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Lohnarbeit und Kapital
DIE ARBEITSZEITDEBATTE
Klassenkampf heute - gemeinsam und von oben
Klassenkampf heute - das heißt verbindliche Beteiligung an einer nationalen Debatte. Gestritten wird um eine Veränderung der "Arbeitszeitregelung": Eine höchst einseitige und eigenartige Weise, den Konflikt um Lohn und Leistung auszutragen.
Gewerkschaften, Unternehmer und Politiker ergehen sich mehr oder weniger kontrovers in der Frage, ob und wie eine Veränderung, Verkürzung der Arbeitszeit bei der Lösung des Problems Nr. 1 der Republik, "Arbeitslosigkeit", helfen könne. Einigkeit besteht darüber, wie die Folgen des Bruttosozialprodukts und die Mitwirkung an ihm zu bewältigen sind.
Unter dem Stichwort "Arbeitszeit" wird nicht darüber verhandelt, ob die Existenzbedingungen der Arbeiter diesen zuträglich sind: Wie lange arbeitet ein Arbeitnehmer pro Tag, Woche, Jahr, das ganze Leben? Wie intensiv ist die Verausgabung der Arbeitskraft innerhalb dieser Arbeitszeit? Welchen Lohn erhält er dafür? Wieviel hat er damit vom Leben, was kann er sich leisten und wie (lange) hält er die Belastung aus? Nein, die Tatsache, daß Deutschlands Arbeiter zu lange, zu schwer und für zu wenig Lohn arbeiten müssen, gibt für die Debatte über Arbeitszeitverkürzung nichts her.
Die regelmäßige Über- und Unterschreitung der Normalarbeitszeit je nach Bedarf der Betriebe
- der Umstand, daß die Arbeiter auf Überstunden angewiesen sind, weil sie sonst mit dem Lohn nicht auskommen
- die offen bekannte Wahrheit, daß ungefähr 50% der Arbeitnehmer tot oder invalid vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
Alles das gehört offenbar zu den selbstverständlichsten Sachnotwendigkeiten "unserer" besten sozialen Marktwirtschaft, die wir je hatten. Diese Probleme abzustellen, davon will keiner der an der Debatte über die Arbeitszeit Beteiligten etwas wissen. Das "Problem" sei ja die Arbeitslosigkeit, also daß Millionen die schöne Arbeitszeit in der Fabrik abgeht. Deshalb, um Arbeitsplätze zu sichern oder zu schaffen, müsse man sich dem Thema "Arbeitszeitverkürzung" stellen.
Dabei steht doch fest, daß kein Betrieb das Entlassen läßt oder gar neue Arbeitsplätze schafft, weil die "normale" Wochen-, Jahres- oder Lebensarbeitszeit verkürzt ist oder glaubt etwa jemand daran, daß Unternehmen ihre Kostenkalkulation zugunsten einer Versorgung von möglichst vielen Leuten mit Arbeitsplätzen aufgeben?
Worum geht es also: Es dreht sich bei der ganzen Debatte weder um eine Verkürzung der Arbeitszeit noch um ein Versorgungsprogramm der Arbeitslosen mit Arbeit. Über den Preis der Arbeit wird debattiert, verhandelt und befunden, weil ihn Gott und die Welt für zu hoch hält. Die Neuregelungen, die dabei ins Auge gefaßt werden, setzen garantiert den Lebensunterhalt der Arbeiter, der Arbeitslosen und der Rentner herab. Einen anderen Maßstab als den des volkswirtschaftlichen Nutzens legt nämlich niemand an die Arbeit, die Arbeitslosigkeit und deren Kosten an.
Volkswirtschaftliche Rechnungsführung in Sachen Arbeitszeitverkürzung
Um Nutzen oder Schaden einer Arbeitszeitverkürzung - die gar nicht stattfindet - wird in der Öffentlichkeit hierzulande heftig gestritten. Dabei pflegt jede der beteiligten Parteien - Staat, Unternehmer und Gewerkschaften - ihre Vorlieben, was das Rechnen betrifft.
