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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1982 erschienen.
Die zwei großartigen Alternativen des 20. Jahrhunderts in Sachen
GEWALT UND PRODUKTION
Eine ebenso volkstümliche wie kritische Auffassung erledigt den "Systemvergleich" in zwei Sätzen: Im freien Westen regiert das Geld die Welt. Im Osten die Einheitspartei. Aufschlußreich ist diese Gegenüberstellung vor allem in einer Hinsicht: während der Westen ökonomisch charakterisiert wird, sich durch die "Herrschaft" des Geschäfts und seiner unerbittlichen Prinzipien auszeichnen soll, erfährt der Osten seine Kennzeichnung durch das"Merkmal" der - allgegenwärtigen und uneingeschränkten - politischen Gewalt.
Dabei ist doch nicht zu übersehen, daß auch die Einheitspartei eine Ökonomie ins Leben gerufen hat und nicht nur im Westen Politiker zu "Vätern" der Wirtschaft, wie weiland Ludwig Ehrhardt zu dem der freien Marktwirtschaft, ernannt werden dürfen. Wieso entdeckt der bürgerliche Verstand immerzu die östliche Produktionsweise nur im Terminus des Vergleichs als U n- und Mißwirtschaft, als "nicht funktionierende" Herstellung und Verteilung von Produkten und als "verbotene" Marktwirtschaft?
Umgekehrt läßt sich kaum leugnen, daß die Geschäfte der freien Marktwirtschaft und unzweifelhaft ihr "Herr", das Geld, durch die dauerhafte Betreuung seitens der Staatsgewalt ihre Maßstäbe zur Geltung bringen. Ganz zu schweigen von den diversen Bürgerkriegen, Revolutionen, niedergeschlagenen Aufständen und sonstigen Waffengängen, mit denen die freie Marktwirtschaft durchgesetzt wurde. Wieso werden diese Gewalttätigkeiten der Geschichte menschlichen Freiheitsdranges zugeordnet, und mit welchem Recht erfreuen sich die laufenden Gewaltaktionen der westlichen Staaten in aller Welt einer Begutachtung, in der sie mit der größten Selbstverständlichkeit im Namen "unserer Interessen" akzeptiert und als Hilfe für das "Selbstbestimmungsrecht" wildfremder Völker begrüßt werden? Und ist es schließlich nicht seltsam, daß die für gerecht erachtete politische Gewalt unter sämtlichen Ehrentiteln gehandelt wird - "innere Sicherheit", "äußere Sicherheit", "Stabilität", "Ruhe und Ordnung", "Freiheit" (statt Sozialismus), "Gesetz" usw. usw. -, nur nicht als politische Herrschaft, während der an die Macht gekommene Kommunismus des Ostblocks zur Genüge identifiziert ist, wenn man ihn als einen einzigen, von der Oktoberrevolution bis Afghanistan andauernden Gewaltakt "begreift"?
Nein, darin besteht der Unterschied zwischen Kapitalismus und "realem Sozialismus" sicher nicht, daß hierzulande vor lauter Gewalt kein ökonomisches Anliegen, geschweige denn die gelungene Erzeugung eines Mehrprodukts noch zu entdecken ist. Wenn die Staaten des Ostblocks als Alternative zur Freiheit betrachtet werden, so rührt das zunächst einmal daher, daß sie ihre Gewalt nicht mehr dafür einsetzen, das Privateigentum und damit das als Kapital verwendete Geld als Maßstab des wachsenden Reichtums ihrer Gesellschaften zu sichern. Stattdessen entscheiden sie über Produktion und Verteilung des Reichtums, "begnügen" sich also nicht damit, als politische Instanz die rechtlichen und materiellen Bedingungen zu garantieren, innerhalb derer die wachsende Privatmacht des Geldes das Kriterium des gesellschaftlichen Fortschritts abgibt. Was im Westen als Voraussetzung oder Zutat zur "sachgesetzlich" - nach den Gesetzen von Lohn, Preis und Profit - entschiedenen Anwendung der Lohnarbeit vollzogen wird - der Staat kümmert sich um die lohnenden Kosten des Geschäfts -, ist drüben Prinzip: Die politische Gewalt setzt sämtliche Maßstäbe des ökonomischen Erfolgs, verfügt über dessen Mittel und regelt die Leistung seiner Bürger ebenso wie das, was sie sich leisten können. Per staatlichen Beschluß wird der Beitrag zum Zustandekommen des Mehrprodukts geregelt, und aufgrund politischer Entscheidungen bestimmt sich die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum.
Und das ist erst einmal überhaupt kein Skandal! Dieser Auffassung sind angesichts der Art und Weise, in der die realsozialistischen Regierungen ihre Souveränität nutzen, zwar alle dahergelaufenen Ideologen, die aus ihren zusammengelogenen Einblicken in die marktwirtschaftliche Menschennatur den Völkern des Ostens raten, es doch besser so wie im Westen zu machen. Doch ihre Argumente laufen alle auf das Bekenntnis hinaus, daß die vornehmlich in westlichen Wahlkämpfen für Werbungszwecke verbreitete Ideologie, Politik bestünde in lauter Dienstleistungen für die Bürger, besser nicht ernstgenommen werden solle. Und nichts halten sie für schlimmer als eine Politik, die jene im demokratischen Konkurrenzkampf um die Macht so beliebte Fiktion wahrmachen will. Deshalb an dieser Stelle gleich ein paar Überlegungen.
Was soll eigentlich an einer Politik verabscheuungswürdig sein, die es darauf anlegt, die Arbeit der Gesellschaft zu planen, damit der Reichtum wächst und jedermann in möglichst hohem Maße in seinen Genuß kommt? Was ist verwerflich an diesem Vorhaben, das wegen dieser Zielsetzung ganz selbstverständlich eine zweckmäßige Organisation und Teilung der Arbeit zu erreichen sucht, die so "Sachzwänge" wie Zerstörung der Gesundheit und der Brauchbarkeit der Natur gar nicht erst aufkommen läßt? Was ist komisch an einer Planung, die Pauperismus - statt ihn mit der "Knappheit" zu rechtfertigen und ihn neben den größten Baudenkmälern und der gar nicht billigen Gewaltmaschinerie des kapitalistisch en Reichtums gedeihen zu lassen - abschafft?
Ein Staat mit diesem Programm macht immerhin auch gewisse Sozialleistungen überflüssig, als da sind die Reglementierung von Armut, Not und Verbrechen. Er verpflichtet sich nämlich auf etwas: Er plant gegen den Ausschluß ganzer Abteilungen seines Volkes von erträglichen Lebensbedingungen und braucht nicht darauf zu achten, daß die Bürger trotz ihrer Beschränkungen loyal sind, weil er einmal mit der Identität von Volksinteresse und politischer Entscheidung ernst macht. Ein solcher Staat ist deswegen auch scharf auf ein Volk von theoretischen und praktischen Materialisten. Er braucht ein Volk, das seinen Verstand benützt, statt über Moral über Wissen verfügt, statt über Ideologien über Wissenschaft. Ein Volk, das zweckmäßig arbeiten will und bei seinem Zweck, den es als Maßstab anlegt, sich nicht auf arbeitslosen- und inflationsträchtige Prognosen von Wirtschaftswissenschaftlern verweisen läßt. Weder die vielfältigen, schwer zu beherrschenden Tendenzen der "Konjunktur", der alle immerzu "ausgeliefert" sind, noch die eherne Weisheit, daß sich Armut und Fleiß gehören, wäre da erforderlich. Das Volk, das auf seinen Nutzen achtet und danach den Plan beurteilt und bestimmt, kann sich die Last der Konkurrenz ersparen, die Durchsetzung des eigenen Interesses auf Kosten anderer, das Mißtrauen und die sorgfältige Berechnung der lieben Mitmenschen. Diese unter der Institution des Privateigentums selbstverständlichen Zusatzleistungen sind überflüssig, sobald der Materialismus Einkehr gehalten hat - und nicht mehr als "Egoismus" gegeißelt wird, weil er sich am Erfolg und den "Sachzwängen" des Kapitals und er Lohnarbeit zu relativieren hat. Von dem enormen Abzug an "Lebensqualität" ganz zu schweigen, der entfällt, wenn mit dem Zwang zur Konkurrenz auch so sinnige Veranstaltungen wie Solidarität und Nächstenliebe obsolet werden, die längst synonym mit Opfer geworden sind und mit bewußtem Zusammenhalten und -arbeiten absolut nichts zu schaffen haben.
Irgendwie scheinen diejenigen, die angesichts des realen Sozialismus dergleichen fröhlich für Utopie und den Kapitalismus für das non plus ultra der Menschennatur halten, etwas zu ahnen: Daß die wahrgemachte Ideologie des Zusammenfallens staatlichen Erfolgs mit dem Fortkommen der einzelnen auch schon die ganze Wahrheit vom Absterben des Staates ist. Und den Beweis für die Unmöglichkeit dieses Programms liefert der reale Sozialismus ganz bestimmt nicht - Materialismus gibt es drüben nämlich nur als Ideal, und das Volk ist gehalten, für "den Sozialismus" - die der "Freiheit" so sinnig gegenübergestellte Staatsmoral - zu arbeiten und zu leben. Daß dabei nicht einmal die Partei auf ihre Kosten kommt, halten wir dabei für weniger wichtig...
"Markt"wirtschaft, sozial - "Plan"wirtschaft, sozialistisch
Daß alle nützlichen Dinge Waren sind, einen Preis haben, also sich in Geld messen, kennzeichnet den Reichtum dieser Gesellschaft als abstrakten. Was alles produziert wird und dazu taugt, das Leben leichter und angenehmer zu machen, steht nicht denjenigen zur Verfügung, die es brauchen, sondern steht zum Verkauf an. Es ist zu haben, aber nur über Geld, so daß das Geld das wohlwollende Kompliment erhalten hat, es sei die Einrichtung, mit deren Hilfe sich jeder alles beschaffen könnte, was er gerade begehrt.
Ware und Geld
Die Möglichkeit, alles zu erwerben, schafft die bürgerliche Gesellschaft im Unterschied zu ihren Vorgängern durchaus; und sie schafft auch Individuen, deren Bedürfnisse sich dem Warenangebot gemäß vervielfachen; das Gesetz, das dieses Schlaraffenland regiert, heißt aber nicht "Mund aufsperren", sondern "Geld beschaffen". Weil alle nützlichen Dinge Waren sind und etwas kosten, kommt es nicht aufs Bedürfnis, sondern auf die Zahlungsfähigkeit seines Inhabers an. Als die Bedingung für jeden niederen oder höheren Genuß vollzieht das Geld die Trennung der Individuen von den begehrten Gegenständen der Warenwelt, so daß von der ganzen Ideologie der hilfreichen Dienste des Geldes nur die harte Wahrheit übrig bleibt, daß die Menschheit von diesem ihrem Diener abhängig ist, der mithin auch kein Diener ist, sondern umgekehrt die Welt seine ökonomischen Gesetzmäßigkeiten spüren läßt.
Zuallererst die, daß das Geld als Kaufmittel zu verwenden, eine armselige Sache ist; das Geld weggegeben, ein Bedürfnis befriedigt, steht der Mensch mit vielen Bedürfnissen, aber mittellos da. Das Geld verpflichtet vielmehr darauf, sich seiner Potenzen dauerhaft zu versichern, indem man es vermehrt. Die Macht, die das Geld verleiht - für die Dinge, die andere brauchen, einen Preis zu verlangen -, erlaubt es auszunützen. Kaufen, um mit Gewinn zu verkaufen, aus Geld mehr Geld zu machen, diese schlichte Kunst diktiert der abstrakte Reichtum und ist damit der Urheber der Lohnarbeit. Denn dieser geniale Effekt, billig einkaufen und teuer verkaufen, eine geringere Geldsumme in eine größere verwandeln, ist nur zu haben, wenn die gekauften Produkte mit viel Arbeit und Fleiß in nützliche Dinge von anderer Qualität verwandelt werden, was sich in ihrer für den Eigentümer so erfreulichen Wertsteigerung niederschlägt. Das ist im übrigen auch schon der ganze Inhalt der unternehmerischen Leistung, Kauf und Einsatz fremder Arbeit für die Vermehrung des vorgeschossenen Geldes, weil sie auf der Selbstverständlichkeit beruht, daß genügend andere für diese Leistung nicht geeignet sind, weil sie nicht über Geld, sondern bloß über die Möglichkeit verfügen, ihre nützlichen Dienste zum Verkauf anzubieten.
Die Herstellung dieser Selbstverständlichkeit hat allerdings einige Jahrhunderte gebraucht, in denen einerseits das Geld der Menschheit, die sich bis dato recht und schlecht ernährt hatte, beweisen mußte, daß sie mit ihrer urtümlichen Bauerei und Handwerkerei fürderhin nicht lebensfähig war. So manche Staatsgewalt hat ihren Untertanen auf wenig friedliche Weise das allerhöchste Mißfallen an ihrer genügsamen Selbstreproduktion beigebracht. Einmal dadurch, daß sie ihnen Geld abverlangte, das sie nicht hatten, dann durch die schlichte Expropriation, die Trennung von den Existenzbedingungen. Unterstützt durch diverse Einrichtungen zur Zwangsarbeit wurde den Nicht-Geldbesitzern auf diese Weise drastisch die Notwendigkeit nahegebracht, sich an Geldbesitzer zu verdingen. Daß die Einrichtung der
Lohnarbeit
nicht dem Wunsch der einfachen Leute z.B. nach einem "Arbeitsplatz" entsprungen ist, sondern der Zerstörung der vorhergehenden Produktionsweise, daß dieser historische Fortschritt einige staatliche Terrorakte erfordert hat, belegt das innige Verhältnis dieser Produktionsweise zur Gewalt. Einmal installiert, wirkt die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln allerdings Wunder. Der ökonomische "Sachzwang" - nichts von dem, was der Mensch zum Leben braucht, außer Luft, ist ohne Geld zu haben - hat die bemerkenswert menschenfreundliche Verdrehung erfahren, daß die Geld benötigende Klasse der anderen Dankbarkeit und Respekt dafür entgegenzubringen hat, daß sie ihr die Gelegenheit bietet, für viel Arbeit auch einen Lohn zu erhalten. Der Beruf des Kapitals besteht in der Schaffung von Arbeitsplätzen - vor allem in Zeiten, da sich ,die Beschäftigung von Millionen nicht lohnt.
Realsozialistische Einwände gegen das Kapital
Durch eine konsequente Kritik an der Produktion abstrakten Reichtums wollen sich die Veranstalter des realen Sozialismus nicht vom Kapitalismus unterscheiden; zu bemerken an dem merkwürdigen Kompliment, das sie ihrer Planung machen, "das Wertgesetz bewußt anzuwenden" und die "Ware-Geld-Beziehungen bewußt auszunützen".
Ebenso enthalten ihre Pläne all die Kategorien des abstrakten Reichtums, Geld, Gewinn, Preis, Kredit und Zins, in denen sich die Kapitalverwertung incl. der von ihnen kritisierten Ausbeutungsverhältnisse zusammenfaßt. Ihre Kritik beginnt mit der seltsamen Anerkennung, daß das Kapital gesellschaftlich produzieren lasse, und mißbilligt demgegenüber die private Aneignung. Das mit der gesellschaftlichen Produktion - was im übrigen die kapitalistische Produktionsweise keineswegs von anderen unterscheidet, die Robinsonaden gehören zu den wissenschaftlichen Märchen - hält dem Kapital eine theoretische Abstraktion zugute, der das Privateigentum praktisch ihren Segen bestreitet. Ebenso seltsam der zweite Generalvorwurf, der dem Kapital die "Anarchie des Marktes" als Widerspruch vorrechnet, als ob der Markt für die "Gesellschaft" ein Problem wäre und nicht die Sphäre, in der sich der Gewinn von Kapitaleignern realisiert. Als ob diese nicht gerade mit ihrem vorbildlich organisierten Produktionsprozeß über eine ausgezeichnete Waffe verfügten, um den anarchischen Markt gegen die Konkurrenten auszunützen.
Beide Anklagen implizieren einen besonderen Maffstab, dem an den Taten der Unternehmerwelt vieles sehr akzeptabel erscheint, eigentlich alles - gerade mit Ausnahme der privaten Nutznießerschaft der Herren Eigentümer und der "planlosen Verteilung" der Reichtümer per Markt. Ohne Couponschneider und leichtlebige Millionäre und mit einer geplanten Verteilung der Waren, so lautet die positive Konsequenz, lassen sich die "gesellschaftlichen" Errungenschaften des Kapitals in eine sehr passable und volksfreundliche Einrichtung umwandeln. Dieses "Programm" zielt auf die Ausstattung des neuen Staates mit den Kompetenzen im Gebrauch der Arbeit, die dem alten Staat wegen der Macht des Kapitals "verwehrt" waren. Mit der
Beseitigung des Privateigentums
der Überführung der Produktionsmittel in Volkseigentum haben die realsozialistischen Staaten sich zum universellen "Arbeitgeber" erklärt: Sie gebieten die Produktion eines staatlich zu verbuchenden Gewinns, der sich an Kosten bemißt und damit den Lohn, das Einkommen der arbeitenden Menschheit als negative, sparsam handzuhabende Größe berücksichtigt. Die staatliche Festsetzung von Warenpreisen, in denen der Überschuß realisiert werden soll, ergänzt den Maßstab der Produktion um einen weiteren elementaren Gegensatz aus der bürgerlichen Welt der Trennung des Reichtums von den Produzenten. Eine Staatsmacht, deren Macht nicht länger durch die privaten Umtriebe der Unternehmerwelt "beschränkt" ist, weil sie die Kapitalisten abgeschafft hat, schickt sich da an, die Erfolgskriterien der "Marktwirtschaft" zentral zur Anwendung zu bringen; und sie will dadurch bewirken, daß Arbeit die Teilnahme am Reichtum der Gesellschaft sichert.
Lohnarbeit, freiwillig
Die Unterwerfung der Gesellschaft unter das Kriterium der Geldvermehrung einmal durchgesetzt, kommt die bürgerliche Staatsgewalt ohne weiteres Zutun in den Genuß einer sehr funktionalen "Zusmmenarbeit" ihrer Klassen: Die freien Lohnarbeiter hält das eigene Interesse dazu an, ihre Arbeitskraft der Vermehrung von Reichtum zur Verfügung zu stellen, mit ihrem Lohn reproduzieren sie sich als das, was sie sind, als Arbeitskraft, so daß ihr Interesse am Dienst für andere prinzipiell nie erlahmt. In den Händen ihrer Anwender vermehrt sich der gesellschaftliche Reichtum, der sie dazu befähigt, so viel Arbeit verrichten zu lassen, wie es der Akkumulation des Kapitals förderlich ist.
...auf Geheiß der Partei
Der realsozialistische Staat hat dagegen mit der einen Abteilung aufgeräumt; kein Privateigentümer kann sich zum Herren über das Wohlergehen seiner Lohnabhängigen in Produktion und auf dem Markt machen. Stattdessen wird über die Revenue und ihre Kaufkraft politisch entschieden, allerdings nach Maßgabe der bilanzierten Mittel und den Vorhaben des Staates. Dabei ist ihm sehr prinzipiell daran gelegen, daß jeder ein garantiertes Einkaufen - Recht auf Arbeit verwirklicht! - bezieht, das zum Leben genügt. Die arbeiterfreundliche Herrschaft stützt sich also weder auf den ökonomischen Zwang, der in der bürgerlichen Gesellschaft der Arbeiterklasse ihre Ausbeutung als eigenes Interesse "nahelegt", noch verhilft sie den materiellen Interessen der Massen einfach zur Durchsetzung. Sie präsentiert ihnen nämlich bei allem Glauben daran, daß Arbeit - von ihren kapitalistischen Schranken befreit - als die Produktivkraft noch allemal "gesellschaftlich nützlich" sei, Bedingungen, sich vorerst für den staatlichen Plan nützlich zu machen, damit sie dann ihrerseits ihre guten Taten vollbringen kann.
