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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1983 erschienen.
Polen
WARUM DER PAPST UNBEDINGT HIN MUSSTE
Zumindest die Polen hahen sowohl Marxens gehässige Bemerkung von der Religion als dem Opium des Volkes als auch Stalins geringschätzige Frage nach den Divisionen des Vatikan auf den Misthaufen der Geschichte der kommunistischen und Arbeiterhewegung befördert. Die immer noch kommunistische Regierung des Landes lädt den römisch-katholischen Divisionskommandeur der nationalen Opposition auch noch höchstoffiziell ein, und diese feiert in ihrem geistigen Oberpolen sich selbst als den wahren Repräsentanten der Nation.
Alle beteiligten Seiten sind von diesem als "Pilgerfahrt" deklarierten Staatsbesuch begeistert; der Gast selbst, die von ihm Beund Heimgesuchten und erst recht natürlich die NATO und ihre journalistischen Schlachtenbummler.
Der Papst
weil sonst das Jubiläumsjahr der Schwarzen Madonna vorbei wäre, ohne daß er den schwarzen Zeh geküßt hätte. Der Oberhirte hat zwar solchen Fetischglauben nicht nötig, aber er muß zu der Madonna, weil er Pole ist und sie die polnische ist und unheschadet der Tatsache, daß sie alle Menschenkinder gleich liebt, als Nationalfetisch ihre Polen ganz besonders liebt. Der Papst muß hin, weil "die Jungfrau von Jasna Gora den Lebenswillen der polnischen Nation erneuern und ihre Selbstbestimmung sichern" soll. Nicht daß sich die Mehrzahl der Polen mit Selbstmordabsichten tragen würde; die Nation, die für ihren "Lebenswillen" den päpstlichen Zuspruch braucht, ist ein besonderes Ding: die wahre Nation, die noch immer unter einer atheistischen Fremdherrschaft vegetiert, deren (Un-)Rechtsbewußtsein der Papst also geistige Stärkung bieten muß. Ob sie nun die Selbstbestimmung schon hat oder erst noch braucht, kann aus diplomatischen Gründen offen bleiben. Vorläufig betet der Papst in Polen für eine Generalamnestie aller nach Kriegsrecht Verurteilten. Denn während er andernorts, mit seinem Besuch die gottgewollte Staatsgewalt samt Justiz, Polizei, Armee, Todesschwadronen, Kriegsrecht und Henkern heiligt und aus Gründen des Geschmacks allenfalls um die Verschiebung von Todesurteilen einkommt, muß er in Polen das über diese Nation verhängte Unrecht eines kommunistischen Militärregimes in aller päpstlichen Bescheidenheit geißeln. Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, gehört sich nur im passenden 'System'.
Die Regierung
will, daß der Papst kommt, weil er ein Pole und der Papst ist.
"Wir erwarten von dem Besuch, daß er zur Versöhnung und zur Eintracht beiträgt, die heute so dringend von unserer Nation benötigt werden."
Als Pole und Nationalist, auf den das Volk hört, soll Johannes Paul bei den Polen ein gutes Wort für ihre Regierung einlegen:
"Es gibt eine breite Grundlage, auf der grundsätzlich verschiedene marxistische und christliche Einstellungen kein Hindernis sein müßten, um ordentliches moralisches Verhalten im Staate zu fördern oder die Tugenden der Tüchtigkeit, der Ehrenhaftigkeit und des Familiensinnes",
bittet der kommunistische "Diktator". Als Papst und internationale Kirchenautorität soll er seine Untermannschaft vor Ort beschwichtigen und zur nationalen Einheit anhalten. Gegen die "Versuche, den laizistischen Charakter des Staates anzutasten, weltanschauliche Unterschiede zu politisieren oder religiöse Feiern und Kultstätten für antistaatliche Symbole und Tätigkeiten auszunutzen" (Czyrek), gegen die Ausgestaltung jeder größeren Messe mit demonstrativem Zu- und Abmarsch, Solidaritätszeichen und patriotischen Gesängen, in denen "Gott" den Polen "ein freies Vaterland" verspricht, gegen die Fortsetzung des niedergeschlagenen Aufstands in Gestalt eines fanatischen Nationalglaubens also, dagegen soll der Papst ein Argument sein! Die Regierenden bieten einen deal, "gute Beziehungen zwischen Staat und Kirche heute und in der Zukunft", der gar keiner ist, weil sie schon längst die Kirche in alle Rechte gesetzt haben, die sie durch die staatliche Anerkennung als der politische Unterhändler im Namen des Volkes genießt. Sie streichen ihr Entgegenkommen gegenüber der Kirche in genehmigten Quadratmetern Sakralbauten heraus, als ob das die Kirche zu Gegenleistungen verpflichten würde. Und die von der Kirche geforderte Generalamnestie lehnen sie bisher nur deshalb ab, weil sie die Freilassung der Gefangenen lieber nicht als staatliche Selbstkritik, sondern als, staatlichen Gnadenakt inszenieren möchten:
"Eine Amnestie ist davon abhängig, daß vorher die Begnadigungsmöglichkeiten ausgenützt und die Lage in Polen völlig normalisiert wird."
