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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Systematik

Ökonomie des Gesundheitswesens
DIE RATIONALITÄTENFALLE

"Über die Grenzen des Sozialstaats wird geredet. Taten sind freilich kaum gefolgt. So bleibt es bei Appellen von allen Seiten an den Staat, Kosten zu dämpfen, an die Sozialteilnehmer, von ihrer Anspruchshaltung abzulassen und wieder Verantwortung an den Tag zu legen." (Prof. Herder-Dorneich, Köln, in der "FAZ")

Da hat einer ja offensichtlich alles verschlafen: Als wäre die Einführung von Höchstverordnungsgrenzen bei Arzneitherapien nicht Tag genug; als wären die Selbstbeteiligung der Rentner an ihren Medikamentenkosten und all die anderen Maßnahmen zum Schutz der Versicherungskassen vor den "Ansprüchen" derer, die sie mit ihren Zwangsbeiträgen füllen, bloß leeres Geschwätz! Völlig jenseits dessen, daß die Politik ihren "Appellen an die Vernunft " der Bürger ausreichend Nachdruck verschafft hat und völlig unbeeindruckt davon, daß es sich bei diesen Maßnahmen noch nicht einmal um die Verweigerung weitergehender, sondern um die rigorose Streichung vorhandener, sowieso am Nötigsten bemessener Leistungen handelt, stellt sich dieser Herr die Frage, ob man "durch Appelle an die Vernunft und die Moral die Expansion (!) des Sozialstaats" überhaupt bremsen könne; aber nicht, um sie mit einem schlichten "Nein" zu beantworten, sondern um sie zu einer völlig versponnenen "Problemstellung" zu erweitern:

"Können wir davon ausgehen, daß der Sozialstaat ein Gefüge ist, in dem rationales Denken sich durchsetzt?"

Und dafür entwickelt er ein "Modell sozialstaatlicher Versorgung":

"Im Sozialstaat werden die Medikamente unentgeltlich abgegeben, die Kosten werden am Monatscnde umgelegt auf alle. In einem solchen System entfällt der Finanzdruck zur Sparsamkeit. Der Konsument ersteht nicht nur das notwendigste, sondern noch dies und das...

Und umgekehrt: Mehrverbrauch lohnt sich. Jeder einzelne wird feststellen, daß Mehrverbrauch ihm voll zugute kommt. Die zusätzlichen Kosten aber werden auf die Masse. der Sozialteilnehmer umgelegt. Natürlich muß jeder einzelne auch seinen Teii daran tragen, aber das ist für ihn nur ein unendlich kleiner Teil eines Pfennigs. Das scheint ihm ein gutes Geschäft."

Ein sauberes "Modell": Umsonst soll man die Medikamente erhalten, nur weil man sie erst am Monatsende zu bezahlen hat? Ein "unendlich kleiner Teil eines Pfennigs" soll auf den einzelnen bei "Mehrkonsum" nur entfallen; wo doch "alle tüchtig konsumiert haben", sich durch die vom Modell angeregte Multiplikation der Pfennigteile mit der "Masse der Sozialteilnehmer" ein "ärgerlich hoher Betrag" ergibt, jeder seine Medikamente im Endeffekt also voll bezahlen muß. Wenn das kein "Finanzdruck zur Sparsamkeit" ist. Und bei all dem soll es sich auch noch um ein riesiges "Problem" handeln - nur weiß man inzwischen nicht einmal mehr für wen: Die Leute meint er nicht, und die Staatskasse, die er meint, kann es nicht sein; schließlich zahlen die Leute ihren "Mehrkonsum" qua Umlage "am Monatsende" immer selbst! Man sieht, Ungereimtheiten werden voll in Kauf genommen, wenn und weil es bei der Entwicklung dieses "Umlagemechanismus" einerseits eh nur darauf ankommt, eines als "plausibel" vorstellig machen zu können: Daß die Leute sowieso mehr Medikamente fressen, als sie brauchen, nämlich "dies und das"...; daß es sich bei dieser Angelegenheit keineswegs um den auch gar nicht so üppig ausfallenden - Versuch handelt, die eigene Gesundheit wiederherzustellen, sondern um ein "Geschäft".

Andererseits unterscheidet sich diese Polemik gegen "die Anspruchshaltung der Sozialteilnehmer" etwas von einem bloßen "Appell" an deren "Moral". Die Ausmalung eines "Versorgungsmechanismus" und die Erfindung eines "unnötigen Mehrkonsums" als dessen Folge, die Vorstellung, "das System selbst führe zu irrationalem Verhalten" - ist nichts als der Hinweis an die staatliche Gewalt, sie müsse sich nicht wundern, wenn sich die Leute in den von ihr gesetzten "ökonomischen Mechanismus" einspannen lassen. So verrückt dieser Hinweis ist - als wäre die sozialstaatliche "Gesundheitssicherstellung" nicht die durch eine knappe Bewirtschaftung der eingezogenen Mittel erzwungene Beschränkung des Interesses an Gesundheit auf die eigenverantwortliche Wahrung der Arbeitsfähigkeit, sondern der Zwang, immer mehr Tabletten zu fressen - so fiktiv also das "Problem" ist, mit dessen Lösung er seine Herrschaft beschäftigt sieht, so sehr enthält er den unbedingten Willen zur ökonomischen Rechtfertigung der sozial-politischen Taten und den Versuch eines Anscheins, dafür als Wissenschaftler auch irgendwie nützlich zu sein:

"Mit Hilfe des Begriffs Slack wird verständlich, warum Mehrausgaben nicht zu einem höheren Versorgungsniveau führen. Sie führen lediglich zu Slack. Und nun können wir auch angeben, was geschieht, wenn es gelingt, die Expansion zu stoppen, den Sozialstaat zu bremsen: Nichts. Luft entweicht. Sozialer Slack wird abgebaut. Wegsfeuetn von Slack bedeutet Versorgungsabbau ohne Konsumverzicht. Oder umgekehrt: Konsumabbau ohne Senkung des Versorgungsniveaus."

Schöner, weil tautologischer kann man es nicht sagen, daß die ökonomische Vernunft, die hier den nötigen und überflüssigen Gesundheits"konsum" definiert, nur der Appell an den Staat ist, die sozialstaatlichen 'Leistungen' weiter einzuschränken. Definitionen sind bei Ökonomen eben immer unmittelbar theoretisch vorweggenommene Gewalt. Nach deren Maßstäben richten sie sich also auch.