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Westberlin
EINE SUMPFBLÜTE DES IMPERIALISMUS
Westberlin ist eine Freiheitsoase, welche mitten auf dem Territorium des Feindeslandes liegt, unter der Kontrolle der drei Westmächte steht, von Omas, Hunden, Türken, Polizisten, Garskis, Lummers und der Gedächtnaküche bevölkert wird, Müll und Dreck vom Feindesland beseitigen läßt, eine nicht einmal selbst gebaute Mauer ihr eigen nennt und Nährboden von Filz und CS-Gas ist. Es ist ein politischer Beschluß, dem diese Freiheitsoase ihre Existenz verdankt - und dessen überaus gemütlichen Charakter da Stunde 0 der Westberliner Geschichte - die Berlin-Blockade - keineswegs verschweigt.
Die Geschichte Westberlins beginnt nicht mit der militärischen Zerschlagung des faschistischen Hauptquartiers, der Reichshauptstadt Berlin, durch die Rote Armee, der Zerstörung der Lebensmittelvorräte durch die SS und der Bevorratung der Berliner Bevölkerung mit 105.000t Getreide, 1.900t Fleisch, 4.500t Fett, 60.000t Zucker, 4.000t Salz, 50.000t Kartoffeln, 350t Kaffee und 5.000 Milchkühen aus russischen Armeebeständen. Dergleichen überläßt der freiheitliche Westen großzügig "östlicher Geschichtsklitterung".
Ein "Pfahl ins Fleisch" der DDR
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Die Geschichte Westberlins beginnt mit der Berliner Blockade und der Luftbrücke der mutigen amerikanischen Piloten - die Freiheit datiert von 1948/49. In der Berlin-Blockade wurde Westberlin als Faustpfand gegen die SU entdeckt, d.h. mit viel Liebe zu hungernden und frierenden Westberlinern klargestellt, daß es für die SU keines ist. Gründlich zurückgewiesen wurde damit das sowjetische Anliegen, mit der Blockade die Gründung eines westdeutschen, kapitalistischen Staates - von den westalliierten Siegermächten in bewußtem diplomatischen Affront ohne und gegen die Mitsiegermacht SU mittels der Währungsreform besiegelt wenn schon nicht zu verhindern, so doch ihre Mitzuständigkeit zu demonstrieren. Als sich abzeichnete, daß die SU eine Luftbrücke zuließ, mit dem Erpressungsversuch Blockade also nur bedingt ernst machte, verloren die westlichen Alliierten rasch das Interesse an der Beilegung der "Berlin-Krise".
Die "unmenschliche Fratze" des Ostens wurde so deutlich und entlarvend gezeigt, daß nur wenige Westberliner Bürger, die in den Ostsektor der Stadt fuhren und Lebensmittel und Brennstoffvorräte auf Karten des sowjetischen Kontrollrates besorgten, zu verprügeln und festzunehmen waren. Während Bürger in der BRD und in Westberlin Kerzchen für "unsere Schwestern und Brüder in der SBZ" ins Fenster stellen durften, wurde das Grundgesetz verabschiedet. Die westdeutschen Nachkriegspolitiker erkannten in der freiheitlichen Verfassung als Frontstaat das Mittel, ihre Souveränität wiederzuerlangen und machten nationale Ansprüche auf Wiedervereinigung gegen den Osten auf. Während sich das Nachkriegspublikum neben Schuttabräumen, Hunger und Not die Russen als neue, schreckliche Bedrohung vorstellen durfte, wurden die Grundlagen des Nordatlantikpaktes hergestellt. Die Westmächte zeigten sich zu keinerlei Zugeständnissen gegenüber der SU bereit, so daß dem für die Berliner Bevölkerung und sonst niemand harten Winter 48/49 die Aufhebung der Blockade folgte - im Tausch für die Wiedereinberufung des Alliierten Außenministerrates. Westberlin als "Pfahl im Fleische der DDR" (Ernst Reuter) war geboren.
