeugt, daß "kein Experiment solcher Hochsicherheitsvorkehrungen bedarf". Er sollte mal den Bericht der Enquete-Kommission des Bundestags S. 383-401 nachlesen. Prof. Koch ist übrigens seit 1976 erster Vorsitzender der Kommission für die biologische Sicherheit bei der Neukombination von Nucleinsäuren.
Als wichtiger Einwand gegen Segals Theorie wird schließlich noch angeführt, Gallo habe HTLV I erst 1981 (Prof. Koch in der taz) bzw. "Ende 1980" (Rita Süssmuth, Aids - Wege aus der Gefahr, Hamburg 1987, S. 46) entdeckt. Wenn sie das schon für ein so entscheidendes Argument halten, sollten die Experten vielleicht einmal bei Gallo selber nachlesen. Er gibt nämlich in all seinen Veröffentlichungen das Jahr 1978 als Entdeckungsjahr an (Vgl. Robert C. Gallo, HTLV 1 - das erste menschliche Retrovirus, in: Spektrum der Wissenschaft, Feb. 1987)
b) Um die Segalsche These zurückzuweisen, ist die versammelte Fachwelt auffällig darum bemüht, ihr wissenschaftliches Licht unter den Scheffel zu stellen. Um eine Inschutznahme des Militärs geht es ihnen dabei nicht - daß zu militärischen Zwecken Versuche an Strafgefangenen durchgeführt werden, hat in der ganzen Debatte zum Beispiel kein Mensch zurückgewiesen. Als Männer der reinen Forschung sind sie darüber entrüstet, daß ihre Wissenschaft unter einen schmutzigen Verdacht gestellt wird. Mit dem besten Gewissen der Welt vergessen sie sämtliche Restrisiko-Debatten und leugnen wider besseres Wissen alle Errungenschaften und Verfahrensweisen, zu denen es die Gentechnologie mittlerweile gebracht hat.
Noch mal Professor Koch in der "taz".
"Die Gentechnologie ist nur eine Nachahmung der Natur. Wir benutzen die gleichen Werkzeuge, nur wir können zielgerichteter und schneller vorgehen. Überleben kann in der Natur nur, was ihr gut angepaßt ist. Was wir im Labor herstellen, kann in der Natur nicht überleben. Denn die Rekombinanten, die die Natur selbst durch Trial und Error gefunden hat, die finden wir draußen in der Natur vor. Was wir im Labor machen, hat die Natur sicher auch schon einmal ausprobiert, aber es war nicht überlebensfähig." Man fragt sich, welche Laune die Natur bewogen hat, ihren Rekombinanten, der Aids auslöst, erst ausgerechnet kurz vor Ende des 2. nachchristlichen Jahrtausends "auszuprobieren".
Immerhin erklärt der gute Mann hier genau genommen seine ganze Zunft für überflüssig. Aber der Einsatz für die Reputation seiner Wissenschaft scheint ihm diese kleine Täuschung wert zu sein. Die Verwalter der Forschungsetats werden ihn sicher nicht beim Wort nehmen.
In anderen Zusammenhängen - wenn sie beispielsweise ihre neuesten Forschungsergebnisse einer interessierten Fachöffentlichkeit vorstellen - sind Molekularbiologen nicht so bescheiden. Da liest man dann z.B. folgendes:
"Sie" (Kollegen von der Columbia University in New York) -schleusten das T4-Gen in Zellen ein, die diesen Marker normalerweise nicht tragen und nicht infiziert werden. Wurde dieses Gen exprimiert, d.h. der Marker synthetisiert und in die Zellmembran eingebaut, so ließ sich jede beliebige menschliche Zelle (mit HIV) infizieren." (Robert C. Gallo, Das Aids-Virus, in: Spektrum der Wissenschaft, März 1987).