An die Stelle der Selbstverständlichkeit, daß man in die Fabrik gehen muß, um zu leben, setzt der reale Sozialismus die Garantie auf ein "Auskommen", und daneben sein Kommando bezüglich von Leistung und Lohn. Während das Kapital ein erzwungenes ökonomisches Interesse einfach benützt, behauptet sich der reelle Gesmtkapitalist als Vollstrecker der Arbeiterinteressen und erwirkt die erwünschten Dienste durch politische Anordnungen.
Lohn und Leistung als Kalkulationsfaktor
Den einfachen Leuten wird also vornehmlich Arbeit geboten - in beiden Systemen, deren Organisation allerdings sehr unterschiedlich ausfällt, je nach den herrschenden Zwecken. Die westlichen "Arbeitgeber" betreiben die Herstellung ihrer Geschäftsartikel gemäß dem Erfolgskriterium, das in einem auf dem Markt erzielten Überschuß besteht. Sie lassen möglichst viel arbeiten und sie lassen möglichst billig arbeiten, um mit dem vermehrten und verbilligten Warenangebot umso mehr Gewinn auf sich zu ziehen. Daß unter ihrer Regie der "technische Fortschritt" gedeiht und mit der kapitalistischen Produktionsweise die Menschheit überhaupt erst den Übergang zu einer souveränen Benützung der Natur vollzogen hat, halten sie und ihre Apologeten sich zwar gerne zugute - Grund oder Absicht ihrer Unternehmungen ist das aber nicht. Unter dem Gesichtspunkt der Kalkulation ist ihnen die zweckmäßige Organisation der Produktion durch die Zusammenfassung vieler Arbeiter, Arbeitsteilung und Steigerung der Produktivität der Arbeit ein Anliegen, insofern diese Maßnahmen die Produktion erweitern und die Kosten senken. Aus diesem Grund haben die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften ihren Einzug in die Produktion genommen, was umgekehrt an der Art und Weise zu bemerken ist, wie sie dort zum Einsatz kommen. Angefangen vom mechanischen Webstuhl und der Dampfmaschine bis zum Bildschirm und zur NC-gesteuerten Werkzeugmaschine zeichnen sich diese Fortschrittselemente zwar alle dadurch aus, daß sie Elemente menschlicher Arbeit - Krafterzeugung, zweckmäßige Bewegung, Kontrolle - ersetzen, also überflüssig machen, was sich aber umgekehrt nicht in der Erleichterung und Verringerung der Arbeit niedergeschlagen hat. Denn der Einsatz von Produktionsmitteln geschieht schließlich zu dem Zweck, kostengünstiger zu produzieren; "Rationalisierung" wird es genannt, wenn die neue Investition den Lebensunterhalt einer halben Belegschaft zu ersparen gestattet und die verbleibenden "Mitarbeiter" optimal auszunützen gehen; ebenso erheben die Produktionsmittel selbst als Kostenfaktor ganz sachlich den Anspruch auf möglichst effektive Ausnützung, d.h. viel Arbeit an und mit ihnen.
Ausgehend von diesem schlichten Gesichtspunkt hat es das Kapital dahin gebracht, Fortschritte der Naturwissenschaft und Technologie soweit einzusetzen, daß es kaum noch auf das individuelle Geschick seiner Bediensteten angewiesen ist. Die traditionellen Unterschiede zwischen den Löhnen, die auf eine einmal ausgetragene Konkurenz um qualifizierte Arbeitskräfte zurückgehen, sind in den modernen Lohngruppen, welche manteltariflich einem minutiös beschriebenen Arbeitsplatz zugeordnet werden, ein famoses Mittel, Löhne zu drücken. Jede Vereinfachung der arbeitsteiligen Tätigkeiten - weit davon entfernt, den Verschleiß der Arbeitskraft zu mindern - erlaubt neue Freiheiten im Umgang mit den Lohnabhängigen, deren Ersatz aus einer ansehnlichen Reservearmee kein Problem macht.
Was einen modernen Arbeitsplatz charakterisiert (den zu "haben" öffentlich als Privileg gehandelt wird!), sind die Bestimmungen der abstrakten Arbeit - Arbeit zur Funktion der Maschinerie herabgesetzt, getrennt von der zweckmäßigen Überlegung und Übersicht, Arbeit als bloße Anstrengung und Unterordnung unter die Maschinerie, die, je inhaltsloser sie ist, umso mehr Aufmerksamkeit und Konzentration erfordeit. Arbeit, die nach wie vor die gesamte Lebenszeit in Anspruch nimmt und an der sich, bei Strafe rapiden Verschleißes der Gesundheit, das gesamte Leben der Lohnabhängigen auszurichten hat. Arbeit, die in ihrer zeitlichen Festlegung rein dem Bedürfnis des Kapitals gehorcht: Überstunden, Sonderschichten, Wechselschichten, gleitende Arbeitszeit, Kurzarbeit etc. zeugen davon, daß ganz nach den der Kalkulation entnommenen Notwendigkeiten mit dem verfügbaren lebenden Inventar der Industrie umgesprungen wird.
Die goldene Freiheit, die sich den Lohnarbeitern der freien Welt nach Feierabend eröffnet, hat deshalb auch nicht nur im Geld ihre spürbare Schranke, sondern auch im Einteilen von Zeit und Kraft. Ein großer Teil ereicht das Rentenalter überhaupt nicht, und niemand nimmt seinen Abschied aus dem Arbeisleben ohne jeweils berufsspezifische Schäden. Kein Wunder, daß die Lehren vom gesunden Leben, mäßigen Trinken und fitmachender Freizeitgestaltung überhandnehmen. Niemand soll schließlich meinen, er könne die ruinöse Lohnarbeit i n der Fabrik um die Gleichgültigkeit gegenüber seiner Brauchbarkeit ergänzen - und Krankwerden belastet die Solidargemeinschaft der Versicherten, deren Kasse der Staat verwaltet!
Gesamtgesellschaftliche Gewinnmaximierung ohne Arbeitslose
Wenn Anwälte des realen Sozialismus, herausgefordert durch bürgerliche Kritiker ihres Gemeinwesens, ihre Leistungsbilanz auftischen, so fehlt ein Posten nie: Die Arbeitslosigkeit kennt man in der Alternativveranstaltung zur Welt des Privateigentums nicht; dieses "Versagen" der westlichen Ordnung braucht man sich nicht nachsagen zu lassen! Das "Recht auf Arbeit" wird beschworen und in den Rang des obersten Menschenrechts erhoben, so daß man sich schon gar nicht mehr fragen traut, wie die Einlösung besagten Rechts aussieht und was die mit ihm Beglückten denn davon haben. Denn der Tatsache, daß gearbeitet werden muß, damit sich der Kreis der Bedürfnisse und Genüsse erweitert und das Leben einiges an Annehmlichkeiten hinzugewinnt, soll ja nicht das Wort geredet werden. Das Marxsche "Reich der Notwendigkeit" wird ja mit geballter moralischer Wucht als Erlaubnis vorstellig gemacht, die der Kapitalismus seiner arbeitenden Klasse vorenthält - Der Maßstab, der da angelegt wird, hat es in sich: Verglichen mit dem Umgang des Kapitals mit der Klasse, die auf Lohnarbeit angewiesen ist, wird aus dem Beschluß des Zentralkomitees, die realsozialistischen Bürger arbeiten zu lassen, eine Leistung! Ein Produktionsverhältnis definiert seinen Vorzug mit dem Hinweis darauf, daß es die Arbeit von Arbeitern auch garantiert in Anspruch nimmt. Der Schein, daß Arbeit, "Beschäftigung" pur, der Zweck des realsozialistischen Wirtschaftens sei, mag zwar für einen parteilichen Systemvergleicher-Ost gute Dienste tun, der an der Überbevölkerung des Kapitalismus - die wegen der rücksichtslosen Benützung der Lohnarbeit für die Vermehrung des Eigentums produziert wird - weniger den Pauperismus als die Verletzung des "Rechts auf Arbeit" entdeckt. Er verschwindet allerdings sehr schnell, wenn die Arbeit als das Mittel der "sozialistischen Akkumulation" in Betracht gezogen wird.
Das staatliche Wohlfahrtsprogramm für die in ihre vollen Rechte gesetzte Arbeiterklasse beginnt mit der Festsetzung von Löhnen, die aufgrund von ebenso staatlich festgelegten Mieten und Lebensmittelpreisen erst einmal das Notwendigste garantieren. Seine geplante und versprochene Fortsetzung wird mit dem Programm der "sozialistischen Akkumulation" in Angriff genommen, welche mit einer planmäßigen Entwicklung der Produktivkräfte leider sehr wenig zu tun hat.
Der "Arbeitgeber" Staat beauftragt seine volkseigenen Betriebe zunächst einmal damit, Gewinne zu erzielen, die in Geld gemessen werden und seiner zentralen Verfügung unterstellt werden. Er will sich die Entscheidung darüber vorbehalten, was mit dem so ermittelten Mehrprodukt angestellt wird - und um dieses Mehrprodukt zu maximieren, verlangt er von den Betriebsleitungen, so zu kalkulieren, als wären sie kapitalistische Geschäftsführer. Die Kosten-Nutzen-Rechnung eines VEB unterscheidet sich freilich in einem Punkt ganz wesentlich von der eines Betriebes in der kapitalistischen Konkurrenz: Diesem sind bei seinen Bemühungen um Rentabilität zwar auch die jeweiligen Kosten in Form von Marktpreisen und Löhnen vorgegeben, jedoch ist der Verkaufspreis seiner Produkte und damit die Modifikation der Stückkosten das Mittel, sein Geschäft erfolgreich zu gestalten. Auf Grundlage des Vergleichs in der Konkurrenz ist er in der Lage, das Verhältnis von Kosten und Überschuß zu modifizieren: Als freier Eigentümer seines Kapitals investiert er - unter gediegener oder spekulativer Ausnutzung des Kredits - zum Zwecke der Senkung der relativen Kosten seiner Produktion, vergleicht Auslagen für Sachkapital und deren Effekt auf die Kalkulation lässig mit denen für Löhne - und tut in diesen Anstrengungen für die Rentabilität immer einiges für die Steigerung der Produktivität der Arbeit, allerdings stets auf Kosten der Arbeiter.
Ganz anders als dieses marktwirtschaftliche Recht des Unternehmers ist die sozialistische Pflicht der Betriebsleitung im Osten beschaffen: Erstens sind ihr die Löhne nicht als Mittel der Kostenersparnis freigestellt - soviel ist den "Regimes" das Auskommen ihrer Arbeiterklasse, in deren Namen sie regieren, durchaus wert, daß Entlassungen per Rationalisierung nicht in Frage kommen. Zweitens ist die Veränderung der objektiven Momente des Produktionsprozesses ohnehin nicht in das Belieben der Betriebsleitung gestellt: Die Mittel dafür werden schließlich vom Staat verwaltet und verteilt - und für die Notwendigkeit und Nützlichkeit der Umwälzung des Arbeitsprozesses verlangen die staatlichen Kommissionen gewisse Beweise. Und die liegen eben nicht in der errechenbaren Perspektive einer Durchsetzung gegenüber Konkurrenten, die mit dem Preis der verkauften Ware als Waffe erfolgt: Auch der Verkaufspreis ist nicht die objektiv auf dem Markt ermittelte Größe, die man für eine Ware kriegen kann, sondern Produkt einer staatlichen Bewertung. Diese berücksichtigt gleichzeitig, daß der Erlös für ein Produkt dem einen Betrieb die Gewinne sichern und dem anderen die Kosten mindern soll - ein Widerspruch, der es in sich hat. Da wird den Betrieben ein von dem, was sie Nützliches produzieren getrennter Maßstab ihres Erfolgs aufgemacht, damit der Staat seinen Erfolg bilanzieren kann, und zugleich garantiert allein die Wahl dieses Maßstabs überhaupt das Zustandekommen des buchungsfähigen "sozialistischen Gewinns"! Da sämliche Mittel der "Kalkulation" festgelegt sind, erschöpft sie sich auch in der Erfüllung dessen, was die staatlichen Rechengrößen fordern: So ist die Trennung der Rentabilität von der Produktivität ebenso an der Tagesordnung wie die Herstellung von äußerst mangelhaften Produkten. Das materielle Produktionsergebnis an Gebrauchswerten liefert nicht die Dienste, die mit dem verbuchten Plansoll oder auch seiner rechnerischen Übererfüllung garantiert sein sollen. So kennt die sozialistische Produktionsweise das aparte Problem der "Einheit von Wert- und Gebrauchswertproduktion". Ihre mannigfachen Kommissionen reglementieren ständig Kosten und Materialverbrauch, bewerten das Produkt und schreiben damit den Gewinn vor. Dabei müssen sie erfahren, daß gerade die Erfüllung der finanziellen Wünsche an das Produktionsergebnis dessen materielle Seite zum Problem werden läßt - oder umgekehrt. Der in staatlichen Rechengrößen eröffnete Zwang zum Einteilen der Mittel ist eben keine Produktivkraft - und er befördert auch nicht den Fortschritt der Produktivkräfte. Veränderte Arbeitsmittel, die mit ihnen zu erzielende effektivere Arbeitsteilung, sind nämlich eine Frage des erwähnten Beweises, den ein Betrieb zu erbringen hat, will er die "Inanspruchnahme finanzieller Mittel für neue Investitionen" rechtfertigen. So wird der buchhalterisch geschickte Umgang mit Kennziffern und Aufwandsnormierungen zur Bedingung dafür, ob dem Staat eine Umwälzung der überkommenen Produktionstechnik lohnend erscheint oder nicht.
Doch nicht erst dann, wenn Betriebsleitungen im Interesse der ihnen zugewiesenen Fonds zum Bilanzierungsschwindel übergehen, ist der Widerspruch zwischen staatlichen Auflagen und betrieblichen Interessen offenkundig. Der Staat als Verwalter des gesamten "sozialistischen Reingewinns" verpaßt mit seinen sozialistischen Wertgrößen den Betrieben einen Ersatz für den kapitalistischen Zuwachs an in Geld gemessenem Reichtum, der, als Maßstab für den Erfolg der Produktion angewandt, Sparsamkeit im Umgang mit einem fiktiv bezifferten Mehrprodukt zum Prinzip erhebt und die Effektivität in der Verwendung der Produktivkräfte behindert. Die Betriebe müssen sich in ihren beschränkten Möglichkeiten bewähren, um in den Genuß neuer "gesellschaftlicher Mittel" zu gelangen - und für diese Bewährung hat der Staat ein ganzes System "materieller Anreize" als Grundlage eines "sozialistischen Wettbewerbs" erfunden, das seine Verlängerung in den Umgang mit Lohn und Leistung der geliebten Arbeiterklasse durchaus vorsieht. Die extensive Anwendung von Arbeitskraft soll nämlich ihren unproduktiven Einsatz kompensieren, sooft es der "Plan" erfordert. Und die Entdeckung eines grundlegenden Gegensatzes aller Ökonomie, desjenigen zwischen "Akkumulation und Konsumtion" ist die ideologische Fassung für gleich zwei Tatbestände im realen Sozialismus: erstens für die sehr mäßige Versorgung der arbeitenden Massen mit Geld, und zweitens für die mangelhaften Resultate in der Erzeugung von Konsumtionsmitteln.
"Sozialistisches Wachstum" gibt es dennoch, denn gearbeitet wird schließlich reichlich - allerdings in einem Ausmaß, das dem Staat nicht genügt, und in einer Qualität, die den Eigentümer des Ganzen, das Volk, nicht verwöhnt.
Die Maßlosigkeit des Kapitals: die Schranke der freien Marktwirtschaft
Schranken für den Erfolg des Kapitals gibt es nach Auskunft seiner Ideologen zuhauf - im Grunde kämpft es mit lauter Hindernissen.
Mit einem Mangel an qualifizierten Arbeitern und einer verkümmerten Leistungsmoral, mit der Abhängigkeit von Rohstoffen, Märkten und Exporten, der Gefahr überalterter Produktionsanlagen, einem Mangel an Gewinn, Eigenkapital und Investitionsneigung, mit einer fehlenden Risikobereitschaft, mit den Japanern, Amerikanern, Deutschen, Ölscheichs und dem Protektionismus.
Und alle diese luxuriösen Beschwerden belegen das Gegenteil: Gäbe es die Welt der angeblichen Feindseligkeit gegenüber dem unternehmerischen Geschäft, dann würde man zu anderen Waffen greifen als zu unternehmerischen Moralpredigten. Die beklagten Abhängigkeiten von ökonomischen Sachverhalten wiederum lassen bloß den Umfang der Mittel erkennen, die das Kapital sich verfügbar gemacht hat und denen gegenüber es die mit seiner Verfügung gewachsenen Ansprüche als lauter Beschränkungen aufzählt.
Das Kommando über die sachlichen Elemente der Reichtumsproduktion, über Natur, Arbeitskraft und Technologie als selbstverständliche Produktionsbedingungen vorausgesetzt, als demokratische Herrschaft etabliert, in der noch jedes gesellschaftliche Interesse in seiner Funktionalität für den nationalen Reichtum sich bewähren muß, in der politische Standpunkte nur durch die prinzipielle Selbstverpflichtung auf die Freiheit als Grundlage des Wohlergehens von "uns allen" Daseinsrecht erhalten; in einer Welt also, die für die Benützung durchs Kapital zugerichtet ist, existieren Schranken für die Kapitalverwertung nur in einer Hinsicht; relativ zur Maßlosigkeit des Kapitals.
Das Prinzip der kapitalistischen Produktion, die Vermehrung von Wert, für das der geschaffene Gewinn nichts zählt, wenn er sich nicht wiederverwertet, und die Methoden dieses Geschäfts geraten notwendig in Gegensatz zueinander. Und zwar in der Gestalt, daß periodisch zuviel Reichtum geschaffen wird - zuviel im Verhältnis zu den Bedingungen seiner Wiederverwertung. Im Gegensatz aber zu dem Beweis, den Linke hierzulande wie östliche Kapitalismuskritiker anläßlich von Krisen zu entdecken pflegen, handelt es sich dabei nicht um Zeichen einer Funktionsschwäche, einer immanenten Neigung zum Zusammenbruch, die dem Urteil der "Überlebtheit" dieser Sorte Produktion zur praktischen Geltung verhelfen.
Das Kapital offenbart in der Krise nicht seine Unfähigkeit, Leute zu beschäftigen und zu versorgen, sondern umgekehrt den Grad, in dem es Überfluß geschaffen hat, Überfluß an Werttiteln und Anweisungen auf zukünftigen Reichtum und Überfluß an allen sachlichen Elementen des Reichtums - getrennt von und im Gegensatz zu denen, die zu ihrer Reproduktion auf ertragssichernde Dienste am Kapital angewiesen sind. Und weil das der Grund der Krise ist, besteht auch deren Bewältigung nicht darin, daß die Agenten dieser Produktion ihre "Unfähigkeit" eingestehen und ihren Beruf aufgeben. Opfer werden verlangt und durchgesetzt, zumindest in Zeiten, wo es die Arbeiterbewegung nicht als Klassenkampf, sondern nur als berufungsträchtiges Erbe einer politischen Volkspartei und von nationalverantwortlichen Gewerkschaften gibt. Fabriken werden stillgelegt und Arbeiter entlassen; überschüssiges Kapital wird vernichtet, fiktiver Reichtum gestrichen, sachlicher Reichtum vernichtet oder entwertet, bis der Verwertungsmaßstab korrigiert und die Geschäftsbedingungen soweit wiederhergestellt sind, daß sich für die Profitproduktion neuerlich die hoffnungsvollsten Perspektiven eröffnen.
