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"Stammheim - Baader-Meinhof vor Gericht"
EIN DEUTSCHES MISSVERSTÄNDNIS, INSZENIERT IN EINEM DEUTSCHEN FILM VON REINHARD HAUFF UND STEFAN AUST UND BEGEISTERT AUFGENOMMEN VON DER DEUTSCHEN KULTURKRITIK
Die "Vertreter des Staates" sitzen über dessen Gegner zu Gericht: eine eindeutige Sache, sollte man meinen. Wer aus politischen Gründen andere Staatsbürger ins Jenseits befördert, kann weder den Totschlagsparagraphen für sich in Anspruch nehmen noch auf mildernde Umstände hoffen (von wegen "Mord im Affekt"). Ihn trifft die ganze Härte des Gesetzes. Der gesamte Strafprozeß dreht sich nur noch um die Frage, für wieviele Morde die Gruppe bzw. jedes einzelne ihrer Mitglieder verantwortlich ist.
Angesichts dessen war das Kalkül von Baader/Meinhof schon absurd genug, den Prozeß, den ihnen der Staat machte, gewissermaßen umdrehen zu wollen, so daß am Ende nicht mehr sie, sondern Nixon, Brandt und Schmidt - als Verantwortliche bzw. "Handlanger" der Bombardierung Vietnams - auf der Anklage- bzw. Zeugenbank hätten sitzen sollen.
Was machen der Film und seine Rezensenten aus diesem Prozeß?
"Hauff und Aust haben alles Spektakuläre - gewissermaßen das Kinohafte am Terrorismus, die falsche Attraktion solcher Propaganda der Tat - aus ihrem Film konsequent herausgehalten. Sie setzen dort ein, wo sich die Prozeßparteien, also Vertreter des Staates und Gegner des Staates, auf gleicher Ebene gegenüberstehen: auf der des sprachlichen Arguments." (Süddeutsche Zeitung vom 30.1.)
Ausgerechnet dort, wo "die Vertreter des Staates" über dessen Gegner richten, entdeckt man eine 'argumentative Ebene', auf der "eine Diskussion auf Leben und Tod" (ebd.) hätte stattfinden sollen - ein 'Showdown' mit Argumenten gewissermaßen! Und das Tragische an "Stammheim" soll sein, daß diese (logisch gesehen) Irrsinnskonstruktion nicht Realität wurde. Allerdings nicht deshalb, weil ein Prozeß so ziemlich das Gegenteil einer argumentativen Auseinandersetzung ist, sondern, weil beide Seiten so sehr in ihren "Sprachmustern" befangen gewesen wären:
"Aber ist es überhaupt die gleiche Ebene, also die gleiche Sprache? Doch wohl nicht. Erschreckend noch im nachhinein, welches Kauderwelsch man damals für progressiv oder gar für revolutionär hielt. ... Aufschlußreich aber auch die Sprache des Gerichts und der Bundesanwälte, die deutlich genug macht, daß eine Verständigung, ein Verstehen nicht einmal ansatzweise erstrebt war." (ebd.)
Die Macher und Rezensenten des Films plädieren nicht etwa dafür, daß Baader/Meinhof hätten straffrei ausgehen sollen.
"So sehr sich die Verteidiger bemühen, die Angeklagten als Kriegsgefangene erscheinen zu lassen was sie natürlich nicht sind -, das Gericht behandelt sie strikt als Kriminelle, was sie gewiß nicht nur sind..." (ebd.)
Ihnen geht es um Höheres als die (damals von Heinrich Böll in die Debatte um die Verurteilung Ulrike Meinhofs eingebrachte) Alternative "Freies Geleit": Indem das Gericht in Stammheim den Prozeß gegen Baader/Meinhof einfach als Strafprozeß führte, habe es eine gewichtige Chance vertan. Nicht einfach juristische Härte, sondern 'Augenmaß und politische Diskussion' wären angebracht gewesen. Damit hätte man gerade den Angeklagten, die unablässig die BRD als "faschistisch" beschimpften, beweisen können, daß dieses unser Land mit seinem Recht ganz anders umgeht als der Nationalsozialismus.
Die politischen Motive der Angeklagten ausführlich zur Kenntnis nehmen -
"Hätte denn die Pfarrerstochter Gudrun Ensslin jemals Feuer in einem Kaufhaus gelegt, hätte die Bildungsbürgerin Ulrike Meinhof einen Gefangenen befreit, hätten je beide eine Bank überfallen, wenn der Krieg in Vietnam nicht gewesen wäre...
