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BRUDER CARSTENS IN CHRISTO
Du bist uns ein feines Exemplar in Gottes schöner Schöpfung. Wenn wir nicht wüßten, daß mit des Herrgotts weisem und ewigem Ratschluß jeder Mist gerechtfertigt wird, müßten wir zu der Auffassung kommen, ihm sei in Deiner Person ein mächtiger Schnitzer passiert. Doch denk' Dir nichts, er wird's wohl so gewollt haben. Immerhin bist Du Bundespräsident geworden, und das geht nicht ohne ein wenig Nachhilfe von oben.
Aber was Du Dir im Bremer Dom erlaubt ast, ist wirklich starker Tobak. Wie Du die Bergpredigt staatsmännisch in den politischen Schmutz gezogen hast, ein Gotteshaus für Deine Kriegspropaganda benutzt hast, das war schon mehr als einfach Entweihung heiliger Stätte. Und diese schleimige Tour: ein wenig sich unter die Gemeinde mischen - "langjähriges Mitglied der Domgemeinde"; ein wenig für den lieben Gott - "wandernes Gottesvolk" (hast wohl an Deine deutschnationalen Spaziergänge gedacht, wie?); "renovierter Dom als Gnadenerweis Gottes". Schließlich Dein längerer Rückblick in die Geschichte des Doms und der Kirche, was sie oft und alles falsch gemacht habe:
- "daß Kampfgeist und Machtstreben sich oft als stärker erwiesen haben als die Bereitschaft, Gottes Liebesgebot zu befolgen";
- "welche Gefahr schon damals in der großen Versuchung lag, geistliche und weltliche Macht miteinander zu verbinden";
- "Versuch..., den Dom in den Dienst nationalsozialistischer Bewegung zu stellen" (wo warst Du denn damals, liebes Mitglied der Diakonie? Ach so, Du nahmst das Parteiabzeichen der NSDAP, um Deine Mutter ernähren zu können, also aus christlicher Nächstenliebe!)
Jeder Deiner gläubigen Zuhörer wird erwartet haben, daß Du anschließend ein Lob auf Gott und die Kirche nachfolgen lassen würdest. So sah es erst auch aus:
"Das Evangelium hat sich immer wieder als stärker erwiesen als alles, was Menschen aus ihm gemacht haben... Gott hat dir Kirche deunen immer wieder aus der Hand genommen, die sich an Stelle von Jesus Christus zu ihrem Herrn machen wollten."
Ende gut, alles gut - Großer Gott wir loben Dich? Weit gefehlt. Dann wäre der Bundespräsident ja ganz umsonst nach Bremen gekommen, nicht wahr? Also hast Du losgelegt und zu erkennen gegeben, daß Deine ganze bisherige Predigt nur der Auftakt war für Deine Staatspropaganda, die Dir so sehr am Herzen liegt. Schämst Du Dich denn gar nicht, so plump daherzukommen, alle möglichen Episoden der Vergangenheit anzuführen, in der sich die politische, weltliche Macht das Evangelium unter den Nagel gerissen und sich zum Herrn der Kirche gemacht hat, und dann genau dies selbst zu tun? Du besitzt sogar die Frechheit, Deine politische Einmischung umzudrehen und der Kirche vorzuwerfen, sie mische sich in die große Politik ein, wenn sie nicht wie Bischof Lohse und die Mehrheit Deiner Kirchengemeinde voll und ganz auf Deiner Linie liegt. Von wegen "das Evangelium hat sich immer wieder als stärker erwiesen", Du starker Diener Deines Herrn. In wessen Dienst hast Du denn mit Deinem mächtigen Angriff auf die Bergpredigt den Dom gestellt? Aber hör Dir Deine staatskirchentümlichen Frechheiten erst noch einmal selbst an!
"Ich bin auf die Geschichte von St. Petri aber auch (!) eingegangen, weil ich die Sorge vieler heutiger Mitchristen teile," (aha, so direkt wolltest Du es nicht sagen) "was sie als Mißbrauch des seelsorgerischen Amtes für politische Zwecke empfinden. Ich weiß, daß diese Erscheinungen für das Gesamtbild der Kirche nicht typisch sind," (dann reg' Dich doch nicht drüber auf!) "daß sich die große Mehrheit unserer Pfarrer in der Erfüllung ihrer Berufung als Seelsorger bis über das Maß ihrer Kräfte hinaus einsetzen. Aber die anderen, uns beunruhigenden Erscheinungen treten in der Publizistik oft in den Vordergrund, merkwürdigerweise unter kräftiger Mitwirkung kirchlicher Informationsdienste. So lesen wir" (Du doch erst einmal) "mit Sorge Äußerungen einzelner Amtsträger, die bestimmte subjektive politische Auffassungen wiederspiegeln, aber mit dem Anspruch auf christliche Wahrheit verkündet werden.
