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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1986 erschienen.

Systematik

Internationale Heimatkunde
LA GRANDE NATION

Die REPUBLIK FRANKREICH verfügt über eine eigenständige Atomstreitmacht und über Kolonien im Pazifik, um sie auszuprobieren. Sie ist ein zuverlässiger Eckpfeiler der NATO, ohne ihr anzugehören. Sie ist längst nicht mehr unser 'Erbfeind', sondern mit der BRD in deutsch-französischer Freundschaft verbündet. Und wie überall, wenn Geschäft und Gewalt eine Nation groß machen, brauchen auch die Franzosen jede Menge 'savoir vivre', um noch an ihr tägliches 'baguette'zu kommen.

"Was in einer von Ungleichheiten zerrissenen und von einem ungeheuren Zerstörungspotentinl bedrohten Welt am meisten frappiert, sind die unangemessenen Antworten, die rückständigen Initiativen der Supermächte, die nur einen einzigen Aspekt der Probleme berücksichtigen, so als ob daS Allgemeininteresse der Menschheit am Ende des 20. Jahrhunderts darin bestünde, sich der ideologischen, militärischen und bürokratischen Logik des Sowjetischen Systems zu unterwerfen oder sich dem wirtschaftlichen und finanziellen laissez-faire hinzugeben. ... Wir versichern in aller Deutlichkeit, daß die vom Staatspräsidenten verfolgte Politik, die Politik Frankreichs, sich als einzige auf der Höhe der Herausforderungen und der dramatischen Situation der Welt befindet. Niemand sagt, daß Frankreich allein den Lauf der Welt bestimmen knnn, aber an seinem Platz, mit seinem Gewicht kann es in einer verrückten Welt Einfluß nehmen zugunsten von vernünftigen Lösungen... " (Max Gallo, französischer Sozialist, Ex-Regierungssprecher, Schriftsteller)

Großspuriges Gerede? Lächerliche Selbstüberschätzung? So hat vor 20 Jahren eine neidische bundesdeutsche Öffentlichkeit die französischen "Weltmachtambitionen" und "Extratouren" kritisiert. Heute stört einen deutschen Nationalisten daran nur noch das 'Allein', fallen ihm doch sofort die deutschen Beiträge zu einem ordentlichen Weltfrieden ein, die zwar ohne aufklärerisches Sendungsbewußtsein formuliert, aber in ihrer aufdringlichen Bescheidenheit mindestens ebenso ernst zu nehmen sind. Daß die Welt in ihrem chaotischen Zustand Antworten braucht und daß dazu Macht vonnöten ist, ist den Anhängern einer deutschen "Politik des Ausgleichs" so selbstverständlich wie den Propagandisten französischer "grandeur". Im übrigen entdeckt ein moderner Deutscher im ungenierten Ausbau der französischen Atommacht, in der kolonialistischen Benutzung ferner Inseln, in der rücksichtslos behaupteten "Präsenz" der 'grande nation' auf dem Globus jenes europäische Interesse, als welches er den deutschen Weltmachtanspruch mit Vorliebe buchstabiert. Er braucht nur die einst belächelten zirkulären Phrasen De Gaulles entsprechend umzuändern:

"Il faut que la France soit la France pour qu'elle joue son role a elle dans le monde." - "Europa muß sich zu sich selbst bekennen, damit es endlich mit einer Stimme spricht und das ihm zustehende Gewicht erhält.",

um in ihnen nicht mehr anmaßendes Geschwätz, sondern das 'begründete' Anliegen zu sehen, in Fragen der Weltordnung ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, auch und gerade wenn andere, nämlich zwei "hegemonistische Supermächte" das Schicksal der in Ost und West "gespaltenen" Welt bestimmen. Das imperialistische Ideal, das die Franzosen zur ständigen Beschwörung ihrer 'role', 'mission', 'vocation' (= Rolle, Mission, Berufung) treibt, ist also den hiesigen Begutachtern deutscher Außenpolitik nur allzu geläufig. Bleibt nur der mittlerweile nebensächliche Unterschied, daß die Franzosen den Anspruch auf Teilhabe an der Weltherrschaft als unveräußerliches nationales Recht und nicht - wie es der politische Anstand des Nazi-Nachfolgestaats verlangt als bescheidenes Angebot supranationaler Dienste in die Welt setzen. Daß die weltpolitische Rolle Frankreichs nicht von seinem Selbstverständnis, seiner glorreichen Geschichte, seiner geiststrotzenden Kultur, sondern davon abhängt, wie es sich der von den USA organisierten antikommunistischen Nachkriegsordnung dienstbar macht, das wußten und wissen diejenigen am besten, die ihren unbeugsamen Willen zum imperialistischen Mitmachen aus der französischen Revolution und Resistance abzuleiten und als urfranzösische 'Mission' zu verdolmetschen pflegen. Auch wenn sie ihre dienstbare Rolle nicht als Zugeständnis der Siegermacht an einen Kriegsverlierer, sondern als natürliche Behauptung ihrer Position als (untergeordneter) Mit-Sieger verstehen, so kommt dabei alles auf die praktizierte Ungeniertheit an, mit der sie die dafür nötigen Mittel verteidigen, modernisieren oder überhaupt erst anschaffen. Nur der Erfolg entscheidet über die 'Berechtigung' des imperialistischen Geltungsanspruchs a la francaise.

