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Ein Frontabschnitt wird gesichert
NEUE PERSPEKTIVEN FÜR DIE "SINNLOSE SCHLÄCHTEREI" AM GOLF
So neu und unerwartet, wie ein Teil der Öffentlichkeit tut, ist der amerikanische Schritt nicht, kuwaitische Öltanker unter US-Flagge fahren zu lassen, eine ansehnliche Kriegsflotte in den Golf zu beordern und dem Iran Kriegsaktionen anzudrohen. So selbstverständlich und unausweichlich, wie ein anderer Teil behauptet, ist er genausowenig. Und eine Folge des irakischen Fehlschusses ist er schon gar nicht.
Das neue amerikanische Engagement war schon vorher beschlossen, bekanntgegeben und in die Wege geleitet. Die US-Marine ist längst zugegen und operiert im Kriegsgebiet, sonst hätte sie nicht beschossen werden können. Von dem eigentümlichen Übergang ganz zu schweigen, daß ein irakischer Raketentreffer Reagan und das Pentagon dazu bewogen haben sollen, jetzt eindeutiger gegen den Iran und seine Raketen Front zu machen, die noch gar kein amerikanisches Schiff beschossen haben und wahrscheinlich noch gar nicht existieren. Umgekehrt: Der Zwischenfall ist Folge und propagandistischer Anlaß für die Fortsetzung einer imperialistischen Logik, welche die USA und ihre Verbündeten für sich in Anspruch nehmen: Die eigenen Interessen überall geltend machen, schafft eine Lage, an der sich andere Staaten auszurichten haben; falls nicht, muß man reagieren.
Ein jederzeit kontrollierter Krieg
An Einmischung im Golfkrieg haben es Reagan und Konsorten nie fehlen lassen. Sie haben Irak und Iran reichlich mit Waffen ausgestattet, so daß die sich einiges an wechselseitiger Gewalt und Schwächung antun konnten. So haben sie zugleich darauf geachtet, daß keine Seite gewinnt und sich zu einer regionalen Macht aufschwingt. Und Washington hat unübersehbar auf dem Anspruch bestanden, daß der Ölfluß in den Westen nicht ernsthaft gestört werden darf. Die US-, aber auch die Royal Navy geleiten schon seit längerem immer wieder für besonders wertvoll erachtete (meist Kriegs-)Fracht durch die Gefahrenzone und kreuzen im Operationsfeld der kriegführenden Parteien, um drohend zu gewährleisten, daß westliche Belange nicht vom Willen und der Fähigkeit der Feindstaaten abhängen, sich an ihrem Lebensnerv zu treffen, den Ölausfuhren. Mit Erfolg. Der "Tankerkrieg" ist immer eine ganz beschränkte und sporadische Kriegsabteilung geblieben; nicht einmal die Ölförderung der beiden Kontrahenten hat entscheidend gelitten. Der Krieg geht nicht zuletzt deswegen ins siebte Jahr, weil er eine Art sicheres Recycling von Petrodollars vorstellt. Dabei waren die waffenstarrenden NATO-Kräfte vor Ort und die Interessen, für die sie herumkreuzen, stets tabu. Wie wenig der Krieg die Kreise der kapitalistischen Geschäftswelt und der imperialistischen Strategen ernstlich gestört hat, belegt die - schnell wieder beruhigte - Aufregung über den einmaligen irakischen Mißgriff ebenso wie die Debatte darüber, ob denn mehr amerikanische Einmischung bei der Lage der Dinge und dem relativ reibungslosen Ölabfluß aus dem Golf überhaupt vonnöten sei.
Die Fiktion einer Notlage des Westens, die durch mehr Flottenpräsenz unterm Sternenbanner behoben werden müßte, gehört aber sowieso ganz in den Bereich der demokratischen Kunst, strategische Fortschritte zu rechtfertigen. Der Grund für verstärktes Eingreifen ist etwas anders beschaffen.
