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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1982 erschienen.

Systematik

FDP-Parteitag
UNGLAUBLICH GLAUBWÜRDIG

Die Führung der FDP hat bekanntlich "den Wechsel geschafft", "einen neuen Anfang gewagt" (Genscher) und damit der Freiheit der Macht die Kontinuität ihres Fortschritts in Sachen Aufrüstung und Sparprogramm gesichert.

Anläßlich der Abwicklung des Regierungswechsels im Parlament und auf dem FDP-Parteitag gelang dem "organisierten Liberalismus" darüberhinaus ein beachtliches Stück demokratischer Methodenlehre:

So wurde einerseits, betreffend die Gründe des Koalitionswechsels, die übliche Verantwortungsheuchelei besonders dick aufgetragen:

"In der wirtschaftlichen Krisensituation mit fast 2 Millionen Arbeitslosen, zahllosen Firmenzusammenbrüchen,... Unklarheit,... Unsicherheit,... bei Handlungsunfähigkeit der Regierung, mußten wir handeln, d.h.: Haushalt schnellstmöglich verabschieden, Spargesetze beschließen, Wirtschaft ankurbeln, Vertrauen schaffen etc. etc." (Genscher ).

Andererseits aber wurde aus der parteiinteressierten Kalkulation, die die wirkliche Grundlage des Wechsels abgegeben hatte, keineswegs ein Hehl gemacht:

"Für mich stand immer fest, daß die sozialliberale Ära nicht ewig dauern konnte. Grund für den Koalitionsbruch war in Wirklichkeit nicht die Schwierigkeit der SPD als Arbeitnehmerpartei, die von Hans-Dietrich Genscher geforderte Wende mitzuvollziehen... Wenn es darauf ankam, waren die Mehrheiten da... es war etwas anderes... Es war der rapide Verfall der SPD bei Wahlen und Umfragen... Man glaubte zu wissen, daß die FDP in Gefahr sei, in den Abwärtssog der SPD gezogen zu werden." (Verheugen)

Solche Offenheit rechnet mit einer durchgesetzten Sorte "politischen Realismus", zu dem die Anerkennung der Tatsache gehört, daß "Parteienstreit", "Verrat", Lüge und heuchlerische Berufung auf höhere Zwecke gerade zu den üblichen Modalitäten bei der Erledigung der Staatsnotwendigkeiten zählen. Der Inhalt der Kalkulation, die die liberalen Männer des Wechsels angestellt hatten, lag also auf der Hand:

Rechtzeitiges Abseilen von den maroden (= erfolglosen) Sozis, sofortige Neuwahlen vermeiden, um als weiterhin Regierungspartei Zeit zu gewinnen zur Bewältigung des Problems, aus dem "Verrat" möglichst sicher einen erfolgreichen und glaubwürdigen Verrat zu machen. Deshalb setzte die FDP entschieden darauf, daß der Ausweis schon gehabten Erfolges, den man in Gestalt eines Kanzler-, Minister- oder überhaupt Macht-"Bonus" mit in die politische Auseinandersetzung nimmt, die beste Voraussetzung künftigen Erfolges ist. Darum hielt sie jedenfalls eisern am Verbleiben in der Regierung - eben mit der CDU - fest; getreu der Überzeugung, daß, wo die Taten der Macher und ihre unangenehmen Folgen nicht zur Debatte stehen, sondern nur "politische Durchsetzungsfähigkeit", noch immer die Sichtweise der politischen Erfordernisse die meiste Glaubwürdigkeit für sich reklamieren kann, die durch Teilnahme an der Herrschaft praktisch nachweist, daß sie "sich" durchsetzt.

Dieser von der demokratischen Obrigkeit ausgegebene ideologische Maßstab des Erfolgs in der wirklichen Konkurrenz um die Macht - die Glaubwürdigkeit - war denn auch die Meßlatte, mit der die Diskutanten auf dem Parteitag der FDP bevorzugt aufeinander losgingen, einig im Streit darum, wie dem alles entscheidenden Kriterium des glaubwürdigen Erfolges am besten zu entsprechen sei.

Für die Parteiführung ging es auf dem Parteitag darum, ihren durch den Wechsel bereits praktisch gemachten Standpunkt als den der Parteimehrheit feststellen zu lassen und die das Erscheinungsbild der Partei beeinträchtigende innerparteiliche Kritik am Wechsel damit zu beenden, d.h., die Opposition gegen Genscher wieder in den Parteikurs zu "integrieren" bzw., soweit nicht integrationswillig, zum Verlassen der Partei zu bringen.