c) Die Theorien der Virologen über einen natürlichen Ursprung des Aids-Virus gehören genauso wie Segals "Beweiskette" ins Reich der Spekulation. Die Vorstellungen und Wahrscheinlichkeiten, die sie anzubieten haben, sind allerdings um einiges dubioser als die Segalschen Annahmen. So wird schon der Befund bestritten, der ja nicht bloß dem Prof. Segal zu denken gegeben hat, nämlich daß es sich bei Aids um eine neue Krankheit handelt. Daß das dazugehörige Krankheitsbild früher noch keinem Mediziner aufgefallen ist, soll unerheblich sein; da wären die Krankheitsbilder eben verwechselt worden, oder an hätte bloß die opportunistische Infektion diagnostiziert, die zum Tod des Patienten führte, statt auf ein Immunschwäche-Syndrom zu schließen. Da mit diesem Argument - im Unterschied zur ideologischen Botschaft - logisch gar nicht mehr behauptet wird als eine nicht ganz auszuschließende Möglichkeit, ist ein Streit darüber müßig. Daß Aids erst seit knapp einem Jahrzehnt epidemisch auftritt, also auf alle Fälle eine neue Seuche ist, läßt sich mit dieser Verwechslungstheorie sowieso weder widerlegen, noch ist es zu erklären, wenn man ein höheres Alter dieser Krankheit annimmt. Im übrigen sind Täuschungen nicht so naheliegend, wie der Laie denken soll:
"Bei den Tumoren ist die Hauptmanifestation das Kaposi-Sarkom, den es vor der Aids-Ära praktisch in Europa nicht gegeben hat. Dieser... Tumor... war schon Gegenstand der Tropenmedizin, als von Aids noch gar nicht die Rede war. Ein Kaposi-Sarkom wurde in der Vergangenheit sicherlich nicht übersehen. Daher muß man das ganze Gerede, Aids sei etwas Altes, das habe man nur neuerdings diagnostiziert, zurückweisen: Aids ist sicherlich eine neue Erkrankung." (Eilke Helm, Wolfgang Stille, a.a.O.)
Bleibt das Stichwort "Tropen". Daß Aids aus Afrika stammen soll, konnte man in allen einschlägigen Illustrierten lesen. Namhafte amerikanische Virologen wie Robert Gallo und Max Essex habe diese Theorie in Umlauf gebracht. Sie berufen sich dabei erstens auf alte, "gebunkerte" afrikanische Blutseren aus den sechziger Jahren, in denen angeblich Antikörper gegen HIV nachgewiesen werden konnten. (Inzwischen ist Seemannsblut aus dem Jahr 1959 hinzugekommen: Rita Süssmuth, a.a.O.) Daß die Diagnose eines Erregers durch den Nachweis von Antikörpern schon bei frischen Blutseren ihre Tücken hat, weiß jeder Arzt. Es wird nicht das Virus selbst nachgewiesen, sondern die gegen den Erreger gebildeten Abwehrstoffe. Bei dieser Nachweismethode kommt es zu sog. Kreuzreaktionen, d.h. das Reagenz reagiert mit Antikörpern, die gegen einen anderen Erreger gebildet wurden. Hierdurch kommt es zu einem "falsch positiven" Testergebnis. Das Bundesgesundheitsministerium weist im Rahmen seiner Aids-Aufklärungskampagne beispielsweise darauf hin, daß bei den derzeit gängigen Nachweismethoden für HIV-Antikörper mit ca. 10% falsch positiven Ergebnissen zu rechnen ist.
Die bei jahrelang tiefgefrorenen Blutseren zu erwartenden Eiweiß-Denaturierungen schränken die Aussagekraft dieser Tests noch zusätzlich erheblich ein. All das ist längst bekannt, die ursprünglichen Aussagen über die alten Blutproben wurden mittlerweile in der Fachpresse auch teilweise zurückgenommen, trotzdem wird sich weiterhin unverwüstlich - auch von Prof. Koch - auf diese Geschichte berufen.
Zweitens wird darauf hingewiesen, die Durchseuchung der afrikanischen Bevölkerung mit HIV sei im Vergleich mit der Durchseuchung in anderen Kontinenten besonders hoch. Auch wenn das stimmt - gestritten wird nämlich auch hierüber -, ist das weniger ein Beweis für ein afrikaursprüngliches Virus als für die verheerenden hygienischen Zustände, unter denen der Großteil der dortigen Bevölkerung im Zeitalter der Entwicklungshilfe zu leben gezwungen ist. Der Hinweis, daß in den meisten zentralafrikanischen Staaten keine Mittel vorhanden seien, um Blutkonserven auf Aids-Antikörper zu überprüfen, fehlt in keiner epidemiologischen Studie.
Drittens wollen afrikanische Virologen die grüne Meerkatze als Urwirt des Aids-Virus entdeckt haben. Bei dieser afrikanischen Affenart wurde zwar nie ein Aids-Virus festgestellt, sondern das Simian-T-lymphotrope Virus III (STLV III), von dem Gallo folgendes berichtet:
"Das Affen-T-lymphotrope Virus III könnte durchaus ein Vorfahr des Aids-Erregers sein; es ist mit HTLV III" (so bezeichnete Gallo ursprünglich das Aids-Virus) "näher als mit jedem anderen tierischen Retrovirus verwandt. Allerdings ist die Verwandtschaft nicht besonders eng. Außerdem ruft das Affenvirus in seinem natürlichen Wirt keine Erkrankung hervor." (Robert C. Gallo, Das Aids-Virus, a.a.O.)
