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Der Rechtsstaat räumt auf
POLITIK DURCH RECHTSPFLEGE
Die "wehrhafte Demokratie" der BRD führt sich seit geraumer Zeit auf, als wolle sie die letzten noch bestehenden Illusionen über das Recht als etwas Höherem, an dem sich die staatliche wie jede andere Gewalt zu relativieren habe, ausräumen. Sie veranstaltet eine Demonstration der unbedingten Souveränität der Staatsgewalt nach der anderen.
Wo immer Leute einzeln oder in Gruppen Einwände gegen staatliche Beschlüsse und Maßnahmen öffentlich laut werden lassen, werden sie damit unter die Rubrik "Angriff auf das Recht" eingeordnet, gegen den sich der Rechtsstaat mit der ganzen Wucht seiner demokratischen Legitimität zu wehren habe.
Und wo immer Bürger meinen, sich bei ihrer Opposition ihrerseits auf ein (Meinungsfreiheits-, Demonstrations- o.ä.) Recht gegenüber dem Staat berufen zu können, wird ihnen klargemacht, daß es so nicht gemeint ist. Ihre Rechte wurden ihnen vom Staat dazu gewährt, mit ihnen keinen Mißbrauch zu treiben, d.h. sie entweder im Sinne der staatlichen Zwecke und Interessen oder gefälligst gar nicht in Anspruch zu nehmen.
Das Recht wird damit in einer Funktion verwandt, die über den Normalbetrieb der Rechtsanwendung und -auslegung entschieden hinausgeht. Niemand, schon gar nicht die Justiz selbst, sieht in solchen zum Alltagsleben der bürgerlichen Gesellschaft gehörenden Vorgängen, wie Diebstahl, Betrug, Körperverletzung oder Tötung einen prinzipiellen Angriff auf das Recht als Einrichtung, mit der der Staat das politische, geschäftliche, private Treiben seiner Bürger in die ihm zweckmäßig scheinenden Schranken weist. Denn gerade in ihrer Kriminalisierung als Rechtsbruch und ihrer Ahndung durch das Verhängen einer Strafe bewährt sich schließlich das Recht. Niemand käme deshalb auch etwa auf die Idee, unter einem Anstieg der Kriminalitätsrate litte das Recht Schaden, solange die Delinquenten ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Denn daß der Zweck des Rechts die Verhinderung der von ihm kriminalisierten Handlungen sei oder doch eigentlich zu sein habe, daran halten nur hartgesottene Abschreckungs-Idealisten vom "Rübe-ab"-Kaliber fest.
Im Umgang mit den verschiedensten Formen von politischer Opposition gegen seine Maßnahmen hat sich der bundesdeutsche Staat genau diesen Zweck - Verhinderung bzw. Einschüchterung solcher Gegnerschaft und möglichst lückenlose Erfassung der daran aktuell oder auch nur potentiell Beteiligten - in der Setzung und Anwendung seines Rechts zu eigen gemacht. Er nutzt bewußt seine Rechtshoheit als politisches Kampfmittel.
Die gewaltsame Durchsetzung seiner Ansprüche trägt er stets als Demonstration der Rechtsstaatlichkeit vor, selbst wenn das gelegentlich einigen Einfallsreichtum in der Rechtsanwendung erfordert. Die dabei sich äußernde Souveränität und Freiheit im Vollzug der selbstgeschaffenen Rechtsnormen findet in dem durch das sogenannte Verhältnismäßigkeitsprinzip bezeichneten Ermessensspielraum ihren ganz und gar rechtlichen Ausdruck.
Vorspiel für Akademiker
In München gibt es einen die gebildeten Stände ungemein erregenden Streit um den geplanten Monumentalbau der bayerischen Staatskanzlei an städtebaulich empfindlicher Stelle, im Ensemble der Residenz der bayerischen Könige. Der Landtag hat entschieden, die Gegner haben den Rechtsweg erfolglos bis zu Ende beschritten (wenngleich ein Anwalt, der sein Geschäft versteht, wie überall, so auch hier immer noch eine neue kleine Möglichkeit findet, die causa gerichtsanhängig zu halten). Und nun wird ausgeschachtet. Aber die Erregung der Architekturästheten will sich nicht legen. Da hat sich denn auch der Politologie-Professor Kurt Sontheimer zu Wort gemeldet und in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten die "Arroganz der Macht" der bayerischen Staatsregierung verurteilt, deren stures Festhalten an einem zwar rechtlich einwandfrei zustandegekommenen, aber sachlich zutiefst unakzeptablen Bau-Beschluß ein "Anschlag auf die demokratische politische Kultur des Freistaates" sei. Ihm hat Herr Stoiber, der Chef der Staatskanzlei, eine Nachhilfe-Lektion in Sachen "Macht und Recht" erteilt, die nichts zu wünschen übrigläßt:
"...entweder ist eine Entscheidung rechtens, dann entbehrt der Vorwurf der 'Arroganz der Macht' gegen die Entscheidungsträger jeglicher Grundlage, oder sie ist es nicht, dann steht jedem betroffenen Bürger der Klageweg offen. Wer jedoch statt dessen den Weg der Aufhetzung seiner Mitbürger wählt, tut dies entweder aus Unwissenheit oder aus Illoyalität. Im ersten Fall ist Nachhilfeunterricht, im zweiten scharfe Zurechtweisung - gegebenenfalls it weiterreichenden Folgen - angebracht."
