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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1987 erschienen.
Die Diplomatie der "nationalen Frage":
DAS EINZIGE UND DAS BESSERE DEUTSCHLAND
1. Der Auftrag
"Wiedervereinigung"
Die BRD will von Anfang an das ganze Deutschland sein. Ohne falsche Scham definiert sie sich als "Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches"; und das nicht, um ein paar sonst herrenlose staatliche Verbindlichkeiten aufzusammeln. Für die Verlierernation meldet der neue Staat von westalliierten Gnaden seinen Rechtsanspruch an, über das Kriegsergebnis mitzubefinden, und zwar maßgeblich und vor allem: gegen die Russen. Deren von der alliierten Staatsgründung ausgeschlossene Besatzungszone fällt unter den Anspruch auf "Wiedervereinigung", den der neue Staat sich in sein Grundgesetz als Pflicht hineinschreibt.
Die Selbstdefinition als "Provisorium" ist alles andere als der bescheidene Kommentar zu einer Trümmerwüste. Sie begleitet die ersten Phasen des Aufstiegs zur imperialistischen Wirtschaftsmacht und zum prominenten Bündnispartner der Freien Welt. Und sie gibt das Ziel an, für das der nationale Aufstieg letztlich die materiellen Mittel bereitstellen soll - ein bescheidener Name für das unbescheidene Ziel, einer "Supermacht" ein Stück Einflußsphäre abzutrotzen und sich einzuverleiben.
Mit diesem von ihr beanspruchten anderen Teil von ihr selbst treibt die BRD eine Politik eigener Art, die im Zuge der nationalen Wiedererstarkung ein paar Methoden ändert, aber nie ihr Ziel.
Selbstbehauptung
Die DDR wird von der kommunistischen Besatzungsmacht im besiegten Deutschland als zweitbeste Lösung gegründet, nachdem die westlichen Alliierten den Plan eines auf Neutralität festgelegten, entmilitarisierten Gesamtdeutschland zurückgewiesen und ihre eigene staatliche Kreatur geschaffen haben. Da erst dürfen die mitgebrachten deutschen Kommunisten und Antifaschisten ihrer Ostzone eine Verfassung geben und "den Sozialismus aufbauen". Mit dem Anspruch, das bessere Deutschland zu repräsentieren, ordnen auch sie die nationale Einheit dem Systemgegensatz unter und eröffnen ein neues selbständiges Staatswesen.
Das fällt allerdings nicht so machtvoll aus, daß es den übergeordneten Zuständigkeitsanspruch des westlichen Konkurrenten gleich blamiert. Die Beschaffung nationaler Machtmittel folgt immer der Notwendigkeit, die Existenz einer eigenen Souveränität zu beweisen. Daß das logische Verhältnis zwischen diplomatischer Anerkennung durch die Staatenwelt und Versuchen des Ein- und Mitmischens damit auf den Kopf gestellt ist, macht der DDR dauernd zu schaffen. Ihr nationaler Geltungsdrang bleibt sogar angesichts bedeutender Erfolge dem widersprüchlichen, defensiven Ziel untergeordnet, sich gegen die BRD als eigenständiger Souverän zu behaupten, an dessen Anerkennung die BRD nicht vorbeikommen soll.
2. Das weltpolitische Existenzrecht
Imperialistischer Frontstaat
Eine Regel der Art: 'Je bescheidener der eigene staatliche Einfluß, desto zurückhaltender die politischen Unternehmungen und diplomatischen Avancen!' hat die BRD für sich nie gelten lassen. Kaum wieder zur Staatenwelt zugelassen, noch mitten im Aushandeln einer nur schrittweise gewährten Souveränität, tritt sie mit einem Programm an, das die Gültigkeit von als Kriegsergebnis gezogenen Grenzen bestreitet. Den Wiedervereinigungsanspruch ergänzt man stereotyp durch eine Floskel, die Frieden gelobt - es ist also kein Geheimnis, daß das Vorhaben ohne Waffengang schwerlich zu haben ist. Während Adenauer seinen Deutschen Demut und Fleiß verordnet wg. verlorenem Krieg, verordnet sich das deutsche Staatswesen eine grenzüberschreitende Anspruchshaltung - wg. verlorenem Krieg. Diese begründet sich allerdings weniger aus einem Vertrauen in die eigene Kraft als aus dem glücklichen Umstand, daß die Nachkriegsplanung der USA schon wieder eine Funktion für ein starkes, wenn auch nur halbes Deutschland vorsieht. Im Zuge der Neuordung der Weltpolitik als West-Ost-Gegensatz, im Vertrauen auf die Absicht der NATO, einen Frontstaat aufzubauen, erhebt die Adenauer-Republik Anspruch auf einen Anteil an diesem Programm. In dessen Namen tritt die neugegründete Republik gleich ganz unversöhnlich auf: Sie erklärt sich selbst in allen möglichen Hinsichten für äußerst vorläufig, weil nicht vollständig, "kann" und wilt eben deshalb keinen Friedensvertrag abschließen und stattet die Trümmerfrauen, Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer sofort wieder mit einer Feindschaft des allerhärtesten Kalibers aus. Das zugehörige Feindbild kann aus den Arsenalen des Dritten.Reiches übernommen werden.
