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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1987 erschienen.

SPD/SED:
ZWEI BEFEINDETE STAATSPARTEIEN MACHEN EIN PAPIER

<p>Erstmals seit Spaltung der Arbeiterbewegung gibt es ein gemeinsames Grundsatzpapier von Kommunisten und Sozialdemokraten - mit überraschenden Einsichten: "Der Wettbewerb zwischen Ost und West", beteuern SPD-Präside Eppler und ZK-Mitglied Reinhold (SED) übereinstimmend im SPIEGEL-Gespräch, "kann nicht Vernichtungswettbewerb sein".</p>

Als kleine Sensation wurde vor einigen Wochen vermeldet, daß die SED in Gestalt ihrer Dogmatiker von der Akademie der Gesellschaftswissenschaften zusammen mit den kritischen Rationalisten von der Grundwertekommission der SPD sich auf ein gemeinsames Gcundsatzpapier zum Thema "Streit der Ideologien und Sicherheitsinteressen" geeinigt haben.

Sensationell erscheint diese Mitteilung deshalb, weil zwar noch jedem gebildeten Bürger einleuchten mag, daß sich Deutschland (Ost) mit Deutschland (West) über Elbgrenzen einigen könnte, aber auf jeden Fall feststeht, daß die Ideologien der sozialistischen Weltrevolution mit den Idealen des Freien Westens - Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte - auf jeden Fall unvereinbar sind und bleiben, weswegen man den Politikern im Osten immer mit grundsätzlichem Mißtrauen begegnen muß, wenn sie sich auf sie berufen.

Andererseits ist z.B. so ein Vertrag über die Elb-Grenze, bei dem es um handfeste, gegensätzliche Staatsinteressen geht, nicht so leicht zu haben wie ein Streit der Ideologien - also ein Gedankenaustausch, der von sich selber sagt, daß er einer bleiben will. Er kostet die beteiligten Parteien kein Stück wirklicher Staatsmacht, sondern bloß Papier, das sie sonst auch bloß mit agitatorischem Mist vollgedruckt hätten.

Trotzdem, ein paar Purzelbäume braucht es schon, damit sich die Grundgedanken von Parteien verfeindeter Systeme in einem gemeinsamen Papier finden. Die SPD ist schließlich staatstragende Partei der Bundesrepublik, und die SED besetzt die Kommandohöhen der DDR. Dem in diesen Parteien verkörperten Gegensatz der beiden deutschen Staaten abzuschwören, hatten die Sozialisten von drüben und die Sozialdemokraten von hüben natürlich nie und nimmer im Sinn. Sie haben sich vielmehr mit ihrem Grundsatzpapier das Programm vorgenommen, einmal von der real existierenden Feindschaft zwischen ihnen abzusehen, einmal ein paar Seiten lang so zu tun, als gäbe es sie gar nicht, und sich ausschließlich auf dem Felde der Parteiideologien zu bewegen. Aber da diese nichts als ein Reflex der gegensätzlichen Systeme sind, hat man sich sogar einige Mühe geben müssen, saudumme ideelle Gemeinsamkeiten zu erfinden und zu Papier zu bringen, um kein leeres abgeben zu müssen, und die Fiktion des gemeinsamen Anliegens Wort werden zu lassen.

Altes Erbe

"Sozialdemokraten und Kommunisten berufen sich beide auf das humanistische Erbe Europas. Beide nehmen für sich in Anspruch, dieses Erbe weiterzutragen, den Interessen der arbeitenden Menschen verpflichtet zu sein, Demokratie und Menschenrechte zu verwirklichen.

Aber sie leben seit sieben Jahrzehnten in bitterem Streit darüber, in welcher Weise dies zu geschehen hat." (SPD und SED: Wir Kommunisten und Sozialdemokraten..., in: Frankfurter Rundschau, 28.8. Daraus, soweit nicht anders vermerkt, auch die folgenden Zitate.)

