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Grenada
DIE FREIHEIT SCHLÄGT ZU
Anläßlich eines Putsches gegen den linken, mit Kuba befreundeten Premierminister der Inselrepublik Grenada in der Karibik hat US-Präsident Reagan dort einige 1000 Soldaten einmarschieren lassen.
Erklärtes Ziel der Aktion war die Wegnahme eines von kubanischen Konstrukteuren und Arbeitern errichteten großen Flughafens, der technisch auch als sowjetischer Luftstützpunkt hätte in Frage kommen können. Die Behauptung, durch diese Möglichkeit wäre die Sicherheit der USA in Gefahr geraten, offenbart die Maßstäbe, an denen die Reagan-Regierung ihre Weltkontrollpolitik ausrichtet. So konsequent schätzt sie alles, was sich in der weiten Staatenwelt abspielt, auf seine Tauglichkeit als Kriegsmittel hin ein, so kompromißlos ist ihr Anspruch auf ein Monopol auf kriegerische Gewalt, daß eine einzige weitere Rollbahn in "ihrer" Hemisphäre, die nicht unter US-Kommando steht, eine Kriegsaktion nötig macht.
Mehr wäre zu der Okkupation Grenadas kaum zu sagen, würde die demokratische Meinungsbildung sich nicht ein ganz andersgeartetes Problem damit machen. "Durften die USA denn das?" heißt die alberne Frage, die alle Welt zutiefst beschäftigt.
Die Rechtslage
"Das Territorium eines Staates ist unverletzlich, es darf nicht Gegenstand einer auch nur uorübergehenden militärischen Besetzung oder anderer gewaltsamer Maßnahmen durch andere Staaten sein, weder direkt noch indirekt, aus welchen Gründen auch immer."
So steht es in Artikel 20 der Charta der "Organisation Amerikanischer Staaten", der die USA ebenso wie Grenada angehören. Zweifellos wurde dieser Vertragsartikel verletzt. Da kann der Beobachter sich nun entscheiden:
- Man kann sich zum Anwalt ideeller Rechtsprinzipien machen, denen tatsächlich jede praktische Verbindlichkeit abgeht, und von diesem vornehmen Standpunkt aus ein amerikanisches Foul feststellen und im Geiste die Rote Karte zeigen. Das schafft moralische Genugtuung und hat überdies den Vorteil, daß es ansonsten den Lauf der Dinge noch nicht mal in Gedanken stört. Solche "Empörung" eignet sich deswegen besonders gut für verbündete Politiker, die dann ganz besonders auf das moralische Image des Westens achten, wenn einer der Ihren besonders gewalttätige Geschäfte zu erledigen hat.
- Man kann auch umstandslos darauf bestehen, Grenada hätte mit seiner Freundschaft zu Kuba und der Sowjetunion die Rechte aus besagtem Artikel verwirkt, und die USA dafür bedauern, daß sie selbst von ihren Verbündeten manche geheuchelte Schelte bezieht. So dient man sich der imperialistischen Gewalt ideell als ihr höherer Rechtsanwalt an und schafft sich die Genugtuung, den "tragischen Konflikt" zwischen Rechtsprinzipien und politischer Verantwortung durchschaut und gerecht gewürdigt zu haben.
- Nicht erlaubt ist es, diesen ganzen ideellen Rechtsstreit als den Quatsch zu verwerfen, der er ist. Zwar weiß irgendwo jeder, daß das Recht, in internationalen Fragen schon gleich, nichts anderes ist als der Ehrentitel der erfolgreichen Gewalt - weshalb der fiktive Rechtsstreit um die US-Intervention auch vom Tisch ist, sobald die Reagan-Regierung eine ihr genehme Kreatur als legitimen demokratischen Herrscher eingesetzt hat. Aber um Erlaubtes und Unerlaubtes zu rechten, ist allemal noch der schönste Vers, den man sich auf die Weltpolitik machen kann.
