Info
Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1982 erschienen.
Britische Gewerkschaften:
IM (ARBEITS-)DIENSTE IHRER MAJESTÄT
"Das einzige, was ich von der Gewerkschaft erwarte, ist, daß sie sich ihrer nationalen Aufgabe, die Produktivität zu steigern, bewußt wird." (Margaret Thatcher)
Die Gewerkschaft hat ein nützliches Anhängsel nationaler Wirtschaftskraft zu sein diesen kategorischen Imperativ aus dem Notenbüchlein des demokratischen Politikers trägt die englische Premierministerin als Kampfansage vor. Ohne den geringsten sozialpartnerschaftlichen Schnörkel weist sie jeden, wie auch immer gearteten Anspruch der Gewerkschaft zurück, verlangt umgekehrt von ihr, sie solle die Krise dadurch beseitigen, daß sie sie bis zum letzten ausbadet.
Eine Forderung darf die Arbeit schon stellen, nämlich bedingungslos vom Kapital benutzt zu werden. "Sanierung der Wirtschaft", aber ohne Aussicht auf Besserung der Lage der arbeitenden Klasse, im Gegenteil - dies ist die durch Taten vorgebrachte Botschaft. Arbeitslose müssen sein, die Wirtschaftspolitik will sie, also werden sie auch zunehmen. Für Großbritannien charakteristische Formen des gewerkschaftlichen Widerstands werden verboten und notfalls mit Gewalt unterdrückt.
Krise ist Staatsprogramm, für dessen Durchführung einerseits die Schädigung der Wirtschaft unumgänglich, langfristig aber segensreich sei, wofür andererseits die Verheißung von Arbeitsplätzen absolut nicht in Frage kommt. Aufgabe der Gewerkschaften ist es nicht, mit dem Arbeitsplatzgedanken hausieren zu gehen, sondern Unternehmen zu sanieren; bislang ist die Arbeiterklasse überhaupt der störende Faktor gewesen: Erstens in ihrer Existenz, denn es gibt zu viele Arbeiter und sie sind zu faul (gewesen), zweitens haben ihre Kampfmaßnahmen in der Vergangenheit zum Ruin des nationalen Wohls geführt. Die Produktion von Arbeitslosen ist also unerläßlich zur Gesundung der Wirtschaft und breit ausgemalte Elendsschilderungen sowie Hiobsbotschaften über künftige Arbeitslosenzahlen taugen als Belege für die Richtigkeit und "Glaubwürdigkeit" der Regierungspolitik.
Ungerührt beruft sich Mrs. Thatcher bei jedem Angriff darauf, daß sie doch nun schon drei Jahre Härte zeige, daß "also" die täglichen Härten für sie sprächen. Der von ihr eingeschlagene Kurs samt seiner negativen Wirkungen ist Beweis nur für eins: daß er fortgeführt werden muß. Je tiefer und schwerer die Krise, um so nachdrücklicher die tautologische Botschaft, daß man da "durch" muß - und daß nur die Krisenbejaher auch die fähigen Krisenbewältiger sind. So etwas beeindruckt auf Dauer noch den letzten kritischen Begutachter, so daß schließlich ein liberales Blatt wie der "Guardian" nicht umhin kommt festzustellen:
"Die Arbeitslosigkeit ist kein Thema mehr."
Die garantierte Existenz von 3 Millionen Arbeitslosen (und mehr) beseitigt das demokratische Problematisieren; hier handelt es sich um wirtschaftliche Notwendigkeiten, auf die man sich beruft, nicht jedoch sie anzweifelt.
Wie es sich für eine anständige demokratische Opposition gehört, ist die Labour Party mit den Schicksalsfragen der Nation, so wie sie die Regierung aufgemacht hat, einverstanden und erlaubt sich auf Basis dessen den Angriff, ob denn die Regierung des richtigen Umgangs mit der Krise fähig sei. Von der Regierung bekommt sie zu hören, gerade die Labour-Versäumnisse der früheren Regierungsperioden - die Verfallserscheinungen der Wirtschaft tatenlos beguckt, schlimmer noch: durch Duldung des gewerkschaftlichen Übermuts erst richtig hervorgebracht zu haben - hätten den jetzigen Notzustand notwendig gemacht, und eben so hätte Labour sich selbst disqualifiziert, was die Behebung des Notzustands angeht.