Erstens also wollen sich Sozialdemokraten und Kommunisten hier zur Abwechslung mal als deutsche Menschen und Politiker in eine Reihe stellen mit de Gaulle, Adenauer, Bismarck, Luther, Erasmus von Rotterdam und 'Iphigenie auf Tauris'. Zweitens unterscheiden sie sich von denen fortschrittlich darin, daß sie "edle Einfalt, stille Größe" bei einer besonderen Sorte "Menschheit" entdeckt haben und sich dieser verpflichtet sehen wollen: den "arbeitenden Menschen", die für eine moderne Politik Objekt und Berufungsinstanz zugleich abgeben. Drittens sind also SPD und SED letztlich nichts anderes als das historisch vorläufige Ergebnis eines theoretischen Diskussionsprozesses um die Frage, was Arbeitern in ihrer bedeutenden Rolle für den Staat am besten bekommt. Viertens ist klar, daß dafür die Titel "Demokratie" und "Menschenrechte" immer passen, weil da das Mißverständnis, es ginge irgendwie um Materielles, auf jeden Fall vermieden wird. Fünftens waren also die "Kritik des Gothaer Programms" oder der "Renegat Kautsky" letztlich nichts anderes als Beiträge zur Kulturgeschichte Europas, deren Erben jetzt auf Regierungssesseln sitzen, von wo aus sie den Streit, wer dieses Erbe am erfolgreichsten repräsentiert, überhaupt am allerbesten führen können.

Bloß: Zu was in aller Welt soll denn ein solcher Streit gut sein, wer braucht ihn und wozu? Es mag ja noch angehen, daß Parteien einen "ideologischen Streit" um die Frage führen, welche politischen Ziele anzustreben seien, welche Methoden am besten zu einem gewünschten Ziel führen. Aber nicht nur stehen hier die Staatszwecke von BRD und DDR fest, ebenso wie die politische Programmatik der zu diesen Staaten gehörenden Parteien. Sie stehen in diesem "Streit" nicht einmal in ihrer ideologischen Gestalt, als freiheitlich-sozialistischer bzw. real-sozialistischer Wertehimmel, zur Debatte. Im Gegenteil: Im Anschluß an das gemeinsame Bekenntnis zum "Erbe der Arbeiterbewegung" leiern beide Seiten in sozialkundebuchmäßiger Form alles runter, wovon jeder weiß, daß es absolut unverträglich ist: "pluralistisch organisierte Demokratie" und "Demokratie als Eigentum an den Produktionsmitteln", "Menschenrecht als absoluter Wert" und "gesellschaftliches Eigentum als sozial-ökonomische Grundlage für die freie Entfaltung des Menschen" usw. usf. Und insofern das jeweils der Wert-Überbau zu dem ist, was die politische Gewalt in beiden deutschen Staaten praktisch garantiert und aufrechterhält, gibt es hier auch gar nichts zu "diskutieren": Die Gültigkeit dieser Werte beruht ja - das ist der wirkliche Ausgangspunkt dieses Treffens ebenso wie der Tatsache, daß man sich diese Werte um die Ohren schlägt - nicht auf ihrer theoretischen Abgeleitetheit aus irgendeinem "Erbe" (wie sollte das auch gehen!), sondern auf per Staatsgewalt definierten politischen Zwecken.

Für die Fiktion der Gemeinsamkeit wird diese Verrücktheit veranstaltet: Nicht nur das alte europäische Erbe zerrt man dafür hervor, auch der abstrakte Streit ums beste Humanum soll dem dienen. Kein Zweifel, hier haben sich zwei feindselige Ideologenmannschaften darauf geeinigt, am gemeinsamen Ideal, 'Mensch' ihre Differenzen in eine gemeinsame Erklärung zu schreiben. In diesem Sinne steigen die Parteien noch ein Stück höher..

Moderner absoluter Weltgeist

Außer dem Gestern spricht auch das Heute für diese absurde Sorte von Verständigung. Und zwar in Gestalt eines Wortes, das so modern ist, weil es wischen den Lagern kracht: Frieden.

"Unsere weltgeschichtlich neue Situation besteht darin, daß die Menschheit nur noch gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen kann. Eine solche Alternative ist historisch ohne Beispiel. Sie verlangt ein politisches Denken, das historisch ebenfalls ohne Beispiel ist, ein neues Herangehen an die internationalen Angelegenheiten, sondern an die Sicherung des Friedens."

Das ist stark! Ja, das ist unseres Wissens auf deutschem Boden sogar historisch ohne Beispiel. Eine totale Menschheitskatastrophe (Wo sind die Systeme, wo sind sie geblieben?), der Untergang des gesamten Erdballs (Gab es da nicht die NATO und den Warschauer Pakt?) soll gut dafür sein, daß sich die SED aus Ostdeutschland und die SPD aus Westdeutschland gemeinsam die Hucke vollabern und es auch noch veröffentlichen. Was jedes Kind wissen könnte (wenn SPD und SED es nicht vorher verdorben hätten), daß die Liquidierung und Ruinierung von einer ganzen großen Masse von Leuten und Land ihren Grund in der gar nicht unbekannten Feindschaft von Staatensystemen haben (was nicht dasselbe ist wie: Erdball samt Menschheit kaputt); daß weiterhin die Kriegsgefahr in Deutschland irgendwie mit West- und Ostdeutschland zu tun hat, wird hier in eine Weltlage oder -tendenz verfabelt. Um noch den wahnsinnigen Gedanken nachzuschieben, daß die harten strategischen Tatsachen aus ideologischen Verirrungen herrühren würden, gewissermaßen aus einer falschen Diskussionstechnik.