Vater Staat bevozugt das Abziehen. Er nimmt die zweite Hälfte des Themas "Arbeitszeitverkürzung" ganz ernst und den denkt gleich ans Geld. Unkosten, die der Lebensunterhalt seiner Lohnarbeiterschaft ihm bereitet, Auszahlungen seiner Arbeitslosenkasse vor allem, will er senken. Dabei betrachtet er die durchs freie Unternehmertum zustandegebrachte Zahl der Entlassenen als in ihrem Wachstum unbeeinflußbare Größe. Um so veränderlicher rechnet er die Geldsumme, mit der Lohnarbeiter ohne Lohn und Arbeit zurechtkommen müssen. Dabei achtet er gerecht darauf, daß die Abzüge nicht bloß die noch arbeitsfähigen Entlassenen treffen. Durch ein unübersichtliches Herumschieben zwischen seinen verschiedenen Kassen - vorgezogene Rente statt Arbeitslosengeld; Renten-"Aufbesserungen", die gleich an die Krankenkassen fließen; beides "kostenneutral" für die Rentenkasse usw. - läßt er auch die Alten, die Invaliden, die Witwen und anderes unnützes Personal an der Senkung des "Lebensstandards" teilhaben.
Unternehmer verstehen sich auch aufs Abziehen; und das verbinden sie mit allen Tricks der Bruch- und Verhältnisrechnung. Sie senken nicht bloß die Löhne, sondern steigern gleichzeitig die Leistung und passen auf die Verhältniszahl "Lohnstückkosten" auf. Sie steigern nicht bloß die Preise, sondern senken gleichzeitig die Zahl der Arbeiter, die die preiswerte Ware herstellen, also ihren Lohnkostenaufwand pro Stück. Sie ziehen ihren "Mitarbeitern" mal Lohn und mal Freizeit ab, immer im Verhältnis zur Auftragslage, so daß überm Bruchstrich immer möglichst geringe Lohnkosten stehen. Ganz anders gehen die Unternehmer allerdings zu Werk, wenn sie zur Idee einer allgemeinen Verminderung der Arbeitszeit Stellung nehmen. Dann können sie auf einmal bloß noch zusammenzählen. Und alle Faktoren ihres Geschäftserfolgs, die sie täglich selbst verändern, betrachten sie da als absolut feste Größen. Wenn sie die alle zusammengerechnet haben, kommen sie mit tödlicher Sicherheit stets auf dieselbe Endsumme: z u teuer.
Es ist kaum zu übersehen, daß Staat und Unternehmer sich beim Abziehen und Zusammenzählen von nichts als ihrem Interesse leiten lassen - so eindeutig, daß das ermittelte Ergebnis rechnerisch kaum zu widerlegen ist.
Anders der Dritte im Bunde. Die Gewerkschaft will das Rechenkunststück zustandebringen, ein eigenes Ergebnis herzukriegen, das die eindeutig interessierten Lösungen der beiden anderen Parteien mit einbezieht und trotzdem ganz anders ist. Die Kostendämpfungsinteressen des Staates, die Rationalisierungsinteressen der Unternehmer sollen ganz schonend so umgerechnet werden, daß haargenau 35 Stunden die Woche herauskommen. Dazu braucht es allerdings eine höhere Gewerkschaftsmathematik, und die geht so:
Eine verantwortungsbewußte Gleichung dritten Grades
Gegeben sind nach Ansicht der Großrechner beim DGB eine natürliche Menge Arbeit oder auch Summe von Arbeitsstunden, auch Arbeitsvolumen genannt, eine Menge beschäftigter Arbeiter und Angestellter sowie eine Menge Arbeitsloser - man sieht, es geht um Mengenlehre. Die Aufgabe: Verteile die Arbeitsstundenmenge so auf die Beschäftigten, daß für die Entlassenen noch was übrigbleibt.
Nun kann man ja tatsächlich ausrechnen, was man will: Die Mathematik hat es mit reinen Größenverhältnissen zu tun; ob es die wirklich gibt, geht sie nichts an. Der gewerkschaftliche Unsinn fängt schon mit den Voraussetzungen an. Sicher, im Nachhinein kann man immer auf Kopf und Stunde genau angeben - wenn das von irgendeinem Interesse wäre und überhaupt ermittelt würde -, wieviele Arbeiter wie lange von ihren Dienstherren angewendet worden sind; man kann auch beide Größen miteinander malnehmen und das Produkt "Arbeitsvolumen" nennen. Bloß umgekehrt stimmt die Rechnung nie. Für die Figuren in unserer Marktwirtschaft, die so tiefsinnig "Arbeitgeber" heißen, ist das vom DGB vorgestellte "Arbeitsvolumen" alles andere als eine vorgegebene feste Größe, aus der sie sich und ihre Belegschaften zu bedienen, die sie also zu verteilen hätten. Aus ihrem geschäftsmäßig kalkulierten Kapitaleinsatz ergibt sich erst die Zahl der angewandten Arbeiter samt Arbeitszeit; und das nicht nach dem Gesichtspunkt einer möglichst gleichmäßigen Aufteilung der Arbeitslast, sondern genau umgekehrt nach dem schlichten "Gesetz", daß ein gekaufter Lohnarbeiter für sein Entgelt ein Höchstmaß an Arbeit abzuliefern hat. Zu der vorgestellten Gesamtmenge gesellschaftlicher Arbeitsstunden würde es überhaupt nicht kommen, könnten die "Arbeitgeber" nicht nebeneinander Entlassungen und Sonderschichten, Überstunden und Kurzarbeit, Produktivitätssteigerungen und Betriebsschließungen verfügen.
