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Wahlkampf in Westberlin
LAUTER OPFER FÜR DIE FRONTSTADT
Wahlen in Berlin sind von jeher etwas Besonderes. Berlin ist nicht einfach eine Stadt wie Frankfurt oder Köln, in Berlin an der Macht zu sein, nicht einfach ein kommunalpolitischer Erfolg. Berlin ist Frontstadt, und dieser für die Westberliner Bürger nicht nur in bestimmten politischen Konjunkturen eher ungemütliche Aspekt schlägt für die Herren Politiker positiv zu Buche. Er erlaubt ihnen eine Partizipation an den außenpolitischen Zwecken der Nation, eben weil das Halten von Berlin sich einer solchen Zwecksetzung verdankt: Die Bestreitung der Souveränität des Ostens, insbesondere der DDR, auf deren Territorium Westberlin liegt, hat die Stadt zum wortwörtlichen Symbol und Testfall des Ost-West-Gegensatzes gemacht. Die westdeutschen Parteien haben deshalb schon immer die Berliner Wahlen, die ihre Ableger bestritten, zur extra Sphäre ihrer Konkurrenz gemacht.
Diese Wahl ist extra besonders. Sie findet zwischen zwei Wahlen statt. Vorausgegangen ist ihr eine Regierungskrise. Angeblich geschüttelt durch den Garskiskandal setzten Parteimitglieder im Parlament vorübergehend Regierungsmehrheiten außer Kraft. Stobbe ging und die Demokratie bewies, daß sie "eine lebendige Staatsform" ist. Die Parteien wurden schwer aktiv. Die SPD, weil sie Berlin, seit 30 Jahren ihre Domäne, nicht verlieren wollte; die CDU, weil sie die Chance witterte, die 30jährige SPD-Herrschaft abzulösen. Ausgesuchte Größen und Mannschaften wurden nach Berlin geschickt, um zu unterstreichen, wie wichtig man diese Stadt nimmt für den Wahlerfolg.
Die hohe politische Persönlichkeit Vogel hat nach schwerem Ringen - "solch Opfer bringt man nur für Berlin" - den Schreibtisch im Rathaus Schöneberg besetzt, seine Präsenz bei Tag und bei Nacht mit einem Feldbett daneben unterstrichen, weiterregiert und so den Wechsel stattfinden lassen. Die CDU hat den Unterschied eines Wechsels im Führungspersonal und eines Wechsels der Regierungspartei sofort erkannt, ein Volksbegehren angeleiert, in Kürze 200000 Stimmen zusammenbekommen und aus dieser Position der Stärke heraus der SPD angetragen, den neuen Wahltermin parlamentarisch zu ventilieren. Der Bürger hatte für's erste genug gesprochen, die Restkosten konnte man sich sparen und legte gemeinschaftlich die Wahl so fest, daß sie für die CDU möglichst früh kommt und der SPD nicht der Vorwurf gemacht werden kann, sie hätte den Wahltermin hinausgezögert. Mit anderen Worten: Das Volk sollte möglichst bald entscheiden. Dies war ein "Lehrstück in Sachen Demokratie".