Zwei durch Systemfeindschaft geprägte Parteien, die sich ansonsten um die entsprechende Rüstung kümmern, seufzen allen Ernstes nach einem "neuen politischen Denken", das den ganzen Schlamassel verhindern könnte. So ersäufen die Kontrahenten ihren Gegensatz und den weltpolitischen Gegensatz überhaupt in der Verständigung über den Wunsch nach "Verständigung". Kein Wunder, daß die "Wege" dazu, die man sich ausdenkt und die die grundlegende Feindschaft nicht im geringsten ankratzen, sich auf die billige moralische Idee zusammenkürzen, daß die Welt ein wunderschöner Ort sein könnte, wenn alle sich bloß vernünftig aufführen würden. Zur Bebilderung dieser Moral werden zunächst einmal alle Verantwortungstitel heruntergeleiert, über die die Weltpolitik inzwischen verfügt, um zu beweisen, wie gefährlich und problematisch die "Lage" allüberall ist und wie wichtig deshalb übergreifendes, politisch ordnendes Zusammenwirken wäre. Von der "Sicherung eines menschenwürdigen Lebens für alle" über die "Erhaltung der Biosphäre" und die "Überwindung der ökologischen Krise" bis hin zu den hungernde Negerkindern müssen alle Ergebnisse der Taten des Imperialismus herhalten, um die ideelle Notgemeinschaft für die Menschheit in Gestalt der SPD-Grundwertekommission und der SED-Akademie der Wissenschaften in Aktion treten zu lassen.

Konkurrenz für den Frieden

Aus dem absichtsvoll bloß ideellen Charakter der hier übernommenen gemeinsamen "Verantwortung" - werktags verantworten ja die Diskutanten immer nur ihre freiheitliche bzw. sozialistische Sache, die sie vom anderen bedroht sehen - folgt einerseits, daß diese "Aktion" ausschließlich in Gelaber abgeschmacktester Provenienz besteht. Andererseits müssen die Ideologen, die sich zu einer grenzüberschreitenden "Verantwortungsgemeinschaft" verstiegen haben, leider doch feststellen, daß die gemeinsame Verantwortung aus konkurrierenden, ja sogar sich ausschließenden Verantwortungen besteht:

"Ausgehend von der Notwendigkeit, den Frieden gemeinsam zu sichern, werden eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen, wie man trotz dieser grundlegenden Unterschiede in unserer widersprüchlichen und zerbrechlichen Welt zusammen leben und gut miteinander auskommen kann... Ebenso wird begründet, daß die Zahl der globalen Probleme wächst, die nur gemeinsam, von der Menschheit insgesamt, gelöst werden können... Natürlich ist das nicht möglich, solange die NATO auf ihrer Strategie der Abschreckung beharrt." (Otto Reinhold (Ost), Interview in der "Einheit", 9/87)

"Die Beziehungen zwischen den beiden Systemen sind nicht nur durch gemeinsame parallele oder sich annähernde, sondern auch vor allem durch entgegengesetzte Interessen charakterisiert."

Auf einmal soll es doch nicht die schlechte Verständigung zwischen den Staaten, die fehlende Verantwortungsgemeinschaft sein, die den Frieden gefährdet. Wollte man zunächst in Absehung von allen bestehenden Gegensätzen über den vernünftigen Streit der Ideologien und mit höchster Verantwortung für die Menschheit den Frieden sichern und die Weltkatastrophe abwenden, so soll es nun eine weniger böse Form sein, in der sich die Feindschaft der Systeme austrägt, womit Schlimmeres verhütet wurde. Dazu darf man sich jetzt den Ost-West-Gegensatz wie eine Leichtathletikmeisterschaft denken, bei der sich die Kontrahenten leider immer in der Wahl ihrer Mittel vergreifen und statt zum Diskurs zur Rakete greifen. Weil aber der zwischen beiden Lagern vorbereitete Krieg so anerkanntermaßen fürchterliche Folgen hat und so manchen Zeitgenossen einigermaßen erschreckt, verständigten sich die feindseligen Grundwertekommissionen kurzerhand darauf,

"die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Systemen einzig und allein noch in der Form des friedlichen Wettbewerbs und also gewaltfrei zu führen. Jedes der beiden Systeme kann die von ihm beanspruchten Vorzüge nur durch das Beispiel zeigen, das die Menschen innerhalb und außerhalb seiner Grenzen überzeugt."