Neben der zyklischen Überakkumulation hat sich die kapitalistische Produktionsweise noch eine weitere Relativierung eingehandelt. Der Garant dieser Produktionsweise - durch dessen Gewaltapparat, angefangen von der Unterordnung aller gesellschaftlicher Verhältnisse unter den Maßstab des Geldes bis zur Auslösung der Krise im Kreditüberbau, die Kapitalverwertung durchgesetzt wird -, der bürgerliche Staat, ist in seiner Macht beschränkt. Gerade das Gelingen der nationalen Akkumulation macht die Grenzen dieser Gewalt als lästiges Hindernis bemerkbar. Die Aneignung fremden Reichtums als Mittel der nationalen Akkumulation trifft auf andere Staatsgewalten, denen immerzu erst durch das imperialistische Instrumentarium die Neigung und Eignung, ihr Herrschaftsgebiet als Akkumulationssphäre zur Verfügung zu stellen, beigebracht werden muß. Aber auch in dieser Beziehung, im internationalistischen Streben des Kapitals nach Weltherrschaft, sind bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen. Zwar nicht im Sinne der idealistischen Auflösung der Staatenkonkurrenz als "ewiger Frieden" und Völkerbund, wohl aber als eindeutige Entscheidung der imperialistischen Konkurrenz zugunsten der USA. Diese begnadete und gottgesegnete Nation hält sich die Erschließung aller nationalen Reichtumsquellen für ihr nationales Geld als Einrichtung des Weltmarkts zugute, und die Regelung aller Handelsbeziehungen am Maßstab ihrer nationalen Akkumulation vollzieht sie als Kontrolle eines "fairen Wettbewerbs" und Garantie einer regelrechten "Weltwirtschaftsordnung". Insofem sie sich im Zuge ihrer Durchsetzung als Vorkämpfer gegen überkommene kolonialistische Privilegien hervorgetan hat und allen Nationen, sofern sie über ein nationales Kapital verfügen, die Chance zum Mitmachen eröffnet, relativiert sich auch der Streit unter den Konkurrenten immer in harmonischster Weise an der Tatsache, daß außer einer folgsamen Beteiligung an der nach US-Kriterien bestimmten Weltmarktskonkurrenz keine alternative nationale Akkumulation Aussicht auf Erfolg hat. Hoffnungen, wie sie immer noch und unerschütterlich in östlichen Einschätzungen geäußert werden, daß sich die imperialistischen Konkurrenten noch einmal wie in Weltkrieg I und II untereinander "zerfleischen" oder - die heutige Diktion fällt moderater aus - zumindest das "Joch des US-Hegemonismus" abschütteln, sind fehl am Platz. Mit der Entscheidung der Konkurrenz zu ihren Gunsten haben die USA auch über den einzig verbleibenden ernstzunehmenden Feind entschieden - den Kommunismus - und haben dafür gesorgt, daß sich ihre Konkurrenten, politische Vasallen, dieser Entscheidung als ihrer ureigensten nationalen Angelegenheit gewidmet haben.
Schranken selbstgeschaffen
Schranken kennt der Systemgegner in seiner Ideologie keine. Sein ideologisches Selbstbewußtsein behauptet, mit der Erringung der Staatsgewalt über die Produktionsbedingung par excellence zu verfügen, um die Produktivkräfte als Quelle des Volkseigentums in Dienst zu stellen. Die kommunistischen Parteien kleiden ihren Optimismus demgemäß in lauter "objektive Gesetze", die sie "beherrschen" und "ausnützen" - ein Widerspruch zwar zu Marx, ihrer Berufungsinstanz, der für die Abschaffung und nicht die Anwendung dieser Gesetze plädiert hat. Die Vertreter der sozialistischen Gewinnproduktion aber präsentieren ihre ökonomischen Ideale in objektiver Form und wollen damit gesagt haben, daß ihre Produktion des abstrakten Reichtums nur die Exekution historischer Notwendigkeiten darstellt, an deren Vollendung die Volksmassen - richtig geführt - gar nicht scheitern können.
Daß sich dieser Optimismus angesichts der Resultate der sozialistischen Produktion immer wieder korrigieren muß, liegt natürlich nicht an einer "noch ungenügenden Beherrschung dieser Gesetze", da ja nicht sie, sondern die Direktiven der Partei die Produktion regieren. Genausowenig liegt es an den zufälligen und äußeren Bedingungen, die sich die Zuständigen mittlerweile als Entschuldigungsargumente zurechtgelegt haben, wie Naturbedingungen, Mißernten usw., historischen Voraussetzungen, Entstehung des Sozialismus in einem kaum industrialisierten Land, Kriegsschäden etc., oder schließlich der Generalausflucht, der menschlichen Natur mit ihren Mängeln und Fehlern.
Die realsozialistische Produktionsweise hat sich demgegenüber Schranken ökonomischer Natur geschaffen, für die niemand anderer verantwortlich ist als sie selbst.
Sie hat sich als erstes mit der Unterordnung der Produktion unter die Prinzipien der Gewinnabführung und Kostenreglementierung dauerhafte Gründe für Unterproduktion von Gebrauchswerten geschaffen, die einmalig ist. Es sind ja industrialisierte Gesellschaften, die Überschüsse produzieren und die den sachlichen Mitteln zur überschußproduktion, Technologie und Produktionsmittelherstellung, besondere Aufmerksamkeit und Förderung zuteil werden lassen. Genau im Gegensatz zum Kapital, das mit der und für die Wertvermehrung auch die sachlichen Elemente in wachsendem Umfang produziert, das gemäß seiner Tendenz zur Überakkumulation auch Überfluß an allen Gebrauchsgegenständen neben einer beträchtlichen Armut in seinem Herrschaftsbereich schafft und - in Widerlegung aller ökologischen Lehren - durch seine Geschäftsbedingungen für eine überreichliche Verfügbarkeit der sogenannten natürlichen Reichtümer sorgt, im Gegensatz dazu bringt es die sozialistische Planung zuwege, daß, gemessen an den Planungsvorgaben, immer wieder zu wenig produziert wird. Und gegen die sachliche Abhängigkeit der verschiedenen Zweige der Produktion voneinander und die darüber summierte Wirkung von Produktionsausfällen können die idealistischen Appelle an die Einsatzfreude der Helden der Arbeit oder den Erfindergeist der sozialistischen Leiter wenig ausrichten. Auf diese Weise behindert die Planung nicht nur den erwünschten Fortschritt der sozialistischen Industrie, sondern hat mit ihrer Methode, Abhilfe zu schaffen, ausgerechnet ihren Gegnern eine Waffe nach der anderen in die Hand gegeben. Mit dem Weizengeschäft hat die sowjetische Führung die Reproduktion ihrer Bevölkerung zu Teilen von der Entscheidung der US-Administration abhängig gemacht. Und ausgerechnet jetzt, in dem Moment, in dem die Kreditsanktionen des Westens gegenüber den RGW-Staaten deren Schulden als Waffe geltend machen, kürzt die Sowjetunion ihre Öllieferungen an die Bündnisstaaten, zwingt sie also, auf dem Weltmarkt zu kaufen und ihre Verschuldung zu steigern, weil die sowjetische Ölförderung nicht genügend erbringt, um sowohl den eigenen Devisenbedarf durch Verkäufe an den Westen als auch den eigenen Energiebedarf und den der "Bruderstaaten" zu decken. Und das auch nicht deswegen, weil Sibirien zu weit weg liegt oder die Entwicklung der Fördertechnik wissenschaftlich ein so überaus "komplexes" Problem wäre, sondern deshalb, weil der selbstgeschaffene Kostenstandpunkt die rechtzeitige Erschließung und technologische Entwicklung verunmöglicht hat.
Als zweites hat sich der reale Sozialismus eine Schranke für sein ökonomisches Fortkommen geschaffen, die ausgerechnet in der Abhängigkeit von der Arbeitsmoral seiner Arbeiterklasse besteht. Ironischerweise, da ja gerade die blendende Übereinstimmung von Führung und Massen einer der größten Vorzüge des Systems sein soll. Während das Kapital die subjektive Leistungsbereitschaft der Arbeiter durch lohnende Gestaltung der Arbeitsplätze - in ihrer technischen Gestaltung wie in ihrer Anzahl - in einen quasi sachlichen Zwang aufgelöst hat (so daß die Ausgabe der "Leistungs"-Parolen durch Politiker als pure ideologische Zutat zum Zurechtkommen mit den praktisch "unausweichlichen" Opfern erscheint), hat der reale Sozialismus für Produktionsbedingungen gesorgt, die der Bereitschaft des Proletariats, sich auf seine Angebote und Appelle einzulassen, eine eigene Bedeutung als ökonomischem Faktor einräumt. Die Ableistung von Mehrarbeit tritt daher auch nicht einfach als Gebot eines Arbeitsplatzes auf, dem man gerecht zu werden hat, sondern ist zu ansehnlichen Teilen der Kalkulation von Betrieb und Arbeitern anheimgestellt.
Die Sorte von Geschäft, die sich neben und gegen die geplante Produktion etabliert, angefangen von der Zweckentfremdung "gesellschaftlichen Eigentums" über private Zweitberufe bis zur regelrechten Schwarzmarkttätigkeit und Schwarzmarktproduktion, schafft zwar Abhilfe für alle möglichen Reproduktionsnotwendigkeiten - ihrerseits allerdings auch ziemlich arbeitsintensiv -, stellt aber ökonomisch immer einen Abzug von den staatlichen Produktionsergebnissen dar, sei es in Form von Arbeitszeit, sei es in der Form unterschlagener und für andere Zwecke verwendeter Produktionselemente. Um dagegen einzuschreiten, verfügt der sozialistische Staat über kein anderes Mittel als die öffentliche Moral, unterstützt durch Strafmaßnahmen, die aber auch nur begrenzt zum Einsatz kommen, da oft ein sehr gemeinschaftliches Interesse seiner Bürger besteht, sich diese Aktivitäten vorzubehalten.
Und die Moral für sich genommen findet zwar keinen großen Widerspruch, kollidiert aber mit den Versuchen, sich durchzuschlagen. Die unterschiedliche Bereitschaft der Arbeiterklasse, sich auf die idealistische Vorteilsrechnung ihres Staates einzulassen, daß Arbeit und Bescheidenheit für den Staat sich vielleicht später einmal, jedenfalls erst einmal nicht, auszahlen, macht sich mitten in einem System, das sämtliche ökonomischen Gesetze beherrschen will, als ein nicht unwichtiger Produktionsfaktor geltend. Die von den Arbeitern favorisierten Formen des Zurechtkommens (also alles andere als revolutionäre Umtriebe!) mit den staatlich aufgemachten Existenzbedingungen entscheiden darüber, welcher Anteil von den idealistischen Kalkulationen der Pläne mit Soll und Übersoll wirklich realisiert wird.
Während also der Umgang des Kapitals mit seinen Schranken neue, jeweils anspruchsvollere Maßstäbe für seine Erfolge - ökonomisch wie politisch - hervorbringt, die Krise die Bedingungen der Verwertung wieder herstellt und die Konkurrenz der nationalen Staatsgewalten die amerikanische Weltherrschaft samt ihrer Konzentration auf nur einen Gegner auf dem Globus zustandegebracht hat, behindert die realsozialistische Produktionsweise selbst das Programm, um dessentwillen sie ins Leben gerufen worden ist. Sowenig man deshalb um die souveräne Ausübung der Macht durch die Arbeiterparteien des Ostblocks zu fürchten braucht, so offenkundig ist die Einschränkung ihrer "Handlungsfreiheit" - durch die mangelhaften ökonomischen Mittel, die sie mit ihrem Gewaltapparat ins Leben rufen. Und diese Einschränkung macht sich nach innen ebenso bemerkbar wie nach außen.
Freiheitliche Demokratie versus Sozialistische Volksdemokratie
Während im Westen die Freiheit gedeiht, ist der Ostblock ein "Völkergefängnis". Während sich die Demokratien so sehr um den Schutz all dessen bemühen, was ihre Bürger "dürfen", daß sie vor lauter Selbstverleugnung zuweilen an den Rand ihrer "Regierungsfähigkeit" geraten sollen, betreiben die Volksdemokiatien die totale Verstaatlichung des Individuums, kollektivieren noch die privateste Regung und können doch den Freiheitsdrang nicht ersticken. So oder so ähnlich lauten die Auskünfte über den Systemvergleich von Demokratie und Volksdemokratie. Und auch hier fällt die angebliche Besonderheit der Staatsgewalten so seltsam aus, daß sie die Wahrheit nicht sein kann.
Denn eine Staatsgewalt, die nichts anderes im Sinn hat als das, was ihre Bürger wollen, wäre höchst überflüssig. Und wenn sie sich schon mit ihrern gesamten Gewaltapparat um die Garantie dessen zu schaffen macht, was die Bürger in ihrem Alltagsleben treiben, wird es ihr auch um etwas zu tun sein, was nicht mit der Vollstreckung von deren Interessen in eins fällt. Auf der anderen Seite gerät die Volksdemokratie zu einem merkwürdig zwecklosen Gebilde: Der rein negative Daseinszweck, der ihr unterschoben wird, Unterdrückung pur, läßt keinen einsehbaren Grund erkennen.
Bestritten wird in dieser Gegenüberstellung beider Sorten von Herrschaft wiederum das Gemeinsame: Beide sind auf die Benützung ihrer Bürger für den nationalen Reichtum aus, der nicht mit dem der Bürger zusammenfällt, an dessen Zustandekommen sie aber ausnahmslos beteiligt werden. Das Geschäft beider Staatsgewalten besteht daher in der Verwendung des Materialismus ihrer Untertanen, dem sie die Bahnen seiner relativen Betätigung vorschreiben, so daß sie bei der Verfolgung ihrer Interessen den Zweck der "Ordnung" erfüllen. Beiden ist durchaus an Zustimmung zu ihrer Herrschaft gelegen, und zwar so, daß die Unterwerfung unter die auferlegten Leistungen als die Wahrnehmung von staatlich eröffneten und gesicherten "Möglichkeiten" stattfindet.
Von der goldenen Freiheit...
Die bürgerliche Demokratie ist keine "Erfindung", die irgendwelchen Menschenfreunden bei der Lösung des Rätsels eingefallen wäre, wie denn ein anständiges Regieren zu gehen -hätte. Aufgnnd von sehr gewalttätigen Auseinandersetzungen, welche die Erhaltung der Macht und ihrer ökonomischen Grundlage in Frage stellten, sind zum Regieren Berufene dahin gekommen, daß die Anerkennung also auch von Interessen der für Lohnarbeit zuständigen Mehrheit ihrer Brauchbarkeit für die Mehrung von Kapital zugutekommt. Seitdem sind zwar nicht diese Interessen "verwirklicht", aber in allerlei Rechten und Pflichten auf die beschränkte Gültigkeit festgelegt, die die arbeitende Klasse so nützlich macht.
Die bürgerliche Demokratie verordnet ihren Untertanen als erstes Freiheit und Gleichheit, zwingt sie dazu, sich ganz frei, abhängig nur von den Mitteln, über die sie verfügen, Eigentum oder bloße Arbeitskraft, in der Konkurrenz zu bewähren und sich dabei ganz gleich unter die Gesetze zu beugen, die die Bedingungen der Konkurrenz rechtlich fixieren: Garantie des Eigentums und der Person. Denn gerade die Verlaufsformen der Konkurrenz, Erfolg des einen auf Kosten des anderen, bringen es mit sich, daß fremdes Eigentum und gewisse Personen, als Schranke erfahren werden. Dagegen stellt die bürgerliche Staatsgewalt klar, daß das Prinzip des seinen Nutzen verfolgenden Privatindividuums nur mit all den Beeinträchtigungen gilt, die sie gewaltmäßig absichert, weil ihr am Ertrag dieser Konkurrenz, der Kapitalakkumulation sehr gelegen ist.
Dabei inszeniert sie mit ihrer Gewaltausübung den ersten Hauptsatz bürgerlicher "Vernunft": Gerade deshalb, weil sich die Bürger in der Verfolgung ihres Nutzens wechselseitig beschränken, wollen demokratische Bürger die staatliche Herrschaft - als Gewalt gegen andere zwar, aber darin eingeschlossen als Gewalt über sich. Daraus hat der bürgerliche Verstand das Dogma verfertigt, daß der Staat wegen des Menschen erfunden worden sei, weil "ohne" ihn jeder über jeden herfallen würde, wobei allerdings Menschennatur und Privateigentum miteinander verwechselt werden, dessen ökonomischer Zwang überhaupt erst sich wechselseitig ausschließende Sonderinteressen hervorruft.
So hat die Demokratie ihren Grund also wirklich in den Interessen ihrer Bürger, die die Staatsgewalt in Gegensatz zueinander bringt. Und deswegen verschwindet ihr Gewaltcharakter keineswegs, wie es die Freiheitsfanatiker behaupten. Die Demokratie übt ihre Gewalt vielmehr über Interessen aus, die sich dem staatlich gesicherten Zwang der ökonomischen Gesetze gebeugt und sich daran, als Bedingung ihres Erfolgs schon relativiert haben; sie überwacht diese Relativierung und kodifiziert ihre Maßstäbe, die für die Freien und Gleichen mit allerlei Unannehmlichkeiten verbunden sind. Daß sie über Individuen regiert, die sich für die Konkurrenz zurichten müssen, die in ihren Ansprüchen sich an den Bedingyngen der Konkurrenz orientieren, macht die Bequemlichkeit und den Erfolg der bürgerlichen Herrschaft aus. Die eine Klasse kümmert sich um ihren Erfolg, die Vermehrung ihres Reichtums, erwartet vom Staat die gewaltsame Sicherung der Regeln dieses Geschäfts sowie die Herstellung der allgemeinen Bedingungen, auf die sie bei der Abwicklung der Profitproduktion angewiesen ist. Zwischen dieser Klasse und den Regierenden herrscht also ein notorisch gutes Verhältnis, ganz ohne staatsmonopolistische Verschmelzung; und Bestechungsmaßnahmen ergänzen das Zusammenwirken von politischen Amtsträgern und der Welt des großen Geschäfts, wo immer diegesetzlichen Bestimmungen alternative staatliche Entscheidungen und dem Privatinteresse der Politiker einen Zusatzverdienst eröffnen. Bei alledem übt sich die Klasse der Lieblingsbürger in Tausend von Beschwerden über eine Welt voller Hindernisse. Die demokratisch geordnete Welt ist ihr Mittel und im Maß ihres Erfolgs sind sie unverschämt.
Die andere Klasse hat sich mit ihrem Mißerfolg, als Geschäftsmittel des Kapitals eingerichtet. Sie ist lebenslänglich mit nichts anderem als der schwierigen Kunst beschäftigt, von ihrer Arbeit leben zu müssen, und pflegt gewöhnlich nur solche "Ansprüche", die sich auf das Zurechtkommen mit der vorgeschriebenen Armut beziehen.