Die US-Regierung ist mit ihrer Kontrolle übers Kriegsgeschehen unzufrieden
Das betrifft einmal den - in amerikanischen Augen - alarmierenden Skandal, daß ein fest ins westliche Bankensystem und Ölgeschäft eingebundenes Staatswesen wie Kuwait eigene Tanker unter sowjetischer Flagge fahren läßt, um mögliche iranische Angriffe darauf abzuschrecken. Auch wenn es bloß drei Tanker sind; auch wenn die Sowjetmarine noch nicht mehr als die bisherigen zwei Kriegsschiffe zum "Geleitschutz" abgestellt hat: Für die amerikanische Seite ist damit eine Prinzipienfrage des größten Kalibers aufgeworfen. Reagan befürchtet öffentlich die "Abdankung der USA als Seemacht", und Weinberger reicht zu richtigen Verständnis die Drohung nach, daß "jede zusätzliche sowjetische Präsenz im Golf als unwillkommene Bedrohung betrachtet" werde. So ernst nimmt die US-Regierung ihren Anspruch, alleinige Schutzmacht sämtlicher Staaten und Interessen zu sein und zu bleinen, die mit der arabischen Halbinsel, ihren Ölvorräten, den Wasserwegen dorthin und dem Treiben der dort regierenden Souveräne zu tun haben. Mag sein, daß die Kuwaitis den Russentrick bloß inszeniert haben, um die USA zur weitergehenden Ausübung dieser Schutzmachtrolle gegen den immer gefährlicher näherrückenden Iran zu veranlassen. Auf alle Fälle hat sich die westliche Ordnungsmacht Kuwaits Interessen zu eigen gemacht und Schritte unternommen, um ihr Monopol als militärisch präsente Weltmacht in dieser Region zu bekräftigen.
Das angewandte Verfahren folgt einem bewährten Muster: Man macht sich zur Zielscheibe - weshalb vorsorglich zurückgeschossen werden muß. Kaum nimmt das Sternenbanner die Anliegen des Ölscheichtums unter seine Fittiche und in Geleitschutz, schon ist die theoretisch gewälzte Frage: Dürfen die dort Schiffe fremder Länder immer wieder mal beschießen? ganz neu und handgreiflich aufgeworfen: Traut sich der Iran nur ein einziges Mal, seine bisherige Kriegsführung weiterzuverfolgen und damit die USA selbst herauszufordern? Als kriegerischen Akt soll das natürlich keiner mißdeuten, wenn Amerika seine Hoheit provokativ mitten ins Kriegsgeschehen hinein ausdehnt und sich als übermächtiger Beteiligter und damit auch potentieller Betroffener ins Spiel bringt, der für diesen Fall die Verteidigung seiner Interessen mit der Wucht seiner Mittel androht. Dabei geht auch gleich als selbstverständlich durch, daß die NATO-Führungsmacht nun entschiedener als bisher im Krieg Partei ergreift, den Irak begünstigt und den Iran in Schranken weist. Schon vorher durfte sich der Irak mit westlicher Duldung einiges an Freiheiten bei der Behelligung des Tankerverkehrs herausnehmen. Nun durchkreuzen die USA offiziell die iranische Strategie, den Hauptverbündeten des Irak zu bedrohen. Und nicht nur das.
Sie haben auch angekündigt, an der Straße von Hormuz keine iranischen Raketen zu dulden, die den Schiffsverkehr durch dieses Nadelöhr bedrohen könnten. Bestimmte Waffen auf iranischem Boden gelten ab sofort als Provokation, die das Recht der Supermacht begründet, dagegen nach bewährter Libyen-Manier zuzuschlagen. Je mehr die Weltmacht Nr. 1 die Kriegsumstände zuungunsten des Iran verändert, um so weniger steht dem zu, sich Möglichkeiten dagegen zu verschaffen. Ein Anspruch, mit dem amerikanische Politiker öffentlich Kriegsdiplomatie gegen die Mullahs betreiben: Mit der öffentlichen Willensbekundung, die militärischen Optionen im Golf in ihrer Hand zu monopolisieren und sich jede Reaktion auch schon präventiv zu überlegen, kündigen sie entschiedene, aber unberechenbare Feindschaft an. Die Angesprochenen haben darauf mit der Versicherung, daß es die chinesischen "Seidenraupen" noch gar nicht gäbe, und mit der Drohung geantwortet, die USA mit weltweiten terroristischen Akten zu bestrafen - ein Eingeständriis, daß sie eine Kriegsstrategie dagegen nicht zu bieten haben. Das hat Reagan und seine Berater nicht beruhigt. Die wachsende Unduldsamkeit gegen den bisherigen Kriegsverlauf und Feindseligkeit gegen den