- statt die historisch bewährte Form der Überzeugung mit dem Krieg zu wählen. Vopos und Bundesgrenzschutz, Bundeswehr und Volksarmee geraten dennoch nicht ins Visier dieser scharfsinnigen Kritiker eines übertrieben aggressiven Wettbewerbs der Vorzüge.

"Gewaltfrei" - das heißt im Jargon der Politideologen nicht nur ohne Krieg. Jeder Einsatz der Staatsgewalt unterhalb dieser Schwelle, mit der sie ihren Interessen daheim und auswärts Nachdruck verleiht, gerät diesen Schönfärbern zur schieren Überzeugungsarbeit, zur Diskussion, zum Vorzeigen des eigenen guten Beispiels, an dem die Völker der Welt sich dann eins nehmen können. Diese Herrschaften tun so, als wüßten sie nicht, was ihre Systeme mit ihren friedlichen Gewaltmitteln alles anrichten. Dabei ist selbst noch die Glaubwürdigkeit des Schwachsinns, den west-östliche Chefideologen verbraten, eine Gewaltfrage: Wer würde das Zeug denn für bedeutsam halten, käme es nicht von politischen Machern mit einigem an Gewalt im Rücken!

Dauerstreit - Kultur

Der Idealismus der Verständigung, den sich SPD und SED mit ihrem Dokument vorgenommen haben, nimmt der Systemfeindschaft nichts von ihrer Substanz. Der erklärte Wille, einmal ganz von ihr abzusehen, lebt schließlich von ihr. So beharren im friedlichen Wettbewerb der Ideologien beide Seiten auf ihren heiligen Kühen. Da wird dann das Ideal "gedeihliche Zusammenarbeit" dadurch gerettet, daß nicht etwa ein Streitgegenstand geklärt würde, sondern - man sich im Streit die Differenzen hinschreibt und dies zu einer "Kultur des politischen Streits und des Dialogs" erklärt. Deren Prinzip besteht darin, daß man den anderen beschimpft, ohne daß er es so auffassen darf. Wie man das machen soll, schreiben sie auch noch hin. Erstens muß dieser Streit sein, zweitens darf man sich nie und nimmer einigen -

"Der Streit über gegensätzliche Grundpositionen läßt sich weder durch Kompromißformeln noch durch Appelle an den Friedenswillen beenden."

- also geht es auch nicht darum, genausowenig wie "Frieden" angesichts der "nuklearen Gefahr" plötzlich Staatsprogramm wird. Drittens

"wäre auch niemandem gedient, wenn die Gegensätze verwischt würden",

da es auf die gerade ganz furchtbar ankommt. Die Kunst eines Streitens ohne Gegenstand, der nicht zustandekommen darf, weil es ja gerade auf seine Kultivierung ankommen soll, ist für sensible Machthaber eine harte Sache:

"Wir werden in der Spannung von Konsens und Konflikt leben müssen."

Dann sollen sie das doch tun, sich in ihr Kämmerchen zurückziehen und die Menschheit mit ihrem Gelaber über die Dialogfähigkeit prinzipiell unvereinbarer Positionen verschonen. Aber nein - der Schein muß schon gewahrt werden, als ginge es hier um praktische Fragen west-östlicher Verständigung. Die geht nämlich, wenn sich beide Seiten an den eigens von den realsozialdemokratischen Politmoralisten entwickelten Knigge zur Vermeidung von Mißverständnissen beim Diskutieren mit Feinden halten.

Erstens "darf keine Seite der anderen die Existenzberechtigung absprechen", weil die eine Seite das weiterhin tun will, aber nur so ein Dialog geht. Zweitens darf man feindliche Akte nicht als solche mißverstehen:

"Beide Seiten müssen daher für eine erfolgreiche Friedenspolitik beim jeweils anderen ein authentisches Interesse an der Erhaltung des Friedens in der atomar gerüsteten Welt voraussetzen - der Erfahrung friedensgefährdender Konflikte zum Trotz."

