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Waldsterben
EIN LEHRSTÜCK STAATLICHEN UMGANGS MIT ÖKONOMIE UND NATUR
Einmal abgesehen davon, daß ein Regen, der Bäume absterben läßt, bei lebendigen Menschen wohl auch andere Wirkungen zeitigt als nur eine Beförderung des Haarwachstums, ist es bezeichnend für das Verhältnis von Staat und Ökonomie in Gesellschaften, in denen die kapitalistische Produktionsweise herrscht, daß die zerstörerischen Konsequenzen der Plusmacherei beim deutschen Wald Katastrophenalarm auslösen, während die physische Ruinierung des Menschenmaterials im "Arbeitsleben" bestenfalls als "Kostenexplosion im Gesundheitsweisen" Anlaß zu öffentlicher Besorgnis abgibt.
Dennoch löhnt es sich, Ursachen und Wirkungen des Waldsterbens genauer zu untersuchen, weil der Umgang von Staat und Kapital mit den Bäumen ungefähr dasselbe ist wie mit den Leuten. Eher noch etwas rücksichtsvoller, denn der deutsche Wald ist, laut Kanzler Kohl, unersetzlich, was ein deutscher Arbeiter nur solange von sich behaupten kann, bis er arbeitslos ist.
Die Umweltverschmutzung
Daß sich die Bundesrepublik Deutschland als ein äußerst fruchtbares Feld für die Vermehrung von Kapital darbietet, ist wahrlich kein Geheimnis. Veranschaulicht wird diese Tatsache durch die Verdopplung des Primärenergieverbrauchs "unserer Wirtschaft" in den Jahren von 1960 bis 1980. Dafür notwendig wurde der Bau von Kohlekraftwerken mit Leistungen bis zu 750 Mega-Watt (gegenüber den vielen "alten" 50 MW-Anlagen, die auch in Betrieb sind). Und neben diesem Ausbau der Energieproduktion sorgten und sorgen ununterbrochen eben auch die Fabriken, für die er passierte, nicht gerade für eine Veiminderung der Schadstoffe, die die Umwelt "belasten".
Dabei ist seit über hundert Jahren zumindest die Wirkung der Abgase bekannt. Denn schon 1853 veröffentlichte der erste Inhaber des Lehrstuhls für Pflanzenchemie an der Königlich Sächsischen Forstakademie zu Tharandt, Prof. Dr. Adolph Stöckhardt, eine "Untersuchung junger Fichten und Kiefern, die durch den Rauch der Antons-Hütte krank geworden" sind. Die Erkrankung der Walder 1983 wird nun als die Überraschung des Jahres hingestellt; eher ist schon die Verwunderung angebracht, daß der "von allen geliebte deutsche Wald" (Kanzler Kohl) nicht schon längst verreckt ist. Der Dreck in der Luft besteht nämlich aus lauter Gift, das nicht dadurch relativiert wird, daß dessen Wirkung auf verschiedene Organismen verschieden ist und im Detail vielfältige Wege geht.
Schwefeldioxid zum Beispiel führt immer zu Schädigungen der Bäume, mögen die Fabrikschlote auch bis zu 300 m hoch sein, und deswegen wird dieser Hauptbestandteil der Abgase auch weitgehend entfernt, damit er stark verdünnt auf den Wald niedergeht. Selbst bei Konzentrationen, die weit unterhalb der offiziell als toxisch angesehenen Werte liegen, löst Schwefeldioxid die Wachsschicht der Blätter bzw. Nadeln auf, dringt in das Blattinnere ein und schädigt das Chlorophyll. Konsequenz ist die Reduzierung der Umwandlung von Sonnenlicht in eine Energieform, die die Pflanze weiterverwenden kann - also die Verringerung der "Nettophotosynthese um bis zu 40%" (Prof. Schütt, Ordinarius in München). Die Blätter verfärben sich, fallen schließlich ab, der Baum stirbt. Je nach Konzentration des Giftes passiert dies unterschiedlich schnell, weshalb die Wissenschaft denselben Schaden in "latent" (oder auch unsichtbar) "chronisch" und "akut" unterteilt. Außerdem reagiert Schwefeldioxid mit Wasser zu Schwefelsäure, die (nicht allein, andere Bestandteile des Abgases machen da auch mit) den Regen heutzutage manchmal so sauer wie Essig vom Himmel fallen läßt. Wobei die modernen hohen Kamine für die entsprechende, bis zu 3 Tagen dauernde Verweilzeit des Schwefeldioxids in der Atmosphäre sorgen, auf daß möglichst viel davon sein Regentröpfchen findet.