Gewiß respektiere ich das Recht der Kirche, sich in Fragen des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu äußern" (solange sie Dir passen, Du Heuchler!) "und, wo dies nötig erscheint, Stellung zu nehmen, auch wenn dadurch Kontroversen entfacht werden. Wir lesen und hören mit großer Aufmerksamkeit die Verlautbarungen der Organe unserer Kirche." (Dieser Ton grenzt ja an Amtsanmaßung. Du bist doch nicht der Papst!) "Ich respektiere solche Verlautbarungen auch da, wo ich sie für bedenklich halte. So zum Beispiel, wenn von kirchlicher Seite Vorleistungen auf dem Gebiet der Abrüstung verlangt werden, oder wenn das Prinzip des politischen und militärischen Gleichgewichts verworfen wird," (wie kann man etwas verwerfen, was es in der Politik nie als Zweck gibt?) "das nach meiner Überzeugung und nach historischer Erfahrung eine Garantie für Sicherheit und Frieden darstellt.
Ich halte diese Thesen für falsch, und ich halte es für besonders bedenklich," (wo bleibt denn Deine Respektierung?) "wenn zu ihrer Begründung auf die Bergpredigt verwiesen wird. Die Bergpredigt ist eine uns tief bewegende Mahnung zur Gewaltlosigkeit, und der Christ, der sich für seine Person entscheidet, Gewalt hinzunehmen und Unrecht widerstandslos zu dulden, kann sich gewiß auf die Bergpredigt berufen" (der Depp - oder hast Du das nicht gedacht?).
"Aber eine ganz andere Frage ist es doch, ob derjenige, der für andere Verantwortung trägt, diese schutzlos der Gewalt überantworten darf oder ob es nicht vielmehr gerade seine christliche Pflicht" (diesmal ohne Bergpredigt, wie?) "ist, die ihm Anvertrauten vor Gefahr, vor Unrecht, vor Gewalt oder vor Aggression zu schützen. Oder sollte etwa ein Vater seine Familienangehörigen, ohne Widerstand zu leisten, Gewalttätern ausliefern?" - Was hat denn das mit der NATO zu tun? - "Als Christen werden wir über diese Fragen noch intensiv sprechen müssen." (Keine Drohungen!)
Ist Dir die Heuchelei denn schon so in Fleisch und Blut übergegangen, daß Du schon gar nicht mehr merkst, wo Du schon überall von amtswegen die Bergpredigt für Dich benutzt hast? Gegen Terroristen - ist sie Dir da nicht eingefallen, wenn Du, die Staatsgewalt im Rücken, alle Bürger auf die Gewaltlosigkeit verpflichtetest? Gegen "Intolerante", die auf Deine Sprüche pfiffen? Zu Weihnachten - hast Du da nicht die christliche Nächstenliebe für Behinderte, Neger und sonstige Minderbemittelte benützt, um beim Volk Geld locker zu machen? Noch letzte Weihnacht hast Du zitiert: "Vertrauen Sie nicht den falschen Propheten", um Deine Maßhalteappelle besser los zu werden.
In Sachen Deiner Aufrüstung paßt Dir das "Selig sind die Friedfertigen", das "Liebet Eure Feine!" nicht mehr in den staatlichen Kram. Die Vorbehalte derjenigen, die Zweifel bekommen, ob die tägliche Aufrüstung um des Friedens willens gemacht wird, und die nicht unbedingt jeden weiteren Fortschritt deutschen Militarismus geduldig hinnehmen wollen (leider brauchen sie dafür noch die Bergpredigt), nennst Du "Pazifismus". Aber das Wort pax geht Dir bei jeder neuen Aufrüstungsstufe locker über die Lippen. Na klar, wenn's um die Durchsetzung der westlichen Mächte gegen Osten geht, ist Dir die auf heidnischem römischen Boden entstandene Weisheit "Si vis pacem, para bellum!" lieber als die Bergpredigt. Die könnte ja jemand mißbrauchen gegen den Staat und seine flotte Kriegsvorbereitung.
Ist das eigentlich Zynismus, oder würdest Du das Toleranz im Sinne des Glaubens nennen? Wir meinen Deine gnädige Respektierung derjenigen einzelnen Personen, die sich für die Ideale der Bergpredigt die Schnauze vollhauen lassen - und nicht merken, daß sie sich mit diesen gläubigen Tugenden nurmehr für die Realitäten der Staatsmacht nützlich machen: Staatsgewalt - Gewaltlosigkeit; Meinung des Staats, die gilt - Toleranz; Aufrüstung für den Frieden, solange er hält - Friedfertigkeit etc. Also, wenn so ein paar christliche Blödians tatsächlich die "andere Backe" hinhalten, hast Du nichts dagegen. Nur dürfen es nicht zu viele werden; nur darf das nicht mit dem Anspruch auf christliche Wahrheit = als Kritik an der Aufrüstung auftreten. Da hört Deine Toleranz auf und fällt Dir ein, daß Du das gläubige Volk in seiner Wehrhaftigkeit und mit seinem Wehrwillen brauchst, damit es nicht einfach für die Nachfolge Christi, sondern für die Sicherheit der Nation die Brust hinhält.