Der NATO-Auftrag - ganz "unabhängig"

Die aus dem letzten Weltkrieg herübergeretteten Kolonien gaben für Frankreich keine Basis mehr ab für eine eigenständige weltpolitische Rolle, nachdem die USA den Ost-West-Gegensatz zur supranationalen Prämisse der Weltpolitik gemacht hatten. Daß sie als gleichrangige Weltmacht ausgeschissen hatte, bemerkte die 'grande nation' ja gerade daran, da ihre überseeischen Territorien nicht mehr vor Befreiungsbewegungen sicher waren, die von den konkurrierenden Weltmächten unterstützt wurden.

Schutzmacht für gewährte Souveränitäten

Mit seiner Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis hatte sich Frankreich für die Gegnerschaft zur Sowjetunion entschieden. Die Sowjetunion und ihr Sozialistisches Lager unterstützten Befreiungsbewegungen in den britischen und französischen Kolonien, weil sie sich von politisch unabhängigen Staaten in der "Dritten Welt" eine Auflösung ihrer weltpolitischen Isolation versprachen. So bekam es die junge IV. Französische Republik nacheinander mit den vietnamesischen Kommunisten, der algerischen FLN und anderen nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen zu tun, die von der Sowjetunion mit Waffen und Geld unterstützt wurden. Der Hauptbündnispartner Frankreichs, die USA, waren ihrerseits zur finanziellen und militärischen Stützung Frankreichs - unentbehrlich für die Wiedergewinnung des Großmachtstatus mit weltweiten Machtansprüchen - bereit, allerdings nur um den Preis der Entlassung der Kolonien in die nationale Unabhängigkeit, d.h. ihre weltweite, nicht mehr exklusiv französische Benutzbarkeit. Das zeigte sich exemplarisch in der von den USA nicht verhinderten militärischen Niederlage Frankreichs in Vietnam, und - dies besonders schmerzlich für die 'grande nation' - beim Verlust Algeriens unter dem Beifall aller NATO-Partner.

Es war schließlich De Gaulle, der nach seinem "historischen Verzicht" auf eine "Algerie francaise" aus der Not(wendigkeit) eine Tugend machte und Frankreich eine spezielle Zuständigkeit für eben jene Länder eröffnete, denen es die Souveränität gewährte. Schwarze Politiker, die an der Sorbonne studiert und im Rahmen der Communaute francaise zugleich als französische Politiker und afrikanische Regierungschefs amtiert hatten, bekamen nun die entsprechenden Posten des französischen Staatshaushalts als eigene Währung, Waffen und Militärberater für eine eigene Armee und Entwicklungshelfer, Lehrer und sonstige Beamte zur sachkundigen Einrichtung eines eigenen Staatsapparats, für dessen Unabhängigkeit und Souveränität sich Frankreich in ordentlichen zwischenstaatlichen Verteidigungsabkommen verpflichtete. Seit diesem gelungenen Übergang zur 'cooperation' sorgt sich die ehemalige Kolonialmacht mit blutigen "Interventionen" und entsprechend problembewußten Afrikagipfeln um die Stabilität dieser Staaten. o bewährt sie sich nicht nur als Hilfssheriff der westlichen Führungsmacht, sondern beweist damit auch, daß die weltweite Durchsetzung der pax americana ohne französische Oberaufsicht in gewissen Regionen halb so schön wäre - das hielte man in Frankreich ja glatt für "Imperialismus". Wenn sich ein französischer Staatspräsident von der amerikanischen "Kanonenbootpolitik" in Mittelamerika zu distanzieren und - möglichst vor der UNO oder in einem 'blockfreien' Land - von der "Freiheit der Person, der Menschenwürde und den Menschenrechten als Leitfaden unserer Politik" zu salbadern pflegt, so nicht, um ein gegen die USA gerichtetes (anti-) imperialistisches Interesse anzumelden - schließlich verteidigt Reagan in Nicaragua dieselben westlichen Werte -, sondern um die exquisite Eigenständigkeit seiner imperialistischen Rolle zu demonstrieren und sich nach dem Motto 'kleiner und feiner' als Alternative zu den USA in Sachen Schutzmachtservice zu präsentieren. Im Selbstbewußtsein des besseren, die westlichen Ideale wirklich ernstnehmenden Imperialismus geht man so weit, die USA und die SU (siehe Gallo) als "Supermächte" in einen Topf zu werfen und die "Dritte Welt" zu ihren französischen Truppen zu beglückwünschen, die bekanntlich die "Internationalisierung von Konflikten" verhindern und strikt "regionale Lösungen" herbeiführen. Die westliche Führungsmacht weiß den französischen 'Tiersmondismus' übrigens sehr realistisch zu würdigen, indem sie die von Frankreich im Pazifik, im Libanon, in Afrika wahrgenommene"Verantwortung" vorbildlich findet und den Bündnispartner auch schon einmal durch demütigende Einmischungen im Tschad oder in Marokko an seine Dienerrolle erinnert. Die dann fällige beleidigte Zurückweisung solcher Beeinträchtigungen stellt noch einmal klar, wie Frankreich sein imperialistisches Mitmachen begreift: als Geltendmachen einer eigenen imperialistischen Autorität.