Der Innenminister bedauert,
"daß vielfach Begnadigungsanträge von den betroffenen Häftlingen zurückgezogen würden, auf die von falschen Freunden ein moralischer Druck ausgeübt wird. Die Fürsprecher einer sinnlosen Opposition brauchen 'Märtyrer'".
Die Jaruzelski-Regierung setzt auf den Kirchenglauben, setzt zur Befriedung ihres Volks ausgerechnet auf die Elemente, die dessen Erhebung gefördert haben, weil sie ihm außer nationaler Erhebung rein gar nichts zu bieten hat. Kritik an der Religion ist schon lange ausgestorben. Und daß ihr Sozialismus fürs Volk sich anders lohnen soll als in den ideellen Nutzenkategorien der Nation, ist auch nicht mehr vorgesehen. So schenken sie ihren Polen den Papst-Besuch, damit sie wieder versöhnlicher gestimmt und von der Kirche an ihre christlichen Pflichten erinnert werden, und blamieren gleichzeitig ihre ganzen Berechnungen an den Vorkehrungen, die sie treffen.
Ausgerechnet der Papstbesuch soll die Opposition im Namen des Papstes anschwärzen und die Regierung als Veranstalter gut dastehen lassen:
"Die politische Opposition im Lande ist gegen den Besuch des Papsts eingestellt. Sie hat ihre Aktivitäten verstärkt, um der polnischen und der Öffentlichkeit in der Welt zu demonstrieren, daß Polen immer noch ein ruheloses Land sei. Aber wir sind davon überzeugt, daß wir dem Papst ein würdiges Willkomm bereiten."
Der Kirchenminister macht mit dem Papst als Staatsbesuch Propaganda,
"Daß der Papst jetzt kommt, zeigt, wie gut die Beziehungen zwischen Warschau und dem Vatikan sind",
und entschuldigt sich mit dem Papst als Pilger schon präventiv dafür, daß die erwartete Hetze nicht in aller Ausführlichkeit per Staatsfunk und -fernsehen ans ganze Volk weitergeleitet wird:
"Man muß zwischen politischen Reden bei Zusammenkünften mit Staatsvertretern und den religiösen Ansprachen unterscheiden. Der Papst geht in Polen auf Pilgerfahrt, und da gibt es eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche."
Und der Innenminister organisiert die Ordnungskräfte wie vor einem voraussehbaren Bürgerkrieg,
"weil gewisse Zentren im Westen und besonders in den USA möglicherweise während des Besuchs einen politischen Krawall in Polen herbeiführen wollen. Auch die Untergrundorganisation der verbotenen Gewerkschaft Solidarität kommt als Störfaktor in Betracht. Es ist nicht das Ziel der Behörden, die Kontakte der Gläubigen mit dem Papst einzuschränken, sondern lediglich Ruhe und Ordnung zu gewährleisten."
Als ob die Massenprozessionen nicht "politischer Krawall" genug wären; als ob "Ruhe und Ordnung" nicht zur Debatte stünden eben wegen des Papstbesuchs selbst; als ob die Sicherheitskräfte etwas anderes zu beaufsichtigen hätten als die "Kontakte der Gläubigen mit dem Papst", weil die ganze Sorge der Regierung darauf geht, eine allzu drastische Ausgestaltung dessen zu verhindern, was die Pilgerreise des Papstes ist: eine antikommunistische Feier des Inhalts, daß Polen von rechtswegen nicht dem Ostblock gehört.
Schließlich soll der Papst nach Auskunft der Regierung auch noch nach Polen, um gegen
"politische Kräfte, die die Verträge von Jalta und Potsdam untergraben wollen", eine "Bestätigung für den polnischen Charakter der Oder-Neiße-Gebiete"
abzugeben, indem er Breslau und Annaberg besucht,
"das heißt Orte, die Polen nach Jahrhunderten als Ergebnis gerade dieser Verträge wiedererlangt hat."
Als ob der Papst, wenn er für den Weltfrieden betet, in Grenzfragen so kleinlich wäre, als ob er eine völkerrechtlich verbindliche Instanz wäre, von der sich irgendeine westliche Macht in Grenzfragen beeindrucken ließe, als ob ausgerechnet der Papst für die territoriale Integrität eines "kommunistisch unterdrückten" Polen geradestünde - ein Kirchenchef, der in Sachen polnische Ostgrenze offensiven Revanchismus propagiert.