Herrn Sontheimers Schicksal interessiert uns hier weniger als Stoibers Argumente, die die überlegene Arroganz der sich im Recht wissenden Macht des demokratischen Staates illustrieren und keinen Anlaß zu Mißverständnissen über deren totalen Anspruch bieten: Wer öffentlich gegen "auf ein klares Wählervotum gestützte, rechtlich unanfechtbare Beschlüsse" argumentiert, macht sich der "Aufhetzung seiner Mitbürger", also der Illoyalität gegenüber dem demokratischen Staat schuldig und ist damit an sich als Feind der Demokratie mit den gegen solche Subjekte rechtlich gegebenen Möglichkeiten zu verfolgen. Ob der Staat das dann auch tut oder ob er die Einrede verminderter demokratischer Zurechnungsfähigkeit gelten läßt, ist seine je nach den Umständen zu treffende Entscheidung.
Einlage für Christen
Der Papst in Deutschland. Nicht mehr das ganz große Volksereignis a la 1980, sondern eben eine von kritischen Geistern problematisierte politische Demonstration der katholischen Kirche und der sich ihrer bedienenden staatstragenden Kräfte zur Stärkung der rechten moralischen und politischen Werte. Da gibt's denn auch keinen Grund zu falscher Zurückhaltung der Staatsorgane gegenüber möglichen Störenfrieden, die an diesem Demonstrationszweck etwas kratzen könnten. Die "Süddeutsche Zeitung" vom 4.5.1987 berichtet:
"Zwei 20jährige junge Männer und ein 19jähriges Mädchen demonstrierten vor dem Haupteingang des Olympiastadions mit einem zweieinhalb Meter hohen Kreuz, an dessen Querbalken Leintücher mit dem Spruch 'Tiere sind Lebewesen, keine Sache' geheftet waren. Die Kreuzträger wurden wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zur Personalienfeststellung vorübergehend festgenommen und müssen mit einer Anzeige rechnen."
"Als 'Nötigung' definierte die Polizei den Plan der 56jährigen Hannelore Mabry, die dem Papst mit einem 10 Meter breiten Transparent den Weg versperren wollte. Sie wurde für die Dauer des Papstbesuchs in polizeilichen Gewahrsam genommen.
Der Unterbindungbgewahrsam für Frau Mabry von der Gruppe 'Der Feminist' beruht auf dem Bayerischen Landesstrafrecht, Artikel 7, in dem es u.a. heißt, daß die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen können, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden."
Jaja, auch das gibt's, das "Bayerische Landesstrafrecht", das das Rechtsinstrument des "Unterbindungsgewahrsams", sprich: der guten alten Schutz- oder Vorbeugehaft, mit einem im Rahmen des polizeilichen Ermessens fürwahr universellen Anwendungsfeld ausstattet. Aber alles und jeder läßt sich auch nicht schützen. Das erfuhr
"...der 23jährige Miesbacher Student Ivo J., der auf den Widerspruch zwischen des Papstes Einstellung zur Geburtenregelung und der Überbevölkerung in der Dritten Welt hinweisen wollte. Zwar gestand ihm zunächst das Münchner Kreisverwaltungsreferat zu, seine Meinung öffentlich kundzutun, und machte lediglich die Auflage, entweder ein Marienbild oder Kondome, nicht aber beides gleichzeitig hochzuhalten. Doch nach den 'obszönen Demonstrationen' beim Papst-Stop in Köln witterte man Gefahr. Am Sonntagmorgen um 3 Uhr teilten Polizisten dem Manne mit, weil man ihn nicht vor dem Zorne der katholischen Massen schützen könne, sei seine Demonstration nun untersagt."
Vom Schutz irgendeiner wichtigen Angelegenheit hätte sich die Polizei durch zornige Massen mit Sicherheit nicht abhalten lassen. Aber so blieb den Katholiken ihr Volkszorn erspart. Die polizeiamtliche Mitteilung war so klar, daß sie auch um 3 Uhr morgens verständlich gewesen sein dürfte: Unerwünschte Demonstrationen sollen gefälligst unterbleiben.