Vermittels seiner Gewalt ist der bürgerliche Staat das politische Subjekt dieser Ökonomie. Er unterwirft mit der Garantie des Geldes und der Einrichtung und Kontrolle aller anderen Geschäftsbedingungen seine Gesellschaft dem Maßstab des abstrakten Reichtums und zwingt mit seinen freiheitlichen Gesetzen seine Bürger dazu, sich innerhalb der Schranken des Privateigentums nützlich zu machen. Aber er ist das Subjekt der Ökonomie als souveräner Diener an fremdem, privatem Reichtum und dank dieser Trennung genießt er gegenüber seinem Volk einen sehr guten Ruf: Nämlich den Schein, sich für dessen Interessen einzusetzen, deren erfolgreiche Durchsetzung allerdings dem einzelnen und seiner Bewährung in der Konkurrenz obliegt. Und, soweit das nicht gelingt, was für die eine Klasse vorab feststeht, hat die bürgerliche Staatsgewalt den Schein der Ohnmacht gegenüber der Ökonomie auf ihrer Seite, auf die sie alle verpflichtet. In der Demokratie gibt es neben dem vermeintlich beschränkten politischen Subjekt ein zweites: "die Wirtschaft". Das Geschäft einmal per Gewalt etabliert - damals war die Parteilichkeit des Staates für die Bourgeoisie kein Geheimnis! - und als die "stumme Gewalt" der ökonomischen Verhältnisse etabliert, ist der bürgerliche Staat Nntznießer der "sachgesetzlichen" Zwänge, die das Kapital exekutiert. Er genießt den güten Ruf, mit seiner Politik manches zu bewältigen und anderes zu "kompensieren", für das er selbst nichts kann. Wenn die Abhängigkeit aller von der Kapitalverwertung und die dazugehörige Ideologie, daß "unser Wohl" mit dem "der Wirtschaft" zusammenfällt, durchgesetzt sind, dann erhält auch die vom Staat vorgenommene Beschränkung der Interessen zu gunsten des nationalen Reichtums ganz prinzipiell die Rechtfertigung, daß dies zum Nutzen der Allgemeinheit geschieht.
...und sozialistischer Unterdrückung
Die Volksdemokiatien haben sich diesen pleonastischen Namen gegeben, weil sie sich als Vollstrecker der Aufgabe begreifen, an der nach ihrer Auffassung die Demokratie immerzu "scheitert". Die Anteilnahme, die bürgerliche Staaten ihren Bürgern angedeihen lassen, indem sie ihnen ihre staatlich erwünschte Tätigkeit in Gestalt von Rechten vorschreiben, ihre Sorge um die arbeitende Klasse als Geschäftsmittel, auf dessen Tauglichkeit geachtet wird, deuten sie als Verpflichtung des Gemeinwesens auf deren Erfolg. Und der tritt nie ein, wofür diese Sozialisten die "ungerechte" Bevorzugung der anderen Klasse verantwortlich machen. Diese Ungerechtigkeit mit einem perfekten Sozialstaat aus der Welt zu schaffen, haben sie sich vorgenommen und mit der Verstaatlichung des Privateigentums venneintlich die notwendige Machtvollkommenheit und sichere Grundlage dafür gesichert.
Eine Herrschaft, die "wirklich" für und im Namen ihres Volkes regiert, die sich für ihr Volk nützlich macht, ist das Programm der Kommunistischen Parteien. Die idealistische Einheit von Führung und Massen, von der Arbeiterklasse, die herrscht, und der Partei, die das als ihr verlängerter Arm für sie erledigt, löst sich faktisch zwar auf in ein Volk, das sich in der Produktion des nationalen Reichtums verausgabt, und die Partei, die es dabei kommandiert und beaufsichtigt. Aber der politische Wille, den Dienst am Staat mit dem Erfolg der Bürger zusammenfallen zu lassen, erlahmt nicht, auch wenn er sich laufend an den selbst geschaffenen ökonomischen Gegensätzen blamiert. Die Partei dem bürgerlichen Staat - und das begründet das ganze Hin und Her der revisionistischen Parteien mit ihren Erziehungs- und Vereinnahmungsmaßnahmen, ihren ständigen Rechtfertigungs- und Disziplinierungsbemühungen.
Der Schein einer Regierung, die sich mit unabhängig von ihr wirkenden Sachgesetzen konfrontiert sieht und sich ehrlich um deren Bewältigung bemüht, kann im realen Sozialismus überhaupt erst gar nicht aufkommen. Die Partei macht den Plan, ist universeller Untemehmer und Arbeitgeber, legt Gewinne, Löhne, Preise usw. fest und kontrolliert die Ausführung ihrer Planvoigaben. Sie hat sich positiv auf die Existenzgarantie ihrer Bürger verpflichtet, und mehr als das: Sie hat ihnen ständig wachsenden Wohlstand zugesagt, allgemein in den Etappenmodellen vom langsamen Hinüberwachsen in den Kommunismus, in dem "jeder nach seinen Bedürfnissen...", in den fünfziger Jahren sehr anschaulich als Einholen und Überholen des amerikanischen bzw. bundesdeutschen Lebensstandards und heutzutage noch in jedem Plan: Begonnen werden die Direktiven jeweils mit den vorgesehenen Lohnerhöhungen, der Steigerung und Verbesserung des Konsumgüterangebots und dem Ausbau der
Sozialeinrichtungen.
Auf der anderen.Seite ist es unmittelbar die Angelegenheit der politischen Gewalt selbst, ihre Bürger die dafür erforderlichen ökonomischen Dienste verrichten zu lassen. Die Partei ist also sowohl die Instanz, die den Materialismus ideell ins Recht setzt, wie diejenige, die ihn zurückweist und an den zahllosen Bedingungen relativiert, die erfüllt sein müssen, ehe... Sie verordnet einerseits ihrem Volk ein Arbeitsleben, in dem ohne den nützlichen Schein der Lohnarbeit, nach dem der Lohn die Leistung ganz gerecht entgilt, für einen politisch festgelegten Lohn die staatlich modifizierten Pflichten zu erledigen sind. Auf der anderen Seite fallen die materiellen Zuwendungen den Erträgen der sozialistischen Industrie entsprechend nicht allzu üppig aus. Wegen der periodischen Versorgungslücken gestaltet sich allein die Beschaffung der verschiedenen Lebensmittel zu einer eigenen Sorte Arbeit und die sozialistischen Bürger befinden sich in der Regel in der seltsamen Lage, über mehr Geld zu verfügen, als ihnen ihre Planwirtschaft an käuflichen Waren bietet.
Daß der sozialistische Staat sowohl berechtigte Ansprüche seiner Bürger in die Welt setzt als sie immer wieder höchstpersönlich zurückweist, daß es in der sozialistiischen Gesellschaft niemandem ein Rätsel ist, wer für die beschwerlichen Lebensumstände verantwortlich ist, heißt aber nicht, daß die östlichen Staatsbürger alle erbitterte Feinde ihres "Systems" und Aufständische wären, die bloß die günstigste Gelegenheit zum Losschlagen abwarten. Dieser westliche Glaubenssatz ist nur der theoretische Ausdruck für die Inanspruchnahme des östlichen Volkswillens zur Legitimation der eigenen Kritik an der ungeliebten Souveränität der anderen Seite.
Der wirkliche Volkswille der kommunistisch Regierten pflegt so ziemlich denselben berechnenden Opportunismus wie westliche Untertanen. Er arrangiert sich mit den Bedingungen, die ihm präsentiert werden, unterwirft sich da, wo es sein muß, und kümmert sich darum, wie er am besten zurechtkommt, teils mit Gehorsam, teils unter Umgehung dessen, was sich nach offizieller Lesart gehört.
Die politischen Veranstaltungen der regierenden Parteien ergeben sich daher auch nicht aus der im Westen erfundenen Logik einer sich selbst verewigenden Terrorherrschaft. Es stimmt nicht, daß das gesamte politische Leben im Ostblock der Notwendigkeit gehorcht, die widerstrebenden Bürger in Schach zu halten, indem sie bestochen, manipuliert, geknechtet und bestraft werden. (Daher der Spaß, daß zuweilen westliche Ostkorrespondenten, wenn sie mal ihren Beobachtungen mehr glauben als ihren Ideologien, in den Verdacht der Kommunistenfreundschaft geraten und versetzt werden.) Die politische Inanspruchnahme des Bürgerwillens, die die ständig zitierte harmonische Übereinstimmung von Volk und Führung zwar wirklich in jedem Detail widerlegt, ergibt sich ganz umgekehrt aus der zwiespältigen Auffassung der regierenden Volksbeglücker über ihr Volk. Auf ihre Art wissen sie nämlich über den Gegensatz Bescheid, den sie ihren Massen auferlegen: Sie bezweifeln sehr offensiv die Eignung ihrer Bürger für den Sozialismus, wenn sie z.B. als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus, keine ökonomische, sondern eine pur moralische, die Erziehung des neuen "sozialistischen Menschen" anführen, dessen angeblich erstes Bedürfnis die Arbeit sein soll. Und nicht nur in solchen Programmen, sondern vor allem in der Begutachtung ihrer Ökonomie, mit deren Resultaten sie nie zufrieden sein können, verfallen sie sehr unkritisch immer auf die zu geringe Tauglichkeit ihrer Betriebsleiter und Arbeiter für die edlen Planziele. Das ganz grundsätzliche Mißtrauen der kommunistischen Parteien gegenüber ihrem Volk, daß dessen Idealismus nicht genügend ausgeprägt sei, um dem Sozialismus zum Erfolg zu verhelfen, begründet die politischen Prozeduren, deren Zweck in der moralischen Erziehung und Beaufsichtigung des Volkes besteht. Damit haben sie sich allerdings eine Aufgabe zu rechtgelegt, die unendlich ist, weil es kaum ein normaler Mensch zustandebringt, sich zum 150-prozentigen Moralbolzen zurechtzubiegen, der die ständig gegeißelten "Erscheinungen" wie "Doppelmoral", Heuchelei und Zynismus - also die Betätigung gewöhnlicher Moral fallen läßt.
Vielmehr provoziert die offizielle Staatsmoral als Überbau über Not und Gewalt das Entstehen jener trostlosen Sorte Opposition, die im Namen der reinen unbefleckten Ideale gegen deren Mißbrauch durch die Partei zu Felde zieht und dem imperialistischen Lager bescheinigt, daß nicht im östlichen Unrechtsregime, sondern im freien Westen die höchsten Werte der Menschheit ihre Heimstatt haben.
Rechtsstaat
Der bürgerliche Staat fixiert die Regeln der Konkurrenz durch seine Gewalt in der Form von Rechten und Pflichten gegenüber sich selbst. Er setzt damit nicht lauter Freizügigkeiten und Annehmlichkeiten für seine Bürger in die Welt, sondern erhebt sein Interesse zum Maßstab, an dem er das freiheitliche Treiben seiner Bürger mißt. Der Gebrauch, den die Bürger von ihren Rechten zu machen haben, hat seine verantwortungsvolle Grenze, die einem der Herr Gesetzgeber diktiert. Darüberhinaus anerkennt er alle die mit dem Privateigentum auftretenden Kollisionen als notwendige Begleiterscheinung der idyllischen Lebensbedingungen, die er seinen Bürgern verordnet. Seine Gesetzbücher sind im Unterschied zur vorherrschenden gutwilligen Auffassung keine Anleitung für friedliches Zusammenleben, sondern der äußerst zuverlässige und detaillierte Katalog all der Sorten von Gewalttätigkeit und Gemeinheit, die die kultivierte bürgerliche Gesellschaft erneugt. Ein Katalog, der nicht für die Unterlassung dieser Handlungen sorgt, sondern die Kriterien festlegt, nach denen die Staatsgewalt sie beurteilt und entscheidet, wann sie ihrem Zweck zuwiderlaufen. An den als Unrecht verurteilten Taten wird durch die Ausübung der Staatsgewalt per Strafe die Gültigkeit dieses Maßstabs vollstreckt. Nur weil das Rechtswesen nicht unmittelbar den Händeln unterworfen ist, die die Parteien miteinander abmachen, genießt es den Ruf der Unabhängigkeit von der Politik.
Als ob es nicht die sehr politische Beziehung einer Tat auf die staatlichen Zwecke wäre, wenn das Umbringen von Menschen ein Mord, ein Notstand oder sogar eine Handlung im öffentlichen Interesse sein kann.
Wenn die Ruinierung einer Person je nachdem Betrug oder rechtmäßiges Geschäft ist, was sich manchmal von heute auf morgen, wenn gerade ein neues Gesetz beschlossen worden ist, ändert.
Und diese Beurteilung des alltäglichen Treibens der Bürger, keine theoretische, sondern praktische Veranstaltung, die als Gesetzgebungstätigkeit den dauerhaften Gegenstand der Politik ausmacht, hält für so gut wie jede Unternehmung Paragraphen bereit, die mit Sanktionen versehen die Leute dazu anhalten, ihr Geschäft, ihre Gesundheit, ihre Familie, ihre öffentlichen Äußerungen der Zweckmäßigkeitserwägung des Staats, zu was er Geschäfte, Gesundheit, Familie und öffentliche Äußerungen - benützt sehen will, zu unterwerfen. Die Härten, die diese Verhältnisse mit sich bringen, darf jeder mit sich selbst und seiner Umwelt - im Rahmen des rechtlich Erlaubten - abmachen.
Unrechtsstaat
Professionelle Antikommunisten und Dissidenten haben das Gerücht in Umlauf gebracht, daß die sozialistischen Staaten samt und sonders keine Rechtsstaaten seinen, sondern das Recht völlig "politisiert" hätten bzw. eine pure "Willkürherrschaft" ausübten, was auf dasselbe hinausläuft. Den Maßstab für diese Erkenntnisse bilden allerdings nicht die östlichen Gesetzbücher, sondern das Dogma, daß die Nichtanerkennung des Privateigentums das allerhöchste denkbare Unrecht darstellt. Eine Staatsgewalt, die sich nicht auf dieses edelste aller Menschenrechte verpflichtet, setzt "bloß ihren Willen" als Recht und praktiziert deshalb "Willkür".
Die realsozialistischen Staaten sehen das anders. Sie haben sich den Idealismus der bürgerlichen Demokratie voll zu eigen gemacht, der Recht mit Vorteil verwechselt, nur die Anerkennung des Willens und den Schutz der Interessen sehen will und nicht die Beschränkung des Willens durch eine Staatsgewalt, die sich in alle Beziehungen einschaltet und sie, als Rechte und Pflichten sortiert, auf sich bezieht.
Ihre Anklage gegen die Demokratie faßt sich daher auch in dem Vorwurf der ungerechten Bevormundung der einen und der Unterprivilegierung (= Unter(!)bevor(!)rechtung) der anderen Klasse zusammen. Sie bezichtigen die demokratische Verwaltung der Arbeiterklasse und ihrer Nöte des Mangels, bestenfalls "formale" Rechte zu gewähren, während sie umgekehrt endlich für "wirkliche" Gleichheit und Rechte, durch die entsprechende Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse gesorgt hätten.
Das vvichtigste und größte Recht, das die Arbeiterklasse genießt, ist das auf die eigene Herrschaft, das sie vermittels ihrer Partei ausübt. Und das ist keine Phraseologie, sondern bitter ernst gemeint. Genauso hartnäckig, wie die Ostkommunisten auf ihrer falschen Gleichung von Recht und Nutzen bestehen, auch wenn sich der Nutzen der mit allen Rechten versehenen Arbeiterklasse in die ewigen Versprechungen für die Zukunft und ansonsten in die revisionistischen höheren Werte verflüchtigt, genauso beständig weigern sie sich, die Identität von Recht und Gewalt, die sie praktisch in ihrer Herrschaft über die Arbeiterklasse exekutieren, wahrzuhaben.
Stattdessen kodifizieren sie mit der ihnen eigenen Gründlichkeit alles, was einem Arbeiter in seinem Staat vorgesetzt wird, als dessen Recht: die Vollführung der Politik, die Kriterien nach denen z.B. die Partei ihr Personal auswählt, den Leninschen Führungstil, ihre Streitigkeiten austrägt - demokratischer Zentralismus -, den Plan erstellt mit "Anhörung" der Betriebsleitungen, "Verteidigung" der Planpositionen und freiwilliger Verpflichtung auf das vorgegebene Soll; die Hinzuziehung der Bürger zu den Staatsangelegenheiten, die gesamten ehrenamtlichen Tätigkeiten als "Volkskontrolleur", Rechtsberater, Erziehungsbeauftragter für Lehrlingsbrigaden oder für die Umerziehung amoralischer Elemente, die Betätigung als Schlichter in nachbarschaftlichen Streitigkeiten, die Beteiligung an der kommunalen Verwaltung und am Umweltschutz, die Teilnahme an sogenannten öffentlichen Beratungen über geplante Gesetzeswerke und an den regelmäßig abgehaltenen staatsbürgerlichen Bildungsveranstaltungen usw. usf. - alle staatlichen Angelegenheiten werden den sozialistischen Bürgern als ihre ureigensten Rechte als Auftrag übertragen. Und nicht nur das: Auch ihre materiellen Anliegen, Lohn, Prämie, Gesundheit, Wohnung, Urlaub und auch ihr Vergnügen: Kulturgenüsse, Sporteinrichtungen und Volksmusik werden nicht einfach geboten bzw. dem Geschmack der Beteiligten überlassen, sondern stehen ihnen rechtmäßig zu, auch wenn sie wohl in den seltensten Fällen eingeklagt werden.
Daff durch diese Gleichsetzung der Staatsraison mit der vollen Entfaltung der Arbeiterpersönlichkeit beides noch nicht das Gleiche ist, belegt nicht nur die mäßige Begeisterung der sozialistischen Bevölkerung für die Wahrnehmung der ihr zugesicherten Mitwirkung bei allem und jedem. Zudem ist die Tatsache nicht zu übersehen, daß das Recht auf Gesundheit deren Verschleiß nicht ausschließt, das Recht auf Wohnung auch nicht unbedingt heißt, daß man eine gescheite hat usw. Umgekehrt bemerken die leitungsbeauftragten Vorbilder der Partei durchaus den mangelnden Respekt für die sozialistische Gesetzlichkeit, was sie am liebsten als "Unreife" von Subjekten deuten, die sich am "eigenen Interesse" an der Entfaltung des Sozialismus vergehen. Ihre ideologischen Schwierigkeiten, zu erklären, wie mitten in einer Gesellschaft, die mit ihren ökonomischen Gesetzen, mit sich selbst ihren Massen und ihrer Führung völlig übereinstimmt, "Erscheinungen" von "Hooliganismus", "kleinbürgerliches Besitzdenken", "verantvvortungslose Handhabung öffentlicher Ämter", "Mißbrauch öffentlichen Eigentums", "Vandalismus" und "Trunksucht" auftreten können, hindert sie indes keineswegs daran, dagegen entsprechend ungemütlich vorzugehen. Ihr Rechtsstandpunkt, nach dem solche Vergehen nicht bloß Gesetze brechen, sondern dem Interesse der kompletten Arbeiterklasse zuvvider handeln, versieht sie auch mit dem dazugehörigen guten Gewissen, ohne das staatliche Gewalttaten ja nie über die Bühne gehen. In einem unterscheidet sich ihr Rechtsstandpunkt alleidings noch von dem der bürgerlichen Gesellschaft: Eine Politik, die sich als Vollzugsorgan der Arbeiterklasse begreift, die also definitionsgemäß ihr Einvernehmen mit der Arbeiterklasse voraussetzt, legt neben der Bestrafung besonderen Wert darauf, auf die Gesinnung der Straffälligen Einfluß zu nehmen. Es kann ja letztlich nicht der Fall sein, daß ein Mitglied der Arbeiterklasse bei vollem Bewußtsein und in Ausübung seines freien Willens nicht mit dieser seiner rechtmäßigen Ordnung einverstanden ist. Und, wenn es sich nicht um kleinere verzeihbare Delikte handelt (kleinere Fehler hat ja auch diese Ordnung immer noch an sich), sondern um eine grundsätzliche Gegnerschaft, muß es sich entweder um einen Überrest der alten Klassenfeinde handeln, oder um einen feindlichen Agenten oder um jemanden, der seines Verstandes nicht mächtig ist.
Was jetzt allerdings besser oder schlechter ist, ein bürgerliches oder ein sozialistisches Gefängnis, der bürgerliche oder der sozialistische Umgang mit Staatsfeinden, diese Frage überlassen wir guten Gewissens dem Untertanenstandpunkt der immerzu auf Erkundungsfahrt nach dem "kleineren Übel" geht und ausgerechnet in dieser Abteilung nach "Humanität" ruft.