All das weiß der DGB irgendwie auch; dem Rechnung tragen will er aber nicht. Immer wieder kommt er auf seine absurde Teilungsaufgabe zurück. Dazu treibt ihn ein ganz unmathematisches, hochempfindliches Verantwortungsbewußtsein. Im Gewissen angerührt fühlt dieser Verein sich nein, nicht durch den Geldmangel der Entlassenen, sondern - durch die Unkosten, die "der" Wirtschaft und dem Staat aus dem Lebensunterhalt unbeschäftigter Lohnarbeiter erwachsen, und durch die Einkünfte, die dem Gemeinwesen durch das ungenutzte Arbeitsvermögen von Millionen Lohnarbeitern flöten gehen - "rein rechnerisch" natürlich.
In der ersten Hälfte eine reichlich unverschämte Rechnung. Mit der größten Selbstverständlichkeit wird da in die DGB-Computer der brutale Grundsatz eingefüttert, daß Arbeiter allein von dem zu leben haben, was sie durch redlich abgeleistete Arbeitsstunden tatsächlich verdient haben - alles andere sind Unkosten, verkehrte Ausgaben, die die Gewerkschaft nicht ruhig schlafen lassen. Die Staatskasse sieht dieser saubere Verein unter den "Milliarden" seufzen, die da ein Millionenheer tüchtiger, aber ungenutzter Arbeitnehmer verzehrt, ohne daß es sich lohnt. Die Betriebe bedauert der DGB wegen der "Abgabenlast", mit der sie diese überflüssigen Unkosten aufbringen müssen - zum Schaden ihrer Konkurrenzfähigkeit.
Die zweite Hälfte der Rechnung ist genauso frech - wieder geht es ausschließlich um das Geld, das ein benutzter Arbeiter bringt, und kein Gedanke gilt dem Geld, das er braucht; außerdem ist sie aber auch noch reichlich weltfremd. Wieviel Reichtum würde geschaffen, wenn nicht so viel Arbeitskraft brachläge? wird da ausgerechnet - so als wüßten die Herren von der Gewerkschaft nicht, daß sich in der freien Marktwirtschaft der Reichtum nicht nach Arbeitsstunden und Gebrauchsgütern bemißt, sondern nach dem Gewinn, der mit Arbeitsstunden und Gebrauchsgütern erzielt wird. Und: 'Wieviel Geld entgeht dem Staat - an Lohnsteuer, an Sozialabgaben ...?' Ganz unbefangen werden hier sogar die Zwangsbeiträge zur Arbeitslosenversicherung als Staatseinnahmen verrechnet, die dem Fiskus verlorengehen... durch Arbeitslosigkeit!
Was also kostet die Arbeitslosigkeit den Staat? Alles zusammengenommen einen unglaublichen Batzen: 70 Milliarden pro Jahr bei 2,5 Millionen Arbeitslosen - 10 Nullen hinter der Sieben. Wahnsinn! Eigentlich komisch bei so eindeutigen Zahlen, daß Vater Staat nicht begeistert auf die Rechenexempel seiner gewerkschaftlichen Musterschüler einsteigt, oder?
Eigentlich könnten ja so gar die selbsternannten Oberrechnungshofkommissare vom DGB an den abweisenden Reaktionen der Regierung merken, daß sie mit ihren Rechenkunststücken auf dem Holzweg sind. Daß der Staat seinen Wohlstand nicht aus den Löhnen abzweigt, die noch nicht 'mal wirklich gezahlt werden, sondern auf den Reichtum gründet, den seine Kapitalisten mit Überarbeit und Entlassungen nach ihren Maßstäben wirklich erwirtschaften - das macht die D-Mark stark und den Finanzminister kaufkräftig! Deutsche Gewerkschafter, in nationaler Gesinnung unschlagbar, sehen und rechnen das aber unerschütterlich anders. Sie mögen oder können sich nicht vorstellen, daß ihr höchstes Gut, die Nation und ihr Reichtum, besser fährt ohne den Arbeiterfleiß und die Arbeiterbescheidenheit, die der DGB verwaltet. Das halten sie für eine sträfliche Mißachtung der nationalen Tugend deutscher Arbeitnehmer und deshalb für unverantwortliches kapitalistisches Mißmanagement. Das läßt sie um die allerhöchsten Werte fürchten: den sozialen, den inneren Frieden, ja die Demokratie.