Der Affe könnte also der Ausgangspunkt für Aids sein oder auch nicht, weil sein Virus dem Aids-Virus einerseits irgendwie ähnlich ist, dann aber auch wieder ziemlich anders. Wenn Prof. Koch an seinen berühmten Kollegen Gallo den gleichen kritischen Maßstab anlegen würde wie an Segal, müßte er wahrscheinlich zugeben, daß die Übereinstimmungen auch nicht größer sind als zwischen HIV und HTLV I.
Wo sowieso nur im Konjunktiv geredet wird, kann man genauso munter weiterspekulieren:
"Eine einleuchtende(?) Hypothese ist, daß STLV III irgendwie(?) in den Menschen gelangte und dort eine Reihe von Mutationen durchmachte." (Robert C. Gallo, Das Aids-Virus, a.a.O.)
Eine Begründung, warum man ausgerechnet diese Ansammlung von Unbestimmtheiten so furchtbar einleuchtend finden soll, wird nicht geliefert.
Der Leiter des Pariser Pasteur-Instituts, Professor Luc Montagnier, mit dem Gallo im Streit liegt, wer zuerst das Aids-Virus entdeckt hat, hat auch keine andere Theorie anzubieten. Er möchte nur nicht völlig ausschließen, daß vielleicht auch früher der Affe mal vom Menschen gebissen wurde.
"Es gibt da nichts als Spekulationen. Eine ist, daß das menschliche Virus auf die Affen übergesprungen ist; die andere ist, daß das Virus vom Affen auf den Menschen übertragen wurde. Ich persönlich halte letzteres für wahrscheinlicher, weil ein Affe eher einen Menschen beißt als umgekehrt." (taz, 16.4.1987)
Zur Theorie Segals fällt ihm im wesentlichen ein, daß er sie nicht glaubt:
"Dies ist kein vom Menschen hergestelltes Virus. Diese von einigen Kollegen in der DDR aufgestellte These ist angesichts der von uns analysierten Sequenz sehr unwahrscheinlich." (ebd.)
Einen wissenschaftlichen Beweis für ihre Mutations-Theorie, die sich irgendwo zwischen Affe und Mensch abgespielt haben soll, -kann die Fachwelt nicht liefern. Um so mehr wird an die Vorstellungskraft appelliert; mitten in einem Artikel über seine neuesten molekularbiologischen Entdeckungen in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift präsentiert Gallo beispielsweise das Foto eines Affen. Ein Foto von Fort Detrick hätte ungefähr dieselbe Beweiskraft für die Segalsche These. Daß der amerikanische Top-Virologe Gallo offensichtlich Schwierigkeiten hat, zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und epidemiologischen Spekulationen zu unterscheiden, hat er auch in Veröffentlichungen über das von ihm entdeckte erste menschliche Retrovirus (HTLV I) demonstriert. Zur Untermauerung seiner Theorie, daß dieses Virus ursprünglich aus der grünen afrikanischen Meerkatze stammt, greift er auf Bildbeschreibungen alter japanischer Holzstiche zurück:
"Portugiesische Kaufleute könnten - mit Sklaven oder Affen aus Afrika - HTLV I nach Japan eingeschleppt haben. Im sechzehnten Jahrhundert kamen portugiesische Seefahrer mehrfach nach Japan. Einen solchen Besuch zeigt diese zeitgenössische japanische Darstellung. Links erkennt man einen Afrikaner, der einen Baldachin über zwei in lebhafte Unterhaltung verwickelte portugiesische Kaufleute hält, im Hintergrund sind neugierige Einheimische zu sehen." (Robert C. Gallo, HTLV I - das erste menschliche Retrovirus, a.a.O., S. 54)
Ein Streit, in dem wissenschaftliche Erkenntnisse ausgetauscht und überprüft werden, ist das ganze Hin und Her wirklich nicht. Alle Beteiligten verstehen sich darauf, ihre Fachkunde in den Dienst politischer Interessen zu stellen; und wahrscheinlich sind sie diese Art, wissenschaftlich zu denken, so gewöhnt, daß sie es noch nicht einmal merken.
