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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Systematik

Textilabkommen
DIE "EUROPÄISCHE DIMENSION" BEWÄHRT SICH

Von den Verhandlungen um die Verlängerung des Welttextilabkommens hätte hierzu lande kaum jemand Notiz genommen, wenn nicht die Gewerkschaft Textil-Bekleidung einige Veranstaltungen inszeniert hätte, die ihre Aktivitäten gegen die im letzten Jahrzehnt in der BRD stattgefundene Beseitigung von mehr als 300000 Arbeitern durch das Textilkapital weit übertrafen.

Da läßt sie zehntausende Textilarbeiter in Bonn eine Demonstration bestücken, auf der nicht ein einziges böses Wort gegen das - weiterhin erfolgreich rationalisierende - deutsche Kapital fällt. Der Vorwurf an den Staat, er sei "offensichtlich an der gezielten Vernichtung weiterer Arbeitsplätze interessiert" (GTB-Vorsitzender Keller), tritt in pur nationalistischer Manier auf: Die Regierung vertrete in den Verhandlungen die Interessen der deutschen Textilindustrie nicht nachhaltig genug gegen die der "Billiglohnländer" aus Asien, Afrika und Südamerika. Daran ist nur soviel richtig: Die Bundesregierung hat sich bei den Verhandlungen tatsächlich zurückgehalten und die EG-Beamten im Interesse der "besonderen schutzbedürftigen Textilindustrien Frankreichs und Englands" streiten lassen, dabei ihr wirtschaftsdiplomatisches Markenzeichen eines Vertreters des "Freihandels" nicht beeinträchtigt und die Ergebnisse des "Protektionismus", aus denen nicht zuletzt die bundesdeutsche Textilindustrie etwas zu machen versteht, gleichwohl geliefert bekommen. Warum hätte sie sich denn auch offen in schlechte Gesellschaft begeben sollen, wenn sie auf eine Textilindustrie vertrauen kann, der jedes Verhandlungsergebnis nur ein munteres "Ich bin all hier!" entlocken kann? Nicht zuletzt mit Hilfe einer nationalbewußten Gewerkschaft haben es die Textilindustriellen in den letzten 10 Jahren verstanden, ihre Produktion weltweit zu gestalten. Sollten die im Welttextilabkommen" festgelegten Lieferquoten für Außer-EG-Länder erhöht werden - so wird sich eben die Einfuhr von in "Billiglohnländern " von deutschen Industriellen fabrizierten Massentextilien erhöhen. Sollten die Lieferquoten gesenkt werden - so werden eben die durchrationalisierten Produktionsstätten in der BRD dem nunmehr noch ergiebigeren EG-Markt (übrigens dem größten der Welt) günstigen Ersatz für die Import"ausfälle" anbieten. Je nachdem bieten sich auch etliche Zwischenlösungen an, wie z.B. Hinausschicken eigener Ware mit anschließendem Re-Import; man kann auch ausländische Ware einkaufen - vielleicht bei der eigenen Fabrik auf den Philippinen - und ein paar kleinere Verarbeitungsschritte hinzufügen, um sie dann als genuin europäische Unterhose nach Frankreich zu schicken! Man kann schließlich die günstigen politischen Verwicklungen mit den Staatshandelsländern dazu benutzen, sozialistischen Proletarierfleiß via DDR zu deutschem = europäischem (und damit zollfreiem Profitmaterial zu machen (dafür gibt's schließlich eine ungelöste Wiedervereinigungsfrage) oder auch direkt in Ungarn einkaufen.