Die Kirche
hat sich ihren Papst nach Polen organisiert, um mit diesem einwöchigen Festakt den Höhepunkt einer beispiellosen politischen Karriere zu feiern. Sie ist die rundum anerkannte heimliche Obrigkeit, was sie mit den geplanten Massenaufmärschen sinnfällig demonstriert. Ab dem 15. Juni sollen die polnischen Massen ihre Häuser dekorieren, ein gesamtpolnisches Glockengeläute ist für die Ankunft vorgesehen (warum eigentlich nicht die ganze Woche?), und den materiellen Lohn in Gestalt eines neuen Gesetzes
"über den öffentlich-rechtlichen Status der Kirche, um slch vor den Eingnffen des Staates besser schützen zu können",
hat sie schon vorab kassiert.
Die Opposition
im und außerhalb vom Untergrund hat auch seit einem dreiviertel Jahr mindestens kein wichtigeres Anliegen, als daß der Papst kommt. Sie ist sich sicher, daß der Papst nicht den polnischen Staat, sondern sie besucht.
"Der Papst kommt in ein leidendes Land, in dem grundlegende Menschenrechte mit den Füßen getreten und der nationale Stolz verletzt wird. Die Unterzeichner stimmen in die Gebete des Papstes für die Opfer des Kriegsrechts und unserer Unterdrücker ein. Wir werden aus Polen ein stabiles demokratisches Land machen, in dem Menschen und Nationalwürde nicht mit Füßen getreten werden." (Kommunique der Untergrundführung der 'Solidarität' zum Papstbesuch)
Als ob die Solidarnosc selbst energisch dementieren möchte; zu irgendeinem Zeitpunkt oder in irgendeiner Forderung irgendetwas mit den Interessen von Arbeitern am Hut gehabt zu haben, werden in ihrer Grußbotschaft an Wojtyla umstandslos alle Ziele und Zwecke des Widerstands im Volke gegen die Regierung als Kampf für ein anderes System, die Demokratie und eine alternative wahrhaft nationale Regierung gleichgesetzt. Der Papst und seine Kirche gelten als die Garanten des Menschenrechts und die Garantie für eine ordentliche polnische Nation gegen die Leiden der bestehenden. Und weil es der Opposition auf nichts anderes in der Welt mehr ankommt als auf die Selbstbeweihräucherung, das bessere Polen zu repräsentieren, macht sie Reklame für sich als alternative Ordnungsmacht: Schon seit einem halben Jahr steht die Aufforderung, während des Besuchs alle Proteste zu unterlassen - das Stattfinden des Besuchs ist dieser Art Opposition schon Protest genug. Jetzt agitiert die Untergrundsolidarität alle Polen dafür, während des Besuchs auf Alkohol zu verzichten und sich in Abstinenz zu üben (Meßwein ausgenommen), damit sich nur ja keiner danebenbenimmt.
Lech Walesa
findet, daß der Papst kommen muß, "weil er schon bei seinem letzten Besuch den Polen Kraft und Mut gegeben hat. Daraus ist dann die Solidarität entstanden. Auch sein zweiter Besuch wird stärken und verändern." Walesa interpretiert seine "Solidarität" inzwischen gleich als Glaubensbewegung für Gott und Vaterland, vorgestellt in ihren irdischen Repräsentanten Papst und Kirche. Diese repräsentieren die Opposition gegen das kommunistische Regime, und solange das Regime dem Papst und der Kirche die ihnen gebührende Anerkennung zukommen läßt, ist auch die Fortexistenz der Opposition gewährleistet. Und ganz besonders er persönlich will auf die päpstlichen public relations nicht verzichten. Als Symbolfigur einer Volksbewegung, die unterbunden worden ist, ist er ohnehin mit nichts anderem beschäftigt, als Repräsentationspflichten ohne das dazugehörige Amt wahrzunehmen und seiner Figur anderweitig die Bedeutung zu verschaffen, die die offizielle Regierung ihm verweigert. Sein Beichtvater findet,
"er sollte in Warschau sein, um den Papst zu begrüßen wie jeder Arbeiter. Er ist ein Bürger, ein Arbeiter und ein Christ, deshalb glaube ich, daß er dort sein muß."
Sollen sich doch alle polnischen Bürger, Arbeiter und Christen auf dem Warschauer Flughafen aufstellen. Walesa jedenfalls muß den Papst ganz unbedingt treffen, um ihm im Namen der Danziger Arbeiter eine Medaille zu schenken, die "in allegorischer Form die Pieta des gemarterten Polen darstellt." Sonst wüßte der Papst ja womöglich gar nicht Bescheid darüber, was in Polen los ist, und die Solidarität käme um ihren demonstrativen Erfolg, daß der Papst nicht den Staat, sondern sie besucht.
