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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1984 erschienen.

Mittelamerika
EUROPÄER VERMITTELN GEGEN NICARAGUA

"In friedensstiftenden Initiatioen in Südostasien, Afrika, Südamerika und dem Persischen Golf findet Westeuropa eine neue Identität." (Bundesaußenminister Genscher)

Wo immer der Freie Westen "Krisenherde" ausmacht, sie mit einiger militärischer Unterstützung zu "Krisen " entwickelt und damit deren "Lösung" als politische Notwendigkeit auf die Tagesordnung setzt, da beruft sich heute die politische Führungsmacht der EG darauf, als entschiedener Mitmacher aufzutreten. Die Zeiten sozialliberaler Heuchelei vom "Unschuldigen politlischen Zwerg", der in aller "Ohnmacht" seine bescheidenen "Vermittlerdienste" weltweit anbietet, sind vorbei. Geblieben ist nur der gute Titel "Nichteinmiscnung".

EG-Initiative in Mittelamerika: Eine Option für die Zeit danach

Eine "friedensstiftende Initiative" der EG hat Ende des vergangenen Monats in Mittelamerika stattgefunden. Die derzeitigen Mitglieder der EG und die zwei zukünftigen, Spanien und Portugal, trafen sich mit den dortigen Staaten und der Contadora-Gruppe, "um einen Beitrag zu leisten, der kriegsgeschüttelten Region zu künftigem Frieden und Stabilität zu verhelfen". An welchem Frieden sich die EG-Staaten aktiv beteiligen wollen, unterlag keinem Zweifel. Während die USA Nicaragua zum "unerträglichen Sicherheitsrisiko" erklärt haben, dieses Urteil mit Minen, Marines und CIA-Personal vor Ort exekutieren, die Nachbarstaaten Nicaraguas in feindliche Heerlager verwandelt haben und für Terror in Nicaragua selbst sorgen, gibt Genscher in San Jose zu Protokoll: "USA und Europa haben an der Förderung friedlicher Entwicklung in der Region ein gemeinsames Interesse."

Eine schöne Gemeinsamkeit - die nichts mit einem angeblichen, hierzulande gern geglaubten europäischen Wunsch zu tun hat, "in letzter Minute" doch noch "das Schlimmste" zu vermeiden. Wäre es den EG-Staaten darum gegangen, dann wäre ja nicht gerade eine Beteuerung der Gemeinsamkeit mit den USA fällig gewesen. Dann wären die Außenminister in San Jose überhaupt am falschen Platz, bei den Mittelamerikanern an der verkehrten Adresse gewesen. Dort sind Genscher und Konsorten aber hingefahren und haben sich weltöffentlich über den "Friedensplan" der Contadora-Staaten gefreut - als wäre ihnen, ausgerechnet ihnen, verborgen geblieben, daß diese "Mächte" gar nicht die Macht darstellen, von deren Absichten und Plänen das Schicksal Nicaraguas und El Salvadors abhängt. Dem spanischen Ministerpräsidenten, dem wegen seiner Sprachverwandtschaft mit den Mittelamerikanern solche Worte offenbar zustanden, blieb es vorbehalten, wenigstens einen gegen den US-Krieg kritischen Symbolgehalt in das Treffen hineinzudeuten:

"Die Tatsache, daß das Europa der EG den Friedensplan der Contadora unterstützt und gemeinsam am Aufbau der Region mitwirkt, erschwert Washington einseitige militärische Stellungnahmen und erst recht eine Invasion Nicaraguas. Die USA können Mittelamerika nicht mehr exklusiu als ihren Hinterhof betrachten, sondern müssen auf ihre Alliierten in Europa Rücksicht nehmen."