Während die Westberliner kostenlos (Trümmerfrauen) bzw. für einen Stundenlohn von 72 Pf. 80 Mio. t Schutt wegräumten, während bis zum Mauerbau ostzonale Arbeiter die Gastarbeiter des Westberliner Kapitals waren (ihr Lohn wurde größtenteils in billig zu habender Ostmark abgegolten), während streng linientreu der Berliner DGB-Vorsitzende Scharnowsky im RIAS zum Klassenkampf aufrief - für drüben, versteht sich -, gab es mehrmals Gelegenheit für die Welt, auf Berlin zu "schauen". Am 17. Juni 1953 fuhren am Potsdamer Platz amerikanische Panzer auf, die Zerschlagung eines Arbeiteraufstandes gegen Arbeitsnormerhöhungen war ja auch kein Angriff auf die ostzonalen Arbeiter, sondern auf den Einheits-, Rechts- und Freiheitsdurst derer, die ihn stellvertretend für die Geknechteten im Osten im Freien Westen repräsentierten. Am 13. August 1961 wagte es die DDR, die es nach Westberliner Realität bestenfalls in Gänsefüßchen geben darf, durch die Stadt eine Grenze zu ziehen, um den Flüchtlingsstrom der eigenen Untertanen zu unterbinden, womit sie den Status der Frontstadt akzeptierte. Es ist kein Zufall, daß gerade dieser defensive Akt der DDR und der SU als die Demütigung des so überaus selbstverständlichen Anspruchs auf drüben empfunden wurde.
So sehr als Demütigung übrigens, daß das Westberliner Frontstadtbewußtsein in Gestalt der Springerpresse und des Regieren den Bürgermeisters Willy Brnndt die eigene Mittellosigkeit in Sachen erpresserischer Umgang mit der DDR als den Mangel entdeckte - gegen Adenauer, der an der kühlen Reaktion der USA - "alliierte Rechte sind nicht betroffen" - schnell genug bemerkte, daß sich das westliche Interesse an der Frontstadt nur bedingt mit den westdeutschen und Westberliner Ansprüchen auf Wiedervereinigung deckt.
Die "Normalisierung" Berlins nach der "Berlinkrise" 1958, in welcher die SU ein letztes Mal versucht hatte, einen Rückzug der alliierten Truppen aus der Frontstadt durchzusetzen, hat nichts mit einer Normalisierung zwischen Ost und West zu tun. Das Viermächteabkommen 1971 war die Anerkennung der politischen "Bindung" Westberlins an die BRD, war die Selbstverpflichtung der SU und DDR, den Transitverkehr und seine ungehinderte Abwicklung auf dem Territorium der DDR zu garantieren, war die vertragliche Festlegung der SU, davon Abstand zu nehmen, die Lage Westberlins irgendwie als Druckmittel in Anschlag zu bringen, und es war der Beschluß der USA, nicht mehr jeden verhafteten Fluchthelfer und Tunnelbauer als diplomatische Affäre, i.e. als Angriff auf sich, zu interpretieren und zu behandeln. Die Frontstadt Berlin hatte ihren Dienst getan und ist jetzt ein frei abrufbarer Prüfstein östlicher Kapitulationsbereitschaft alias "Krisenherd", und als solcher die beständige Erinnerung daran, daß die ostpolitischen Ambitionen der BRD nur im NATO-Bündnis zu betätigen sind. Die Westberliner Politik hat dieser Freiheit und Bequemlichkeit der USA, sich dieses Krisenherdes zu bedienen, mit spezieller und in ihrer Heuchelei nicht zu überbietender Devotheit gedankt. Westberlin, diese wehrlose, von keinem angegriffene und immerzu angegriffene Oase der Freiheit, macht sich seine Rolle so sehr bewußt, daß es für jede Benutzung in der Ost-West-Auseinandersetzung dankbar ist und wird gerade wegen dieser seiner Bedeutung so gemein selbstbewußt. Heute ist Westberlin, eben weil es keine "Berlin-Krisen" gibt, für sich der Beweis der moralischen Illegitimität des östlichen Systems. Das amerikanische "Ich bin ein Berliner" hat seine Härte 1982 darin, daß Ronald Reagan sich zur Erneuerung der Schutzgarantie für Westberlin jede Imagination einer Bedrohung durch den Osten spart, - daß es "drüben" gibt, die Mauer steht, Westberlin bloß eine Freiheitsinsel ist, ist die Bedrohung, die nach Waffenschutz verlangt.