Wie sagtest Du noch? "Eine ganz andere Frage", die Sache mit der "Verantwortung für andere, "Anvertraute". Wenn Du schon so daherkommst, dann nimm Dich doch einmal beim Wort. Du trägst doch die Verantwortung für das ganze deutsche Volk, also schütze es vor Gefahr. Aber bitteschön, Du selbst und nicht auf die Tour, daß alle in grenzenloser Verantwortung füreinander und für die Sicherheit der Nation, worauf das nur hinaus läuft, alle ins Gras beißen müssen, wenn Du und Deine verantwortungsvollen Kollegen in Bonn beschließen, daß der Friede nurmehr durch Krieg zu sichern ist. Das wäre doch einmal eine konsequente Verwirklichung Deiner alleinseligmachenden Exegese der Bergpredigt.
Wie bist Du denn auf den Vater mit Familienangehörigen und hereinbrechenden Gewalttätern gekommen? Doch nicht etwa einen Kriegsdienstverweigerer in der christlichen Familie, der Dir erzählt hat, daß man so saublöd die angebliche (auch christliche) Notwendigkeit von Massentötung - oder Massenversaftung, wie das modern heißt zwischen Nationen begründet? Mit dieser Ableitung der staatlichen Aufrüstung und notwendigen Wehrbereitschaft jedes Bürgers solltest Du vorsichtig sein. Zu leicht könnte jemand darauf kommen, daß die Selbsttverständlichkeit, daß man sich seinen Nächsten nicht umbringen oder gar vergewaltigen läßt, nichts, aber auch rein gar nichts mit Bundeswehr, NATO, Nachrüstung und Atomraketen sowie dem Zweck dieser ganzen kriegerischen - Pardon, friedenssichernden - Veranstaltung zu tun hat. Dein guter Vater - wenn er noch ganz dicht ist - sagt nämlich nur: Laß meine Frau in Ruhe, sonst verpaß ich Dir eine. Sehr einfach, nicht wahr? Du mußt für das genuine Verteidigungsinteresse der Nation - bei dem komischerweise, sobald es gefordert wird, eine große Menge Staatsvolk draufgeht - so krumme Kurven kratzen wie: Um die Sicherheit der Nation (wessen bitte?) zu gewährleisten, gebietet es die Verletzung des Gleichgewichts durch den Osten (weil der so frech ist, auch Waffen zu haben) mit einer Politik der Stärke und gleichgewichtigen Überlegenheit dafür zu sorgen, die Russen kleinzukriegen. So daß sie im Falle, daß sie nicht anders können, als sich zu wehren, und es wagen sollten, in die gute deutsche Stube einzubrechen, der Präsenz von Vater.... Staat gewärtig sein müssen, der dann ganz selbstverständlich seine Familienangehörigen, sein Volk nämlich, schützt, indem er es verheizt.
Soweit klar, Bruder Carstens? Zum Schluß noch eine ganz persönliche Frage an Deine christliche Natur. Kann es sein - nur eine Frage -, daß Du damals als ungewolltes NSDAP-Mitglied, dann als Flakoffizier im "verbrecherischen Krieg", schließlich im Außenministerium, wo man Dich mit Waffenschieberei behelligte, heimlich gebetet hast: "Herr, laß diesen Kelch an mir vorübergehen!" Du brauchst nicht zu antworten, denn wir respektieren auch Haltungen, die wir für bedenklich halten. Wir meinen nur, sollte es so sein, wie wir fragen, daß ein solches Verhalten der "christlichen Wahrheit" eines Staatsmannes wie Dir sehr nahe käme.
Ganz zum Schluß noch eine Bitte. Sag doch Deinem kleinen evangelischen Bruder Kanzler, der wie Du mit der Macht auch die Moral gepachtet hat ("Verantwortungsethik") und der Dir in Deinem christlichen Ansinnen gegen Pazifismus zuvorgekommen war, er möge bei seinem Feldzug gegen die "Einmischung der Kirchen in die Politik" den von ihm angegriffenen Satz "Lieber rot als tot" (zu dem soll in der evangelischen Kirche eine "gewisse Neigung" bestehen, was wir nicht glauben ) umformulieren in die gläubige Zuversicht: "Lieber tot und ewiges Leben". Übernähme die evangelische Friedenskirche diese apokalyptische Formel, wäre beiden Seiten gedient und der Kanzler könnte sich den Vorwurf "naiver Gesinnungsethik" zumindest für die Gegenseite - sparen.
Aber, Bruder Carstens, Du mußt in Deinen "Äußerungen" - wie Du so treffend in Bremen bemerktest - "alles vermeiden, was unseren Bruder kränken kann".