Deutsch-französische Europamacht

Die neue Weltmachtrolle Frankreichs implizierte nicht nur den Abschied von seinen Kolonien, sondern auch die Einsicht, daß sich die Verfolgung seines nationalen Interesses den neuen weltpolitischen Bedingungen nach dem II. Weltkrieg unterzuordnen hat. An der amerikanischen Deutschlandpolitik erfuhr Frankreich, daß Siegermacht nicht gleich Siegermacht ist. Frankreich mußte lernen, daß seine Rolle als Mitmacher-Weltmacht nicht mit dem nationalen Interesse zusammenfiel, den alten Erbfeind durch Reparationen zu schwächen, das Saarland an die Republik anzugliedern, die alliierten Hoheits- und Besatzungsrechte über das Ruhrgebiet beizubehalten, die BRD in Form von supranationalen Behörden für zentrale Wirtschaftsbereiche zu kontrollieren und deren Wiederbewaffnung zu verhindern, bzw. ein deutsches Heer vollständig in eine kontinentaleuropäische Armee unter französischer Führung zu integrieren. Diese Pläne mußte man sich in Paris bald schon abschminken, weil sie nicht ins US-Konzept eines demokratischen West-Germany samt Frontstadt in der sowjetischen Besatzungszone paßten. So machten sich französische Politiker wie Robert Schumann um die Einheit Europas als deutsch-französisches Projekt verdient: Wenn gegen den Wirtschaftswunderstaat nichts ging, so ließ sich mit ihm das nationale Anliegen befördern, Frankreich ökonomisch und politisch wieder in den Rang einer europäischen Weltmacht zu heben. Gleichzeitig schuf das Bündnis mit der BRD ein Gegengewicht zu Großbritannien, das den Konkurrenzkampf seiner EFTA gegen die EG glatt verlor und um Beitritt im erfolgreicheren Wirtschaftsabkommen nachsuchen mußte.

De Gaulle war es schließlich, der mit dem Ideal der IV. Republik - Stärkung Frankreichs auf Kosten der BRD - endgültig brach: Eine amerikanische Lektion in Sachen Bündnislogik, aus der der Gründer der V. Republik die Konsequenzen zog und zur Bundesrepublik eine Sonderbeziehung innerhalb des Bündnisses eröffnete. Der deutsche Staat am Rhein wurde als prinzipiell gleichberechtigter, ökonomisch ebenbürtiger NATO-Partner akzeptiert. Von dem atlantischen Mitmacher stieg die 'grande nation' im Schulterschluß mit der BRD zum kontinentalen Macher auf. Das änderte nichts an der Geschäftsgrundlage des gesamtwestlichen Bündnisses, wie sie von den USA eingerichtet wurde, sondern schuf ein kontinentaleuropäisches Gegengewicht zur bisherigen angelsächsischen Dominanz. Das schwächte keineswegs das Bündnis infolge "innerer Gegensätze", sondern stärkte es enorm, wie sich schon bald zeigen sollte. Mit dem Argument, man müsse Deutschland vor der Verlockung einer neutralistischen Lösung seiner nationalen Frage bewahren, machte de Gaulle sich zum berufensten Anwalt der deutschen Westintegration und gewann damit ein besonderes weltpolitisches Gewicht, das sich lange vor Willy Brandts "Entspannungspolitik" - in einer eigenständigen Ostpolitik beweisen ließ.

Der weltpolitische Hauptfeind hatte es jetzt mit einer französischen Außenpolitik zu tun, die mit einer eigenen Ostdiplomatie und einer gigantischen militärischen Aufrüstung (Force de frappe) gleichzeitig operierte. Die deutsch-französische Freundschaft war dabei der europäische Dreh, mit dem sich De Gaulles Frankreich aktiv in die Weltpolitik einbrachte, nachdem die USA die Welt ganz praktisch so sortiert hatten, daß für eine relevante Staatsmacht zwischen Ost und West kein Platz mehr war. Seitdem kommt aus Paris zu allen Fragen internationaler Beziehungen der Standpunkt des Westens noch einmal im französischen Originalton, und gegenüber der "Wirtschaftsmacht" rechts des Rheins kann Frankreich mit politischen Trümpfen aufwarten. Französische Präsidenten sind in einträchtiger Rivalität mit deutschen Kanzlern damit beschäftigt, von Irland bis Griechenland die hoffnungslosen Konkurrenten in ihr "Gemeinschaftswerk" zu "integrieren", die souverän gewordenen französischen Kolonien und andere AKP-Staaten in ein EG-Hinterland zu verwandeln und ihr Recht auf eine Öffnung des Ostens, vor allem auf Seiten der Satellitenstaaten, zu reklamieren; kurzum: Europa zu bauen, seine "Spaltung" zu überwinden und so den NATO-Zweck (samt Lösung der deutschen Frage) als extra europäisches Anliegen zu verfolgen. Je mehr die "Konzentration der vereinten Kräfte" vorangetrieben wird und vom Ackerbau bis zum Weltraum mit der Souveränität widerspenstiger Regierungen entsprechend rücksichtslos umgesprungen wird, desto größer wird die "Verantwortung" der Führungsmächte in Paris und Bonn, und desto mehr legt Frankreich durch entsprechende Initiativen, Projekte und Kommissionspräsidenten Wert darauf, daß nur seine "Unabhängigkeit" die Garantie eines wirklich europäischen Europas ist: "Frankreich war es, das im Namen der Unabhängigkeit seinen wenig begeisterten Partnern diese Rakete (Ariane) aufgedrängt hat." (Le Figaro)