Jenseits aller ökonomischen Kriterien wird Westberlin für diese Funktion als Frontstadt erhalten und gehalten. über 40% des Berliner Haushalts bestehen aus Bundeszuschüssen, und von der BRD werden diese Zuschüsse im vollen Bewußtsein dessen, daß es sich um keinerlei lohnende Kosten für kapitalistisches Geschäft handelt, zu den "Verteidigungsausgaben" gerechnet, welche der "Verteidigung im Sinne der Sicherung ihrer Freiheit nach außen dienen" (Weißbuch 1970). Neben den Prunkbauten westlicher Überlegenheit, wie der inzwischen leicht lädierten Kongreßhalle, architektonischen Monstern, wie dem ICC und der Autobahnüberbauung Schmargendorf, Extravagantheiten, wie der Philharmonie und der Staatsbibliothek, der gelungenen Ersetzung der Prachtstraße "Unter den Linden" durch den Kurfürstendamm und den vom Standpunkt der Verkehrsplanung so zweckmäßig zur Mauer führenden Autobahnen, vergammeln ganze Stadtviertel ünd hausen Dreck und Armut vis a vis. Die Ideologie des letzten Vogelwahlkampfes - "wir haben den 'Übergang' von unserer weltpolitischen Bedeutung zum Uns-Kümmern um unsere 'normalen' Probleme als Stadt verpaßt" (hier taucht als Vergleich bezeichnenderweise nicht München, sondern New York auf) - trägt in Form einer albernen und verlogenen Selbstkritik der Tatsache Rechnung, daß die BRD sich dieses Freiheitssymbol nicht mehr so viel kosten lassen will, die Subventionierung Westberlins aus dem Sparprogramm deshalb nicht ausgeklammert bleibt. Schließlich liegen die "Krisenherde" und "Freiheitssymbole" der NATO inzwischen längst im "östlichen Machtbereich" selbst.
Verpaßt worden ist also nichts, und das Vergammeln Westberlins zum Bangkok der Nation ist die Folge einer durch die Politik hergestellten Ökonomie, die um der Prinzipien der Freiheit willen selbst dort aufrechterhalten wird, wo unter Rentabilitätsgesichtspunkten Kapitalanlage uninteressant ist.
Repräsentation von Ökonomie im Dienste der Freiheit
Der spezifischen Verkehrung der Berlin-Förderung - um des politischen Zwecks willen am Standort Berlin ein Wirtschaftsleben ingangzubringen, für das eine ökonomische Basis in der Inselstadt nie und nimmer gegeben ist - entsprechen dann auch die einzelnen Förderungsmaßnahmen der Berlinhilfe und die durch sie ermöglichten Geschäfte.
- Die Umsatzsteuervergütung für Abnehmer wie Lieferanten in Westberlin hergestellten Warenkapitals: Sie hat westdeutsche Kapitale zur Einführung des Verlagssystems in Westberlin bewegt; in Form von Zwischenstufenprodukten, die sich allein aufgrund der Umsatzsteuerpräferenz lohnt, wobei bei der so gestatteten Geschäftssphäre die in Berlin produzierte Produktstufe lässig gegen 0 gehen kann. Die Zeiten, in denen tiefgefrorene Schweine über die Autnbahnen transportiert worden sind, um, in der Mitte durchgeteilt, als Hälften "veredelt" mit etlichen Prozenten Berlinförderung und Steuergewinnen weiterverkauft zu werden, sind so gründlich (nicht) vorbei, daß sich das Berlinförderungsgesetz (Fassung 1982) in Paragr. 4 ausgiebig mit dem Entbeinen von Fleisch beschäftigt:
"Kotellettstränge, Köpfe von Schweinen, Eis- und Spitzbeine von Schweinehalften, sowie Köpfe, Füße und Schwänze brauchen nicht entbeint zu werden. Da Lieferungen und Innenumsätze dieser nicht entbeinten Gegenstande werden nicht begünstigt."
Und Paragr. 6 befindet es für nötig, festzustellen, daß "Kennzeichnung, Umpacken, Umfüllen, Sortieren, das Zusammenstellen von erworbenen Gegenständen zu Sachgesamtheiten und das Anbringen von Steuerzeichen nicht als Bearbeitung oder Verarbeitung" gelten.
- Die Inuestitionszukige von 10-35% auf den Anschaffungspreis der Produktionsmittel je nach Art der Investition (das industrielle Kapital, wird vor Handel und Dienstleistung bevorzugt), und die Aschreibungserleichterungen auf Investitionen (bis zu 75% im Anschaffungsjahr), d.h. die weitgehende Übernahme der Kosten des moralischen Verschleißes der Produktionsmittel durch den Staat: Sie erlauben einerseits schlagkräftigen Kapitalen, in Berlin kostengünstig und jenseits konjunktureller Kalkulationen Produktions- und Entwicklungsabteilungen mit besonders hohem Anteil an konstantem Kapital aufzubauen bzw. bestehende Produktionen beschleunigt durchzurationalisieren. Auf der anderen Seite schaffen sie damit eine blühende Sorte Extra-Geschäft, der die Auflage Rechnung trägt und zugleich die Verlaufsform gibt, daß mit diesen Vergünstigungen in Westberlin angewandtes konstantes Kapital zumindest ein bis drei Jahre (d.h. bis zu seiner vollständigen Abschreibung unter o.a. Vorzugsbedingungen) dableiben muß: Die Inanspruchnahme dieser Investitionshilfen wird zum alleinigen Grund der Investition, auf deren profitables Fungieren in der Produktion von Kapital es überhaupt nicht mehr ankommt, da ihr Zweck sich mit der gewinnbringenden Veräußerung der erworbenen Produktionsmittel in der BRD nach Ablauf der Sperrfrist erfüllt. (Der daraus anfallende original Berliner Unternehmergewinn unterliegt wie derum der Körperschafts- und Einkommensteuervergünstigung bis zu 30 bzw. 50%.)
