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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1982 erschienen.
Gesundheitssicherstellungs-Gesetz
"DER TOTALE MEDIZINISCHE BEHANDLUNGSFALL"
Es gibt keine gängigere, aber auch keine dümmere Ideologie unter friedliebenden Menschen als diejenige, daß die gegenwärtige Politik des Westens die "Gefahr in sich berge", sie könne "uns alle" in "einen Krieg stürzen", den "keiner will". Dabei läßt sich an den Taten der Politiker ganz offen ablesen, daß der Einsatz der Waffen von ihnen als mögliche Notwendigkeit einer Politik, die sie wollen, miteinkalkuliert ist und daß sie alle Vorkehrungen treffen, auch die Etappe des Krieges auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Das geschieht demokratisch auf dem Wege der Legalität. Ein Beispiel dafür ist das Gesundheitssicherstellungsgesetz, auf das Mediziner mit dem Vorwurf reagiert haben, eine ärztliche Versorgung sei im Atomkriegsfall unmöglich.
Dabei beweist ihnen das Gesetzeswerk, daß sie nicht nur möglich ist, sondern bereits vorbereitet und geplant wird. In der ärztlichen Kritik an diesem Gesetz sind alle Illusionen enthalten, die man sich über den Zweck des Gesundheitswesens in Friedenszeiten machen kann. Folglich räumt eine richtige Kritik der staatlichen Vorsorge für Kriegszeiten auch mit falschen Vorstellungen über die Funktion des Arztberufs in Friedenszeiten auf:
Daß sich die staatlichen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge und -wiederherstellung einzig dem Zweck der ruinösen Benutzung seines Menschenmaterials für nationale Interessen verdanken - daß also jede Reparatur lädierter Physis nur zur staatsnützlichen weiteren Zerstörung gewährt wird - stellt der Gesetzgeber umstandslos klar, wenn er seinen nächsten Krieg vorbereitet.
Das Gesundheitswesen wird kriegstauglich gemacht.
Gleich zu Beginn der von den Machern der Weltpolitik als "schwierig" angekündigten 80er Jahre wurde in Bonn der Referentenentwurf eines Gcsetzes zur zeitgemäßen Ausgestaltung des Gesundheitswesens vorgelegt, das die Institutionen und das Personal dieses Sektors "an besondere Anforderungen eines Verteidigungsfalles anpassen" soll. Mit 46 Paragraphen und deren Ausführung über 175 Seiten (daraus im folgenden die Zitate) wird mit dem Gesundheitssicherstellungs-Gesetz für den kalkulierten Waffengang "ein Instrumentarium (ge)schaffen, das darauf ausgerichtet ist, bei einer kriegerischen Auseinandersetzung die Funktionsfähigkeit (des Gesundheitswesens) zu erhalten und eine Ausweitung der Leistungsfähigkeit zu erreichen" (S. 32). Bei dem in Aussicht gestellten verschwenderischen Einsatz von Gesundheit und Leben der Bevölkerung für die imperialistischen Freiheiten der BRD wird staatlicherseits - entgegen einschlägigen Vorhaltungen "kritischer" Menschen - sehr umfassend für den kriegstauglichen medizinischen Umgang mit der eingeplanten "großen Zahl von Opfern" gesorgt.
Dazu "muß so früh wie möglich mit den notwendigen Vorbereitungen begonnen werden" (S. 102), sprich: die Aufrüstung des medizinischen Apparats betrieben werden.
Die "Einbeziehung sämtlicher vorhandener und zuzuweisender baulicher, betriebs- und verwaltungstechnischer sowie personeller Mittel" (Paragr. 17), durch die "die Leistungskapazität des Vorhandenen bis zum äußersten ausgenutzt wird" (S. 106) schließt für die "personellen Mittel" die bedingungslose "Verpflichtung zur Mitwirkung an der Durchführung des Gesetzes" ein. Jeder, der jemals "in einem Beruf des Gesundheits- oder Veterinärwesens ausgebildet" (vgl. Paragraphen 2 und 6) wurde, gehört ab sofort zur "Personalausstattung "der Wehrmedizin. Jeder Tierarzt, jede Rot-Kreuz-Helferin hat per Dienstverpflichtung für die medizinischen Aufgaben des Ernstfalls unter Bedingungen militärischer Disziplin zur Verfügung zu stehen.
