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Eppler am OSI
EINER STÖRT IMMER
"Nachdenken, nachdenken" - wer mit so einer Aufforderung ausgerechnet in der Uni einem Hochschullehrer gegenübertritt, weil ihm seine Argumente nicht eingeleuchtet haben und klarmachen will, daß dieser von einem Streit mit Argumenten gar nichts hält, handelt sich leicht den Vorwurf der Majestätsbeleidigung ein. Umso mehr, wenn es sich bei dem Gelehrten um eine derart anerkanntermaßen "nachdenkliche" Persönlichkeit wie Erhard Eppler handelt, der derzeit am OSI gastiert, um einen erfolgreichen Politiker als Intellektuellen also.
Die Presse hat vor ihm solche Hochachtung, daß sie in der Berichterstattung über dieses Ereignis den Vergleich aufmüpfiger Studenten mit lärmenden Schaufelbaggern nicht scheute. Die "Störung" des auf seiner "Suche nach Selbstverwirklichung" im Hörsaal gelandeten "enttäuschten" Politikers (Dazu sind Hörsäle offenbar gerade gut!) war Anlaß für eine Hommage nach der anderen in der FR, im Spiegel, der Zeit, der SZ, die sich auf ihren Seiten für die Intelligenz sogar dazu verstiegen, den schwäbischen Englischlehrer mit dem Gegenstand seiner Dissertation zu vergleichen: "Der Aufbegehrende und der Verzweifelnde als Heldenfigur der elisabethanischen Tragödie". Da fragt es sich doch, was an diesem langweiligen politischen Sauertopf die Intellektuellen zu solch peinlichen Elogen hinreißt.
"Denken gegen den Sachzwang" (SZ)
Nachgedacht hat Erhard Eppler am OSI über "Politik als Exekution von Sachzwängen?". Seine "Abrechnung mit einer Politik, die... immer nur absichert, unterstützt, weiterschreibt, was bisher Fortschritt hieß" (ZEIT) verdankt sich - wie sollte es bei einem Politiker auch anders sein - ganz der Sorge um ihr Gelingen:
"Ihn treibt die Allmacht der Technik um, die zuviel Einfluß auf Gesellschaft und Politik ausübe." (Spiegel)
Für Eppler ist Politik, wie sie gemacht wird, recht eigentlich betrachtet gar keine: Mittels eines "naiven Fortschrittsglaubens", der die Politiker geschlagen hat, setzen sich technische, ökonomische oder sonstige "Sachzwänge" durch und berauben die Politik ihrer eigentlichen Qualität: selbst "gestaltend" nach eigenen Kritierien für die von ihr beherrschte, pardon gestaltete Gesellschaft "gezielt" politische Entscheidungen zu treffen. Was sich großspurig als "Abrechnung" mit der SPD-Politik aufführt, ist alles andere als ein Angriff auf ihre Praxis: Nicht die Politik, sondern ihre angebliche "Totalratlosigkeit" greift Eppler an. Der Politik fehle etwas, nämlich "politische Konzepte". Daß ohne die nichts läuft, predigt Eppler, und malt dazu ein Weltbild an die Wand, das voller Katastrophen und Krisen, die auf die Menschheit einzubrechen drohen, der Politik die hehre Aufgabe zukommen läßt, sich in ihrer Abwendung oder Bewältigung als Menschheitsrettungsprojekt zu bewähren. Eppler ist nun weit entfernt davon, für diese von ihm der Politik gestellte Aufgabe der Katastrophenabwehr selbst politische Konzepte zu entwickeln. Um die Konzeptionslosigkeit der Politik sorgt er sich nämlich wegen ihrer Glaubwürdigkeit:
"Die Glaubwürdigkeit von Politikern ist das heimliche (?) Thema geworden, um das sein Denken kreist." (Zeit)
- und für diese ist die Demonstration der verantwortungsvollen guten Absicht der Politik nötig. Mit seiner schon Physiognomie gewordenen Skepsis und seinem politischen Lebenslauf verkörpert Eppler dieses Ringen um höhere Maßstäbe, was ihn für gewisse Leute so glaubwürdig-anziehend macht. Nicht wegen seiner Argumente - die kennen sie eh schon -, sondern wegen des Gestus von Vernunft, mit dem er die politische Szene bereichert. Seine Absetzung von den "Macherpolitikern" - die ihn übrigens ihrerseits zu schätzen wissen, wie der Mützenhelmut, dem Eppler in der Debatte über seine Regierungserklärung unter dem Stichwort "geistige Führung" positiv einfiel -, seine in seinem "Rückzug an die Hochschule" sinnfällig gemachte Absetzung macht ihn zum Helden der Intelligenz, die nichts lieber tut, als sich theoretisch Sorgen um Möglichkeiten, Bedingungen und Glaubwürdigkeit von Politik zu machen und so kritisch-distanziert teilzuhaben an der Verantwortung fürs Ganze.
