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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1986 erschienen.

Die Verbrechen der Russen
WAFFEN

Die Russen haben Waffen. SS 20!

Die Sowjetunion hat Waffen. Die sind weder offensiv noch defensiv, sondern die Machtmittel einer Weltmacht und ihrer Interessen und fallen dementsprechend groß dimensioniert aus. Berechnet ist das ganze Arsenal von der Infanterie bis zu den Interkontinentalraketen nicht auf einen maßlosen, "unersättlichen" Eroberungswillen der UdSSR, sondern auf den Gewaltapparat der USA und der NATO. Der Zweck ist kein Waffenvergleich, vielmehr geht es um den politischen Willen der Sowjetunion, einem Gegner, der spätestens seit Jalta die Existenz des Ostblocks für einen "unerträglichen" Webfehler der Weltordnung hält, zur Anerkennung des Status quo und zur Koexistenz mit der UdSSR zu zwingen. Dieser politische Antrag ist weder friedlich noch aggressiv. Die grundsätzliche Mißachtung durch die andere Seite ist für die Sowjetunion der Kriegsgrund, den sie kennt und mit dem sie rechnet. Gegen den erklärten Willen des Westens, den Anspruch auf Selbstbehauptung der UdSSR als Weltmacht, die weltpolitisch mitentscheidet und mitregelt, als unzulässiges Angebot zu verwerfen und als den Angriff auf die Freiheit des souveränen Westens zu betrachten, hat die UdSSR immer mehr Waffen nötig. An dieser Kriegskalkulation und an deren Ende im Kriegsfall sind die Waffen garantiert unschuldig. Sie sind so gut oder böse, wie sie als Mittel dafür taugen.

Immerhin dafür hat es gereicht: Mit der Entwicklung russischer Interkontinentalraketen, mit denen noch so schön vom Westen herausgearbeitete Kriegserfolge durch die Verwüstung der amerikanischen Militär- und Wirtschaftszentren zunichte gemacht werden könnten, hat den USA und der NATO eingeleuchtet, daß ein Zustand des Patts eingetreten war. Insofern hat die Rote Armee als zweitgrößte Friedensbewegung der Welt 40 Jahre lang in Europa den Frieden gesichert. Dem frommen Wunscln der Kreml-Herren, es dabei bewenden zu lassen und zum "friedlichen Wettbewerb der Systeme" voranzuschreiten, hat der Westen nichts abgewinnen können. Die Entspannungsära wurde begleitet von "Rüstungsverhandlungen". Bei der Materie ging es logischerweise nicht um Abrüstung, sondern um die einvernehmliche Kenntnisgabe an den jeweiligen Gegner, welche Mittel man in der Hand hat und plant, um ihn fertigzumachen, und die bessere Feinabstimmung dieses aufeinander bezogenen Kriegsgeräts. Passend dazu setzte der Westen einen Aufschwung an Rüstungsfortschritten ins Werk, vervollständigte alle Waffengattungen und setzte den Russen ein militärisches Gleichgewicht nach dem anderen vor die Nase. Das bedeutendste davon waren die famosen Pershings, mit denen den Russen ein selbständiges europäisches Schlachtfeld angeboten wurde, eine Aufwertung der BRD, die Altkanzler Schmidt zum Erfinder hat. Die Sowjetunion hat dabei mitgezogen, um den Westen von der "Sinnlosigkeit" dieses "Wettrüstens" zu überzeugen. Auch das ist keine Schuldfrage von Vor- oder Nachrüstung, wie eine Friedensbewegung meinte, die sehr zeitgemäß die Rüstung nach den Kriterien der Kriegsmoral zur Kenntnis nahm.

Seit einiger Zeit ist man im Kreml, aus welchen Gründen auch immer, zu der Überzeugung gelangt, daß der Westen die Sowjetunion mit SDI fertigmachen will. Die führenden Russen haben dagegen zunächst einmal die Maßnahme ergriffen, sich an einen Verhandlungstisch nach Genf zurückzwingen zu lassen. Dort angekommen, mußten sie feststellen, daß das Druckmittel gar nicht zur Diskussion stand.

