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HALLO AUGSTEIN!
Anläßlich Deines Auftrittes in den Münchner Kammerspielen zum Thema "Reden über Deutschland" haben wir einmal die "Spiegel" des fast vergangenen Jahres durchgeblättert, um zu sehen, was Du als anerkannte Instanz der bundesdeutschen Öffentlichkeit in diesem Jahr sonst noch so alles für angesagt gehalten hast. Dieses Kurzstudium hat uns in der Auffassung bestärkt: In diesem Land gibt's immer weniger Leute, die noch richtig ticken.
Den ersten Beweis liefert hierzu schon Dein
Nachruf auf Juri Andropow
vom Februar dieses Jahres.
Deine Angeberei
"..es kommt selten vor, daß man als Journalist allein dem ersten Mann der Sowjetunion gegenübersitzt... mit dem Privileg, Themen eigener Wahl anzuschneiden..." (Mensch Rudi, bist Du wichtig!) -
ist ja geschenkt. Aber Deine Zunftkollegen als "Kremlastrologen" verächtlich zu machen und dann Stories abzulassen, gegen die die Astrologie eine exakte Wissenschaft ist, das ist unschön!
Dem Artikel haben wir jedenfalls u.a. entnommen:
1. Der Verblichene war ein ziemlich undurchsichtiger Typ, wenn überhaupt der erste Mann.
"Welche Rolle hat Andropow nach dem Abschuß des koreanischen Jumbo gespielt, wenn überhaupt eine?"
"Hat er bestimmt", daß der bis dato vor dem Westen versteckte "Generalstabschef Ogarkow mit einem Zeigestock vor der Presse auftrat?" (Was hatte es mit dem Zeigestock auf sich?!)
Hatte er "die Partei in der Hand" und/oder das Militär und die Geheimpolizei oder umgekehrt oder was?
"Ist es nicht so, daß die Partei das KGB durchdringt und das KGB die Partei...?"
Fragen, nichts als Fragen, die bei Dir aber immer schon Antworten sind: Es besteht also, so sollte man das wohl verstehen, der begründete Verdacht, daß bei den Kommunisten sogar noch das Regieren des eigenen Landes in der Form der finsteren Verschwörung eines jeden gegen jeden vor sich geht. Und Andropow steckte mitten drin.
2. Das ist aber bei den Russkis normal. Denn "niemand durchschaut, wer (im Kreml) gerade die Nase vorn hat."
Hiervon heben sich recht vorteilhaft die hiesigen Verhältnisse ab, in denen täglich nicht unter einem dutzendmal mitgeteilt wird, wer gerade die Mannschaft ist, die dem Bürger ganz demokratisch eins auf die Nase geben darf - und Du darfst dann jeden Montag enthüllen, daß eigentlich doch überall der Strauß seine Finger im Spiel hat.
3. In Anbetracht dessen, daß er ein sowjetrussischer Politiker war, hatte Andropow eigentlich nicht übermäßig viel Blut an den Händen. "Unblutige Hände" hatte er natürlich auch nicht, das wäre auch nicht normal bei den Russkis, weil die ja immer mit den
"üblichen Mitteln, wie sie sich zwischen Iwan dem Schrecklichen (1547-1584) und dem Dichter Gogol ('Die toten Seelen') herausgebildet haben"
regieren, die Russen die.
Gut Augstein, wir sehen ja ein, daß ein Nachruf auf einen östlichen Staatsmann ohne Russenhetze und demokratischen Rassismus auch nicht normal wäre. Aber wenn Du schon Politiker nach den Mengen Blut unterscheidest, für die sie verantwortlich zeichnen: Was macht Dich so sicher, daß niemandem die Rekordleistungen der in der abendländischen Demokratie "üblichen Methoden" einfallen, die sich lange vor Dick dem Trickreichen (1968-1973) und auch noch nach Charles M. Schulz ("Die 'Peanuts") herausgebildet haben?
