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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1982 erschienen.

Wirtschaftsjournalismus
KRITISCHE FANS

Wo die Wirtschaftspresse den Pleitegeier kreisen sieht, fliegt sie mit, um das Loblied der Marktwirtschaft und ihrer Gesundheitspolizei zu zwitschern.

So lange das Geschäft läuft, finden die Agenten und Funktionäre des Kapitals in den Wirtschaftsjournalisten verläßliche Verbreiter ihrer Ideologie: daß es allein ihrem unternehmerischen Geschick zu danken ist, wenn die Firma wächst und gedeiht, sprich: sich in der Konkurrenz gegen andere Kapitale, auf ihre Kosten durchsetzt.

Die Marktwirtschaft wird da zur unverzichtbaren Rahmenbedingung, wm solchen Charakteren die Entfaltung zu ermöglichen. Die konkurrierenden in- und ausländischen Kapitale, die Ansprüche der Banken, des Staates, der Gewerkschaften erscheinen da als eine Ansammlung von widrigen Marktfaktoren, die ohne dynamische Unternehmerpersönlichkeiten schier nicht zu überwinden, durch dieselben hingegen in lauter Herausforderungen und Chancen zu verwandeln sind - solange es klappt. Geht nichts mehr, stellt sich das einzelne Kapital dank der Konkurrenz der anderen als entwertet heraus, dann können seine Funktionäre noch so sehr auf die selbst für sie nicht zu bewältigenden Widrigkeiten des Marktes bzw. Ansprüche der Gewerkschaften, des Staates etc. verweisen - die Freundschaft des Wirtschaftsjournalisten haben sie verspielt.

Mögen die Konkurse und Geschäftsaufgaben in der Summe ("Bis Ende August über 10000 Pleiten, 36% mehr als vor einem Jahr", Süddeutsche Zeitung, 9.10.82) allenfalls noch als begriffsloser Index der "allgemeinen Krise" gelten - den Verwalter des einzelnen Pleiteunternehmens trifft die unerbittliche Frage, wie es dazu kommen konnte, samt dem vernichtenden Antwort-Urteil: Dazu mußte es ja kommen. Denn die, die sonst mit so viel Geschick für Gewinn sorgen, stellen sich als glatte Versager heraus:

"...die erste Schwachstelle bildet das Management selbst..." (Manager Magazin 7/82)... "Schwächen im Management" (WiWo 21/82), "...unfähige Manager und zerstrittene Eigentümer" (Spiegel), "Managementfehler" (alle) - schlimmer noch: "eine Kette von Managementfehlern" (Süddeutsche Zeitung, 11.8.82).

Jetzt darf der Unternehmer nicht die Schuld bei anderen suchen; schon gar nicht bei der Gewerkschaft, gegen die man noch vor Monatsfrist gemeinsam zu Felde zog. Die bekommt nun plötzlich ziemlich recht mit ihrer saudummen Analyse:

"Der Pleitegeier nistet in den Chefetagen, nicht an der Drehbank." (IG-Metall und "Süddeutsche Zeitung", 5.8.82)

Wer fordert denn seit Jahren, die Unternehmer sollten sich um ein gutes Verhältnis zur IG-Metall bemühen? Stattdessen huldigten die Brüder Bauknecht dem völlig veralteten Lehrsatz "Banken und Gewerkschaften muß man klein halten" (Manager Magazin 7/82). Die Folgen? - "Ärger mit der Belegschaft, die für Mindestlöhne gute Arbeit leisten sollten." (Manager Magazin 7/82) - bekanntlich fordert das "Manager Magazin" schon seit Jahren angemessen hohe Löhne.

Mit "jenen Rahmenbedingungen, die sich so mancher Manager wünscht" (Spiegel 33/82) braucht der Kapitalist nun gar nicht zu kommen. Diese Rahmenbedingungen fordert so mancher Journalist doch nicht für Pleitefirmen! Gefragt ist "das Eingeständnis eigener Fehler" und da gibt es viele. Die Kapitalisten selbst haben einfach alles falsch gemacht und so ein im Grunde kerngesundes Kapital von da, wo es hingehört, "heruntergewirtschaftet" (alle). Allen voran die AEG: "Ihre 37 unternehmerischen Fehljahre begannen gleich nach 1945" (Süddeutsche Zeitung, 10.8.82) ERST?

