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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1986 erschienen.

Systematik

Bonner Charaktere: Martin Bangemann (F.D.P.)
DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN

"Ich halte mich an meine Großmutter, die hat zu mir gesagt: Junge, wenn dich sonst keiner lobt, dann mußt du dich selber loben."

Der Verfall des politischen Liberalismus von einer Ideologie der aufgeklärten Bourgeoisie zum organisierten Koalitionskalkül reflektiert in den Physiognomien von F.D.P.-Vorsitzenden: Sie werden immer teigiger. Muß man sich Genscher schon mühsam an den Ohren merken, so prägt sich Bangemann nur noch über seine zweienhalb Zentner ein: dick, dumm und eitel. Mit einem Wort: ein demokratischer Bilderbuchpolitiker.

Die Karriere

des Jung-Martin begann schon durch die "Gnade der späten Geburt" (so Koalitionskompagnon Kohl über seinen 'natürlichen' Antifaschismus) gesamtdeutsch-freiheitlich-verheißungsvoll. 1935 geboren in Sachsen-Anhalt (heute DDR), machte der Elfjährige 1946 nach Ostfriesland rüber und prunkt in seinen biographischen Angaben mit einer frühen Anlage für den späteren Job als Wirtschaftsminister: selbstgezogene Kartoffeln auf dem Schwarzmarkt verkauft und dummen Bauernlümmeln gegen Naturalien Nachhilfeunterricht erteilt. Auf dem Gymnasium engagierte sich Bangemann nachg eigenem bekunden gegen die Schülermitverwaltung, weil er als Liberaler und Individualist automatisch auf der Matte steht, wen "verwaltet wird im Kollektiv". Die zeit der APO erlebte er bereits in der FDP (damals noch ohne Punkte zwischen den Kürzeln) und betätigte sich ganz im Geiste der Stunde "antiautoritär" gegen die altliberale Parteiführung in Baden-Württemberg. Inzwischen hatte er Jura studiert und promoviert. Als "eingefleischten" Liberalen interessierte ihn natürlich brennend, wie der Staat paragraphenmäßig festlegt, was das Individuum darf und was es bei Androhung von Freiheitsentzug nicht soll. Hierin folgte der junge Bangemann übrigens den Großen des Liberalismus von Alfred Naumann bis Thomas Dehler: Es handelt sich schließlich um eine Staatsdoktrin, die sich dadurch vom Konservatismus abgrenzt, daß sie betont, was im Rechtsstaat alles ausdrücklich erlaubt ist, während die rechten stolz darauf sind, was sie zu seinem Schutze alles nachhaltig verboten haben möchten.

1969 wird Bangemann stellvertretender Landesvorsitzender, und 1972 ist er im Bundestag.

Das politische Profil

des Martin Bangemann orientierte er streng an dem materialistischen Grundsatz, demzufolge das gesellschaftliche Sein dem Bewußtsein machtvoll auf die Sprünge hilft. Liberal wird das so ausgedrückt: Bangemann wußte immer kurz vorher, wohin die Partei sich drehen würde. Das sah zeitraffermäßig so aus:

- Als Parteivorsitzender im Schwäbischen ist Bangemann ab 1969 ein Sozialliberaler. Er merkt also, daß innerhalb der damals regierenden Großen Koalition die SPD leichte Punktgewinne macht.

- Als Bundestagsabgeordneter in einer Koalition mit der SPD macht sich Bangemann für die "Freiburger Thesen" der F.D.P. (er hat die Punkte zwar nicht erfunden, aber sich sehr umn sie verdient gemacht) stark, in denen "der Liberalismus um eine soziale Dimension aktuell aufgefüllt" werden sollte.

- Als generalsekretär der Partei begann Bangemann bereits 1974 die "Wende" zu antizipieren und verlangte eine "Öffnung in der Koalitionsfrage" zur CDU bei den anstehenden Wahlen in Baden-Württemberg, um Filbinger per Regierungsbeteiligung mit liberalen Elementen zu durchsetzen.

dadurch wird er zur Belastung für die Partei, die damals noch mit der SPD ihren Anteil an der Macht im Staate abkriegt. So wird Scheel Bundespräsident, genscher Außenminister und Vizekanzler, Martin Bangemann aber als Parteimanager abgesägt und

- Als Liberaler ins Europaparlament abgeschoben. Behende schmollt er nicht: "Ich habe in Europa ohne Hypothek praktisch neu beginnen können!" lügt Bangemann heute seinen Karriereknick als "wertvolle politische Lehr- und Wanderjahre" zurecht.

Seine Tätigkeit in Straßburg blieb in der Heimat ohne jedes Echo. Er soll da irgendwie die unterschiedlichen liberalen Standpunkte zu einer Fraktion "zusammengeschweißt" haben. Der typische liberale Dreh also, sich selbst als unentbehrlich, weil auch dabei, darzustellen.

1984 bei der Europawahl, gelang es Bangemann nicht, sich gegen das allgemeine Tief der F.D.P. ausreichend als wertvoll "liberalen Faktor für Europa" dem deutschen Wähler zu verkaufen. Die Partei bleib unter 5%, flog raus und Bangemann war vorübergehend arbeitslos - bis gleich darauf Graf Lambsdorff wegen seiner liberalen Spendenaquisitionspraxis die Konsequenzen zog und in Bonn einen Arbeitsplatz freimachte.