Justiz-Alltag für die Friedensbewegung
In Sachen der symbolischen Blockade-Aktionen gegen Nachrüstungs-Standorte tut inzwischen die Justiz ihre Arbeit: Verurteilung von Robert Jungk wegen der Mutlanger Blockade zu 300 DM Geldstrafe für gemeinschaftlich begangene Nötigung; die Urteile wegen desselben Delikts gegen Prof. Walter Jens und seine Frau mit Geldstrafen von 3000 bzw. 700 DM in 2. Instanz bestätigt; Geldstrafe für 3 Pfarrer wegen Nötigung, weil sie
"durch seelischen Zwang Arbeiter und Militärpersonal der Cruise-Missile-Basis Hasselbach (Hunsrück) an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert"
hätten. Für Bundesjustizminister Engelhard ist das alles allerdings ein zu schwerfälliges Verfahren, daß hier immer noch Beweiserhebungen, ob denn nun wirklich Nötigung vorlag, erforderlich sind, um das Strafrecht anzuwenden. Er schlägt vor, Sitzblockaden und ähnliche Aktionen als solche per Gesetz von einer Ordnungswidrigkeit zur Straftat zu befördern. So können die Beteiligten auch dann strafrechtlich belangt werden, wenn - wie bei einer Blockade-Aktion am Himmelfahrtstag - mangels Verkehrs schlechthin niemand blockiert wird und deshalb der Nötigungstatbestand nicht anwendbar ist.
Dabei genießt Engelhard Rückendeckung vom Kanzler. Kohl hat besonders verwerfliche Rechtsbrecher in Gestalt von Rechtsanwälten, gar Richtern ausfindig gemacht, die sich an Sitzblockaden beteiligten:
"Es ist bestürzend, wenn in unserer Zeit auch gelegentlich Juristen nicht davor zurückschrecken, bewußt, ja geradezu demonstrativ und plakativ Gesetze zu verletzen. Wenn Richter oder Anwälte zum Beispiel tatsächlich Kasernen blockieren, ist das natürlich ein Rechtsbruch, aber es ist mehr als das: Es ist ein Anschlag auf das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat." (Bulletin der Bundesregierung, 3.6.1987)
Von diesen Organen der Rechtspflege wird kategorisch verlangt, daß sie sich als Jubelperser staatlicher Machtdemonstrationen aufführen. Nach dem Grundsatz, daß das Volk ein Recht auf Vorbilder an Linientreue habe, wird ihnen das Recht auf eine abweichende Meinung glatt abgesprochen, und staatsbürgerlicher Unmut wird ihnen als Rechtsstaatzersetzung angekreidet. Auch die Polizei nutzt immer souveräner ihren rechtlichen Handlungsspielraum im Umgang mit der Friedensbewegung, wie z.B. eine kleine Zeitungsnotiz vom 12.5.1987 zeigt:
"Polizei: 67jährige Frau mußte sich dem Gesetz gemäß entkleiden
Zur Anzeige einer 67jährigen Rentnerin bei der Staatsanwaltschaft München 1, die in München festgenommen wurde und sich bei der Polizei 'nackt ausziehen mußte', erklärte gestern die Polizei-Pressestelle: Die Frau habe Flugblätter mit dem Aufruf zur Blockade eines Raketendepots verteilt und sei wegen Verdachts der Aufforderung zu Straftaten und zur Nötigung in die Haftanstalt gebracht worden. Zur Durchsuchung auf 'gefährliche Gegenstände' (Waffen, Rasiermesser, gewisse Medikamente) sei sie von einer Beamtin durchsucht worden, wobei sie sich dem Polizeiaufgabengesetz gemäß entkleiden mußte. (Süddeutsche Zeitung)
Wäre sowas aus dem Osten bekannt geworden hätte jeder gleich gewußt, wo die Menschenwürde bekanntlich nichts gilt. Nun, hier weiß man eben, daß wir in einem Rechtsstaat leben in dem das Polizeiaufgabengesetz gilt.
Die Volkszählung - heftiger Kamp um ein gemeinsames Ziel: Unsere Demokratie muß verteidigt werden, Teil I
Auch der verfassungsmäßige "besonder Schutz der Freiheit von Versammlungen in geschlossenen Räumen" ist für die verfassungsmäßige Gewalt kein besonderes Hindernis wenn es ihr nun einmal darum geht, die Verbreitung unerwünschter Ansichten oder gar Aufforderungen zur Nicht-Unterwerfung unter staatliche Rechtsakte zu be- bzw. verhindern, und die Volkszählung war so ein Fall wo's ihr ungemein darauf ankam.
Schließlich
"geht es mittlerweile nicht mehr nur um die Volkszählung, sondern darum, ob demokratisch zustandegekommene Gesetze auch vollzogen werden." (Stuttgarts OB Rommel)
Und für diese Demonstration, daß der Staat in der Lage ist, seinen Gesetzen bei den Bürgern unbedingten Respekt zu verschaffen, ist derzeit kein Aufwand zu viel. Vor allem ist sie ein Anreiz für die diversen Staatsorgane, ihre Gewaltmittel mit Akribie und Einfallsreichtum zum Einsatz zu bringen. In den Rahmen der üblichen Behandlung vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestufter Organisationen fällt die Anweisung der Kommunalaufsichtsbehörde von Mittelfranken an die Stadtverwaltung Nürnberg, das KOMM-Zentrum nicht für eine geplante Veranstaltung der Grünen zur Volkszählung zur Verfügung zu stellen - wegen des Verdachts, daß dort zu rechtswidrigen Handlungen, zum Boykott aufgerufen werden könnte. In Baden-Württemberg ist die Anwendung dieses Arguments konsequent vorangetrieben worden, indem die Stadt Calw dem geplanten Landesparteitag der Grünen die bereits zugesagte Stadthalle kurzfristig verweigerte und sich diese Entscheidung gegen deren Einspruch durch alle Verwaltungsgerichtsinstanzen bestätigen ließ.