In den Blättern bildet sich aus der aufgenommenen Schwefelsäure und dem vorhandenen Calzium stinknormaler Gips, der im Spalt zwischen zwei Schließzellen auskristallisiert. Schließzellen heißen diese Zellen, weil sie infolge ihres besonderen Baus ihre Gestalt durch aktive Innendruck-Änderungen so regulieren können, daß sich der Spalt zwischen ihnen schließt oder öffnet.
Die Spaltöffnungen sind also Regulatoren des Gaswechsels und insbesondere der Transpiration. Sie werden durch die Gipskristalle außer Kraft gesetzt. Dies führt zu Wasserverlusten, den der Baum durch verstärkte Wasseraufuahme über die Feinwurzeln ausgleicht. Damit aber nimmt die Pflanze auch verstärkt Schwermetalle auf, die wie das bekannte Gadmium hochgiftig sind. Dies aus zwei Gründen: Erstens ist durch die Erhöhung der Energieproduktion die Menge an Schwermetallen in der Luft und damit auch am Boden überhaupt gestiegen; und zweitens liegt wegen der Versauerung des Bodens (durch z. B. Schwefelsäure im Regen) ein höherer Anteil davon in gelöster Form vor, der von Pflanzen dann aufgenommen wird. Das Ergebnis sind zerstörte Wurzelsysteme.
Solcherart geschädigte Bäume sind dann anfällig für Schädlinge wie Bakterien, Borkenkäfer etc., empfindlich gegenüber Trockenheit bzrv. Kälte, und schon leichtere Windstöße fällen sie.
"Klimakatastrophen" für das Waldsterben verantwortlich zu machen ist deshalb eine falsche Erklärung. Trockene Sommer oder kalte Winter sind eben nicht der Grund dafür, sondern die Abgase aus den Fabrikschornsteinen.
Schon die beispielhafte Wirkung von nur zwei Bestandteilen des Drecks in der Luft erlaubt eigentlich nur einen einzigen Schluß: Das Zeug darf nicht raus aus den Kaminen! Was auch möglich wäre, schließlich ist die Zurückhaltung technisch schon lang' geklärt.
Doch so einfach geht's in der kapitalistischen Produktion nicht, denn hier ist auch und zwar an vorderster Stelle die Gesundheit der Wirtschaft zu beachten.
Die staatliche Reaktion
Eine der prinzipiellen Entscheidungen, die ein Staat wie die BRD trifft, ist die, das Wachstum seiner Wirtschaft zu fördern, wo es nur geht, weil ihm diese als das Mittel seiner Durchsetzung in der weltweiten Staatenkonkurrenz dient. Alle Bestrebungen des Umweltschutzes für saubere Abgase stellen wegen der Erhöhung der Kosten nichts anderes als eine Beschränkung der Akkumulation seines Kapitals dar.