- Grundlagenforschung nimmt in den letzten drei Jahren einen Schwerpunkt in der Berlin-Hilfe ein. Spitzensätze in Sachen Nachlässe bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer sowie hohe Investitionszulagen beweisen dies. Weil die Forschung in Mikroelektronik, Datenverarbeitung, Gentechnologie o.ä. eine konjunkturunabhängige und nicht standortbedingte -unabdingbare Grundlage der Wirtschaft darstellt, die im nationalen Interesse der BRD liegt, bekommt Berlin einen Teil davon ab. Eine "Berlin-Hilfe", die ganz auf der Linie ihrer Kostensenkung liegt.
Die so dem Kapital angebotenen Kalkulationsfaktoren werden von diesem folgerichtig an den Subventionsbedingungen für Investitionen in Entwicklungsländern gemessen, wie es die Ford AG anläßlich der Standortentscheidung über ein neues Teilwerk vorführte. Bevor Ford beschloß, sich in Westberlin statt im Fernen Osten "anzusiedeln", erbrachte der Senat folgende Vorleistungen: 32 Mio DM für das Industrieareal, 25,8 Mio für den Abriß der alten Gebäude (ehemals Hoesch), 9,5 Mio für die baureife Herrichtung, 50 Mio für auf die Bedürfnisse der Ford AG maßgeschneiderte Werkshallen und 15 Mio Investitionszulage auf die Maschineninvestition von 60 Mio DM. Jährlich sind zudem 10 Mio DM aus der Umsatzsteuervergütung zu erwarten.
Was die Ford-"Ansiedlung" lediglich auf besonders spektakuläre Weise deutlich machte (ein amerikanischer Konzern nimmt die Produktion in Berlin auf), ist das Prinzip aller Leistungen für das Eigentum in Berlin. Sie daran zu messen, ob sich die so inganggesetzten Geschäfte für die Stadt ökonomisch auszahlen, ist ziemlich abwegig, wo ihr erklärter Zweck gar kein ökonomischer ist, sie vielmehr allesamt der Demonstration der "Lebensfähigkeit Berlins" gelten. Und daß dies nichts damit zu tun hat, daß die Bewohner der Stadt dort gut leben könnten (von den 150 Mio für Ford könnten die dort beschäftigten 700 Leute 10 Jahre lang ganz ohne Schichtdienst und Verschleiß leben), ist auch für den Berliner DGB eine ausgemachte Sache. Er hat gegenüber dem in Westberlin fungierenden Kapital, dem er eine kostengünstige Arbeiterklasse zur Verfügung stellt, nur die eine Klage, daß Kapitalisten Kapitalisten sind und nicht, wie Frontstadtbürger stolz auf Durchhaltetugenden, aus purem Nationalismus ihre Produktion in Berlin aufmachen bzw. belassen.
In diesem Schaufenster des Westens, diesem Vorposten der Freiheit, werden keine Kosten gescheut, um rastloses Schaffen für den Profit, um die Freiheit des Eigentums zu repräsentieren. Daß um seiner "politischen Funktion" willen die Tauglichkeit des "Standorts Berlin" fürs Geschäftemachen außer Zweifel zu stehen hat, heißt in der Praxis: Der Profit wird damit staatlich garantiert, daß das Geschäft unter Benutzung Berlins stattfindet, unabhängig davon, ob sich das in Berlin angelegte Kapital überhaupt in der Konkurrenz als Kapital bewährt. Diese Art der Wirtschaftsförderung, die sich an dem fiktiven Charakter der von ihr politisch in die "Lebensfähigkeit" gerufenen Ökonomie keineswegs stört, ist so notwendigerweise die Grundlage für Scheingeschäfte, Korruption und Schwindel - und das erst recht in jenem konsequenterweise zentralen Bereich der Berlin-Hilfe, der Herrichtung des Grundeigentums zum lohnenden Geschäft.