Berliner Wechselkurs
"Der Wechsel hat stattgefunden!" (SPD) "Der Wechsel ist fällig!" (CDU) ist die Formel, mit der die Berliner Parteienkonkurrenz ihr Wahlziel zusammenfaßt. Der Vogel mit dem Feldbett ist nicht bloß der ausgewechselte Stobbe, er steht für eine gänzlich neue Politik. Daß er überhaupt da ist und regiert, das ist der Wechsel. Denn was war vorher? Berlin war 1 1/2 Monate zuvor am Arsch. Hausbesetzer und Spekulanten beherrschten unter der Oberführung von Garski die Stadt. Der öffentliche Nahverkehr einschließlich Müllabfuhr lag darnieder. Eine von Filz, Korruption und Interessenklüngelei gesteuerte Planierraupe walzte ganze Stadtteile nieder - während die SPD damit beschäftigt war, sich zu verfilzen und Regierung Regierung sein ließ. Das Prinzip des neuen Kapitels in der Parteihistorie der SPD: Mit jedem Vorwurf gegen die SPD, der erhoben wird, macht die neue Regierungsmannschaft für sich Reklame. Vogel läuft als die personifizierte Selbstkritik der SPD herum: 20 Pfund hat er bereits abgenommen; er fährt S-Bahn und spart damit ganz viel Geld, bescheidet sich mit einem Amte, ist ehrlich, indem er jeden Fehler eingesteht, und arbeitet für Berlin. Bei so viel dernonstrativer Einsicht und Selbstkritik könne sich - will die SPD sagen - der Bürger die Kundgabe seiner Unzufriedenheit mit einer Stimme für die Opposition sparen, da Vogel Wechsel nicht nur verspricht, sondern schon praktiziert.
Das findet die CDU weniger prächtig und erfindet einen neuartigen Basis-Führung-Konflikt. Vogel, den ehemaligen Justizminister, heimlichen Kanzlernachfolger, dem Erfahrung und Verantwortung im Gesicht stehen, mag die CDU nicht direkt angreifen (deshalb schon die SPD Weizsäcker): "Herr Vogel mag ehrenwert sein, aber die SPD ist kaputt." (Lummer) So wenig die SPD ordentlich regieren kann, weil sie so verfilzt ist, so wenig kann die CDU verfilzen, weil sie so unverbraucht ist. Blamieren tut sich die CDU mit ihren Sprüchen nicht: "Der Wechsel des Etiketts ändert nicht den Inhalt der Flasche." Denn die Subjekte, die allesamt nach Wechsel verlangen, sind fiktiv: Die SPD braucht ihn, weil sie verbraucht ist; Berlin braucht ihn, weil ihr schlechter Ruf so schlecht ist; die Demokratie braucht ihn, weil Wechsel zur Demokratie gehört. Das Argument für den Wechsel ist der Wechsel - aus dem Munde des Berliner Bären: "Berlin, gibt dir einen Ruck!"
Wahlkampf um die Wohnungsnot
"Berlin hat wieder guten Grund, SPD zu wählen!" lautet die weitere Hauptparole der SPD - und die ist nicht minder glaubwürdig als die hoffnungsfrohe Vorstellung einer rundum erneuerten SPD. 1981, mitten in der Regierungskrise und zum Regierungsantritt Vogels hat die SPD die Wohnungsnot entdeckt. Ein brennendes Problem. Für wen? Für die SPD. Von Fehlentwicklungen in der Sanierungs- und Modernisierungspolitik ist die Rede; von Kahlschlagsanierung und mangelnder Mieterbeteiligung, zu viel Leerstand und zu wenig Instandsetzung; von ganz viel Versäumnissen also, deren Eingeständnis schon deshalb so vertrauenserweckend ist, weil es die SPD ist, die die Wohnungsnot zum Thema erhebt. Wirkungen ihrer Wohnungspolitik beklagt sie, weil die beweisen, daß die SPD die nie und nimmer gewollt hat. Die in den letzten Wochen beschlossenen Maßnahmen:
- Beibehaltung des Schwarzen Kreises bis 1990
- verbesserter Kündigungsschutz für Leute über 60
- Verminderung von Leerstand durch Zwischennutzung
- Instandsetzung Schwerpunkt in der Sanierungspolitik,
