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Korrespondenz
BEITRÄGE ZUR DEUTSCH-TÜRKISCHEN FREUNDSCHAFT
I. Ein deutscher Professor
Der Regensburger Ordinarius für Strafrecht, Herr Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder, hat im Freistaat Bayern öffentliches Aufsehen erregt durch launige Formulierungen in Klausuraufgaben für seine Studenten, in denen ein Gastarbeiter namens "Papageilo" eine deutsche Bürgerin "Frieda Fettbacke" schwängert und sitzen läßt. 'Wie ist die Rechtslage?' Das hat ihm einen Rüffel vom kulturpolitischen Ausschuß des Landtags eingetragen und ein Gerichtsurteil, demzufolge man ihn öffentlich und ungestraft einen Rassisten nennen darf. Überdies forderte er in einem Beitrag für die FAZ Differenzierung in der Anwendung des Strafrechts bei Deutschen und Ausländern. Gegen die auszugsweise Zitierung dieser Überlegungen in der "Süddeutschen Zeitung" ließ er eine Gegendarstellung einrücken, aus der sich allerdings nicht ersehen ließ, worin das 'Gegen' bestehen soll. Hier der Text:
"Gegendarstellung
In Ihrer Ausgabe vom 28.6.1984 behaupten Sie, ich hätte in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Überlegung angestellt, ob Ausländer in der Bundesrepublik strenger bestraft werden sollten, da ihre Strafempfindlichkeit geringer sei. Diese Behauptung ist unwahr. In dem genannten Aufsatz habe ich die Überlegung angestellt, ob bei Straftätern aus Ländern mit einem höheren Strafniveau die Gewöhnung an ihr heimatliches Strafniveau bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müsse. Ich habe mich ausdrücklich gegen eine regelmäßige Strafverschärfung gegenüber Ausländern gewendet. gez.: Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder, Regensburg" (Süddeutsche Zeitung vom 3. Juli)
II. Ein 'getürkter' Leserbrief
Der kommentarlose Abdruck in der SZ erschien uns eines Kommentars für die Leserschaft des "liberalen Weltblatts" würdig. Wie kriegt man ihn möglichst rasch und vollständig unter? Wir unterzeichneten unseren Leserbrief als Türke, und die SZ-Redaktion tat uns am 17. Juli im Leserbriefteil den Gefallen:
"Professorales Mitgefühl
Zu der 'Gegendarstellung' von Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder, Regensburg, in der SZ vom 3.7.:
Vielen Dank, Herr Professor! Ich habe schon geglaubt, Sie mögen uns Ausländer überhaupt nicht. Ihr professorales Mitgefühl, vor allem aber Ihr Gerechtigkeitssinn, geht mir und meinen Landsleuten runter wie Butter. Entzückt sind wir insbesondere über die Vorstellung, daß wir uns bereits hierzulande, in der freiheitlichen und demokratischen Bundesrepublik, an die Rechtszustände unserer türkischen Heimat gewöhnen sollen und dürfen.
Da macht es uns auch gar nichts aus, wenn Sie nach wie vor davon ausgehen, daß wir in Ihrem ausländerfreundlichen Deutschland demnächst sowieso nichts mehr zu suchen haben. Viel wichtiger ist es für uns, wenn Sie sich dafür einsetzen, daß die feinen Unterschiede in der 'Strafzumessung' zwischen deutscher und türkischer Rechtspraxis endlich aufgehoben werden.' Zum einen finden wir das wegen unserer 'geringen Strafempfindlichkeit' nur gerecht, und zum anderen fällt uns die von deutschen Politikern und Gerichten immer häufiger beschlossene 'Rückführung' in die Gefängnisse, Folterkammern und Todeszellen unserer 'türkischen Heimat' nur noch halb so schwer.
Freundlichsten Dank also, Herr Professor. Ich glaube, ich kann im Namen aller Ausländer in der Bundesrepublik und in West-Berlin sprechen - solange es sie noch gibt.
Ismet Demirkanli
Amalienstraße 67 (Rgb.)
000 München 40
Die Sache war damit nicht zu Ende Ismet Demirkanli erhielt Post!
III. Eine junge Deutsche schämt sich...
"Lieber Herr Ismet Demirkanli!
Ich als Deutsche würde am liebsten keine Deutsche mehr sein. Ich schäme mich richtig für mein Volk. Ich schäme mich dafür, wie hier in Deutschland die Ausländer behandelt werden. Deutschland ist noch genauso wie zu Hitlers Zeiten. Was die Nazis mit den Juden gemacht haben, wird jetzt mit den Ausländern gemacht. Je mehr die Arbeitslosigkeit steigt und die Wirtschaft sich verschlechtert, um so schlimmer und unerträglicher wird es für die Ausländer. Inzwischen mag ich das Wort Ausländer schon gar nicht mehr gebrauchen, denn darin liegt schon eine Abwertung und Erniedrigung. Mich macht es ganz fertig, wie gefühllos meine Landsleute sind, vollgepackt mit Vorurteilen. Das Schlimme dabei ist, daß sie alle nichts aus dem Naziregime gelernt haben. Wobei die Jüngsten die Schlimmsten sind, und von ihnen müßte man doch noch mehr Uerständnis und Einsicht erwarten können. Nun bewundere ich die vielen Türken und anderen 'Ausländer', wie sie es ertragen, hier zu leben. Ich wollte Ihnen mit meinem Brief nur zeigen, daß es auch noch 'andere' Deutsche gibt, die wahrscheinlich auch keine 'Deutschen' sind. Leider sind diese nur in der Minderheit und werden es auch traurigerweise bleiben, wenn nicht sogar noch weniger werden. Viele liebe Grüße und alles Liebe und Gute.