Berliner Boden - eine staatlich präparierte Goldgrube
Denn die Investition von Kapital in den Berliner Grund und Boden, die Bautätigkeit, repräsentiert so recht die unmittelbarste Verkörperung des Vertrauens in die langfristige Zukunft des Standorts Berlin, eine Zukunft, in der die Freiheitsinsel wieder freies Land um sich hat und endlich erneut zum Zentrum wirklicher Geschäfte wird.
Die besondere Art und Weise, wie die Berlin-Hilfe das Spekulieren mit Grund und Boden lohnend macht, bringt auf der einen Seite die netten Bauskandale Steglitzer Kreisel, Kudamm-Karee etc. hervor, auf der anderen Seite das Vergammeln ganzer Stadtviertel. Denn die Rentabilität hier getätigter Anlagen bemißt sich konkret nicht danach, ob sie als Kapital fungieren und Profit abwerfen, sondern danach, wieviel Steuern auf in der BRD gemachte Profite sich damit sparen lassen:
- Die Abschreibungsgesellschaften beurteilen ihr Eigentum allein danach, daß es Kosten verursacht, wobei selbst Totalbankrotte sich über die Verrechnung auf anderswo erzielte Profite lässig durch steuerlichen Verlustvortrag in einen Nettogewinn verwandeln lassen.
- Damit auch der Massen-Wohnungsbau als Sphäre Berlinspezifischer Geschäfte erschlossen wird und so dann immerhin bedingt stattfindet, arrangiert der Senat Siedlungsgründungen (Märkisches Viertel, Gropiusstadt), deren geschäftsmäßige Abwicklung er von ihm ins Leben gerufenen Bauträgergesellschaften überträgt. Er eröffnet damit nicht nur ein neues Feld für Bodenspekulation nach den üblichen Kriterien, sondern macht den sozialen Wohnungsbau selbst zu einer der lukrativsten Kapitalanlagen, die Berlin zu bieten hat: Die Tatsache des Geld ausgebens selbst wirkt bereits unmittelbar steuermindernd, der Bau zieht quasi automatisch billige öffentliche Kredite auf sich, die Abschreibungserleichterungen garantieren, daß der ursprüngliche Kapitalvorschuß schnell wieder freigesetzt wird. Und die so berechnete Kostenmiete von DM 30 (!) pro qm, wovon über 70% auf Kreditkosten und Abschreibungen entfallen, garantiert der Staat durch seine Mietzuschüsse. Der Leerstand solcher Wohnungen bei 50.000 Wohnungsberechtigungsscheinbesitzern und 70.000 Anwärtern auf solche Berechtigungen zeigt übrigens, daß diese Zuschüsse nun wirklich nicht daran bemessen werden, den Bewohnern der Stadt erschwingliches Wohnen zu ermöglichen.
- Mit der Aufrechterhaltung des schwarzen Kreises, der Altbaumietenbewirtschaftung, trägt der Senat dem Umstand Rechnung, daß die staatliche Herrichtung von Grund- und Hauseigentum in Berlin als einträgliche Geschäftssphäre an der Armut der Bevölkerung eine Schranke hat. Mit den Altbaumietern soll nur bedingt ein Geschäft gemacht werden, wofür der Staat Grundeigentümer nicht schlecht belohnt. Durch erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten stellt bereits der Kauf eines Mietshauses den Gewinn dar. So ist staatlich garantiert, daß die Mietshäuser verrotten, weil es gar nicht der ökonomische Umgang mit Kapital ist, der das Geschäft ausmacht: Jede Instandsetzungs-Mark ist hier reine Un-Kost.
