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Sozialpolitik
DIE RENTE - EIN SELBSTBEDIENUNGSLADEN FÜR DEN STAAT
Ende Oktober hat die Bundesregierung die Rentenanpassung der gesetzlichen Renten für 1985 beschlossen. Danach ist vorgesehen, die Renten zum 1. Juli 1985 um 3,2 Prozent zu erhöhen. Eine "Erhöhung", die angesichts der vergangenen (und bis Juli 85 schon längst feststehenden) Preissteigerungen eh schon ein schlechter Witz wäre. Für ausgemusterte Alte ist selbst das zu viel.
Die christliche Regierung hat nämlich vorsorglich bereits 1983 die Krankenversicherungsbeiträge für Rentner um weitere 2 Prozentpunkte auf dann 5 Prozent erhöht. Dadurch beträgt die "effektive Verbesserung der Altenbezüge" noch ganze 1,1 Prozentpunkte. Kein Wunder, daß selbst in der Regierungsmannschaft Stimmen laut wurden, die von einer zusätzlichen Belastung der Sozialhilfekassen gewarnt haben. Daß die Mehrzahl der ausgedienten Arbeiter in unserem hervorragenden Sozialstaat knapp über der Sozialhilfe herumkrebsen (von den Empfängern von Hinterbliebenenrenten ganz zu schweigen), ist den Verantwortlichen in Bonn zuallerletzt ein Geheimnis.
Dagegen hat unser leutseliger Bundesarbeitsminister, der so gerne erzählt, daß er "auch einmal Abbeider war", folgende regierungsoffizielle "Verkehrsregel" verkündet:
"Viele waren dafür, den Rentnern mehr zu geben. Aber hier greift meine wichtigste Vorfahrtsregel: Rentensicherheit geht vor Rentenhöhe."
So soll man die Sache also sehen: "Knappe Rücklagen" bei der Rentenversicherung "zwingen" Blüm, sich zwischen Sicherheit und Höhe der Renten zu entscheiden.
Die Lüge von den "leeren Töpfen" des Staates
Stimmt, die Konten der Rentenversicherungsanstalt sind immer ziemlich abgegrast. Bloß, mit einer allzu "üppigen Versorgung" der Rentner früherer Generationen oder gar mit einem geheimnisvollen "Naturgesetz" hat die "notorische Ebbe in der Rentenkasse" nichts zu tun. Mehr Geld war dafür einfach nie vorgesehen. Daß der staatliche Finanzbedarf auf dem Lohnstreifen der arbeitenden Menschheit unter mehreren Titeln auftaucht, einmal unter 'Lohnsteuer' und einmal unter 'Pflichtbeiträge', heißt doch nicht, daß der Staat bei der Verwendung dieser Gelder einen prinzipiellen Unterschied macht. Die zig Milliarden Versicherungsbeiträge werden genau wie jede andere Summe, die die Regierung sich bei ihrer Gesellschaft besorgt, im Staatshaushalt verplant.
Nichts ist absurder, als sich ausgerechnet den Bundeshaushalt so vorzustellen wie die ewig zu knappe Haushaltskasse einer bundesdeutschen Normalfamilie - nur eben größer. Ein Staatswesen ist schließlich kein Haushaltsvorstand, der eine feste Summe Geld verdient, die es dann einzuteilen gilt. Der Staat verdient kein Geld, er holt sich rechtmäßig bei seinen Bürgern, was er braucht. Wann immer er will, genügt die souveräne Änderung einer Prozentzahl im Gesetzestext (ab jetzt...% Beitrag, ab demnächst...% Mehrwert-, Mineralöl-, KFZ-, xy-Steuer), und schon sammeln sich ein paar Milliarden mehr in den Staatskassen an. Welche Maßnahmen und welche Anschaffungen (für die Wehrmacht und sonstige wichtige nationale Anliegen) die Bundesregierung auch immer für nötig erachtet, von "begrenzten 'Haushaltsmitteln " will sie sich bei diesen Entscheidungen nicht abhängig machen. Wofür gibt's denn das ehrenwerte Mittel der Staatsverschuldung? Die bis jetzt geplante Neuverschuldung im Bundeshaushalt 85 soll bei 25 Milliarden liegen, wurde letzte Woche aus Bonn gemeldet.
