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BIAFRA IN DEUTSCHLAND
"Auf ein Wort, liebe Mitbürger!
Sie kaufen gerade ein? Besorgen Sie für jeden in Ihrer Familie ein Brötchen oder zwei Scheiben Toast weniger als sonst. Wenn Ihrer Familie dann morgen früh noch Hunger hat, sagen Sie Ihren Lieben, sie sollen den Gürtel enger schnallen. Damit befolgen Sie einen Aufruf der Arbeitgeber. Möchten Sie lieber satt werden wie bisher, lesen Sie besser auch die andere Seite."
Die IG Metall setzt in der Tarifrunde '81 die öffentliche Aufklärung der "lieben Mitbürger" über ihre Absichten und Leistungen ein.
"Damit Sie und Ihre Familie sich auch 1981 satt essen können.",
kämpft die IG Metall gegen das Unternehmer-Lohndiktat. So steht es schwarz auf weiß, und wenn man es sich nicht längst abgewöhnt hätte, sich über diese Gewerkschaft zu wundern, würde man es nicht glauben. Nach über 100 Jahren aktiver und erfolgreicher Gewerkschaftspolitik - HUNGER? Die starkste Einzelgewerkschaft der Welt wirbt um Verständnis für ihre Aktionen mit einer unfreiwilligen Leistungsbilanz, die sich gewaschen hat: das nackte Überleben, das Sattwerden stünde an? Wie nach dem Krieg? Biafra in Deutschland?
Das ist natürlich Unfug. Nicht, daß es im Kapitalismus der 80er Jahre nicht haufenweise Leute gabe, die in der Tat nicht wissen, wovon sie am nächsten Tage leben sollen; nicht, daß in unserem Sozialstaat nicht auch jene Formen der Armut immer aufs Neue produziert werden, die ganze Weltgegenden beherrschen - aber daß die hiesige arbeitende Klasse am Hungertuch nagt und nicht weiß, wie sie satt werden soll, ist eine Übertreibung, die es in sich hat. Dies aus drei Gründen:
1. Seit wann bestimmen denn trockenes Brot, Dünnbier und der Drahtesel die Notwendigkeiten des proletarischen Haushalts 1981! Wer heutzutage fit bleiben will für ein Arbeitsleben unterm Kapital, der kommt ohne Auto, Waschmaschine, Fernseher, Kraftfutter und eine gut bestückte Hausapotheke gar nicht mehr aus.
Das Schreckensgemälde der IG Metall leugnet also mit dem Hinweis auf diese Formen der Armut die aktuellen Beschränktheiten, die sich heutzutage ein Arbeiterhaushalt auferlegen muß. Am Nachkriegsmaßstab des Überlebens gemessen wird selbst die Forderung nach Sicherung des Realeinkommens zu einem Moment von Luxus. Denn: Satt zu essen haben sie doch alle!
Da reiht sich die IG Metall artig in die Reihe öffentlicher Verzichtsappelle ein, die so über die Glotze flimmem: Natürlich wird dabei der Kauf eines Sparautos (Polo!) oder die Planung eines Sparurlaubs im Westerwald nicht als Versuch charakterisiert, mit zusätzlich beschränktem Einkommen z.B. doch noch Urlaub zu machen. Das sind dann vielmehr verantwortungsvolle Leistungen des energie- und währungsbewußten Staatsbürgers!
2. Die ganz bewußt eingesetzte Überzeichnung der aktuellen Armut der westdeutschen Arbeiterklasse stellt bereits vor Abschluß der Tarifrunde die Weichen eindeutig auf Sieg. Denn: Satt zu essen haben sie auch noch nach Abschluß des diesjährigen Tarifspektakels, die Metaller!
Und so wird
3. schließlich an alle, die es angeht, die Botschaft verkündet, daß für die Bewältigung der wirtschaftspolitischen "Sparprogramme" in den nächsten Jahren bei den Metallarbeitern noch einige Reserven drin sind. Denn: Solange sie noch satt werden, unsere Metaller! Mit dem neu propagierten alten Maßstab läßt sich wirklich einiges anfangen. Das galt für jede Nachkriegszeit und das gilt für jede Vorkriegszeit!
Marxistische Arbeiterzeitung (MAZ) , der MARXISTfSCHEN GRUPPE in Bremen.