In seiner Vorlesung wollte allerdings die gemütliche Aura verantwortungsvollen Politisierens nicht recht aufkommen, ohne die Eppler ziemlich dumm dasteht. Einen Streit um die Richtigkeit seiner "Argumente" zu führen, wie er da angezettelt wurde, hat er, wie die "Zeit" richtig vermerkt, "von der Struktur her einfach nicht drauf." Und da die Kritiker von ihrem Verstand her einfach nicht draufhatten, Epplers Geseiche über Freiheitsberaubungen der Politiker durch Sachzwänge zu glauben, und ihm seine Ignoranz gegenüber jedem Argument nicht "nachsichtig" mit seiner "Unerfahrenheit" zugutehalten wollten wie ein von der "Zeit" aufgestöberter Eppler-Fan, konnte der Krach nicht ausbleiben: Eine gut viertelstündige Mißfallenskundgebung, in der Eppler mit der Zumutung konfrontiert wurde, statt mit seinen politfrommen Idiotien fortzufahren, erst einmal "nachzudenken", beendigte die Kontroverse. Auftakt war sie für die Intelligenzpresse, dem armen Eppler, dem der Widerspruch, wie ein Volker Skierka von der SZ nach "persönlichem Gespräch" mitzuteilen weiß, "ziemlich an die Nieren ging", in den darauffolgenden Wochen ihre anteilnehmende Aufmerksamkeit zu schenken.
Hofberichterstattung
Nachzudenken brauchten die Korrespondenten aus der Frontstadt über Epplers Vorlesung nicht groß: Sie schrieben das dort Gebotene wie die Studenten "getreulich mit" (oder voneinander ab). Epplers Sorgen um Machbarkeit und Glaubwürdigkeit sind ihnen vertraut, weil sie zur Politik dieselbe Stellung pflegen und die Argumente kennen. Ihre journalistische Phantatsie betätigen sie darin, ein Szenario zu basteln; in der ihr Held sich, wie es sich für so einen "Außenseiter" gehört, an tausend Widrigkeiten zu bewähren hat, oder, prosaischer, in der Begutachtung, wie Eppler an der Uni - zumal am ehemals aufrührerischen OSI - reüssiert. "Einer stört immer", der Schaufelbagger L18, der "MG-Wanderzirkus", die Springer-Journalisten oder die im Gegensatz zur MG wieder allzu braven Studenten, weiß der Arschkriecher Nr. 1 der Hofberichterstatter Otto Jörg Weis gleich in zwei Zeitungen (FR und "Stuttgarter Zeitung") aus dem Hörsaal zu berichten. Ein Unrecht geradezu an dem berufsmäßig "Anstoß erregenden" Eppler, wenn es ihm auf seiner"Suche nach Selbstverwirklichung" irgendwer recht machen würde. Unter Zuhilfenahme von Reminiszenzen an studentenbewegte Zeiten bastelt er einen heutzutage völlig fiktiven Gegensatz von Uni und Politik, um Eppler sich an seiner Überwindung erfolgreich abarbeiten zu lassen - und beschimpft, von seinem Konstrukt aus begeistert darüber, welchen Herausforderungen in Sachen politische Agitation an der Hochschule sein Held gewachsen wäre, die wirklichen Studenten, die schlapp "die Worte des großen Vorlesenden getreulich mitschreiben". Denn: "Ein qualifiziert (Wohlgemerkt: Kritik fällt da nicht drunter!) herausgeforderter Eppler ist noch allemal der Beste in der Debatte." (Stuttgarter Zeitung)
Daß ein Politiker, zumal ein so geistesverwandter wie Eppler, es an der Uni bringt - "Er hat allmählich das Gefühl, Boden unter die Füße zu bekommen" (ZEIT), - ist der Intellektuellenpresse allemal einen lobenden Artikel wert. Andererseits aber ist ihnen eben völlig klar, daß der Weg vom Partei(landes)vorsitz in den Hörsaal ein Abstieg ist, so sehr sie dem Politiker Eppler seine "Zuflucht an der Hodnschule" als Ausweis seiner persönlichen Glaubwürdigkeit zugute halten. Die Beurteilung der Person Epplers nach ihrem Erfolg läßt sich daher lässig umdrehen: Der "Spiegel" spricht das komplementär zum Lob des Mahners und Warners unter den Politikern fällige hämische Urteil, daß über einen Politiker, der Erfolge nur noch an der Uni sucht, wohl alles gesagt ist - und läßt ihn daher genüßlich auch an der Uni scheitern:
"Den Zuhörern indes imponiert der Sozialdemokrat mit solchen Tricks noch weniger als seinen Wählern bei der letzten Landtagswahl in Baden-Württemberg, bei der Epplers SPD auf 32,5% wegsackte."
Das ist die Tragik am Verhältnis unserer Politiker zur Intelligenz: Wenn sie Erfobg haben mit dem Machtausüben, kriegen sie bescheinigt, vor den "wirklichen" Problemen unserer Zeit ganz hilflos dazustehen; und wenn sie sich die Zurschaustellung solchen Problembewußtseins zur Aufgabe machen, moniert man an ihnen mangelnde politische Durchschlagskraft.