Abzuwickeln war dies per Abstimmung über die Bedenken, die eine Minderheit der Partei gegen die Erfolgsrechnung der Mehrheit in Form zweier Gegenmanifeste angemeldet hatte, wobei ein Teil der "besonders kompromißlos kritisierenden" (SZ) Manifestanten um Ingrid Matthäus und die Judos der "ehrlichen" Auffassung anhing, die liberale Sache könne derzeit überhaupt nur erfolgversprechend zusammen mit der SPD betrieben werden.

Die Position der "realistischen Opposition" (Spiegel) ging allerdings mit dem Vorstandsmanifest darin einig, daß "nur Glaubwürdigkeit zum Erfolg führt" (Ronneburger). Anerkannt wurde von den Verheugen-Ronneburger-Baum und Co auch, daß der Vorsitzende mit präzisem Timing den Wechsel genau zu dem Zeitpunkt vollzogen habe; als "die sozialliberale Ära beendet" wär (A.v. Schöler, i.V. für die Obengenannten). Deshalb müßte

"sich, wer sich zur Koalition mit der SPD bekennt, sich auch zu ihrem Ende bekennen, auch wenn ihm die Schlußinszenierung nicht gefällt." (Ronneburger)

Insofern sei auch das Zusammengehen mit der Union letztlich nicht zu kritisieren, wenn man sich auch an die CDU/CSU durchaus etwas teurer hätte verkaufen sollen: "Das Innenministerium" sei "wieder anzustreben", jenes "liberale Wächteramt", in dem mancher liberale Wächter im Verlaufe der sozialliberalen Koalition als oberster Polizeiboß der Republik schöne Erfolge erringen konnte.

Im übrigen hatten die oppositionellen Kämpfer einer noch glaubwürdigeren Glaubwürdigkeit drei Vorschläge zu machen:

- Auch wenn Verheugen nach dem Ende der Koalition ursprünglich eigentlich dafür war, auf einem sofortigen Sonderparteitag,

"eine glasklare Koalittonsaussage zugunsten der CDU zu machen" (FR),

so fand er es jetzt, wo man schon mal mit der CDU dran war, doch günstiger,

"ohne Koalitionsaussage in Neuwahlen zu gehen, die am 6. März stattfinden sollten",

weil man dann vielleicht auch noch für einen Teil der alten sozialliberalen Wähler "wählbar" bliebe. Außerdem gehört es sich, Prinzipien durchzuhalten, gerade wenn der Opportunismus das Prinzip ist:

"Ich tue damit etwas, was H.D. Genscher als Hauptregel der Politik überhaupt betrachtet: Ich halte Optionen offen." (Verheugen)

- Außerdem sollte der Parteitag die Art und Weise rügen, wie der Wechsel

"ohne Mitwirkung der Partei und ohne Legitimation durch die Wähler" (Verheugen)

vollzogen wurde. Dabei, so Verbeugen,

"handelt es sich um ein Problem der politischen Moral, oder einfacher, des Anstandes."

Worin Verbeugen, als parteipolitischer Profi einer, der die Moral immer in Prozentzablen ausrechnet, die Unmoral des Verfahrens sieht, liefert er gleich noch nach: Es wurden dabei nämlich

"alle Erkenntnisse der Wahlforschung in den Wind geschlagen!"

- Drittens meinten die Freunde eines besonders sauberen Wechsels, täte der Partei jetzt eine

"vom Machtwechsel und seinen Folgen unbelastete Führungsmannschaft" (Hamm-Brücher) ganz gut. "Die Führung der FDP braucht neue Gesichter" (Verheugen).

Gingen die Ap,pelle auch noch so unter die Haut,

"Hans-Dietrich, ich möchte dich ganz herzlich bitten, der Partei den Dienst zu tun, durch deine Nicht-Kandidatur den Weg für Integration freizumachen!" (Lilo Funcke)

dieser Hans-Dietrich ließ sich "von nichts und niemandem beeindrucken" (Spiegel), war er doch gerade selbst angetreten, der Partei den Dienst seiner Kandidatur zu tun und dadurch den Weg für Integration freizumachen, nämlich "Geschlossenbeit der Partei" durch eine geschlossene und in seinem Sinn entschlossene Parteiführung und nicht durch Anerkennung abweichender Mäkelei herzustellen. An diesem Bemühen wirkte dann die "realistische Opposition" durch Stellung eines Gegenkandidaten für den Parteivorsitz letzten Endes recht konstruktiv mit, so daß die "Integration" als methodisch sauber in Szene gesetztes Stück dramatischen demokratischen Parteilebens der beflissenen Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte:

- Zunächst ist durch die Tatsache überhaupt, daß der Parteitag ein ganzes Wochenende lang heftig ringt, bewiesen, daß er es sich bei

"der Entscheidung über die Zukunft der Partei" (FR)

nicht leicht macht, und damit der Integration ein historisch bedeutsamer Hintergrund verliehen.