Sehr wirtschaftliche Sozialpolitik
"Der Wirtschaft" gilt die ständige ungeteilte Aufmerksamkeit der bürgerlichen Demokratien. Um deren Rentabilitätskalkulationen den gebührenden Erfolg zu sichern, verwenden die Staatsagenten, ohne Kosten zu scheuen, den Teil des gesellschaftlichen Reichtums, den sie von ihren Bürgern eintreiben, zur Finanzierung all der Mittel, auf die das Kapital angewiesen ist: Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Naturwissenschaften, Technologie und Ausbildung - von den "Sicherheits"anstrengungen ganz zu schweigen. Sie registrieren den Verlauf der Geschäfte und lassen sich auch vom reellen Maß ihrer Einkünfte nicht davon abhalten, Mittel zur Förderung dieser Geschäfte zur Verfügung zu stellen. Die Staatsverschuldung mit ihrer Eigentümlichkeit, mehr Werttitel in Umlauf zu bringen als real erwirtschaftet worden sind, gibt dem Kreditwesen Auftrieb und erlaubt, die Akkumulation ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes zu beschleunigen, so daß der bürgerliche Staat, das angebliche Opfer der Konjunkturzyklen, selbst maßgeblich an ihrer Veranstaltung beteiligt ist. Demgemäß verwendet er seine ganze Macht darauf, seine übrigen Aufgaben so wahrzunehmen, daß die ganze Gesellschaft der Herstellung und Bewältigung von Krisen zur Verfügung steht.
Sozialpolitik dreht sich, wie ihr Name sagt, ums "Gesellschaftliche", und die eingebürgerte Assoziation mit Armut ist auch nicht zufällig. Die Demokratien nehmen das Nicht-Gelingen der Arbeiterreproduktion vorweg, indem sie die arbeitende Klasse zum Zwangssparen für die mit Sicherheit eintretenden Unsicherheiten ihrer Existenz veranlassen:
Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Alter. Dabei macht sich der Umstand, daß die Organisation der Arbeiterklasse diese Institutionen, die sie selbst einmal erkämpfen mußte, mittlerweile als staatliche "Leistungen" begreift, angenehm bemerkbar. So exekutieren sämtliche Demokratien zur Zeit ihr "Sparprogramm" an diesen Einrichtungen, die in "guten Zeiten" eine Finanzquelle des Staates geworden sind und nun dem finanzpolitischen Lehrsatz gehorchen, daß nicht mehr ausgegeben werden kann, als da ist. Die Sorge um die Tauglichkeit der Arbeitskraft angesichts der Fährnisse des Arbeiterlebens gebietet eine Verwaltung, nicht "Kompensation" der Opfer, und schon gleich keine Verhinderung der Schäden. Der Abstieg zum Pauperismus wird mit dem warnenden Hinweis der Gewerkschaften und Politiker auf "sozialen Sprengstoff" überwacht, wenn das Kapital in Gestalt der wachsenden Arbeitslosenzahlen über die Unbrauchbarkeit größerer Portionen des Proletariats entschieden hat.
Soziales im Sozialismus: Kostspielige Verpflichtungen
Die Wirtschaftspolitik der sozialistischen Staaten fällt mit ihrer "Planung" zusammen, Konjunktur und Krise sind abgeschafft. Stattdessen befassen sich die Planer mit der mangelhaften Einhaltung ihrer Vorschriften, denken sich kompensatorische Methoden aus: sozialistische Wettbewerbe für die diversen Anliegen, neue Prämien oder anders aufgeschlüsselte Kennziffern, oder fassen dasselbe als "ökonomische Reform" ins Auge, die sich immer zwischen den Extremen "Zentralisierung" oder "Dezentralisierung" bewegt: Soll man sich lieber auf die detaillierte Festlegung all der erwünschten Effekte sozialistischen Wirtschaftens verlassen oder lieber mehr auf die "eigenverantwortliche" Wahrnehmung der Aufgaben durch die Leiter, die sich ja manchmal sehr produktiv bezahlt macht?
Daneben verfertigen die sozialistischen Staaten den schönsten und ordentlichsten Haushalt der ganzen Staatenwelt: einen Haushalt, in dem die eingenommenen bzw. als Einnahmen geplanten Mittel bis auf die Pfennige auf die verschiedenen Posten verteilt werden. Dabei macht sich der Fehler der realsozialistischen Reichtumsproduktion, einen neuen Typ abstrakten Reichtums zum praktischen Maßstab ihrer Politik zu erklären, sich also weder auf die Künste des Kapitals bei der Vermehrung dieser Art Reichtum verlassen zu wollen noch sich gleich auf die Produktion des sachlichen Reichtums zu konzentrieren, unangenehm bemerkbar: Die Staatsverwalter haben allen Ernstes mit dem zu schaffen, was in den bürgerlichen Demokratien eine Ideologie ist, mit der Knappheit der Mittel. Die "Beschleunigung der Entwicklung der Produktivkräfte" findet als Verteilung staatlicher Investitionsmittel zwischen konkurrierenden Ansprüchen der sozialistischen Betriebe statt, als "Konzentration auf volkswirtschaftlich strukturbestimmende Aufgaben", was schon immer bedeutet hat, daß als weniger "strukturbestimmend" eingeschätzte Zweige gezwungen sind, ohne zusätzliche Mittel die Produktion aufrechtzuerhalten oder sogar zu steigern. Versorgungslücken, aber auch chronische Mängel in Transportwesen und Energieerzeugung sind die Folge. Die "Produktivkräfte" geraten darüber tatsächlich den Kommissionen zum Dauerproblem...
Der andere wesentliche Posten im sozialistischen Staatshaushalt - daß das Militär darin nicht in allen Einzelheiten aufgerechnet wird, halten wir nicht für eine herausragende Bosheit -, der sogenannte "gesellschaftliche" - im Unterschied zum "privaten", per Lohn bestrittenen - "Konsum" unterscheidet sich vom bürgerlichen "Sozialhaushalt" sehr grundsätzlich.
Schließlich handelt es sich dabei um die Leistungen, die der Sozialismus als gerechte Ansprüche der Arbeiterklasse an eine wirkliche Demokratie anerkannt und zu seiner Aufgabe gemacht hat. Daß die Arbeiterklasse an der Macht endlich einmal in den Genuß der Produktionsverhältnisse kommen soll, sieht das Staatsprogramm ja genau so vor, daß auf der einen Seite eine geregelte und ständig bessere Güterversorgung stattfindet, auf der anderen Seite der gesellschaftliche Reichtum endlich einmal in Anspruch genommen wird, um Wohnungen, Gesundheit, Bildung, Erholung und Kultur für die "breiten Massen" zu finanzieren, statt neue Geschäftszweige auf Kosten der Arbeiter in ihrer Eigenschaft als "Kaufkraft" zu eröffnen. Die sozialistische Sozialpolitik hat nicht den garantierten Mißerfolg der Arbeiterklasse zum Ausgangspunkt, sondern ein Maß anerkannter Bedürfnisse, deren Befriedigung einer in ihre Rechte gesetzten Arbeiterklasse zusteht. Daher sehen die entsprechenden Einrichtungen der sozialistischen Staaten auch anders aus - die Bevölkerung der Industriestädte und das Landvolk erfreuen sich zwar keines "Wohlstands", jedoch umgibt auch kein Pauperismus in Form von dicht besiedelten Elendsvierteln die gewöhnliche Armut. (Herunterdrücken unter das Existenzminimum findet statt in den Staaten, deren Inanspruchnahme westlicher Kredite und sonstiger "Hilfen" schon einen so weitgehenden Ruin der sozialistischen Industrie zustandegebracht hat, daß die Regierenden die Existenzgarantie für ihre Untertanen aufgekündigt haben, wie in Polen, Rumänien und teilweise in Ungarn.)
Was die "Versorgung" mit Bildung und Gesundheit betrifft, sind die entsprechenden Einrichtungen vorhanden, und sie werden eingesetzt, ohne gleichzeitig als Finanzquelle ihrer Betreiber zu dienen, die ständig im Kampf mit dem "Anspruchsdenken" liegt. Während die bürgerlichen Staaten dafür sorgen, daß für sie keine Kosten aus den Lasten der Arbeiterexistenz entstehen, und die steigende Beanspruchung der Sozialversicherung an die Versicherten selbst zurückgeben, indem sie erstens die Abgaben dafür erhöhen und zweitens die Leistungen kürzen, ist ein solcher Umgang mit den ehrwürdigen Rechten der Arbeiterklasse im Sozialismus undenkbar. Was im Westen als nützliche Ideologie zum Sparprogramm vertreten wird, daß die Finanzierung dieser Abteilung einen Abzug von staatlichen Mitteln darstellt, von Mitteln, die er zur Zeit "nicht hat" ("Finanzloch"), hat das im Sozialismus durchaus Realität: Mittel für den "gesellschaftlichen Konsum" konkurrieren wirklich mit denen für die Förderung der Produktion. "Gesellschaftlicher Konsum" und verbesserte "Güterversorgung" geraten da durchaus zum Widerspruch, an dem sich Plankommissionen kalkulatorisch abarbeiten und den die Arbeiterklasse spürt. So sind die regierenden Arbeiterfreunde auch auf den Gedanken verfallen, aus ihrer Not eine Tugend zu machen, und die Verteilung von Sozialleistungen als Mittel zur Steigerung der Produktivität einzusetzen. Die Koppelung von besonderen Leistungen in der Produktion mit Anrechten auf Wohnung, Kuraufenthalte und Urlaub mag zwar ein "Leistungsanreiz" sein, taugt aber naturgemäß nicht zur Behebung des Dilemmas, daß dem Sozialismus die Finanzierung seiner guten Absichten, gemessen an den Erträgen seiner Volkswirtschaft, teuer zu stehen kommt.
Ein Sparprogramm wie im Westen kommt allerdings nicht in Frage. Schließlich stellen sich die sozialistischen Staatsmacher der Verpflichtung, ihrem Volk zu beweisen, daß der ganze Staat um ihres Wohlergehens willen gemacht wird. Und gerade in Zeiten, in denen in der Güterversorgung dem Volk alle möglichen Verzichtsleistungen zugemutet werden, ist den Regierenden der Nachweis, daß es trotz gewisser "Schwierigkeiten" vorwärts geht, soviel wert, daß in dieser Sparte Erfolge vorgewiesen werden müssen. So hat die DDR Anfang des Jahres die Mieten gesenkt und ein ungarischer Ökonom hat in unnachahmlicher Direktheit diesen unfreiwilligen Zynismus zu Papier gebracht:
"Das Gesundheitsprogramm des sechsten Fünfjahrplans sollte nicht nur deshalb begrüßt werden, weil ein besonders wichtiger Bereich Priorität erhält, sondern auch deshalb, weil in einer Zeit, in der die Konsumtion unbedingt gebremst werden muß, Fortschritte in einem Bereich eingeleitet werden, die die ganze Bevölkerung betreffen. Gibt es nicht andere ähnliche Möglichkeiten? Z.B. ein oder zwei nationale Angelegenheiten, wie der beabsichtigte Wiederaufbau des Nationaltheaters oder eine große
moderne Konzerthalle - um so die Lebensbedingungen zu verbessern, da ja die geistige und intellektuelle Moral zweifellos mit zu dieser Kategorie gehören."
Weitergehende Rücksichtslosigkeiten, mit denen der Arbeiterklasse wie im Westen erklärt wird, daß ihre Lebensbedürfnisse unbezahlbar sind, weshalb sie dazu übergehen sollte, sich so etwas abzugewöhnen, unterstellen allerdings - siehe Polen - die westliche Mitwirkung bei der Verarmung der Nation. Das bringt der reale Sozialismus aus eigenen Kräften nicht zustande.
Die öffentlich-rechtliche Technik demokratischer Ermächtigung
Die gewaltsame Absicherung der Konkurrenz durch Gesetzgebung und Rechtsprechung, die wirtschaftspolitische Unterstützung der Kapitalakkumulation, der Unterhalt von Geld- und Kreditwesen, die Durchsetzung des Konjunkturverlaufs und die sozialpolitische Unterordnung der Arbeiterklasse unter deren Erfordernisse machen zwar den Gegenstand der Politik aus, gelten aber in den Demokratien nicht als solche, sondern als die Vollstreckung sachlicher Notwendigkeiten, für die nicht die Politiker verantwortlich zeichnen, sondern an denen sie sich abarbeiten. Diese Beurteilung entspricht zwar nicht der Wahrheit, denn ohne die staatliche Durchsetzung dieser Notwendigkeiten wäre ihr "Wirken" schnell beendet, aber sie dokumentiert den Grad staatsbürgerlicher Reife, den die Demokratien mittlerweile bei ihren Untertanen erzeugt haben. Keine nationale Arbeiterklasse in den imperialistischen Demokratien - und keine von deren Organisationen - ficht diese sogenannten Notwendigkeiten, deren Wirkungen sie am eigenen Leib verspürt, praktisch an. Gestritten wird überhaupt nur darum, ob die Politiker ihnen korrekt, mit dem richtigen Konzept und der notwendigen Tatkraft entgegentreten. Politik beruft sich auf die von ihr selbst erzwungenen Unterwerfungsleistungen eines modernen Staatsbürgers: die Einhaltung der Gesetze, das Zahlen von Steuern und Abgaben, die Dienste als Mutter, Arbeiter, Arbeitsloser oder Soldat - als naturnotwendige Selbstverständlichkeiten; und den Bürger versieht sie quasi aus Dank für seine Dienste mit dem Recht, den Konkurrenzkampf um die Macht im Staat per Kreuzchen entscheiden zu dürfen: als Wähler darf er das Personal seines Vertrauens ermächtigen.
Niemand glaubt daran, durch seine Wahlstimme das eigene Wohlergehen zu garantieren. Inhalt und Wirkung der Machtausübung für die Bürger stehen nicht zur Begutachtung an, sondern getrennt davon die Befähigung der Karrierefiguren, die sich anbieten, Politik zu machen und für das Deckeln der Leute die "Verantwortung" zu tragen. Gegenstand von Wahlkämpfen und der politischen Inszenierungen zwischen den Wahlen sind nicht der staatliche Umgang mit Löhnen und Preisen, die Absicherung des Geschäftserfolgs und die Herstellung von Arbeitslosen, Kranken - eher schon der effektive Umgang mit den Opfern -, sowie Asozialen und Verbrechern. Gestritten wird darum, wie die Politiker dabei aussehen, ob sie über die nötigen Qualifikationen und Tugenden für ihr Amt verfügen, ob sie ihre Manöver geschickt, glaubwürdig, dilettantisch oder ohne Fortune erledigen. Die Methoden der Herrschaft, losgelöst von ihrem Inhalt, die Abstraktionen des Regierens fungieren als
Diskussionsgegenstand und Kriterien der Beurteilung von Politik, werden selber zu eigenen Problemen aufgebauscht, mit denen sich die Politiker dann aingeblich herummühen. Mit ihrer "Handlungsfähigkeit", "Regierungsfähigkeit", der "Regierbarkeit" der Nation, ihrer "Glaubwürdigkeit", der "Überzeugungskraft " im In- und Ausland befaßt, handeln und regieren sie unverdrossen und konfrontieren In- und Ausland mit ihren durch ihre Faktizität über jeden Zweifel erhabenen, überzeugenden Beschlüssen. Sie ringen dabei aber vor allem mit dem Bemühen, sich treu zu bleiben, aber auch den Realitäten Rechnung zu tragen, mit ihrem eigenen Mut, sich zu unpopulären Maßnahmen zu bekennen, und sie wagen am laufenden Band das, was sie wollen. Sie tragen schwer an ihrer Verantwortung, die sie zu allem möglichen zwingt, und predigen ihre eigene "Entschlossenheit".
Die Offentlichkeit, die organisierte freie Meinung, ist so sehr von der Notwendigkeit des Amts überzeugt, daß dessen Inhalt gleichgültig ist gegenüber der interessierten Erörterung der Amtsausübung und allenfalls als das Material vorkommt, an dem sich die Politikerpersönlichkeit bewährt. Die Ungeheuerlichkeit dieser Veranstaltung besteht darin, daß die Maßstäbe, mit denen die Politiker ihre Konkurrenz um die Macht bestreiten und das Volk daran beteiligen, zum einen Maßstäbe der Herrschaft sind: Tatkraft, Mut, Handlungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen sind ja nicht für die Reparatur eines PKWs, die Bewältigung einer Naturkatastrophe oder die Lösung einer wissenschaftlichen Frage gefordert, sondern als Eigenschaften politischer Macher, die über Wohl und Wehe anderer Leute entscheiden. Zum anderen sind es Maßstäbe des Betrugs, die die mehr oder weniger gekonnte Erzeugung eines Scheins beurteilen: Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Überzeugungskraft, sind nämlich "Argumente", die einmal aufs Privatleben angewandt sofort und mit Grund das größte Mißtrauen hervorrufen würden. Wer würde einem Autohändler ein Auto abnehmen, der den Wagen nicht vorführt, sondern sich stattdessen mit seiner ganzen Person, seinen geistig-sittlichen Werten und dem unerschütterlichen Glauben an seine Mission für die Qualitäten seiner Ware verbürgt? Als Kriterien der Politik sind das anerkannte Gründe.
Darauf zieht sich also die ganze demokratische Freiheit zusammen, daß die "vernünftige" Bevölkerung sich ihr eigenes Regiert-Werden zu Gemüte führen läßt: nicht als das, was es ist, als die Herstellung der handfesten Gegensätze, sondern als die kennerhafte Begutachtung dessen, wie die andere Seite ihr Metier beherrscht. Und auch der Inhalt dieses Metiers kommt zur Sprache, soweit es die Bürger angeht: die Herstellung des scheinhaften Einverständnisses, das Einholen von Vertrauen für die Vollstreckung von Notwendigkeiten, bei der das Volk dann partout nichts mehr mitzureden hat. Dieselbe politisierte Öffentlichkeit, die den Kommunismus mit Vorliebe als Beispiel dafür anführt, wohin die Herrschaft von Ideologien führt, die sich über den scholastischen Dogmatismus und die Glaubensrituale der ML-Politikmacherei entsetzt, verhandelt Politik ihrerseits in Gestalt von Mythen, fiktiven Gesetzmäßigkeiten und chimärischen Abhängigkeiten, pflegt einen modernen Aberglauben, mit dem verglichen die Einsicht in die Lehre von der Partei als höchster Erscheinungsform der Materie eine einfache übung darstellt. Das "Klima" in Bonn, Gefühlszustände von Staatenlenkern, als Krankheitsphasen, als Neigungs- und Hemmungszustände erläuterte wirtschaftliche Sachverhalte, "Kräftekonstellationen" in einem internationalen Gefüge, Gefühle und Mißverständnisse zwischen ganzen Völkern sollen es sein, von denen die Existenz jedes einzelnen letztlich abhängt. Und das ruft kein Erschrecken hervor, sondern bestätigt nur, wie sehr die Politiker das Vertrauen verdienen, dafür, daß sie sich all diesen Unwägbarkeiten "stellen".
Durch diese Trennung der Konkurrenz um die Macht von der geregelten Ausübung der Macht; durch die Fiktion, daß darin die eigentliche Politik besteht, während sonst lauter Sachzwänge erledigt werden müssen, und durch die Beteiligung der Bürger an dieser Veranstaltung ist es der Demokratie gelungen, mit der Entscheidung des Wählers, wem er sein Vertrauen schenken will, eine so umfassende Zustimmung zur wirklichen Politik einzuholen, daß keine der politischen Maßnahmen zur Verarmung des Volkes und zur Vorbereitung des nächsten Krieges samt Giftgasdepots, Übungen zur Katastrophenmedizin und Verlustberechnungen einen Grund dafür abgibt, andere Methoden der Herrschaft anzuwenden. Die Emanzipation vom Bürgerwillen ist so rundum perfekt, daß die Ideologien von der gefährlichen Abhängigkeit der Politik vom Wählerwillen lächerlich aussehen, stattdessen offensiv verwendet werden: Wir sind keine "Schönwetterdemokratie ". Und angesichts dessen soll einen die unglaubliche Machtfülle der roten Zaren in Furcht und Schrecken versetzen!