Obwohl Andropow ein Russe und Kommunist war, konnte er den Anschein erwecken, er sei "gescheit und bescheiden" und "etwas verlegen gegenüber Westlern" (das lag vermutlich an Deiner überlegenen westlichen Persönlichkeit), "aber selbstbewußt" (das lag vermutlich an seinen Raketen).
Besonders scharf nach so viel liberaler Hetze Dein versöhnlicher Schlußakkord - immerhin hatte Andropow das Beste gemacht, was ein sowjetischer Politiker machen - kann: freiwillig wegsterben. Damit bringst Du die Sache auf den Punkt, der Dich bei allen Themen am meisten interessiert: Sogar noch im Sowjet-Politiker den Menschen entdecken, den die Probleme mit der Macht umtreiben. Auch da ein bißchen Verstehenkönnen, um ihm die entscheidende Zensur zu erteilen: Guter Führer - schlechter Führer.
"Als Botschafter in Ungarn tanzte Andropow mit der schönen Frau des Budapester Polizeichefs seinen Tango und schenkte ihr Blumen; ihren Mann steckte er nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in eine Haftzelle direkt unter dem Ballsaal..."
Was paßt Dir daran nicht? Hättest Du den Mann in den Ballsaal gesperrt und mit der Alten in der Zelle einen Tango hingelegt?
"Wohl wird ihm dabei nicht gewesen sein. Seine Liebe zu Ungarn wurde er nicht los. Er hatte eben ein Gewissen, wenn auch ein schlechtes." (Wohl im Gegensatz zu anderen Untermenschen, die sich nur wohlfühlen, wenn sie im Blut waten?) "Vielleicht war der Herr des Kreml zu alt und zu krank, und vielleicht sein Reich zu groß und zu weit..."
Siehst Du, Augstein; das sind so die Sprüche, die einen an Deinem Verstand zweifeln ließen, wüßte man nicht, daß Du grade den strapazieren mußt, um solchen Mist zu produzieren.
Wenn Du Dich den lebenden inländischen Herrschaften unter Deinem ganzjährigen (vermutlich lebenslänglichen)
Gesichtspunkt des gelungenen Regierens
zuwendest, wird Dein Stilempfinden noch sensibler. Da wäre Dir eigentlich nur das Beste gut genug (deutsche Wertherrschaft?) - und was mußt Du Dir tagtäglich ansehen?
Einen einzigen unintelligenten, provinziellen, dickfelligen und dabei noch überheblichen Sauhaufen!
Die mögen ja das liebe Volk deckeln, wie sie wollen - von heuchlerischem Mitleidsgetue bleibt man bei Dir tatsächlich das ganze Jahr über verschont, dafür interessieren Dich die Opfer der Regierungspolitik einfach zu wenig - : Wie die das machen und mit welchem Personal, das ist für einen alten Machtschmecker wie Dich der Skandal!
Wie "kann ein Mensch (Kohl) so dumm sein": bricht es aus Dir heraus,
- nicht die Minister zu entlassen, die Du für "unfähig" (Schwarz-Schilling) oder "blamiert" (Lambsdorff) hältst;
- nicht die Minister einzustellen, die Du gut findest (Baum statt Engelhardt, wenn er sich schon einen Zimmermann "leistet");
- nicht den rächenden Mißerfolg zu fürchten ("Kohl wird es noch bereuen"), der den Verletzer der leges artis der Regierungskunst einfach treffen muß; z.B. wenn er Wömer nicht entläßt, wie Du es Dir vorstellst.
Dabei ist Dir doch - "unermeßlich gebildet", wie Du bist - ausgerechnet zu Wörner "der in Ulm von Napoleon geschlagene General Mack" eingefallen! Auch den Schrecki Schreckenburger soll Kohl unbedingt entlassen, dem Du nachsagst, ein "liebreizender" und "harmloser" Dödel zu sein. Wir sehen ja ein, daß für einen intellektuellen de-luxe-Nationalisten diese "Oggersheimer " zum Erbrechen sind. Deine Gründe dafür sind es auch.
Staatskrise wegen schlechter Besetzung der Charakterrollen?