Was haben sie denn getan, die guten Europäer, daß ihre Führungsmacht in Sachen "Hinterhof" ausgerechnet auf sie "Rücksicht nehmen" müßte? Hat es denn wenigstens ein diplomatisches "wenn..., dann ...!" gegeben? Im Gegenteil: Kaum hatten die versammelten Alliierten der USA dem Contadora-Plan ihre tief empfundene Zustimmung erteilt, wurde er von der US-Regierung zurückgewiesen. Und zwar mit einer Begründung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: Der vorgesehene Abzug aller ausländischen Militärkräfte benachteilige einseitig die USA, da er Nicaragua von auswärtigem Druck befreie, ohne eine Gegenleistung der Regierung in Managua dafür zu verlangen. Dreister läßt sich der Anspruch der USA, nicht nur für, sondern auch in Nicaragua für alles zuständig zu sein und alle Nachbarländer unter Kontrolle zu halten, gar nicht ausdrücken. War da etwa ein Aufschrei der europäischen Verbündeten zu vernehmen? Ist auch nur diplomatische "Verärgerung" darüber laut geworden, daß die USA die Friedensheuchelei der Europäer so prompt blamiert und desavouiert haben?

Ein praktisch wirksamer Einspruch gegen die Freiheiten, die sich die USA in Mittelamerika und mit Nicaragua herausnehmen: So etwas ist eben nie gemeint gewesen. Eine "friedenspolitische" Demonstration der EG-Minister hat die souveränen Verfügungen der USA über "die Lage" begleitet - und ergänzt. Mit welchem Ziel?

Durch symbolische Friedensaktionen wie die in San Jose distanzieren sich die EG-Staaten von den militärischen Aufräumarbeiten der USA - mit denen sie also fest rechnen. Sprüche wie die des spanischen Ministerpräsidenten sind nicht als - und sei es vorsorgliche - Kritik der US-Politik gemeint, sondern sind eine Spekulation auf die Ergebnisse amerikanischen Durchgreifens. Sehr logisch: Wo die US-Regierung ihr Ideal vom mittelamerikanischen "Hinterhof" gerade wiederherstellt, a werden die europäischen Weltpolitiker unzufrieden mit ihrer bisherigen, nicht unbeträchtlichen Rolle bei der "Lösung der Krise in Mittelamerika". Die USA bloß durch den Einsatz ökonomischer Machtmittel zu unterstützen, durch Beiträge zur Ruinierung Nicaraguas wie zur Aufrüstung El Salvadors, das reicht den "aktiven Friedenspolitikern" von der EG nicht mehr. Die "Bereinigung der Lage" durch die USA mitsamt den unausbleiblichen Protesten einiger lateinamerikanischer Nachbarn gegen die Politik des "dicken Knüppels" aus Washington soll diesmal produktiv gemacht werden: für mehr europäische Zuständigkeit in und für Mittelamerika.

"Die Konferenz (in San Jose) ist eine Demonstration dafür, daß sich Europa in Mittelamerika nicht aus der Verantwortung stehlen will und bereit ist, dort Verantwortung zu übernehmen." (wie immer linientreu die Frankfurter Allgemeine)

Mit einer Bereitschaft, den Ländern dort lauter Gutes zu tun, ist diese "Verantwortung" nicht zu verwechseln: Selbst die bescheidenen, mit vielen Angeboten garnierte Gesuche des Präsidenten von Costa Rica -

"...eine weitere Öffnung der EG-Märkte für Exporte, Finanzhilfe und mehr Entwicklungsprojekte, ein Beitrag zur Förderung der Landwirtschaft, bessere Bedingungen für die Schuldentilgung, ein Präferenzabkommen..." -

wurden bei derselben Gelegenheit abgeschmettert. Die "Voraussetzungen" dafür seien noch nicht gegeben - Genscher. Eben. Ihre arbeitsteilige Mit-"Verantwortung" melden die EG-Staaten an für die Zeit danach.

Und das tun sie wirklich nur einerseits mit demonstrativ geheuchelter Distanzierung von den USA, mit denen sie ihre "Gemeinsamkeit" in Sachen "Friedenssuche" herausgestrichen haben, sowie von den amerikanischen Gewaltaktionen, aus denen sie Nutzen ziehen wollen. Am Recht der USA, die sandinistische Regierung für untragbar zu befinden, haben sie erst recht keinen Zweifel gelassen.