Daß diese Situation für die Ausübung des ärztlichen Handwerks zwar extrem ist; aber eben das Extrem seiner normalen Betätigung darstellt, spricht der Gesetzgeber mit nüchternen Worten aus:
Die Pflichten einer "besonderen beruflichen Qualifikation"
"Die Verpflichtungen stehen in engem Zusammenhang mit dem ausgeübten - zumindest aber mit dem erlernten - Beruf des Betroffenen. Die Tätigkeiten, die ihm hiernach auferlegt werden können, sind für ihn nicht berufsfremd, sie betreffen ihn vielmehr gerade wegen seiner besonderen beruflichen Qualifikation..." (S. 146)
Die staatliche Wertschätzung ärztlicher Kunst, die in Friedenszeiten zwar nicht den Kranken, aber den Ärzten als ziemliches Wohlwollen begegnet, präsentiert sich hier als Zwang zur Erfüllung der anstehenden Aufräumarbeiten unter dem von einem "Verteidigungsfall" betroffenen Menschenmaterial. Ganz ohne das sonst übliche Beiwerk definiert der oberste Arbeitgeber den Witz der Pflege- und Heilberufe: Daß die Taxierung und Aussortierung von "Patientengut" nach dem Maßstab einer weiteren Benutzbarkeit eine dem Mediziner "berufsfremde Tätigkeit" wäre, läßt sich ja in der Tat auch nicht von den Gesundheitsdienern in Friedenszeiten behaupten, die als Kassen- und Krankenhausärzte ihr medizinisches Wissen und Können ganz freiwillig nach deim gesetzlich angeordeten Maß an ärztlicher Hilfe auf ihre Klienten anwenden.
Auf deren oft bewiesene Erfüllung seines Auftrags zum Dienst an der kostengedämpften Volksgesundheit will sich der Staat für den "Ernstfall" dennoch nicht verlassen (so ernst ist es ihm damit!) und sorgt mit seirner Gewalt, nämlich per "Melde- und Auskunftspflicht" ( Paragr. 5), "Erfassung nichtberufstätiger Personen" (Paragr. 6), der "Pflicht zur Fortsetzung eines selbständig ausgeübten Heilberufs" (Paragr. 23) usw. für einen "reibungslosern Übergang von der Wahrnehmung der Friedensaufgaben zur Einstellung auf besondere Anforderungen des Verteidigungsfalles" (S. 37). Zwecks Herstellung der Reibungslosigkeit "unterstützen" schon jetzt fachkundige "Stellen des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr", die Berufsvertretungen (der Ärzteschaft) bei der Durchführung der besonderen Fortbildung" (Paragr. 31), zu der jeder medizinisch Ausgebildete zwangsverpflichtet ist.