Iran liegt nämlich daran, daß die US-Politiker gar nicht daran denken, diesen Staat geopolitisch abzuschreiben und seinen aus amerikanischer Sicht unberechenbaren, also verrückten - Mullahs zu überlassen. Nur hat sich eben für die feinfühlige US-Diplomatie herausgestellt, daß mit der amtierenden Regierung unter Khomeini nicht ins politische Geschäft zu kommen ist, so wie die Weltmacht sich das vorstellt - also in ihrem Interesse und zu ihren Bedingungen. Der Trost, daß der Iran immerhin die Russen auch nicht als "Schutzmacht" akzeptiert, ist für die Weltmacht sehr gering. Jedenfalls haben die amerikanischen Politiker entschieden, daß dem Iran eine Niederlage nottut; um so mehr, als Khomeinis Generäle immer mehr Teilerfolge verbuchen können. Dafür wird im Golf ein Hebel angesetzt; gleichzeitig darf das türkische Militär dort, wo der Iran mit Hilfe unzufriedener Kurden eine Nordfront gegen Irak zu eröffnen sucht, seinerseits die Kurdenfrage neu aufrollen und Entlastungsangriffe vortragen. Die Gefahr, daß die konkurrierende Supermacht darüber Einfluß auf den iranischen Gottesstaat gewinnen könnte, wird ganz sicher nicht vernachlässigt: Das "Weichenstellen für die Zeit nach Khomeini", im Klartext: die Vorsorge für westliche Kriegsgewinne auch im Iran, wird arbeitsteilig vom Westen weiterbetrieben, wobei auch der bundesdeutschen Diplomatie eine wichtige Rolle zufällt.
Denn schließlich steht das Ganze unter einer übergeordneten imperialistischen Kalkulation. Der Golfkrieg, sein Fortgang und das Drängen, allmählich mal zum Schluß zu kommen, stehen im Dienste einer Strategie, die die persisch-arabischen Gewässer zu einem "mare nostrum" der NATO ausgestalten will und die ganze Region zu einem weiteren
Hauptabschnitt in der weltweiten Front der Freiheit gegen die Russen
Bei der Verteidigung der "Freiheit der internationalen Gewässer", die der Westen dort als sein gutes Recht beansprucht, geht es längst um strategische NATO-Gesichtspunkte, an denen sich sämtliche Prozentrechnungen über Ölabhängigkeit und die minimalen Störungen seines Flusses blamieren. Unter dem Firmenschild 'Sicherung unseres Öls gegen kriegerische Übergriffe' verfolgt die westliche Vormacht das Interesse, die Region als wichtigen Frontabschnitt zu festigen, ein Interesse, das den kundigen Beobachtern auch gar nicht uerborgen bleibt, wenn sie vor einem 'Hineinschlittern' in den Krieg warnen und die wachsende Präsenz amerikanischer Macht für übertrieben halten. Nicht erst seit dem Raketenzwischenfall, seitdem aber mehr denn je, erfährt man ja einiges über intensive Verhandlungen der USA mit den einschlägigen Anrainerstaaten und über schon laufende Unternehmungen, zumindest die eine Küste des Golfs aufzurüsten: Bau eines Luftwaffenstützpunkts auf Bahrain, Ausbau militärischer Basen und Flugplätze im Oman, Ausdehnung der Awacs-Überwachung auf den ganzen Golf.
So wird eine Entwicklung vorangetrieben, die ersichtlich über das begrenzte Anliegen, sich gegen den lokalen Krieg abzusichern, hinausreicht, unter dem sie hierzulande immer noch verkauft werden soll. Das alles wäre ja ziemlich überflüssig, wenn es bloß darum ginge, im selbstdefinierten Krisenfall zeitweilig mit ein paar Schlachtschiffen und Radar und Raketen mehr als sowieso üblich dort aufzukreuzen. Die Küste soll zum Hinterland für Daueroperationen beliebig großer Marineeinheiten im Golf sowie als möglicher Standort amerikanischer Luftstreitkräfte ausgestattet werden. Die Indienstnahme der zuverlässigen lokalen Souveräne für diese amerikanischen Militärinteressen ist Gegenstand diplomatischer Verhandlungen, bei denen sich die Angesprochenen angeblich so reserviert zeigen, daß die USA dort doch wahrhaftig nicht höchstoffiziell alle Basen in eigene Regie übernehmen dürfen und militärisch nicht so schalten und walten können, wie sie angeblich wollen. So verquer wird dem westlichen Anspruch hinterher- und vorausgedacht, ein Stück Front gegen die Sowjetunion entschiedener in die Hand zu nehmen und auszustatten.