Die Enttäuschung darüber, daß dieser diplomatische Draht reißt, hat Gorbatschow staatsmännisch bewältigt. Er hat seine Frau mitgebracht und signalisiert, daß er jedenfalls den Übergang zum heißen Krieg nicht will. Die Weltmacht Sowjetunion denkt eben mehrschichtig. Einerseits kennt sie das Ziel der USA und der NATO, auf eine siegfähige Überlegenheit zuzusteuern; andererseits baut sie auf die Einsicht des Westens, zumindest in Rüstungsangelegenheiten an der Wucht des russischen Waffenarsenals, das den Westen das Fürchten lehrt, nicht rücksichtslos vorbeigekommen zu sein. So weit sieht sie ihr weltpolitisches Ziel, Koexistenz mit den USA, verwirklicht, und so klagt sie die gegenseitige Aufrüstung, so wie sie zu Zeiten der sogenannten Rüstungskontrollverhandlungen vonstatten ging als gemeinsames Werk beider Supermächte ein. Die Gewißheit, daß es dem Westen auf Überlegenheit ankommt, mit der sie praktisch durch zusätzliche Rüstung umgeht, sieht da ganz anders aus. Die USA "verweigern" sich der "gemeinsamen Verantwortung für den Rüstungswettlauf", was nicht ihr eigentliches Interesse und ihr Nutzen sein kann - siehe die Existenz der UdSSR! Dahinter müssen die den Revi-Lehrbüchern entsprungenen Märchengestalten stecken: Rüstungsmonopole, reaktionäre Kreise und chauvinistische Politiker. Wo die UdSS mit westlichen Politikern verhandelt und mit kapitalistischen Geschäftsleuten Abkommen schließt, sind sie nur nie zu entdecken. Das militärische Programm der UdSSR heißt: Dagegenhalten, um den Westen vom "Rüstungswahnsinn" abzubringen. Das war bislang ihr Mittel - und ist deswegen nicht absurd -, und auch gegen die Aufkündigung dieser aufgezwungenen Rücksicht von seiten des Westens weiß sie kein anderes.

Die Russen haben immer noch Waffen!

Es ist ja ziemlich lächerlich, einem Staat und noch dazu dem Führer eines Staatenblocks den Vorwurf "Du besitzt Waffen!" zu machen. Begründet und einleuchtend ist der Vorwurf in ganz anderer Weise, nämlich als Kundgabe des eigenen politischen Willens: "Dort sitzt unser erklärter Feind." An dem stört nicht, wie menschenungerecht er mit seinem Volksmaterial umspringt oder welche ökonomischen Schädigungen und diplomatischen Niederlagen er einem zufügt, sondern die pure Existenz dieses Staates, der mit einiger militärischer Gewalt auf sein staatliches Lebensrecht pocht. Was sonst das zwischenstaatliche Treiben so lebendig macht, angefangen von Handelsverträgen zum gegenseitigen Nutzen, mit denen die Klage über "ungerechte" Benachteiligung einhergeht, bis zu diplomatischen Akten der Völkerverständigung, die auch nie ganz zufrieden stimmen - das alles zwischen Partnern, die sich in ihrer Staatshoheit anerkennen, wenn sie aufeinander Einfluß nehmen -, dem "waffenstarrenden Koloß" Sowjetunion gegenüber wird das zu einem Ding der Unmöglichkeit erklärt. Für sie ist ein anderer Umgang fällig - und nur das macht den Vorwurf ernsthaft: Diplomatische Rücksicht und geschäftlicher Verkehr sind Mittel dafür, daß sich mit der UdSSR nur die Partnerschaft der Waffenkonkurrenz lohnt und stehen unter diesem Vorbehalt. Anerkennung genießt die Sowjetunion nur wegen ihrer Waffen und so weit die dem Westen Rücksicht abnötigen. Das ist das Ärgernis, das nicht geduldet werden soll, deshalb der Vorwurf "Waffen".