Der Vorsitzende

einer liberalen Partei in den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts wird es nicht schaffen können, sich mittels eines Programms dem Wählervolk als Staatsmann anzubieten, auf den es gerade gewartet hat. das ist kein intellektueller Mangel und ein politischer schon gleich gar nicht. Denn erstens sind die Programme der beiden großen Volksparteien nur deshalb im Verdacht, eher "links" oder rechts gestrickt zu sein, weil Christen und Sozis ein historisch überkommenes Image haben. So sprechen Sozialdemokraten außer von Arbeitgebern auch von der arbeitenden Bevölkerung, während Konservative darauf drängen, daß Leistung belohnt gehört. Ohne daß dabei irgend jemand auf Klassenkampf kommt, geht die öffentliche Meinung wie selbstverständlich davon aus, daß die Proleten die Arbeitenden sind, und daß die einzige Leistung, die sich wirklich lohnt, diejenige des Unternehmens ist.

Ein Vorsitzender der liberalen Partei kann nicht einmal unterschiedlich 'akzentuieren': Seinen programmatischen Kalauern mangelt nämlich - zweitens nur eines für ihre Tauglichkeit als Mittel der Profilierung. Sie rennen in einer Gesellschaft, in der Demokratie und Marktwirtschaft Verfassungsgüter sind, weit geöffnete Türen ein. Die Freiheit des Individuums möchte nämlich keiner nicht missen.

Bei einem liberalen Parteivorsitzenden kommt es deshalb schwer auf seine personelle Ausstattung an. Zweckmäßigerweise wird er gemäß dem jeweiligen Kräfteverhältnis zwischen den beiden großen Kanzlerrekrutierungsparteien ausgesucht und aufgebaut.

So kommen furchtbare Widersprüche in der freidemokratischen Personalpolitik zustande: Warum löste die Partei den "verschlissenen" Genscher ab mit der Begründung, der Mann sei durch die "Wende" unglaubwürdig geworden, und ersetzte ihn durch einen abgehalfterten Generalsekretär, der sich in seiner Karriere zweimal um 180 Grad gewendet und eben einen Wahlkampf vergeigt hatte? Lösung: Genscher hatte sich zu lange mit den jeweiligen sozialdemokratischen Kanzlern personell profiliert, so daß seine Verbindung mit Helmut Kohl als "schlitzohrige"' Versuch des Machterhalts um jeden Preis aussah. Verglichen damit war der Bangemann gerade durch seine weitgehend unbekannte Interimstätigkeit in Straßburg "unverschlissen", seine Niederlage im Europawahlkampf "unverdient", weil dem Genschermanöver geschuldet, und dabei der Mann als solcher noch dicker als sein Vorgänger, also eine "Integrationsfigur" par excellence.

Das einzige, was der Bangemann jetzt einstudieren mußte, war sein Part als überzeugender liberaler Dioskur zu Christen-Kohl. Die "Wende" auf liberal mit den drei Punkten der F.D.P. Das geht leicht, nämlich ungefähr so:

"Der mit der Industrialisierung verbundene Strukturwandel und seine sozialen Härten und Fehlentwicklungen konnten ausgeglichen werden. Optimismus ist heute angebracht."

Der Unterschied zu Kohl liegt in den Fremdwörtern. Da sind die Liberalen aufgeschlossen. Ferner spricht Bangemann Fremdsprachen, während Kohl außer Pfälzisch nur noch ein wenig Deutsch kann. Soviel für die Intellektuellen.

Den Charakter

trägt der Bangemann liberal im Gesicht. Ausländische Beobachter reagieren mit Begeisterung auf diese feiste Fläche mit dem selbstgefälligen Dauergrinsen, weil sie darin entdecken, was ihr Nationalismus am mittlerweile ohne Selbstzensur auftrumpfenden BRD-(Inter-)Nationalismus auszusetzen hat: Er kommt ohne die Demut der Verlierermacht gegenüber den Siegern des II. Weltkriegs aus, die vergleichsweise weniger daraus gemacht haben als die BRD aus der bedingungslosen Kapitulation. Für die Machtrezensenten im Inland gewinnt der Genscher im Vergleich zum Nachfolger fast schon wieder Züge einer eindrucksvollen Besonderheit: Verglichen mit dem sonnigen Dickie wirkt der dicke Außenminister jetzt eindrucksvoll tricky. Jedoch damit ist der Bangemann unterschätzt: Man sollte sich bei jeder Beurteilung seiner Person auf das dafür einzig gültige Kriterium bei Politikern verlassen und dabei mehr den Ohren als den Augen trauen. Der Erfolg gibt Bangemann nämlich erstens recht und zweitens wächst er an ihm. Im Besitz der Macht versteht sich noch der letzte Dödel darauf, die Techniken des Machterhalts traumhaft sicher zu beherrschen. Martin Bangemann steht als F.D.P.-Vorsitzender nicht an, sein Haus jetzt und die Untermieteranwartschaft seiner Partei bei einem Wechsel der Hausverwaltung später zu bestellen. Er entdeckt beim Politischen Aschermittwoch in Niederbayern den "Menschen in Franz Josef Strauß" und benutzt seine Kinder als verschlüsselten Hinweis, daß ein Liberaler vorn und hinten offen ist:

"Zwei Jungs sind FDP-Anhänger... und ein Sohn tendiert von den Grünen weg zur SPD, ist also auf dem Weg der Besserung."

Kein Wunder bei dem Vater.