Leuten wie Dir genügt es einfach nicht, wenn die Menschheit, soweit der bundesdeutsche Arm reicht - und das ist nicht einer der kürzesten - ausgebeutet, abkassiert und für Regierungszwecke verplant wird. Du hättest es auch noch gerne geistreich. Und weil's fürs Regierungsgeschäft in Wirklichkeit noch nicht einmal Deine Sorte Grips, Auskennertum und Weltläufigkeit braucht, geht Dir und Deinesgleichen der Stoff für Verrisse nicht aus. Bloß, mal im Verauen: Der Regierungsclique vorzuwerfen, sie sei blöde und unfähig, ist angesichts der Erfolge beim Umspringen mit den Leuten nicht bloß zynisch, sondern selber eine Blödheit, und zwar Deinerseits:
Dort, wo Du Deine Ironie für besonders beißend hältst -
"Kohl ist von Volkes Gnaden und das Volk ist von Kohls Gnaden... er kann verzeihen und nicht verzeihen, umbilden und nicht umbilden, kann Steuerreform groß, klein, mittel oder gar nicht machen..." -,
merkst Du nicht einmal, daß D u auf dem falschen Dampfer bist: Genau das alles kann er doch tatsächlich, Dein "Dr. Theophrastus Bombastus Honigmilch", weil er nämlich Kanzler ist und Du nur sein gar nicht bestellter Bußprediger. Deswegen liegst Du auch schief, wenn Du nachweisen willst, wie sich aus schlechtem Regierungsstil Korruption und aus ihr eine tatsächliche Staatskrise entwickelt:
"Jedes politische System trägt den Keim seines Untergangs in sich" (wo hast Du denn das wieder her!), "den man auch 'Korruption' nennen kann. Das gilt für das Römische wie für das Britische Weltreich... sogar für den Kirchenstaat, der erst 1870 unterging, nachdem er mehr als 600 (!) Jahre vor sich hin vegetiert (!!) hatte..."
Gräßlich! Und das alles wegen einem bisserl Schmierage? Augstein, das glaubst Du doch selber nicht! Stimmt's? Ja, es stimmt, und Du gibst es auch gleich selber zu; aber es sagt sich halt so schön, gell? Also vorher noch ein Furioso als pathetischer Ankläger:
Amnestiepläne und Korruption: "ein Schurkenstück"!
Möllemann: ein "Windikus"!
Mischnik: "Olympionike des Mitläufertums", dem "man nicht einmal mehr den Satz glauben würde: Ich möchte eine Bockwurst"!
Lambsdorff, Geißler: "Lügner und Betrüger"!
Kohl, Strauß: "Für jedes Bubenstück gut"!
Wie Du warst? Einmalig!! Du darfst also wieder Atem holen, den weisen Ratgeber herauskehren und den Adressaten Deines verbalen Berserkertums ganz entre nous ihre "Fehler" vorrechnen. Genscher z.B. hat ja einen ganz "fürchterlichen Fehler mit der Weihnachtsamnestie 1981" gemacht, obwohl er doch eigentlich "die feinen Ohren eines Elefanten" hat. Die Regierung ist da einfach z u weit gegangen. So redet nur einer der Regierung zu, der sich im grundsätzlichen Interesse der Pflege der Macht mit deren Inhabern einig weiß.
"Sie können uns ja belügen und betrügen" (den drohenden Untergang des BRD-Weltreichs hast Du da schon wieder vergessen), "aber irgendwo muß mit Lug und Trug auch mal Schluß sein."
Und wo bitte muß Schluß sein?
"Die Wähler sind nicht so sehr an der Korruption der Regierenden interessiert, die sie nahezu für selbstverständlich und jedenfalls für menschlich halten. Vielmehr, sie wollen nicht, per Selbstamnestie, regelrecht verarscht werden, zumal nicht die Klientel der FDP."
