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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Deutsche Boykott-Ideologien
ALLES GANZ MATT

Dem aufgeweckten politischen Leser teilen die Zeitungen beunruhigende Nachrichten mit. "Nur noch eine Signalwirkung" sollen die neuesten, von der EG beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegen die Sowjetunion und Polen haben.

Als "harmlos" wird der EG-Beschluß hingestellt, die Importe von 100 Warenpositionen von drüben "nur um 25% statt der ursprüinglich vorgesehenen 50% zu senken." Man wolle die Russen "gar nicht ernstlich treffen", lautet schließlich die Feststellung der "Neuen Zürcher Zeitung" - lapidar und vorwurfsvoll.

Die Sorge der Journalisten um die richtige Handhabung der Embargo-Waffe hat es nicht im geringsten nötig, sich um die tatsächlichen, "partiellen" Auswirkungen der Sanktionen zu kümmern. So ein Journalist ist mit dem Beschluß, den Ostblock mit allen Mitteln zu schädigen, so sehr einverstanden, daß ihm jedes einzelne Mittel gleich als völlig wirkungslos erscheint - das ruiniert den Osten ja immer noch nicht! Dabei erscheinen Wirtschaftssanktionen gleich doppelt unwirksam: Erstens ist die jeweils getroffene Maßnahme immer nicht der totale Boykott, zweitens lassen sich dauernd Belege gegen das brutale Ideal eines solchen Boykotts finden. Daß er nämlich die Sowjetunion ohne die nötige kriegerische "Verlängerung" zum Aufgeben zwingt, wie man den Sanktionen als Zweck andichtet, will sich ja nun absolut nicht bewahrheiten. Damit ist auch gleich die künftige Lehre dieser theoretischen Erpressungsstrategen vorbereitet: Solche Schädigungen sind immer "zu wenig" und "gescheitert", weil die andere Seite nicht vor ihnen kapituliert; also erzwingen sie geradezu weitergehende Schritte.

Daß die Politik solche feindlichen Wirtschaftsmaßnahmen als diplomatische Feindschaftserklärungen und wegen ihrer genau kalkulierten und schrittweise gesteigerten schädigenden Wirkungen ergreift, wird also dadurch geleugnet, daß man sie als "bloß" wirtschaftliche betrachtet. Um so plausibler wird diese ideologische Verdrehung, als die Politiker selbst nicht gerade mit Begeisterung zu Werke gehen und sich über die Modalitäten und Schärfe der einzuschlagenden Gangart streiten. Gefreut hat sich über einen Boykott noch keiner, es sei denn der, der in eine Lücke springen kann und darf. Dem Abbruch wirtichaftlicher Beziehungen gehen schließlich lohnende Geschäfte voraus. Und daß die Benutzung der anderen Volkswirtschaft des öftern deren Schädigung nach sich zieht, ist normalerweise Anlaß, sie mit Kredit "hilfen" und Stützungsmaßnahmen wieder nützlich und immer mehr abhängig zu machen. Deswegen hat unter dem Abbruch der friedlichen Wirtschaftsbeziehungen auch derjenige am meisten zu leiden, für den der wechselseitige Nutzen des Handels immer mehr in seinem Ausbleiben bestanden hat. Und in diesem Sinne hatte es der Westen mit den Ostblockstaaten erklärtermaßen schon sehr weit gebracht. Andererseits ist den politischen Führern der Schaden, der ihrer eigenen Ökonomie durch Handelsverluste entsteht, wohl bekannt, und sie versuchen ihn möglichst klein zu halten.

Größte Wirkung, geringste Kosten

So gerne sich der besserwisserische Staatsbürgerverstand auch - scheinbar ganz materialistisch - auf den Schaden für die eigene und den nicht genügenden Schaden für die feindliche Nation berufen will - politisch verhandelt wird es anders. Jede Nation möchte den Boykott wiirkungsvoll durchgesetzt sehen, wenn schon alle daran teilnehmen - nur sollten möglichst die anderen Bündnispartner die Unkosten tragen. Und da hat man manches auszusetzen, zumal als deutscher Weltmarktsvertreter und Hauptnutznießer des Osthandels:

"Ein Embargo muß in jedem Fall die US-Getreidelieferungen umfassen, denn es geht nicht an, daß die BRD im Ost-Handel gegenwärtig insgesamt Defizite macht, während gerade die USA durch ihre großen Weizenlieferungen große Überschüsse."