III. Die merkwürdige Allianz von Gentechnologen und Imperialisten
1. Die Männer der Wissenschaft...
a) Die wissenschaftlichen Experten der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages haben zur Wahrscheinlichkeit von Mutationen bei tierpathogenen Retroviren folgendes vermeldet:
"Ein entscheidender Sicherheitsfaktor besteht darin, daß bei Retroviren, zu deren Wirtsbereich der Mensch nicht gehört, trotz ihrer genetischen Instabilität eine zufällige Änderung des Wirtsbereichs, die solche Viren für den Menschen infektiös machen, ausgeschlossen ist. Eine Änderung der Infektiosität, die solche Viren etwa über die Atemwege wirksam werden lassen würde, setzt eine Vielfalt von Mutationen der Virushülle voraus, die als ein zufälliges Ereignis ausgeschlossen ist." (Enquete, S. 200)
Wenn das stimmt, dann hätte Segal - zumindest in dem Punkt, daß es sich bei dem Aids-Virus um ein gentechnologisches Kunstprodukt handelt - zweifellos recht. Und dann wiederum wäre es, gelinde gesagt, ein sträflicher Leichtsinn, den Gentechnologen die Behauptung zu glauben, daß sie prinzipiell nur völlig ungefährliche Mikroorganismen herstellen. Wenn die wissenschaftlichen Kontrahenten von Segal aber mit ihrer Mutations-These richtig liegen, dann widerlegen sie das fachmännische Urteil der Experten-Crew des Deutschen Bundestages als falschen, zweckdienlichen Optimismus. Diese Fachleute wollten in der zitierten Stellungnahme selbstverständlich gar nichts über die Entstehung des HIV gesagt haben - hätten sie daran gedacht, hätten sie sich vielleicht sogar ein wenig anders ausgedrückt. Aber das macht die Sache nicht besser. Es ging um die sachgemäße Beurteilung der "Restrisiken" der Gentechnologie und unter dieser Fragestellung schließen die Fachleute gefährliche zufällige Mutationen eben aus.
Wie man es auch dreht und wendet - das Aids- Virus blamiert die Sicherheitsphilosophie der Gentechnologen.
b) Die maßgeblichen Vertreter dieser Naturwissenschaft sind schwer daran interessiert, ihr "Handwerk" weiter auszubauen. Von diesem Standpunkt aus interpretieren sie sämtliche negativen Wirkungen, die sich notwendigerweise aus ihren genetischen Manipulationen ergeben, als völlig unbedenkliche, harmlose "Restrisiken". Diese Überzeugung gehört geradezu zu ihrem Berufsethos. Die dazugehörige korrupte Denkweise ist ihnen als "Sicherheitsphilosophie" in Fleisch und Blut übergegangen. Solchen Fachleuten soll der naturwissenschaftliche Laie blind vertrauen, wenn sie immer wieder beteuern, daß sie sich nur zum Wohle des menschlichen Fortschritts oder sonst eines hehren Gutes an die Arbeit machen. Sie fordern den Glauben, daß sie Krankheiten immer heroisch bekämpfen, nie erzeugen - das selbstverständlich auch für Aids.
Ihre Forschungspraxis sieht genauso aus wie ihre Sicherheitsphilosophie. Für diese Schlußfolgerung braucht es keinen Indizienbeweis, der zu dem einen oder anderen "Ausrutscher" führt. Es kann erstens gar nicht ausbleiben, daß bei der Neukombination von genetischem Material Organismen mit unabsehbaren Eigenschaften und unkontrollierbaren pathogenen Wirkungen entstehen. Zweitens ist jedes gentechnische Produkt ein Ausgangspunkt für Mutationen deren Resultat bekanntlich immer ungewiß ist. Durch entsprechende Zellkulturen und Nährböden wird in den Labors ja dafür gesorgt daß Viren und Bakterien sich in einem Umfang vermehren, der sämtliche Vermehrungsraten von Mikroorganismen in der "freien Natur" um einige Zehnerpotenzen in den Schatten stellt. Für die Konstrukteure handelt es sich bei schädlichen Endergebnissen soweit sie nicht auf dem Sektor der biologischen Kampfmittel arbeiten - allemal um "unerwünschte Nebenwirkungen". Dummerweise werden die dann für Leute, die daran krepieren, zur nicht zu übersehenden "Hauptwirkung". Daß es beim Personal der entsprechenden Laboratorien hin und wieder zu "unerklärlichen Todesfällen" kommt, ist kein Geheimnis; die Sicherheitskommission führt darüber Buch und gründet Untersuchungskommissionen.
c) Böswillige, dunkle Absichten gibt es bei den maßgeblichen wissenschaftlichen Größen der Molekularbiologie nicht zu entlarven. Sie präsentieren sich der Öffentlichkeit genau so, wie sie nun mal sind: als bornierte Fachidioten. Arbeitsteilig eingeordnet, verfolgen sie mit beachtlicher Sturheit ihre großen Forschungsaufgaben und denken dabei nur an die Viren, die sie gerade bearbeiten, oder an ihre neuesten "Erst"-Entdeckungen, die sie der interessierten Fachwelt vorlegen wollen. Je höher sie in der Wissenschaftswelt angesehen sind, um so mehr sind sie von sich als Forscherpersönlichkeit überzeugt, die - neben der sowieso selbstverständlichen materiellen Vergütung ihrer Leistungen - ein Menschenrecht auf "Forscherruhm" einklagen kann.