Zumal nicht die Macher der kritischen Öffentlichkeit, die jeden Betrug in Ordnung finden, wenn das im Fall des Erwischtwerdens öffentlich problematisiert und das schöne politische Amt durch Rücktritte sauber gehalten wird:
"Dahin wollen wir es gerade nicht kommen lassen, den Staat als Ganzes..., das Gemeinwesen, seine Verfassung und seine Vertreter jetzt für verderbt, korrupt und nichtswürdig zu erklären."
Gerade eben konntet "Ihr" es doch gar nicht fassen, welch' souveräne Übergänge rechtsstaatliche Regierungen heutzutage hinlegen, wenn sie sich nicht mehr an bestehenden Gesetzen messen lassen wollen, sondem sich bei Bedarf schnell ein neues schnitzen und dabei die Rücksichtnahme auf ganze Abteilungen öffentlicher Kritik aufgeben. Und jetzt seid "Ihr" gleich schon wieder beim Kern der Sache: Immer fällt "Euch" als Refrain "Eurer" "Kritik" nur das Dogma ein, daß "unser Staat" unvergleichlich edler ist als alles, was er tut, und daß irgendwie letztlich doch das hohe Amt seine Inhaber adelt. Oder welche Respektlosigkeit würdest Du Dich trauen, Augstein: vis-a-vis mit Deinem Kanzler?!
Zum Schluß noch ein Wort
Zur "offenen deutschen Frage"
in die Du Dich natürlich auch verantwortungsbewußt eingemischt hast:
"Wiedervereinigung unter einem europäischen Dach wäre nur durch einen Dritten Weltkrieg möglich."
Wo Du recht hast, hast Du recht!
"Denn was bedeutet so ein 'Dach'? Dies: Zurückweichen der Sowjets erst bis an die Oder/Neiße, dann hinter die jetzige Ostgrenze Polens, dann hinter ihre Grenzen von 1938, und damit nicht genug; sie würden preisgeben, wohin sie sogar Hitler nicht gelassen hatten, Leningrad nämlich und Moskau. Dann reichte Europa wirklich bis zum Ural."
Das wäre doch mal eine Einsicht über die hohen historischen Ziele einer verfassungstreuen bundesdeutschen Politik. Aber was machst Du daraus? "Also geht sie gar nicht!" Willst Du nicht bemerken, daß Deine pfälzischen Provinzdeppen, Münchner Meineidbauem und sonstige NATO-Bosse Dein "also" nicht mitmachen und ganz andere S chlußfolgerungen ziehen und in diplomatische und Rüstungstaten umsetzen - ?! Bevor Du Deinen "Lügnern und Betrügern" das zutrauen magst, erklärst Du die Aktivitäten der Bundesregierung in diese Richtung lieber zu "keiner Politik, wie in den meisten anderen Bereichen". Und wenn die Bonner Machthaber es für angezeigt halten, den Italienern gegenüber demonstrativ auf einem deutschen Sonderbonus aus der künftigen Nachkriegsmasse des Ostblocks, also mindestens der DDR, zu bestehen, dann hörst Du bloß das belanglose "Geschwätz von inkompetenten Heuchlern".
Kompetent und ehrlich dagegen ist es, wenn Du der Sowjetunion den nahenden "Verlust" ihres osteuropäischen Vorfeldes weissagst und dem Kreml unter Brüdern anbietest, seinen unbequemen Sitz "auf Bajonetten" mit den Freuden eines wiedervereinigten Nachbarn zu vertauschen.
Ein versöhnliches Wort zum Schluß, Augstein.
Du hast es auch nicht leicht. Das gleiche wie alle anderen ganz anders zu sagen, nämlich so, daß die anspruchsvolle Publizisten-Individualität sich ausleben kann, geistige Unabhängigkeit, Originalität und intellektuelle Überlegenheit aufblitzen: Das muß einfach zu solchen Blüten führen, wie Du sie dieses Jahr wieder geliefert hast. Daß kleinere Geister Deine Tour, den heiligen Werten der demokratischen Politik zuzustimmen, manchmal für Gegnerschaft halten, ist gewiß auch noch ein Stück Genuß für Dich. Schließlich bist Du ja der politische Unterhalter für die besseren Leute.