Bei diesem scharfen Kritiker amerikanischer Vormachtstellung handelt es sich um den Chef-Kapitalisten Wolff von Amerongen. In aller kapitalistischer Unschuld vertritt er deutsche Geschäftsinteressen solange es politisch geht, und macht ein um's andere Mal den Politikern den geheuchelten Vorwurf, die arme Wirtschaft sollte jetzt durch ihre Boykott'opfer' für das Versagen der Politik geradestehen. Dieser Repräsentant deutscher Exporterfolge kennt also die wirkliche Wucht von Wirtschaftssanktionen und ihren politischen Zweck, teilt letzteren und erlaubt sich gerade deswegen, nach der beschriebenen Logik - Wirtschaftssanktionen schädigen die Russen nicht endgültig so, wie man es sich politisch vorstellen könnte - geschäftsmäßig Bedenken anzumelden. Und ausgerechnet den soll man als Kronzeugen für deutsche Zurückhaltung und Distanz gegenüber den NATO-Beschlüssen ansehen, weil er mit dem Argument der nationalen Wohlfahrt von den Amerikanern eine verschärfende Eigenleistung fordert.

Dasselbe kann man übrigens auch ganz amerika-freundlich von sich geben:

"Auch das Weizenembargo von 1980 hat Amerikas Steuerzahler letzlich einige Milliarden Dollar gekostet, denn die Farmer mußten vom Staat weitgehend entschädigt werden: Wenn in Rußland jedes Jahr für sechs Milliarden harte Dollars amerikanisches Getreide verfüttert oder aufgegessen wird, ist der Nutzen Amerikas in jeder Hinsicht größer."

Wo es sich die USA doch grad "in jeder Hinsicht" leisten wollen, auf diesen Nutzen keine Rücksicht mehr zu nehmen!

Genötigte Erpresser?

Weil deutsche Politiker und Wirtschaftsvertreter als die Hauptkostenverwalter westlicher Boykottmaßnahmen die gemeinsamen Beschlüsse mit solchen Einwänden garnieren, tut die ganze deutsche Öffentlichkeit gleich so, als ob unsere Führer nur widerstrebend, ja nur gezwungenermaßen und immer mäßigend an der gemeinsamen Erpressungspolitik teilnehmen. So taugen deutsche Sonderinteressen noch zur Bestärkung des widerlich guten Gewissens, aus Eigennutz nicht der Scharfmacher gegen Osten und zugleich doch der selbstloseste Hauptträger der ökonomischen Lasten zu sein.

Noch einen Batzen Heuchelei dazu:

"Eingriffe in laufende Verträge mit dem Osten könnten jedoch das gesamte Ansehen der westdeutschen Wirtschaft nicht nur dort, sondern weltweit beeinträchtigen."

So wieder Wolff von Amerongen; und Lord Carrington:

"Bestehende Verträge muß man einhalten!"

Das ist gelungen. Grad haben sie erklärt, daß Verträge nur noch so lange aufrechterhalten bleiben, wie es die geplante Eskalation vorschreibt, da stellen sich diese Burschen hin und machen sich zum Tempeldiener eines höheren Prinzips der Gerechtigkeit. Richtig blöd wird dieser Versuch, noch ein bißchen nationales Interesse herauszuschinden, wenn Wolff von Amerongen vom beeinträchtigten Ansehen der westdeutschen Wirtschaft weltweit faselt. Welches ominöse Staatensubjekt außerhalb des Ostblocks (und selbst da?) würde sich denn trauen, die westdeutsche Wirtschaft weniger anzusehen? Das wär' doch wohl eher der Fall, wenn die BRD nicht mitmachen würde...

Beim nächsten "Argument" ist eindeutig die Schamgrenze überschritten:

"Handelsbeschränkungen im Ost-West-Handel gehen in erster Linie zu Lasten der Bevölkerung in den ost-europäischen Ländern." (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)

Das hätten sich die Polen nicht träumen lassen, daß man mit ihnen, die während der gesamten Zeit friedlich ablaufenden OstHandels kein einziges Mal die Begünstigten waren und auch nie dazu vorgesehen waren, jetzt noch diese Sorte Leichenschänderei veranstalten kann.

Harmlos hingegen die Vergewaltigung von Erdball, Wirtschaftssystem und 19. Jahrhundert:

"Unser heutiges, den Erdball umspannendes Wirtschaftssystem macht alle Handelssanktionen im Stil des 19. Jahrhunderts weitgehend wirkungslos." (Süddeutsche Zeitung)

P.S.:

Hin und wieder wird auf den fehlgeschlagenen Rhodesien-Boykott hingewiesen. Dabei beweist der genau das Gegenteil: Die Westmächte wollten einfach nicht, was einen UNO-Beschluß schlicht und einfach zu Makulatur machte.

Wie selbstverständlich und ohne Diskussion über die mangelnde Durchschlagskraft Boykottmaßnahmen über die Bühne gehen, wenn man nur will, das bekommt gerade Argentinien zu spüren. Wenn man sich schon bei einem aufmüpfigen Verbündeten so sicher ist, wie wird dann wohl die Eskalation gegen den erklärten Feind aussehen! Schließlich ist ein Boykott noch lange nicht das schlagendste und letzte Mittel, sondern sein Vorbote und Vorbereiter!