Das Volk
will seinen Papst, damit es eine Woche lang mit seinem eigenen polnischen Papst singen und beten kann. Es gibt ja wirklich nichts Erbaulicheres, wenn man schon tagtäglich die befohlene Plackerei und Armut mitmacht ohne die Erwartung, daß es mal besser wird, als sich den Trost mit dem Vater im Himmel von dessen Stellvertreter auf Erden höchstpersönlich erzählen zu lassen und sich gemeinsam die Verachtung für die miserablen Stellvertreter im Land zu Gemüte zu führen.
Die NATO
obwohl weder eine polnische noch eine kirchliche Instanz, ist schließlich auch sehr dafür, daß der Papst seine Heimat besucht. Wenn der Papst Militärdiktaturen im eigenen Lager besucht, weiß man im Westen genau, daß er dort zum "inneren Frieden" beiträgt, indem er dem Volk zum Gehorsam rät, und es wird höchstens die Geschmacksfrage gewälzt, ob der gute Mann sich nicht möglicherweise leicht kompromittiert, wenn er Baby Doc Duvalier, Rios Montt und anderen Schlächtern in Lateinamerika die Hände schüttelt. Bei Besuchen im Osten sieht die Gewißheit genau umgekehrt aus: er schadet der Regierung, und man sorgt sich höchstens darum, ob die nicht vielleicht auch ein bißchen den Besuch für ihre Propagandazwecke mißbraucht. Aber im Grundsätzlichen ist man sich sicher:
"Ablauf und Folge des Besuchs von Papst Johannes Paul II. werden dabei ein Maßstab des inneren Friedens sein." (Kohl in der Regierungserklärung)
Daß Polen nämlich, solange es zum Ostblock gehört, keinen inneren Frieden hat, steht ohnehin fest. Der Papst kommt als Anwalt eines unterdrückten Volks, hetzt gegen die Regierung, ohne daß er zu hetzen braucht; das Volk bekundet durch seine Massenaufläufe, daß es mehr für den Papst als für Jaruzelski ist. Das genügt, auch ohne jeden weiteren "Vorfall", für den Beweis, daß in Polen verfolgt, zensiert, verhaftet und unterdrückt wird, daß also für Polen die Freiheit nötig ist. Egal, wie sehr die Polen dabei an die Madonna denken, und weniger an die NATO-Raketen, die gegen sie gerichtet sind.
Lech Walesas 150. Pressekonferenz
Der vom Westen zum Symbol für die Abwesenheit der Freiheit Polens erklärte Arbeiterführer findet sich mit dieser Rolle immer besser zurecht, indem er den Journalisten, die ihn begleiten, seine Lebensumstände gleich sachgerecht als permanente Verfolgung deutet. Als er zugenommen hatte, war dies der Versuch des Systems, ihn zu betäuben; als er zumächst keine Arbeit zugeteilt bekommen hatte, war es der Versuch, ihn vom Kontakt mit seinen Arbeitskollegen auszuschließen; und als er schließlich mit Arbeit beglückt wurde, war es konsequenterweise die Heimtücke, ihm Zeit für politische Arbeit wegzunehmen. Daß er zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist, weil die Kirche aus der Oppositionsbewegung 'Solidarnosc' den Nutzen gezogen hat, sich als Vertreterin der Opposition für die Verkündigung der Lehren vom Herrn Jesus Einfluß zu sichern, deutet der bauernschlau religiöse Arbeiterführer als Perfidie der Regierung. So ist es völlig logisch, daß seine politische Betätigung sich dahingehend auflöst, seine politische Bedeutung selbst zu inszenieren, indem er Treffen mit der Untergrundorganisation mit gleich anschließender Pressekonferenz organisiert, auf diese Weise der Geheimpolizei den Weg zeigt, um ein zweites Treffen auszuheben und die Teilnehmer zu verhören, um dann wieder gleich anschließend den westlichen Reportern davon zu erzählen, daß e r - weil Symbol der Opposition - dauernd als solches behandelt werde. E r dürfe jetzt nicht mit dem Papa Wojtyla reden, war die Mitteilung der letzten Pressekonferenz. Was daraus für irgendwen in Polen für ein Schaden oder Nutzen erwachsen soll, wenn Walesa mit dem Polen-Paul redet odei nicht redet, bedarf da keiner Überlegung mehr. Er will ein Symbol sein, und die Journalisten wollen eines für die Demonstration des Unrechtregimes haben und begleiten ihn deshalb scharenweise und mit allseits postierten Filmkameras fast bis aufs Klo, wo ihm ja auch vielleicht eine Unterdrückung zustoßen könnte. Damit ist der politische Zweck völlig erfüllt.