Die Wege der Sozialistischen Politisierung
Verglichen mit der lustvollen Einfühlung in die Nöte und Triumphe der Obrigkeit ist das politische Getriebe der Volksdemokratien von einer unglaublichen Schlichtheit und Direktheit. Die Oberen sagen, daß sie recht haben, und lassen ihre "Massen" das bestätigen. Das Volk besteht keineswegs auf einer gegenteiligen Ansicht, tut seine Pflicht und läßt sich auch ohne Murren zu nationalen Feierstunden herbei. Die vom freien Westen mit Bedeutung versehenen "Dissidenten" sind höchstwahrscheinlich nicht so viele wie die westlichen Dissidenten, welche der jährliche Verfassungsschutzbericht ins Visier nimmt. Unabsichtlich bestätigen auch die westlichen Beobachter die Schlichtheit von polifischer Machtausübung drüben, wenn sie die politischen Figuren zu "farblosen Persönlichkeiten", die Politik für unsäglich langweilig erklären, oder anfangen, die westlichen Intrigen in sie hineinzulügen und lauter vermutliche, aber leider geheimgehaltene Fraktionen und Vorgänge hinter den Kreml-Mauern kolportieren.
Die Sünde wider die Demokratie, die die Volksdemokratien begehen, indem sie ihrem Volk die spannende Konkurrenz um die Macht vorenthalten und ihm die Wahl zwischen CDU/SPD/FDP, Labour und Tories, republikanisch und demokratisch verweigern, sehen die drüben wieder mal ganz anders.
Auseinandersetzungen um politische Fragen führen die kommunistischen Parteien zwar auch und eine Konkurrenz innerhalb der verdienten Vorkämpfer der Arbeiterbewegung, wer an welcher Stelle weiter vorkämpfen darf, findet auch statt. Aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit, denn die Arbeiterklasse ist an der Macht, so daß konkurrierende Interpretationen von Politik fehl am Platz sind. Zweifel daran, daß die Partei den Interessen der Arbeiterklasse gerecht wird, indem sie selber darüber streitet, dürfen erst gar nicht aufkommen. Allenfalls nach bestimmten Kurskorrekturen werden Fehler und Entartungen mit aller Entschiedenheit verurteilt. Und auch die internen Auseinandersetzungen bzw. Politikerkarrieren werden nicht durch die Erzeugung und Hervorhebung enormer weltanschaulicher Differenzen bestritten. Das Bekenntnis zur Linientreue, die genaueste Einhaltung des Lenin'schen Arbeitsstils, die Beachtung der wegweisenden Beschlüsse des XXV. Parteitags sind Argumente, Abweichung ist ein Vorwurf, und die Berufung auf eherne Prinzipien der Arbeiterbewegung Vor- und Nachwort für jede Einlassung zu jedem Thema. Was die Arbeiterklasse will, daß die Partei der Vollstrecker ihres Willens ist und auch genau weiß, wie er zu vollstrecken ist, steht schließlich außer Frage.
An den Techniken dieser Sorte Politik ist zwar alles zu kritisieren - jedoch nichts unter Berufung auf die Verkehrsformen bürgerlicher Herrschaft. Jedenfalls leidet die politische Benützung des Volkes drüben nicht unter dem schweren Mangel, daß ihr die Selbstbespiegelung eitler Politiker fehlt. Und der Verzicht auf die begeisternden Bundestagspalaver dürfte nicht dasselbe sein wie ein "unfreies, bedrückendes Klima"! Ob die
"Menschen" im Osten unbedingt nach Debatten seufzen darüber, wer wieder welche Gräben aufgerissen, den menschlichen Anstand verletzt und das Vertrauen des Volkes durch unliberale, unsoziale oder unchristliche Touren erschüttert hat, ist zu bezweifeln.
Was das Wählen betrifft, wollen die Parteien im Ostblock mehr: Sie wollen von ihren Bürgern nicht nur die Bestätigung der Parteilinie, sondern: "Wählen heißt, sich bekennen. Wählen heißt mitarbeiten."
Sie tun dem VVesten wirklich nicht den Cefallen, Wahlen deshalb abzuhalten, damit man im Westen denkt, daß drüben auch gewählt wird - und gleich die Entlarvung starten kann, daß man sich von 99,9 prozentigen Einheitsparteiwahlen doch nicht täuschen lasse, weil das ja bloß eine Farce und keine "echte" Wahl sei. Die Volksdemokratien veranstalten Wählen aus ihren Gründen und die legen sie laut und kenntlich dar: Den Regierenden ist daran gelegen, die Zustimmung ihres Volkes schriftlich zu bekommen, als Versprechen weiterer Loyalität, und es beim Wort zu nehmen und auf die politischen Verpflichtungen festzulegen, die diese Loyalität mit sich bringt.
Diese Veranstaltung ist widersprüchlich, aber nicht als Manöver, um Demokraten über die Existenz von Menschenrechten im Ostblock zu täuschen. Es handelt sich vielmehr um ein widersprüchliches Bedürfnis der Herrschaft. Unter der Bedingung der staatlich veranstalteten Ökonomie bestimmt der Staat so offensichtlich jeden Millimeter Lebens, daß er bei der unvermeidlich auftretenden lästigen Schuldfrage fest damit rechnet, für die Unzuträglichkeiten des Sozialismus verantwortlich gemacht zu werden. Seine Zweifel an der Übereinstimmung des Volkswillens mit dem Treiben der Partei "bewältigt" er, indem er.
die eigenen Erfolge gehörig herausstreicht. Mit Leistungsbilanzen anstelle der Bilanzen der vielen "Schwierigkeiten" des Regierens wird der sozialistische Bürger beharkt.
wird die Verantwortung dafür, wie die Leistungen ausfallen, ein wenig von den Zuständigen verschoben in Richtung auf historische Notwendigkeiten, Tendenzen oder Gesetze, denen sozialistische Politiker aber immer äußerst gerecht werden. "Scheitern" oder ein "leider anerkennen müssen, daß" kommt nicht vor. Aus allem wird das unbedingt Beste gemacht, die Parole heißt Optimismus.
wird das Volk ständig für die Abwicklung dieser Tendenzen und Vollstreckung der historischen Notwendigkeiten auf Trab gehalten und - nicht nur in Wahlen - danach "befragt", ob es die Entscheidungen der Partei auch für richtig halte. Es soll seine Auffassung darüber zu Protokoll geben, daß die Notwendigkeiten wirklich notwendig, die Erfolge wirklich beachtlich sind, die Schwierigkeiten gemeinsam überwunden gehören und Optimismus am Platze ist. Die Abwicklung dieser Art Unterhaltung enthebt die Regierenden aber nie grundsätzlich ihrer Sorgen. Sie registrieren mit Sorgfalt die Unzufriedenheit, die nicht ausbleiben kann, und stehen bei der Überprüfung vor immer demselben Problem: ob es eine erlaubte, weil auf einen wirklichen Mangel bezogene, also berechtigte Unzufriedenheit ist, oder ob da politisch Ungetreue die Errungenschaften der Arbeiterklasse in Frage zu stellen wagen.
Und diese Veranstaltung ist alles andere als das Vergnügen geborener Sadisten und Menschenschinder. Sie beruht auf dem Bedürfnis, die Fiktion der Einheit von Volk und Regierung aufrechtzuerhalten, den Volkswillen, den man ja vollstrecken soll, aufseine Übereinstimmung zu prüfen.
Die "politische Kultur" drüben besteht in lauter Beweisen für die Einheit. Gefeiert wird am laufenden Band; der Sozialismus, die Baubrigade XY, die Komsomolzen oder die verdienten Schriftsteller der Nation haben Siege errungen, daß es nur so kracht. Nichts, was zum normalen Leben einer Nation gehört, kommt ohne die periodische Beglückwünschung zu Ruhmestaten, zu siegreich bestandenen Kämpfen an der Erntefront oder zur erfolgreichen Lösung der Bierfrage aus. Das Gelingen des staatlichen Programms wird ständig als eigens zu vermerkende Leistung bekanntgegeben.
Andererseits müssen auch Mängel und Mißerfolge "konsequent bekämpft" werden. Kritik ist da nicht nur erlaubt, sondern geboten und die Massen bzw. die Medien werden damit beauftragt: Da hat z.B. die pflichtvergessene Kiewer Kommunalverwaltung Kanaldeckel abgedeckt und vergessen, so daß unschuldige Fußgänger in die Kanalisation gefallen sind; Verkäufer im HO-Laden verschieben vWaren, anstatt sie zu verkaufen, und das Kombinat betreibt Materialverschwendung, was Rentner auf dessen Müllkippe entdeckt haben. Wer für größere Fehler verantwortlich gemacht wird, ist seinen Posten los. In Polen stehen den ganzen Spitzen aus der Gierek-Epoche politische Prozesse bevor, und in der Sowjetunion hat ein Minister die allgemeine Anti-Korruptions-Kampagne büßen und für illegale Fischkonservengeschäfte sein Leben lassen müssen. Wer als einer, der dem Volk schadet, dingfest gemacht und von der Partei zum Beweis, wie unerbittlich sie auf das allgemeine Wohlergehen achtet, zum Abschuß freigegeben wird, genießt auch als Politiker keine Vorzugsbehandlung.
Zum Beweis dafür, daß in dieser gut geordneten Gesellschaft auch alle besonderen Interessen zum Zuge kommen, erhalten sie eigene "gesellschaftliche Organisationen". Das ganze Spektrum von Interessenvertretungen für Arbeiter, Frauen, Jugendliche, Studenten und Künstler darf und soll sich betätigen. Ihre Interessen sind organisiert, auf staatliches Geheiß. Deswegen brauchen sie sich nicht, wie die freiwillig gegründeten Vereine im Westen, an dem von der Demokratie vorgesehenen Weg der politischen Einflußnahme bis zur politisch eingesehenen Nichtberücksichtigung ihres ursprünglichen Interesses abzuarbeiten. Im Sozialismus sollen berechtigte Interessen vertreten werden, die zwar zu ihrer Durchsetzung noch einiges nötig haben, gleichzeitig aber immer von der vollsten Übereinstimmung mit den Staatsorganen ihren Ausgang nehmen. Wenn die Gewerkschaften daher selber den sozialistischen Wettbewerb organisieren und der Arbeiterklasse erklären, daß mehr Werkswohnungen z.B. nur bei höherer Leistung rausspringen, unterscheidet sich das im Resultat nicht von der Leistung eines DGB, der seine Mitglieder mit lauter Krisenideologien zum Lohnvernicht, mit einer Neuen Heimat und Mitbestimmung beglückt. Es unterscheidet sich allerdings darin, daß der DGB nicht als Staatsdienst organisiert ist.
Daß deshalb aber die Interessenverbände im Sozialismus Tarnorganisationen der Partei wären und die Massen in sie hineingewürgt würden, ist ein bürgerliches Gerücht: Wo vom politischen Interesse bis zur Freizeitgestaltung alles von der Partei organisiert wird, nimmt das Volk eben diese erlaubten wie gebotenen Wege seiner Betätigung wahr. Sonst läuft das sozialistische Vereinsleben so normal und zivil ab, daß es für die westliche Hetze nur mit Mühe tauglich gemacht werden kann. Die politischen Pflichten erfordern nämlich keineswegs Anstrengungen, die "unmenschlicher" wären als die Alltagssorgen eines gewöhnlichen West-Bürgers, und die ideologischen Glaubensleistungen verlangen einem keineswegs schlimmere Gehirnverrenkungen ab als 3 Stunden ZDF/ARD, eine FAZ, FR oder SZ.
Und warum soll ein sozialistischer Bürger nicht glauben können, daß der verstorbene Leonid eine große Lücke hinterläßt, weil er Zeit seines Lebens eigenhändig den Frieden gesichert hat, wenn man als amerikanischer Bürger glaubt, daß die Anschaffung der MX die sicherste Garantie für den Frieden ist? Warum soll man als DDR-Bürger nicht glauben, daß die gespannte internationale Lage gewisse Einschränkungen erforderlich macht, während jeder Bundesbürger unbesehen glaubt, daß ausgerechnet in den Sozialkassen kein Geld mehr ist, während die Steigerung des Militärhaushalts für die Bewachung seines Schrebergartens erforderlich ist. Warum schließlich soll ein Ostblockbewohner nicht an den guten Willen seiner Obrigkeit glauben, für mehr Lebensmittel zu sorgen, wenn ein Westbürger allen Ernstes daran glaubt, daß eine seltsame Krankheit namens Inflation, gegen die seine Regierung hartnäckig ankämpft, und eine andere Krankheit namens "schwere Zeiten", sein Einkommen vermindern?
Ein "sozialistisches Lager" in einer imperialistischen Welt
Ja, Afghanistan. Da müssen Leute ihren Kopf hinhalten für die Interessen der benachbarten Supermacht. Und nicht nur die befugten Hüter der Menschenrechte, die demokratischen Nationen, auch die lateinamerikanischen Militärdiktaturen, afrikanische und asiatische Monarchen, Generäle oder Vertreter eines Sozialismus, der seinem Volk den Hunger mit einem garantiert eigenen Weg verschönt, haben letztens in der UNO wieder einmal sehr geschlossen ihren Abscheu gegenüber dieser Aggression kundgetan. Der freie Westen ist nämlich erstens ein Bündnis, das auf gemeinsamen Werten und Interessen beruht, und hat zweitens zahllose Freunde auf der Welt, denen er seinen Schutz angedeihen läßt und deren Entwicklungsschwierigkeiten er mit Mitgefühl begleitet, schließlich darf keiner Nation die Lösung ihrer Probleme von außen vorgeschrieben werden.
Der Sowjetblock dagegen hat die osteuropäischen Nationen unter den russischen Großmachtchauvinismus geknechtet, mischt sich überall sonst auf der Welt ein und betreibt "bloße Machtpolitik".
Diese Unterscheidung ergibt sich aus den Interessen, die die Staaten der freien Welt, bisweilen sogar gegeneinander, anmelden und auch nicht ohne die bekannten Instrumente der "Machtpolitik" geltend machen. Die Politik des freien Westens besitzt prinzipielle moralische Integrität, während der Mangel an "unseren Interessen" die sozialistischen Staaten ebenso prinzipiell ins Unrecht setzt. "Bloße" Gewalt blamiert sich vor "gerechter"!
Die Menschenrechte von Geschäft und Gewalt
Daß es sich bei besagten Interessen um die des Geschäfts handelt, ist zwar kein Rätsel. Aber da dieses Geschäft nun einmal die Grundlage des nationalen Wohlstands ist, von dem "wir alle leben", und der Name Ausbeutung verpönt ist, vertreten die Politiker gegenüber dem Rest der Welt "unsere Interessen", wenn sie für Entgegenkommen bezüglich der Geschäftsbedingungen von Krupp oder Siemens sorgen. Auch wenn "wir" weder den Preis für die Stahlwerke kassieren noch die Taschenrechner geschenkt bekommen, die in Hongkong Arbeitsplätze schaffen. Die Freuzügigkeit des Kapitals, von der der Normalbürger zumeist erst dann erfährt, wenn "unsere Exportabhängigkeit" Grund zur Klage abgibt oder wegen irgendwelcher politischer Händel auf einmal in überraschend vielen Weltgegenden "unsere Interessen" auf dem Spiel stehen, verdankt sich nicht einfach der überzeugenden Qualität deutscher Wertarbeit oder dem hohen technischen Standard und Unternehmerfleiß der deutschen Industrie. Die Selbstverständlichkeit, daß alle natürlichen Reichtümer bis in die exotischsten Gegenden hinein in Preislisten geführt, daß Mitglieder aller Rassen als Arbeitskraft begutachtet werden, auch wenn die IG Metall in einer Statistik manchen afrikanischen und asiatischen Ländern ungefähr 90-prozentige Arbeitslosigkeit ausrechnet, daß schließlich die Welt als eine einzige Anlagesphäre dasteht, hat sich die freiheitliche Staatenwelt erarbeitet.
Damit Geld die Welt regiert, muß zuerst einmal überall ordentlich regiert werden. Lange vor der Einmischung ortsfremder Sowjets haben die Pioniere der Industrienationen fremde Völker zivilisiert und neben Christentum und Glasperlen vor allem die Einsicht mitgebracht, daß ohne eine zentrale Gewalt, auf die innen alle hören und auf die man sich von außen verlassen kann, das Leben nicht lebenswert ist. Seitdem die Völker anstelle ihrer Kolonialverwaltung das Recht auf Selbstbestimmung bekommen h aben, damit sie aus der Abhängigkeit privilegierter Ausbeutung befreit sich gleichermaßen allen Handelsinteressenten anbieten dürfen, haben auch die ortsansässigen nationalen Repräsentanten vernünftiges Regieren gelernt und sich gewisse Fehler ab- und Einsichten angewöhnt. Das nationale Interesse, das sie vertreten, besteht, mangels eines nationalen Kapitals, im Bedarf der Staatsgewalt selbst, die sich die finanziellen Mittel verschaffen will, um ihrer Ordnungsaufgabe und der gewöhnlich ziemlich absurden nationalen Mission nachzukommen, mit der sie sich einen höheren Existenzgrund heranzieht. Über ihre Einkommensquelle hat sie aber wenig zu sagen, da sie ihrerseits nur das Angebot machen kann, ihr Herrschaftsgebiet für mögliche Geschäfte zur Verfügung zu stellen. Was die ausländischen Interessenten daraus machen, unterliegt deren Profitkalkulation und Geschäftspraktiken, was sich für die zuständige Staatsmacht so bemerkbar macht, daß der Anteil am Geschäft, der auf sie entfällt, als materielle Grundlage für ihre Ambitionen nicht genügt. Die Zeiten, in denen die frisch eroberte oder geschenkte Selbstbestimmung als Mittel betrachtet wurde, gegen die reichen Nationen das Geschäft zu "nationalisieren" und mit einem eigenen Weg einen wachsenden nationalen Reichtum zustandezubringen, in denen auch häßliche Töne über Imperialismus und Ausbeutung laut wurden, sind mittlerweile vorbei. Die verschiedenen Staatsführer haben gelernt, daß die Alimentierung ihres Staatsapparats immer noch besser mit guten als mit schlechten Beziehungen zu den "reichen Nationen" gelingt; und daß in einer Welt, in der das Kapital die Geschäftsbedingungen setzt und entscheidet, welcher Reichtum wirklicher, in Geld zu verwandelnder Reichtum ist, und in der die Mittel für eine allseits respektierte Staatsgewalt auch vorwiegend von den imperialistischen Nationen zur Verfügung gestellt werden, ihr nationales Interesse doch immer noch am besten in einer einvemehmlichen Freundschaft mit den ehemaligen Kolonisatoren besteht. Die führen ja inzwischen auch einen regelrechten Nord-Süd-Dialog mit farbigen Diplomaten, bescheinigen ihnen Verständnis für das Problem einer Bevölkerung, die dummerweise immer zu Hungerkatastrophen neigt, und ermutigen sie, die kostspieligen sozialistischen Experimente zu unterlassen, es stattdessen lieber mit der Marktwirtschaft zu probieren, die doch viel erfolgreicher ist.