Die Tatsache, daß von Seiten des Staates das Waldsterben als "Umweltkatastrophe" anerkannt und damit erst zu einem Thema für die Öffentlichkeit gemacht wurde, läßt das Ausmaß der Schädigung erkennen, ohne jeden Baum Deutschlands untersucht zu haben. Sie muß mittlerweile so weit fortgeschritten sein, daß z.B. Grundwasserspeicherung, Luftfilterung (die "grünen Lungen") und Trinkwasseraufbereitung in naher Zukunft nicht mehr gewährleistet sind. Die Sorge gilt also einigen Grundlagen der nationalen Wirtschaft, die bisher der Wald wie selbstverständlich garantierte, und weniger der Forstwirtschaft selbst. Derartige Geschäftszweige haben die Staatsmänner zum Wohle des Ganzen natürlich - schon einige hops gehen lassen. Da die "Waldkatastrophe" nun ausgemacht ist, geht die Politik als Vertreterin des Waldes gegen sich selbst als Betreiberin der Kraftwerke vor. Keinesfalls steht deshalb die Entscheidung an: ab sofort unterbleiben alle giftigen Abgase, die Fabriken werden umgerüstet; was umgekehrt aber auch nicht heißt, daß alles so weitergeht wie bisher. Das wird ein gekonnter Kompromiß, der das "zarte Pflänzlein des Aufschwungs" - die Akkumulation des Kapitals - nicht hemmen darf, und das Absterben des Waldes vermindern soll.
Nicht nur Heuchelei zeichnet deshalb die Politiker aus, wenn
Kanzler Kohl mit gekommtem Augenaufschlag in die Fernsehkameras schallt: "Den Wald wollen wir alle erhalten",
Vogel in gebeugter Haltung und mit zerknirschtem Gesicht "äußerste Anstrengungen für den Wald" seinerseits demonstriert,
Strauß als Fachmann glänzt, der auf den "Wald sogar nur 60000 Tonnen Gift pro Jahr herabkommen" lassen will,
Genscher - ganz Außenminister - den Dreck in der Luft zu einer "notwendigen europäischen Friedensaufgabe unabhängig von Ost und West" ausgestaltet.
Bei soviel deinonstrativem Engagement wundert es nicht, daß da einer vor "Halbwahrheiten" warnt, obwohl dach alles klar ist. Der speziell zuständige Zimmermann erklärt:
"Ich werde im Kampf gegen das Waldsterben keine 'Halbwahrheiten' akzeptieren. Der Schutz unserer Umwelt und unserer Wälder ist und bleibt für mich eine herausragende politische Aufgabe, die nicht nach Belieben disponibel ist."
- und verpaßt der deutschen Wirtschaft die entsprechende Großfeuerungsanlagenverordnung (GAV).
Diese gilt für Fabriken ab 10 Megawatt Leistung und verringert die Emissionsobergrenze von bisher 610 Milligramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Abluft auf 400. Zimmermann erläutert seine Anordnung so:
"Mit Inkraftreten der Verordnung müssen alle großen Neuanlagen mit einer Rauchgasentschwefelung ausgerüstet sein."
"Ein besonderer Schwerpunkt der Verordnung liegt auf der Einbeziehung der Altanlagen, von denen das Hauptemissionspotential ausgeht."
In diesem Sinne bestimmt er alle vor Inkrafttreten des Gesetzes existenten Fabriken, einschließlich derjenigen, für die bisher erst ein Antrag auf Genehmigung des Baus und sonst nichts vorliegt, zu Altanlagen, und genehmigt ihnen Grenzwerte, die diejenigen von Neuanlagen bis um das Sechsfache überschreiten können. Außerdem bietet er die Möglichkeit an, über 400 Megawatt große Anlagen in so viele, rechtlich selbständige kleine Einheiten zu unterteilen, bis dafür die verschärften Bestimmungen nicht mehr gelten. Und selbstverständlich gilt auch für die Großfeuerungsanlagenverordnung noch das alte Bundesemissionsschutz-Gesetz mit seinen diversen Ausnahmeregelungen, wie zum Beispiel: "wirtschaftlich nicht vertretbar" oder "unverhältnismäßig hoher Aufwand". So wird auch die Erklärung Kohls:
"Die Rauchgasentschwefelung verlangt auch eine enorme finanzielle Kraftanstrengung. Die zusätzlichen Investitionskosten, die auf die deutsche Wirtschaft zukommen, betragen bis zum Jahre 1993 6 bis 12 Mrd. DM."