Allerdings: In einer freien Marktwirtschaft wie der unseren befinden sich nicht alle geeigneten Versammlungsräume in öffentlicher Hand, so daß die Durchsetzung eines Versammlungsverbots für Volkszählungsgegner und andere Beeinträchtiger des staatlichen Totalanspruchs auf widerspruchsfreie Unterwerfung unter das gesetzte Recht sich nicht als reiner Verwaltungsakt durchziehen läßt.
Aber da gibt's ja noch z.B. das Gaststättenrecht, mit dessen Hilfe Gastwirte darauf hingewiesen werden können, daß sie sich einer "Teilnahmehandlung an einer Ordnungswidrigkeit" schuldig machen, wenn sie nicht verhindern, daß auf einer Versammlung in ihren Räumen etwa zum Volkszählungsboykott aufgerufen wird. Und so eine wirtsmäßige Teilnahmehandlung kann nicht nur ein Bußgeld nach sich ziehen, sonder auch die für die Konzession erforderliche Zuverlässigkeit bzw. charakterliche Eignung in Frage stellen. Soweit als Beispiel die vorsorglichen Hinweise des Münchner Kreisverwaltungsreferats für Gastwirte.
Aber auch an diversen anderen jener sogenannten "bürgerlichen Freiheitsrechte" ist die Demonstration fällig, daß die Staatsgewalt sie jederzeit praktisch für nicht existent erklärt, wenn auch nur Grund zur Annahme gesehen wird, sie könnten gegen der staatlichen Gehorsamsanspruch mißbraucht werden.
Für die Sperrung der als Auskunftsstellen für Volkszählungsgegner veröffentlichten Fraktions-Telefone der Grünen durch den Bundestags- und diverse Landtagspräsidenten reichte wieder wie bei den Versammlungen der Verdacht vollkommen aus, über diese Telefone könne zu rechtswidrigen Handlungen (= dem Boykott) aufgerufen werden.
Der Anlaß für Durchsuchung und Beschlagnahme interessierender Materialien, Inventur und Videofilmung in Fraktionsbüros der Grünen in diversen Stadt- und Gemeinderäten, in Geschäftsräumen von Orts- und Landesverbänden der Grünen und der DKP, von Studentengemeinden und sonstigen verdächtigten Oranisationen, sowie in Privatwohnungen von Flugblattunterzeichnern und -verteilern sowie für das Abräumen von Infoständen der Volkszählungsgegner in zahlreichen Orten des Bundesgebiets wurde durch einen politischen Beschluß geschaffen: Auf seit längerem umlaufenden Flugblättern, die das Abschneiden der Ecken von Volkszählungsbögen als herrlich raffinierten Trick zur Behinderung der Volkszählung beschrieben, wurde der Tatbestand der "Verbreitung einer Aufforderung zur Sachbeschädigung" entdeckt. Bei so viel Gefahr im Verzug hilft auch keinem Studentenpfarrer sein Beichtgeheimnis, unter dem ihm den Boykott betreffende Unterlagen anvertraut worden seien. Und auch die unbescholtene Inhaberin eines Anzeigenblätterverlags, die in einem ihrer Blättchen den Bericht über eine Veranstaltung von Volkszählungsgegnern brachte, worin unweigerlich auch der dort lautgewordene Boykott-Aufruf zur Sprache kam, kann sich keineswegs darauf hinausreden, mit der gleichzeitigen Veröffentlichung eines Aufrufs der Gemeinde, sich als Zähler zur Verfügung zu stellen, ihre Neutralität bewiesen zu haben. In der Frage des Vollzugs seiner Gesetze, so machen ihr die Kripobesuche und das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren klar, ist für den Staat Neutralität nicht gefragt.
Deshalb sind auch alle nur irgendwie mit der Sache befaßten privaten und öffentlichen Instanzen - bisweilen zu ihrer eigenen Überraschung - in die Verteidigungsfront gegen die "Feinde der Demokratie" einbezogen, von den Kirchen (die der Boykotthilfe verdächtige Pfarrer zur Rechenschaft ziehen) bis hin zu den Rechtsschutzversicherungsgesellschaften im HUK-Verband. Diese lieferten nämlich vor kurzem
"ein Beispiel für extrem fachbezogenes Denken, das manchmal nicht in der Lage ist, öffentliche Wirkungen abzuschätzen... Der Verband hätte zumindest wissen müssen, daß er mit seiner ersten Versicherungszusage für Boykotteure den Eindruck erwecke, als stünde er dem Boykott der Volkszählung positiv gegenüber oder er wolle Kundenwerbung betreiben.