Einmal der Sowjetunion die grundsätzliche Feindschaft angetragen, können deren Waffen gar nicht umhin, ihren menschenfeindliche Charakter zu offenbaren: "Vor den russischen Raketen muß man sich zu Tode fürchten, denn sie bedrohen uns!" Die NATO-Befehlshaber wird diese Selbstverständlichkeit wenig rühren, sie haben ja für die Russen dieses Kriegsszenarium vorgesehen. Bundesdeutsche Bürger denken da unpraktischer, sonst könnten sie darauf kommen, daß sie, genau so wie die "sozialistischen Menschen" auf der anderen Seite, denen westliche Bomben in's Haus stehen, das Material für die Feindschaftserklärung sind, die ihr Staat aus Gründen, die keinem einfachen Menschen einfallen können, einem anderen anträgt. Statt dessen stattet das Zutrauen in unsere Politiker, weil es "unsere" sind, die Waffen, über die "wir" verfügen, mit einem guten Recht aus. Nur bei Waffenparaden auf dem Roten Platz muß man an Krieg denken, bei uns wird für die Kriegsverhinderung geschossen. Könnten solche Bürger russische Zeitungen lesen, würden sie nichts Neues erfahren: Auch dort wird die Verteidigung geübt, bis es knallt. Weil dieser zutrauliche Standpunkt eine Frage der Gesinnung ist, brauchen gute Bürger noch nicht einmal zu glauben, daß durch die atomare Duftwolke, die eine Pershing im Ernstfall entwickelt, das teuer verdiente Kleinauto vor der eigenen Haustür geschützt wird.

"Rote Raketen sind böse!"

Die Aufsteller der westlichen Verteidigungsmacht haben gewichtigere Nachweise für die verderbten Absichten der aggressiven Sowjetunion, als sie ein braver Untertan hinkriegt, wenn er sich den Russen als seinen höchstpersönlichen Feind zurechtschnitzt. Etwas Verständnis für das Wesen des "sozialistischen Systems" schafft westlichen Politikern da schnell Klarheit, und die gewonnenen Einsichten können sie nicht oft genug unter ihr Volk bringen. Die Sowjetunion hat - nach eigenem Bekunden - doch gar nicht die guten Gründe aufzuweisen, die aus der schlagenden Staatsgewalt ein so unverzichtbares Lebensmittel der Nation machen. Sie will die materiellen Interessen des Privateigentums und die Geschäftspraktiken der freien Marktwirtschaft abgeschafft haben, die aus dem "sozialen Frieden" im Innern und aus "unseren Abhängigkeiten" von außen so kostbare Güter werden lassen, für deren Schutz das Beste an Gewaltmitteln gerade gut genug ist. An der weltweiten Verteidigung der Werte, für die wir einstehen müssen, damit eine einzige Völkergemeinschaft "in Frieden und Freiheit" entsteht, sind die Russen doch gar nicht beteiligt; wieso dann das russische Waffengerät, zumal wenn es auf Weltdimension angelegt ist: Eine gute Notwendigkeit ist nicht zu erkennen und der Verdacht wird unabweisbar: Hier ist grundböse aggressive Absicht am Werk, von Kreml-Zaren, die fanatisch auf Gewalt um ihrer selbst willen setzen. Das ist dasselbe wie "Weltrevolution", haben sich die NATO-Politiker durch gründliches Lenin-Studium belehren lassen. Die Russen rüsten und rüsten, wo sie sich das noch nicht einmal "leisten können". An dem stolzen Bekenntnis, wofür der gesellschaftliche Reichtum im Westen gut ist, entlarvt sich der gefährliche Wahnsinn eines Kriegstreibers. Oder anders gefragt: Wäre der Sozialismus so harmlos und kooperativ, wie er immer von sich behauptet, dann hätten die Russen ihre Waffen schon. längst im Westen abgeliefert. Dort ist die Rüstung zu Hause und entspricht Geschäft und Menschennatur. Ohne den Sozialismus verteufeln zu wollen - die Aussprüche Reagans gelten gemeinhin als altmodische Ausrutscher -, ergibt sich aus der so erhärteten Kenntnis vom "Wesen" des Sozialismus doch klar: Seiner Natur nach hat er ein Lebensrecht nur, wenn er sich selbst entwaffnet. Ihm dabei zu helfen, trägt den unschönen Namen "Totrüsten".