Die Force de Frappe

Der französische Anspruch, im westlichen Bündnis Verantwortung zu übernehmen, hat nicht vor den letzten Mitteln Halt gemacht, mit denen die NATO ihren Daseinszweck - die Eliminierung des östlichen Lagers - verwirklichen will. Als De Gaulle - ziemlich gleichzeitig mit der Beendigung des Algerienkriegs und der Unterzeichnung der EWG-Verträge - das integrierte Oberkommando der NATO verließ und eine eigene Atomstreitmacht in Auftrag gab, begründete er diesen Schritt mit der weltweiten Verantwortung, die Frankreich für den Westen übernommen hat. Weil es in Afrika keine kolonialen Extrawürste, sondern die Freie Welt verteidigt und Europa nicht als dritte neutralistische Kraft, sondern als kontinentale Bastion des Westens vorantreibt,hat es Anspruch auf Mitsprache in den letzten Fragen der Weltherrschaft: "Die atomare Macht der Vereinigten Staaten ist wohlgemerkt die grundlegende Garantie der westlichen Sicherheit. Aber müssen deswegen Entscheidungen fallen, an denen die anderen westlichen Staaten nicht beteiligt sind?" Es ist das Einverständnis mit der supranationalen, natomäßigen Organisation der Zerstörungsmittel, das De Gaulle um das konstruktive Votum für eine eigene Atomstreitmacht ergänzte, um im Bündnis den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Ein Votum, das dem französische n Gemüt mit der nationalen Begründung verabreicht wird, die USA wären gegebenenfalls nicht mit Sicherheit dazu bereit, für die Verteidigung des 'sanctuaire national' (= "nationales Heiligtum" - so nennt der Franzose sein Staatsterritorium) alles einzusetzen, was sie haben, weil das Risiko für sie zu hoch.

Als die Russen ihre Gegendrohung aufmachten und die USA den Atomkrieg nicht mehr als "massive Vergeltung", sondern als "flexible Antwort" kalkulierten, drohte Frankreich mit seiner "nationalen Abschreckungsmacht" noch einmal die "massive Vergeltung" an. Sie ist zwar Ideologie, wenn sie als isolierte Atomkriegsstrategie des Davids gegenüber jedwedem Goliath ('dissuasion du faible au fort' = Abschreckung des Starken durch den Schwachen) definiert wird, stellt aber als eigenständige Unterabteilung der NATO und ihrer "flexible response" für die Sowjetunion eine ernstzunehmende Drohung dar. Sie trägt nämlich als selbständiger Bestandteil der europäischen Kriegsbastion zur 'Flexibilität' der NATO bei und bekommt darüber eine Glaubwürdigkeit, die sie als rein nationales Verteidigungsgerät nie hätte! So ist die Unabhängigkeit der französischen Atomstreitmacht ein Trumpf des Westens gegen den Osten und deshalb der Garant einer weltpolitischen Position, die einen Kohl gelegentlich vor Neid erblassen läßt.

Ein Mitterrand läßt sich russische Abrüstungsangebote vorlegen, um jede Berücksichtigung französischer Raketen als den zwecklosen Versuch abzulehnen, Frankreich in die NATO "reintegrieren" zu wollen! Dafür fühlt er sich "in wachsendem Maße für die Verteidigung Westeuropas verantwortlich", verlegt "die Grenze unserer Unabhängigkeit" an die Elbe und macht sich politisch (Unterstützung der "Nachrüstung") und militäriseh (taktische Atomrakete "Hades" plus Neutronenbombe, schnelle Eingreiftruppe mit Panzer-abwehrhubschraubern und Infanteriedivisionen) für die 'Vorneverteidigung' seines bundesdeutschen Glacis stark. Dafür versucht er den deutschen Partner für den von SDI gestörten Traum zu gewinnen, die eigene Atomstreitmacht von der logistischen Hilfe der US im Weltraum unabhängig zu machen, um die relative Selbständigkeit der Force de frappe mittels eigener Aufklärungs- und Führungssatelliten noch zu steigern. Inzwischen richtet sich der französische Ehrgeiz darauf, die eigenen Offensivwaffen so herzurichten, daß sie künftigen sowjetischen Abwehrsystemen gewachsen sind.

Die nationale Ökonomie "modernisiert"

Daß die 'grandeur' ihr Geld kostet, ist französischen Politikern ebenso selbstverständlich wie der politische Wille, sich von der Finanzlage keinesfalls abhängig zu machen. So wird an Ausgaben für ein neues Atom-U-Boot, Eureka, Afrika und andere wichtige Projekte nicht gespart - nach dem Motto: Für die 'grandeur' lohnen alle Kosten!

Der strapazierte Franc

Frankreich verschuldet sich seit Jahren sehr selbstbewußt und behandelt die immer wieder fälligen Franc-Abwertungen als das Werk von Spekulanten und Weltwährungsturbulenzen, die dem französischen Nationalkredit Unrecht tun. Da wird gelegentlich mit polizeilichen Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen auf die mangelnde Attraktivität reagiert, die die heimische Währung auf die wohlhabenden Bürger ausübt und das Spekulieren ganz ohne Rücksichtnahme auf das nationale Interesse anheizt. Und da wird regelmäßig gegen das ungerechte Weltwährungssystem aufbegehrt und von dessen amerikanischen und deutschen Hauptnutznießern Beistand nicht etwa erbeten, sondern gefordert. Die Kreditwürdigkeit des Franc nimmt Frankreich nach außen auf Grund seiner weltpolitischen Rolle, seines Gewichts im westlichen Bündnis politisch in Anspruch. Und weil die französische 'grandeur' bei den Partnern tatsächlich zählt, zahlt sich diese Kalkulation auch aus. Mitterrand verweist auf die Modernisierung der 'force de frappe' und verlangt dafür Rücksichtriahme von den ökonomischen Konkurrenten; er stützt die "Nachrüstung" und läßt seine Währung durch die deumtsche Bundesbank stützen ... Im übrigen unterstreicht er die ehrgeizigen Absichten der Staatsverschuldung, indem er sie erhöht und durch solch souveränen Akt beweist, daß Frankreich nicht mit einem wackligen Schuldnerland zu verwechseln ist.

