Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1983 erschienen.

Systematik

Carstens in den USA
EIN FAMILIENFEST DER FREIHEIT

Wenn die Politik beschließt, die Waffenbrüderschaft zwischen USA und BRD zu festigen, auszubauen und einsatzbereit zu machen, dann erfahren die Völker, wie innig sie seit jeher miteinander befreundet sind.

Vor kurzem war US-Vize Bush in Krefeld, um der ersten deutschen Einwanderer zu gedenken, und jetzt Carstens in USA zu einem "großen Fest der deutsch-amerikanischen Freundschaft". Nun können unmöglich 13 Familien, die vor 300 Jahren aus Krefeld in die damals "Neue Welt" aufbrachen, einen Grund für Bürger der BRD und der USA 1983 abgeben, in Reagan und den Seinen intime Spezis zu entdecken. Die Krefelder, die vor Hunger und Elend aus einem damals noch gar nicht existierenden Deutschland flohen, haben nicht im Traum daran denken können, den Grundstein für die heutige Weltmacht Nr. 1, den Freien Westen und seine NATO niitzulegen. Sie wirkten stattdessen in den noch gar nicht als Staat vorhandenen USA beim Urwaldroden, Indianerausrotten, Nach-Westen-ziehen und Die-Engländerrausschmeißen mit.

Heute hingegen, wo man vor keinem Argument zurückschreckt, um die bewaffnete Verteidigung von Frieden und Freiheit "im Bündnis mit der westlichen Führungsmacht" dem Volk als Herzensbedürfnis, oberste Aufgabe und von der Geschichte auferlegtes Schicksal einzutrichtern, ist natürlich selbst die Erfindung des Ketchups durch einen Amerikadeutschen namens Heinz Beleg dafür, daß in Amerikas Größe auch die besten Söhne Deutschlands sich und ihrem heimlichen Vaterland ein Denkmal gesetzt haben. Immer schon soll der Freiheitsgedanke aus deutschen Landen Seite an Seite mit den Amerikanern gefochten haben (von den kleinen Episoden Weltkrieg I und II einmal abgesehen). Wenn verbündete Regierungen beschließen, daß ihre Untertanen aus Freundschaft für die gemeinsame Sache anzutreten haben, dann lassen sich jede Menge Beweise finden: Da drückt ein Cowboy aus Texas mit einem Tirolerhut und einem Urgroßvater aus Bremen Carstens jodelnd beide Hände - und der Präsident ist so "ergriffen" wie letztmals bei der Hochzeit mit Veronika; er fühlt sich "wie zu Hause" - und daß ihm Studenten seine NS-Vergangenheit vorwerfen, stört nicht weiter: Unartige Kinder gibt's auch in der Heimat. Um die deutsch-amerikanische Waffenbrüderschaft hochleben zu lassen, bedarf es nur der Entdeckung deutschen Wesens drüben, das sich mit dem US-Paß sauwohl fühlt, und der fortlaufend gefeierten Bestätigung amerikanischer Honoratioren, daß ihnen in Carstens ein Mensch gleicher Denkungsart ins Haus geflogen ist, der sich bei ihnen so wohl fühlt, als wäre er gar nicht über den Atlantik gejettet. Er findet ja doch nur vor, was er auch zu Hause hat. So z.B. in Texas einen dort stationierten Bundeswehrsoldaten, der ihm folgendes ans Herz legt: "Wir leben in einer Zeit, in der es mehr denn je darauf ankommt, daß Amerikaner und Deutsche Seite an Seite stehen." Diese keineswegs neue Botschaft übermittelt Carstens Reagan, beiden Häusern des Kongresses - und die Presse und das Fernsehen dem deutschen Volk zu Hause. Es braucht da nicht mehr extra erwähnt zu werden, gegen wen da der Schulterschluß erfolgt. Jeder sorgfältig registrierte Ausruf Carstens' "Hier ist es schön!" bezeigt, daß er und alle guten Deutschen in den USA und in der BRD, also im Westen, so etwas wie ein Nest der Geborgenheit haben - und dafür dankbar sein müssen, weil sie es brauchen. Präsident Reagan erinnerte zum Schluß der Rundreise daran, wem die Deutschen dieses Nest der Geborgenheit verdanken:

"Präsident Reagan betonte in einer Grußbotschaft die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zum Westen. Die bewundernswerte Entwicklung der Bundesrepublik nach dem Krieg sei dem demokratischen System und der Einbeziehung in die NATO zu verdanken." (Süddeutsche Zeitung)

Es braucht also schon einen Krieg und das Besiegtwerden durch den richtigen Gegner, um zu einem neuen Freund, einem demokratischen System und einer bewundernswerten Entwicklung zu kommen. Freundschaft, Demokratie und Entwicklung setzen freilich die Bereitschaft voraus, gleich in die Planung für den nächsten Krieg mit einzusteigen. Gottseidank hat das geklappt.