Die Lage der Menschen
"Die Aktion diente dem Schutz des Lebens amerikanischer Staatsbürger, der Rettung des grenadischen Volkes uor einer linken Mörderbande und der Wiederherstellung einer demokratischen Ordnung" -
so lautete Reagans erste Rechtfertigung der Invasion. Wieder darf man sich entscheiden, - ob man hysterischen Ami-Studenten sein Mitgefühl schenkt und freie Wahlen unter US-Obhut für das Lebensglück aller Grenada-Bewohner hält; oder
- ob man dem US-Präsidenten im Nachhinein den klugen Ratschlag erteilt, er hätte unblutige Erpressungsmethoden wählen sollen, um die Freiheit seiner Medizinstudenten und das heilige Wahlrecht der Einheimischen zu retten.
- Nur unbeliebt kann man sich mit der Auffassung machen, die US-Jungs und -Mädels sollten doch gefälligst zu Hause bleiben, wenn ihr Präsident sie gleich als amerikanischen Vorposten würdigt, der im Zweifelsfall eine ganze Invasionsarmee nachzieht; und den Bewohnern Grenadas täte alles andere not und gut als die Herrschaftstechniken, denen z.B. ein Reagan oder ein Kohl ihre Macht verdanken.
Die militärische Lage
"Grenada war eine sowjetisch-kubanische Kolonie, die zur größeren Militärbastion ausgerichtet wurde für den Export von Terror und für die Untergrabung der Demokratie"
- so Präsident Reagan in seiner zweiten Begründung der Invasion. Da darf der Konsument der Weltöffentlichkeit wieder ganz frei entscheiden:
- Entweder er schließt sich dem Herrn Ehmke von der SPD und der kritischen Presse an, die die Unterordnung von allem und jedem unter den Ost-West-Konflikt für ein "naives", "vereinfachendes" Weltbild halten. Hierzu braucht es keinerlei Kenntnisse über die Rolle, die die sogenannte "Dritte Welt" tatsächlich spielt - es ist eben die, Material für die westlichen "Konflikt"-Positionen gegen den Osten zu sein. Es reicht der leere Vorbehalt, die USA "sähen" die Weltlage "zu einfach". Dieser Vorbehalt braucht kein Argument - er speist sich aus dem nationalistischen Verdacht, die USA ließen mit ihrer weltpolitischen Linie den deutschen Interessen zu wenig Raum und Gelegenheiten übrig.
- Oder aber man schließt sich dem Herrn Strauß von der CSU und der BRD-Presse an, die die bloße Existenz von Waffen in Lagerhallen auf Grenada als bequem ausreichenden Beweis dafür genießen, daß da etwas kaum Geringeres als ein tödlicher Tritt in den "weichen Unterbauch der USA" in Vorbereitung war. Um sich dahin überzeugen zu lassen, braucht es nicht mehr - allerdings auch nicht weniger - als den festen Standpunkt, daß militärische Gewalt prinzipiell nur dem Westen zusteht, weil der sie gar nicht anders einsetzen kann als demokratisch, menschenrechtlich und friedensdienlich. Waffen in anderen als von der NATO kommandierten Händen sind dann automatisch mehr als Waffen: Beweise einer antidemokratischen, menschenrechtlichen, aggressiven, kurz: bösen Absicht und Gesinnung. Und dagegen kann es eigentlich nie genug Gewalt geben...
Auch den Schluß könnte man ziehen: Offenbar gehört die Hoffnung - in den USA ist es ein Vorwurf von reaktionärer Seite -, Reagans tatsächliche Politik sei viel "milder" als seine Kreuzzugssprüche, zu den hierzulande beliebten Verharmlosungen der gültigen imperialistischen Linie der NATO-Führungsmacht. Offenbar ist der Kriegsvorbereitungskurs der USA noch weit ernster gemeint, als die Kritiker es sich eingestehen wollen, die nichts Schlimmeres befürchten als "Wahnsinn" oder "Krieg aus Versehen".
Mit solchen Schlußfolgerungen kann man sich allerdings keiner anerkannten öffentlichen Meinung hierzulande anschließen...