Dieselbe weltpolitische Konstellation, der die BRD ihr nationales Recht auf ihr ein paar Nummern zu groß geratenes Programm entnommen hat, gebietet umgekehrt dessen Zurückstellung unter größere 'geschichtliche Entwicklungen': Wegen der Russen ist die BRD in den Genuß einer beschleunigten Rehabilitierung als Kriegsverlierer gekommen; wegen der Russen darf sie als Teil des freien Westens ihr nationales Sonderanliegen aufmachen; wegen der Russen ist dessen Verwirklichung aber auch in allen Hinsichten von ihrem Bündnis abhängig. Und dessen Armeen - das muß die BRD in ihrer ersten Etappe zur Kenntnis nehmen - sind nicht dafür da, z.B. einmal kurz die Transitwege nach West- oder von West- nach Ostberlin freizuräumen.
Um so gekonnter deuten die Politideologen der unzufriedenen Nation die Differenz zwischen nationalem Zweck und Bündnis als Beweis für die Ohnmacht - Unschuld der BRD, ohne von den Ansprüchen auch nur ein Jota zu streichen: "Nur im Rahmen einer gesamteuropäischen Lösung..." Als deutscher Bürger soll man einerseits wertschätzen, daß die NATO nun schon über 40 Jahre lang den Frieden in Europa sichert, und andererseits in Sachen Wiedervereinigvng bedenken, daß die Geschichte einen langen Atem hat. Tätig sind zwar immerzu ein und dieselben Subjekte. Weil aber an ein Erreichen des nationalen Ziels nur zu denken ist, wenn das Bündnis den Krieg auf die Tagesordnung setzt, ist die bekannte "Doppelstrategie" geboten: in der Sache die Aufrüstung zu einem immer unentbehrlicheren Bündnispartner, in der Redeweise eine gewisse Bescheidenheit, richtiger: Verlogenheit.
Realsozialistische Defensive
Gegen den Revanchismus der BRD hat die SED die Rote Armee hinter sich. Nachdem alle russischen Wiedervereinigungsalternativen am entgegengesetzten westlichen Willen gescheitert sind, garantiert sie den Bestand des neuen Staates. Mehr aber auch nicht. Die Absurdität einer feindlichen Millionenstadt mitten im eigenen Gebiet bleibt der DDR trotz einiger halbherziger "Berlinkrisen" erhalten; einschließlich der von dort angezettelten Subversion, die mit dem Versuch, aus einem Streik in Ostberlin einen Volksaufstand zu machen - was nicht ganz gelingt -, ihren ersten Höhepunkt erreicht. Auch muß die DDR mitansehen, wie die eigene Garantiemacht sich um des lieben Friedens willen - den sie dafür gar nicht bekommt - per diplomatischer Anerkennung mit dem westdeutschen Frontstaat ins Benehmen setzt, ohne daß ein Westalliierter, geschweige denn die westliche Führungsmacht, sich veranlaßt sieht, die Eigenstaatlichkeit der ehemaligen SBZ zur Kenntnis zu nehmen.
DaD dieses "Gebilde" unter russischem Schutz überhaupt existiert, ist für den Westen nur ein Beweis mehr für sowjetischen "Expansionismus", gegen den das territorial unbefriedigte "Bollwerk" BRD gar nicht genug aufgerüstet werden kann.
3. Die "Konkurrenz der Systeme"
Wirtschatftswunder
Der Adenauer-Staat stellt seine Bürger so an die Arbeit, wie sie es gewohnt sind: in kapitalistischen Betrieben für einen Lohn, der jede Menge Mehrarbeit erpreßt. Die Eröffnung des Weltmarktes, auch für die neue D-Mark-Zone, bringt Kapitalzuflüsse und das Geschäft in Schwung, so daß immer weniger Fleiß brach liegenbleibt. Dafür stehen vom ersten Tag an repräsentative Politiker ein, an deren neuen demokratischen Qualitäten alle Nachaeise einer "braunen" Vergangenheit wirkungslos abprallen. Für entnazifizierte Adenauer-Wähler wie für sozialfriedliche Gewerkschafter hat sich die gar nicht so neuartige Heimat BRD damit bewährt. Da außerdem die Läden voll mit schönen Sachen sind, mag niemand kritisieren, daß das Kaufen-Können eine ganz andere Sache ist. Den Brüdern und Schwestern in der Ostzone schickt man Kaffee und Grieß, damit die auch was von der Freiheit haben. Leute, die rüberkommen, werden gelobt, weil sie mittlerweile sogar Haus, Auto und einen sicheren und erträglichen Arbeitsplatz aufopfern, um frei zu sein.