- Da diese Form des Umgangs mit dem Grundeigentum zum Verfall der Wohnungen führt, macht der Staat seinen Grundeigentümern weitere Auflagen in Form von Angeboten für sie: Er erklärt Teile von Wohngegenden zu Sanierungsgebieten. In sanierten Gebieten steigen die Mieten und damit der Wert des Grundstückes, wichtiger aber noch für die staatlich eröffnete Grundstücksspekulation ist die Kreditträchtigkeit eines im Sanierungsgebiet liegenden Hauses. Es zieht Staatszuschüsse in Form äußerst zinsgünstiger Darlehen und weiterer Einkommensteuererleichterungen nach sich. Verrottenlassen ganzer Straßenzüge ist die Voraussetzung, daß der Staat sie zum Sanierungsgebiet erklärt. Da der Umgang mit Grundeigentum in Westberlin auch in der Weise eingeschränkt ist, daß der Eigentümer ein Haus nicht einfach abreißen darf, aber umgekehrt die höchste staatlich garantierte Profitabilität im Neubau von Wohnungen liegt, gibt es das Interesse an Totalverrottung ebenso wie an Leerstand, dessen Herbeiführung den Geschäftszweig der planmäßigen Brandstiftung in Dachstühlen zum Blühen brachte. Dieser bewährt sich auch bei der Entmietung zwecks Altbausanierung, welche über Modernisierungszulagen und die steuerliche Begünstigung von (modernen) Einbauten wie Öfen, elektrischen Leitungen und Innentoiletten - alles keine Selbstverständlichkeiten im Westberliner Altbau - lohnend gemacht wurde.
- Der Staat gründet Kapitalgesellschaften die senatseigenen Wohnungsbaugesellschaften -, welche dem Grundeigentum den Profit über den Ankauf solcher Häuser garantieren. Ihre Verluste beim Ankauf der Häuser trägt der Senat. Zu funktionieren haben sie nach haushälterischen Gesichtspunkten, was heißt, flotte Maßstäbe der Billigsanierung zu praktizieren.
Von Anfang an waren dem Senat die Instandbesetzungen so unangenehm nicht, bedeutet doch die Instandhaltung von Häusern aufgrund der vom Senat in die Welt gesetzten Maßstäbe nie lohnende Ausgaben. Dies die Grundlage von diversen Überlegungen, den Hausbesetzern Nutzungsverträge oder Erbpachtverträge anzubieten.
"Vielleicht ist ein Vergleich mit dem Experiment des freiwilligen Arbeitsdienstes Anfang der dreißiger Jahre nicht abwegig - nur mit dem Unterschied, daß damals das Problem der Illegalität von Besetzungen nicht auftrat." (Süddeutsche Zeitung, 4.2.81)
Dieses "Problem" zu erledigen, wird sehr gelassen dem Innensenator und seiner Polizei überlassen - und es zeugt von nicht gelinder politischer Dummheit der Hausbesetzerszene, aus dem bequemen Nebeneinander von staatlichem Gewaltmonopol und Verwendung der Szene als entgegenwirkende Ursache gegen Verslumung ein Plus für den Bausenator Rastemborski gegen den Innensenator Lummer zu verfertigen.
Die Westberliner Bevölkerung: Nützliches Material für die Repräsentation der Freiheit...
Die Berliner Bevölkerung erfährt ihre bedingte Brauchbarkeit für die Symbolisierung aei Freiheit auf entsprechend spezifische Weise. Wer zu dem für die Berliner Repräsentationsökonomie nützlichen Menschenmaterial gehört, also einen richtigen Arbeitsplatz hat, findet sich mittels Berlinzulagen, die sich für den Arbeitgeber als Verbilligung des Lohnes niederschlagen, halbwegs auf dem Niveau der Einteilungskunst westdeutscher Arbeiter. Er kann sich immer wieder die Rechnung aufmachen, ob sich die Abwanderung in den Westen lohnt bzw. erschwinglich ist oder nicht (auch das gehört zur Freiheit) und kann im negativen Fall an der Trostlosigkeit seines "Insel"-Daseins seine besondere Berliner Heimatliebe entwickeln.
Andererseits macht sich die spezifische Beschränktheit des Standorts Berlin auch als Beschränktheit des vorhandenen Ausbeutungsmaterials geltend. Während auf der einen Seite für Westberliner Arbeiter die Kalkulation "Bleiben oder Abhauen" immer wieder zugunsten des letzteren ausfällt, zumal in Zeiten, wo in der BRD die Geschäfte laufen, erzeugt die Berliner Ökonomie laufend ein spezielles "Angebot" an miesen, schlecht bezahlten bzw. harten Jobs etwa in den aus steuerlichen Gründen aufgezogenen Zwischenproduktionen oder der Baubranche, zu deren Befriedigung ein inzwischen längst sechsstelliges Kontingent legal und "illegal" eingereisten Ausländern zur Verfügung steht, die ganz handfeste existentielle Gründe haben, nach Berlin zu gehen.
...und funktionslose Armut...