- Dann tritt der Gegenkandidat auf, der sich nach allgemeinem Urteil durch hochgradige "Integrationsfähigkeit" auszeichnet. Sein anerkannt rustikaler Charakter soll angeblich in interessantem Kontrast zu dem des Vorsitzenden stehen ("Bauer gegen Spieler", Stern), mit der Folge, daß er in ländlicher Direktheit gleich offen zugibt, daß er neben den schon bekannten Einwänden gegen den Stil der Darbietung beim Wechsel und seiner abweichenden Spekulation über den Nutzen eines Personalwechsels im Prinzip das ganz nämliche wolle wie der Amtierende, weshalb er auch ganz gut mit diesem weitermachen könne, wenn der gewinnen sollte, was ohnehin schon vor Anpfiff des Ringens eine ziemlich klare Sache war:

"Sie können meiner Loyalität sicher sein!"

Eine Kandidatur gegen Genscher ergäbe sich deshalb aus alledem nur, weil er "die Partei wieder zusammen führen" wolle.

- Dies hatte nach Auffassung auch des Gegenkandidaten so zu laufen,

"daß Minderheiten Mehrheitsentscheidungen akzeptieren",

weshalb im Fall seiner Niederlage die opponierende Minderheit von ihrer Opposition Abstand zu nehmen und sich integriert zu fühlen habe, weil das Kuschen vor der Mehrheit nach Auffassung Ronneburgers schon wieder "zur Glaubwürdigkeit gehört." Der integrierende Gegenkandidat verliert mit einem "respektablen Ergebnis", was für Genscher zusammen mit der Rüge für den Stil des Koalitionswechsels ein "Denkzettel", andererseits und vor allem zusammen mit der Billigung des Wechsels gerade ein Ausweis für die Härte des Ringens und die Bedeutsamkeit des Erfolges ist.

Nach Beobachtungen eines empfindsamen Afterlings herrschender Figuren soll die Wirkung des Erfolges auf Genschers Glaubwürdigkeit ganz verblüffend gewesen sein: Nach der Abstimmung sollte der "meisterhafte Taktiker", der sonst immer das dazu passende "ruhelose Flackern in den Augen" hat, plötzlich

"seltsam verändert wirken: Die Augen fest (!) auf einen imaginären Punkt in der Ferne fixiert," irgendwelche "Muskeln gespannt, den Oberkörper straff aufgerichtet, das Kinn vorgeschoben, sitzt er wie versteinert da - wie ein Schlachtenlenker... abweisend, voll von herrischem Stolz, fast erhaben!" (H.-U. Kempski, SZ)

Es verwundert daher nicht, daß Genscher so frisch gestrafft mit derartiger Entschlossenheit "auf die Partei zugehen" konnte, daß "die Linken aus der Partei flüchten" (BamS) mußten, teils um über die Gründung eines neuen Vereins zu beraten, teils um sich, soweit prominent, von den schon lauernden Sozialdemokraten "sichtbar in der SPD verankern" (Brandt) zu lassen, während die verbliebenen Opponenten in die innerparteiliche Integration minderheitlicher Vorstandsposten emigrierten, um dort weiter für ihre Überzeugungen zu kämpfen. So wickelten Vertreter des Volkes durchaus glaubwürdig ihren charakterlosen, aber politisch sauberen und keineswegs illiberal zu nennenden "organisierten Liberalismus" ab und sind sich als genuine und staatstragende "Verrats"-Partei wie immer treu geblieben.

"Die Geschichte der FDP ist die Geschichte ihrer Koalitionsentscheidungen" (Verheugen).

Ob die FDP es freilich auch diesmal hinkriegt, das liberale Element dem Wähler notwendig erscheinen zu lassen, weiß man nicht so genau. Vor allem jetzt, wo in schweren Zeiten der Erfolg demokratischer Herrschaft so zu Buche schlägt, daß sie zunehmend in kritischer Absicht mit ihren eigenen Kriterien konfrontiert wird und dann der Mehrheitsbeschaffer FDP nicht mehr als Garant gelb-blauer Sachlichkeit gegenüber rotschwarzer "Ideologie" gilt, sondem als Hindernis für eine schlagkräftige, krisenmäßig handlungsfähige Mehrheitsregierung, Nur: FDP rein oder raus aus der Verantwortung; unser schönes Parteiensystem besser mit oder ohne liberale 3. Kraft - damit wird uns die Öffentlichkeit noch mindestens bis Ende März und darüber hinaus behelligen. Ist die BRD wirklich ohne einen Mann wie Genscher überhaupt noch regierbar? Hierauf antworten wir ausnahmsweise einmal mit einem konstruktiven Ja!