Antifaschismus
Die DDR benützt für ihren Aufbau zwar noch die - zum Teil zerstörten, zum Teil demontierten - alten Produktionsmittel, aber nicht einfach die alten Produktionsverhältnisse. Sie verstaatlicht nicht bloß die IG-Farben, sondern auch Handel und Kleingewerbe und macht die Bauern zwangsweise mit den Vorteilen der Kollektivierung bekannt. Staatlich verwaltete "ökonomische Hebel" ersetzen das Kapital und bewegen wenig. Im Vergleich zu den erpresserischen Qualitäten der freien Lohnarbeit ist die Moral des sozialistischen Wettbewerbs nicht bloß ungewohnt; sie läßt auch einiges an Effektivität zu wünschen übrig - zuallererst für den Staat, der vor dem Problem steht, seine 17-Millionen-Gesellschaft ökonomisch überhaupt lebensfähig zu machen. Da die Staatspartei gleichzeitig in gut revisionistischer Manier jeden Zwiespalt zwischen werktätigem Volk und sozialistischer Führung leugnet - statt ihn auszutragen -, blamiert sie sich reichlich. Zumal gute Deutsche, die ihre politische Bildung unter Hitler noch nicht vergessen haben und die Lüge vom "rot" = "braun" gar nicht begreifen, von eingeflogenen kommunistischen Russenfreunden sowieso nichts halten.
Um so nachdrücklicher wirbt sie mit in deutschen Landen unerhörten Sozialleistungen und einer staatsmoralischen Abgrenzung gegenüber dem "braun" durchsetzten Bonner Staat. Allerdings wirbt sie nicht bloß für eine politische Alternative, sondern für einen ganz neuen, alternativen Staat, und das unter lauter guten Deutschen, die ihr vertrautes großdeutsches "Wir" gar nicht abgelegt haben und wissen, daß der größere, mächtigere Staat auf deutschem Boden diesen Plural als unveräußerliches Menschenrecht und machtvollen Staatsstandpunkt hochhält. Eine harte Nuß für antifaschistische Umerzieher, die es ohnehin nicht so leicht haben wie demokratische Entnazifizierer, weil sie auf ein paar - wenn auch nicht ganz zutreffende - Argumente bauen müssen, statt sich auf den Opportunismus des Mitmachens einfach zu verlassen.
4. Der Kampf um die nationale Sache
Deutschlandpolitik
Noch steht das Wirtschaftswunder erst bevor, die Aufrüstung am Anfang und ein Mitmischen im imperialistischen Weltgeschehen in den Sternen, da treibt man in Bonn bereits Deutschlandpolitik. Und die hat allenfalls bei finsteren Oppositionellen etwas mit Sympathien für die Alternative eines neutralen Gesamtdeutschland zu tun. Ihr Ausgangspunkt ist die unwiderrufliche "West-Integration" per Währungsreform und Dollar-Krediten, Grundgesetz und kontrollierter Demokratie, NATO und Aufrüstung - Wiedervereinigung ist eben ein ganz anderes Projekt als eine Zusammenlegung der zwei deutschen Hälften auf dem Wege einer Vereinbarung. Der Zonengrenze soll "das Trennende genommen" werden - durch politische Sterbehilfe für das konkurrierende staatsähnliche "Gebilde".
Zum einen werden die "getrennten Brüder und Schwestern" ununterbrochen mit großem Aufwand davon in Kenntnis gesetzt, daß unser aller altes Großdeutschland im Prinzip noch fortbesteht, die DDR-Regierung als illegitime Fremdherrschaft zu betrachten ist und ungeachtet aller Eigenstaatlichkeit ein direktes Verhältnis zwischen BRD-Regierung und DDR-Volk besteht. Tatsächlich beschenkt die Bonner Staatsmacht, kaum daß sie die Gelegenheit dazu hat, die sowjetisch besetzten Volksgenossen mit einem westdeutschen Paß und westdeutschen Staatsbürgerrechten. Das Angebot zum Übertritt in die Freiheit wird auch materiell untermauert - mit Vertriebenen-Bonus, Lastenausgleich usw. -, und die Zahlen über die gelungene Abwerbung von Staatsvolk werden täglich als Erfolgsmeldung veröffentlicht. (Nach dem Mauerbau greift man für produktive Zwecke auf Türken ohne deutschnationale Anspruchshaltung zurück.)
Zum anderen bemüht man sich nach Kräften, die Anstrengungen des anderen Staats, einer zu werden, auf internationaler Ebene zu torpedieren. Die Hallstein-Doktrin will die restliche Staatenwelt mit der Drohung einer Kündigung der diplomatischen Beziehungen seitens der BRD auf die Nichtanerkennung der DDR festlegen. Die "Zone" soll völkerrechtlich als Un-Staat gelten, keinerlei außenpolitische Handlungsfreiheit besitzen; ihre Existenz soll kein Gegenstand irgendeines international respektierten Interesses sein.
