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Daniel Cohn-Bendit
SPONTI ALS CHARAKTERMASKE
In der letzten Zeit nahm Daniel Cohn-Bendit verschiedene Anlässe wahr, sich abermals über die Frankfurter Scene hinaus einem weiteren Kreis informierter Zeitgenossen in Erinnerung zu bringen. Den Medien war zu entnehmen:
- Im Rahmen der Anti-Startbahn-Demos zog Cohn-Bendit mit vor den Hessischen Rundfunk, um dort dem Ansinnen von Demonstranten entgegenzutreten, ihrem Anliegen durch eine spontane Programmänderung Gehör zu verschaffen;
- Als Teilnehmer an einer Fernsehdiskussion über Poona nutzte er die ihm gewährte Narrenfreiheit vor allem zu der krampfhaften Versicherung "Ich bin spontan. Der einzige hier", sowie zu der persönlichen Mitteilung an die Sannyasin, daß er Dany - seinen Baghwan in der Gestalt von Demonstrationen gefunden habe.
- Als der unter dem Titel der Buchmesse Diskussionsveranstaltung "Zuviel Pazifismus?" gestartete Versuch, sich mit namhaften Politikern über das heutzutage erlaubte Maß von Friedensliebe ins Benehmen zu setzen, an Protesten scheiterte, dachte er laut darüber nach, in einem etwaigen Wiederholungsfall für den Saalschutz aufzukommen, und lief dem "Abrüstunps-Experten" der Bundesregierung, Egon Bahr, ins Wirtshaus hinterher, um seine Dialogbereitschaft zu beteuern;
- Seine Postille "Pflasterstrand" nutzte er zur bereitwilligen Erfüllung des von der Friedensbewegunp offiziell geforderten Pflichtsolls, durch die konforme Verurteilung der Sowjetunion ihre Legitimität unter Beweis zu stellen.
Für die bürgerlichen Medien - allen voran die "Frankfurter Rundschau" - stellt es natürlich eine Pikanterie dar, solche hochwillkommenen Äußerungen des "Roten Dany" zu kolportieren - man erinnere sich z.B. nur, daß dessen hiesige politische Karriere 1968 damit begann, daß er für den Versuch, eine Buchmesse-Veranstaltung zu stören, auf ein halbes Jahr verknackt wurde! Diese Diskrepanz zwischen den Inhalten der damaligen und heutigen Publizität Cohn-Bendits veranlaßte die MSZ-Redaktion, in einem Artikel der Frage nachzugehen, aus welchen Erwägungen heraus der vormalige "Revoluzzer" seine Person heutigentags in den Dienst der Propaganda politischen Wohlverhaltens stellt.
Da sich bei der Lektüre des einschlägigen Schriftenmaterials von 68 bis 81 als die zentrale Mitteilung Cohn-Bendits ergab, daß der Schlüssel zu seinen politischen Absichten in der Psyche des Menschen Cohn-Bendit zu suchen ist, haben wir uns ganz gegen unsere Gewohnheit zu einer psychoanalytischen Form der Darstellung entschlossen.
Ein rotes Sternchen
"Als ich in Deutschland ankam, war ich leer, ich hatte keine Wurzeln mehr. Andererseits war ich der Star. Dieses Problem ist sofort deutlich geworden..." (Dany über sich, 1968)
"...ich habe zwar hier in Frankfurt eine Heimat gefunden, bin der Familienvater der Szene. Aber ich habe auch wahnsinnige Angst, alt zu werden." (Dany über sich, 1981)
Auch Stars haben eben ihre Probleme. Mehr noch: Indem es ihnen beruflich auferlegt ist, sich selbst darzustellen, haben sie auch noch stets an solchen Problemen zu tragen, die bekanntlich die allergrößten sind: den persönlichen. Während sich andere um Gottweißwas in der Welt kümmern können, droht dem Star immer der elementarste Zweifel: wie e r in der Welt dasteht. Mit der Geltung seiner Person steht und fällt für ihn schließlich auch all das, wofür er steht.
Der ständige Druck, den Erwartungen an den Star gerecht zu werden - er hat Harald Juhnke fertiggemacht, er lastet auf Lady Di, und auch Daniel Cohn-Bendit kann sich ihm nicht entziehen. Erstere scheinen es bei alledem sogar noch leichter zu haben. Einfältig, wie sie sind, verlassen sie sich darauf, daß mit der Inszenierung eines intakten Privatlebens sich der zur Behauptung als Star erforderliche Rest schon so gut wie von selbst ergeben wird bzw. würde. Cohn-Bendit dagegen kann nicht damit zufrieden sein, eine noch so große Familie (für die er noch nicht einmal selbst aufkommen muß) sein eigen nennen zu können - die "Star-Problematik" ist bei ihm ein chronischer Zustand! Während sich andere höchstens darüber beklagen, daß die öffentlichen Verpflichtungen ihren privaten Ambitionen in die Quere kämen, ist ihm an der Demonstration dessen gelegen, daß er seine öffentliche Geltung erst wirklich ernst nimmt: nämlich als Moment seiner ureigensten "Identität". Klar, daß das auf keinen Fall gut gehen darf:
"Es ist wirklich schwer zu verkraften" dieses irre Demonstrationsbedürfnis von mir, diese Spannung zwischen Öffentlichkeit, Person, Beziehung und Wohngemeinschaft."