Ein "Sachzwang zum Sparen" ist bei dieser Haushaltsplanung weit und breit nicht auszumachen. Die Regierung sortiert vielmehr in aller Freiheit ihre Haushaltsposten und beschließt, bei welcher Sorte Ausgaben ihr jeder Pfennig zu schade ist - Rentner und sonstige "Sozialfälle" gehören dazu. In dieser Hinsicht hat die Finanzplanung der Bundesregierung sehr viel mit "leeren Kassen" zu tun. Mit ihren Sparbeschlüssen schafft sie sie bei ihren Untertanen.
Und ausgerechnet die Macher der "Sachzwänge", die ihrem Volk ein "Sparprogramm" nach dem anderen verpassen, soll man dann als die mit lauter "Notwendigkeiten" kämpfenden Opfer der ganzen Angelegenheit betrachten. Dazu taugt die kindische Vorstellung von den verschiedenen "leeren und halbleeren Töpfen" des Herrn Blüm und dessen redlichen Bemühungen, diese Dinger halbwegs gerecht zu verteilen.
Die Lüge von der Sicherheit der Renten
Die Propaganda aus dem Arbeitsministerium - die Renten werden sicherer, wenn man sie senkt - läuft erstens auf die Unverschämtheit hinaus: Am sichersten ist die Rente, wenn sie dem Rentner überhaupt keine finanzielle Sicherheit schafft. Und zweitens wird selbst - dieses absurde "Versprechen" durch jede weitere Verlautbarung aus dem Sozialministerium widerlegt. Zu jeder Rentenkürzung werden entsprechende Hochrechnungen serviert. Ihr Inhalt ist immer derselbe: "So kann es unmöglich weitergehen, - Bis zum J ahre 1993, 2003... sind die Reserven der Rentenkasse endgültig erschöpft."
Also: Noch nicht einmal auf die Billigrenten von heute kann man sich in Zukunft verlassen. In immer neuen Rechenkunststücken wird mitgeteilt, daß es ganz im Ermessen der staatlichen Finanzplanung steht, was aus "unserem aufwendigen Rentensystem" wird.
Die einzige Sicherheit - der monatliche Lohnabzug
Sicher ist für die Versicherten nur eins: Solange man arbeitet, unterscheidet sich der Lohn, von dem man leben muß, ganz gewaltig von der Zahl, die oben auf dem Lohnstreifen steht. Die Differenz zwischen "Brutto" und "Netto" gehört schon dem Staat, bevor der Lohnstreifen überhaupt ausgezahlt wird - diese Entscheidung liegt voll und ganz im Ermessen des Staates.
Was nicht heißt, daß die jahrelangen Beitragszahlungen nichts mit der späteren Rente zu tun hätten, Als Bedingung, überhaupt einen Rentenanspruch geltend machen zu können, ist der exakte Nachweis jahrelanger Abzüge sogar von enormer Wichtigkeit. Wer nicht mindestens 15 Jahre "geklebt" hat, braucht den Staat erst gar nicht mit irgendwelchen Ansprüchen zu behelligen. Wie die anderen Bedingungen gerade aktuell aussehen, steht in den einschlägigen Gesetzen. Man muß sich "nur" darum kümmern, ob man auch bei geänderter Gesetzeslage seinen Rentenanspruch behält. Die Beweispflicht liegt hier selbstverständlich ganz bei den Versicherten. Wer seine alten Beitragshefte nicht vollständig beisammen hat, hat eben Pech gehabt. Wer auf seine alten Tage weniger verdient - heutzutage ein Normalfall -, senkt damit automatisch seinen Rentenanspruch. Und wer vor Erreichen der gesetzlichen AItersgrenze abkratzt, ist ein Fall für die Statistik der "natürlichen Abgänge der Rentenberechtigten".
Ein Großteil der staatlich verwalteten Gelder ist also schon durch die hervorragende rechtsstaatliche Organisation des Rentenwesens und die einkalkulierte Sterbequote von vorneherein vor jedem Anspruch der Versicherten sicher. Für einen gesicherten Lebensabend der Arbeiter war die Rentenkasse eben nie vorgesehen, sondern als bombensichere Finanzquelle für den Staat.