Das Ganze ist nur so zu erklären, daß der Verband sich am Anfang streng an die Versicherungsbedingungen hielt und im Vordergrund der Gedanke, daß Ordnungswidrigkeiten generell den Versicherungsschutz der Familen-Rechtsschutzversicherung genießen, gestanden hat. Zumindest scheinen die Versicherer erst durch den heftigen Protest der Politiker wachgeworden zu sein und haben erkennen müssen, daß auch ein Fachverband nicht nur für seine Mitglieder da ist, sondern auch ein Teil des öffentlichen Lebens ist.
Diese späte Einsicht hat den Verband dazu gezwungen, klarzustellen, daß die Rechtsschutzversicherer einen Boykott der Volkszählung nicht indirekt durch Übernahme der Rechtskosten finanzieren. Sie lehnten jede Boykottierung ab, heißt es im jüngsten Rundschreiben, in dem sie daraufhinweisen, daß Verstöße gegen das Gesetz mutwillig erfolgen und die Verfahrenskosten deshalb von der Rechtsschutzversicherung nicht übernommen würden.
Der Wirbel wirft generell die Frage nach der Vereinbarkeit der Rechtsschutz-Police mit der staatlichen Ordnung auf. Speziell, wie weit die Rechtsschutzversicherung darin gehen darf, Gesetzesbrechern die finanzielle Last eines Verfahrens abzunehmen." (Handelsblatt, 20.5.1987)
Dasselbe Blatt, das zu Beginn der Volkszählung so gut verstanden hat, was jetzt an Argumenten fällig ist, vermeldet zum selben Gegenstand nach deren Ende:
"Nach Ansicht von auf Versicherungsfragen spezialisierten Juristen könne ein Versicherter, der wegen Volkszählungsboykott ein Bußgeld zahlen soll und dagegen vor Gericht vorgehen will, durchaus seine Rechtsschutzpolice in Anspruch nehmen." (Handelsblatt, 29.5.1987)
Das macht aber auch nichts weiter, so wenig wie die mögliche, nachträglich gerichtlich bestätigte Rechtswidrigkeit der einen oder anderen sonstigen Vollzugsmaßnahme in diesem Zusammenhang: Sie haben ihre Wirkung getan.
Unsere Demokratie muß verteidigt werden, Teil II
Für einen Anwalt der Grünen sind diese staatlichen Maßnahmen zur Verhinderung des Volkszählungsboykotts allesamt "juristisch völlig haltlose Machtdemonstrationen des Staates". Er hat allerdings nur sehr teilweise recht: Machtdemonstrationen ja, aber wohl kaum "juristisch völlig haltlose". Sondern im Gegenteil wohlbegründete Demonstrationen der staatlichen Macht, die aus dem staatlich gesetzten Recht kommt und sich in der Justiz extra eine eigene Unterabteilung geschaffen hat, die für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit aller privaten und öffentlichen Aktivitäten im Herrschaftsbereich des Staates BRD zuständig ist und damit seiner Gewalt das Adelsprädikat eines bloßen Mittels für Durchsetzung des höchsten Zwecks, des Rechts, verleiht.
Eine Kritik, die auch sich selbst diesem höchsten Zweck nicht versagen will und sich deshalb die ideologische Übersetiung der rechtsförmlichen Gewalt des demokratischen Klassenstaats in den "demokratischen Rechtsstaat" zu eigen macht, hat natürlich ein ständiges Problem mit ihrer Berechtigung. So erklärt sie ihrerseits die Justiz zu ihrem Kampfmittel gegen die anderen Staatsabteilungen und unterwirft sich ihren Urteilssprüchen als obersten Berechtigungsnachweisen.
Wenn dann der "Rechtsweg" eine Strecke weit erfolglos durchschritten wurde, wird's zwar etwas schwieriger, konsequent am eigenen Rechtsidealismus festzuhalten, aber es geht: Ein Sprecher der "Grünen" in Baden-Württemberg kommentierte die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 20.5.87, die Stadt Calw habe bei der Verweigerung der Stadthalle für den "Grünen"-Parteitag rechtmäßig gehandelt, mit den Worten "ungeheuerlicher Rechts- und Verfassungsbruch", "Rechtsbeugung". Spätestens vom Bundesverfassungsgericht wird auch er sich eines Besseren belehren lassen.
Das Lieblings-Kritikargument von den "Grünen" bis zu Hans-Jochen Vogel von der SPD ist freilich der schöne Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes der Staatsgewalt gegen die Volkszählungsgegner etc.; so etwa von Abräumaktionen an Infoständen und Personalienfeststellungen Betroffene: "unverhältnismäßiges Vorgehen gegen Menschen, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen"; so die "Grünen"-Fraktion im Bayerischen Landtag: "Nicht wir stellen uns außerhalb des Rechts, sondern der Staat verläßt mit seinen Polizeiaktionen den Boden von Recht und Verhältnismäßigkeit."