Ganz verfehlt wäre natürlich an dieser Stelle der Vorschlag, Dany solle doch versuchen, mit seiner WG dahingehend übereinzukommen, daß er auch mal seine Freundin mitbringen kann, mit dieser wiederum zu klären, daß er ab und zu mal demonstrieren gehen will usw.. Schließlich handelt es sich hier um die Vorführung einer ganz besonders dramatischen Individualität: Deren diverse Bedürfnisse sind so unbändig, daß es schon ihrem eigenen Subjekt äußerst schwerfällt, mit ihnen zurechtzukommen - das Spontitum liegt bei ihm im Blut!
Ein lebendiges Denkmal
Wer sich so kokett mit seiner vorgeblichen antiautoritären Disponiertheit in Positur setzt, hat freilich mit irgendwelchen praktischen Einschränkungen seiner Bedürfnisse das geringste Problem. Die Parole "Wir wollen alles", unter der Spontis ehedem der Welt mit Ansprüchen gekommen sind, ist hier zur Devise geschwätziger Selbstbespiegelung einer "nicht integrierbaren Individualität" geworden, die für die Widerspenstigkeit gegen gesellschattliche Zwänge stehen soll.
Diese seine Individualität findet ihr stolzer Besitzer schließlich so beispielhaft, daß er nur in sich selbst hineinzuhorchen braucht und das, was er dabei zutagefördert, ist allemal auch für die restliche Welt das Allerbedeutsamste. "Dany" als wandelndes Denkmal der Zeitgeschichte:
"...denn die widersprüchlichen Erscheinungen der modernen Gesellschaft haben sich in der Widersprüchlichkeit vieler Züge meiner Persönlichkeitsstruktur niedergeschlagen."
Donnerlittchen! Einem landläufigen Individuum würde es wohl kaum einfallen, daß sich daraus, daß es irgendwie zur Welt paßt, eine Mitteilung machen läßt. Ein "Kind seiner Zeit" zu sein, ist schließlich weder ein Verdients, noch berechtigt es zu einem solchen. Wer jedoch die öffertliche Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, als Verdienst seiner "Persönlichkeit" genießt, kommt glatt auch noch auf die Idee, mit der Behauptung seines "Geprägtseins" Reklame zu machen. Das Pochen darauf, einiges mitgemacht zu haben, beansprucht bei ihm schon von sich aus große Bedeutsamkeit, denn im Lichte seiner (selbst)bewußten Subjektivität verdient schon das bloße Erleben prinzipiell das Güteprädikat eines ausnehmend "bewußten Erlebens". Dies als Charaktermerkmal zu pflegen, heißt denn, daß ihm auch keine Dummheit zu groß ist, um nicht zu einer Lehre aufgeblasen zu werden:
"So etwas erlebt zu haben! Erlebt zu haben, daß ein historisches Ereignis - von dem Moment an, als sich verschiedene Ebenen überlagert haben eine außerordentliche Geschwindigkeit erreichen kann!" (es handelt sich um den Mai '68, d. Verf.)
Cohn-Bendit hat aus seiner Mitwirkung am Pariser Mai jedenfalls eine Lehre gezogen:
die Lehre,für alle seine weiteren Auslassungen die Autorität dessen zu beanspruchen, der aus Erfahrung spricht. Dany bezeichnet sich nicht nur gerne als Familienvater, er führt sich auch wie ein solcher auf: So wenig aus dem Pochen auf Erfahrung für den besprochenen Sachverhalt folgt, um so billiger läßt es sich dafür reklamieren, dem eigenen Standpunkt den Gestus ganz vornehmlicher Besonnenheit - sprich "Reflektiertheit" zu verleihen, die für sich selbst sprechen soll. Und welcher Art die "Klugheit" ist, die die "Erfahrung" für sich beansprucht, kennt man nicht erst von diesem "Familienvater": Es ist die ordinäre Moral der Anpassung, des Einverständnisses mit der Realität, weil sie was die Erfahrung zeigt - eben so ist. Diese Moral putzt Cohn-Bendit an sich selbst zu einer "echten Moral" heraus, zu einem Ausdruck wahrer Individualität, indem er schließlich ist er ja "Revolutionär" - mit vordergründig tiefsinnigen Sprüchen über "wahre Radikalität" das Dafürsein als Weisheit des Dagegenseins propagiert:
"Zu brechen, um etwas anderes aufzubauen, und zugleich diesen Bruch ständig wieder zu vollziehen, um noch einen Fuß in der Gesellschaft zu behalten, Anders zu sein, ohne deshalb in die Berge zu gehen."
