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Ist die BRD verteidigenswert?
DIE NATIONALE FRAGE DER 80ER JAHRE
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Auch wenn es um die unangenehmste aller politischen Konsequenzen geht, lassen erfahrene Demokraten nicht von den guten Sitten der Demokratie. Selbst in Sachen Rüstung und Krieg suchen und verkünden sie gute Gründe; und wie bei jeder anderen politischen Maßnahme kriegen die "Mitbürger" ausgiebig Gelegenheit, sich mit den Notwendigkeiten der Politik vertraut zu machen. Das Interesse an den Zielen und Wegen der Regierung ist gefragt, wenn die "öffentliche Meinung" zur Beratung ermuntert wird. Entsprechend sehen auch die aufgeworfenen Fragen aus: immer gleich wie Antworten.
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Daß Rüstung und Krieg auf Kosten gewöhnlicher Leute gehen, ist jedermann klar. Daß beide sein müssen - erstere sowieso und der Waffengang eben im "Ernstfall" -, hat deshalb klargestellt zu werden. Dieser Aufgabe widmen sich die westdeutschen Staatenlenker seit einigen Jahren unter Einsatz aller Fähigkeiten, die sie in der Kunst der politischen Werbung erworben haben. Es genügt ihnen als guten Demokraten keineswegs, daß sie selbst ihren Aufwand militärischer Gewalt für notwendig halten. Auch ihr Volk, dem schließlich die Last dieses Aufwands zufällt, hat die Verteidigung für unumgänglich zu erachten.
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Von der Frage,. ob die Bundesrepublik verteidigenswert sei, versprechen sich die Zuständigen die besten Dienste. Diese Frage erspart ihnen einerseits die unglaubwürdige Behauptung, daß sich Vorbereitung und Durchführung von Kriegen für die Statisten der Nation lohnen. Andererseits präsentiert die Frage doch einen Lohn für die Opfer, die angesagt werden. Dieser Lohn besteht in der großzügigen Erlaubnis, in dieser Republik leben z u dürfen. Wer drin lebt, lebt von ihr - und kann doch wohl schon deshalb gegen die republikschützende und verteidigende Gewalt nichts einzuwenden haben. Auf diese schlichte Botschaft hat es die Antwort mit Fragezeichen abgesehen.
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Keine Befürchtungen hegen die Propagandisten dieser "verteidigenswerten Republik" in bezug auf eine Überprüfung des "guten Grundes" für ihre Rüstungsvorhaben. Sie wollen ja auch eine Stellungnahme zur Sicherheit der Nation provozieren - und keinen "Warentest" auf die Republik. Wer unbedingt Befunde über den rüstungsbeflissenen Staat heranziehen möchte, um seinem Gewissen mit "leider" und "zwar" ein Verständnis für die republikanischen Gewaltmittel abzuringen, kriegt das hierfür brauchbare Ergebnis erzählt: Recht, Freiheit und Demokratie heißen die Güter, auf deren Schutz niemand verzichten wollen kann.
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Ebenfalls ohne Bedenken spricht jeder Anwalt der verteidigenswerten BRD damit aus, daß die als höchste Güter und Ehrentitel gehandelten Ideale der westlichen Staatenwelt ohne Kriegsbereitschaft nicht zu haben sind. Er hat auch keine Angst vor dem Verdacht, daß es mit diesen Markenzeichen eine außergewöhnliche Bewandtnis haben muß, wenn sie ihren Liebhabern eine unwidersprechliche Rechtfertigung von Gewalt liefern. Es geht schließlich um eine jedermann bekannte "gute Sache", für die Staatsmänner Gerät und Soldaten brauchen.
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Wer ihnen diese unentbehrlichen Mittel nicht zur Verfügung stellen will, muß sich auf einiges gefaßt machen: Statt Recht und Freiheit regieren Vnrecht und Vnfreiheit, und die Konkurrenz um die Macht im Staat findet anders als in der Demokratie statt. Die Gewalt, von der man sich dann regieren lassen muß, ist nicht gut, sondern böse!
Auch diese Warnung zeugt von unerschütterlichem Vertrauen in die Regierungstreue demokratischer Untertanen. Ganz selbstverständlich gehen die Vertreter freiheitlicher Staatskunst davon aus, daß ihre Bürger auch unter der Fuchtel des Feindes mitmachen; und ebenso "natürlich" finden sie es, wenn diese braven Leute für die gerechte Sache der Freiheit sind und nicht weiter fragen, was bei der Verteidigung von Recht und Demokratie für sie herausspringt.