Das wollen die drüben nicht wahrhaben und begleiten ihren "Rüstungswahn" mit Behauptungen, die jeder Einsicht spotten. Fassungslos stehen westliche Politiker vor der "Lebenslüge" der UdSSR: Wer in aller Welt soll denn den Ostblock bedrohen? Sich schützen zu wollen, wenn der Westen jeden Grenzabschnitt zur UdSSR zu einem immer besser sortierten Waffenlager ausstattet und den Rest der Welt zu einer einzigen Nachschubbasis aufrüstet das spricht nur für eine absurde "Einkreisungspsychose" im Kreml. Wo bleiben denn die Abrüstungsschritte, die die Sowjetunion dauernd zu einem ihr dringlichen Interesse erklärt? Was ist mit den ständig versprochenen Vorleistungen? Sie werden weder einfach wahrgemacht, noch sind sie von der harmlosen Natur, die Welt durch Selbstentwaffnung sicherer zu machen. Damit soll der Verteidigungswille des Westens erpreßt und gespalten werden; da kann man froh sein, von Kohls und Mitterands regiert zu werden, die jeden Schacher kompromißlos ablehnen, weil ihnen Erpressung wesensfremd ist. Die östlichen Friedensschalmeien tönen eben immer nur davon, daß die Russen ganz und gar abrüstungsunwillig sind, sonst würden sie doch die Waffen wegschmeien und die Grenzen durchlässig machen, damit auch die Bundeswehr wieder den Heimatboden des grodeutschen Reiches betreten könnte. Statt dessen rüsten sie weiter, und das trotz der westlichen Bemühungen um ein "Gleichgewicht, mit immer weniger Waffen", dessen praktiziertes Rezept lautet: Immer mehr aufrüsten, damit endlich die Einsicht, daß an der Abrüstung kein Weg vorbei führt, Platz greift.

Dabei zeigt sich, daß die UdSSR zu viele Waffen für ihre Selbstverteidigung besitzt. Das ist kein militärstrategischer Befund, sondern die einzige Art und Weise, wie die Waffen eines erklärten Feindes, gegen den man zum Krieg rüstet, anerkannt sind. Sie sind die Machtmittel eines Staates, den der Westen schon ideell seinem Waffenmonopol unterstellt hat. Der Wille, dieses Verhältnis wahrzumachen, gibt das Maß ab, mit dem ein Staat einem anderen vorschreibt, wieviel an Waffen ihm rechtmäßig erlaubt sind - nämlich keine. Zu viele sind es als Hindernis für den westlichen Wunsch nach zweifelsfreier Überlegenheit. Russische Waffen werden gewürdigt als ärgerliche, aber darin zu berechnende Reaktion auf die Kriegsabsicht, für die der Westen sich mit Tötungsmaterial jeder Art ausstattet. Für nichts anderes sollen sie taugen, als sich daran zu messen. Diese Aufgabe hat die UdSSR sich bei allen dafür ersonnenen Rüstungsfortschritten gestellt. Da konnte die augenscheinliche "Aggressivität" der Russen nicht ausbleiben. Gegen das Programm, eine Welt in "Frieden und Freiheit" zu schaffen, hält sie mit Waffen dagegen, um "uns" davon abzubringen. Diese Erpressung ist unrealistisch und unlauter: Mit Waffen wird nicht erpreßt, sondern Krieg geführt.