Die Markteinschätzung

"Daß sich Märkte verändern, zum Teil im Zeitraffertempo" (Süddeutsche Zeitung), weder AEG noch Bauknecht sind draufgekommen - dabei hätte ein Anruf in der "Süddeutschen"-Redaktion genügt. "Daß der Binnenmarkt der Hausgeräte sich der Sättigung näherte, das war nicht bloß vorauszusehen, das ist oft genug vorausgesagt worden." (Süddeutsche Zeitung); zum Beispiel so: "Bauknecht hat seine Freude an der Haustechnik." (Süddeutsche Zeitung, 5.2.81) oder so: "Bauknecht: "heute schon gut gerüstet für die achtziger Jahre." (Handelsblatt, 5.9.81), "Mit Zuversicht auf stagnierenden Märkten" (Handelsblatt, 3.9.81). An warnenden Stimmen hat es also beileibe nicht gefehlt!

Das Resultat? "Falsche Produktgestaltung auf einem übersättigten Markt" (IG-Metall und "Spiegel" 4.5.82). Nicht etwa, daß das zahlungsfähige Bedürfnis der Leute beschränkt ist und durch die Aktionen des Kapitals beschränkt wird - der Herr Kapitalist hat den schönen Markt falsch beurteilt. Er hat übersehen, daß den Käufern die Haushaltsgeräte zu den Ohren rauskommen und ihre "Kauflust" dahin ist.

Der Expansionsdrang

Die Expansion auf neue, wachsende Märkte ist gefragt, wie etwa der Einstieg der Pelikanwerke in die Büroelektronik:

"Der Pelikan als Markenzeichen der Günter Wagner Pelikanwerke GmbH, Hannover, breitet wieder die Flügel zu neuen Höhenflügen aus." (Süddeutsche Zeitung, 21.7.77)

Aber Vorsicht! Stellt sich als Resultat die Pleite ein -

"Der Ausflug Pelikans in das Büro der Zukunft endete mit einem Sturzflug." (Börsenzeitung, 4.3.82) -,

war die ganze Sache von Anfang an "ein böser Mißgriff" (Spiegel, 10/82).

Und wer gar wie "Wienerwald"-Jahn in die Reisebranche einstieg, "ein nur auf den ersten Blick risikobehaftetes Geschäft" (Die Welt, 25.5.78), der kann, kaum daß sein Geschäft in Schwierigkeiten steckt, nicht ganz bei Trost gewesen sein:

"Mit der Firma 'Jahn-Reisen' stieg er 1980 ins Touristikgeschäft ein - gerade als das Geschäft flauer wurde." (Spiegel, 22.3.82)

Der Mann muß ein Versager sein.

"Sein ungezügelter Expansionsdrang der letzten vier Jahre hat das früher kerngesunde Imperium in eine schier ausweglose Situation gebracht." (Zeit)

Für ganze 400 Riesen muß er denn auch den Laden an LTU verhökern - und die steigen tatsächlich in einen flauen Markt ein. Warum auch nicht? LTU ist doch nicht pleite, sondern ein "expansionsfreudiges, gesundes Unternehmen".

Jeder Journalist weiß, daß Größe nicht ein Mittel des Kapitals ist, sondern ein Schritt ins Verderben, er warnt doch ständig vor dem Wachstum: "Das ungestüme Wachstum verlangt auch seinen Preis." (WiWo 14/82). Und weil der Herr Journalist weiß, daß das Wachstum des Wienerwald ungestüm war, weil Herr Jahn "zuviel auf einmal gewollt" hat, was er weiß, weil der Herr Jahn Vergleichsantrag gestellt hat, weiß er auch, daß dieser Preis der Vergleich ist.

Dabei liegen in den Redaktionen so einfache Rezepte vor: "Nicht auf den Umsatz kommt es an, sondern auf den rentablen Umsatz." (Süddeutsche Zeitung, 21.8.82) Was macht der "sprücheklopfende Umsatzmilliardär" (Stern) Jahn stattdessen? Er expandiert sich nach Amerika.

"Für 100 Millionen Dollar kaufte er die völlig abgewirtschaftete Gaststättenkette Lums, die schon zum Zeitpunkt des Jahn-Erwerbs nichts als rote Zahlen produzierte." (Süddeutsche Zeitung, 30.8.82)

Wer ist denn so blöd und kauft eine Pleite-Firma, wenn er drei Jahre später selbst Pleite macht. So was macht man doch nur, um ein Geschäft damit zu machen. So mußte Jahn einfach scheitern.

"Wenn Jahn kommt, haben Amerikas Hendl nichts zu lachen. Der Wienerwald-Chef wird in den Vereinigten Staaten zum Vater des Huhnes" (FAZ, 5.4.79)

Schon vier Monate vor der Krisis die ersten Hiobsbotschaften: "Bei Friedrich Jahn stimmt die Rechnung" (Handelsblatt, 23.12.81). Aber auf die Journalisten hört ja niemand!