Daß dieses Gehabe keineswegs eine bloße Privatspinnerei ist, sondern ihren Forschungsergebnissen anzumerken ist, haben sie gerade bei der Entdeckung und Erforschung der Aids-Viren in den letzten Jahren unter Beweis gestellt. Die beiden "anerkanntesten Virologen der westlichen Hemisphäre" - der US-Professor Gallo vom Bethesda Laboratorium und Prof. Luc Montagnier vom Pariser Pasteur-Institut - liefern sich seit 1983 einen erbitterten "Gelehrtenstreit" um die spannende Frage, wer wann und wo eindeutig zuerst den Aids-Erreger entdeckt hat. Welche Kindereien sich diese Nobelpreis-Aspiranten wechselseitig zutrauen, also wohl auch praktizieren, haben sie dabei ausgeplaudert. Montagnier beschuldigt die amerikanischen Kollegen als "Virusklauer". Sie sollen angeblich eine vom Pasteur-Institut überlassene Viruskultur einfach hochgezüchtet und dann das Virus als eigene Entdeckung vorgestellt haben. Seither verschickt das Pasteur-Institut keine Kulturen mehr an Gallo (das fördert die Wissenschaft). Daß jeder seine Entdeckung mit einem anderen Namen bezeichnet hat, war sowieso klar. Eine Einigung zwischen den beiden Top-Virologen, ob die Viren, die sie entdeckt hatten, identisch waren, war nicht möglich. Um das Durcheinander von Virus-Bezeichnungen und die Unklarheit darüber, wie viele verschiedene Viren damit gemeint waren, zu beseitigen, mußte die Weltgesundheitsorganisation WHO als richtende Instanz tätig werden. Seither ist klar, daß die von Montagnier und/oder Gallo entdeckten Dinger identisch sind und einheitlich HIV I heißen. Beim Staatsbesuch des französischen Premierministers im März 1987 in Washington war der Streit zwischen den beiden Laboratorien Gegenstand der Verhandlungen zwischen Reagan und Chirac. Man versprach, sich von höchster Stelle aus um eine einvernehmliche Einigung zu bemühen.
Inzwischen tobt derselbe Zirkus anläßlich der mittlerweile von den konkurrierenden Instituten entdeckten Varianten des ersten Aids-Virus. Ob das "französische" LAV 2 mit dem "amerikanischen" HTLV IV identisch ist, sollte die WHO auf ihrer Konferenz im Februar 1987 in Genf entscheiden. Das Urteil steht bislang aus.
Inzwischen wird in sämtlichen Labors nach einem Impfstoff gegen Aids geforscht. Die beteiligten Wissenschaftler wissen, daß "die Zeit drängt": Die Konkurrenz schläft nicht!
2. ...und ihre Auftraggeber
Mit ihrer Sicherheitsphilosophie, ihrer wissenschaftlichen Praxis und ihrem lächerlichen bis widerlichen Ehrgeiz sind diese Naturwissenschaftler die passenden Figuren zur Erledigung eines staatlichen Auftrags, dessen Inhalt sie überhaupt nicht zu kennen brauchen. Die Auftraggeber äußern sich folgendermaßen:
"Sollten die Chancen der Gentechnologie durch allzu umfassende Regelungen und schwerfällige, sachfremd bestimmte Entscheidungsabläufe eingeschränkt werden, so kann dies schwerwiegende Konsequenzen für die zukünftige Entwicklung dieses Wissensgebietes in unserem Lande haben. Die Bundesrepublik Deutschland wird dann in die Rolle eines Zuschauers versetzt, der von den Chancen nur noch indirekt profitiert. Sie wird aber keinen Einfluß mehr darauf haben können, daß die Entwicklung in dem von ihr gewünschten Sinne verläuft." (Aus dem Zusatzvotum der Kommissionsmitglieder der CDU/CSU der Enquete-Kommission zu Abschnitt D: Übersicht über gentechnologische Forschung und Entwicklungsstand, Förderung und internationaler Vergleich, Enquete, S. 281)
a) In wel@hem Sinne die Entwicklung der Gentechnologie denn durch die BRD beeinflußt werden sollte, könnten die Parlamentarier garantiert nicht angeben. Darauf kommt es auch überhaupt nicht an. Deutschen Politikern fällt angesichts eines Berichts über die neuesten molekularbiologischen Errungenschaften im wesentlichen "Deutschland vor!" ein. Auch ohne den Unterschied zwischen DNA und RNA erklären zu können, ist ihnen sofort klar, daß die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie ihre weltpolitischen Interessen tangiert. Die Vorstellung, die BRD könnte auf irgendeinem Gebiet der Naturwissenschaft nicht zu den führenden Nationen der Welt gehören, ist ihnen unerträglich.