"Legt man die üblichen Maßstäbe an, müßte sich Margaret Thatcher in ernsthaften politischen Schwierigkeiten befinden. Die Arbeitslosigkeit hat sich bei 14% eingependelt und Fachleute prophezeien weiteren Anstieg. Sowohl die Wirtschaft wie auch die Gewerkschaften verlangen dringend mehr öffentliche Ausgaben, zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Investition und Produktion stagnieren. Aber anläßlich der Parlamentseröffnung letzte Woche schwor Thatcher, denselben knallharten Monetarismus weiterzuverfolgen. Der hat sie zu dem gemacht, was sie heute ist - eine überraschend populäre Staatschefin." (Newsweek, 11/82)
Die Kampfansage der "überraschend populären Staatschefin" hat das britische Arbeitsvolk vor eine düstere Alternative gestellt: Elend oder Elend! Entweder Unterwerfung unter die "Sanierungs"maßnahmen, bedingungslose Brauchbarkeit und "Förderung der Produktivität", darin fest eingeschlossen die Aussicht auf Entlassung und ständige Senkung des Reproduktionsniveaus - oder sofortige Entlassung. In ihren eigenen Betrieben hat die Regierung vorexerziert, daß die geringste Unbotmäßigkeit mit Schließung zu beantworten ist, weil "Sanierung" dann ja per definitionem unmöglich sei - und sie hat in ihrer Gesetzgebung zu den gewerkschaftlichen Rechten den uneinsichtigen Elementen die Rechnung aufgemacht, daß sie die Illusion eines Spielraums zur Abwehr der schlimmsten Auswirkungen mit Schädigung der eh sehr schmalen Streikkasse, sogar mit Gefängnis bezahlen müssen.
In "ernsthafte politische Schwierigkeiten" kommt Mrs. Thatcher deshalb nicht, weil Arbeiter und Gewerkschaften ihre Alternative: den Aufstand, nicht ins Auge gefaßt haben - im Gegenteil dem Regierungskurs seine grundsätzliche Berechtigung nicht bestreiten. Daran läßt sich freilich die Frage anschließen, ob die staatlichen Ziele nicht mit den falschen Mitteln verfolgt würden: Die Gewerkschaften treten mit Mrs. Thatcher in eine wirtschaftspolitische Diskussion ein:
"...Politik der Gewerkschaftsbewegung zielt darauf ab, die Wirtschaft des 'Vereinigten Königreichs' zu stärken."
das heißt
"die Regierung zu befähigen, ein industrielles und wirtschaftliches Gesundungsprogramm durchzuführen." (TUC-Broschüre)
Und darin erlauben sie sich um so schärfere Töne, je arroganter und der eigenen Gewalt bewußt die Tories abweichende Vorschläge zurückweisen.
"Wir wollen Rekrutierung, nicht Reduzierung!"
Den zutiefst nationalistischen Gedanken, ob die Regierung nicht aus einem blühenden Großbritannien eine industrielle Wüste, "wasteland", verfertige, haben kürzlich wieder die Bergarbeiter kämpferisch vorgetragen. 30% Lohnerhöhung und Verbot weiterer Minenschließungen wollten sie unter Führerschaft des radikalen Buhmannes Arthur Scargill im Streik durchsetzen, um dann in der Urabstimmung allen Kampfmaßnahmen abzuschwören: Die von der Regierung angebotenen 8,5% wurden akzeptiert wie auch die Mitteilung, daß weitere Schließungen anstehen. Das groteske Mißverhältnis zwischen Forderung und Durchsetzung verrät, daß es auf die Forderung im Sinne einer Sicherung oder gar Verbesserung des Bergarbeiterlebens von vornherein nicht ankam. Vielmehr hatte sich die Forderung, gerade in ihrer Radikalität dem nationalen Wohl auf eine für die Bergarbeiter typische Manier unterstellt:
30% sollten herauskommen können, wenn sich die Regierung zur Aufnahme eines neuen Energieprogramms entschließen würde, und der ganze Vorwurf bestand darin, daß mit den nationalen Ressourcen leichtfertig umgegangen werde. In Erinnerung an ihre erfolgreichen Streiks Anfang der 70er Jahre, wo sich das nationale Energieprogramm tatsächlich auf die Kohle stützen wollte, pochten die Bergarbeiter darauf, daß ihre "Rekrutierung" doch wohl unmöglich gegen staatliche Absichten verstoßen könne. Sehr konsequent forderten die Miners also auch sofort einen Importstop für ausländische Energie; das "Problem", daß die englische Regierung ihre Energie-Überlegungen mittlerweile auf das Nordsee-Öl stützt - ein Gedanke, den die Bergarbeiter ja durchaus anerkennen wollen - wollten sie durch eine "ausgewogene Verteilung" nationaler Schaffensenergie gelöst wissen:
"Die Miners sind bereit, gegen die Regierung in den Krieg zu ziehen."