Daß die Industrienationen also eigentlich nur noch Freunde rund um die Welt kennen und ehemalige Guerillaführer und Chefs von Befreiungsbewegungen genauso herzlich bei sich empfangen wie Putschisten oder Generäle, die gerade ihren Vorgänger umgelegt haben, heißt allerdings nicht, daß nicht diese ihre Freunde immer wieder auf Schutz und Beistand angewiesen wären. Die leider so instabilen Verhältnisse in ihren Ländern lassen die Konkurrenz um die Macht blutrünstiger und erbitterter ausfallen, als es dem demokratischen Geschmack entspricht, aber da ist Verständnis für andere Sitten am Platz. Das Militär ist zumeist Ordnungsfaktor Nr. 1, läßt sich aber gerade deshalb leicht in politische Wirrnisse "verwickeln"; die Methoden, Ordnung zu schaffen, stellen des öfteren die Bevölkerung vor die Altemative, sich erschießen zu lassen oder sich selber Gewehre zu besorgen, dann ensteht wieder einmal die Gefahr des Terrorismus; und die selbstbestimmten Völker entdecken auch gerne, daß ihre Nachbarn ihnen durch eine ungerechte Grenzziehung oder eine Einmischung in innere Angelegenheiten die Selbstbestimmung wegnehmen wollen, was ihnen per militärischer Bestrafung abgewöhnt werden muß. "Unserer Interessen" wegen muß auch diese Abteilung internationaler Politik aufmerksam kontrolliert werden. Schwierig ist das nicht, denn die militärischen Mittel für solche Unternehmungen müssen ja irgendwoher beschafft werden. Der Waffenexport ist also nicht nur ein gutes Geschäft, sondern auch ein erstklassiges diplomatisches Argument, was die "Krisenherde" in der Welt nicht verringert. Wenn auch nicht jedesmal eigene Interessen soweit tangiert sind, daß der CIA, Truppenberater oder andere friedenssichemde Entwicklungshelfer versendet werden müssen - daß die jungen Nationalstaaten, da sie noch nicht reif für die Demokratie sind, die Frage, wie und von wem sie regiert werden wollen, mit ihren Methoden entscheiden und auch eigene nationale Anliegen haben, für die manchmal ein Krieg fällig ist, ist irgendwo ihr gutes Recht, das ihnen der Imperialismus ja höchstpersönlich verschafft hat. Zumal die Folgen solcher Unternehmungen hinterher immer eine "Sanierung" des Staates erforderlich machen, der daher schon wissen wird, wer seine eigentlichen Freunde und Helfer sind. Ganz viel Sicherheit bekommen solche Staaten schließlich dann, wenn sie sich selber dru eignen, die Sicherheitsbedürfnisse des freien Westens zu friedenzustellen, und das AWACS auch noch mit Öldollars bezahlen können.
Untereinander haben die imperialistischen Staaten auch sehr stabile Beziehungen errichtet, von wegen ihrer gemeinsamen "Werte" - was so viel höher klingt als "Interessen".
Nachdem die USA nach dem 2. Weltkrieg entschieden haben, wie ein Weltmarkt geht, und alle Nationen daraufhin ihr Kapital an der Produktivität des Dollarkapitals vergleichen konnten, haben sich die Maßstäbe für eine gelungene Ausbeutung des nationalen Proletariats rapide gesteigert und über die nationalen Grenzen hinweg verallgemeinert, so daß auch ungebildete Türken, Mexikaner und Indonesier heutzutage zu denselben Diensten taugen wie die traditionsreichen Arbeiterklassen. Die wechselseitige Benützung als Markt und Anlagesphäre hat auch bei den sogenannten Kleinen eine ansehnliche Kapitalakkumulation zustandegebracht, so daß sie auch allesamt an der "Entwicklung" der "Dritten Welt" beteiligt sind.
Die Erfolge der Nationen, die nicht nur unter den Weltmarkt subsumiert sind, sondern ihn vermittels ihres Kapitals für sich benützen können, haben allerdings dazu geführt, daß die Staatschefs ständig Anlässe für Beschwerden und sehr viel miteinander zu regeln haben. Da unter ihren gemeinsamen Wertei der des nationalen Wachstums an der ersten Stelle rangiert und die Konkurrenz ohne Sieger und Verlierer nicht abgeht, gilt es immer wieder, unstatthafte Versuche, sich dem fairen Wettbewerb zu entziehen, und unlautere Methoden, ein nationales Kapital zu begünstigen, abzuwehren, Handelshemmnisse und -verzerrungen "abzubauen", "schwache" Währungen zu stützen sowie dafür zu sorgen, daß keine Nation aus ihrem gefährdeten Nutzen den Schluß zieht, die anderen als "Partner" zu ruinieren.
Zur freundschaftlichen Regelung dieser völkerverbindenden Anliegen haben sich die imperialistischen Nationen Wirtschaftsbündnisse sowie eine Weltwirtschaftsordnung zugelegt, die immer gerade der Konkurrent verletzt und die immer wieder gegen ihre eigenen Krisen gerettet werden muß. Das geschieht, indem den Nationen, säuberlich nach der Rangordnung ihrer Erfolge und der Wucht ihrer Erpressungsmittel sortiert, die Beschränkungen zugewiesen werden, die sie sich beim friedlichen Handel und Wandel aufzuerlegen haben.
Daß diese Abwicklung des Weltmarkts zwar mit allerlei Handelskriegen und wirtschaftspolitischen Strafmaßnahmen verbunden ist, die Akteure jedoch nicht auf die "klassische" Lösung verfallen, ihr Militär als Argument zu benutzen, liegt daran, daß die USA zusätzlich zum Weltmarkt vorsorglich ihre Weltherrschaft in einem Bündnis mit den anderen Nationen verankert haben, das die besiegten bzw. als Siegermächte völlig ausgepowerten europäischen Nationen gar nicht ausschlagen konnten. Die Vereinigung der gesamten Streitmacht der westlichen Welt unter dem Kommando der NATO hat insofern wirklich über 35 Jahre lang den Frieden gesichert, den Frieden zwischen den imperialistischen Nationen nämlich, denen durch diese Vereinigung untersagt worden ist, ihr nationales Militär als Mittel gegeneinander zum Einsatz zu bringen. Ihrem Kriegsbündnis haben die USA eine ihrer Sichtweise entsprechende Zielsetzung mit auf den Weg gegeben. Die NATO verteidigt keine kleinlichen Grenzen oder bornierten nationaten Interessen, sondern Werte: die der Freiheit und der Demokratie. Diese gigantischste und unbescheidenste Kriegserklärung, die alle vorher dagewesenen Heiligen Allianzen und Kreuzzüge in den Schatten stellt, hat ohne Not, d h. ohne daß die USA oder ihre Bündnispartner in ihrem Bestand gefährdet gewesen wären, den ihr adäquaten Feind definiert: Eine Art Ordnung, die die Freiheit und Demokratie mit Füßen tritt, ist der einzige emstzunehmende militärische Gegner, zu dessen Bekämpfung die US-Politiker nach dem Krieg alle europäischen Mächte unter ihrem Kommando versammelt haben. Feind ist der Kommunismus nicht deshalb, weil er die Demokratien zersetzen, Revolutionen in ihnen organisieren oder sonstwie für ihren Niedergang sorgen würde. Er ist der Feind, weil er innerhalb seines Territoriums den Geboten der Freiheit nicht nachkommt, weil er seine Völker und Reichtümer ihrer freiheitlichen Benützung entzieht und sich auch noch untersteht, außerhalb seiner Grenzen um Bündnispartner zu konkurrieren und dritten Staaten so etwas wie eine Alternative zu den guten Beziehungen zum Westen zu bieten. Der Rechtsanspruch des Kapitals auf Menschenmaterial und Natur sämtlicher Weltgegenden hat sich als nationales Interesse der USA so sehr bewährt, daß diese Nation nicht nur alle anderen Nationen zu den Bedingungen ihres Weltmarkts überredet hat, sondern ihnen darüberhinaus das supranationale Anliegen und den gemeinsamen Kriegszweck vorgeschrieben hat, das letzte objektive Hindernis für die Freizügigkeit des Kapitals und seiner politischen Vertreter auf der Welt zu beseitigen. Sein Recht nimmt dieser Standpunkt aus seinem Erfolg: Ebenso wie die Demokratien ihre Bürger restlos für die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation dienstbar gemacht und ihren freien Willen im nationalen "Wir" haben aufgehen lassen, wie sie sich deren Meinung an den nationalen Notwendigkeiten haben bilden lassen, so daß der Fanatismus der wohlerzogenen Öffentlichkeit theoretisch die Beschlüsse der Regierenden immer noch übertrifft, genauso erfolgreich sind die Herrschaftsleistungen der Führer der freien Welt außerhalb ihrer Grenzen.
Wenn die Benützung sämtlicher Territorien durch die internationale Geschäftswelt bei den da ansässigen Staatsgewalten das ganz eigene Interesse daran hervorbringt, sich, wo es geht, noch nützlicher zu machen; wenn die vielen Souveräne mittlerweile alle mehr oder weniger deutlich entschieden haben, daß das sozialistische Lager, auch wenn man einige Dienstleistungen dankbar entgegennimmt, keine Alternative ist, wenn schließlich auch die Staaten des sozialistischen Lagers selber gezeigt haben, daß ihre Art Akkumulation der westlichen nicht gewachsen ist, daß sie sich vielmehr erheblich beeinträchtigen läßt dank der vielen angeknüpften Beziehungen, so daß auch die politische Stabilität davon in Mitleidenschaft gezogen werden kann, dann ermächtigen und berechtigen diese Erfolge den freien Westen doch wohl dazu, sie konsequent zu Ende zu bringen. Gewisse Dinge können dann nicht - einfach mehr "hingenommen" werden, und die Tatsache, daß die widerspenstige Unrechtsordnung in Osteuropa nach wie vor über Mittel verfügt, sich zur Wehr zu setzen, obwohl sie in allen anderen Abteilungen der Konkurrenz unterlegen ist, gerät zu einer Bedrohung, die immer unermeßlicher wird.
Daß der Erfolg der wirtschaftlichen Anstrengungen der freien Welt sie zur Zeit damit beschäftigt, die Wirkungen der Überakkumulation nicht zum Hindemis für das weltpolitische Programm geraten zu lassen, und daß die Methoden, die Austragung der Krise politisch zu unterbinden bzw. sie zu kompensieren, zu einem neuartigen Grad wechselseitiger Schädigung geführt haben, berechtigt die Ostblockpolitiker dennoch keineswegs zu ihren hoffnungsvollen Spekulationen auf die unterschiedlichen nationalen Interessen und die Konkurrenz im westlichen Lager.
Die europäischen Staatschefs haben die Einschränkung ihrer Souveränität in punkto Militär trotz gelegentlicher Reibereien wie dem französischen NATO-"Austritt" schon deshalb leicht verschmerzt, weil ihnen andererseits die US-Weltordnung Bedingungen fürs Mitmachen eröffnet hat, gegen die weder koloniale Privilegien noch faschistische Alleingänge bestehen konnten. Es hat sich für alle Nationen gelohnt, Vasall der USA zu sein. Und mit dem in dieser Funktion erlaubten imperialistischen Aufstieg der ganzen Kleinen und Großen unter den Kleinen haben sie sich auch die Gegnerschaft zum Kommunismus ganz eigenständig erarbeitet. Daß sie auch jetzt ihre Kosten-Nutzen-Kalkulation nicht im Sinne der sowjetischen Hoffnungen umkehren, daß ihnen auch die Schäden der Vorkriegswirtschaft nicht den Geschmack an ihrer weltpolitischen Aufgabe verderben, liegt nicht daran, daß sie "unterjocht" wären: Das Gesetz, das die Zusammengehörigkeit von Kapital und Krieg erklärt, daß die Staatsgewalt, um ihrer Ökonomie nützlich zu sein, auf ihrer Geltung unbedingt besteht, ohne Berücksichtigung der Koste n für Land und Leute, wenden die freien Nationen an. Und wenn sie auch wachsende Schäden ihrer Volkswirtschaften zu verzeichnen haben und mit den USA heftig über deren Anteil daran streiten - den Übergang zur Infragestellung des Bündniszwecks ergibt das nicht. Umgekehrt: Ihre Konkurrenz darum, die Schäden möglichst bei anderen eintreten zu lassen, hat sie schon längst auf den Gedanken gebracht, die besondere Dienstfertigkeit für den gemeinsamen Zweck als Konkurrenzmittel einzusetzen und mit der vorbildlichen Erfüllung und Übererfüllung ihrer NATO-Pflichten bei den USA um eine Vorzugsbehandlung zu werben.
Die
außenpolitischen Unternehmungen des Ostblocks
finden nicht um der Durchsetzung und Absicherung erfolgreicher Geschäftsinteressen willen statt. Deshalb haben sie sich ja gerade die Kennzeichnung als "bloße Machtpolitik" zugezogen.
Geldkapital, das nach Anlagemöglichkeiten sucht, Warenkapital, das sich fremde Märkte zunutze machen will, ein Handelskapital, das billige ausländische Waren dem inländischen Markt zuführt, alle diese Einrichtungen sind der Planwirtschaft "wesensfremd", wie man drüben sagen würde. Bedarf an verschiedenen Gebrauchswerten hat die sozialistische Staaten zwar zur Aufnahme der unterschiedlichsten Handelsbeziehungen veranlaßt, aber in denen müssen sie sich - und das ist sehr kostspielig - den Gepflogenheiten und Maßstäben des Weltmarkts unterwerfen. Es sei denn, sie betreiben eine Art Tauschgeschäft mit Drittweltstaaten, das seine Grenzen daran hat, daß es denen im allgemeinen weitaus mehr auf ein weltmarkttaugliches Geld als auf östliche Warenlieferungen ankommt.
Der Sozialismus hat seit der Oktoberrevolution wegen seiner ökonomischen Interessen noch keine einzige Produktionsweise auf der ganzen Welt revolutioniert - im Unterschied zum Systemgegner. Der hat noch die letzten Indianerstämme in Amazonien oder afrikanische Urvölker in den allgemeinen Fortschritt miteinbezogen, indem er deren Reproduktionsgewohnheiten durch den Entzug der natürlichen Bedingungen für überlebt erklärt hat. Was nicht heißt, daß sie deswegen eine andere Art, sich zu reproduzieren, gelernt hätten. Gerade deshalb muß man als zivilisierter Mensch heute ja immerzu betonen, daß man fremden Völkern keine Entwicklung aufpfropfen darf.
Solche revolutionären Leistungen kann der Sozialismus nicht vorweisen. Er ist vielmehr, seit seiner Entstehung, mit den umstürzlerischen Absichten der westlichen Staaten konfrontiert und mit mehreren Feldzügen und Handelsembargos bedacht worden, so daß sich von Beginn an sein Interesse am Rest der Welt auf das Thema konzentrieren mußte, sich gegen diese Angriffe Sicherheit zu verschaffen.
Dafür gab es zunächst keine andere Garantie als den Aufbau der Sowjetmacht samt Roter Armee, die ihren entscheidenden Härtetest im 2. Weltkrieg bestehen mußte, und sich für ihren kostspieligen Beitrag zur Erledigung des etwas über seine Verhältnisse hinausgegangenen deutschen Imperialismus eine neue Position verschaffen konnte: die Besetz ng der osteuropäischen Territorien. Jalta, nach heutiger Auffassung die Todsünde der ehemaligen Siegermächte. Bloß waren die damals noch mit Siegen beschäftigt, wollten die sowjetischen Heldentoten nicht entbehren und "verzichteten" angesichts der eigenen Sorgen auf noch einen Krieg gegen ihren Partner im 2. Weltkrieg (den allerdings findige Amis durchaus in Erwägung zogen!).
Dafür erfolgte dann gleich im Zusammenhang mit und als erklärte Absicht der imperialistischen Neuordnung die erneute und nun von einem geschlossenen Staatenbündnis getragene Kriegserklärung, über deren Bedeutung sich die Sowjetunion keine Illusionen machen konnte, zumal die USA das Kriegsende in Japan noch dazu benützt hatten, ihre neue Waffe vorzuführen. Genauso wie die USA in Westeuropa auf unbedingte Linientreue achteten, die "Volksfront"gefahr in Frankreich und Italien beseitigten, die Kommunisten in Griechenland niedermetzeln und durch einen Adenauer den Antikommunismus zur Staatsdoktrin der BRD erheben ließen, so daß alles links von der SPD halb kriminalisiert ist - und das alles verträgt sich bestens mit der Freiheit -, genauso setzte die Sowjetunion nach einigen Umwegen in Osteuropa die volksdemokratische Herrschaft durch, ohne allerdings daraus gleich auch noch einen Rechtsanspruch auf Westeuropa zu verfertigen. Daneben beschaffte sie sich schnellstmöglich eine eigene Atombombe und stellte das atomare Patt her, zur großen Bestürnung der westlichen Welt, der das vorherige Ungleichgewicht damals so willkommen war, wie sie heute über angeblich verletzte Gleichgewichte jammert. Mit der Atombombe als einem vom Westen anerkannten "Argument" ausgerüstet, schaltete sich die Sowjetunion in die Weltpolitik ein, um ihren Staatenblock mit weitergehenden Völkerfreundschaften zu einem sozialistischen Lager auszubauen und den Kalten-Kriegs-Angeboten eine entsprechende Warnung entgegenzusetzen. Das einzige Argument, das der Westen dagegen vorbringt, Einmischung oder auch Expansionismus, ist genau besehen kein anderes "Argument" als die bloße Feststellung, daß sich die Sowjetunion außerhalb ihrer Grenzen betätigt. Kritik ist das nur gemessen an dem Anspruch, daß der Rest der Welt die Sphäre des Westen ist, daß der Westen die einzig befugte Ordnungsmacht und der einzige berechtigte Nutznießer zu sein hat. Wie es den sowjetisch oder westlich eingemischten Völkerschaften dabei ergeht, steht weiß Gott nicht zur Debatte; die west-östliche Leistungsbilanz bezüglich Hunger, Mord und Totschlag hat jedenfalls der Westen schon allein aufgrund seines umfassenden Einzugsbereichs für sich entschieden.
In der Auflösung der Kolonialreiche und der Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegungen hat der Ostblock seine Chance gesehen, das sowjetische Lager zu erweistern. Die Sowjetunion ließ den Befreiungsbewegungen materielle Hilfe zukommen, setzte sich dem weltöffentlichen Verdacht aus, die ultimative Drohung mit der Atombombe als Waffe einzusetzen und beteiligte sich tatkräftig an der Gründung der neuen Nationalstaaten. In den fünfziger und sechziger Jahren haben so viele Staaten, gerade nach westlicher Lesart, als Russenfreunde gegolten, daß die euphorischen Auslassungen über die "Haupttendenz" der Welt bei den hiesigen Linken gar nicht ausbleiben konnten. Die Erwartung, daß das Streben nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sie automatisch zu dauerhaften Freunden der sozialistischen Welt machen würde, konnte sich allerdings kaum bewahrheiten. "Unabhängigkeit" ist ein sehr immaterielles Gut, und die neuen Regierungen wollten in Verfolgung der Frage, wovon sie ihr Regieren bestreiten wollten, Geschäftsbeziehungen mit den ehemaligen Unterdrückern gar nicht mehr so sehr als Abhängigkeit sehen. Waffenlieferungen auch nicht. Revolutionäre Absichten, und sei es auch nur als Versuch, eine ostblockähnliche Planwirtschaft aufzubauen, hatten sie ohnehin in den seltensten Fällen. Die damit eröffnete Konkurrenz, vermittelt über das Interesse der neugegründeten Nationalstaaten, sich durch Beteiligung am Geschäftsleben oder durch direkte Zuwendungen Mittel zum Regieren zu beschaffen, konnten die sozialistischen Staaten gegenüber den "Angeboten" der imperialistischen nicht bestehen. Nahrungsmittel und Fabriken konnten sie zur Verfügung stellen, eine dauerhafte Einnahmequelle als Anteil am kapitalistischen Gewinn nicht, Devisen zuschießen ja, aber keine Aussicht auf eine Geschäftswelt, die sich zur Niederlassung, Gewinnbeteiligung mit Aussicht auf die Prospektion zusätzlicher Reichtumsquellen bewegen ließe. Waffen ja, aber wenn es darauf ankam, nicht genug oder nicht wirkungsvoll genug, um gegenüber den imperialistischen einen Sieg zu erringen.