Beide Seiten fordern dazu auf, dem anderen nicht zu mißtrauen, damit der Dialog gehe. Dieser Imperativ zum Vertrauen stellt gewisse Anforderungen an die Kunst der Verstellung und der Wahrnehmung dazu:

"Beide Systeme müssen zu verhindern versuchen, daß sie vom jeweils anderen so wahrgenomnen werden, als seien sie aufgewaltsame Expansion angelegt"

- was man nicht etwa dadurch erreicht, daß man es eben unterläßt, die "deutsche Frage" für "offen" zu erklären, sondern immer ein "aber nur mit Zustimmung der Betroffenen" hinterherschickt - oder was? Eines ist diesem Sittenkodex schon zu entnehmen: Die Verfasser kennen sich in den bereits praktizierten Methoden der Vorkriegsdiplomatie - immer , dem Feind sagen, daß er sich nicht getroffen zu fühlen braucht, wenn man wieder was Neues gegen ihn in Stellung bringt - offenbar nicht nur gut aus, sondern schätzen sie auch noch so, daß sie sie gerne als Beweis für ihren guten Willen zur Kriegsverhinderung verkaufen möchten.

In dem Papier jedenfalls zeigen sich die Chefideologen beider Seiten von ihrer Idee einer neuen politischen Moral so begeistert, daß sie sie gleich zu 8 Regeln einer "Kultur des politischen Streits" ausbauen, wo sich dann so erlesene Anforderungen finden wie die, daß mn bei der wechselseitigen Beschimpfung nicht allzu offen lügen soll ("Kritik an den gesllschaftlichen Verhältnissen im anderen System sollte auf nachprüfbaren Tatsachen beruhen") und daß "Einmischung" zu unterbleiben, jedoch "Kritik, auch in scharfer Form", nicht als solche zu werten sei - was in jedem Fall vorliegt, wird dann wohl ein gemeinmes Gremium zur freiwilligen Selbstkontrolle entscheiden.

Fazit: Wenn West wie Ost sich immer in netter Form sagen, daß sie sich unerträglich finden, dann merken sie, daß sie miteinander reden können, und zumindest dazu eigentlich keine Raketen brauchen. Weil an Kriegsgründen nicht gerüttelt werden soll, braucht die Menschheit also nichts dringender als ein dauerndes Gequatsche über Möglichkeiten der Verständigung - bis es kracht.

Der Ertrag

des Dokuments ist das Dokument. SPD und SED haben sich wechselseitig bestätigt, daß sie Prinzipien kennen, unter denen es möglich wäre, daß auch Feinde sich näherkommen, und das wollen sie wider besseres Wissen als ein bedeutsames Stück west-östlicher Politik gewürdigt wissen.

Dieses Dokument schreit nach den Interpretationen, für die es verfertigt worden ist. Egon Bahr dient es im Bundestag zum Beweis, daß SPDler immer noch die tüchtigsten Antikommunisten sind, weil sie alle Schach- und Winkelzüge kommunistischen Denkens kennen, weshalb die SPD auch berufen sei, die SED ideologisch über den Tisch zu ziehen und so in Sachen Ostpolitik das Interesse der BRD am erfolgreichsten durchzusetzen. Deswegen mußten CDU/CSU unbedingt daran erinnern, daß die SPD wieder einmal die unvergleichlichen Grundwerte der Demokratie durch den Schmutz des Vergleichs gezogen hätte. Andererseits konnte sich auch ein CDU-Ostexperte dem Reiz des Eppler-Dokuments nicht ganz verschließen: "Da stehen Dinge drin, die sind wirklich atemberaubend. Schließlich ist von Gewaltenteilung, Pluralismus, offener Diskussion über Systemvergleich und von Zeitungsaustausch die Rede."

Das sieht die SED natürlich genauso. Der SPD bescheinigt sie, in Friedensfragen sich "konstruktiv den Erfordernissen der Zeit zu stellen", in Fragen der "Gesellschaftsordnung" eine kapitalistische Partei zu sein - macht aber gar nichts, weil es auf das erste ankommt. Zusammengefaßt heißt das so:

"Wir haben nun einmal grundsätzliche Differenzen in durchaus wesentlichen Fragen. Das ist nicht neu. Neu ist, daß wir dennoch miteinander reden können und im Ergebnis zu gemeinsamem Handeln kommen. Davon zeugt der ganze Prozeß des intensiv geführten Dialogs." (Interview in der "Einheit")

Und der hat ja stattgefunden.