Grenzziehung und Anerkennungsgesuche
Statt mit sozialistischem Aufbau ist die DDR damit beschäftigt, den Kampf gegen die Gänsefüßchen zu führen, die der Nachbarstaat mit seinem Totalanspruch auf Land und Leute deutscher Nation ihr angehängt hat. Das gelingt in einem neutralen Ausland nach dem andern, weil insbesondere die neu entstehenden Nationalstaaten die DDR als Sympathisanten ihres Wegs in die Unabhängigkeit kennengelernt haben und sich am wenigsten gern vorschreiben lassen, mit wem sie überhaupt Kontakt aufnehmen dürfen. Was die Auswanderungslage im eigenen Land betrifft, so sieht die Regierung sich nach 12 Jahren der "Konsolidierung" zu dem Eingeständnis genötigt, daß sie sich noch immer nicht auf einen halbwegs befriedigten Nationalismus ihrer Bürger verlassen kann. Das welthistorisch einmalige Einwanderungsangebot der BRD an ihr Volk macht ihr Probleme. Sie macht das große Loch Berlin zu und trägt damit der Tatsache Rechnung, daß die richtig solide staatsbürgerliche Loyalität eben doch im Leben nicht aus Argumenten kommt, sondern aus der nicht in Frage zu stellenden Alleinzuständigkeit der staatlichen Gewalt, der die Bürger zu gehorchen haben. Eine Niederlage ist das vor allem in den Augen der regierenden Partei selbst, die deswegen auch zu der beschönigenden Theorie vom "Schutzwall" Zuflucht nimmt: Sie glaubt im Grunde nach wie vor an das Paradox, der Standpunkt der Nation müßte sich doch aufgrund von Einsicht einnehmen lassen. Dabei ist das gerade die Lüge der westlichen Seite, die so tut, als wären die "Republikflüchtlinge" kluge Materialisten und überzeugte Freiheitsidealisten in einer Person.
Nach den weltpolitischen Reaktionen auf dieses himmelschreiende Unrecht kehrt eine gewisse Erleichterung darüber ein, daß auch die NATO die Revanchismusfrage für nicht aktuell erklärt. Insofern haben die Führer der SED nicht ganz Unrecht, wenn sie den Mauerbau als ihren Beitrag zur Entspannung hochleben lassen.
5. Handel und Wandel
Kapitalistischer Grenznutzen
Unterhalb ihrer prinzipiellen Feindseligkeit tut die BRD so, als ob nichts natürlicher wäre, als alte, gewachsene, leicht lädierte Wirtschaftsbeziehungen der deutschen Lande wiederherzustellen.
Zunächst nutzt sie die tatsächlichen Nöte des allein kaum lebensfähigen "Mitteldeutschland" in schikanöser Weise aus. Weil sie die Ostmark gar nicht erst als Zahlungsmittel anerkennen kann, erfindet sie ein eigenes Regime für den "Interzonenhandel", in dem die DDR jeden Kauf mit Warenlieferungen von ihrer Seite begleichen muß, wobei westdeutsche Preise als Maßstab fungieren, und in dem ferner der Ausgleich innerhalb verschiedener Warenkonten vorgenommen werden muß. Eine Technik, der DDR sogenannte "harte", für den industriellen Wiederaufbau wesentliche Waren nur unter der Bedingung zukommen zu lassen, wenn sie ebensolche Güter, die sie eigentlich gar nicht entbehren kann, dagegen eintauscht. Als Beitrag zu ihrem Aufschwung kann die Demontage-geschädigte DDR den Interzonenhandel also kaum mißverstehen, zumal ihr von Beginn an abverlangt wird, in erster Linie Westberlin, den "Pfahl im Fleisch", materiell lebensfähig zu halten. Der Aufschwung der BRD kann sich solche Frechheiten leisten, da er ja mit Hilfe eines vom Dollar garantierten Zahlungsmittels gleich über den Weltmarkt abgewickelt wird.
Später ändern die Raketen des Ostblocks eine wesentliche Geschäftsbedingung: Sie beenden die Spekulationen auf einen raschen Zusammenbruch des Kommunismus in Mitteleuropa und setzen Koexistenz auf längere Sicht auf die Tagesordnung. Die allmählichen Fortschritte der DDR-Wirtschaft werden auf dieser Grundlage auch nicht mehr als Ärgernis, sondern als ausnutzbare Bedingung genommen; sie wecken Geschäftsinteressen der ganz normalen grenzüberschreitenden Art. Da die andere Seite ihrerseits heftig interessiert und politisch glücklich ist über den neuen Zustand, stellen sich auch ernsthafte Bemühungen der Wirtschaftswunder-Manager ein, aus Ostdeutschland einen Geschäftspartner zu machen und - in schöpferischer Auslegung des Wiedervereinigungsanspruchs - einen ganz speziellen dazu: Die Römischen Verträge zur Gründung der EWG gestehen der BRD den "innerdeutschen" Handel als Sonderfall zu, die DDR gilt "nicht als Ausland im Sinne der EWG-Bestimmungen".