Die Unproduktivität

Solange es noch Kapitale gibt, die Gewinn machen, muß die Pleite einfach an dem liegen, was hinter den Fabriktoren passiert. Da glauben welche, Ausbeutung könnte wirklich gehen ohne Einsatz modernster Technik, ohne elektronisches Glitzerwerk:

"Als Alfred Kreidler letzten Herbst kurz nach seinem 83. Geburtstag starb, hatten manche Maschinen in seiner Fabrik fast dasselbe ehrwürdige Alter erreicht wie ihr Besitzer." (Spiegel 11/81)

In Technik, Segen und Fluch kennt sich die Journalistik aus: Jobkiller sind Kostenkiller und damit auch Pleitenkiller erster Ordnung. Der "altersstarrsinnige Kreidler" aber muß sich mangels Taschenrechner einfach verzählt haben bei der Kalkulation, ob's ein solcher Killer auch für ihn bringen würde; und dann blamiert sich seine Kopfrechnung auch noch am Resultat und er macht pleite: Schade, daß er das nicht mehr erleben durfte. Und damit ist wieder die Fluchtechnik an der Reihe: "Technik bezwingt Familienbetriebe" (Süddeutsche Zeitung, 22.5.82).

Opa Kreidler hätte es machen sollen wie die Bauknecht Brüder: 300 Mio. investieren und modernisieren. Dann wär' er wegen "Überkapazitäten auf gesättigtem Markt" (Süddeutsche Zeitung, 24.5.82) pleite gegangen und hätte wenigstens den Nachruf vom "morbiden Unternehmensfossil" (Spiegel 11/81), das der technischen Zukunft Deutschlands im Wege steht, los. Andererseits hätte er dann noch mehr Schulden machen müssen.

Die Schulden

Die Schulden ziehen als roter Faden durch die Pleiten-Geschichten. Jeder Pleitier hat zu viel und alle haben zu wenig eigenes Kapital, manche sogar beides:

"1980 rutschte die Eigenkapitalquote auf 15,7%... Um so dramatischer wuchsen die Schulden." (Spiegel, 21/82)

Sie verlieren "vor lauter Wachstum die Eigenkapitalbasis aus den Augen" (Finanz und Wirtschaft, 17.3.82 ), denn ein Wachstum, um mehr Schulden machen zu können, das darf sich nur erlauben, wer nicht pleite macht. Und pleite ist bekanntlich der, der keine Schulden mehr machen kann.

Besonders die Familienbetriebe haben ihre Not mit dem eigenen Kapital:

"Der Familie fehlt das Kapital für das Wachstum, vielleicht auch die dafür notwendige Energie." (Süddeutsche Zeitung, 22.5.82)

Also wieder zuwenig Wachstum, oder was? Bauknechts aber wollten um jeden Preis unabhängig bleiben (FAZ), niemand beteiligen, also von keinem der Schlange stehenden Interessenten Geld nehmen und darum haben sie jetzt keines!

Oft scheinen diese Untemehmen aber auch einfach die wohlmeinenden Steuertips der Wirtschaftspresse mißverstanden und ihren Kapitalzuwachs so gut versteckt zu haben, daß der Wirtschaftsjournalist ihn nicht mehr findet:

"...ein immer wiederkehrendes Übel in diesen Betrieben, möglichst viel von den ohnehin meist nicht reichen Gewinnen zu verstecken, statt als neues Eigenkapital auszuweisen." (Süddeutsche Zeitung, 22.5.82)

Da brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn sie ihre Gewinne dann auch selbst nicht mehr finden und deshalb kein Geld haben, wenn sie gerade dringend welches brauchen, oder wie?

In puncto Schulden kann der Journalist den Banken einen Vorwurf nicht ersparen. Wenn der Pleitemacher zuviel Kredit genommen hat, hat er wohl auch zuviel bekommen:

"Die kreditgebenden Banken taten das ihre, haben zeitweilig wohl das Rechnen vergessen." (Süddeutsche Zeitung, Aug. 82)

Künftig einfach bei Herrn Heigert vorbeischaun und das Einmaleins des Bankwirts durchgegangen!

Im Gegensatz zur Wirtschaftsjournaille wollen Miß- und Bankmanager die goldene Kreditweisheit nicht wahrhaben: "Kein Kredit ist unbegrenzt" (Süddeutsche Zeitung). Obwohl andererseits die Banken eine Pleite dann vom Zaun brechen, wenn sie den Kredit sperren. Also ist der Kredit zuviel und doch zuwenig und die Lösung muß so aussehen: "Banken pumpen nochmals Geld in die AEG" (Süddeutsche Zeitung, 20.8.80). Wenn schon die Märkte nicht unbegrenzt sind, sollten es doch wenigstens die Kredite sein.