Die EG-Politiker haben die Regierung Nicaraguas nach San Jose eingeladen, um ihr und der Weltöffentlichkeit und den vertretenen Nationen die amerikanische Abrechnung noch einmal auf europäisch vorzurechnen. Die Botschaft: Europas Demokraten können den "Totalitarismus" nicht leiden, mit dem sich die Sandinisten gegen die Amerikaner und gegen die Contras und trotz des gegen sie verhängten Handels- und Kreditboykotts zu behaupten suchen. Die Werte der Demokratie, derer sich die EG in Mittelamerika annehmen will, stehen dort unten, wo der Westen auserlesene Schlächter zu seinen besten Freunden zählt, nur an einem Ort in Gefahr:

"Für alle Staaten Zentralamerikas muß gelten, da die Menschenrechte geachtet und die demokratischen Freiheiten gefördert werden. Dies muß sich beispielsweise bei den bevorstehenden Wahlen in Nicaragua bewähren." (Genscher)

Für den negativen Ausgang dieser "Bewährungsprobe" hat die EG-Konferenz selbst mit gesorgt. Der politische Vertreter der Contras, Cruz, wurde als legitimer Statthalter in Nicaragua zur Konferenz eingeladen, seine Forderung nach Aufgabe des sandinistischen Regierungsprogramms den Abgesandten Managuas als ein einziges Angebot unterbreitet. Und das nun nicht in der naiven Erwartung, die Sandinisten würden ihre gewaltsame Entmachtung durch eine freiwillige Selbstentmachtung überflüssig machen. Das Ergebnis wird der Absicht schon entsprochen haben: Die Regierung Nicaraguas treibt ihren Versuch, durch Erfüllung des berechnenden westlichen Verlangens "freier Wahlen" ihr politisches Überleben zu sichern, nicht bis zur Selbstaufgabe - "entlarvt" sich also als "Diktatur" von jener Machart, die den mittelamerikanischen "Demokratisierungsprozeß" aufhält. So sorgen Genscher und Kollegen für eine zusätzliche europäische Rechtfertigung des Urteils, das die USA einstweilen vollstrecken: Die Freiheitsfeinde sind die, die sich in Nicaragua zur Wahl stellen.

Man muß schon ein ziemlich grüner Idiot in Bonn sein, um "die Lage" trotzdem so zu sehen:

"Die USA torpediert das Zusammenwirken der Europäer in Mittelamerika."

Zumindest die nationalistische Sehnsucht der EG-Partner haben sie mal wieder genau getroffen, die Grünen.

Sozialistische Internationale: Weil geschossen wird, haben Sozialdemokraten gut reden

Unterdessen habe sich Brandt, Wischnewski und die "Sozialistische Internationale" (SI) von "vor Ort", aus Brasilien und von Rundreisen durch Südamerika und die Karibik, als aufmerksame Opposition zu Wort gemeldet. Noch nachdrücklicher und liebevoller als vor ihnen die EG-Minister haben sie für die rechte Opposition in Nicaragua und ihren Terror allerhand politische Freiheiten angemahnt und auszuhandeln versucht - ein bemerkenswertes Bündnis! Interessant aber vor allem, was die Erfinder der Berufsverbote und Oberterroristenbekämpfer in der sozialfriedlichen BRD in Nicaragua alles an Demokratie gewagt sehen wollten für ihre Schützlinge Cruz und Co: Extra-Termine für die Einschreibung zur Wahl; eine Verschiebung des Wahltermins, damit die Rechten noch genug Zeit fürs Terrormachen und Wahlkämpfen haben; anderthalb Stunden Fernsehen pro Woche; ... traumhafte Bedingungen für eine aufrührerische 5. Kolonne Washingtons mitten im Krieg.

Nein, von der CIA gekauft sind die internationalen Sozialisten natürlich nicht. So mögen sie sich ein eher unblutiges Heimholen Nicaraguas ins Reich der Freiheit vorstellen. Denn daß das ansteht: daß Nicaragua so, wie es ist, für die USA untragbar ist, das wollen die erfahrenen Staatsmänner von der SI den Herren in Washington nicht bestreiten - am wenigsten ihr Häuptling Brandt ("Friedenswwilly"), der seine anschließend geschlossene Duz-Freundschäft mit Fidel Castro auf dessen angebliche Entwicklung "vom Revolutionär zum Staatsmann" gründet, dem nichts mehr am Herzen läge als eine "Aussöhnung" mit dem US-Imperialismus... Doch wo die Endlösung des untragbaren "Sicherheitsrisikos" Nicaragua politisch und militärisch ins Werk gesetzt wird, da sehen Sozialdemokraten die Stunde gekommen, sich als Vermittler zu profilieren. o s nichts u vermitteln gibt - weil längst Krieg geführt wird, von Söldnertruppen mit dem US-Auftrag, den abweichenden Staat da hinten zu zerstören -, da preisen diese Internationalisten als friedliche Verhandlungslösung an, was der offizielle Zweck dieses Krieges ist: einen "demokratischen Pluralismus", der das Menschenrecht auf amerikanischen Zugriff wieder garantiert.