Sozialistischer Kampf ums Weltniveau
Die Abtrennung der sowjetisch besetzten Länder vom Rest Deutschlands, der Ausschluß der DDR vom Weltmarkt: Das hätte - wenn schon die VEBs mit den AGs der Westzonen konkurrieren sollten - eigentlich von Anfang an durch einen Marshallow-Plan kompensiert werden müssen. Statt dessen muß die Sowjetunion erst von ihren neuen Bündnispartnern darauf aufmerksam gemacht werden, daß wirtschaftliche Hilfe angebracht ist; und auch nach Gründung des RGW sind dessen Mittel aufgrund der Nachwirkungen der Ostfront und der Eigentümlichkeiten der revisionistischen Planwirtschaft nicht allzu reichlich.
In der Not schafft der Westhandel Erleichterung - und setzt die DDR den Schikanen des Interzonenhandels aus. Doch geht auch das vorbei. Vom Standpunkt einer faktischen Koexistenz, auf die der Westen sich einlassen muß, kann man dessen ökonomische Angebote - endlich einmal getrennt von Fragen der Verteidigung, der Überlebenssicherung und der ideologischen Abgrenzung - in Erwägung ziehen.
Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Die DDR lernt praktisch die Wahrheit kennen - die ihre Ökonomen bei der Marx-Lektüre nicht entdeckt haben wollen -, daß die Mehrung des abstrakten Reichtums und nicht die Erfüllung mißverstandener Reproduktionsschemata den Handel mit Kapitalisten regiert. Nach deren Konkurrenzgesichtspunkten muß sie sich richten und nicht umgekehrt -; das Kriterium mit dem realsozialistischen Namen "Weltstandard" belastet die Planwirtschaft mit wenig produktiven Extrakosten. Doch wegen der Devisenfrage muß das sein. Und wann immer Kredite Erleichterung schaffen, fordern die Zinsen einen Tribut, der gar nicht so ohne weiteres mit abgefallen ist.
Allmählich wird der Einstieg in den Weltmarkt aktuell; man bedient sich des in den EG-Sonderbestimmungen niedergelegten Interesses an den eigenen Angeboten und bemüht sich um davon unabhängige Westgeschäfte. Die Gemeinschaft der kapitalistischen Konkurrenten hält das leicht aus; beim RGW ist das eine andere Frage.
6. Wandel durch Handel
Geschäfte mit politischem Aufpreis
Während die demokratische Öffentlichkeit in der BRD die Bevölkerung mit Schreckensgeschichten aller Art über den Kommunismus aufklärt und alle kommunismusverdächtigen Regungen in Westdeutschland erledigt werden, während die Bildzeitung die DDR unentwegt in Anführungszeichen setzt und die politisch Sachkundigen das westdeutsche Volk davon überzeugen, daß es sich gegen einen ständig drohenden Überfall aus dem Osten wehrhaft machen muß, verkehren so verdiente Persönlichkeiten wie Berthold Beitz und Otto Wolff ganz ungehindert mit der"DDR", ohne sich politisch unmöglich zu machen. Im Gegenteil: Die Verantwortlichen in Bonn sehen schon deshalb keinen Widerspruch zwischen ihrer ständigen aufgeschobenen Kriegserklärung gegen die DDR und gedeihlichen Wirtschaftsbeziehungen mit dem "Gebilde", weil ihnen damit ein Handel besonderer Art eröffnet wird. Da ökonomische Beziehungen zwischen ihrem Wirtschaftswunderland und einer erst aufstrebenden Hebelwirtschaft, die lange genug mit der Bewältigung der ökonomischen Kriegsfolgen zu schaffen hatte, im Verhältnis von Brauchen-Können zu Brauchen abgewickelt werden, eignen sie sich als Erpressungsmittel für politische Forderungen. Für die westliche Seite bietet sich die Gelegenheit, bei jeder Abrechnung, bei jeder Lieferung, bei jedem Kredit und bei jeder Briefmarke politische Konditionen aufzumachen. Seitdem gilt es in Westdeutschland als ausgemachte Selbstverständlichkeit, daß, wenn z.B. F.J. Strauß einen Kredit für die DDR "einfädelt", die DDR nicht nur wie jeder andere Staat zur Rückzahlung in Gestalt von Zins und Tilgungsraten verpflichtet ist, sondern zusätzlich dazu in Gestalt von politischem Entgegenkommen.
Frieden durch "wechselseitigen Nutzen"
Als interessanter Handelspartner der Freien Welt hat die DDR Erfolge zu verbuchen. Das verbucht sie nicht nur, gut revisionistisch, als Unterpfand für friedliche Verhältnisse; das läßt sie auch in der alles entscheidenden, der Anerkennungsfrage auf eine ganz eigentümliche Weise konziliant werden. Anstatt auf der Forderung nach Anerkennung als Bedingung für sonstige Beziehungen zu bestehen, deutet - und honoriert - sie jede Beziehung, jeden Stempel, jede Unterschrift als De-facto-Anerkennung - nicht zu Unrecht. Die DDR erreicht lauter Souveränitätszugeständnisse von seiten ihrer Weltmarktpartner; die BRD ist die einzige westliche Macht, die ihren Botschafter in Ostberlin in Gänsefüßchen als "Ständigen Vertreter" führt.