Das "Verhältnismäßigkeitsprinzip", bekanntlich ein "tragender Grundsatz des Rechtsstaats", der als allgemeine Bedingung staatlichen Handelns sogar im Grundgesetz steht, dessen Nichtbefolgung gar leicht aus einer Demokratie eine Diktatur, einen Polizeistaat machen soll, wie man an den diversen Orten demokratischer Unterweisung für die Bürger erfährt, es soll hier verletzt sein und deshalb mit ihm die Demokratie verteidigt werden müssen? Polizeiaktionen und Strafverfahren gegen Volkszählungsgegner, 10.000 Mark Bußgeld für ein bißchen Volkszählungsboykott, sie sollen "unangemessen" sein?
Die Absurdität des betreffenden Verhältnisses - der Messung einer Handlung in einem ihr möglichst "angemessenen" Gewalt- bzw. Straf-Maß - ist diesen Propagandisten der Verhältnis-Mäßigkeit staatlicher Gewaltmaßnahmen überhaupt kein Problem mehr. Und darin dürfen sie sich denn auch wieder in schönster Einigkeit mit ihrer rechtsstaatlichen Herrschaft wissen. Denn der einzige Maßstab, der diesem Verhältnis seinen "tieferen Sinn" gibt, sind die Zwecke und Absichten des Staates. Der Einsatz der staatlichen Gewaltmittel soll sich allein an ihnen messen und nicht womöglich von der subjektiven Willkür seiner Funktionäre bestimmt sein.
Wer sich zur Beurteilung von Staatsmaßnahmen auf die ihnen ureigenen Prinzipien beruft, der demonstriert mit Beflissenheit die demokratische, staatstreue Konstruktivität und "Verantwortlichkeit" seiner Kritik. Wenn dann an die Staatsmacht drängende Oppositionsparteien mit dem Vorwurf der "Unverhältnismäßigkeit" der eingesetzten Gewaltmittel daherkommen, dann wollen sie das Argument unter die Leute bringen, daß die Verfolgung der Staatszwecke und zumal ihres höchsten, die Sicherung des Staates selber = der "Verteidigung der Demokratie", bei einer anderen parlamentarischen Mehrheit, einer mit der eigenen Partei an der Macht, besser aufgehoben wäre als bei den amtierenden Inhabern der Staatsgewalt.
Auf diese Debatte allerdings sind die Regierungsparteien mit Begeisterung eingestiegen. Sie machen die Volkszählungsboykottbewegung zum Opfer ihrer eigenen Betroffenheitsagitation: Weil an jeder Tür des Volkes ein Staatsvertreter klingelt und vom Bürger eine Pflicht einfordert, deshalb gibt's diesmal so viele Betroffene wie noch nie - was für eine Gelegenheit! Nur, für was? Diese trostlose Tour ausgerechnet die Volkszählung zur Chance einer ganz symbolischen, herzlich unverbindlichen und gerade deshalb so wunderbar prinzipiellen Mißtrauenserklärung an den "Überwachungsstaat" auszurufen, kehren die Regierenden gegen ihre Urheber: Wer sich gegen eine so harmlose, mit so viel Datenschutz versehene und bekanntlich jedem einzelnen Bürger ungemein nützende und deshalb von allen staatstragenden Parteien einstimmig für rechtens erklärte Veranstaltung wie diese wendet, der hat nicht die Sache im Sinn, sondern etwas anderes: den Kampf gegen das Recht, die Demokratie.
Strauß:
"Die Agitation gegen die Volkszählung ist der Versuch, die Bürger für den ständigen Kampf gegen die staatliche Ordnung zu mißbrauchen."
FDP-Generalsekretär Haussmann: Die Grünen demonstrieren erneut ihr gebrochenes Verhältnis zu demokratischen Grundsätzen, Boykottaufruf verstoße gegen geltendes Recht und gegen das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung. Justizminister Engelhard zum Grünen-Parteitag:
"Wenn sie dort ihre rechtswidrige Boykottkampagne durch einen offiziellen Parteibeschluß auf die Spitze treiben, stellen sie sich endgültig das Zeugnis einer dem demokratischen Parlamentarismus feindlich gesinnten Gruppierung aus." (Süddeutsche Zeitung, 5.5.87)
Geißler: Die Grünen
"sind fast faschistoid"; eine "Aussteigerpartei, die zum offenen Rechtsbruch aufruft." Die Parteitagsbeschlüsse seien "Beweise für ihre verfassungsfeindliche Grundeinstellung" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.5.87)
Klarstellungen, die das C-Lager schon längst loswerden wollte, und denen die SPD in der ihr eigenen maßvollen Ausdrucksweise - "es ist unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Konsens, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren" wer das nicht tut, gehört folglich nicht dazu - nicht nachsteht.