Arbeitsverteil-Arithmetik
Also schreiten die gewerkschaftlichen Rechenkünstler zur Auflösung ihrer Gleichung mit zwei Unbekannten und einem falschen Zusammenhang: Wie läßt sich die gottgewollte Arbeitsstundenmenge so unter die Häupter der großen deutschen Arbeiterfamilie verteilen, daß am Ende weniger Arbeitslose herauskommen? Mathematisch nichts leichter als das: Man verteile die gegebene Menge Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung auf mehr Arbeitnehmer, und man erhält weniger Arbeitslose als ohne Arbeitszeitverkürzung. Fertig, Schluß? Denkste! So blöd ist die Gewerkschaft auch wieder nicht, daß sie nicht wüßte, daß jetzt das Rechnen erst richtig losgeht. Unternehmer, das hat der DGB also nicht vergessen, sind nun einmal keine Leute, die Arbeit verteilen, sondern die schauen aufs Geld und was sie dafür kriegen. Bei seiner Problemstellung hat der DGB die Faktoren Lohn und Leistung einfach weggelassen; bei der Lösung fallen sie ihm wieder ein. Die wird so zum mathematischen Beweis, daß der DGB an nichts weiter denkt als an die Vorteile der Arbeitgeberseite, wenn er die "Arbeitszeitverkürzung" zur Diskussion stellt.
- Erstens wird haargenau ausgerechnet, daß die 35-Stundenwoche die Unternehmer gar nicht so teuer kommt, wie die immer befürchten. Sie ist nämlich genau halb so teuer, weil ja offenbar ist, daß die andere Hälfte durch automatische Mehrleistung ab gedeckt wird nach dem Gesetz: Kürzere Arbeitszeit ergibt mehr Arbeit pro Zeit. Auf Gewerkschaftsdeutsch: "Induzierter Produktivitätseffekt..."
- Zweitens ist die verbleibende Hälfte der Mehrkosten für die Unternehmer auch nicht so gemeint; sie läßt sich auch noch herauskürzen - nach dem Motto: "Wenn wir die Verkürzung der Arbeitszeit fordern, bedeutet das nicht, daß wir mehr fordern, als wir es bei einer 'reinen' Lohn- und Gehaltsbewegung täten."
- Drittens nämlich ergibt richtiges gewerkschaftliches Rechnen die Forderung nach "vollem Lohnausgleich". Der liegt auf der Zahlenskala bei Null und darunter, eben noch unter den "reinen" Lohnsenkungsrunden der vergangenen Jahre. Es gilt nämlich: "Was für die kürzere Wochenarbeitszeit beansprucht wird, steht für Lohnerhöhungen nicht mehr zur Verfügung." Und außerdem sind die Gewerkschaften noch immer mit "Maximalforderungen" in die "Lohnbewegung" gegangen, um sie sich abhandeln zu lassen - die Maximalforderung heißt diesmal "Lohnausgleich" - na was errechnet sich denn da...?
- Viertens ist der Beschäftigungseffekt, an den sowieso niemand glaubt, selbst dann höchstens halb so groß wie die Arbeitszeitverkürzung, wenn man einmal im Sinne der gewerkschaftlichen Rechnung an sie glaubt.
Summa summarum
Der Jahrhundertkampf des DGB um Arbeitszeitverkürzung ist nichts als ein anderer Name für das Angebot der Gewerkschaft, ihr organisiertes Arbeitervolk leistungsstark und billig der lohnenden Benutzung durch die Wirtschaft anzubieten, ohne daß dem Staat aus den anfallenden Entlassenen und Arbeitsunfähigen soviel Kosten entstehen wie bisher. Das Ergebnis dieses "Kampfes" ist tatsächlich schon jetzt genau auszurechnen: Die Löhne sinken weiter; die Renten und sonstigen Staatsalmosen erst recht; die Leistungsanforderungen steigen; die Arbeitslosen werden nicht weniger; die Arbeitszeit ist weiterhin so lang, wie es für den Geschäftsgang der Unternehmen bequem ist.
Alle zusätzlichen Rechnungen, wie Blüm und Döding, Breit oder Steinkühler sie anstellen, sind nichts als die höhere moralische Mathematik des sozialen Friedens. Sie gehören zum fortgeschrittenen Blödsinn umserer fortgeschrittenen Republik.