Die planmäßige Sortierung der Wirtschaft

Die prinzipielle Unzufriedenheit des französischen Staats mit seiner Wirtschaft steht nicht im Gegensatz zu seinem imperialistischen Selbstbewußtsein, sondern paßt haargenau dazu. Die seit Jahrzehnten konstatierte "Unangepaßtheit", "Rückständigkeit", "Krise" bestimmter Branchen, ganzer Regionen, ja des größten Teils der Wirtschaft überhaupt dokumentiert ja nicht den Abschied von weltpolitischen Ambitionen, sondern das rücksichtslose Programm, die ökonomische Basis so zu "modernisieren" und "umzustrukturieren", daß sie die für die französische Weltgeltung nötigen Mittel herbeischafft. Dieses wirtschaftspolitische Ideal und keine irgendwie antikapitalistisch inspirierte Ideologie ist der Witz der 'planification', die ja der "freien Marktwirtschaft" - jenem Hätschelkind deutscher Wirtschaftspolitik - überhaupt nicht widerspricht.

Der wichtigste und folgenschwerste "Eingriff" des französischen Staatsdirigismus war schließlich die Kreation eines gemeinsamen Markts mit den Deutschen und anderen Europäern, ein epochales Projekt, das das französische Kapital sehr planmäßig der internationalen Konkurrenz ausgesetzt und seine Konkurrenzfähigkeit überhaupt erst zur Notwendigkeit und zum Proble gemacht hat! Die serienweisen Pleiten unrentabler Familienbetriebe waren und sind da ebenso beabsichtigt wie die durch ein neues Gesetz begünstigten Fusionen, die das französische Kapital zu großen nationalen Gruppen konzentrieren, die es mit der ausländischen Konkurrenz aufnehmen sollen. So wird von "Plan" zu "Plan" die heimische Industrie munter durchsortiert, der Binnenmarkt für in- und ausländische Unternehmenserfolge hergerichtet und unter dem Titel 'decentralisation' noch der letzte Bürgermeister an der zielstrebigen Förderung "industrieller Zentren", der dazugehörigen Verwaltung runtergekommener Landstriche und der politischen Propaganda beteiligt, das erste soll das zweite verhindern! Die dazu komplementären Schreckensmeldungen vom "Verlust des inneren Markts", von den sich breitmachenden Multis, von der negativen Handelsbilanz und der Exportstärke der Japaner und Deutschen sind selbstredend nicht als Eingeständnis einer falschen 'planification', als Verlust der Konkurrenzfähigkeit, sondern als fortbestehender Grund zu verstehen, sich der beständigen Herausforderung durch die Konkurrenz ('le defi americain', 'le defi japonais' usw. = die amerikanische, japanische Herausforderung) zu stellen. Wenn französische Regierungen dabei zu protektionistischen Maßnahmen greifen und die Einfuhr japanischer Videorecorder behindern oder (möglichst als EG-Beschluß) irgendwelche Konserven subventionieren, so geschieht dies immer nur vorübergehend und zum Zwecke der Herstellung internationaler Konkurrenzfähigkeit. Und auch die berühmten Verstaatlichungen dienen keinem anderen Anliegen: Seit De Gaulle mit der Nationalisierung der 'Grundindustrien' sichergestellt hat, daß der Staat über die Konditionen profitablen Wirtschaftens - Kredit, Zins, Energiekosten - mitentscheidet, schließt die staatliche Zuständigkeit den Zwang zur rentablen Produktion nicht aus sondern ein. Es ist kein grundsätzlicher Unterschied, ob staatliche Gelder für Privatunternehmen an Rationalisierungsauflagen gebunden sind und bei ausbleibendem Konkurrenzerfolg gestoppt werden oder ob der Industrieminister zusammen mit den von ihm ernannten Managern die Teilstillegung einer "Krisenbranche" beschließt, deren kostspielige Aufrechterhaltung er nicht mehr für lohnend befindet (Stahl!). Denn daß die 'Modernisierung' der nationalen Ökonomie dem Staat nicht ewig zusätzliche Kosten, sondern einen zusätzlichen Spielraum für seine politischen Ambitionen verschaffen soll - das gilt für beide Abteilungen der 'economie mixte'. Freilich inspiriert dieses eintönige staatliche Interesse in einer Demokratie zu der ungeheuer spannenden Kontroverse, ob die Nationalisierung oder die Reprivatisierung einen "Lokomotiveffekt" auf die gesamte Wirtschaft hat und ob für das Fortkommen der Nation das Mißtrauen oder das Vertrauen in den Erfolg der Privatinitiative die bessere Methode sei.

Das Geschäft mit der Gewalt

Begründet der ehemalige "politische Zwerg" BRD seine imperialistischen Zuständigkeiten gerne mit seiner "wirtschaftlichen Stärke", so grämt sich Frankreich nicht ob seiner relativen "wirtschaftlichen Schwäche", sondern nützt seine politischen Trümpfe ökonomisch aus. Die Ordnungsaufgaben in diversen Weltgegenden implizieren Kosten, die sich für die nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch auszahlen sollen. Lange vor der BRD und in ganz anderem Ausmaß als der Kriegsverlierer hat Frankreich auf das Geschäft Entwicklungshilfe gesetzt und die Einrichtung souveräner Herrschaften in Afrika und im Nahen Osten als Aufschwung gewisse Branchen organisiert. Drittwichtigster Rüstungsexporteur nach den USA und der SU, 1984 ein Rekordjahr für das französische Rüstungsgeschäft, Verdopplung des ausländischen Auftragsvolumens auf 62 Milliarden Francs - die Erfolgsmeldungen in Sachen Konkurrenzfähigkeit, Verteidigung und Zugewinn von Marktanteilen, Akkumulation des heimischen Kapitals sind hier eindeutig.