werden als Korrektur der Wohnungspolitik und Weg zur Aufhebung der Wohnungsnot vorgestellt. Eine Lüge, aber dennoch Politik für den Bürger. Sanierungskonzepte passen sich der Armut der Mieter an, indem sie diese als Basis für die profitliche Nutzung von Haus- und Grundeigentum nützlich machen. Können diese sich Neubauwohnungen mit den üblichen Standards oder "Luxussanierungen" wie den Einbau von Bad und Zentralheizung nicht leisten, heißt Sanierung eben Innenklo und die "zumutbare" Mietsteigerung darauf. Und weil die Fortführung des "Schwarzen Kreises" die Verslumung bestimmter Stadtviertel beschließt - die Hausbesitzer halten sich bei der Beschränkung von Mieterhöhungen über Nullinvestitionen bei nötigen Hausreparaturen schadlos -, kann der Bürger nun sehr viel Eigeninitiative ergreifen und auf eigene Faust und eigene Kost Instandbesetzung betreiben - und überdies der SPD dankbar sein, daß sie dergleichen Investitionen mit verbessertem Kündigungsschutz belohnt. So geht sozialdemokratischer Wahlkampf in Berlin: erstens wird Wohnungsnot zu dem Thema erhoben, und zwar als Problem der Politik, so daß Mißverständnisse über die Beseitigung der Wohnungsmisere gar nicht aufkommen können; zweitens stellt die SPD eine "Problemlösung" vor, die exakt die Fortführung der Wohnungsnot verspricht, und drittens sammelt sie einfach darüber, daß sie sich um ihre Wohnungspolitik kümmert, ihre Punkte.
Die CDU beherrscht das Prinzip ebenso gekonnt, indem sie einwendet, daß gerade die Verlängerung des Schwarzen Kreises "womöglich" alles - nach 1990 - noch schlimmer macht und eine Mietpreisbindung lediglich für bestebende Mietverhältnisse anvisiert, was das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter sicher sehr herzlich gestaltet. Sie besitzt die Unverfrorenheit, Verschärfung der Wohnungsnot - nun über die Miethöhe und die Konkurrenz zwischen Wohnungssuchenden und Mietern - als Mittel der Bekämpfung der Wohnungsnot auszugeben. Und wo sich die Politiker so sehr den Kopf zerbrechen und die Wohnungsnot - die alle eingeflogener Politiker gut bewältig haben, indem sie sie zum kommunualpolitischen Hauptthema erklären - und ihre Fortschreibung als Streit zwischen realistischen und schönfärberischen Alternativen abgewickelt wird, ist jede Unzufriedenheit, die sich von Vogel oder Weizsäcker etwas verspricht, weil die Leute fürchten, daß es noch schlimmer werden könnte, gut und nicht schlecht für den Wahlkampf.
Liberale Berliner Ordnungslinie
Das Schöne an dem Wahlkampfthema Wohnungsnot ist, daß es sehr zwanglos den Übergang zu einem weiteren erlaubt, den Hausbesetzern. Die SPD hat sich entschlossen, die von ihr praktizierte Sortierung in "friedliche" und "kriminelle" Hausbesetzer zum Beweis aufzubauen, wie ernst es ihr mit der Beschwörung der Wohnungsnat ist, und das heißt bezogen auf den Umgang mit den Hausbesetzern, herauszustreichen, wie liberal es doch ist, einen Protest gar als berechtig zu erlauben, wenn er sich an die, vom Vogelsenat neugesetzen Richlinien der Räumung hält. Ein Hausbesetzer, von der Polizei observiert bzw. zusammengeprügelt, von der Justiz mit noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren bedacht, kann in diesen Wahlkampfzeiten damit rechnen vom Innensenator oder Bausenator bzw. den Jugendorganisationen der SPD aufs Podium geholt zu werden, womit die erste Abteilung des Beweises - "die Berliner Linie sucht den Dialog" - schon mal abgewickelt ist. Die Berliner Linie ist darin "friedlich", daß sie die Verurteilung und schlagstockmäßige Räumung Justiz und