Deshalb ist der ganze Zirkus
Als Versicherung ein Witz
An den Maßstäben eines Versicherungsagenten gemessen, könnte Blüm einpacken. Kein Mensch, der einigermaßen bei Trost ist, zahlt sein gutes Geld bei einem Laden ein, dessen Manager ihm laufend vorjammern, daß es mit den Finanzen verheerend aussieht, jederzeit mit einem Bankrott gerechnet werden muß - und deshalb die "Versicherungsleistungen" mehr als fraglich sind. Aber an den Maßstäben einer geschäftsmäßigen Kalkulation der Betroffenen muß ein Bundesarbeitsminister sich eben nicht messen lassen. Die Mitglieder für seinen Scheißverein werden nicht geworben, sondern zwangsverpflichtet. Austreten ist verboten und wäre auch zwecklos - es ist sichergestellt, daß man die monatlich kassierten Beiträge nie in die Finger bekommt. Lohnende Gegenleistungen werden den Versicherten erst gar nicht in Aussicht gestellt.
Die öffentliche Debatte
kennt drei Stettungnahmen zur "Rentenprobtematik":
Ein dummes Lob - nach dem Motto: "Die Sozialversicherungen sind eine Errungenschaft." Deshalb darf man gar nicht danach fragen, wer was davon hat - es könnte ja alles noch schlimmer sein.
Eine dumme Beschwerde über die "zu hohen Abgaben für die Rentner". Ein Gemecker, mit dem ausgerechnet eine Abteilung der Opfer der staatlichen Geldbeschaffung, die Rentner, zum eigenttichen Nutznießer der Angelegenheit erktärt wird.
Und 3. seit neuestem viet Mitleids-Geheuchel:
"Wer denkt an die Rentner? Schmächtige 1 Prozent mehr bekommen sie, die ein Leben lang schufteten und klebten..." (Bild)
Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage. Die Staatsmänner haben doch gerade sehr nachdrücklich an die Rentner gedacht. Das Getue, ob "unsere Alten diese Behandlung verdient haben", wurde aus Bonn erschöpfend beantwortet: Leute, die während ihres Arbeiterlebens immer treu und dienstbar als Manövriermasse für alle Ansprüche der "Wirtschaft" und des Staats zur Verfügung standen, werden selbstverständlich erst recht im Alter als die Trottel behandelt, zu denen sie sich haben machen lassen.
Rentner sanieren den Staat
Der gnädige Begründer der staatlichen Rentenzwangsversicherung hat es von Anfang an gewußt, daß die eingetriebenen Beiträge der Arbeiter nicht für einen geruhsamen Lebensabend vorgesehen sind:
"Ich gebe mich der Hoffnung nicht hin, daß durch gesetzgeberische Maßnahmen die Not der Zeit und das menschliche Elend sich aus der Welt schaffen lassen." (Kaiser Wilhelm II. zur Begründung der Einführung der Rentenversicherung)
Das Prinzip der Rentenreform (kassieren, ohne zu zahlen) war daher schon vor der ersten Reform in Kraft: Von 1889 bis 1919 bestand die staatliche Oberaufsicht in der Verwaltung von und Verfügung über Einnahmen, denen keine Ausgaben gegenüberstanden, weil es außer Arbeitsinvaliden gar keine Anspruchsberechtigten gab; den Anspruch erwarb man nämlich erst nach dreißigiähriger Beitragszahlung - dafür hatte das Gesetz gesorgt. Die erste großangelegte Rentenreform (1914-18) besorgte die Regierung seiner Kaiserlichen Majestät mit der Veranstaltung eines vierjährigen großangelegten internationalen Preisschießens auf Anspruchsberechtigte. Ganz im Sinne der Zweckgebundenheit der Finanzen der Sozialversicherung wurde die Munition dafür mit den reichlich vorhandenen Geldern bezahlt. Das Ergebnis ist bekannt: Die erste Rentenreform ist gescheitert. Das Geld hatte nicht ausgereicht, um alle Antragsteller zu erledigen. Das erforderte die zweite Rentenreform (1919-1923). Ihre Majestät, die Demokratie, betonte bedauernd, daß Ihre Majestät, der Kaiser, alles verpulvert habe, die Kasse also leer sei.