Als Abnehmer kommen nicht nur die ehemaligen Kolonien in Frage; die Mirage, die schließlich nicht umsonst so heißt, und die Exocet-Raketen gehen weg wie die warmen Semmeln: in den Irak, nach Argentinien, nach Indien, nach Israel..., um nur einige der Hauptabnehmer zu nennen, die auch mit dem Einsatz solcher Geschäftsartikel die Qualität von "Made in France" auf dem Markt für Tod und Vernichtung demonstriert haben. Frankreich mußte nie irgendwelche Waffenexportrestriktionen "lockern": Als Siegernation war es frei von Auflagen die seiner Hoheit in diesem "sensiblen" , Bereich Schranken auferlegt hätten. Es hat immer schon das Prinzip, das ihm nun ganz Europa nachmacht, verfolgt, aus den eigenen Rüstungsanstrengungen vermittels des Exports der heißen Ware eine lohnende Angelegenheit zu machen: Durch Erhöhung der Stückzahlen bei den verschiedenen Waffenserien wird ein Teil der fixen Kosten für Forschung und Entwicklung durch ausländisches Geld beglichen und die Rentabilität, des Kapitaleinsatzes erhöht. Dasselbe ökonomische Staatsanliegen treibt die Franzosen zur Rüstungskooperation mit den imperialistischen Partnern, wobei freilich der unterschiedliche Bedarf der Bundeswehr, der französischen Streitkräfte oder befreundeter Wüstenarmeen nicht immer unter einen geschäftlichen Hut gebracht wird (siehe Panzer, siehe Jäger 90). Schließlich rechnet sich der französische Staat auf jeden Fall den Vorteil aus, daß die von ihm finanzierten "technologischen Revolutionen" seinen geschäftstüchtigen Paradebetrieben auch in der zivilen Produktion einen Konkurrenzvorteil bescheren oder unter der Überschrift "friedliche Nutzung" neue lukrative Geschäftszweige eröffnen. Das Atomprogramm war und ist der durchaus gelungene Versuch, den kostspieligen Bedarf an nuklearen Vernichtungsmitteln zur Einrichtung eines geschlossenen Kernbrennstoffzyklus zu nutzen, der vom Uranahbau im Limousin und in Afrika über die weltweit verkaufte Schnelle-Brüter-Technologie bis zur Wiederaufbereitungsanlage in La Hague an jeder Stelle Gewinn und insgesamt eine enorme Kostenersparnis verspricht.

Das Volk "mobilisiert"

Bei der zielstrebigen Stärkung Frankreichs ist das Volk als "menschliche Ressource" eingeplant. Je mehr es für die Konkurrenzfähigkeit des französischen Kapitals geradestehen, zu immer härteren Bedingungen seinen Lebensunterhalt erkämpfen muß, desto unverschämter appellieren die Politiker an seine 'vertus de l'effort' (= Leistungstugenden), an den nationalistischen Stolz, an der von oben anberaumten "Schlacht um die nationale Erneuerung" teilnehmen zu dürfen.

Arbeitsdienst mit "sozialen Konflikten"

Kein Wunder, daß die Regierung die hohe Arbeitslosigkeit - selbstverständliches Resultat der erfolgreich beförderten Konkurse und Rationalisierungen - als Sozialproblem Nr. 1 kultiviert, dem man mit zusätzlichen Krediten ans Kapital, mit der Erhöhung der Zwangsbeiträge zur Arbeitslosenversicherung und mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gerecht wird, die die Gleichung Arbeit = Dienst an der Nation sinnfällig machen (jugendliche Arbeitslose werden von der Straße und zur Gartenpflege in den Stadtpark geholt etc.). Wo mit dem bedingungslosen Dienst des Proletariats gerechnet und dieser mit dem ideellen Lohn der 'Größe Frankreichs' entgolten wird, da ist das Recht des Kapitals zur permanenten Lohndrückerei unbestritten. Und weil dies so ist und bleiben soll, gibt es in Frankreich einen Mindestlohn, der angesichts der garantierten Verarmung die Minimalposition in puncto 'savoir vivre' festlegt. So erklärt sich die französische Republik als Sozialstaat für ihre Armen zuständig, was einerseits nicht ausschließt, daß mehr als vier Millionen mit Einkünften auskommen müssen, die weit unter dem amtlichen Existenzminimum von gegenwärtig etwa 1250 DM liegen, und andererseits sicherstellt, daß die über dem Mindestlohn sich erhebende Lohnhierarchie dem freien Spiel der Kräfte überantwortet bleibt. Und da streiten sich eine kommunistische (CGT), eine sozialistische (CFDT), eine rechte, angeblich von der CIA finanzierte (FO), und zwei christliche (CFTC, CGC) Gewerkschaftsbünde um den Vertretungsanspruch für die französische Lohnarbeit. Es gibt keine regional oder national ausgehandelten Tarifverträge, mit denen jährlich die Relation zwischen Lohn und Leistung festgelegt wird.