Die ganze Radikalität eines Arthur Scargill besteht also darin, sich als wirtschaftspolitischer Kontrapart der Regierung aufzuspielen und dafür seine Gewerkschaft vorzuzeigen. Seine Basis hält das für sehr berechtigt, wählt ihn deswegen auch regelmäßig und weiß säuberlich zu trennen zwischen der Demonstration berechtigter Anliegen und tatsächlicher Durchsetzung über die Selbstdarstellung nationaler Bedeutsamkeit hinaus können sie noch den "Genuß" mit nach Hause nehmen, daß sie im Vergleich der Einzelgewerkschaften mal wieder Eindruck gemacht haben. Die spezielle Borniertheit englischer Gewerkschaftsorganisation - miteinander konkurrierende berufsständische Einzelgewerkschaften, deren zentrales Anliegen die Aufrechterhaltung einer Skala der Gerechtigkeit ist, nämlich die genaue Beachtung der "gerechten" Lohndifferenzen - hat sich angesichts dessen, daß nun die Regierung die Löhne vorschreibt und ständig nach unten drückt, zu einem neuen "Höhepunkt" vorgearbeitet: Im Dachverband TUC machen Gewerkschaftsführer Punkte gegeneinander in der (radikalen) Demonstration sehr nationalbewußter und verantwortlicher Wirtschaftsalternativen, wobei die Wendung gegen das Ausland zum festen Repertoire gehört:
- "Selektive Einfuhrkontrollen"
- "Kontrollen der Auslandsinvestitionen"
- Behinderungen bei der Entladung importierter Autos
- Kurzstreik gegen hohe Stahleinfuhren. Die Basis darf sich den sehr immateriellen Lohn abholen, daß ihre Stimme gehört wurde, und der TUC selber repräsentiert so nur noch, daß - alle Wirkungen staatlicher Wirtschaftspolitik unterstellt - Opposition gegen "wasteland" in der Arbeiterklasse existiert, diese also die schofele Behandlung durch die Regierung nicht verdiene:
"Sie ist unmoralisch, weil sie die Egoistischen und Egozentrischen stärkt gegen die Ehrlichen und Anständigen. Sie beseitigt die grundlegende Freiheit des Rechts auf Arbeit. Sie funktioniert nicht, weil unsere Industrie langsam vor die Hunde geht und alle Mittel zur Heilung unserer Wirtschaft zu Asche werden."
"Die Gewerkschaften haben dazu beigetragen, die Industrie zu erneuern, haben geforderte Einigungen mitgemacht und haben bei Regierungsforderungen und den Kontrakten mitgezogen. Jetzt werden diese Gewerkschaften nicht konsultiert." (Sirs, Sprecher der Stahlarbeiter)
Ertragen wird sie schon.
"Die militanten Lokführer sind unbeliebt"
Die Solidarität der Einzelgewerkschaften miteinander - früher in Form von Sympathiestreiks und ähnlichem durchgeführt, und zwar aus der Einsicht, daß für die Austragung der Konkurrenz untereinander die sich wechselseitig absichernde Möglichkeit des Kampfes überhaupt gegen staatliche Beschränkung aufrecht erhalten werden muß (mit dem TUC das Koordinations- und Diskussionsforum für diesen instrumentellen Gebrauch der Solidarität) -, verläuft heutzutage umgekehrt, nämlich als Solidarität der Gewerkschaften mit den wirtschaftspolitischen Zielen des TUC. Das Drängen einzelner Gewerkschaften, ihren "Besitzstand" zu wahren bzw. weitere Zumutungen der Regierung sich nicht gefallen zu lassen, wird nun von der Spitze zurückgewiesen. Dafür taugt gerade die Berufung auf die von der Regierung gesetzten Fakten des Elends, wenn nämlich die angeblich zwangsläufig folgende Arbeitslosigkeit zum Argument gegen gewerkschaftlichen "Egoismus" gemacht wird. Der Versuch, eigene Arbeitsplätze zu sichern oder lohnender zu gestalten, ist ein Angriff auf sämtliche Arbeitsplätze der Nation:
"Dieser Streik macht unsere Mitglieder arbeitslos, weil die von ihnen abgebaute Kohle nicht abtransportiert werden kann."