In Otto Schily haben sie alle im übrigen ihren richtigen Ansprechpartner gefunden. für ihn waren der Verlauf der Boykottkampagne und das staatliche Vorgehen dagegen nicht etwa Grund zur Kritik an Zweck und Inhalt dieser Kampagne. Sie waren ihm willkommener Anlaß unter bruchloser Aneignung der staatlicherseits aufgemachten Maßstäbe über Freunde und Feinde von Staat und Demokratie seine "fundamentalistischen" Parteifreunde seinerseits aus dem demokratischen Konsens aus - und sich selbst damit entschieden in denselben einzugrenzen. Die "Gewaltdebatte" der Grünen-Fraktion zum 20. Jahrestag der Erschießung Benno Ohnesorgs am 2. Juni befruchtete er mit einem glasklaren Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol, mit der schönen Begründung, das bedeute "keine Befürwortung staatlicher Gewaltausübung, sondern" sei "lediglich Bestandteil eines rechtsstaatlichen Konsenses". Ein schönes "Sondern": Das "Gewaltmonopol gibt es nur, wo es einen Rechtsstaat gibt." Und deshalb müsse überhaupt Schluß sein mit dem negativen Verhältnis der Grünen zum Staat.
Kreuzberg: Umgang mit einem "rechtsfreien Raum"
Als Anfang Mai im Westberliner Stadtteil Kreuzberg eine der hier schon ziemlich üblichen Machtdemonstrationen der Polizei im Zusammenhang mit einer Aktion des schon erwähnten Typs gegen Volkszählungsgegner Auslöser für eine alternative Ohnmachtsdemonstration der "Autonomen" wurde, war das Entsetzen groß, daß die Polizei nicht ihrem eigenen und dem staatlichen Anspruch genügte, lückenlos alles unter Kontrolle zu haben. Mit ihrem planlosen und ungenügenden Vorgehen, so die heftige Kritik der SPD-Opposition, habe die Polizei nicht verhindert, daß sich "in kürzester Zeit in Kreuzberg ein rechtsfreier Raum bilden konnte", wo sogar Kinder sich ans Knacken der Geldbehälter in den Telefonzellen gemacht und Leute an Plünderungen teilgenommen hätten, die sonst nichts mit den "Autonomen" etc. zu tun hätten (Frankfurter Allgemeine, 5.5.87). Die Konsequenz des Senats war klar: mehr Polizei, "stärkere Präsenz und größere Härte".
Bei der Demonstration gegen den Reagan-Besuch in Westberlin in der Woche nach Pfingsten konnten die Lehren gezogen werden, und sie wurden gezogen: weitgehende Abriegelung des ganzen Stadtteils einschließlich Stillegung aller Kreuzberg berührenden öffentlichen Verkehrsmittel "aus technischen Gründen". Ein Entsatz der Eingeschlossenen durch eine Luftbrücke mußte in diesem Fall mangels verbündeter Luftstreitkräfte unterbleiben. Dafür kam es zur Masseneinkesselung von Demonstranten im Hamburger Stil mit anschließender Personalienfeststellung.
Die Demokratie verteidigen = alle mutmaßlichen Gegner lückenlos erfassen!
Zur Verhinderungs- bzw. Einschüchterungsabsicht des Staates gegenüber unerwünschten oppositionellen Aktivitäten kommt noch hinzu das Fahndungsinteresse: der Wunsch nach möglichst vollständiger Erfassung aller Personen, die irgendwie einmal ihre Gegnerschaft gegen - "demokratisch beschlossene" staatliche Maßnahmen praktisch betätigt haben und sich damit mangelnder Respektierun der Souveränität des Staates schuldig gemacht haben. Selbst wenn klar ist, daß der Anlaß der Personalienfeststellung auch unter großzügiger Rechtsauslegung kaum als Ordnungswidrigkeit oder Straftat zu einer gerichtliche Verurteilung führen wird - das Sammeln der Namen "für alle Fälle" kann nicht schaden.
Besonders aufmerksam und gründlich werden in diesem Sinne seit Jahren die Gegner der Atomenergie und insbesondere der Plutoniumfabrik Wackersdorf behandelt. Hier praktiziert der Staat den Grundsatz schon seit Jahren, daß das mit demokratischer Mehrheit als solches zustandegekommene Recht unter Einsatz aller erforderlichen Gewaltmittel gegen seine Gegner durchzusetzen und jeder, der sich dieser legitimen Gewalt irgendwie, und sei noch so indirekt, entgegegenstelle, zu verfolgen, zumindest aber zu identifizieren sei.
Wackersdorf wurde so etwas wie ein Übungsfeld zur Erprobung aller denkbaren Taktiken der Verhinderung, Einschüchterung und Sammlung von Personalien unter Ernstfallbedingungen. Und mancher Oberpfälzer Bauer und aufrechte Staatsbürger hat sich sehr gewundert, warum er als Staatsfeind behandelt und auf dem Weg zwischen Hof und Acke dreimal von Polizei kontrolliert wurde, bloß weil ihm die WAA in seiner Nachbarschaft nicht ganz geheuer ist und er deshalb gelegentlich ein paar Demo-Teilnehmern eine Wiese oder Scheune zum Übernachten überlassen hat.