Ohnehin sind nur ca. 25% der Arbeiter und Angestellten Mitglied einer Gewerkschaft, so daß auf die ständig perfektionierten Anforderungen des Kapitals sich entweder individuell eingestellt, auf Betriebsebene verhandelt oder auch einmal mit einer Lahmlegung der Produktion in einem Werk reagiert wird, um die Patrons zu zwingen, überhaupt über die von ihnen veranstalteten Veränderungen im Lohnarbeitsverhältnis mit den Betroffenen zu verhandeln. Um die Betriebsleitung z.B. wegen der Beschleunigung der Bandgeschwindigkeit in dieser Peugeot-Abteilung oder der Kürzung der gewohnten Weihnachtsprämie in jenem 'PME' (= kleiner oder mittlerer Betrieb) zum Verhandeln zu zwingen, muß erst einmal ein Streikmeeting massenhaft besucht, der dort beschlossene Streikaufruf weitgehend befolgt, also eine 'Bewegung' in Gang gebracht werden. Für die verschiedenen Arbeitervertretungsvereine ist die notwendige Gegenwehr kampfbereiter Arbeiter der Anlaß und die Möglichkeit, in munterer Konkurrenz untereinander ihre Repräsentanz unter Beweis zu stellen, die wiederum von der Betriebsleitung tüchtig bestritten wird, indem sie möglichst mit Arbeitern ihres Vertrauens verhandelt, eine gelbe Hausgewerkschaft heranzüchtet und die rivalisierenden Gewerkschaften gegeneinander ausspielt. So steht mit den "sozialen Konflikten" immer die Tariffähigkeit der Gewerkschaften zur Debatte; und die Interessen der Proleten bleiben ziemlich sicher auf der Strecke, wenn es regelmäßig darum geht, ob diese oder jene Gewerkschaft sich an eine 'Bewegung' erfolgreich anhängen und einen Fuß in einen ihr feindlich gesonnenen Betrieb hineinbekommen kann ob sie wenigstens in einer ihrer 'Bastionen' einen Musterstreik anzetteln und sich drüber als respektierte Gewerkschaft national in Szene setzen kann oder ob sie wieder auf dem Rückzug ist und die "soziale Apathie" der kampfmüden Arbeiter beklagen muß. Die hierzulande mit der Klassenkampfmentalität der 'Franzmänner' "erklärten" Streik- und Besetzungsaktionen sind also der umständliche französische Ersatz und Kampf für die Sozialpartnerschaft, die von der bundesdeutschen Einheitsgewerkschaft, dem anerkannten Gesprächspartner des deutschen Kapitals, immerzu verteidigt wird. In den französischen Staatsbetrieben erprobt man sie mittlerweile regierungsamtlich und empfiehlt sie den konservativen Kapitalisten mit dem Argument, daß "ein besseres soziales Funktionieren des Unternehmens" Kosten spart. Der gewerkschaftliche Kampf richtet sich in Frankreich sehr prinzipiell gegen die 'Willkür' der Unternehmer und verwandelt jeden Widerstand gegen Maßnahmen des Kapitals in eine Demonstration für "neue soziale Beziehungen", die sich an die Adresse der Regierung wendet und an ihre sozialstaatliche Verpflichtung appelliert. Da wird von der Sozialversicherung bis zur Arbeitszeitverkürzung jede staatliche Regelung des Lohnarbeiterschicksals zu einer Frage der "Auf- oder Abwertung der Rolle des Arbeiters", also der Anerkennung seiner Dienste für die Nation, bei der der jeweiligen Regierung eine rühmliche oder unrühmliche Rolle zugesprochen wird, je nachdem, ob die Gewerkschaft als sozialstaatlicher Vorausdenker erwünscht oder unerwünscht ist. Es kommt freilich auf dasselbe hinaus, ob das 'Vive la Secu!' (Securite sociale) gegen eine rechte Regierung gerichtet ist, deren Kostendämpfungsmaßnahmen man mit "mangelnder Sensibilität" für die sozial Schwachen verwechselt, oder als kritische Unterstützung einer linken Regierung gemeint ist, deren Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen man dem guten Willen zuschreibt, die schönen Sozialeinrichtungen durch schwierige Zeiten zu retten.

Rechte und linke "Sammlung des Volkes"

Indem sie jede Unzufriedenheit in die Hoffnung auf ein politisches 'changement' umfunktionieren und ihre Leute dafür auf die Straße karren, leisten die französischen Gewerkschaften ihren spezifischen Beitrag zum demokratischen Kampf um die Macht. Die großen Demonstrationen auf den Pariser Boulevards die auch von Bauernverbänden, Kirchen oder Menschenrechtskomitees auf die Beine gestellt werden - sind der traditionsreiche Ausweis eines politisierten Volks, das sich als Träger des Staates weiß und die regierende Staatsmacht an die Volkssouveränität erinnert.