Von unsicheren Hilfsdiensten für die eingerichtete Ökonomie und deren Beschäftigte und Nutznießer lebt schließlich noch eine ganze Szene Zehntausenden von Klitschen und Kleinbetrieben sowie Eckkneipen, Kiosken, Eier-, Kohlen-, Kartoffel- und Trödelläden, in denen eine Art Reproduktion betrieben wird, die nur als Selbstausbeutung zu bezeichnen ist und auf die staatliche Wirtschaftsförderungs- und Sanierungspolitik so sehr Rücksicht nimmt, daß geringfügige Mieterhöhungen den Besitzern den Garaus machen und dem halbwegs blühenden Geschäftszweig der Sexläden neuen Raum verschaffen.
Notwendigerweise versammelt sich in Westberlin auch gehäuft das tote Gewicht der Arbeiterklasse, die offiziell für unbrauchbar erklärten alten Leute, für die jegliche Kalkulation mit der Abwanderung gegenstandslos, das Aushalten längst zum zentralen Lebensinhalt geworden ist.
...als Lebensstil
Die in Berlin produzierte Szene einer in funktionsloser Armut neben der Repräsentationsökonomie lebenden Bevölkerung war fruchtbarer Boden dafür, daß zumal diejenigen, denen schon in und nach der Ausbildung ihre eigene Nutzlosigkeit vorgeführt wurde, in ihr eine neue, alternative Lebensweise entdeckten. Die Alternativszene und Aussteigerkultur unterscheidet sich von der Normalszene vor allem in der zusätzlichen Intellektuellendrehung ihres falschen Bewußtseins: Was sich hier als Handwerkerkollektive, Reparaturwerkstätten in den alten Fabriketagen der Jahrhundertwende einnistet und sich in feuchten Souterrainläden als Trödel-Lila und Bio-Laden auftut, ist funktionslose Armut als freiwilliger Lebensstil.
Der "Berliner Charakter"...
Die Leistungen des Aushaltens und Einteilens, der Opferbereitschaft und Genügsamkeit, die die Freiheitsinsel ihren Bewohnern in besonderem Maße abverlangt und die die Berliner Normalbürger sich deshalb als Tugenden halten, wenn die Alternative des Abhauens sich für sie nicht stellt, wird durch die Politiker konsequent ideologisch vollendet durch ihr Lob als spezifische Tugenden des Berliner Charakters. Der bescheuerte Stolz der Frontstadtbürger, mit ihrer unbedingten wehrhaften Opferbereitschaft für den politischen Zweck Berlins - zu der die Kultivierung des "respektlosen Galgenhumors als "Berliner Witz" bestens paßt - weltweit als lebendes Symbol der Freiheit zu gelten, wird so selbst noch einmal zur politischen Waffe gegen den Osten. Ihr Einsatz nicht nur in Form fähnchenschwingender Massenkulisse für die alliierten Truppenparaden und die eindeutigen Kampfansagen an den Osten, für die die Staatsmänner der Freien Welt natürlicherweise Berlin zum bevorzugten Ort erkoren haben, verträgt daher auch nicht den Anflug von Betätigung einer in diesem Sinne destruktiven Gesinnung.
Die Art und Weise, wie die Alternativszene die spezifischen Berliner Durchhaltetugenden als besonderes "Lebensgefühl" praktiziert, wird da nur recht bedingt als Bereicherung der Freiheit, als Markenzeichen Berliner "Liberalität" vereinnahmt. Sie taugt durch aus als Aushängeschild für die "Attraktivität Berlins für die Jugend", mit dem das "Informationszentrum Berlin" in seiner Broschüre "Berlin für junge Leute" die zu den obligaten Klassenfahrten anreisender Oberschüler der Nation anmacht:
"Alternativ leben ist letztlich die Erkenntnis daraus, daß Terror, Drogen und Dogmatismus nichts positiv bewirkt haben." "Die neue (alternative) Idee: Nicht primär die Gesellschaft ändern, sondern erst einmal eine eigene, funktionierende Alternativ-Gesellschaft schaffen, in der man mehr oder weniger (!) ungestört neue soziologische, ökonomische und ökologische Modelle entwickeln kann. Tatsache ist: In Berlin funktioniert die alternative Szene erstaunlich gut. Überall in Kreuzberg, aber auch in Tiergarten... sind die 'Spuren' der Alternativen unübersehbar. Es gibt makrobiotische Tante-Emma-Läden, kleine, kollektiv geführte Gewerbebetriebe aller Art, Kinderläden, Kneipen, Cafes, Buchläden, Theater-, Ärzte- und Rechtsanwaltskollektive und vieles andere. Seht euch mal um!"
Ein Lob, das recht deutlich zu erkennen gibt, wo um der Liberalität willen die Hetze gegen die Alternative Szene zu beginnen hat und der Einsatz des Berliner Gewaltapparates gegen sie angebracht ist.