Was das Entsetzliche daran sein soll, wenn man mal bei der wissenschaftlichen Arbeit von anderen zuschaut und dann von deren Ergebnissen profitieren kann, müssen Imperialisten gar nicht erst erläutern. Abgesehen davon, daß ein Gebilde wie die Bundesrepublik Deutschland schon mangels Augen nirgends hinsehen kann, meinen sie mit ihrem blöden Bild ja auch etwas anderes: "Zuschauende" Nationen, das sind solche, die sich einem fremden nationalen Interesse unterordnen müssen. Mindestens 90% der Staaten dieses Globus wurden nicht zuletzt durch den tatkräftigen Einsatz bundesdeutscher Politiker auf diese "undankbare Rolle" festgelegt. Und in Bonn wird weiter heftig daran gearbeitet, durch den Einsatz deutscher Macht und Geschäftsmittel der restlichen Staatenwelt, die bei den EG-Partnern anfängt und dann einmal so ziemlich um die Weltkugel führt, ihre "indirekten" Chancen gemäß bundesdeutschen Interessen zu diktieren.
Nun ist die Vorstellung, die Weltmachtstellung der BRD hinge tatsächlich an dem Genie und dem staatlich geförderten Forscherdrang deutscher Naturwissenschaftler, einerseits maßlos überzogen. Was wäre denn verloren, wenn die Bundesregierung gentechnologische Forschungsprojekte an deutschen Laboratorien nicht großzügig fördern und restriktivere Sicherheitsbestimmungen erlassen würde? Eine BRD ohne original schwarz-rot-goldene gentechnologische Erkenntnisse? Na und! Auch die CDU-Abgeordneten, die das als erschreckendes Zukunftsgemälde an die Wand gemalt haben, sind sich selbstverständlich darüber im klaren, daß die Größe der Nation von ganz anderen Errungenschaften abhängt. Sie wissen, was sie am florierenden bundesdeutschen Kapital haben, das längst die ganze Welt als Anlagesphäre benutzt und zu Hause auf eine billige, jederzeit verfügbare Arbeiterschaft zurückgreifen kann die durch nichts aus ihrem sozialen Frieden zu bringen ist. Deshalb kann man sich in Bonn in aller Ruhe um die wirklich wichtigen nationalen Fragen kümmern: Wie steht's um die Wirtschaftskraft der Nation und die weltweite Nachfrage nach DM? Und wie viele neue Waffensysteme will man sich als zweitstärkste NATO-Macht zulegen? Das alles geht auch ohne Gentechnologie in den eigenen Grenzen. Zumal man sich sicher sein kann, daß das Kapital sich profitträchtige gentechnologische Produktionsverfahren ganz ohne nationalistische Vorbehalte nach geschäftlichen Kalkulationen verschafft. Da zählt die Größe des Kapitals und nicht die nationale Farbe der Erfindung.
Andererseits denken imperialistische Politiker, gerade weil sie auf die Grundlagen ihrer gegenwärtigen Macht setzen, realistisch in die Zukunft. "Die Zukunft besetzen" ist für sie mehr als ein dummer Spruch. Sie legen den größten Wert darauf, die Erforschung und Beherrschung sämtlicher Naturgesetze unter nationaler Regie zu organisieren - egal, ob es sich um die Erforschung des Weltalls, des Atomkerns oder um die Möglichkeiten der technischen Manipulation des Erbmaterials handelt. Grundlagenforschung und Forschungsprogramme, die die technische Verwendbarkeit der erzielten Ergebnisse prüfen, werden in all diesen Bereichen staatlich gefördert. Die Ergebnisse, die die Wissenschaft hervorbringt, und wie deren potentieller Nutzen dann hinterher genau aussieht, kann im voraus nie angegeben werden. Aber den Staatsmännern wären einige ihrer schönsten Machtmittel versagt geblieben, wäre z.B. ein Otto Hahn, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Atomkerne zu spalten, in seiner Forschung nicht unterstützt worden. Denn eines ist sicher: Wenn verwertbare Resultate vorliegen, dann werden sie aufjeden Fall für den wirtschaftlichen und militärischen Nutzen der Nation eingesetzt. Dafür stehen die Politiker mit ihren Sorgen um eine "drohende Zweitklassigkeit" ihrer Nation gerade; denn die sind eine einzige Absichtserklärung, sämtliche Abteilungen der Naturbeherrschung zu Mitteln der nationalen Konkurrenz zu machen. Es ist die Aussicht auf potentielle Macht- oder Geschäftsmittel für den internationalen Konkurrenzkampf, die bundesdeutsche Politiker zu begeisterten Anhängern des "High Tech" und "High Chem" made in Germany macht. Die Führer einer Weltmacht pflegen das Ideal einer nationalen Autarkie in Fragen der Forschung und Technologie. Die Vorstellung, im eigenen Machtbereich nicht über die Patente - für was auch immer - zu verfügen, ist für sie gleichbedeutend mit einer potentiellen Erpreßbarkeit durch andere Staaten. Und das können sie überhaupt nicht leiden. Insofern kann man den "Sinn der Entwicklung", den die CDU-Parlamentarier sich wünschen, schon angeben: Richtig läuft die Sache immer dann, wenn die anderen von "uns" abhängig sind.