bei den Betreibern der Kraftwerke wahrscheinlich keinen größeren Schock ausgelöst haben, hat doch ein leitender Ministerialrat im nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium, Elmar Pielow, die Sachlage schon analysiert:
"Etwa 80 Prozent der laut Verordnung zu überprüfenden Fälle werden wirtschaftlich nicht durchsetzbar sein." (nach "Stern" Nr. 13)
Schließlich kennen die Beamten die Energiebetriebe, in denen der Staat als Hauptaktionär sitzt, ziemlich genau und wissen, was sie ihnen zumuten wollen.
Die Großfeuerungsanlagenverordnung läßt also noch einigen Spielraum offen - für den von den Politikern eingerichteten Streit mit Vertretern der Energieindustrie und anderen Waldfreunden.
Dem Schwaben Späth geht sie "nicht weit genug". Er möchte den Grenzwert, die Erlaubnis, wieviel Gift aus den Kaminen rauskommen darf, ein wenig gesenkt haben. Minister Riesenhuber andererseits stellt die Frage,
"ob eine weitere Verschärfung bei den Schwefeldioxid-Emissionen angebracht sei, oder ob vielleicht Maßnahmen gegen ganz andere Schadstoffe ergriffen werden müßten. " (Süddeutsche Zeitung, 17.2.)
Solange das Periodensystem der Elemente nicht um die momentan noch ganz unbekannten Schadstoffe erweitert ist, bleiben "Schwefeldioxid, Stickoxide und Ozon als Schadstoffe hochgradig verdächtig" (Süddeutsche Zeitung). Aber ein Verdacht ist halt nur ein Verdacht und Riesenhuber hält's da mit dem Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten, weil ihm das recht und billig erscheint.
Dr. rer. nat. Gunter Zimmermeyer, Dezernent für Umweltschutz beim Gesamtverband des Deutschen Steinkohlebergbaus, ist da schon geschickter als der Riesenhuber, schließlich hat er nicht umsonst Naturwissenschaft studiert. Er lehnt die neuen Verordnungen total ab. Das Schwefeldioxid kommt nämlich hauptsächlich aus dem Ausland:
"Inländische Schwefeldioxid-Quellen verursachen insgesamt weniger als die Hälfte der Schwefeldeposition in der Bundesrepublik. Um die Schwefeldeposition in unserem Land maßgebend zu beeinflussen, müßten also auch im europäischen Ausland Maßnahmen ergriffen werden. Dort jedoch geschieht nichts. Mit einem enormen technischen und finanziellen Aufwand würde die Gesamtemission von Schwefeldioxid in der Bundesrepublik nur um etwa 4% gesenkt werden können. Der Nutzen wäre damit nicht mehr als eine vage Hoffnung, daß die Walderkrankungen in Zukunft zurückgehen werden." (aus: Stirbt der Wald?)