7. Die Normalisierung
Anerkennung zwecks Nicht-Anerkennung
Die BRD, die unter einer Wiedervereinigung leidet, die immer nur Anspruch bleibt, hat aus diesem Anspruch einen Hebel innerdeutschen Verkehrs gemacht. Das Programm heißt - endgültig mit der Machtübernahme der Sozialdemokratie - Korrektur ostdeutschen Regierens, "Wandel durch Annäherung". Wobei es völlig klar ist, daß der "Wandel" von der DDR zu vollbringen ist, während die "Annäherung" von seiten der BRD sich darauf beschränkt, die für ihre Einmischung unerläßlichen Momente von Anerkennung statffinden zu lassen. Dabei ist es der BRD gelungen, das Verhältnis der DDR-Regierung zu ihren Untertanen zu einer Angelegenheit zu machen, in der sie, per Verhandlung und Erpressung, mitentscheidet.
Diese Politik lobt sich selbst als Politik der "Normalisierung", weil an ihr aber auch gar nichts normal ist. Während sich die wechselseitige Anerkennung von Staaten - normalerweise aus den Interessen ergibt, die sie aneinander haben, besteht das BRD-Interesse an der DDR ganz grundsätzlich in deren Beseitigung. Weil sich das Interesse so grundsätzlich vorderhand nicht betätigen kann, hat es sich in eine Vielzahl von diplomatischen Techniken der Nichtanerkennung übersetzt, und zwar in solche, die dauerhafter anwendbar sind als Obstruktionsversuche. Die imperialistisch üblichen Gepflogenheiten der Ausnützung fremder Interessen und der Einmischung in deren Definition durch auswärtige Souveräne kommen zur Anwendung, um der Staatsgewalt, mit der man so umgeht, nicht bloß Dienste aufzuerlegen, sondern ihre Souveränität ein bißchen streitig zu machen. Und ganz im Gegensatz zur normalen Sitte, noch die härteste Erpressung in diplomatischen Ehren abzuwickeln, gleichgültig, wie jämmerlich die Machtmittel des anderen Staates sind oder wie er im Innern verfährt, befindet die BRD noch die läppischste protokollarische Zurkenntnisnahme einer DDR eigentlich als nationale Kränkung.
Eine Vermehrung der praktischen Beziehungen von Neckermann, Berlin-Unterhalt, Müllhalden inkl. preiswerter Sonderdeponien bis zu Handballspielen, Städtepartnerschaften und prä-gesamtdeutscher spektakulärer Auftritte westdeutscher Politiker in Ostdeutschland ist freilich nicht zu haben ohne das Zugeständnis von Momenten höchstförmlicher Anerkennung. Eine Adresse, einen Vertragspartner, einen Unterzeichnungsberechtigten also, braucht es schon, wenn man die 17 Millionen drüben dauerhaft gemäß den Maßstäben von BRD-Kapital und Staatshaushalt mitbetreuen will. Daß man sich an die "Verantwortlichen", also an den Staatsratsvorsitzenden und seine Regierungsmannschaft wenden muß, ist vom Standpunkt der Nicht-Existenz eines rechtmäßigen Staates der DDR absurd. Es wird von den westdeutschen Staatsmännern auch so empfunden und entsprechend interpretiert, unter Zuhilfenahme von lauter gar nicht normalen, sondern einem sehr eigentümlichen Bedürfnis entspringenden völkerrechtlichen Konstruktionen: Erstens gehorcht der Umgang mit der DDR ausdrücklich rein pragmatischen Interessen und nimmt keine der prinzipiellen Rechtspositionen des Wiedervereinigungsanspruchs zurück. Zweitens dient er sogenannten "menschlichen Erleichterungen", soll laut BRD-Interpretation die "Folgen der Teilung für die Menschen erträglicher machen", solange die Teilung selbst "andauert". Unter diesem edlen Gesichtspunkt befaßt sich die BRD unablässig mit Regelungen des Privatlebens, die - normalerweise - in Beziehungen zwischen Staaten herzlich gleichgültig sind, auch wenn die ihren Bürgern im Privatleben ganz anderes zumuten als die SED. Der ideologische Titel der Einmischung - die Prätention der Fürsorge für die Untertanen des fremden Souveräns - wird hier nicht bloß an ausgesuchten Spezialfällen - "Folter!" - in besonderer Berechnung namhaft gemacht sondern dauernd und an allen möglichen Regelungen, die Staaten ihren Bürgern so auferlegen, zum Verhandlungsthema gemacht. Post- und Päckchenverkehr, Grenzübertritte hinüber und herüber, Familienbesuche und überhaupt Zusammenkommen jeglicher Art, gleichgültig welchen Inhalts, die kleinlichsten Reisemodalitäten und die Öffnung des DDR-Gebiets für so menschliche Kontakte wie die Bestrahlung durch ARD und ZDF bilden eine dauerhafte Verhandlungsmaterie. Dabei wird so getan, als ob sich das Lebensglück der DDR-Bewohner ausgerechnet in den Punkten zusammenfassen würde, in denen sie von der BRD staatsrechtlich mit betreut werden, so daß ihr eigener Staat es sich nie leisten kann, frei über ihre Reise- und sonstigen Gelüste zu befinden. Drittens gehört zu dieser Interpretation selbstverständlich der Dauerstreit darüber, ob sich die dabei gemachten "Zugeständnisse" in der Souveränitätsfrage auch lohnen oder ob man schon dabei ist, heilige Prinzipien der Nichtanerkennung zu opfern. Da muß immer wieder einmal daran erinnert werden, daß die DDR eigentlich ein großes KZ ist; daß man Honecker, wenn er die Grenze übertritt, eigentlich wegen des Schießbefehls sofort verhaften müßte. Da arbeiten sich ganze Diplomatenstäbe an Fragen der Art ab, wie man das Betreten von DDR-Boden unter größtmöglicher Nichtanerkennung des dafür zuständigen Staatswesens abwickeln kann. Da wird jeder Kontakt danach bemessen, wieviel Leistungen die DDR für die im schieren Zustandekommen von Kontakten enthaltene Würdigung ihrer Existenz erbracht hat. Dabei sind sich die streitenden Parteien in einem immer einig: Gemessen am Inbegriff der "menschlichen Erleichterungen", daß die DDR ganz als Erfüllungsgehilfe der BRD regiert, ist es nie genug.