Das ist der Motor des losgelassenen Forschungsdrangs, über den eine Mannschaft hingebungsvoller Fachidioten in jedem Land verfügt, und es wäre nicht einmal günstig, wenn sie es wüßten: Die Naturforscher der vordersten Front sind die Funktionäre eines imperialistischen Anspruchs, der jedes Stück Naturbeherrschung zur Waffe im internationalen Konkurrenzkampf erklärt und macht und keine Chance verpassen will.
b) Was Aids betrifft, lautet der staatliche Auftrag an die Wissenschaft derzeit, für die Entwicklung eines Impfstoffs zu sorgen. Ein moderner kapitalistischer Staat kann Zustände nicht leiden, in denen die Brauchbarkeit seines Volkskörpers von der Verbreitung eines Virus abhängen könnte. Wie alles, ist auch diese Forscherei im Kapitalismus eine Frage des Geldes. Ein Mann wie Kanzler Kohl weiß dabei sofort zwischen dem staatlichen Interesse an einer wirksamen Bekämpfung von Aids und dem notwendigen Schutz der Staatskasse vor "Ansprüchen" der Betroffenen zu unterscheiden. Er ist sich sicher, daß sich die von oben heftig geschürte Betroffenheit der Bevölkerung in klingende Münze verwandeln läßt, mit der alles Nötige an Hilfe zu finanzieren ist: In Erinnerung an die altbewährte Krebshilfe-Masche hat er die Gründung einer Aids-Stiftung angeregt, die über mildtätige Spenden finanziert werden soll. Die gibt es inzwischen auch. Was andererseits den Konkurrenzkampf um staats- und geschäftsdienliche Pharma-Patente betrifft, hat der Forschungsminister Ende April des Jahres Großzügigkeit versprochen: Alles, was Erfolg verspricht, auch Unkonventionelles, werde ohne Rücksicht auf die Kosten aus Riesenhubers Haus gefördert.
Da das staatliche Interesse an Seuchenbekämpfung und die Geschäftsinteressen der heimischen Pharmakonzerne sich hier hervorragend decken, ist die Finanzierung der diversen Forschungsprogramme gesichert. Die unermüdlich forschende Wissenschaftlercrew, die zuerst einen halbwegs wirksamen Aids-Impfstoff präsentieren kann, kriegt nicht nur den Nobelpreis und jede Menge Eintragungen in künftigen Lehrbüchern der Geschichte der Medizin, sie wird vor allem ihren Auftraggebern zu einem Jahrhundertgeschäft verhelfen. Denn mindestens so wichtig wie der Nachweis der Wirksamkeit eines potentiellen Impfstoffs wird seine Anmeldung beim zuständigen Patentamt sein. Die Aussicht auf Riesenprofite und das Wissen um die ärgerlichen Fortschritte der ausländischen Konkurrenz haben die beiden deutschen Pharma-Multis Bayer und Hoechst dazu bewogen, ab März 1987 ihre Aids-Forschung zusammenzulegen. Unter dem menschenfreundlichen Motto: "Aids ist tödlich, die Zeit drängt", wird seither auf deutschem Boden nicht mehr gegeneinander, sondern nur noch gegen die ausländische Konkurrenz der Wettlauf um einen patentrechtlich geschützten Aids-Impfstoff geführt. Es wäre ja auch zu blöd, wenn ausgerechnet kleinkariertes innerdeutsches Konkurrenzdenken dazu führen würde, daß irgendein US-Konzern oder sonst ein Sandoz die Nase in diesem Konkurrenzkampf um die alles entscheidenden Wochen vorne hätte.
c) Zu den vom Staat leicht aufgebrachten Unkosten imperialistischer Macht gehören seit langem die reichlichen Gelder für eine ganz andere Abteilung "Impfstoff-Forschung". Die gesamte Forschung im Bereich der biologischen Kriegsführung läuft nämlich unter diesem Titel:
"Am 7. April 1983 ist die Bundesrepublik Deutschland dem Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10. April 1971 beigetreten. ...
Der Vertrag erlaubt Entwicklung, Herstellung und Lagerung mikrobiologischen Materials und von Toxinen zu defensiven und sonstigen friedlichen Zwecken. ...
Nicht verboten wird durch das Übereinkommen jede Art von Forschung zu Zwecken biologischer Kriegführung." (Enquete, S. 264)
Gegen diesen Vertrag kann gar nicht verstoßen werden, weil er nichts verbietet. Darüber hinaus ist die Forschung für die ehrenwerten "defensiven" Zwecke - also die Beschaffung von Schutzmitteln für die eigene Truppe - identisch mit der Beschaffung eines kalkulierbaren Giftstoffes zur Vernichtung des Feindes.