Der gute Wille der Industrie und ihre Bereitschaft, alles Menschenmögliche zu unternehmen, nützt einfach nichts, weil das böse Ausland beste Absichten zunichte macht. Da dieses Argument auch unseren europäischen Nachbarn bekannt ist, ergibt sich eine sehr internationale Giftwetterkarte: das englische Gift kommt aus Skandinavien, Deutschland und Frankreich; die toten schwedischen Seen sind von England und Deutschland-Nord verursacht; Frankreichs Dreck stammt auch aus England und Deutschland-Süd; Deutschland selbst wird selbstverständlich von allen anderen heimgesucht, insbesondere DDR und Tschechoslowakei sind hier zuständig. Und nur der Osten ist für seine Giftstoffe hauptsächlich selbst zuständig. Alle sind von allen abhängig, niemand kann für nichts, jeder strengt sich ganz fürchterlich an, aber isoliert geht halt nichts, denn dann ist außer Kosten und Wettbewerbsnachteilen nichts gewesen, sondern nur eine Hoffnung wie eine Seifenblase zerplatzt. Und das kann doch wirklich niemandem zugemutet werden. Besonders nicht denjenigen, die, wie Zimmermeyer nach ausgiebigen waldursprünglichen Forschungen feststellt, die oben genannten Kosten tragen sollen:
"Es wäre gleichgültig, wer zum Schutz des Waldes in den Geldbeutel des Bürgers greift, die Elektrizitätswirtschaft oder der Staat. In jedem Fall sollte dem Bürger mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Aussicht gestellt werden können, daß für den Wald etwas bewirkt wird." (Umwelt 5 '82)
Mit solch' eindrucksvollen Ohnmachtserklärungen demonstrieren Politiker, Industrievertreter und ihre wissenschaftlich geschulten Nachdenker ihr geschärftes Umweltbewußtsein ebenso wie ihre Sorge um das Wohl der Untertanen, die wieder mal geschröpft gehören, weil der deutsche Wald danach ruft. Hätte man nur früher etwas gewußt, heißt die geheuchelte Überraschung vor dem halbtoten Wald. Die Wissenschaft muß da schnell als Kronzeuge herhalten:
"Maßgebliche Wissenschaftler und Vertreter der Forstverwaltungen - auch aus Bayern - hätten bis 1981 noch keinen Zusammenhang zwischen dem sauren Regen und dem Tannensterben herstellen können." (Süddeutsche Zeitung, 10.2.83)
Aufgedeckt schiebt da Exminister Ertl den schwarzen Peter weiter. Und die Wissenschaft ist zufrieden, daß sie ihn endlich hat und ihr Wissen der Nation preisgeben kann.
Die Wissenschaft steht im Walde
Die Naturwissenschaft ist wirklich eine exakte Wissenschaft. Kaum ist das Thema Waldsterben von oben für die Öffentlichkeit freigegeben, vergißt sie nichts, was in 100 Jahren erforscht worden ist, und beginnt doch zu raisonnieren, wie es Philosophen nicht besser beherrschen. Prof. Schütt z.B. bemerkt erst:
"Die verschiedenen Trockenperioden der letzten Jahre haben das Baumsterben nicht verursacht. Nach biologischen Untersuchungen trägt die Luftverschmutzung die Hauptschuld."
sowie:
"Von der häufigsten pflanzentoxischen Komponente der Luft, dem Schwefeldioxid, wissen wir seit dem Ende des letzten Jahrhunderts, welche Art von Schäden es an Waldbäumen hervorrufen kann." (Bild der Wissenschaft 5 '82)
und erklärt dieses sehr genau. Doch dann muß ihm der Zimmermann in den Kopf gestiegen sein. Wie sonst kommt er auf den Titel: "Wald-Sterbeforschung ohne Konzept", in dem es "um eine rasch um sich greifende Krankheit, die wir Waldsterben nennen", geht. Diagnose wagt er keine: "Die auslösende Komponente können wir zur Zeit mit letzter Sicherheit nicht nennen", mangelt es der Forstbotanik doch an allen Grundlagen:
"Noch immer kennen wir nicht einmal das Ausmaß der Schäden, weil eine exakte Methode zur objektiven Schadenserfassung fehlt." (Süddeutsche Zeitung, 3.3.83)
Gern nehmen solche Kenner der Materie (und des Herrn, der sie verwaltet) an "Gesprächen" teil, deren Titel: "Zur Problematik des Waldsterbens" (SZ-Forum) dokumentieren, daß die Wissenschaftler zur Ausgestaltung des "Spektrums der Meinungen" eingeladen werden, und wo sie kundtun können, wie wenig sie eigentlich erst über ihr Fachgebiet wissen:
- "Es gibt selbstverständlich mehr Krankheiten als Symptome."
- "Von der Symptomatik darf man nicht zu viel erwarten. Die Symptome wechseln ständig."
- "Was man heute in Bayern sieht, ist anders, als wir bisher aus der Pathologie kennen."