Wegen dieser gar nicht normalen Verhandlungsmaterie ist die Politik der "Normalisierung" ein Dauerprogramm.
Eine Politik der Souveränitätsbeweise
Aus den politischen Forderungen, die die BRD-Regierungen dauernd ins Feld führen, macht die DDR einen fortwährenden Beweis ihrer vollgültigen Souveränität: Gerade wo es um den politischen Preis geht, den die Bonner im "innerdeutschen Verkehr" verlangen, ist eben immer die eigene souveräne Gewalt angesprochen. Kredit gegen Reiseerleichterungen, Geld für Menschenzusammenführung, aber auch ein Asylantenstopp in Berlin als Wahlhilfegeschenk an die SPD - über all so etwas läßt die DDR mit sich verhandeln. Der Bedarf nach ihrer förmlichen Zustimmung befriedigt sie so sehr, daß sie den Inhalt der Einmischung in Kauf nimmt. Selbstverständlich verhandelt die Regierung nicht über die Preisgabe ihres Sozialismus zugunsten der deutschen Einheit, was die westdeutschen Interessenten immerzu herauslesen, sondern um einen "Austausch" von Zugeständnissen, die dem Sozialismus, wie sie ihn will, nicht schaden, gegen westliche Leistungen, die sie für lohnend erachtet. Auf diese Weise hat sich die DDR stabilisiert - auffällig ist allerdings die häufige Verwendung des Adjektivs "stabil" zur Kennzeichnung eines entscheidenden sozialistischen Erfolgs; nicht minder der Stolz auf Respektserweise aus dem kapitalistischen Ausland und der Hinweis auf die vielfältigen Möglichkeiten eines "gutnachbarlichen Verhältnisses", als stünde eine prächtige gemeinsame Zukunftsperspektive auf der weltpolitischen Tagesordnung.
Im Zeichen dieses "gewachsenen Selbstbewußtseins" der DDR-Führung - das auch westlicherseits, nicht ohne Berechnung, anerkannt und gewürdigt wird - wächst der "innerdeutsche" Handel und Wandel, die DDR hat ihre Vorteile davon; und man nimmt auch schon mal einen beleidigenden politischen Vorstoß der westdeutschen Bundesregierung zum Anlaß, deutlich "Nein!" zu sagen. Das geht zwar nie auch nur bis in die Nähe einer Kündigung des eingebürgerten deutsch-deutschen Verkehrs; nicht einmal die Ablehnung der "Geraer Forderungen" - Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft, Umbenennung der Ständigen Vertretungen in Botschaften, Abschaffung der Ermittlungsstelle für Gewaltverbrechen in der DDR in Salzgitter, Verlegung der Elbgrenze in die Flußmitte hat die DDR-Regierung zu übermäßiger diplomatischer "Verärgerung" provoziert. Doch läßt sie es nicht an immer wieder einmal fälligen Hinweisen fehlen, daß sich die BRD mit ihr als mit einer souveränen Staatsmacht arrangieren muß, die auch Entscheidungen gegen die Interessen und das Gezeter der westdeutschen Deutschlandpolitiker treffen kann. Dann wird ein Millionengeschäft statt mit Krupp mit VÖEST Alpine abgewickelt, der Mindestumtausch wird erhöht und bleibt so hoch, wie er ist; bisweilen lassen sich auch Staatsbesuche absagen.
8. Aus gesamtdeutscher Verantwortung
Einheit durch Hineinregieren
Die Politik der innerdeutschen Beziehungen hat sich zu einem neuen Selbstverständnis durchgerungen: Sie will - mit allen ihren Ärgernissen - als ein Stück antizipierte Wiedervereinigung gelten. Konsequente Prinzipienreiterei in der Anerkennungsfrage - so inzwischen auch die C-Gruppen - würde sie nur immer weiter wegrücken vom Alltagsgeschäft des praktischen Einflußnehmens und Erpressens und könnte so nur die Teilung vertiefen. Jeder Schritt etablierter Abhängigkeit dagegen stiftet das Bewußtsein, daß das Leben der Menschen auch und gerade in Rostock eine abhängige Variable der Entscheidungen darstellt, welche Bonner Charaktere treffen.