Der nationale Ertrag
Die NATO-Beteiligten sind sich über diesen Verteidigungsauftrag einig, auch wenn harte amerikanische Töne in der Auseinandersetzung zwischen Reagan und dem Kongreß aufkommen, wie er am besten für die USA mit Beteiligung Europas wahrzunehmen sei: "Wenn letztlich amerikanische Jungs im Golf ihr Leben lassen, während in Europa Autos mit Benzin aus dieser Region über die Autobahnen sausen, wird dieses Land hochgehen." (Les Aspin) Wenn die amerikanische Opposition den US-Einsatz im Golf als opfervollen Dienst an europäischen Interessen darstellt, der mehr Kostenbeteiligung verdient, so kennzeichnet das die militärischen Aufträge und die entsprechende politische Geschlossenheit, welche die USA für sich und die NATO im Golf beanspruchen.
Die entsprechende Antwort haben sie ja auch bekommen - gerade von den Bonner Freunden. Die haben den gar nicht wörtlich gemeinten Ruf nach unmittelbarer deutscher Beteiligung an den westlichen Ordnungsaufgaben im Golf - einer solchen Beteiligung stehen die konkurrierenden Bündnispartner und weniger das Grundgesetz entgegen - zielstrebig in einen nationalen Auftrag übersetzt, an dem sich die BRD wirklich messen und bewähren kann: mehr militärische Präsenz und Aufgaben über Nord- und Ostsee hinaus. Dem Versprechen des Kanzlers, "wir müssen darangehen" - an die Aufgabe nämlich, sich darauf mit den Partnern zu einigen -, folgten die von oben nachgeschobenen Bedenken auf dem Fuß, ob die Bundesmarine für diesen neuen Auftrag überhaupt gerüstet sei, sowie die Ankündigung, man werde sie dann wohl entsprechend großzügiger ausstatten müssen.
Neben einigen amerikanischen Spitzen gegen die bundesrepublikanische Tour, aus der weltweiten Sicherung westlicher Interessen durch die Macht der USA national Kapital zu schlagen und sie zur Grundlage bundesrepublikanischer Diplomatie, Geschäftstätigkeit und militärischer Einflußnahme zu machen, erbringen die Übergänge in der Golfregion also auch noch einen unmittelbaren nationalen Ertrag und sei es auch nur für die Bekräftigung der Propaganda ohnehin beabsichtigter Rüstungsvorhaben und NATO-Beteiligungen. Denn daß die Aufrüstung im Golf ein Abzug militärischer Präsenz anderswo wäre, ist eine der üblichen Lügen, die eigentlich nur das Geschwätz ad absurdum führt, es ginge eigentlich im Golf nur darum, zeitweilig und golfkriegsbedingt mit vermehrten eigenen Kräften den Öltankern freie Fahrt zu sichern.
Die Öffentlichkeit wie immer im Geiste dabei
Ausgerechnet diese Debatten über den Ausbau westlicher Militärpräsenz haben wieder einmal zur Bekräftigung des Scheins gedient, insbesondere die BRD sei mit ihrem Versprechen, sich im NATO-Rahmen auszubreiten, äußerst maßvoll zu Werk gegangen. Aber auch die USA haben mit ihren Drohungen, was sie alles gegen den Iran erwägen und der Sowjetunion keinesfalls zugestehen wollen, Ansprüche in die Welt gesetzt, an denen sich ihre wirklichen Schritte dann glatt noch wie Zurückhaltung ausnehmen, jedenfalls wenn man die imperialistischen Ideale souveräner Weltmacht zum Maßstab nimmt. Offenbar ist der Glaube, daß die NATO-Mächte zu allem berechtigt und befähigt sind oder sich berechtigt und befähigt fühlen, ihre Interessen absolut zu setzen und ihre Mittel rücksichtslos zu benutzen, so gefestigt, daß sich daran noch jede auf den russischen Feind und seine Mittel berechnete schrittweise Eskalation als unzureichend, maßvoll oder auch schwächlich relativiert. Da bleibt gerade den USA - durch die nationalistische Brille von Bündnispartnerberatern betrachtet - manche Blamage nicht erspart. Aufwand und Ertrag besserwisserisch zu bemäkeln, das ist an der Tagesordnung, wenn weltweit Kriegsoptionen geschaffen und gefestigt werden.