Dies die Antwort der radikalen Bergarbeitergewerkschaft (!) auf den Streik der Lokführer (ASLEF). Wie sehr hat da das Regierungsprogramm gezogen! Die Erfüllung des eigenen nationalen Dienstes ist die allererste Voraussetzung, oder umgekehrt: Arbeitsverweigerung gefährdet die gewerkschaftliche Existenz schlechthin. Auf ihre Art entdeckt die Gewerkschaft Volksschädlinge in ihren eigenen Reihen, wenn sie nämlich das Solidaritätsprinzip einfach umkehrt. In einer angeblichen Kettenreaktion zwingt "egoistisches" Verhalten der eigenen Organisation allen anderen Verluste auf. Völlig verschwunden ist da, daß - wenn überhaupt - die Regierung für eine solche Wirkung sorgt. Nur durch Wohlverhalten bleibt die Möglichkeit offen, daß Arbeitslosigkeit und Elend vielleicht doch nicht mit der ihnen eigenen unerbittlichen Notwendigkeit eintreten.
Basis"realismus" und wirtschaftliche Vernunft der Gewerkschaftsspitze haben in den letzten 2 Jahren einträchtig zusammengewirkt, sämtlichen Versuchen auf gewerkschaftstraditionelle Weise der Regierung ökonomischen Widerstand entgegenzusetzen - ausgehend mal von einzelnen Gewerkschaftsführern, mal von Belegschaften und shop stewards -, ihre Undurchführbarkeit vor Augen zu führen. Und das bis hin zu dem Punkt, daß eine Gewerkschaft (NUR) - "Es wird keinen Gewinner in diesem Streik geben" - gegen die andere (ASLEF) als Streikbrecher antrat.
"Wir mußten den Streik abbrechen, weil uns die Unterstützung des TUC fehlte." (ASLEF-Sprecher)
"Schwestern mag jeder"
Die Gewerkschaftsgeschichte der letzten 2 Jahre ist eine der fortdauernden Unterwerfung unter die ökonomischen Tatbestände des "Thatcherismus":
- Man schließt in fast allen Bereichen mit einer kräftigen Lohnsenkung ab: 6%-Abschluß, Inflationsrate von 8%; Gebührenerhöhungen im Versicherungs- und Verkehrswesen, Streichungen im Gesundheitsbereich usw.
Glanzstück dabei sind die Annahme eines zweijährigen Tarifabkommens mit Lohnerhöhungen von jeweils 5,6% bei British Leyland und ein 3-jähriger Tarifvertrag über jeweils 7% bei der Großbrauerei Scotish and Newcastle.
Was hier dem Kapital zugestanden wird - die vertraglich verlängerte Freiheit, die Ausbeutung innerhalb dieses Zeitraums beliebig zu verschärfen - wird ergänzt um die recht unverschämte Lüge und Hoffnung zugleich, daß das Regierungsprogramm - mal anders betrachtet - bei entsprechender Anpassung der Gewerkschaft sich nur zum eigenen Vorteil auswirken könne:
"Verhandlungen über Langzeitverträge werden sich bei einer Regierung lohnen, die sich einer strikten Geldmengenrestriktion verschrieben hat und die Inflationsrate niederhalten will, koste es, was es wolle." (Mr. Dixon, Gewerkschaftssprecher der Großbrauereien)
Da wird die Ideologie von der Lohn-Preis-Spirale insofern praktisch ernst genommen, als ein Lohnverzicht sich hinterrücks der Früchte der (anti-gewerkschaftlichen) Geldpolitik bemächtigen werde. Mit dem "koste es, was es wolle" wird hier der Regierung Härte gerade zum Auftrag gemacht, will sie die gewerkschaftliche "Berechnung" nicht enttäuschen.