Auch wenn das kein mildernder Umstand ist..." (Spiegel) -,
um sie dann durchaus lebenslänglich einzusperren, so ungefähr stellt sich "Der Spiegel" den adäquaten rechtsstaatlichen Umgang mit den in seinen Augen irregeleiteten Höheren Töchtern vor.
In Stammheim hingegen wurden auf verhängnisvolle Art und Weise die Weichen für den heutigen "Überwachungsstaat" gestellt: Einerseits hätten Baader/Meinhof durch ihre Taten das Volk gegen alle Formen von Kritik aufgebracht:
"Denn dies ist gewiß der schwerste Vorwurf gegen Baader, Meinhof und ihre Gefolgsleute: daß sie ein Geschenk waren an alle Zucht- und Ordnungs-Menschen, nach deren Meinung in dieser Republik sowieso viel zuviel Freiheit und viel zuwenig einschüchternde Staatsgewalt herrschten..." (Spiegel)
Kein Wunder, daß dann der Zimmermann Volkes Stimme exekutiert und jeden Kritiker der zumindest klammheimlichen Sympathie mit dem Terror verdächtigt! Wenn der Staat seinen Gegnern den Garaus macht, dann soll das letztlich immer an ihnen liegen. Andererseits habe das Gericht, vor allem in Gestalt des Vorsitzenden, wieder einmal gezeigt,
"wie schnell der deutsche Rechtsstaat an seine Grenzen kommt - das ist die Story des Prozesses und seines Konzentrats im Film." (Spiegel)
Beide Seiten zusammengenommen, ergibt sich folgendes Bild:
"Keine Frage, daß die Bundesrepublik nach Stammheim nicht mehr dieselbe ist wie vorher. Auf diesen Beweis konzentriert sich der Film. 'Ein deutscher Prozeß, mehr als ein Gerichtsverfahren', nennen Hauff und Aust jenen Vorgang, der ihm zugrundeliegt. Und in der Tat verLäßt der Film insofern geistig eben doch den Gerichtssaal, als er über die beteiligten Einzelpersonen hinaus zumindest ansatzweise eine Definition des deutschen Charakters wagt. Und plötzLich erscheinen in der Kälte von Stammheim vor dem inneren Auge zwei Kleistsche Figuren: MichaeL Kohlhaas und der Dorfrichter Adam, die so konsequent waren, daß am Schluß vom Sinn ihrer Anstrengungen nichts mehr übrigblieb." (Süddeusche Zeitung)
Nach dem Motto "Ich kenne keine (Prozeß-)Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche" entdeckt der Kulturkritiker ausgerechnet in der Abrechnung des Staates mit seinen Gegnern und deren Reaktion
"eine Tragödie sehr deutscher, in ihrem Unglück sehr eigensinniger Menschen". (ebd.)
So wird alles, vom "Holocaust" über Baader/Meinhof bis zu den neuesten "Sicherheitsgesetzen" zu einem 'Ausdruck deutschen (Un-)Geistes':
"Es gehört zu den deutschesten aller Verwirrungen, daß gerade diejenigen, die sich mit der Erbschaft dieser Zeit (der Nazizeit) auseinandersetzten, in Wort und Tat zu wiederholen schienen, wofür sie die Väter anklagen... Schutzverwahrungsdenken liegt in der Luft... Und immer noch plagt die Obsession, nur ein perfekter Sicherheitsappparat könne die Gesellschaft vor diesem Übel (dem Terrorismus) bewahren. " (Die Zeit, Nr. 7/86)
Weil er "ein Deutscher" ist, deswegen kann der Zimmermann gar nicht anders, als seinem spezifisch deutschen "Obsessionsdenken" zu folgen, das schließlich schon Hitler in bezug auf die Juden plagte und auch vor Baader/Meinhof nicht haltmachte, wenn auch in gegensätzlicher Form! (Wie steht es eigentlich mit den "SZ"-, "Spiegel"- und "Zeit"-Redakteuren?) So kann man als kritischer Staatsbürger auch noch aus dem Terrorismus ein "Problem der deutschen Identität" machen: Deutsche schaffen es einfach nicht, sich als Dialogpartner zu begreifen, und wenden statt dessen in ihrem typisch deutschen Eigensinn bloß Gewalt an. So ist die kulturelle Auseinandersetzung mit "Stammheim" nichts als eine originelle Weise der Aufforderung zum nationalistischen Schulterschluß!