Die Persönlichkeitsfrage

Die größte Todsünde des faillierenden Unternehmers, das wird immer klarer, ist er selbst. Er ist es doch, der es nicht geschafft hat, das zu lösen, was der Journalist seit der Pleite schon immer wußte. Nicht nur, daß er seinen Beruf verfehlt hat, indem er das wichtigste vergaß: daß "...fehlendes Denken in Gewinnen und Gewinnemachen der häufigste Grund für eine Pleite ist" (Süddeutsche Zeitung). Und "unternehmerischer Weitblick" (Zeit, 21.5.82) fehlte sowieso, sonst hätten die Bauknechts doch die Pleite schon vor Jahren erspäht.

Die Persönlichkeit des Unternehmers, an dessen Bild in der Öffentlichkeit irgendwer - die Journalisten können's nicht gewesen sein - so liebevoll herumbastelt, sie offenbart "Charaktermängel" (Spiegel 33/82).

"Herr im Hause" wollten die Bauknecht-Brüder sein, eine "dem vorigen Jahrhundert entstammende Einstellung" (Zeit, 21.5.82), die selber nach dem Konkursrichter ruft. Geizig waren sie und spendierten "wenn's denn unbedingt etwas Warmes sein mußte - Eintopf" (Zeit) - pfui Teufel, sowas gehört in die Kantine, nicht zur Pressekonferenz. Richtig miese Typen, denen ganz zu Unrecht ein Großunternehmen vererbt wurde, anstatt dem Herrn Hunger von der "Zeit".

Einer aber schlägt dem Faß den Boden aus: die "Sagengestalt des Wirtschaftswunders" (Spiegel, 14.6.82) - "Der Wienerwald-Gründer Friedrich Jahn scheiterte an sich selbst." Dieses Denkmal muß zur Ehre der funktionierenden Marktwirtschaft demontiert werden.

Wollte er nicht "den Mangel an formaler Bildung durch unentwegten Expansionsdrang, durch unternehmerische Maximalanstrengungen wettzumachen" suchen ( WiWo, 2.4.82)? Ist er nicht die Perversion des dynamischen Unternehmers, nämlich "hyperdynamisch" (Handelsblatt, 16.3.82 ), gejagt von der "Manie über sein Imperium in letzter Konsequenz allein zu regieren" (Zeit, 3.9.82)? Der Vergleichsantrag hat alles enthüllt.

Was ist aus dem "nüch temen Vollblutunternehmer Jahn" (Zeit, 7.3.80), dem "agilen Untemehmer, der seit 1955 wohl nie falsch geurteilt hat" (FAZ, 4.3.80), nur geworden? Jetzt ist endlich raus, warum er "sich vom Gedanken, er sei unersetzlich" (WiWo, 12.4.82) nicht lösen konnte; nicht wie man früher glaubte, weil "trotz Milliarden-Umsatz der Blick für das Detail geblieben ist" (Merkur, 21.9.79) - "omnipräsent" (WiWo) wollte er sein, hat deshalb "beim Höhenflug den Überblick verloren" (Süddeutsche Zeitung, 30.8.82).

Hat es die Presse diesem Hühnerleichenverkäufer nicht schon immer angesehen: "Jahn, der immer ein bißchen wie seine Brathähnchen glänzte" (Süddeutsche Zeitung, 30.8.82), glänzt ab sofort als Prototyp des unternehmerischen Windeis.

Und angesichts seiner Pleite erkennt ihm die vereinigte Wirtschaftsjournaille feierlich seinen Titel ab: "Die deutschsprachige Regenbogenpresse feierte ihn jahrelang als 'Hendl-König'." (WiWo, 2.4.82), so z.B. die regenbogenbunte "Wirtschaftswoche" in ihrer Ausgabe vom 19.3.79 - ohne Anführungszeichen! Oder die Hofberichterstatter vom "Handelsblatt": "Der Hendl-König herrscht in den USA über 883 Lokale" (23.12.81).

So ist bei dem ehemaligen Paradeunternehmer die Frage, ob 60 Mio Privatvermögen den Weg ihres Irdischen in die Karibik gegangen sind, ganz nebensächlich, erweist er doch der Marktwirtschaft in seiner Person einen letzten Dienst: Beweihräucherung seines Aufstiegs und genüßliches Breittreten seiner Pleite - beides zur Feier des Erfolges des Kapitals.