Eine vernünftige Kritik an den jeweiligen nationalen Vorhaben haben die sozialistischen Weltpolitiker andererseits auch nie geführt; sehr interessiert an befreundeten Nationen, war ihnen deren innerer Umgang mit dem jeweiligen Volk höchst gleichgültig. Ihr Opportunismus, wegen deren Nutzen für die Stärkung des eigenen Lagers nicht einmal ihre internen politischen Maßstäbe an die befreundeten Staatschefs anzulegen, hat sich insofern gerächt. Die Berechnung, daß die Unterstützung der außenpolitischen Selbstbehauptung des Sozialismus auch durch Diktaturen, Drittwelt-Nationalisten und blutrünstige Karrieristen letztlich dem Fortschritt dient, hat sich zielstrebig in ihrem vermeintlichen Mittel getäuscht, so daß umgekehrt Enttäuschung über den Abfall befreundeter Nationen nicht ausbleiben konnte.
Das unbefriedigende Resultat der sowjetischen Waffenhilfe lag im weiteren auch weniger an der Minderwertigkeit der östlichen Produkte, sondem vor allem daran, daß der
Ostblock seine "Einmischung" auch immer nur unter Vorbehalt betrieben hat. Daß die so zu erringenden Völkerfreundschaften moralisch zwar unendlich wertvoll, politisch aber nicht allzu hoch einzuschätzen waren, verglichen mit dem Gewicht der imperialistischen Nationen, hat die Führer der Sowjetunion darauf verfallen lassen, wenigstens die Möglichkeiten ihres Einflusses als Weltmacht, das Vorhandensein ihrer Machtmittel zu einer Position auszubauen. Sie unternahmen den Versuch, den Westen für eine einvernehmliche Regelung sämtlicher weltpolitischer Beziehungen zu gewinnen - von gleich zu gleich. Ihr praktisches Interesse, dem Gegner die dauerhafte Anerkennung und den Respekt ihrer Grenzen abzuhandeln, begründete das Ideal einer Weltfriedensordnung mit einem festen Kodex: angefangen von Selhstbestimmung, Unabhängigkeit bis zur Gleichberechtigung der Nationen und gemeinschaftlicher Verurteilung und Diskriminierung jeglicher zwischenstaatlichen Aggressionen, für die ausgerechnet die beiden Weltmächte einvernehmlich die Garanten darstellen sollten. Die politische Unterordnung ihrer Völkerfreundschaften unter heimliche oder direkte Angebote an die USA zum friedlichen Koexistieren, die den Nationalismus Dritter zur Mäßigung bewegen wollte, hat das sozialistische Lager Verbündete gekostet und aus Freunden die größten Feinde werden lassen. Der Verdacht der Chinesen, der sich anläßlich der sowjetischen Weigerung, ihnen die Atombombe zur Verfügung zu stellen, erhärtete, ihnen sollten die Mittel für wirkliche nationale Größe vorenthalten werden, hat den großen Bruch im damaligen "sozialistischen Lager" herbeigeführt. Und die Versuche der Sowjetunion, die Nah-Ost-Krisen zum Beweis für die Notwendigkeit und Möglichkeit gemeinsamer amerikanisch-sowjetischer Krisenbeilegung auszunützen, hat für die zunehmende "Entfremdung" der arabischen Staaten gesorgt. Israel durfte eine "Krise" nach der anderen inszenieren und hat den arabischen Staaten solange den Vorzug eines amerikanischen Freunds eingebleut, daß inzwischen die Sowjetunion weitgehend gewesene Schutzmacht ist und die USA die "Krisenregelung" alleine erledigen.
Der Westen hat dem sozialistischen Lager durchaus Anhaltspunkte für dessen Spekulationen auf eine friedliche Weltordnung gegeben durch seine Methoden, dieses Hindernis der freien Welt in den Griff zu bekommen. Nachdem sich die durchaus gehegte Hoffnung auf baldigen Zusammenbruch des Ostblocks nicht bewahrheitete und sich der Kommunismus als lästiger, aber nicht zu übergehender Faktor der Weltpolitik behauptet hatte, mußten die Verantwortlichen zunächst die Emsthaftigkeit bzw. die praktische Bedeutung dieser Drohung testen, mit der sich die zweite Weltmacht für die Regelung aller Angelegenheiten mit zuständig erklärte. Die in mehreren Fällen erprobte Kompromißbereitschaft des Ostens - Berlin, Kongo-Krise, Nahost, Kuba, Vietnam - wurde zwar entsprechend honoriert: mit der Feststellung, daß man auf diesen Konkurrenten keine allzu große Rücksicht nehmen zu brauchte. ADer die leidige Frage der Waffen war damit noch nicht geklärt. Die Bereitschaft des Ostblocks, dann auch noch über sein militärisches Potential, über das einzige Druckmittel, mit dem er den Westen beeindrucken kann, mit dem Feind zu verhandeln, hat die Entspannungsphase eingeläutet. Die Vorstellung, den USA bewiesen zu haben, daß sich Konfrontation "nicht lohnt", daß also beide Weltmächte darangehen könnten, ihre Waffenarsenale abzubauen und sich auf Verhaltensregeln zu einigen, um die Gefahr von "Zusammenstößen" zu beseitigen, war die realsozialistische Ausgangsposition. Als ob sich eine imperialistische Staatsmacht jemals unter Regeln beugen würde, die ihren Interessen zuwiderlaufen, wenn nicht eine entsprechende Gewalt dahintersteht. Diese Grundregel ließen die USA ihrerseits die Sowjetunion spüren: Aufrüstung als die beste Voraussetzung für
Abrüstungsverhandlungen
mit dem Ziel, den Gegner zumindest teilweise abzurüsten, war schon immer die Methode dieses Kräftevergleichs. Die Sowjetunion, die ja unbedingt durch Verhandlungen Sicherheit schaffen wollte, mußte sich umgekehrt das Wettrüsten zur eigenen Aufgabe machen und ihr sozialistisches Wachstum entsprechend beeinträchtigen, denn ohne ständiges Nachziehen hätte sie der begehrte Verhandlungspartner nicht für verhandlungswürdig erklärt.
Zweifel an der Eignung eines solchen Verhandlungspartners für die erstrebte gemeinsame Weltordnung - im sowjetischen Weltbild sollte die militärische bloß der erste Schritt zu einer viel umfassenderen "Entspannung" sein - sind den sowjetischen Diplomaten dabei nie gekommen; enttäuscht über Vertrauensbrüche und Verletzungen von angeblichen Regeln, vor allem über den Stimmungswandel nach jedem US-Regierungswechsel, mit dem in der Demokratie die Selbstkritik am Maßstab des nationalen Erfolgs geübt wird, waren sie am laufenden Band. Und ebenso beständig haben sie ihrerseits den Beweis gestartet, daß an ihnen nichts scheitern soll, daß sie mit Ausnahme dessen, was sie für die eigene Sicherheit als absolut unerläßlich erachten, in allen Fragen zu Verhandlungen und Konzessionen bereit seien.
Die Folge und Voraussetzung der entspannungsfördernden Abrüstungsverhandlungen, die regelrechte Anerkennung der Ostblockstaaten, die förmliche Respektserklärung gegenüber den Nachkriegsgrenzen, um der DDR, Polen und der CSSR zu versichern, daß die Beziehungen an einem deutschen Revanchismus nicht scheitern sollten, schließlich die gemeinschaftliche Schlußveranstaltung der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" ließen die sozialistischen Friedenspolitiker an einen entscheidenden und nie mehr rückgängig zu machenden Fortschritt in der Aussöhnung der Völker glauben. Den im Zuge dieser Entwicklung schwunghaft zu nehmenden
Handel
hielten sie für das allersolideste Faustpfand, die Aggressionsneigung des Imperialismus zu mäßigen, denn der Gedanke, daß sich ein Staatsmann aus Gründen der Staatsräson über Geschäfte hinwegsetzt, ist ihnen unbekannt. Stattdessen ergänzen sich das Bewußtsein von der eigenen Angewiesenheit auf bestimmte Güter, die Auffassung, daß der Kapitalismus in der Krise mit mangelnden Geschäftsmöglichkeiten zu kämpfen habe, und schließlich die unerschütterlich gute Meinung, daß eine nationale Staatsgewalt für das Wohl ihrer Bürger, sei es als mißglückter, sei es als idealer Sozialstaat wie sie, zuständig sei, zu dem fassungslosen Urteil über die jetzige Beschränkung der Handelsbeziehungen: Wahnsinn, jeden Sinn für Realitäten verloren, Abenteurertum usf.
Daß das eigene Entgegenkommen, die Mißerfolge im Bereich der Völkerfreundschaften und die kompromißlerische Rücksichtnahme auf westliche Interessen der Grund für die Steigerung der imperialistischen Ansprüche in Sachen sowjetisches "Wohlverhalten" sein könnten, dieses Resultat des weltweit durchgeführten praktischen Systemvergleichs werden sie wohl nie mehr kapieren.
Der behauptete kommunistische Expansionismus sieht sich nach der Entspannungsperiode ziemlich auf die Grenzen beschränkt - mit Ausnahme gerade von Kuba und Vietnam, die vornehmlich eine Belastung darstellen, und Afghanistan, das die Sowjetunion militärisch teuer zu stehen kommt -, mit denen er den 2. Weltkrieg beendet hatte. Und der Block selber ist zwar nicht die mühselige Bändigung von lauter Zentrifugalkräften - Einsicht der sovietology -, aber ein unerschütterliches Bollwerk der Weltrevolution ist er auch nicht gerade. Die Summierung realsozialistischer Planwirtschaften hat die militärische Potenz des sozialistischen Lagers gesteigert und auch die ökonomischen Mittel für den sozialistischen Aufbau im Ostblock und die Unterstützung anderer Nationen vermehrt. Aber die Handelsbeziehungen zwischen den sozialistischen Nationen leiden an den Wirkungen, die die Planungsmethoden auch im Innern hervorrufen. Aufgrund der Unterproduktion, gemessen an der per Plan vorgesehenen Bedarfsdeckung, gerät die Produktion für den Export zum Abzug von eigentlich im nationalen Rahmen benötigten Gütern, woraus sich in allen Staaten die volkstümliche, aber auch in Funktionärskreisen verbreitete Ideologie gebildet hat, man werde hauptsächlich ausgeplündert und schlecht für die eigenen Liefenngen entgolten. Mängel in Qualität und Quantität und nicht termingerechte Lieferungen lassen sich auch nicht übersehen, so daß die westlichen Märkte dagegen als ein wahres Paradies erscheinen. Teuer sind die Käufe dort schon, aber es gibt alles, was man braucht, in beliebigen Mengen und sofort. Alle RGW-Staaten haben sich auf den Westhandel eingelassen mit den bekannten Folgen. Ihr Handel untereinander wird von den Wirkungen der allgemeinen Verschuldung in Mitleidenschaft gezogen: Bestimmte Warenkontingente, auf die sich der Handelspartner schon gewohnheitsmäßig verläßt, werden aus dem Verkehr gezogen, weil sie unbedingt im Westen gegen Devisen verhökert werden müssen, oder sie werden auch im Osten nur gegen Devisen abgegeben. Womit man sich wechselseitig die knappen Zahlungsmittel zu entziehen versucht. Im Fall Polens schließlich gelten überhaupt keine ökonomischen Nutzeffektsberechnungen mehr, da muß überhaupt bloß noch zugeschossen werden, um den "Sozialismus" zu retten.
Es gibt daher auch genügend politischen Unfrieden gemäß der sehr nationalen Berechnung, die die RGW-Staatschefs jeweils an ihr Bündnis anlegen. Die Diktatur des Proletariats, die drüben eingerichtet worden ist, kennt nämlich nach wie vor "Vaterländer" und hat neben dem proletarischen Internationalismus, der auch längst als Treue zur Sowjetunion, dem Vaterland der Arbeiterklasse, buchstabiert wird, den "berechtigten nationalen Interessen" ihren gebührenden Platz eingeräumt. Denn eine Staatsmacht, die sich und ihre Verfügung über abstrakten Reichtum, dessen Produktion getrennt von der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft und dessen kontrollierte Verwendung für sozialistisch hält, betrachtet und behandelt die Sache gleich auch sehr national. So haben die Warschauer-Pakt-Staaten neben den offiziellen Verlautbarungen über ihre unverbrüchliche Freundschaft alle ihre Verdächte und Einwände gegeneinander bzw. alle gegen die große Sowjetunion. Die Völker schon immer. Die nicht zufriedenstellenden Überschüsse, die sie verwalten, sehen sie durch die wechselseitigen Anforderungen aneinander noch eigens gefährdet. Und in der Frage, was dem Westen gegenüber jeweils an Maßnahmen zur Selbstbehauptung bzw. Entspannung fällig ist, ob es nicht vielleicht doch z.B. an Fehlern der Sowjetunion liegt, daß die Kleinen im Bündnis völlig grundlos vom Westen als Feind behandelt werden, leisten sich die sozialistischen Staatsführer durchaus unterschiedliche Auffassungen. Wieviel ihnen die Abweichung von der sowjetischen Linie nützt, entscheidet allerdings der Westen, dem die demonstrative Verurteilung der sowjetischen Großmachtpolitik durch Rumänien mittlerweile längst keine Vornugsbehandlung mehr wert ist. Denn die Beseitigung des Kommunismus durch eine Zersetzung des Blocks leistet die Betonung des ganz eigenen Wegs und die moralische Mitverurteilung der Sowjetunion schließlich auch nicht.
Ein Zwischenfazit: Praxis, Erfolg und Moral des "Systemvergleichs"
"Verglichen" werden die beiden "konkurrierenden Systeme" also immerzu, und zwar durchaus in praktischer Absicht - von ihren "verantwortlichen" Machern nämlich, die so ihre Probleme mit den jeweils anderen haben: als Sachwalter und politische Nutznießer einer imperialistischen "Weltordnung" die einen, als Führer eines durch die geballte Macht der kapitalistischen Demokratien zum "Störenfried" erklärten und entsprechend behandelten Staatenbündnisses die andern. Ganz alltäglich, mit jedem Stück Ost-West-Handel, mit jedem Zahlungsversäumnis der polnischen National- bei der Dresdner Bank, mit jedem Manöver "blau gegen rot" und mit jedem diplomatischen Wink, "erproben" die maßgeblichen Herrschaften auf beiden Seiten ihren Willen und ihre Macht, ihr jeweiliges Interesse durchzusetzen: das Interesse an schrankenloser Verfügbarkeit von der "freiheitlichen" Seite her, das Interesse an Sicherheit für sich selbst als Ausnahme davon von der realsozialistischen. Welche Seite dabei die gültigen Maßstäbe dieses "Kräftemessens" setzt, ist allerdings schon längst nicht mehr strittig - und damit auch schon entschieden, welches "System" sich und seine Kräfte an welchem zu "messen" hat. In jedem Handel und jedem Zahlungs- und Kreditverkehr zwischen Ost und West wurden realsozialistische Produkte und Geldzettel wie kapitalistische Geschäftsmittel behandelt - bzw. als für diesen Zweck nur bedingt tauglich zurückgewiesen; ganz unbekümmert um all das, was die Manager des x-mal reformierten "Systems der sozialistischen Planung und Leitung" ihrem Geld und ihren Warenpreisen für Funktionen zugewiesen haben. Der diplomatische Verkehr folgt mit all seiner Heuchelei den Prinzipien weltweiter Erpressungsverhältnisse, unter denen politische Kontrolle und geschäftliche Benutzung auswärtiger Herrschaft einander "in die Hände arbeiten"; aber eben nur, wenn Reichtum und Gewalt auf die bürgerliche Manier zusammengehören und zueinander passen. Auf wieviel "Ebenen" und in wie vielen Regionen sich ein "militärisches Gleichgewicht" zwischen dem einen Osten und den verschiedensten Abteilungen des
"freien Westens" gehört, auch das wird nicht im Kreml entschieden. In jeder Hinsicht, in der die "Systeme" praktisch miteinander zu tun bekommen, ist die realsozialistische Staatenwelt entgegen ihren "eigentlichen" Absichten den Kriterien unterworfen worden, die die verbündeten kapitalistischen Demokratien unter US-Obhut als Mittel und Maßstäbe ihres Erfolgs verfolgen und durchgesetzt haben - kein Wunder, daß dann auch die professionellen Ideologen der "Sache der Freiheit" ihren Schwindel mit der allergrößten Selbstverständlichkeit zum einzig gerechten Beurteilungsmaßstab erhoben haben. (Mit der "Schlußakte von Helsinki" haben Breschnew und Co sogar noch diesen Apologeten der unzufriedenen westlichen Weltherrschaft ideologisch Recht gegeben!)
Was da nach so eindeutigen und einseitigen Maßstäben "verglichen" wird, das sind deswegen auch nicht die "Systeme" selbst, geschweige denn ihr wissenschaftlicher Begriff, sondern ihre Leistungsfähigkeit in den Affairen weltweiter Geschäftemacherei und Herrschaftsentfaltung. Nicht die tatsächlichen - und schon gleich nicht die ideologisch behaupteten - Prinzipien von realem Sozialismus und demokratischem Kapitalismus treten da in "Konkurrenz" zueinander, sondern die jeweiligen Erträge staatlich organisierter Ausbeutung werden als Kampfmittel gegen die je andere Seite verwendet - mit dem entscheidenden Vorteil der westlichen Seite, daß sie dafür die Prinzipien diktiert. Material des "Vergleichs" sind so in letzter Instanz auf beiden Seiten die "kleinen Leute": die arbeitenden Völkerscharen nämlich, und was sie sich ökonomisch und moralisch gefallen lassen.
Diese selbst haben deswegen untereinander auch überhaupt nichts zu vergleichen; und wenn sie es in ihrer Phantasie dennoch tun, so kommt das Entsprechende dabei heraus: alternative Ausmalungen eines Glücks im Verzicht. Kindereien wie die jederzeit kaufbaren Bananen spielen in dieser Sorte "Systemvergleich" von unten dann regelmäßig eine Hauptrolle - gerechterweise; denn über "Genüsse" solchen Kalibers - die Gegenrechnung wird mit den billigeren Straßenbahntarifen und Mietkosten aufgemacht - gehen die jeweiligen praktischen "Segnungen" des zuständigen Systems für die Betroffenen und ihren Alltag ohnehin kaum hinaus. Auf solche Vergleiche Wert zu legen, ist allerdings nicht bloß töricht und außerdem ein handfestes Eingeständnis der Armut; es ist auch einigermaßen gefährlich. Denn wer sich als Untertan, den politischen und ökonomischen Kampf des "freien Westens " gegen die sozialistische Ausnahmeerscheinung auf dem Globus als einen Vergleich zurechtlegt, der ihm zur Entscheidung aufgetragen wäre - sei es anhand von Bibel, Solschenizyn und Biermann, sei es am Maßstab von Jakobs Krönung -, der ignoriert nicht bloß die praktischen "Vergleiche", denen die benutzte Menschheit von ihren politischen Herren unterzogen wird: Der nimmt mit seiner ganz und gar fiktiven Vorteilsrechnung zwar nicht für diesen Vergleich - den kennt er ja gar nicht! -, um so mehr aber für die eigene Seite in diesem Vergleich Partei. Und wem auch immer das nützen mag: ihm schadet es ganz gewiß!