- Intensivierung (Mehrschichtbetrieb) und Rationalisierung werden als Mittel zur Rettung des Betriebs, z.B. der "Existenz der Bahn" ausdrücklich begrüßt.
- dem Feind wird von vornherein mit der angeblichen Unfähigkeit die Unwilligkeit zum entschlossenen Kampf bekundet:
"Ein Generalstreik wäre die letzte Waffe, die die Gewerkschaften in wenigen Tagen zum Bankrott führen würde." (ein Sprecher der Gesundheitsgewerkschaft COHSE)
Am 8. November macht der TUC schließlich doch einen Generalstreik zugunsten der Beschäftigten im Nationalen Gesundheitssystem (NHS) - bloß daß von diesem Streik überhaupt nichts zu vernehmen war, viel aber vom großen "day of action". Die Abteilung "Sparen im (angeblich aufgeblähten) Gesundheitswesen" ist ja auch nicht gerade neu, der Skandal liegt für die Gewerkschaft freilich woanders.
Erstens verhandelt sie die Lohnvorschläge der Regierung nicht als das, was sie sind, nämlich ein massiver Angriff auf die Lebensbedingungen der dort Beschäftigten, sondern als Angriff auf ein nationales Heiligtum. Daß die Regierung schon einen Haufen Streichungen und Kürzungen durchgeführt hat, interessiert erst dann - und zwar,als Beleg -, wo Mrs. Thatcher öffentlich die Überlegung anstellt, ob das staatliche Gesundheitssystem nicht überhaupt durch ein System der privaten Versicherung zu ersetzen sei.
Die Gewerkschaft interessiert also nicht, was dieses System tatsächlich für die Arbeiter leistet, sondern daß es dies überhaupt gibt: nämlich als Monument gewerkschaftlichen Erfolgs in Zusammenarbeit mit der Labour Party.
Deswegen besteht der Skandal zweitens nicht darin, daß die Krankenschwestern immer weniger verdienen, sondern daß der moralische Anspruch der opferwilligsten Seelchen der Nation mit Füßen getreten wird. Von "Everybody loves a nurse!" können sich diese überhaupt nichts kaufen, stattdessen soll man sich an ihrem sehr zweifelhaften Dienst für die Volksgesundheit ein Vorbild nehmen bzw. sich zu der eigentümlichen Solidarität bequemen, daß eine Schlechterstellung der Hebammen doch "uns allen" schadet:
"Die Schlechterstellung im NUS schlägt auf jeden Briten zurück."
Dieser klassenneutrale Zusammenschluß wird dafür erlogen, um drittens die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft, die sich doch um die Nation sorge, zu untermauern, weswegen auch peinlichst darauf geachtet wird, daß der Streik nicht zu Schädigungen führt - der Wirtschaft nämlich:
"Die Gewerkschaften haben das Unmögliche erreicht. Sie haben in den Krankenhäusern für fast ein viertel Jahr ein wachsendes Chaos verursacht und haben dennoch nicht die öffentliche Sympathie verloren." (Guardian)
Kein Wunder, wenn die einzigen, die Schwierigkeiten mit dem "Chaos" hatten, die Krankenschwestern selbst waren, die neben allem Streik sich darum kümmern durften, daß ja keine einzige Abteilung des Arbeitsvolkreparierens ausfiel.
Viertens und letztens war der "day of action" also keine Kampfaktion gegen..., sondern eine einzige große Demonstration dessen, daß ein gutes und gerechtes England ohne die Gewerkschaften sich nicht denken läßt.