Klar, daß die entscheidende Mobilisierung der Massen an den Wahlurnen stattfindet, wo sich garantiert nichts anderes mehr artikuliert als das Bedürfnis nach einer ordentlichen Herrschaft. Genau diesem Bedürfnis hat De Gaulle auf die Sprünge geholfen. Mit der Gründung der V. Republik hat er die politischen Richtungskämpfe um Fortführung oder Beendigung des französischen Kolonialismus, um die rechte Linie französischer Politik gegen die Sowjetunion und um die endgültige Stellung Frankreichs zu EG und NATO institutionell, d.h. ein- für allemal entschieden. Dafür befreite er die Staatsgewalt von jeder (vermeintlichen) Behinderung durch umständliche demokratische Prozeduren der Koalitionsbildung, häufigen Regierungswechsels und des parlamentarischen Hickhacks. Mit der Wahl des Staatspräsidenten durch das Volk ist mit faschistischer Eindeutigkeit klargestellt, daß die Demokratie Ermächtigung ist und die Beziehung auf Interessen und die Bildung von Parteien dazu da ist, für die Nation einen Führer zu bestellen, der ihr fortan jenseits "konkreter Probleme des Regierungsgeschäfts" und über jeden "Parteigeist" erhaben - die Richtung weist. Den berufenen Staatsmann erkennt man in Frankreich heute daran, daß er sich eine Partei zurechtschneidert (De Gaulle, Giscard, Mitterrand), durch Parteilosigkeit (Barre) oder innerparteiliche Opposition (Rocard) seine unabhängige Statur unter Beweis stellt und hinter seiner Tricolore ein ganzes 'Lager' von Stimmvieh zu versammeln weiß. Das direkte FDP-lose Gegenüber einer 'Linken' und einer 'Rechten' verdankt sich dem Prinzip des 'rassembilement du peuple' (Sammlung des Volkes), das der General gegen das "labile" und deshalb unfranzösische "Parteienregime" der IV. Republik durchgesetzt und das sein alsbaldiger, Konkurrent Mitterrand erfolgreich nachgeahmt hat, indem er die 'Linke'geeinigt und damit die KPF "marginalisiert" hat. In einer politischen Landschaft, in der von der 'force de frappe' bis zum Mindestlohn nationaler Konsens besteht, werden die Glaubensfragen der Todesstrafe, der konfessionellen Schulen, der Verstaatlichung oder Reprivatisierung nach Bedarf hochgespielt, um ständig die Machtfrage zu stellen und die demokratische Öffentlichkeit entsprechend zu beleben. So geht es auf den Parteikongressen auch nicht dem Scheine nach um Programme - das überparteiliche Programm des 'redressement national' (= nationaler Wiederaufstieg) steht fest -, sondern um den Aufmarsch des einen oder anderen 'presidentiable' und dessen Volkssammlungsfähigkeiten.

Die einzige Partei, die wirklich Partei sein will und sich wegen des ihr anhaftenden "Parteigeistes" wiederum der sehr einmütigen Gegnerschaft def restlichen Nation gegenübersieht, ist die KPF. Wenn sie auch mit ihren 4 Ministern nichts anderes als die Politik Mitterrands unterstützt hat und nach ihrem Regierungsaustritt nur noch ewig mit ihren Bürgermeistern den umwälzenden Beweis führt, daß auch und besonders Kommunisten den französischen Staat verwalten können, so stehen sie doch ständig unter dem Verdacht, etwas anderes als die Größe Frankreichs im Schilde zu führen. Es ist eben für jeden normalen französischen Nationalisten etwas faul, wenn Marchais und Genossen die Größe Frankreichs in idealistischer Manier absolut setzen und sich nicht des offiziellen Nationalismus der 'Partnerschaft' und 'europäischen Gemeinsamkeit' bedienen, in der der Vorteil der Nation aufgehoben sei. Statt dessen wird das nationale Ideal der Eigenständigkeit so ernstgenommen, daß man glatt mit dem "amerikanischen Imperialismus" und dem "westeuropäischen Block" nichts zu tun haben und die heimatliche Industrie vor dem eindringenden ausländischen Kapital abschirmen will. So werden diese NationalkommUnisten von einer linientreuen Öffentlichkeit nicht als Opposition, sondern als "konservativer" Klüngel ausgegrenzt, der die nationalen Anliegen vom Fortschritt der imperialistischen Weltordnung abtrennen will.

Die Macht des Geistes

Es gibt in Frankreich keine Kritik an der politischen Rolle der Nation. Die Menschenrechte, die Freiheit, die Volkssouveränität - alle Ideale des imperialistischen Staats sind als geistige Grundwerte so über jede Kritik erhaben (schließlich ist in Paris die Französische Revolution erfunden wocden), daß allenfalls die handfeste Art und Weise ihrer staatlichen Durchsetzung dem unberechtigten Einwand begegnet, sie würde eben diesen Idealen nicht gerecht.

So hegt mancher feinsinnige Geist das nationalistische Unbehagen, daß die Bombardements der Super-Etendards im Libanon oder die Versenkung der Rainbow Warrior kaum mehr von der amerikanischen 'politique de repressailles' ("Politik der Schikanen) zu unterscheiden sind, und begeistert sich entweder ganz weltabgewandt für Mitterrands tiersmondistische Rede von Cancun oder macht den sauberen Vorschlag, die Greenpeace-Leute nicht geheimdienstlich zu "neutralisieren", sondern ihnen offen mit französischen Kriegsschiffen und im französischen Gewässer und im Namen der unabhängigen Atomstreitmacht entgegenzutreten. Die Feindschaftserklärung an die Russen ist im Land der Menschenrechte eh eine intellektuelle Selbstverständlichkeit, wird doch in Gestalt der Dissidenten der eigene Freiheitsgeist mit Füßen getreten. Und auch der Militarismus ist eine geistige Verpflichtung, weil die humanistischen Ideale eines Yves Montand oder Andre Glucksmann mit keiner feindlichen Macht Frieden schließen können. So ist der französische Geist per definitionem unkorrumpierbar und deshalb so frei und anerkannt wie nirgends sonst. Keine Kirche darf in den laizistischen Schulen der Nation die Köpfe indoktrinieren, und ein Berufsverbot für einen mit Voltaire und Sartre vollgestopften Lehrer ist dort undenkbar. Denn daß ein Intellektueller nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen könnte, unterstellt ja ein prinzipielles Mißtrauen in die Botmäßigkeit des Geistes, die im Nazideutschland, in Ruland und in der KPF sehr berechtigt ist. Nicht aber in Frankreich, wo die imperialistische Staatsmacht auf dem Globus die Aufklärung vollendet und jeder Picasso - ob er will oder nicht - dafür Reklame macht.