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Insofern erkundigen sie sich schon nach etwas, die auf ihre Führungsqualitäten so stolzen Volksvertreter. Aber eben nicht nach den Vorzügen der freiheitlichen Fegierungskunst für Regierte, sondern nach der Bereitschaft von Untertanen, die beschlossenen Maßnahmen zur Verteidigung mitzumachen. Diese Bereitschaft beweist man, indem man gerade Abstand nimmt von jeglicher Berechnung des Vorteils, den die Republik gewährt. Wer meint, ausgerechnet an den Sicherheitsfragen der Nation seinen Staat messen zu müssen, und zwar daran, was er von ihm kriegt, liegt schief. Er hat vollkommen übersehen, daß er gerade getestet wird und den Preis der Freiheit bezahlen soll.
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Den Regierten wird also nahegelegt, die Tugenden zu praktizieren, mit denen schon etliche Generationen von Nationalisten ihr Leben versaut haben. Im Staat, dem sie unterstehen, dürfen sie das Lebensmittel Nr. 1 erblicken und ihn liebevoll "Vaterland" nennen, heute sogar "freiheitliches Vaterland mit demokratischen Freunden"! Und im Einsatz für diese erste und oberste Lebensgarantie brauchen sie auf kein Opfer zu verzichten. Wenn die Interessen der braven Leute dabei zu kurz kommen, so dürfen sie sich das so erklären, wie die Volksvertreter es vorerzählen: Die Schranken der Nation machen die Opfer nötig, also müssen unter Aufbietung aller Opfer diese Schranken weg.
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Ganz nebenbei liefern die Fanatiker des verteidigenswerten Reiches der Freiheit noch die offenherzige Auskunft, daß sie wegen der Anliegen ihrer Untertanen nicht in die Verlegenheit kommen, anderen Staaten und "Systemen" mit Gewalt begegnen zu müssen. Damit ein Volk mehrheitlich arbeiten, lernen, Kinder kriegen und fernsehen kann, braucht es weder Panzer noch Raketen. Wenn es sich jedoch lohnen soll, das Volk, dann erfordert schon im Innern das Geschäft ganz viel gesetzliche Gewalt. Und die Fortsetzung des Erfolgs außerhalb, wo andere Staaten und "Systeme" einfach ihren "ungesetzlichen" Stiefel machen, ist eine Frage der Macht.
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So klagen die maßgeblichen Herrschaften unter Berufung auf ihre demokratische Ermächtigung, eben mit der national-demokratischen Gretchenfrage, nicht wenig ein. Erstens weisen sie das Volk darauf hin, daß es sich mit seiner Arbeit ebenso wie mit seinen Wahlstimmen i n Abhängigkeit von der Republik begeben hat. Zweitens erklären sie den wirtschaftlichen und politischen Dienst zu einer einzigen Leistung und freundlichen Erlaubnis der freiheitlichen Führung. Drittens beanspruchen sie deshalb auch die letzte Konsequenz des Mitmachens: Wer unter unserer Führung arbeiten und sparen, essen und heiraten darf, der muß auch gegen die Feinde seiner gnädigen Regierung antreten.
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Fraglos ist das Recht der Republik darauf, daß für die Finanzierung der Rüstung "soziale Opfer" gebracht werden. Darauf, daß der Arbeits-Dienst so das nationale Interesse es erfordert, in den soldatischen Dienst übergeht. Und darauf, mit der Test-Frage "Ist diese Republik verteidigenswert? Oder?" all die praktischen Maßnahmen einzuleiten, die notwendig sind, um das Recht der Republik auch zu einer Pflicht des Volkes werden zu lassen.
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Denn soviel steht fest: Wenn Staatsmänner so fragen und sämtliche Zweifel über Nutzen und Kosten der Freiheit ausräumen, dann vertrauen sie nicht auf die Überzeugungskraft ihrer Opferpredigten. Daß sie "den Frieden" -, diesen schönen Zustand, in dem die Wucht der eigenen Waffen jeden zum Nachgeben "verurteilt", der den Siegeszug der Freiheit behindert - nur sichern können, wenn "innerer Friede" herrscht, sagen sie ja ununterbrochen. Und auch das ist erstens eine Drohung und zweitens ein Programm: "Wer verdient nicht den Schutz der Republik?"