Polizei überläßt, die dafür streng gewaltengeteilt auch da sind und ihrerseits eine "politische Lösung anstreben; also keine unnötigen Räumungsbefehle an die Polizei, Verhandlungen über "Zwischennutzungsverträge", wo diese den senatseigenen Wohnungsbaugesellschaften in den Kram passen und die Hausbesetzer sich als anständige Renovierer und damit rechtsempfindsame Bürger erwiesen haben. Weil das ganze kein Problem ist, ist es ein ungeheures Problem, an dem sich die Vogelmannschaft umsichtig bewährt, kein Augenmaß verliert, die Jugend gewinnt und das hohe Rechtsgut der "Verhältnismäßigkeit der Mittel" schützt. Die CDU, im Prinzip damit einverstanden, warnt vor zukünftigen Gefahren, wenn es so weitergehe, "Einkehr des Faustrechts", "Unsicherheit auf Straßen nach Einbruch der Dunkelheit" und "Rechtsstaat im Wanken " und erhebt sich zum höchstpersönlichen Schützer all der Bürger, die in der Regel noch keinen einzigen - Hausbesetzer zu Gesicht bekommen haben. Sie schützt des Bürgers Recht - eine Unwahrheit, die auch in Berlin nicht als diese überführt wird, weil der Bürger es dadurch verletzt sieht, daß andere sich nicht in der Weise daran halten wie er. So macht sich die CDU zum Anwalt aller braven Parksünder, die 20 DM löhnen müssen, und keiner mißversteht es als Aufhetzung zur Zahlungsverweigerung.
Der sauberste Wahlkampf
Viele Probleme haben die Berliner Politiker gefunden, an denen sie ihre Regierungsfähigkeit zur Schau stellen, sie demonstrieren so, daß sie sich um alles kümmern und beim Wähler einen guten Eindruck erwecken, nämlich einen besseren, als es die Konkurrenz vermag. Auch das letzte Problem bleibt dem Berliner in der Wahlkampfagitation nicht erspart: daß alles so problematisch ist. Berlin und Problem ist nämlich eine Gleichung, weil Berlin ein "Brennspiegel von Problemen" (Glotz) ist. Was soll der gute Wähler tun? Abhauen - das kann und tut doch in der Regel kein guter Berliner, höchstens ein Weizsäcker, der die Rückfahrkarte in der Tasche hat, wenn ihm ein Wahlerfolg in Berlin nicht gelingt. (Eine Rückfahrkarte, die man hat oder nicht hat, ist auch ein Argument für die Wahlentscheidung!) Die Probleme lösen - so war der Spruch auch nicht gemeint; dafür sind schließlich die Politiker da. Politik gibt es überhaupt nur, damit der Bürger nicht - von ihr alleingelassen - der "Auszehrung" anheimfällt. "Trost und Zuversicht braucht der Berliner Bürger" ( Regierungserklärung Vogel) und "Ohne Stolz kann der Mensch nicht leben", befindet die CDU. Armut und Opferwillen der Berliner Bevölkerung macht die Politik zu ihrem Argument, ganz für die Bürger da zu sein, wobei die Leistung der Politik für die Bürger damit zusammenfällt, daß sie die von der Politik geschaffene Armut und erzwungene Opferbereitschaft gehörig würdigt. So drängeln sich Blüm, Vogel usf. in die Arbeiterviertel und wohnen mitten unter ihnen, spenden dem verehrten Proletariat Trost, indem sie sich in die Tradition der großen Arbeiterbewegung stellen, wobei es sehr unerheblich ist, ob Vogel für die SPD mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrecht angibt, wofür er keinen Finger krumm gemacht hat, oder Blüm mit der Erkämpfung der freien Gewerkschaft nach 1945, die die bösen Kommunisten ausgeschaltet habe.
Ganz für Berlin und die Berliner dazusein ist diesmal die Methode des Wahlkampfes, und nicht so sehr die große Politik zu bemühen. Das hat doch tatsächlich in Westberlin das Urteil aufkommen lassen, dieser Wahlkampf sei sauberer als alle bisherigen.