"Würden Sie jemanden dafür einsperren, daß er Krankenschwestern unterstützt?" (Das Transparent)
wirft die nun wirklich nicht unwichtige Frage nach den gewerkschaftlichen Rechten bzw. ihrer Einschränkungen nicht deswegen auf, um auf ihre Unverzichtbarkeit als ökonomische Waffe zu pochen. Dieselben Gewerkschaftsführer, die das Mittel "Sympathiestreik" außer Mode haben kommen lassen, benutzten den sympathieträchtigen Hintergrund opferwilliger Krankenschwestern vielmehr dazu - den kleinen Kunstgriff eingeschlossen, den "day of action" flugs zu einem Streik zu ernennen -, das unverbrüchliche Recht der Gewerkschaft auf diese Kampfmaßnahme zu beteuern. Ein Recht, das sie einerseits nicht anzuwenden gedenkt, für das sie sich andererseits jetzt aber sehr theatralisch sogar einsperren lassen wollte. Die Regierung wußte, daß sie bei einer so ausschließlich moralischen Veranstaltung, die sich in der Forderung nach Anerkennung der Gewerkschaft ohne daraus folgende praktische Rücksichtnahme erschöpfte, sich durch Anwendung ihrer gesetzlichen Sanktionen nur ins (moralische) Unrecht gesetzt hätte - und ließ es wohlweislich bleiben. Verbale Radikalität hält sie leicht aus.
"Schluß mit den Querelen"
Die Entwicklung zur ökonomisch machtlos gemachten, selbst dazu stehenden, dafür aber um so wuchtigeren moralischen Wirtschaftskraft, hat dem TUC ein Glaubwürdigkeitsproblem eigener Art beschert. Die Gewerkschaftspolitik richtet sich auf die Öffentlichkeit, der ein Alternativ-Programm zur Rettung der britischen Wirtschaft vorzustellen ist. Träger eines solchen Programms kann nur die Alternative zur Verwaltung des Staatswohls sein - die Labour Party. Um deren Wahlerfolg hat sich ein britischer Arbeiter heutzutage also in erster Linie zu bekümmern - unter dem Diktat der staatlich veranstalteten Not hat er als Wähler seinen Materialismus ganz und gar der Glaubwürdigkeit seiner eigenen Partei unterzuordnen. Der TUC als Teil der politischen Opposition hat also in den eigenen Reihen dafür zu sorgen, daß radikale Elemente, die sich nicht unter den Nationalradikalismus a la Scargill subsumieren lassen, zum Schweigen gebracht werden (wobei sich übrigens letzterer sehr hervortut):
"Die Gewetkschaften sind bereit, diese drei Millionen für den Wahlfonds aufzubringen, verlangen aber Gegenleistungen, so etwa die Beendigung der innerparteilichen Querelen, den Ausschluß der linksextremen Gruppe aus der Partei, die Stärkung des Flügels der 'Gemäßigten' im Parteivorstand." (Die Quelle, 10/82)
Die "linksextreme Gruppe" in der Labour Paity besteht ja aus Gewerkschaftsmitgliedern, die nun in dem Solidaritätsauftrag des TUC für die Durchschlagskraft der Partei zur Raison gebracht werden. Rausschmiß tut dafür gar nicht not, vielmehr sollen sie ihre treuen Dienste - die sie noch in jedem Wahlkampf erbracht haben! - ab so fort ohne das Zugeständnis der abweichenden Meinungsäußerung ableisten.
So hat sich eine letzte Eigentümlichkeit der britischen Gewerkschaften in der Politisierung aus der Welt geschafft: Die Labour Party, früher der politische Arm der Gewerkschaften zur Sicherung und Verbesserung gewerkschaftlicher Kampfbedingungen, darf nun endlich den historisch überholten Widerspruch abstreifen, sich zumindest formell auf eine getrennt von ihr existierende und auch auf Distanz achtende Unterstützungsorganisation beziehen zu müssen. Das ewige Hin und Her zwischen Parteivolk und Parlamentsfraktion/Regierung - die noch allemal die von ihr für notwendig erachtete Politik zugunsten des Wirtschaftswachstums durchgezogen hat, sich dann aber auch auf den Parteitagen bittere Klagen hat anhören und einen Tony Benn als leibhaftige Darstellung des besseren Wollens in ihren Kabinettsreihen hat ertragen müssen - löst sich unter dem Anstoß der Gewerkschaft dahin auf, daß das Gewerkschafts/Parteimitglied nur noch ein Ziel zu kennen hat: die Macht im Staate. Und dies gänzlich getrennt von seinen individuellen Lebensumständen, die ihm früher hin und wieder immerhin noch so erinnerlich waren, daß man die grad' nicht dem Staat überantworten darf.
Diesen Krisengewinn wird sich die politische Herrschaft - wer es auch sei - so schnell nicht mehr nehmen lassen.