Daß es dafür mit Wahlen längst nicht mehr getan ist, weil sie diesen Zweck wohl doch verfehlen würden und deswegen von den Kreaturen Washingtons und Schützlingen der SI boykottiert werden, wissen natürlich auch Brandt und Kollegen. Deswegen eben verlangen sie nicht bloß Wahlen, sondern auch wieder den freiwilligen Verzicht darauf, bis das Aushungern und Terrorisieren nach Einschätzung der Rechten vielleicht doch die Bedingungen für wirklich "freie Wahlen" geschaffen hat - denn auf der Einstellung von Sabotage, Überfällen und Handelsboykott bestehen sie gerade nicht. All das servieren die guten Menschen von der SI aber als Angebot: So könnten die Sandinisten mehr und längeres Blutvergießen vermeiden. Oder wenn schon das nicht, dann immerhin den amerikanischen Einmarsch. Wenigstens vielleicht... Denn wofür wollen diese "ehrlichen Makler" denn einstehen? Die Täter und Urheber der ganzen "Kriegsgefahr" haben sie ja gar nicht besucht, geschweige denn auf irgendwelche "Kompromisse" festgelegt, für die sie haften könnten - ebenso wenig wie vorher ihre europäischen Minister und Regierungschefs. Nein, Sozialdemokraten besuchen die Opfer und sonnen sich in der Lüge, diese könnten sich dank Brandtscher Vermittlungshunst doch noch die Chance verschaffen, die der zuständige Imperialismus ihnen gerade nicht läßt.

So schmarotzen sie, erz-sozialdemokratisch eben, moralisch von dem Krieg und der Invasionsdrohung, denen die Sandinisten sich ausgeliefert sehen. Noch nachdrücklicher und noch zynischer als die Genscher-Mannschaft von San Jose profilieren sie sich als die guten Europäer, die mutig aus dem Schatten dcr USA treten. Ganz eigenständig melden sie das ehrenwerte, bescheidene Anliegen an, aus Nicaragua einen Brückenkopf der europäischen Sozialdemokratie in Mittelamerika zu machen. Ob ein europäisch beaufsichtigter Wintergarten in der Karibik den Nicaraguanern besser bekäme als der US-Stall? Besser als den Bewohnern der Vasallenstaaten, die die EG sich bereits geschaffen hat - in all den Gegenden Schwarzafrikas z.B., aus denen zur Zeit eine Hungerkatastrophe nach der anderen gemeldet wird? Für die Menschenfreunde der SI ist das keine Frage. Den Druck konterrevolutionären Terrors für alternative Vorschriften an die Adresse Nicaraguas ausnutzen: Das ist ihr politisches Geschäft. Zumindest können sie dann als SPD-Opposition in Bonn an die regierenden Christliberalen den harten Vorwurf loswerden: Schwächlich kuschen sie vor Reagan - ein wahrhaft altemativ-demokratischer Kommentar zu der Tatsache, daß Europas NATO-Herren das karibische Kriegsgeschehen längst mit ihren ökonomischen Waffen unterstützen und o deutsche und europäische Zuständigkeit wahren.

P.S.

Die sozialdemokratische Perfidie und ein altemativer Europa-Imperialismus stoßen bei der Friedensbewegung offenbar auf Sympathie. Die Mehrheit ihrer Organisatoren hat sich mittlerweile auf Willy Brandt als Wunschkandidaten für die Abschlußkundgebung der Mittelamerika-Demonstration am 3.11. geeinigt. Wohl kaum, um seine Heuchelei nicht zum Zuge kommen zu lassen.