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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1987 erschienen.
Gegen die imperialistischen Spiegelbilder von der islamischen "Revolution"
Es ist schon grotesk: Eine Öffentlichkeit, die christliche Parteien normal findet, ihren politischen Führern bei öffentlichem Schaubeten zuguckt und Horoskope keineswegs ablehnt, schüttelt den Kopf über den islamischen Religionseifer, der im Iran regiert. Sie versteht es gut, wenn der US-Präsident die Sowjetunion in apokalyptischen Bildern als "Reich des Bösen" beschimpft; daß für den Imam Khomeini das westliche Imperium der "große Satan" ist, findet sie hingegen unbegreiflich. Die Nationen, die zu Anfang des Jahrhunderts den Stellungskrieg, um die Jahrhundertmitte den Bombenteppich erfunden haben und ihre neueste Geschichte von -zig Millionen Kriegstoten herleiten, auf deren "Opfer" sie nichts kommen lassen, ergehen sich - bei Bedarf - in Abscheu über die blutige Kriegsführung des Iran, die Freiwillige fast jeden Alters verheizt. Politiker und politisierende Privatleute, die mit den Idealen von Menschenrecht und Demokratie eine nationale Pflicht zur Bevormundung anderer Völkerschaften reklamieren, wollen es als gefährlichen imperialistischen Anspruch durchschaut haben, wenn iranische Politiker sich um mehr islamische Gerechtigkeit in ihren Nachbarstaaten kümmern wollen. Antikommunisten, die hoffnungsvoll mitfiebern, wenn der römische Papst, nach eigener Auffassung "Stellvertreter Gottes", in Polen religiöse Massenkundgebungen zur Jungfrau Maria in eine politische Richtung gegen die herrschende Partei dirigiert, werfen den iranischen Religionsführern die Ermunterung ihrer Pilgermassen zu einer antisaudischen Großdemonstration in Mekka als bösartig berechnende Unruhestiftung vor.
Und abendländische Intellektuelle, die, stolz auf ihren vorbehaltlosen Pluralismus den fanatischen Glaubensernst der Schiiten als "mittelalterliche" Engstirnigkeit aburteilen, nehmen die gar nicht mittelalterlichen Argumente, die manchen islamischen Kollegen gegen die westliche Demokratie und ihre heilige Kuh, das freie Wählen, eingefallen sind, nicht einmal zur Kenntnis, geschweige denn, daß sie sich die Mühe einer Widerlegung machen würden. Statt dessen gilt die Beobachtung, daß manche persischen Frauen unter dem Tschador verbotenes Make-up tragen und Teherans Taxifahrer westliche Popmusik hören, obwohl der Ayatollah die nicht leiden kann, als völlig ausreichender Beweis für die letztlich unwiderstehliche Menschennatürlichkeit westlicher Sitten und die Unmenschlichkeit islamischer Bräuche. Dies übrigens auch unter dem Millionenheer von Feuilletonschreibern und -lesern, die ansonsten den Verlust höherer Wertorientierungen und Sinngebungen für das schlimmste Übel der Gegenwart halten.
Die wirklichen Argumente für die bemerkenswerte ideologische Selbstsicherheit der westlichen Welt schwimmen und fliegen in der Golfregion herum. Daß NATO-Geschwader und -Flotten mit hochtechnisiertem Vernichtungsgerät die Perser besuchen - und nicht umgekehrt -: Das sorgt für die klare Unterscheidung zwischen 'Realismus' und 'ideologischer Verblendung'. Dies um so mehr, als die meisten anderen islamischen Anrainerstaaten genau dieses Kräfteverhältnis zu ihrer politischen Geschäftsgrundlage gemacht haben, also festigen. Deren Herrschaften haben sich damit denn auch den politologischen Ehrentitel "gemäßigt" eingehandelt, mögen sie ansonsten auch die von den iranischen Mullahs unerreichten Weltmeister im Hinrichten, Händeabhacken und Weibereinwickeln nach islamischem Recht und Brauch sein. Ein Staat hingegen, dessen Führung und Volk sich von den eindrucksvollen Beweisstücken des Westens für Recht und Unrecht in der Weltpolitik nicht beirren lassen in ihrem abweichenden Programm und Gebaren, ist insoweit ein Störenfried. Und alles, worin er vom vertrauten Selbstbild der kapitalistischen Demokratie abweicht, darf ihm als politische Verrücktheit nachgesagt werden. Denn das ist es gar nicht, womit der Iran den Westen provoziert.