Triage: Die Quintessenz ärztlicher "Qualifikation"
Diese "Fortbildung der Angehörigen der Heilberufe" (vgl. S. 84) macht das medizinische Personal staatlicher "Verteidigungs"- Absichten mit den Kriterien und Techniken der "Triage" (laut Duden bisher "Ausschuß bei Kaffeebohnen" ) vertraut. In Kriegszeiten
"muß der Arzt eine große Zahl von Opfern einer Sichtung unterziehen und eine Entscheidung über Prioritäten der medizinischen Versorgung jedes einzelnen fällen." (S. 34)
Wenn das gemeine Volk in nationaler Pflichterfüllung nicht mehr nur seine Gesundheit bei der täglichen Arbeit verschleißt, sondern mit seinem Leben an der Front und im Hinterland derselben für die Freiheiten des Westens einsteht, wird die sachverständige Auswahl der für die Verteidigung Deutschlands noch brauchbaren Opfer militärischer Kalkulation zur vorrangigen Unterscheidung, nämlich die zwischen Frontkämpfer und Zivilist, hat ihm der Staat schon vorgegeben. Für die Entscheidung, die für das menschliche Material innerhalb dieser Hauptgruppen anfallen, kann der medizinisch Gebildete seine Kenntnisse über Funktionieren und notdürftiges Reparieren der menschlichen Anatomie dafür voll zur Anwendung bringen. Diejenigen, deren Zusammenflicken weitere Tauglichkeit beim Kriegführen verspricht, dürfen sich hernach den Truppen für erneute Zerstörung zur Verfügung stellen; wer aber bei der ärztlichen Sichtung seiner Verwendbarkeit als "nicht mehr kvf (= kampfverwendungsfähig)" eingestuft wird, hat das Recht auf Hilfe verwirkt. In Kriegszeiten wird die staatliche Erpressung der Gesundheitsvor- und -fürsorge, die ausschließlich nach Maßgabe der Benutzbarkeit für das Nationalwohl gewährt und versagt wird, auf ihren harten Kern reduziert: Wer keine Tauglichkeit für staatliche Zwecke besitzt, erhält nicht das Recht auf Hilfe, wer es erhält, muß dafür sein Leben im Dienste des Staats aufs Spiel setzen.
Es ist schon erstaunlich, zu welchen Bekenntnissen sich kritische Mediziner selbst aufrufen. Kaum haben sie mit einem Appell gegen die Kriegsvorbereitungen ihres Staates Stellung bezogen, da scheint ihnen nichts dringlicher zu sein, als (statt gegen die Politiker) gegen jedweden Verdacht in ihre eigene Verläßlichkeit hinsichtlich ihrer Dienste an der nationalen Gesundheit anzukämpfen! Gleich zum Auftakt einer dem Thema nach gegen "Katastrophenmedizin" und Gesundheitssicherstellungsgesetz gerichteten Podiumsdiskussion (2.12., Uniklinik Frankfurt) sah sich Dr. W. Beck, Mitglied der "Liste Demokratischer Ärzte" und Mit-Initiator des Aufrufs "Ärzte gegen Atomraketen", unaufgefordert zu der Klarstellung bemüßigt, daß man als Mediziner "nicht gegen Triage überhaupt sein" dürfe, wenn man "sich nicht unglaubwürdig machen will". Man müsse nämlich sauber "zwischen Notwendigkeiten der Selektion bei zivilen Katastrophen und der Triage nach militärischen Kriterien unterscheiden." Sortieren des Patientenmaterials gehört eben zum Alltag der ärztlichen Kunst, und ein gestandener Mediziner bekennt sich "glaubwürdig" zum Zynismus seines Geschäfts. So stehen die Ethiker ärztlicher Hilfe offenbar zu ihren Politikern: Während diese bereits den kriegstauglichen ärztlichen Umgang mit dem künftigen Kanonenfutter an der Front und im Hinterland der Front per Gesetz sicherstellen wollen, fühlen "Ärzte gegen Atomraketen" sich aufgerufen, ihre Obrigkeit vor einem Irrtum zu warnen, und zwar mit dem eindrucksvollen Hinweis auf die "Unmöglichkeit medizinischer Hilfe" bei einem "nuklearen Fall-out". Die Untertänigkeit dieser Stellung zur nationalen Politik setzt sich konsequent fort: Beck und Freunde erklären mittlerweile programmatisch ihre Dienstbarkeit bei allen "zivilen Notwendigkeiten" unterhalb des "atomaren Ernstfalles". Solange ihnen nicht der Einsatz von Atombomben "jegliche gesellschaftliche Organisation und menschliches Zusammenleben unvorstellbar" erscheinen läßt, zeigen sich kritische Mediziner willens und bereit, neben der kostengedämpften Gesundschreibung und Sortierung von ganz ohne "Katastrophe" verschlissenen Leuten auch die Triage unter den Opfern eines größeren oder kleineren AKW-Schadens vorzunehmen - oder was sonst sind wohl "zivile Kotastrophen", deren "Notwendigkeit" diesen Moralaposteln so selbstverständlich sind?!