...und die gewaltsame Sicherung seiner Festigkeit
Den Verdacht, daß es laufend Gründe gibt, gegen Gesetz, Recht und Ordnung in dieser tiziert die Westberliner Polizei mit einem aufwendigen Apparat, der durchaus zur Rechtslage einer Stadt paßt, die immer noch unter B esatzungsmachtverhältnissen lebt: Kasernierte Bereitschaftspolizei und "Kontaktbeamte" mit eingerechnet ergibt einen Ordnungshüter pro 50 Kopf Westberliner Bevölkerung. Hinzukommen 12000 alliierte Sqldaten und diverse Bürgerwehren. Die Polizei wird politisch kommandiert von einem Innensenator, dem ins Gesicht geschrieben ist, daß er die Gewaltmitteln, die ihm sein Amt verleiht, regelrecht als Bereicherung seiner Persönlichkeit genießt. Als Frontstadtpolizei haben sich in Westberlin die exekutierenden Organe der öffentlichen Gewalt noch weniger Zurückhaltung im Dienst aufzuerlegen, als vergleichsweise anderswo in Westdeutschland. Ihre Scharmützel mit Pennern, Rauschgifthändlern, Punks und Ausländern fallen entsprechend brutal aus und sind nicht gerade gesundheitsfördernd für die Festgenommenen.
Im Umgang mit der Hausbesetzerszene und politischen Demonstrationen sieht die "Berliner Linie" so aus, daß sich die Polizei das "Gesetz des Handelns" bei keiner Gelegenheit aus der Hand nehmen läßt und die "Gewaltfrage" auch dann prophylaktisch aufmacht, wenn am friedlichen Charakter politischer Aktionen und Demonstrationen nicht gezweifelt werden kann. Der polizeiliche Verdacht auf Unbotmäßigkeit in Gestalt von Randale oder auch nur "Vermummung" hat sich längst vom Tatbestand oder auch nur von Indizien für ihn emanzipiert: Ob, wie auf der Schlußkundgebung der El-Salvador-Demonstration, die Polizei zu deren vorzeitigem Abschluß Tränengas und Wasserwerfer einsetzt; ob, wie bei der Hausbesetzerdemonstration am Chamissoplatz die Polizei alle Straßen abriegelt, damit ein friedlicher Ausgang der Demo ihr nicht das Abkassieren von Hausbesetzern erschwert; ob, wie bei der Anti-Reagan-Demonstration Nollendorfplatz, die Demonstration mit NATO-Draht eingekesselt und die Straßenschlacht auch formell nicht der Entscheidung irgendwelcher Demonstranten anheimgestellt wird - allerorts setzt sie, die Polizei, Fakten, die der Schaffung von Tatbeständen wie "Widerstand gegen die Staatsgewalt" günstige Voraussetzung schaffen und ihrer juristischen Würdigung reiches Material zuführen. Regelmäßige Berichte der "vorläufig Festgenommenen", daß auf den Revieren ihre Bestrafung mittels im StGB nicht vorgesehener Sanktionen vorweggenommen worden sei, wofür sich auch ärztliche Atteste vorlegen lassen, werden von der politischen Führung der Polizei natürlich dementiert. Ihren Zweck erfüllen solche Klagen der Betroffenen jedoch ebenso, wie die oben angeführten polizeilichen Vorbeugemaßnahmen: In Westberlin muß jeder Demonstrant damit rechnen, bei einer Demonstration zu Schaden zu kommen, gleichgültig wie die Demonstration verläuft und wie sie ausgeht.
Innensenator Lummer vollendet so die "Berliner Linie", indem er neben den im Senat angestellten pragmatischen Überlegungen, mit den Hausbesetzern ins Geschäft zu kommen, immer wieder einmal seine Polizei ein besetztes Haus zur "kriminellen Fluchtburg" erklären und stürmen läßt. Das hat diesen Mann bei "echten Insulanern" populär gemacht. Er "verliert die Ruhe nicht": Beim Tod des Demonstranten Rattey verzichtete er ebenso auf das Heucheln von Anteilnahme, wie ihm nichts so fern liegt wie die sonst üblichen demokratischen "leider-müssen-wir"-Floskeln. Dieser Mann schiebt ungerührt Palästinenser ab, die da, wo sie hingeschoben werden, der Tod erwartet, um sein Berlin von unerwünschten Ausländern sauber zu halten. Westberlin ist eben ganz und gar ein Symbol der Freiheit.