Wie sagt doch auch Peter Maffay: Über sieben Brücken mußt du gehn! Allerdings nimmt sich das ganze Unternehmen bei Cohn-Bendit insofern noch viel beschwerlicher aus, als er so tut, als müßte er diese Brücken immer erst noch selber bauen! Mag er sich doch zur Maxime machen, immer einen Fuß im gesellschaftlichen Flachland stehen zu haben. Aber die ständige Bereitschaft, mit den Rückständen der eigenen Widerspenstigkeit zu "brechen", um ein besseres Einvernehmen mit dem Trend "aufzubauen", als fortwährenden individuellen Schöpfungsakt zu feiern, ist wirklich der Gipfel dessen, wozu ein autonomes Subjekt imstande ist.
Ein autonomer Opportunist
Die schamlose Zurschaustellung des Opportunismus als "revolutionärer" Tugend ist mittlerweile der Beitrag Cohn-Bendits zu den entsprechenden Fortschritten, die die Staatstreue der durch seine Person repräsentierten Bewegung macht. Von der antiautoritären Revolte über das Alternative Leben zu Heimatgesinnung und rühriger Sorge um die Integrität des Staatswesens - der "Rote Dany" läßt sich keine Gelegenheit entgehen, den jeweiligen praktischen Einverständniserklärungen der "Bewegung" mit den Prinzipien der bürgerlichen Welt dadurch menschliche Glaubwürdigkeit zu verleihen, daß er sich zum richtigen Zeitpunkt mit dem Gestus des "Problembewußtseins" als Tugendbolzen linker Politik in Szene setzt. Ob es darum geht, als geistiger Nachlaßverwalter der APO für deren Sympathien für den Vietcong öffentlich Abbitte zu leisten oder den parlamentarischen Ambitionen einer grünen Liste mithilfe seiner "antiparlamentarischen Triebstruktur" beizuspringen (und es auch wieder zu lassen, wenn diese nicht willkommen ist); ob es darum geht, Politikern, die gegen Proteste nicht zu Wort kamen, hinterherzurennen, um ihnen seine Gesprächswilligkeit anzudienen, oder sich den "über jeden Zweifel erhabenen Standpunkt" zuzulegen, daß SS 20 und Afghanistan eine Bedrohung des Weltfriedens darstellen - Dany ist nie darum verlegen, seinen Kotau vor dem jeweils offiziell geforderten Standpunkt zu einem gewichtigen Stück autonomer Entwicklung hochzupäppeln. Mit solchem Buhlen um Anerkennung seitens der öffentlichen Meinung mag Cohn-Bendit sich ein Plätzchen im Blätterwald erhalten, solange er "jung" ist, sprich: sein anrüchiger Name etwas für die Ausschlachtung seiner frommen Sprüche hergibt.
"Viele werden lachen über die verschlungenen Pfade, die das Denken eines Revolutionärs durchlaufen hat, über die Jugend eines alten Kämpfers."
Da frohlockt die Individualität, zu was sie nicht alles fähig ist - und bei alledem bleibt sie sich auch noch immer selbst treu!
Schließlich bedeutet das Gehen mit der Konjunktur ja beileibe nicht Prinzipienlosigkeit. Dies wird am schlagendsten daran deutlich, daß es auch für Dany Dinge gibt, über die er nicht mit sich reden läßt:
"Wenn man eine Lüge anbietet - macht man sich selbst unglaubwürdig. In diesem Punkt bin ich kompromißlos antikommunistisch. Wer heute Antikapitalist ist, muß Antikommunist sein."
Sehr ehrlich offenbart Cohn-Bendit die vorbehaltslose Verurteilung des Feindes im Osten als das Grundprinzip aller Glaubwürdigkeit. "In diesem Punkt" wird das Bemühen um Glaubwürdigkeit auch auf einmal ganz unbeugsam und substantiell: Im Antikommunismus schmückt sich die opportunistische Anbiederung an die Lügen der herrschenden Meinung mit dem Prädikat der Wahrheit selbst. Das hat einen eindeutigen Grund: Am Antikommunismus gab und gibt es schließlich hierzulande nichts herumzudefinieren.