Dabei läßt sich - gerade wegen der traditionellen Prinzipienreiterei - aus jedem Stück diplomatischem Entgegenkommen ein eigenes Verhandlungsangebot machen, zu verrechnen gegen ein Entgegenkommen der DDR in der merkwürdigen Materie "menschliche Erleichterungen", also für das Zugeständnis einer speziellen nationalen Zusammengehörigkeit. Jede Bundesregierung versteht sich als Korrekturinstanz von Recht und Ordnung in der DDR. Jeder Bundespolitiker versteht sich als befugte Anlaufstelle für unzufriedene oder erwartungsvolle DDR-Bewohner. Ein Stückchen Einheit durch Hineinregieren.
In diesem Geist wird am Ende sogar Honecker als Quasi-Staatsgast willkommen geheißen; sogar von Kohl. An ihm wird der Standpunkt veranschaulicht, daß da letztlich doch ein Deutscher i n seiner Heimat, also der Teil beim unteilbaren Ganzen vorbeischaut. Für diese Demonstration stilisieren Fernsehsendungen Honecker zur Abwechslung zum kommunistischen Patrioten; dafür salutiert eine Bundeswehr-Ehrenkompanie vor dem Verantwortlichen für Mauerbau und Schießbefehl, und die heutigen Vorsteher des westdeutschen Alleinvertretungsanspruchs lassen sich - wenn auch zähneknirschend - DDR-Hymne und Flagge auf westdeutschem Boden abringen.
Die Hetze gegen das "Völkergefängnis" und seine Wärter wird dann schon wieder losgehen; zumal Honecker absehbarerweise sein gesamtdeutsches Manifest unterschreiben und auch die Mauer nicht einreißen lassen wird. Letztlich fällt doch alles wieder auf die Frage zurück, welche grundsätzlich neuen Verhältnisse das Kriegsbündnis, dem die BRD ihre nationale Frage anvertraut hat, im "europäischen Rahmen" zustandebringt.
Gutnachbarliche Beziehungsillusionen
Die DDR ist dahin gekommen, den Wiedervereinigungsanspruch für eine Forderung zu halten, die sich an den Realitäten längst blamiert hat. Das erklärt sie für "Realismus", dem ihrer Meinung nach auch "Kalte Krieger" wie F.J. Strauß sich längst gebeugt haben oder beugen müssen. Und eben deshalb zeigt sie demonstrative Gelassenheit gegenüber den in der BRD immer wieder fälligen revanchistischen Tiraden, läßt sich im Winter als KZ beschimpfen und schickt im Sommer ihren Staatsratsvorsitzenden, diesmal auf einen echten Staatsbesuch, inkl. Hauptstadt, Hymne und Bundespräsident, so als wäre das der Triumph der guten über die schlechte Nachbarschaft.
Die neue Definition der Wiedervereinigungspolitik im Westen läßt die DDR kalt; schließlich geht eine Wiedervereinigung so wirklich nicht. Einer Politik, die mit seiner nationalen Vereinnahmung kokettiert, entnimmt Honecker die Gewißheit, mit seiner DDR zu einem wichtigen Gegenstand westdeutscher Interessen und einer erstklassigen Adresse bundesdeutscher Politik geworden zu sein; und er liest daraus eine Chance heraus. Laut hält er eine deutsch-deutsche Abrüstungsinitiative für möglich - nachdem ja schon zwischen Sowjetmacht und USA nach revisionistischer Lesart alles Mögliche "in Bewegung geraten" ist. Und er hält so etwas für unendlich vernünftig angesichts gewisser Gleichheiten der militärstrategischen Lage und ihrer speziell "deutschen Risiken".
So nimmt die DDR-Führung um des lieben Friedens und für noch etwas mehr an offizieller Anerkennungssymbolik diplomatisch Abstand von dem politischen Gegensatz, dem sich eine besondere "militärstrategische Lage" in "den beiden deutschen Staaten" immerhin verdankt. Weder von dem aufschlußreichen Bemühen der Bundesregierung um den Status einer besonderen Mittelstreckenraketenmacht im NATO-Bündnis läßt sie sich irritieren noch durch den Standpunkt des nationalen Sonderrechts den Bonn damit in seinem Kriegsbündnis untermauern will und der die DDR eher das Fürchten lehren könnte.
Dabei kann die DDR sich diesen Standpunkt eines gesamtdeutschen Friedensinteresses, über den Honecker und Dregger ziemlich gleichlautende Erbaulichkeiten von sich geben können, bloß im Vertrauen darauf leisten, daß die sowjetischen Raketen sowohl dem strategischen Zweck der NATO im allgemeinen im Wege stehen - als auch das gesamtdeutsche Endziel der BRD "unrealistisch" machen.