- "Hier gibt es das, was wir eine Komplexkrankheit nennen."
- "Es besteht die Notwendigkeit eines multifaktoriellen Ansatzes bei der Ursachenforschung." (Süddeutsche Zeitung, 25.2.83)
Wie fein sich doch ein Fachmann entschuldigen kann:
"Die Industrie darf uns nicht verübeln, wenn wir den Politikern die Biologie nachdrücklieh klarmachen, und da werden wir nicht aufhören."
- obwohl Industrie und Politik genau wissen, daß ihr Biologe nichts Falsches sagt. Er sagt nämlich:
"Erst wenn man definitiv weiß, welche Schadstoffe die Krankheit auslösen, können wirkungsvoller Abwehrmaßnahmen mit dem geringstmöglichen Aufwand ergriffen werden." (Süddeutsche Zeitung, 3.3.83)
(Ob sie dann ergriffen werden, ist natürlich nochmal eine ganz andere Frage!)
Nicht nur bei der Öffentlichkeitsarbeit zeigt sich die Naturwissenschaft als treuer Erfüllungsgehilfe von Staat und Kapital, auch im Labor bewährt sie sich unbeeindruckt von außerwissenschaftlichen Zwecken. Ziemlich brutal gegen das Wissen über die Giftigkeit des Schwefeldioxids und des anderen in die Atmosphäre gejagten Zeugs, wird im Experiment versucht, das Gegenteil vom Gewußten zu erreichen. Versuche mit verschiedenen Konzentrationen und Zusammensetzungen sollen die Möglichkeit auftun, die Schadstoffe so zu dimensionieren, daß keine Schäden mehr auftreten.
Die bisherige Forschung wird für ungenügend befunden, weil sie sich damit begnügte, die entstandenen Schäden zu erklären, während man heutzutage diese auch noch ungeschehen sein lassen will - wie die Kirche gegen Galilei!
Das Volk steht still und leidet
Wenn in der BRD die Gesamtemission an Schwefeldioxid 3,6 Millionen Tonnen pro Jahr beträgt, kann man eigentlich schon davon ausgehen, daß einiges davon die Bürger erreicht. Das Handbuch Umwelt, Band 2, 1978, beschreibt die Wirkung folgendermaßen:
"Bei Konzentratianen über 2,5 mg Schwefeldioxid pro Kubikmeter treten funktionelle und morphologische Veränderungen an den Atmungsorganen auf. Aus epidemiologischen Studien wird geschlossen, daß unter chronischer Einwirkung uon Schwefeldioxid außer Nebenhöhlenentzündung Atemwegserkrankungen und Lungenblähung (Emphysen) vermehrt auftreten."
Daß Schwefeldioxid Krankheiten hervorruft, hört man nur noch, wenn es um Bäume geht; höchstens eingebettet in das Thema "Smog" -findet es in bezug auf die Bevölkerung Erwähnung. Doch wann gibt's schon Smogalarm? Wer kümmert sich schon um die maximalen Arbeitsplätz-Konzentrationen? Das sind Konzentrationen eines Arbeitsstoffes in der Luft am Arbeitsplatz, die bei
"wiederholter und langfristiger - in der Regel täglich 8-stündiger - Einwirkung im allgemeinen die Gesundheit des Beschäftigten nicht beeinträchtigten." (Handbuch)
Und niemanden stört, daß der MAK-Wert für Schwefeldioxid 5 mg pro Kubikmeter beträgt. (DFG, MAK-Liste 1981). Solange die Staatsbürger deshalb so wenig auf ihre eigene Gesundheit achten, können ihre Staatsmänner auch so lässig das Waldsterben zu einem Thema erklären, für das sich das Volk ab jetzt interessiert. Der Mensch ist variabel. Der deutsche Wald aber darf doch nicht so viel Gift schlucken, wie des Menschen Wille noch immer runterzuwürgen vermag. Ein Waldspaziergang wäre der Kompromiß!