Paragr. 1 lautete also: Es gibt nichts. Paragr. 2: Wenn eure Ansprüche entwertet sind, werdet ihr ausbezahlt. Das ging so schnell, daß die 15,95 RM Höchstrente im Monat schon 1920 nicht mehr das Schwarze unter dem Fingernagel wert waren. Der Erfolg der zweiten Rentenreform beruhte auf dem maßlosen Geldbedarf des Staates, den er mit der genialen Idee des Gelddruckens befriedigte. Nach der ausgabenorientierten zweiten folgte die ausgewogene dritte Reform (1924-33): Beitragserhöhungen - Rentensenkungen, womit die Grundlagen für die vierte (1933-41) geschaffen wurden: Die Bereitstellung der Gelder für die Eliminierung von Kärteileichen der Versicherung. Die Endlösung der Rentnerfrage war im Drei-Stufen-Plan vorgesehen: Juden raus, zweites internationales Preisschießen, Euthanasie unwerten Lebens. Dann trat erst mal eine Reformpause von ca. 10 Jahren ein. Die Alliierten erklärten sich für den ganzen Kram einfach nicht zuständig, oder sie untersagten ihn, wie die Amerikaner, gleich ganz. Die demokratischen Nachfolger des Führers dankten ihm für seine hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet der Rentenreform - neben vielen Anspruchsberechtigten hatte der Bombenkrieg auch noch jede Menge von Beitragsheftchen vernichtet, ohne die die Überlebenden ihre Berechtigung nicht nachweisen konnten -, indem sie ihn des Mißbrauchs von Rentengeldern für einen aussichtslosen Krieg öffentlich beschuldigten. 1956 sorgte man schließlich mit der Erfindung des Generationenvertrags dafür, daß die gute alte Rententradition wieder eingeführt wurde: Die Kinder zahlen für ihre Eltern. Damit die das schöne Geld aber nicht einfach auf den Kopf hauen, hat man die Versicherung nicht abgeschafft, sondern mit mickrigen Renten und satten Beiträgen dafür gesorgt, daß man das Geld gut und vor den Rentnern sicher anlegen kann, womit man sich den praktischen Automatismus von Rentenloch und Stopfung desselben bis heute gesichert hat. Bis zum nächsten großen Kassensturz.
Renten einmal anders betrachtet
Ein Beispiel zum Mitrechnen:
Angenommen ein Mensch verdient während seines Arbeitslebens einen durchschnittlichen Bruttolohn von 2500 DM
Angenommen, er hält dieses Arbeitsleben 40 Jahre durch
Bei dem zur Zeit gültigen Beitargssatz für die gesetzliche Rentenversicherung von 18,5% (demnächst werden es 187%, aber wir sind nicht kleinlich) beträgt sein monatlicher Rentenbeitrag 462,50 DM
Macht im Jahr 5.500 DM
Bei 40 Arbeitsjahren ergibt das die hübsche Summe von 222000 DM für die Rentenkasse
Diese Summe zum Abschluß des Arbeitslebens bar auf die Hand (wir sind großzügig und verzichten auf Verzinsung) - der Lebensabend wäre doch geritzt.
Angelegt zu einem Zinssatz von 8% (es gibt heutzutage günstigere Anlagemöglichkeiten, und mit den Zineszinsen wollen wir gar nicht erst anfangen) wirft diese Summe einen jährlichen Gewinn von 18870 DM ab.
Macht 1.572,50 DM pro Monat.
Die Hauptsumme bleibt natürlich erhalten - fürs Begräbnis und die Erben. Und die können auch nicht enterbt werden.
Eine schlechtere Art, für einen unbeschwerten Ruhestand vorzusorgen, als die gesetzliche Rentenversicherung kann es gar nicht geben. Immerhin sind schon in unserem bescheidenen Rechenexempel die bloßen monatlichen Zinsen der insgesamt abgezogenen Beiträge höher als die meisten Renten, mit denen Arbeiter hierzulande in den "wohlverdienten Ruhestand" geschickt werden.