"Zur Herstellung von Impf- und anderen Abwehrstoffen ist es in der Regel erforderlich, die entsprechenden Agenzien zu produzieren, um mit ihnen die geplanten Schutzmaßnahmen zu testen. Hier besteht das Problem, daß zwischen Stoffen und Verfahren zu Schutzzweckem und solchen zu aggressiven Zwecken nur sehr schwer zu unterscheiden ist." (Enquete, S. 264)
Wer auch immer ein Problem mit dieser höchst interessanten Unterscheidung haben mag, die Befehlshaber der Bundeswehr sind es sicher nicht. Für die Verteidigungsfähigkeit ihrer Wehrmacht, die bekanntlich ziemlich "vorne"-verteidigt, brauchen sie jede Waffengattung. Also auch Impfstoffe, die die Truppe im Falle eines Angriffs schützen. Die Impfstoff-Produktion in deutschen Labors wird von der Hardthöhe kräftig gefördert: "Derzeit führt die Tierärztliche Hochschule Hannover im Auftrag des BMVg ein Forschungsprojekt durch, das dazu dient, mit nicht krankmachenden Vertretern der Gruppe der Alphaviren Methoden zu entwickeln, die zu einer verbesserten Früherkennung und im weiteren zu wirksameren Impfmaßnahmen für möglichst alle Gruppen der Alphaviren führen sollen. Dazu werden in der Zellkultur monoklonale Antikörper und mit gentechnologischen Methoden herstellbare Schutzstoffe (Oligopeptide) entwickelt." (Enquete, S. 266)
Gegen den Vorwurf von Grünen-Abgeordneten, sie würden an potentiellen Biowaffen basteln, haben die beiden Hannoveraner Professoren ihre erste Einstweilige Verfügung erstritten. Sie hatten immer wieder ehrlich entrüstet betont, es gehe um nichts anderes als um eine "zeitgemäße medizinische Versorgung und einen optimalen Schutz der Truppe". Einen guten Grund für ihr reines Gewissen beziehen diese Männer der Wissenschaft sicher auch aus lapidaren Feststellungen der folgenden Art:
"Welche Anwendungsmöglichkeiten sich der Gentechnologie im militärischen Bereich bieten, ist umstritten. Teilweise wird die Annahme geäußert, es könne mittels gentechnischer Methoden in Zukunft möglich sein, neuartige, gefährlichere Mikroorganismen oder Viren herzustellen, z.B. durch Übertragung von Resistenzgenen, von pathogenen Eigenschaften oder durch Änderung der Wirtsspezifität. Daß diese Annahmen von einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten der Gentechnologie ausgehen, wird vielfach bezweifelt. Auch wenn die Gentechnologie in diesem Bereich Anwendung fände, so sei derzeit nicht erkennbar, daß dadurch Mikroorganismen und Viren herstellbar sind, die das Gefahrenpotential bereits vorhandener B-Kampfstoffe übersteigen könnten. Ähnliches gelte für Toxine, deren militärische Effektivität nicht an die der chemischen Nervengase heranreicht." (Enquete, S. 265f.)
Na dann!
Dr. Rudolf Burger, seines Zeichens Leiter der Abteilung für gesellschaftsbezogene Forschung im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien, stellt in seiner in der taz vom 2.4.1987 veröffentlichten Replik auf Segals Theorie dankenswerterweise gleich klar, daß er von der Materie keine Ahnung hat. Auf Segals naturwissenschaftliche Argumente kann und will er gar nicht eingehen, sondern zu Protokoll geben, daß er sich nicht vorstellen kann, daß der von Segal konstruierte Tathergang wahrscheinlich ist.
"Segal argumentiert nicht nur als Experte, er bringt vor allem kriminologische Argumente vor. Das öffnet seine These der Laienkritik. Tatsächlich braucht man, um sie zu entkräften, auf keinem Gebiet Fachmann zu sei. Man muß weder von Molekularbiologie noch von Epidemiologie etwas verstehen. ..."
Folgende Reuter-Meldung brachte die "FR" am 21.4.1987:
"Einem Team britischer Biochemiker ist es offensichtlich gelungen, auf gentechnischem Wege ein künstliches Aids-Virus herzustellen. Dies sei möglicherweise ein Schritt zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen die tödliche Immunschwächekrankheit... Die Wissenschaftler der Universität Oxford... hätten eine Protein-Anordnung so kombiniert, daß ihre Oberflächenstruktur dem HIV-Virus ähnle. Anders als das Virus selbst löse das synthetische Produkt aber keine Krankheit aus."