Der Verhandlungsgegenstand

Ende der sechziger Jahre ist es japanischen und einer Reihe von Kapitalien aus den "Drittweltstaaten" gelungen, sich mit konkurrenzfähigen Produkten (insbesondere sog. Massentextilien) auf dem EG-Markt zu behaupten. Die dadurch verschärfte Krise in den Textilindustrien der EG führte 1973 zum Welttextilabkommen im Rahmen des GATT, das die EG-Staaten mittels der Androhung von "Chaos", das andernfalls eintrete (sprich: noch schärfere "Abschottung" des EG-Markts nach außen) erzwangen. Das Abkommen widerlegte in jeder Vorschrift die Ideologie, der Weltmarkt sei eine segensreiche Einrichtung für jede Nationalökonomie, wenn sie nur konkurrenzfähige Produkte hervorbringe. In zahlreichen bilateralen Vereinbarungen zwischen der EG und den Billiglohnländern im Rahmen dieses Abkommens wurden letzteren Importmengen für die einzelnen nationalen EG-Märkte zugewiesen. Diese gemeinsame Außenwirtschaftspolitik der EG-Staaten hatte zwar in allen Mitgliedsländern die bekannte gleichförmige Wirkung, daß die Textilarbeiter ihre Arbeitsplätze verschwinden sahen (über 1 Million), ist doch der Schutz heimischer Industrie noch von keinem Staat als Schutz der darin ihren Unterhalt Verdienenden mißverstanden worden, vielmehr noch jedesmal ein Auftrag ans Kapital gewesen, die Hilfsmaßnahmen durch ihre Überflüssigmachung im Nachhinein zu rechtfertigen - aber das ist in den einzelnen Ländern halt unterschiedlich gut gelungen..

So erklärt sich, warum die EG hinsichtlich ihrer Textilindustrien weiterhin über erheblichen "Protektionsbedarf" verfügt und bei den WTA-Verhandlungen der "Freihandel" - ganz entgegen sonstiger Übung auf Nord/Süd-Wirtschaftskonferenzen - ausgerechnet durch die Entwicklungsländer und die in Sachen Zugang auf ihren Markt ansonsten auch recht bedachtsamen Japaner vertreten wurde. Die EG hat deren Bemühungen um eine "Liberalisierung des Welttextilhandels" zurückgewiesen und eine ihr angenehme Fortschreibung des bisherigen Abkommens durchgesetzt.

"Protektionismus" versus "Freihandel"

Der Vorwurf der Wirtschaftsjournaille an die europäischen Verhandlungsführer, sie hätten sich - nun, da die Lieferkontingente der Drittländer mal wieder reduziert werden der "Doppelzüngigkeit" schuldig gemacht und würden mit "zweierlei Maß" messen, ist allerdings völlig fehl am Platze, weil es die Dogmen "Protektionismus" oder "Freihandel" als Zwecke der Außenwirtschaftspolitik gar nicht gibt. Ebenso blöd ist es, in der Verlängerung des WTA die Bestätigung zu finden, daß "Protektionismus nicht weiterhilft, weil die geschützten Industrien hinter den Handelsschranken abschlaffen" (Zeit). Erstens läßt sich den Berichten über Pleiten und mehr oder weniger staatlich unterstützte Sanierungsmaßnahmen ohne weiteres entnehmen, daß in sämtlichen Textilindustrien der EG mobil gemacht wird, und zwar zweitens aus demselben Grund, der auch die Verhandlungen zum neuen WTA in eben der "protektionistischen" Weise hat ausgehen lassen nämlich der Behauptung der nationalen Textilindustrien auf dem Weltmarkt. Ein Stückchen (Wirtschafts-)Imperialismus wurde unauffällig vorangetrieben: Die mit ihrer Benützung durch die kapitalistischen Staaten - Aufstellen von (vom dortigen Staat begünstigten) Anlagen sowie Abkauf billiger Ware - bei den Entwicklungsländern sich einstellenden Forderungen, die sich wiederum auf dem Angewiesensein auf dieser Einbindung in den Welthandel gründen, haben ihre Schranke noch allemal an dem Stand, den die kapitalistischen Staaten dabei gegeneinander erreicht haben. Es einigt sich also in erster Linie die EG-Mannschaft darauf, wieviel Protektion oder Freiheit man der jeweils anderen nationalen Industrie zuzugestehen gedenkt - und dann können die anderen zusehen, wie sie damit fertigwerden.

Erinnert man sich an das zuvor über die BRD Gesagte, kann es nicht verwundern, daß sie sich mit Vorliebe an den "am wenigsten protektionistischen EG-Partner" wenden. Dort finden sie ein offenes Ohr und vielerlei gute Ratschläge, wie man die schon bestehenden Handels- und Kapitalbeziehungen "zum wechselseitigen Nutzen " ausbauen kann. Freilich verpflichtet EG-Solidarität und gesetzlicher Rahmen auch die BRD darauf, sich an die nun mal getroffenen Abmachungen zu halten.