Der Katalog der übrigen Maßnahmen, ob am Bauplatz - mal Genehmigung von Demonstrationen mit massenhaften Personenkontrollen und Personalienfeststellungen, Hubschrauber-Tiefflugeinsätzen gegen Demonstranten am Bauzaun und natürlich dem ganzen Spektrum der üblichen Nahkampf- und Distanzwaffen der Polizei, mal Verbot von irgendwie nach WAA-Gegnern aussehenden Veranstaltungen im weiten Umkreis von Wackersdorf - oder dessen Vorfeld, wie die Einreiseverbote für Demonstrationsteilnehmer aus Österreich soll hier nicht weiter ausgebreitet werden. Für den Staat ist der WAA-Bauplatz inzwische sowieso eher zum Nebenschauplatz geworden. Die Szene hat sich mittlerweile in die Justiz verlagert. Dort laufen nicht nur fast 3000 Strafverfahren gegen Anti-WAA-Demonstranten, dort werden auch Publikationen der WAA Gegner, wie die Zeitschrift "Radi-Aktiv", bzw. deren presserechtlich Verantwortlich nach bewährtem Muster mit Strafanzeigen und Prozessen eingedeckt. Bevorzugtes Instrument dafür ist der mittlerweile als ungemein zweckmäßig und vielseitig einsetzbar erwiesene Paragr. 88 a StGB (Aufruf zu strafbaren Handlungen).
Eine Versammlung findet staatliches Interesse
Läßt das souveräne Sicherheitskalkül der Staatsorgane es für angebracht erscheinen, dann wird auch schon mal das Fahndungsinteresse ganz unabhängig von Einschüchterungs-, Verhinderungs- oder Strafverfolgungsabsichten praktiziert: Ganz locker handhabte den Ermessensspielraum der Exekutive in Absprache mit der Bundesanwaltschaft etwa vor einigen Monaten die Münchner Polizei im Falle einer als solche weder genehmigungs- noch anmeldepflichtigen Versammlung in einer Gastwirtschaft zum Thema "Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand". Mit dem Zweck, die Identität der 30 Anwesenden festzustellen, wurden unter Berufung auf ein angebliches Papier aus "Kreisen der Rote-Armee-Fraktion", das zu "Solidaritätsveranstaltungen mit den politischen Gefangenen" aufforderte und deshalb Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen die Versammlungsteilnehmer begründe, 300 Polizisten in die betreffende Wirtschaft geschickt, die Anwesenden am Verlassen des Raums gehindert, wurde die Szenerie gründlich mit Video gefilmt und schließlich zur Personalienfeststellung bzw. Erkennungsdienst-Behandlung geschritten. Das Ganze als Vollzug der "bayrischen Linie", "Rechtsverstöße nicht hinzunehmen und Gewalttätigkeiten durch den Einsatz entsprechend starker Polizeikräfte zu vermeiden."
Klar, daß sowas auf ätzende Kritik bei der SPD stößt:
"Ein grobes Mißverhältnis zu Lasten der ohnehin überforderten Polizisten", die so zudem "an anderer Stelle fehlen, so daß die Bürger nach einem Verkehrsunfall oft eine Stunde lang auf das Eintreffen der Beamten warten müssen." (SPD-MdL Naumann)
Einige Bürger empörten sich - etwas näher am Sachverhalt - in Leserbriefen darüber, daß hier "ein Ort der Versammlungsfreiheit zur Polizeifalle gemacht" worden sei. Ihnen wurde die Ehre einer ausführlichen Leserbrief-Erwiderung des Münchner Polizeipräsidiums zuteil, die allerdings, wie zu erwarten, den erklärten Zweck der vollständigen Identitätsfeststellung ausdrücklich bestätigte, lediglich noch ein paar aufklärerische Worte über das Grundgesetz und seinen Vollzug anfügte:
"Im übrigen irrt sich... in der Annahme, das Grundgesetz würde für Versammlungen in geschlossenen Räumen keinerlei gesetzliche Einschränkungen zulassen. Selbstverständlich schützt das Grundgesetz nur friedliche Versammlungen und gibt keine Schutzgarantie für die Begehung von Straftaten.
Es war scho immer oberster Grundsatz des Polizeipräsidiums München, Versammlungen im Sinne des Art. 8 Grundgesetz zu schützen und ihren störungsfreien Verlauf zu gewährleisten, mit allem Nachdruck aber gegen diejenigen vorzugehen, die die Versammlungsfreiheit als Deckmantel benutzen und unter diesem Deckmantel Straftaten begehen wollen." (Süddeutsche Zeitung, 5.6.87)
Und was eine Straftat ist, das bestimmt im Zweifelsfall die Polizei - nicht willkürlich, sondern demokratisch fest geführt - dadurch, daß sie sie verfolgt.