Ihre C.B., 20 Jahre"
...und das "alternative" Deutschland biedert sich an
"Sehr geehrter Herr Demirkanli!
Durch Ihren ausgezeichneten Leserbrief in der SZ vom 17.7., dem ich inhaltlich voll zustimme und dem ich nichts mehr hinzufügen kann, kam mir der Geistesblitz, Sie um persönliche Informationen über Ihr Land zu bitten. Da wir August/September vor allem die östliche Schwarzmeerküste und Anatolien per Bus und Rucksack bereisen möchten und eigentlich wenig über diese Gegend wissen (außer Reiseführer und Yol-Film), dürfte ich Sie höflichst bitten, sich von uns zu einem Abendessen einladen zu lassen, damit wir genaueres erfahren. Selbstverständlich könnten Sie auch jemand mitnehmen. Ich könnte Sie abholen bzw. auch besuchen, je nachdem, was Ihnen am liebsten wäre... Sie können sich sicherlich vorstellen, wie wir uns freuen würden, nicht nur Nützliches zu erfahren, sondern auch einen aufrechten Menschen kennenzulernen.
Vielen Dank für Ihre Mühe und alles Gute!
R.B./U.K."
IV. Entweder - oder
Zwei trostreiche Leserbriefe - und darin liegt auch schon ihr ganzer Fehler.
Nichts gegen das Bedürfnis, "einen aufrechten Menschen kennenzulernen" - bloß: wozu? Um von ihm aus erster Hand kritisch-alternative Reisetips zu erfahren ? Tourismus - auf den Spuren und im Namen einer nicht-offiziellen Liebe zum türkischen Vaterland? Oder um zu beweisen, daß es auch unter den Deutschen "aufrechte Menschen" gibt, die auf antitürkische Vorurteile nichts geben? Völkerverständigung von unten - im Namen eines besseren als des wirklichen Deutschlands? So oder so: Mit symbolischen rassenübergreifenden Freundschaftserweisen dieser Art bewältigt man ein auserlesenes Gewissensproblem, sonst gar nichts. Und zwar das elitäre Drangsal, sich mit einer Volksmasse in einem Topf zu wissen, deren Manieren man verachtet. Von der Absicht, denen das Leben etwas schwerer zu machen, die hierzulande den Türken übel mitspielen und in der Türkei sich Generäle als nützliche Gewalthaber halten: davon ist diese kritische Attitüde Welten entfernt.
Mit ihr kündigt man nicht einmal in Gedanken die Zugehörigkeit zum bundesdeutschen Kulturimperialismus auf, im Gegenteil: man müht sich ja, ihn durch persönlichen Einsatz zu verschönern. Wir sehen da eine ziemlich (alternativ-) nationalistische Gesinnung am Werk - und in dem Bedürfnis nach "aufrechten Menschen" eine ziemliche Heuchelei. Oder dürfen wir etwa R.B./U.K. demnächst in der Amalienstraße im MHB-Laden begrüßen, wo doch immerhin der so unverbesserlich korrekte Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung entstanden ist? Wir rechnen eher mit einiger Verärgerung darüber, daß die für richtig befundenen Gedanken nicht von einem waschechten Türken stammen - zumindest von keinem, das können wir versprechen, mit dem man bei einem harmonischen Abendmahl Völkerfreundschaft schließen kann. Sondern bloß von kommunistischen Volksgenossen.
Nichts dagegen, daß die Unsitten des deutschen Nationalismus einen ankotzen. Allerdings muß man sich dann schon entscheiden, ob man mit der eigenen Person die Rubrik der anderen (= besseren) Deutschen eröffnen will. Oder ob nicht das Bedürfnis nach einer, sei es noch so edlen, "deutschen Identität" selber zum Kotzen ist. Der Stolz aufs eigene Vaterland überlebt durchaus auch als das Gefühl, man müßte sich - "als Deutsche(r)" - für dessen Peinlichkeiten und "Entgleisungen" schämen. Es hilft auch nicht viel, sich persönlich von der ortsüblichen Arroganz der Nation loszusagen, in die es einen verschlagen hat. Wem nützt schon ein solcher privater Freispruch? Der patriotische Wahn ist mehr als ein individueller Spleen, dessen Überhandnehmen man traurig zusehen müßte.
Was er ist und warum es ihn gibt: dazu Näheres in der Titelgeschichte dieser MSZ.